Google

This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct

to make the world's books discoverablc online.

It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject

to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books

are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover.

Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the

publisher to a library and finally to you.

Usage guidelines

Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying. We also ask that you:

+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for personal, non-commercial purposes.

+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the use of public domain materials for these purposes and may be able to help.

+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe.

Äbout Google Book Search

Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web

at|http: //books. google .com/l

Google

IJber dieses Buch

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.

Nu tzungsrichtlinien

Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen unter Umständen helfen.

+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.

Über Google Buchsuche

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen. Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|http: //books . google .coiril durchsuchen.

I

GEIST UND KÖRPER, SEELE UND LEIB.

/

LUDWIG BUSSE,

PRUIfKaSOR DER l'HILLiSürlilK AN \!t.\l LMVKrfSlIAT KÜNHiSBtHU.

LEIPZKJ

VERLAC HER üf'UßSCHEN BrCiniANm.l'NU 1903

YI Inhalt.

Seite

3. Der T^'pus: Das Psychische ist eine Begleiterscheinung des Physischen. Dieser Typus ist ein Pseudomaterialismus, er ist in Wahrheit Parallelismus 59 61

Zweiter Teil. (Hanptteil.) Fsyehophyslgehe Weehselwirkmig oder psjehopliyBiseher ParallelismiiBf . . 62—474

Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelismus 62 379

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte

Formen 63 118

Immanente Kritik des ParallelismTis : die QesichtBpnnkte der Hodalit&t, Qnantittt und Qualität und ihre möglichen Kombinationen.

1. Modalität. „Empirischer*^ und „metaphysischer*^ Parallelismus 67 86

Unmöglichkeit, den Paiallelismns als eine blobe „Arbeitshypothese** gegen die Weohaelirirkangslehre geltend zn machen. Der Farallelismns mad, wenn er einen dem kansalistischen (der Wechselwirkongslehre) entgegengesetzten Standpunkt bedeuten irill, als eine dogmatische, metaphysische oder natnr* philosophische Theorie auf treten.— Kritik der Ansichten Wund ts und Münster- bergs. Unlmltbarkeit der von Mfinsterberg yertretenen Zweisealentheorie.

2. Quantität Partieller und universeller Parallelismus . . . . 86 101

Unmöglichkeit des partiellen Parallelismus: der Parallelismus muT^, wül er konsequent sein, die universelle Fassung sich zu eigen madien. Nachweis, da£l Wundt und Jodl trotz ihrer Ablehnung des universellen Paiallelismns denselben doch tatsichlioh acceptieren.

3. Qualität. Materialistischer, realistisch -monistischer, idealistisch- monistischer und dualistischer Parallelismus 101 109

Der materialistische Paiallellsmus ein Pseudoparallelismus. Seine Unmöglich- keit und Inkonsequenz. Echtheit der drei übrigen Formen.

Schlufszusammenfassung: der Parallelismus mufs dogmatisch- meta- physisch und unirmsell, er kann realistisch -monistisch, idealistisoh - moni- stisch und dualistisch sein (S. 110—118).

Zweites EapiteL Die Vorteile des Parallelismus 119 129

Die von ihm gebotene Möglichkeit, die Ansprüche idealer Weltauffassung mit der Forderung materialistischer Naturerkl&rung zu vereinigen. Seine YertrUg- lichkeit mit den Prinzipien der Geschlossenheit der Naturkausalitftt und der Erhaltung der Eneigie.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus 129 379

1. Der metaphysische Unterbau 129 183

a) Der realistisch -monistische Parallelismus (Neo-Spinozismus,

Identitätsphüosophie) 130 144

Die Zweiseitentheorie. Unmöglichkeit , zu zeigen , wie Geist und KOiper zwei verschiedene Seiten oder Darstellungsweisen eines identischen Realen sein kOnnen. Unzulänglichkeit aller zur Veranschaulichung herbeigezogenen Bei- spiele und Bilder. Der realistisch - monistische Parallelismus bleibt tatsächlich im Dualismus stecken. Unmöglichkeit auch des Gedankens, Geist und KOtper als an sich zugleich identisch und verschieden aubufsssen.

b) Der idealistisch -monistische Parallelismus 144 182

Charakterisierung des Standpunktes: Parallelismus von Erscheinungen und intelligiblen Yoigttngen. Notwendigkeit, auf demselben die Identität der beiden parallelen Reihen fallen zu lassen. Kritik der Ansichten Ebbinghaus' undHeymans*. Auch das Parallel prinzip lädst sich nicht ohne Änderung

Inhalt vn

Seite iB die idaaliatische Eonstroktion. mit lunQjbernehmen ; als Vorstellungen

stehen die physischen Yorgänge zu den übrige psychischen YorgSngen in einem YerhftltDis wechselseitiger Kausalität. Man maA die Yorstellnngen, -welche sich anf physische Yoigfinge beziehen , objektivioen , um den Pazal- lelismns durchführen zn können. Möglichkeit, einen Parallelismns von phyrischenPhänomenen ond psychischen inteUigiblen Yoif^gen mit einer idea« listiaohen Metaphysik za verbinden , Zorfickweisnng der sich gegen diese Möglich- keit richtenden Angriffe Erhard ts auf Fanlsen nndHeymans. DerParal- lelismas aber jedenfalls nicht die notwendige Konsequenz des Idealismus; Kritik der Ansichten Hey maus' und Paulsens. Als solche erscheint viel« mehr die Theorie psychophysischer Wechselwirkung, die mit idealistischer Meta- physik weit besser zusammenstimmt als der psychophysische Parallelismus. Denn der letztere l&fst sich auf ideaUstiseher Grundlage nicht völlig durchführen, es bleibt auf der psychischen Seite immer ein Best übrig, welcher der Forderung duiekgSngiger Parallelitttt der beiden Beihen widerstreitet und zu einer kausali- stiachen Auffassung des YerhJlltnisses von Geist und Körper nötigt. Nachweis, dab das sowohl beim subjektiven wie beim objektiven Idealismus der Fall ist. Zusammenfassung des Geeamteigebnisses.

2. Die EüDstliclikeit dor parallelistischen Theorie. Der Parallelis-

mns und das Eausalitätsprinzip 183 208

Der psychophysische Parallelismns keine Tatsache, sondern eine Deutung der Tatsache, daDs zwischen psychischen und physischen Yorgftngen ein Yerhältnis wechselseitiger Abhängigkeit besteht. Kritik Wundts. Die kausalistische AnfEassung die natürlichere Deutung dieser Tatsache. Nicht das Kausalit&tsprinzip an sich , sondern vielmehr spezielle mit ihm verbundene und identifiziexte An- nahmen (Prinap der geschlossenen Naturkausalität , Prinzip der Erhaltung der Energie) stehen der kausalistischen Ansicht im Wege. So bei Münsterberg, Jodl und Wundt. Aber diese Prinzipien sind nicht mit dem Kausalitats- prinap identisch und keine notwendigen Konsequenzen desselben. Kritik Wund ts. Gesamtergebnis.

3. Die Eonsequenzen des psyohophysischen Parallelismns und ihre Unduichführbarkeit 208—378

a) ündurchführbarlkeit der aus dem ps'ychophysischen Parallelis- mns resultierenden Forderung, zu allen psychischen Eigen- tümlichkeiten die physischen Analoga anzugeben: der auf psychischer Seite verbleibende Rest 208 229

Zurückweisung des aus einer falschen AufCsssung des Prinzips psychophysischer Kongruenz resultierenden Einwandes gegen den Parallelismus, dafo die inhalt- liehe Bedeutung der psychischen Yoigftnge sich auf der physischen Seite nicht wiedergeben lasse. Erläuterung dieses Miftverständnisses an dem Beispiele Spinozas. Inkonsequenz Wundts. Unmöglichkeit aber, für dss be- ziehende Bewußtsein und seine Synthesen ein physisches Analogen zu finden. Fehlachlagen des Münster bergschen Bettungsversuches. Die Einheit desBe- wuÜBtseins unä die Unmöglichkeit, ein physisches Analogen dafür ausfindig zu machen. Behmke contra HOffding.

b) Die Geschlossenheit des psychischen und des physischen Geschehens und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten. Biologische und kulturgeschichtliche Eonsequenzen. Die Automatentheorie 230—321

a) Die psychische Seite 230—234

Bier besteht keine unüberwindliche Schwierigkeit. Zurückweisung der Einwen- dungen Behmkes und Wentschers, die Möglichkeit eines rein psychischen Kausalzusammenhanges betreifeDd.

▼HI Inhalt

Seito ß) Die physische Seite 234—321

Schwierigkeit, das Prinzip rein physischer Yeronaohiing uid Bewirkong, die Konseqaenz des Parallelismns , aof dem Gebiete der organischen, spezieil der animalischen Natur darchzafOhren. Der Neovitalismns. Unmöglichkeit, die Antomateniheorie in der Biologie dorchzoftthren. Das Psychische eine Aos- stattnng der Lebewesen im Kampfe nms Dasein. Lust and Schmen. Unmög- lichkeit, dleKaltnrgeschichte nach der Aatomatentheorie physikalisch za kon- Btraieren. Das „Ansterlitz- Argument ". Der Versach idealistisch denkender ParalleUsten , den Absorditäten der Aatomatentheorie daroh Verweisong aaf die idealistische metaphysische Grundlage za entgehen , ist ein Teigeblicher. Kritik der Ansichten Paalsens and Heymans. Unmöglichkeit auch des Biehi- schen Vennittlnngsstandpanktes. Nachweis, daTs viele ParalleUsten selbst anf biologisch -geschichtlichem Gebiet inkonsequenterweise der kaosalistischen Anffassang baldigen. Schopenhaaer, Spencer, Haeckei, Jodi, "Wandt. Die Versadie, alle Handlangen lebender Wesen physiologisch zu konstruieren. In welchem Sinne das „unmSglich" ist. Uire Abhängigkeit von den psychologischen Tatsachen. Unmöglichkeit, den hypothetisch anzanehmen- den physiologischen Zusammenhang als einen eindeutig bestimmten und not- wendigen, alle Zof&lligkeit aosschliefiienden hinzustellen. James. Überblick über die hauptsächlich eingeschlagenen Richtongen. DieAssociationstheorie: Ziehen. Kritik derselben. Das Willkürliche und Gezwungene der Theorie, Zufälligkeit und Mehrdeutigkeit der von ihr angenommenen Prozesse. Erläu- terung dieser Mängel an demMeynertschen Schema. Die Aktionstheorie: Münsterberg. Kritik derselben. Sie talit die Hauptfohler der Associations- theorie und vermag daher den komplizierten Vorgängen des höheren tierischen und insbesondere des menschlichen Lebens ebensowenig gerecht zu werden wie jene. Hinwels auf Suggeetion und Hypnose. Das „Telegramm -Argument". Zurückweisung ftüscher Auffassungen desselben. Zurückweisung des Einwandes, dal^ die Heranziehung des psychischen Faktors den Zusammenhang nicht deat- lioher mache. Cognitio circa rem und oognitio lei.

c) Die psychologischen Konsequenzen des Parallelismus. Die pluralistische Seelenlehre. Die ^Mind-Stuff*^ -Theorie. Mecha- nistische Auffassung des seelischen Lebens: Association contra Apperception 322—378

a) Der psychologische Pluralismus: die Psycüologie ohne

\pvxri oder die subjektlose Psychologie 322 342

Unmöglichkeit, die Seele im Sinne der pluralistischen Psychologie lediglich als den Zusammenhang der psychischen Vorgänge selbst anzusehen. Die Einheit des BewufHtseins fördert mit Notwendigkeit ein einheitUchee Seelensabjekt. Wie dasselbe zu denken ist und wie es nicht zu denken ist; in welchem Sinne man Ton einer Seelensubstanz reden darf und mub. Zurttckweisnng der Analogie der Einheit des KOrpers. Kritik Ebbinghaus'undWundts. Unentbehrlichkeit und Wert des Substanzbegrül^ für die Psychologie. Inkonsequenzen Wundts und Paulsens.

ß) Die psychologische Atomistik (Mind-Stuff- Theorie) « . 342—345

Sie ist die notwendige Konsequenz des Parallelismus, aber unvereinbar mit den Tatsachen des Bewu&tseins. Inkonsequenz Ebbinghaus', Wundts, Ziehens, Biehls, welche den Parallelismus vertreten, die Mind-Stuif- Theorie aber ablehnen.

y) Die mechanistische Psychologie (Associationspsychologie) 345 378

Sie ist die notwendige Konsequenz des Parallelismus: dem Mechanismus der physischen Vorgänge mub ein solcher der psychischen Vorgänice parallel geheo. Unmöglichkeit indessen, die mechanistische Konstruktion der psychlRc-hen Vor- gänge restlos durchzuführen. Die höheren psychischen Leistungen lassen sich nicht in einen Mechanismus von Psychomen oder E'ftychosen auflösen. Elritik •des Ziehen sehen Standpunktes. Die Antinomie des logischen Denkens und

Inhalt. IX

S«ito seiner Notweadifkelt nnd des htosal - meohsnischen ZosammenhaBtt der Oelüin-

prcnesse eine Konseqnens des psyohephysischen PuaUelismns. Liebmenn. Unmöglichkeit, sie dnroh die Annahme einer prSstebilierten Harmonie von Natnigesetzen und logisch -teleologischem Zosammenhang auf parallelistischem Boden ra beseitigen. Ansbliok anf weitere Antinomien ethischer Natur. Unvereinbarkeit der Wnndtschen Apperceptionstheorie nnd des Wandt- Paul senschen VolnntaEiamna mit dem psychophysischen Paiallelismas , welcher die Assodationstheoiie mit ihrem dnrchgingigen psychischen Mechaniamns fordert. Anfhebong der meisten im zweiten Kapitel erwähnten Vorteile des Parallelismns : dem Geistigen wird seine Eigenart, in der sein Wert liegt, ge- raubt. Inkonsequenz Paulsens und Ziehens. Fechners und Paulsens Unsterblichkeit^flaube verst6bt gegen die Eonsequenxen des Parallelismus. Die Milnsterbergsohe Lehre von der doppelten Wahrheit ist wissenschaftlich un- haltbar.

Oesamtergebnis der kritischen Untersuchung des psychophysischen Paral- lelismus (S. 378 —879).

Zweiter Äbseknitt Die psyohophysische Weohselwirknngstheorie . . 380 474 Erstes Kapitel. Die Vorteile der Theorie 380—382

Sie stellt die natfiriiehere Auffiusung des Verhiltnisses von Geist und KSrper dar, entspricht dem logischen Bedtlifnis des Denkens, die Welt als ein einheit- liches Ganze anzusehen, besser als der Parallelismus, vermeidet die paradoxen und absurden Konsequenzen desselben , wird der Natur des geistigen Geschehens ge- recht und stimmt mit idealistischer Metaphysik und idealer Weltauffassung besser zusammen als der Parallelismus.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Weohselwirkangstheorie . . 382—474

1. Das Prinzip der Geschlossenheit der Naturkaosalitäi Philosophie

und Natorwissenschaft 382—403

Recht der Philosophie, die letzten hjrpothetischen Annahmen und Voraus- setzungen der Naturwissenschaft auf ihre Allgemeingfiltigkeit hin zu prftfen. Unberechtigtheit der Forderung, daüi sich die Philosophie den jeweilig heiTsohenden naturwissenschaftlichen Theorien anzupassen habe. Das Prinzip /

der Geschlossenheit der NaturkausalitRt , das der Wechselwirkungslehre ent- '

gegensteht, ist kein denknotwendiges Prinzip. Es ist aber auch kein durch ein rechtmllUges InduktionsverlUiren zu allgemeiner Gültigkeit erhobener Satz, denn es ist nur auf unorganischem Gebiet ausnahmslos verifiziert worden. Die Über- tragung sdner Gültigkeit auf das organische Gebiet ist deshalb nicht ohne weiteres gestattet, weil hier psychische Faktoren, die auf unorganischem Gebiet Muten, tatsächlich vorhanden sind und schwerwiegende Gründe für ihr Ein- wirken auf das physische Geschehen geltend gemacht werden. Solange diese CMnde nicht beseitigt sind , ist die Annahme der dnrchgingigen Geschlossenhdt der Natnrkausalität lediglich eine petitio prinoipii ; diese Gründe durch das Axiom der Qeschl. d. N. selbst beseitigen zu wollen , bedeutet einen ciroulns vitioeus.

2. Das Prinzip der Erhaltung der Energie 403 474

Unterscheidung der versdiiedenen in dem Prinzip enthaltenen Gedanken: das Äquivalenzprinzip und das Konstanzprinzip. Auffassung des Bneigie- prinzips bei verschiedenen Forschem. Mechanistiache und energetische Auf- fassung des Prinzips. Das Konstanzprinzip unvereinbar mit psycho- physischer Wechselwirkung. Versuche, die Vereinbarkeit darzutun. Das Psychische als Energie, von Grot, Stumpf, Külpe, Ostwald. Un- möglichkeit dieser Ansicht wegen ihrer Unvereinbarkeit mit den Tatsachen des psychischen Lebens. Das Wirken ohne EnergieverEnderung: die Doppeleffekt- und Doppelursachentheorie: Stumpf, Rehmke, Erhardt, Wen ts oh er. Unmöglichkeit der Doppeleffekttheorie: kein phy- sisches Verursachen ohne Energieanfwand. Unmöglichkeit auch der Doppel- waaehentheorie: keine physische Wirkung ohne Energievermehrung. Die Doppel-

X Inhalt.

Seite nrsachentheorie vom Parallelismns nicht zu nntorecheiden. Wentichers

Versuch, die Seele potentielle physische Energie anslösen za lassen, ohne den Betrag derselben zn vermehren. Zorückweisang desselben: keine Aus- lOsong ohne Enotgievermehrong mSglich. Anch Bichtungsänderung be- stehender Bewegung nicht ohne Energiezuwachs möglich. Kritik der An- sichten Hartmanns und EGnigs. Nutzlosigkeit aller dieser Versuche insofern aU, selbst wenn das Eonstanzpiinzip durch die ihnen zu Grunde liegenden Annahmen gewahrt bliebe, doch alle anderen Naturgesetze durch dieselben und im Sinne derselben verletzt würden. Das Prinzip der Er- haltung der Energie ist kein denknotwendiger Satz. Das Äqnivalenzprinzip ist eine auf rechtmäßigem Induktiven Wegre gewonnene Verallgemeinerung, das Eonstanzpiinzip kann dagegen seiner Natur nach gamicht induktiv bewiesen werden. Es beruht auf der Voraussetzung der Geschlossenheit der Naturkausalität (Wundt, Eroman, Hartmann, Thiele) und teilt daher den Charakter desselben: es ist eine petitio prlncipii, ein Glaubenssatz, keine wissenschaft- liche Wahrheit. Mit ihm die Wechselwirkung widerlegen zu wollen heibt daher einen circulus vitiosus begehen. Mit dem Äquivalenzprinzip, das allein als naturwissenschaftliche Wahrheit übrig bleibt , ist aber die Wechselwirkungslehre durchaus vereinbar, da dieses von vornherein nichts anderes besagt, als dab beim Wirken der Dinge aufeinander jedes verbrauchte Quantum physischer Energie durch ein gleich grofsee Quantum physischer Energie derselben oder einer anderen Art ersetzt wird. Erledigung anderer Einwände, des Trägheits- gesetzes (HÖffding), des Spiritismus (Paulsen) und des Perpetuum mobile (Ebbinghaus).

Gesamtergebnis: die Wechselwirkungstbeorie eine einwandfreie, dem Parallelismus vorzuziehende Theorie (S. 474).

Dritter Teil. Sehlafebetrachtang:. Gmndslisre einer ideaüstlBeh- spiritnalistlsehen Weltansehannng 475— 4S2

Skizze des Weltbildes nach der Voraussetzung psychophysischer Wechselwirkung und bei Annahme der Realität der KOrperwelt. Abhängigkeit de« Geistigen von der physischen Entwicklung nach seiner Entstehung und seiner Weiterentwicklung. Stetigkeit der physischen und XJnstetigkeit der psychischen Entwicklung (Stumpf). Einwirken des Geistigen auf den Ablauf des körperlichen Geschehens. Ab- änderung dieses Weltbildes bei Zugrundelegung einer idealistisch-spiritualistischen Anschauung. Der monadologische Spiritualismus, Dingmonaden und Seelen- monaden. Der objektive Idealismus. ~ Verhältnis beider zueinander. Ihre Über- einstimmung in der kausalistischen Auffassung des Verhältnisses von Geist und EÖrper, Seele und Leib.

Naehträire 483-484

Aatorenregistcr 486—488

s

\

Einleitung.

Die Frage, deren Erörterung das Thema dieses Baches bildet: wie das Verhältnis von Geist und Körper, Seele und Leib gedacht werden müsse, hat, seitdem die Erkenntnis der Yerschiedenartigkeit des geistigen und des körperlichen Seins und Geschehens ein fester Besitz des menschlichen Bewußtseins geworden, das Nachdenken der Menschen stets in hohem Maße beschäftigt Das ist sehr erklärlich, denn sie ist von großer und allgemeiner Bedeutung. Der Gegensatz Ton Geist und Körper durchzieht unser gesamtes Denken, Fühlen und Wollen; auf allen Gebieten menschlicher Betätigung, in der Wissenschaft wie in der Kunst, in der Religion und in der Erziehung, ja auch in fast allen Beschäftigungen des täglichen Lebens spielt die Unterscheidung des Geistigen und des Körperlichen eine große und bedeutsame Bolle. Ihr zufolge sondern wir die Wissenschaften in die beiden großen Gebiete der Natur- und der Geisteswissenschafben. In der Philosophie gar unterscheiden sich ganze Systeme, ganze Richtungen von einander durch die Stellung, die sie zu der Frage nach dem Verhältnis von Geist und Körper einnehmen. Und das ist nur natürlich. Denn nicht nur der Psycholog und der Physiolog haben ein Literesse daran, genau zu wissen, wie sich die geistigen Vorgänge zu den körperlichen und umgekehrt physische Prozesse zu psychischen Terhalten, sondern auch der Metaphysiker und der Religionsphilosoph, der Erkenntnistheoretiker und der über die Grundlagen seiner Wissen- schafk nachdenkende Naturforscher sind genötigt, zu dieser Frage Stellung zu nehmen und von dieser Stellungnahme die Gestaltung ihrer grundlegenden Ansichten zum nicht geringen Teil abhängig zu machen. Das Problem des Verhältnisses von Geist und Körper hängt mit einer ganzen Reihe von Einzelfragen sowohl als solchen der allgemeinen Weltanschauung aufs engste zusammen, übt einen be- stimmenden Einfluß auf sie aus und wird selbst von ihnen beein- flußt Sehr treffend charakterisiert Lieb mann diese centrale Stellung und Bedeutung unserer Frage mit den Wollen: »Die berüchtigte

Basse, Oeist und KOrper, Seele und Leib. 1

2 £inleitang.

Frage, welches denn bei Tieren und beim Menschen das wahre, innere Verhältnis zwischen Leib and Seele sei, greift über das Gebiet wirklicher und möglicher Erfahrung weit hinaus, läßt sich auf em- pirischem Wege gar nicht entscheiden, liegt ganz und gar im Felde der Metaphysik und bildet dort, wie bekannt, den Knotenpunkt, Ton dem aus die Vielheit der dogmatischen Systeme wie Dualismus und Monismus, Spiritualismus und Materialismus, das System des Okkasionalismus, das der prästabilierten Harmonie, das neuplatonische Emanationssystem usw. nach den verschiedensten Richtungen hin divergieren.« *)

So ist es denn nicht verwunderlich, daß, nachdem sie um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in dem sogenannten Materialismus- streit die Gemüter aufis lebhafteste erhitzt hatte, unsere Frage auch gegenwärtig wieder einmal im Vordergrunde der philosophischen Dis- kussion steht und ein lebhafter Kampf der Ansichten um sie ent- brannt ist. Doch hat der Streit einen anderen Inhalt und damit ein anderes Aussehen erhalten. An die Stelle des Materialismusstreits ist der Farallelismusstreit getreten, d. h. der Streit darüber, ob zwischen dem Geistigen, über dessen Unabhängigkeit von dem Körperlichen sich die Beteiligten mit wenigen Ausnahmen einig sind, und diesem letzteren lediglich ein Verhältnis gegenseitigen Ent- Sprechens oder der Parallelität, oder ein solches gegenseitiger kau- saler Einwirkung, d. h. also der Wechselwirkung, allgemein oder in besonderen Fällen, angenommen werden müsse. Diese Streitfrage nun, welche in den letzten Jahren eine große Anzahl Federn in Bewegung gesetzt und eine umfangreiche, immer mehr anschwellende Literatur veranlaßt hat, werden auch wir in diesem Buche vornehmlich zu erörtern haben. Da wir aber das Problem des Verhältnisses von Geist und Körper, Seele und Leib nach allen möglichen Seiten hin und in möglichst umfassender Weise betrachten wollen, so werden wir doch auch den übrigen möglichen Standpunkten, insbesondere dem Materialismus unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden nicht umhin können.

Auf die allgemeine Frage nach dem Verhältnis der geistigen zur körperlichen Welt lassen sich zunächst vier an sich und in abstracto mögliche Antworten geben; ihnen entsprechen ebensoviel verschiedene philosophische Standpunkte, nämlich

1) Gedanken und Tatsachen, Bd. I. Straßbarg 1899, S. 286.

Einleitung. 3

1. Der materialistische Standpunkt,

2. der idealistisch -spiritualistische Standpunkt,

3. der dualistische Standpunkt,

4. der parallelistisch- monistische Standpunkt

Yon diesen erkennt der erste wahrhafte BeaUtät allein der Materie zu; das Geistige ist ihm eine unter bestimmten Bedingungen auf- tretende Eigenschaft, ein Verhalten oder eine Funktion der Materie. Umgekehrt ist für den idealistisch -spiritualistischen Standpunkt alle Bealität geistiger Art, die körperliche Welt dagegen nur eine Erschei- nung für das auffassende Bewußtsein. Dem Dualismus zufolge stellen das Geistige und das Körperliche zwei gleich ursprüngliche und gleich reale Arten des Seienden dar, die, von spezifisch verschiedener Art und Beschaffenheit, doch aufeinander einwirken und sich gegenseitig be- einflussen. Der parallelistisch -monistische Standpunkt endlich erblickt in dem Geistigen und in dem Körperlichen die beiden zu einander gehörigen, sich überall entsprechenden und einander parallel gehenden, aber nirgends aufeinander einwirkenden Formen oder Weisen , in denen das Wirkliche sich uns darstellt und zu erkennen gibt

Yon diesen in abstracto möglichen vier Standpunkten scheidet nun aber bei näherer Betrachtung für die das Thema unserer Unter suchung bildende Frage der zweite, der idealistisch -spiritualistische Standpunkt, als ein Hauptstandpunkt aus. Denn da er das Körper- hebe im eigentlichen und metaphysischen Sinne als ein Reales gar nicht gelten läßt, so kann er auch (ebensowenig wie sein Antipode, der Materialismus) ein Verhältnis von Geist und Körper im eigent- lichen und metaphysischen Sinne nicht anerkennen. Wenn alle Realität geistiger Art ist, so gibt es auch nur Verhältnisse von Geistigem zu Geistigem, nicht aber ein Verhältnis des Geistigen zu etwas, das gar nicht vorhanden ist Stellen sich die Vertreter dieses Standpunktes dagegen auf den Boden rein empirischer Betrachtung und lassen unter dieser Voraussetzung die körperlichen Prozesse, die vom Standpunkt metaphysischer Betrachtung aus sich in geistige auflösen, als eine be- sondere, von den psychischen zu unterscheidende Art von Gescheh- nissen gelten, so kann nunmehr das Verhältnis derselben zu den geistigen Vorgängen nur das der Parallelität oder der Wechselwirkung sein. Demnach ist der spiritualistisch- idealistische Standpunkt ein sol- cher, der entweder mit der paralleUstischen oder der (wenn es gestattet ist, die Annahme einer Wechselwirkung zwischen Körper und Geist mit diesem Wort kurz zu bezeichnen) kausalistischen Auffassung des Verhältnisses von Körper und Geist verbunden werden, nicht

2*

4 Einleitung.

aber denselben als eine besondere Auffassung dieses Verhältnisses selbst entgegengesetzt werden kann. Diese Bemerkung gilt gleichmäßig von den beiden metaphysischen Anschauungen, welche in der Behauptung, daß alle Realität geistiger Art sei, übereinstimmen und daher von mir unter der gemeinschaftlichen Bezeichnung: idealistisch- spiritualisti- scher Standpunkt zusammengefaßt sind: dem Idealismus und dem (monadologischen) Spiritualismus. Der Unterschied zwischen diesen beiden Standpunkten ist ein teils metaphysischer, teils erkenntnis- theoretischer. Für den Idealismus ist die körperliche Außenwelt ledig- lich Erscheinung, Yorstellungsinhalt eines Bewußtseins, und geht darin vollständig auf. Sie ist also nicht Erscheinung von etwas, das, an sich unkörperlich, unabhängig von dem Bewußtsein, dem es als ein Körper- liches erscheint, existiert Es gibt auf diesem Standpunkt keine intelligiblen »Dinge an sich« als Ursachen der vorgestellten körper- lichen Dinge, es gibt keine »an sich« reale »Außenwelt«, sondern die körperlichen Dinge sind nur als vorgestellte wirklich und können nur als solche wirklich sein, ihr esse ist perdpi, die »Außenwelt« ist bewußtseinsimmanent (Immanente Philosophie) und nur als Inhalt des Bewußtseins, als solcher aber auch schlechthin real, ebenso real wie das Bewußtsein selbst Auf dem Boden rein empirischer Betrachtung begegnet sich der Idealismus mit dem naiven Realismus. Der Idealis- mus kann nun wieder ein subjektiver oder ein objektiver sein. Der erstere macht das körperliche Universum zu einem Phänomen für das Bewußtsein des individuellen endlichen Subjekts. Das Phänomen der körperlichen Welt ist demnach so oft vorhanden, als es indivi- duelle Bewußtseinssubjekte gibt. Genau genommen ist freilich die Körperwelt als ein Ganzes überhaupt nicht vorhanden, da jedes der unendlich vielen endlichen Subjekte nur ein Fragment, einen Aus- schnitt von wechselndem Inhalt und bald größerem, bald kleinerem, immer aber endlichem Umfang wahrnimmt Die Körperwelt als Ganzes, das physische Weltall ist auf diesem Standpunkte nur eine ideale Kon- stiuktion, eine Fiktion. Denkt man die in den einzelnen endlichen Bewußtseinen vorhandenen Bilder der körperlichen Welt hinweg, so verschwindet die gesamte physische Wirklichkeit, es bleibt nichts von ihr übrig. Der objektive Idealismus läßt dagegen die Körperwelt nicht in den Vorstellungsinhalten der einzelnen endlichen Bewußt- seine aufgehen, sondern macht sie zu einer konstanten Vorstellung dos absoluten unendlichen Subjekts, in welchem die endlichen Sub- jekte sämtlich als seine Einschränkungen enthalten sind. Die phy- sischen Weltbilder, welche in diesen endlichen Bewußtseinen enthalten

Eialeitang. 5

sind, sind Besonderheiten des allgemeinen absoluten physischen Welt- bildes, das sie weder dem Umfang noch auch dem Inhalt nach er- schöpfen. Denkt man sich alle diese Weltbilder hinweg, so bleibt als von den endlichen Bewußtseinen unabhängige, ihnen gegenüber also objektiv reale Wirklichkeit übrig das von dem absoluten Be- wußtsein vorgestellte physische Weltbild. Damit auch es verschwinde, müBte man folglich auch das absolute Bewußtsein hinwegdenken. Ebenso ewig und unvergänglich wie dieses letztere selbst ist auch der von ihm angeschaute und wahrgenommene physische Kosmos. Nichts- destoweniger ist und bleibt er Vorstellung, Bewußtseinsinhalt Sein ganzes Sein besteht in seinem Yorgestelltwerden durch das absolute Bewußtsein und geht darin vollständig auf. Er ist völlig bewußtseins- immanent, ihm liegt nichts Transcendentes zu Grunde. Die Gesetz- mäßigkeit, welche er zeigt; ist die psychologische Gesetzmäßigkeit des absoluten Bewußtseins selbst Die Weltanschauung, welche der materiellen Welt diese Art von Wirklichkeit zuschreibt, muß demnach als Idealismus bezeichnet werden; sie ist objektiver Idealismus.

Was der Idealismus in allen seinen Schattierungen verneint, be- hauptet dagegen der Spiritualismus, dem die monadologische Form, in welcher Leibniz ihn vorbildlich ausgeprägt hat, wesentlich ist Aach auf dem monadologischen Standpunkte ist die sinnlich wahr- nehmbare und ausgedehnte Stoffwelt Erscheinung für ein auffassendes endliches Bewußtsein, aber doch Erscheinung von etwas, das nicht wieder Erscheinung ist, von bewußtseinstranscendenten Dingen an sich. Indem sie solches lehrt, gibt sich die in Rede stehende Welt- anschauung im Gegensatz zum Idealismus als eine realistische zu er- keimen; und zwar ist sie, insofern sie weiter über die Natur des der Erscheinung der körperlichen Welt zu Grunde liegenden Realen etwas auszusagen unternimmt, transcendentaler Realismus. Jenes Reale faßt der Spiritualismus nun als etwas Geistiges, Spirituelles, dem in imserem Bewußtsein sich offenbarenden geistigen Leben Ana- loges, als eine Welt geistiger, uns ähnlicher Wesen, Seelen, Monaden auf. Auch hier also ist alle Realität Geistigkeit, aber der Umfang des die Wirklichkeit konstituierenden Geisterreiches ist ein grösserer als beim Idealismus. Außer den von letzterem angenommenen endlichen Bewußtseinen und dem alle endlichen Bewußtseine umfassenden ab- soluten Bewußtsein, welches auch der Spiritualismus annehmen kann, ja anzunehmen nicht umhin kann, umfaßt er noch die ganze unend- liche Fülle niederer geistiger Wesen oder Monaden, welche, indem sie ein menschliches Bewußtsein afßzieren, sich diesem als ein räum-

6 Einleitung.

lieber Zusammenhang körperlicher Dinge darstellen, um sich von dem Wesen dieser unserem Geist analogen, zugleich aber durch eine ungeheure Eluft von ihm getrennten, tief unter ihm stehenden Mo- naden einigermaßen eine Vorstellung zu machen, muß der Spiritualist eine unendliche Anzahl von Abstufungen oder Graden der Bewußtheit annehmen und schließlich zu unendlich schwachen Bewußiseinsgraden, wenn nicht gar zu dem Gedanken eines unbewußten geistigen Daseins seine Zuflucht nehmen.

Auf alle diese Anschauungen, den Idealismus in seinen ver- schiedenen Schattierungen sowie den Spiritualismus, werden wir später zurückzukommen haben; an dieser Stelle genügte es, sie im allgemeinen zu charakterisieren. Denn die Hervorhebung ihrer hauptsächlichsten Eoincidenz- und Differenzpunkte erfolgte nur zu dem Zwecke und in der Absicht, zu zeigen, daß sie der Frage nach dem Verhältnis der geistigen und körperlichen Welt in völlig gleicher Weise gegenüber- stehen, von diesem Gesichtspunkt aus also als gleich betrachtet werden können. Offenbar kann weder der Idealismus noch der Spiritualismus ein Verhältnis des Geistigen zum Körperlichen im eigentlichen und metaphysischen Sinne einräumen. Der Idealismus, der nur Bewußt- seine und deren teils auf das Subjekt, teils auf Objekte bezogene Vorstellungen kennt, kann zwar die Vorstellungen der körperlichen Dinge zu anderen Vorstellungen der Seele in ein Verhältnis setzen, nicht aber die Inhalte dieser Vorstellungen, die körperlichen Dinge selbst, die ja als selbständige für ihn nicht existieren. Der Spiri- tualismus kann zwar die dem Phänomen der körperlichen Welt zu Grunde liegenden intelligiblen Dinge, die Monaden, in ein bestimmtes Verhältnis zu den höheren Bewußtseinssubjekten setzen, nicht aber die körperliche Welt selbst, die ja nur Phänomen ist. Stellen wir uns auf den Boden strengster metaphysischer Auffassung, so kann daher die Stellung des Idealismus wie des Spiritualismus zu der Frage nach dem Verhältnis von Körper und Geist, Leib und Seele nur die sein, daß sie die Möglichkeit eines derartigen Verhältnisses und damit die Berechtigung, diese Frage überhaupt aufzuwerfen, leugnen. Für diese Standpunkte löst sich mithin das Problem letzten Endes so, daß es für sie nicht existiert, für sie hier kein Problem vorliegt. Vertauschen sie aber die strenge metaphysische Auffassung mit der laxeren, der Anschauung des gemeinen Bewußtseins sich anbequemenden, welche die Inhalte der Vorstellungen körperlicher Dinge zu verselbständigen und für die Zwecke der empirischen For- schung den übrigen Bewußtseinsinhalten als etwas relativ Selbständiges

Einleitung. 7

gegenüberzustellen verstattet, so kann nun freilich der Idealismus das Verhältnis zwischen den Vorstellungen körperlicher Dinge und den übrigen Bewußtseinsinhalten als ein solches zwischen körperlichen Dingen und Bewußtseinsinhalten und der Spiritualismus das Ver- hältnis zwischen den den körperlichen Dingen zu Grunde liegenden Monaden und den höheren Bewußtseinssubjekten als ein solches zwischen körperlichen Dingen und den letzteren ansehen. Aber wemi sie auf diese Weise das Geistige in ein empirisches (und ledig- lich empirisch zulässiges) Verhältnis zum Körperlichen setzen, so kann dieses Verhältnis nunmehr, wie schon oben hervorgehoben, nur entweder ein parallelistisches oder ein solches der Wechselwirkung sein; eine neue, neben jene zu stellende Theorie über das Ver- hältnis von Geist und Körper ergibt sich auf diesem Wege nicht Wir brauchen daher, soweit es sich um die Frage nach dem Ver- hältnis von Geist und Körper handelt, an erster Stelle nur die von der Frage, ob die Materie Vorstellung oder real ist, prinzipiell unab- hängigen Theorien des Parallelismus und der Wechselwirkung von Physischem und Psychischem, den Idealismus und Spiritualismus aber nur soweit zu berücksichtigen, als die Vertreter des parallelisti- sehen oder des kausalistischen Standpunktes sich auf sie berufen, in der Meinung, dadurch ihre Ansichten noch weiter unterstützen und empfehlen oder drohende Einwände besser widerlegen zu können. Auch der Materialismus kann im eigentlichen und meta- physischen Sinne ein Verhältnis des Geistigen zum Körperlichen nicht anerkennen ; auch für ihn beantwortet sich das Problem dahin, daß er das Vorhandensein desselben leugnet, daß es für ihn nicht existiert Insofern also deckt sich die Stellung, die er zu unserer Frage einnimmt, durchaus mit der des idealistisch -spiritua- listischen Standpunktes. Im übrigen aber liegt die Sache beim Materialismus nicht ebenso wie beim Spiritualismus und Idealismus, und daher gilt, was von diesen bemerkt wurde, nicht ohne weiteres auch von jenem. Idealismus und Spiritualismus sind metaphysisch durchaus mögliche Standpunkte. Ihre Durchführung mag mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, sie mögen manches, das sie er- klären sollten, unerklärt lassen, aber sie sind wenigstens nicht in sich widerspruchsvoll. Daß es Geist, Bewußtsein gibt, kann nicht zweifelhaft sein, da es uns unmittelbar gegeben ist Alles Reale auf ein Geistiges zu beziehen oder als bewußtseinsimmanent zu fassen, erscheint, wo nicht notwendig, so doch jedenfalls möglich, da uns jedenfalls alles, was uns gegeben ist, nur durch unseren Geist, durch

8 Einleitang.

unser BewuBtsein gegeben ist, wir auch insbesondere die Materie selbst nur als ein unserem BewuBtsein Gegebenes kennen. Das Dasein der Materie steht also der Durchführung des Idealismus und Spiritualismus nicht im Wege; beide können das Vorhandensein derselben wie auch den empirischen oder relativen Unterschied zwischen Materie und Geist anerkennen, ohne ihrem prinzipiellen metaphysischen Standpunkt untreu zu werden. Denn nichts hindert, die Inhalte unserer sinnlichen Wahrnehmungen oder Vorstellungen allen übrigen Bewußtseinsinhalten entgegenzusetzen, mögen sie auch als Bewußtseinsinhalte und etwa noch als Erscheinungen transcendenter intelligibler Dinge den übrigen Bewußtseinsinhalten metaphysisch gleichartig sein. Nichts hindert daher auch, wie oben schon ausgeführt, den spiritualistischen oder idealistischen Metaphysiker, vom Stand- punkte empirischer Betrachtung aus ein bestimmtes Verhältnis, sei es der Wechselwirkung oder des Parallelismus, zwischen den psy- chischen und den sogenannten materiellen Inhalten anzunehmen. Der Materialismus hingegen ist, wie noch weiter zu zeigen sein wird, ein metaphysisch unhaltbarer Standpunkt; seiner Durchführung als metaphysische Theorie steht die Tatsache, daß es überhaupt ein Psychisches gibt, entgegen. Er kann auch nicht unter Festhaltung des prinzipiellen Standpunktes doch einen relativen und empirischen Unterschied von Geist und Körper anerkennen, da er nicht den Kunstgriff des Spiritualismus und Idealismus in umgekehrter Richtung anwenden und den Geist als Erscheinung der Materie entgegensetzen kann. Von Erscheinung kann nur reden, wer ein Bewußtsein als wirklich anerkennt, für das die Erscheinung Erscheinung ist; eine Erscheinung an sich, ohne ein Subjekt, für das sie vorhanden wäre, ist unmöglich. Jeder Versuch, einen empirischen und relativen Unterschied von Geist und Körper gelten zu lassen, führt hier folgüch notwendig zur Etablierung eines metaphysischen und absoluten Unter- schiedes der beiden Faktoren und damit zur Zerstörung der materia- listischen Grundlage. Also kann auf materialistischer Basis auch das Geistige und Körperliche nicht in ein Verhältnis zu einander gesetzt werden, weder in ein solches des Parallelismus, noch in ein solches der Wechselwirkung. Während demnach die Theorien des Parallelis- mus und der Wechselwirkung mit einer idealistischen oder spiritua- listischen Metaphysik sehr wohl vereinbar sind und damit verbunden werden können, sind sie mit dem Materialismus schlechterdings un- unvereinbar. Aus alledem ergibt sich, daß der Materialismus, wenn er überhaupt als Philosophie möglich wäre, als ein dritter Stand-

EmleituDg. 9

piinkt neben dem parallelistischen und kausalistischen würde bestehen bleiben müssen, als ein Standpunkt, der metaphysisch und empirisch alles Psychophysische auf ein bloß Physisches reduziert Will man auch ihn ausscheiden, so kann man das nicht wie beim Idealismus und Spiritualismus mit seinem Zusammenfiillen mit der paralle- listischen oder kausalistischen Auffassung des Verhältnisses von Körper und Geist, sondern nur mit seiner inneren Unmöglichkeit begründen. Da der Nachweis dieser Unmöglichkeit, der in einem dem Problem des Verhältnisses von Leib und Seele gewidmeten Buche doch nicht fehlen darf, eine ausführlichere Erörterung erheischt, als sie in diesem lediglich vorbereitenden Kapitel gegeben werden kann, so ist es ratsam, ihn vorläufig in Bezug auf die Frage nach dem Verhältnis von Geist und Körper als dritten Standpunkt stehen zu lassen, wenn auch nur zu dem Zwecke, in einem besonderen Abschnitt seine Unmöglichkeit nachzuweisen und ihn damit für die weitere Untersuchung zu eliminieren.

Somit bleiben nach Ausscheidung des idealistisch- spiritualistischen Standpunktes drei Standpunkte übrig, die für die Frage des Ver- hältnisses von Geist und Körper in Betracht kommen und erwogen werden müssen, nämlich:

1. Der Materialismus, welcher das Geistige als eine Eigen- schaft oder Funktion der Materie betrachtet und daher ein Verhältnis zwischen ihnen als irgendwie verschiedenen Faktoren überhaupt nicht anerkennt.

2. Der Dualismus, welcher Geistiges und Körperliches als zwei empirisch jedenfalls, metaphysisch vielleicht auch, vielleicht auch nicht verschiedene Wirklichkeitsfaktoren auffaßt, welche unter be- stimmten Bedingungen einander beeinflussen, aufeinander einwirken können, und

3. Der Parallelismus, welcher Geistiges und Körperliches als zwei empirisch jedenfalls verschiedene, wenn auch vielleicht oder wahrscheinlich metaphysisch identische Faktoren der Wirklich- keit betrachtet, die einander entsprechen und parallel gehen, ohne einander irgendwie kausal zu beeinflussen.^)

1) Einen vierten Standpunkt versucht Münsterberg in seinen ^^Grund- zügen der Psychologie*^, Erste Abt. Leipzig 1900, S. 165 noch zu begründen. Das Charakteristische desselben soll in der Behauptung liegen, „daß alles Psychische und alles Physische gleichermaßen nicht real sei, daß beide Reihen gleichermaßen nur notwendige Konstruktionen und Hilfsbegriffe sind, während alle Realität im Willen und in den Werten liegt, die als solche nur gelten und nicht sind und

10 Einleitung.

Unsere Untersuchung wird nun den Gang nehmen, daß wir zunächst den Materialismus als einen unmöglichen Standpunkt er- weisen und abtun. Sodann werden wir in eingehender Erörterung uns mit den allein einer tieferen philosophischen Begründung fähigen Standpunkten des Dualismus und des Parallelismus zu beschäftigen haben, um. Recht und Unrecht, Yorteile und Nachteile eines jeden kritisch abwägend, zu einer Entscheidung über sie und somit zu einer Lösung des Problems des Verhältnisses von Leib und Seele zu ge- langen. Und zwar werden die Erörterungen über den Parallelismus und die ihm entgegenstehende dualistische Wechselwirkungstheorie sozusagen die Pidce de r^sistance unseres philosophischen Menüs bilden, dem die Widerlegung des Materialismus als Entr^ voran- geht. Denn während über den Materialismus und seine Ansprüche die Akten so ziemlich geschlossen sind, tobt der Streit über die Frage, ob das Verhältnis von Leib und Seele im parallelistischen oder im Sinne der Wechselwirkungstheorie aufgefaßt werden müsse, mit unverminderter Heftigkeit fort Um dieser Frage wUlen ist dies Buch geschrieben worden, sie bildet das Hauptobjekt seiner Unter- suchungen. Die Erörterungen über sie müssen daher notwendig einen breiten Baum einnehmen; bei der Darlegung und Begründung meiner Stellungnahme zu ihr darf und werde ich auf die Gefahr hin, manchen Leser zu ermüden, auch ausführliche und umständliche Behandlungen von Einzelheiten nicht scheuen, um der von mir vertretenen Ansicht alle die Unterstützung zu geben, die mir zu geben möglich ist An diesen mittleren und Hauptteil wird sich dann endlich noch gleich-

somit weder physisches nooh psychisches Objekt sein können'^. Ich werde später Gelegenheit haben, auf diese eigentümliche Auffassung Münsterbergs näher ein- zugehen. An dieser Stelle beschränke ich mich darauf, sie als einen besonderen, das Verhältnis des Psychischen zum Physischen betreffenden Standpunkt abzu- lehnen. Wenn wirklich alles Wissen in einem bloßen Konstruieren von Hilfs- begriffen besteht, die wahre Realität (NB. Sind übrigens der » Wille c und die »Wertet nicht auch etwas Psychisches?) aber dem Wissen gar nicht zugänglich ist, so muss es auch ewig auf sich beruhen bleiben, wie das, was wir Körper und Geist nennen, in Wirklichkeit beschaffen ist und sich zu einander verhält. Das Psy- chische aber, welches ein Objekt wissenschaftlicher Erkenntnis ist und welches von Münsterberg dem Physischen, welches gleichfalls Objekt wissenschaft- licher Forschung und Erkenntnis ist, entgegengesetzt wii'd, muss zu diesem auch in ein bestimmtes Verhältnis gesetzt werden, in ein Verhältnis, das, da der idea- listische und der materialistische Standpunkt auf dem Gebiete des wissenschaftlichen Erkennens ausgeschlossen sind, nur entweder das des Parallelismus oder das der Wechselwirkung sein kann. Münsterberg selbst acceptiert denn auch die parallelistische Auffassung.

Einleitung. 1 1

sam als Dessert eine Schlußbetrachtong anschließen, in welcher ich Tcrsuchen werde, das metaphysische Weltbild, das sich als Eon- sequenz der Yon mir verteidigten Ansicht über das Verhältnis von Leib und Seele ergibt, mit einigen Strichen zu zeichnen bezhw. an- zudeuten.

Demnach gliedern sich die nachfolgenden Untersuchungen in die drei Teile: 1. Nachweis der Unmöglichkeit des materialistischen Standpunktes. 2. (Hauptteil) Untersuchung und Entscheidung des Streites zwischen der Theorie des psychophysischen Parallelismus und der Theorie psychophysischer Wechselwirkung. 3. (Schluß) Skizzierung der Grundzüge einer idealistisch -spiritualistischen, die Annahme psy- chophysischer Wechselwirkung einschließenden Weltanschauung.

Ich beginne mit der Untersuchung und Abweisung des materia- listischen Standpunktes.

Erster Teil.

Der Materialismus.

Erster Abschnitt

Die yerschiedenen Formulierangen des iiiaterlallstlschen

Standpunktes.

Die These des Materialismus läßt sich in allgemeinster Fassung so formulieren: Die Materie besitzt allein wahrhafte und ursprüng- liche Realität, sie ist der Träger alles Geschehens, der letzte und absolute Grund aller Erscheinungen. Das Psychische, weit entfernt, eigene, selbständige Realität zu besitzen, muß durchweg auf ein Physisches reduziert werden. Ich habe absichtlich diese ganz all- gemein und etwas unbestimmt gehaltene Formulierung gewählt, weil mir daran liegt, eine Formel zu geben, welche alle verschie- denen Ausprägungen des materialistischen Gedankens zu umfassen im Stande ist Denn das muß nun hinzugefügt werden, der mate- rialistische Grundgedanke wird von seinen Anhängern nicht in einer einzigen eindeutigen, sondern in mehreren voneinander abweichenden Formulierungen vertreten und festgehalten, und diese verschiedenen Formulierungen werden leider von denselben nicht deutlich unter- schieden, vielmehr unablässig durcheinander geworfen, so daß eine heillose Eonfusion entsteht Um zu einer richtigen Erkenntnis und Beurteilung des Materialismus zu gelangen, ist es aber nötig, die verschiedenen Ausprägungen, welche der materialistische Grund- gedanke erhalten hat, sorgfältig voneinander zu unterscheiden.

Aus dem Durcheinander der materialistischen Argumentationen heben sich bei näherer Betrachtung drei Behauptungen als ebenso- viele Fassungen oder Formulierungen des materialistischen Grund- gedankens heraus, die wir als die drei Grundtypen des Materialismus unterscheiden können. Freilich ist die dritte im Grunde pseudo-

£rater Abschnitt. Die TerBchied. Formolierangen des material. Standpiuktes. 13

materialistisob und kommt daher bei der Kritik des Materialismus nicht mit in Betracht; da sie aber von den Anhängern des Materia- lismus als materialistisoh in Anspruch genommen wird , darf sie hier bei der allgemeinen Einteilung und Klassifikation der materialistischen Standpunkte nicht fehlen.

Die drei zu unterscheidenden Typen des Materialismus sind die folgenden:

1. Das Psychische ist seiner eigentlichen und wahren Natur nach ein Physisches. Es gibt in Wahrheit gar kein vom Physischen ver- schiedenes, eine eigene Reaiitätsart darstellendes psychisches Sein, sondern das Psychische ist lediglich eine besondere Art des Physischen and wird nur f&lschlich für eine vom Physischen spezifisch verschie- dene Wirklichkeitsform gehalten. Die Einreihung des Psychischen in die pbysische Realität kann wieder in doppelter Weise erfolgen, so daB wir wieder zwei besondere Fassungen des ersten Typus zu unterscheiden haben. Das Psychische kann nämlich entweder a) als ein besonderer Stoff oder b) als ein Zustand, eine Eigenschaft, ein Prozeß des allgemeinen Stoffes aufgefaßt werden, ähnlich wie Wärme und Elektrizität Und zwar pflegt, entsprechend der Tendenz der Naturwissenschaft, alle physischen Prozesse in eine Mechanik der Atome aufzulösen , also als Bewegungsvorgänge aufzufassen , diese zweite Form des ersten Typus sich in der Behauptung zusammen- zufassen, das Psychische, speziell das Denken, sei Bewegung.

2. Das Psychische ist nicht selbst ein physischer Stoff oder ein physischer Vorgang, wohl aber ein Produkt physischer Prozesse. An sich durchaus immateriell und von der Materie und materiellen Prozessen verschieden, wird es doch von jenen erzeugt, erscheint also der Materie als dem Primären und Konstanten gegenüber als etwas Sekundäres, als eine gelegentliche vorübergehende Wirkung, ein Nebeneffekt physischer Prozesse.

3. Das Psychische ist weder selbst ein Physisches noch eine Wirkung desselben, sondern eine an physische Prozesse gebundene und im Verhältnis funktioneller Abhängigkeit zu ihnen stehende Begleiterscheinung derselben.^)

1) PaulseD unterscheidet in seiner Einleitung in die Philosophie S. 84 zwei Typen des Materialismus: 1. Bewußtseins Vorgänge sind Wirkungen physischer Vorgänge; 2. Bewußtseinsvorgänge sind an sich, oder ohjektiy betrachtet, nichts anderes als physische Vorgänge im Qehim. Er läßf also den dritten Typus, weil er in Wirklichkeit nicht mehr materialistisoh ist, fort, und ebenso den Typus la. In der Anmerkung 8. 85 unterscheidet er aber in Büchners „Kraft und Stoff'^

14 Erster Abschnitt Die verschied. Formnlierongen des material. Standpunktes.

Diese verschiedenen Formulierungen sich völlig klar zu machen und sorgfaltig auseinanderzuhalten ist natürlich die erste E^cbt eines jeden, der als Verteidiger einer materialistischen Weltanschauung auf- treten will. In welcher Weise die Apostel des Materialismus dieser Pflicht genügt haben, zeigt ein Blick in die Kapitel: »Gehirn und Seele«, »Der Gedanke« und »Das Bewußtsein« in Büchners »Kraft und Stoff«, welches Werk man wohl die Bibel des Materialismus genannt hat. Was an Konfusion in Bezug auf jene Formulierungen überhaupt menschenmöglich war, das ist hier redlich geleistet worden. Faulsen hat recht, die verschiedensten Standpunkte taumeln da wie betrunken durcheinander.^) Weitere Proben unklarer und konfuser Durchein- andermengung findet man in Karl Ypgts »Physiologischen Briefen« und in seiner Schmähschrift »Köhlerglaube und Wissenschaft«. Wie es um Haeckels »Welträtsel« in dieser Beziehung bestellt ist,, haben Faulsen*) und Adickes*) in erschöpfender Weise gezeigt; ich ver- zichte darauf, dem von ihnen Gesagten noch eb^as hinzuzufügen. Aber auch ernster zu nehmende und philosophisch geschulte Naturforscher, wie Dubois-Beymond, zeigen gerade in diesem Funkte eine be- klagenswerte Unklarheit des Denkens. In seinen »Grenzen des Natur- erkennens« und dem Tortrage über »die sieben Welträtsel« vermag der berühmte Fhysiolog die beiden so grundverschiedenen Ansichten,

auch drei Formulierungen, die dieser seinem Materialismus gibt: 1. Gedanke ist Bewegung; 2. Oedanke ist Wirkung von Bewegung; 3. Gedanke ist unlösbar ver- knüpft mit Bewegung. Ich halte es fiir richtig, auch den Typus la als einen besonderen Typus festzuhalten. Adiokes (Eant contra Haeckel, Berlin 1901, S. 9) unterscheidet drei Typen: 1. Empfindung und Gedanke sind Eigenschaften der Materie, welche dieser unter gewissen besonderen Umstünden zukommen; 2. sie sind Bewegungen; 3. sie sind Wirkungen von Bewegungen. Hier ist de^ Typus Ib in zwei Arten gespalten, la und 3 dagegen fortgelassen. Aus A dick es' eigenen Ausführungen ergibt sich aber, daß der allgemeine Gedanke: das Psychische ist eine Eigenschaft der Materie, alsbald in den spezielleren: das Psychische ist Bewegung, übeigeht Auch bei Eülpe, Einleitung in die Philosophie, 1. Aufl., Leipzig 1895, S. 128 finden sich (abgesehen von den hier nicht in Betracht kom- menden Unterscheidungen des praktischen und theoretischen und bei letzterem des als regulatives Prinzip und als metaphysische Richtung auftretenden, sowie hier wieder des dualistischen und monistischen MaterialismuB) drei Typen: attributiver (das Geistige eine Eigenschaft), kausaler (das Geistige eine Wirkung der Materie) und äquativer Materialismus (das Geistige selbst ein Materielles).

1) Einl. i. d. Phil. S. 83 Anm. Vgl. auch Külpe, a. a. 0. S. 131.

2) Ernst Haeckel als Philosoph, Preuß. Jahrb. Bd. 101. 1900, auch in: Phüo- Bophia militans, Berlin 1901.

3) Eant contra Haeckel, Berlin 1901.

Zweiter Abschnitt. Erstes Kapitel. Erkenntnistheoretische Widerlegong. 15

daß das Physische ein Erzeugnis, und daß es eine Begleiterscheinung physischer Yorgänge sei, also die Standpunkte des Materialismus und des psychophysischen Parallelismus, keineswegs deutlich auseinander- zuhalten. Zwar ist es nach ihm wegen der Unvergleichlichkeit des Psychischen und Physischen unmöglich, die Entstehung des ersteren aus materiellen Ursachen jemals begreiflich zu machen, aber diese Schranke unseres Erkennens hindert uns nicht, anzunehmen, daß die Seele als das allmähliche Ergebnis gewisser materieller Kombinationen entstanden ist Nicht diese Behauptung, sondern nur diejenige der Begreiflichkeit und Erklärbarkeit der Entstehung der psychischen Tor- gärige aus den Oehimvorgängen ist daher nach Dubois-Reymond an dem bekannten Yogt sehen Sekretionsgleichnis zu tadeln. Anderer- seits aber sind die psychischen Prozesse doch wieder lediglich Be- gleiterscheinungen der materiellen Yorgänge im Gehirn, mit ihnen verbunden, aber nicht aus ihnen entstanden. i)

Wir wenden uns zur Widerlegung des Materialismus.

Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismus.

Erstes Kapitel.

ErkenntnistheoretiBOhe Widerlegung.

Was hier dem Materialismus entgegengesetzt wird, ist das Funda- mentalprinzip des Idealismus: die Materie ist uns nur als Inhalt unseres Bewußtseins, als Erscheinung für unser Bewußtsein gegeben, sie setzt also das Bewußtsein schon voraus. Also kann das Bewußt- sein nicht selbst Materie oder Produkt der Materie sein. Man kann auch sagen: es ist die Kantische Philosophie, der Kantische tran- scendentale Idealismus, der hier den Fels büdet, an dem die Wogen des Materialismus zerschellen. Kant selbst hat den Wert^ der seinem Phänomenalismus als Waffe gegen den Materialismus zukommt, sehr wohl erkannt und mit Genugtuung hervorgehoben. »Dieses unser denkendes Selbst wider die Gefahr des Materialismus zu sichern

1) Daboia-Reymond, Über die Grenzen des Naturerkennens und die sieben Welträtsel, Leipzig 1891. S. 33. 40. 41. 42. 47. 48. 50. 57. 78. 79. 80. 95. 100. Ygl. zu dem Obigen Pauls ens Bemerkungen Einl. S. 81, S. 83 Anm. **).

16 Zweiter Abschnitt. Die WiderlegoDg des Materiaüsmos.

leistet aber der Yernunftbegriff Yon unserem denkenden Selbst, den wir gegeben haben. Denn weit gefehlt, daß nach demselben einige Furcht übrig bliebe, daß wenn man die Materie wegnähme, dadurch alles Denken und selbst die Existenz denkender Wesen angehoben werden würde, so wird rielmehr klar gezeigt, daß, wenn ich das denkende Subjekt wegnähme, die ganze Eörperwelt wegfallen muß, als die nichts ist als die Erscheinung in der Sinnlichkeit unseres Subjekts und eine Art Yorstellungen desselben.«^) Im Anschluß an Kant haben F. A. Lange und namentlich Schopenhauer das idea- listische Argument zur Widerlegong des Materialismus benutzt; auch gegenwärtig wird es, und zwar mit Yorliebe, angewandt, ich nenne nur BiehP), Schuppe^), Bergmann^), Adickes^).

Und gewiß ist das idealistische Argument ein solches, an welchem der Materialismus notwendig scheitern muß, so zwar, daß alle echten Formulierungen desselben durch es gleichzeitig getroffen und widerlegt werden. Es ist nun einmal nicht anders, als daß das Bewußtsein das einzige uns unmittelbar gegebene Wirkliche ist, daß wir von einem Seienden unmittelbar nur als von einem im Bewußtsein Gegebenen wissen, daß esse für xms^percipi ist und die Tat- sachen des Bewußtseins den unentbehrlichen und unvermeidlichen Ausgangspunkt jeder Erkenntnis der Wirklichkeit bilden müssen. Eine Philosophie, die sich über diesen Ausgangspunkt hinwegsetzt, schneidet sich von vornherein die Möglichkeit, zu einer wahren Auffassung der Wirklichkeit zu gelangen, ab. Indem der Materialismus eine unabhängig vom Bewußtsein existierende Materie annimmt und seiner Beweisführung zu Grunde legt, verstößt er gegen die funda- mentalste erkenntnistheoretische Wahrheit, welche der Idealismus aus- spricht, und kennzeichnet sein Unternehmen damit als ein schon im Beginn verfehltes. Diese Annahme bedeutet, wie Schopenhauer richtig bemerkt, das nganov xpevdog des Materialismus; er ist die Philosophie des bei seiner Rechnung sich selbst vergessenden Sub-

1) Kr. d. r. V. A. 383. Vgl. A. S. 390/91. 394. B. S. 419. 420. 806—809 u. a.

2) Der philos. Kritizismus Bd. 11 2. S. 31 33. 183 u. a.

3) üntersTichmigen über Hauptpunkte der Philosophie, Marburg 1900, be- sonders S. 362—376 (vgl. auch S. 274—298).

4) Erkenntnistheoret Logik, Bonn 1878, Grundriß d. Erkenntnistheorie und Logik, Berlin 1894.

5) Kant contra Haeckel 8. 35—57. Auch Yerworn bedient sich seiner, Allg. Physiologie, Jena 1895, S. 35—40. Vgl. auch S. 50 (Citat aus Bunge). Vgl. femer u. a. Ladd, Philosophy of Mind, New York 1895, S. 304. 305.

Zweites Kapitel. Metaphysisoh- psychologische Widerlegung. 17

jekts und trägt schon bei seiner Geburt den Tod im Herzen.^) Der Fehler, der im Ansatz seiner Rechnung enthalten ist, kommt zum widerspruchsYollsten Ausdruck, sobald er versucht, mit der Erklärung des Geistigen aus der Materie Ernst zu machen. Alles mag man aus der Materie ableiten und erklären, nur nicht das Bewußtsein, das die Bedingung der Möglichkeit der Materie selbst ist Daher wir, wenn wir, die Materie als wirklich voraussetzend und aus ihr alles ableitend, schließlich uns anschickten, auch das Erkennen selbst aus ihr abzuleiten, eine Anwandlung des unauslöschlichen Lachens der Olympier spüren« und erkennen würden, daß das, was wir ableiten woUten, schon beim allerersten Ausgangspunkt unserer Deduktionen, der bloßen Materie, als unumgängliche Bedingung vorausgesetzt war. Das letzte Glied, das Bewußtsein, entpuppt sich als Ausgangspunkt, an welchem schon das erste hing, die Kette wird zum Kreis, das ganze Unternehmen des Materialismus enthüllt sich als eine unge- heuere peHtio prindpii.^) Wer das Bewußtsein materiell erklären will, gleicht dem Luftschiffer, der nach dem Monde trachtet,^) oder nach Schopenhauers noch besserem Bilde dem Ereiherm von Münchhausen, der, zu Pferde im Wasser schwimmend, mit den Beinen das Pferd, sich selbst aber an seinem nach vorne überge- schlagenen Zopf in die Höhe zieht. ^)

Zweites Kapitel.

Metaphysisch -psychologiBche Widerlegung.

Das idealistische Argument würde an sich völlig genügen, den Materialismus als Weltanschauung für immer unmöglich zu machen. Es ist unwiderleglich, es enthält in sich eine vernichtende Kritik des Materialismus, und zwar was noch ein besonderer Vorzug ist aller möglichen Formulierungen desselben. Es leistet also aUes, was man von einem Argument in Bezug auf wissenschaftliche Strenge, Bündigkeit und Wucht nur verlangen kann. Wer sich die unbestreit- bare Wahrheit der idealistischen Grundansicht einmal klar zum Be- wußtsein gebracht hat, kann in dem Materialismus nur einen un-

1) Schopenhaner, W. "W. v. Grisebach, Bd. IT 8. 368, 21, Bd. I 8. 65.

2) Ebendaselbst 8. 62.

3) Dubois-Beymond, Grenzen des Natuierkennens, Leipzig 1891, 8.44.

4) W. W. Bd. I 8. 63. Von sonstigen, noch nicht genannten Ausführangen Schopenhauers gegen den Materialismus verzeichne ich W, W. Bd. II 8. 20 f., 205 f., 367—373, Bd. IV 8. 86.

Bnsse, Oeist nnd Körper, Seele und Leib. 2

18 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegung des Materialismus.

möglichen, in sich selbst widerspruchsvollen Standpunkt erblicken. Wenn ich trotzdem mich nicht damit begnüge, den Materialismus durch das idealistische Argument zu widerlegen, sondern es für nötig halte, den Nachweis seiner Unmöglichkeit auch vom Standpunkt metaphysisch -psychologischer Betrachtung aus zu führen, so hat das seinen Grund in gewissen Nachteilen, die dem idealistischen Argu- ment, ohne seine wissenschaftliche Bedeutung zu beeinträchtigen, an- haften. So unwiderleglich und zwingend es ist, es ist doch im ganzen wenig wirksam. Um es verstehen und benutzen zu können, ist schon eine Höhe philosophischen Bewußtseins und erkenntnis- theoretischer Überlegung erforderlich, zu der nur verhältnismäßig wenige sich aufzuschwingen vermögen.

Die Wahrheit der idealistischen Grundansicht, daß die ganze Körperwelt Erscheinung für mein sie vorstellendes Bewußtsein ist, ist unbestreitbar, aber zugleich höchst paradox; dem gemeinen, ja auch dem Bewußtsein des wissenschaftlichen Forschers, der nicht gewöhnt ist philosophisch zu denken, geht sie schwer ein. Sie ist der mensch- lichen Natur zuwider, diese lehnt sich instinktiv gegen sie auf. So kommt es, daß die idealistische Argumentation mehr überrascht, als dauernde Überzeugung begründet. >Wem sie zum ersten Male be- gegnet, der wird leicht die Empfindung haben, als sei er nur über- rumpelt worden: sagen freilich lasse sich das, und vielleicht sei es schwer oder unmöglich, die Rede zu widerlegen, aber wahr sei sie darum doch nicht «^) Daß die Welt, die sich so anschaulich und in so massiver Wirklichkeit um mich her ausbreitet, nur meine Vor- stellung, nur als Inhalt meines auffassenden Bewußtseins vorhanden sein soll, wird dem anschaulich und empirisch denkenden Menschen niemals recht einleuchten. Und wenn durch die bekannten, die Subjektivität aller unserer Empfindungen und Wahrnehmungen dartuenden Argu- mente eine widerwillige Zustimmung momentan erzwungen worden ist, so ist sie doch nur vorübergehend: im nächsten Moment macht sich die überredende Gewalt der unmittelbaren Anschauung un- widerstehlich geltend, das Spinnengewebe der erkenntnistheoretischen Argumentation zerreißt und das Individuum rächt sich für den Zwang, den es erlitten, indem es etwa den ganzen philosophischen Idealismus für einen ungeheuren Blödsinn erklärt, den es zwar

1) Faulsen, Einl. S. 79. In diesem 8inne ist es wohl auch zu y erstehen, wenn Ebbinghaus, Grundzüge der Psychologie, Leipzig 1897, S. 39 sagt, daß das Argument des erkenntnistheoretischen Idealismus nicht durchschlagend sei.

Zweites KapiteL Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 19

nicht logisch widerlegen könne, von dem es sich aber auch nicht zum Narren halten lasse. Oder es macht vielleicht auch, wenn es das Zeug dazu hat, sehr gewichtige Argumente gegen die idealistische These geltend, die ebenso viele Schwierigkeiten des Idealismus dar- stellen. Wenn die ganze Körperwelt seine Torstellung sei, wird es etwa sagen, so seien auch alle übrigen Menschen, der verehrte Herr idealistische Philosoph ihm gegenüber nicht ausgenommen, ledigUch seine Yorstellang, denn auch diese seien ihm nur in körperlicher Form gegeben : es allein existiere und erzeuge alles aus sich. Wolle man diese doch ofiEenbar absurde Behauptung nicht als richtig an- erkennen, schreibe man den anderen menschlichen Individuen eine Ton dem eigenen Bewußtsein unabhängige reale Existenz zu, so habe man keinen plausiblen Grund mehr, die übrige körperliche Welt für eine bloße Vorstellung zu erklären. Ja, könnte unser Anti- Idealist noch hinzufügen, es sprächen doch weiter noch sehr ge- wichtige Gründe dafür, ihr eine vom Bewußtsein des auffassenden Subjekts unabhängige Existenz zuzuerkennen. Denn er, den der idea- listische Philosoph zum Träger und Schöpfer der ganzen Eörperwelt machen wolle, sei sich durchaus bewußt und werde sich darin durch kein noch so subtiles philosophisches Räsonnement beirren lassen, einen zeitlichen Anfang seiner Existenz gehabt zu haben. Er sei in diese Welt hineingeboren, die Welt sei also doch schon dagewesen, noch ehe er und sein Bewußtsein vorhanden gewesen sei. Wie könne sie denn da bloß seine Vorstellung sein, und was von ihm gelte, gelte auch von allen übrigen Menschen, ja von aUen bewußten Wesen überhaupt Wolle der Philosoph etwa die Ergebnisse der paläon- tologischen , der geologischen und astronomischen Forschung in Frage ziehen? IN'un, durch diese sei es doch zur Evidenz erwiesen, daß lange ehe bewußtes Leben in der Welt sich zeigte, die Welt selbst, das physische Universum, schon vorhanden war. Die Sonne war da und beleuchtete die Erde, die Erde war da und bewegte sich Jahr für Jahr um die Sonne, gewaltige, ungeheuere Zeiträume füllende Umwälzungen fanden statt, bis endlich mit der zunehmenden Ab- kühlung der Temperatur und Erstarrung der Erdrinde der Zeitpunkt herankam, wo lebendiges, bewußtes Leben sich auf der Erdoberfläche entfalten konnte. Und das physische Universum werde fortfahren, zu sein, auch wenn einmal mit dem Aussterben des Lebendigen alles Bewußtsein wieder von der Erde verschwunden sein wird.

Angesichts solcher Tatsachen sei es doch einfach absiurd, die

Welt zu einer bloßen Vorstellung des bewußten Subjekts machen zu

2*

20 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegung des Matenalismns.

wollen. Sie sei von diesem völlig unabhängig. Wolle man überhaupt ein AbhängigkeitsTorhältnis zwischen der Welt als dem Objekt und dem Bewußtsein als dem Subjekt des Erkennens annehmen, so spreche offenbar alles eher für die umgekehrte Annahme: das Bewußtsein aus der materiellen Welt heraus entstanden wie das eben der Materia- lismus behauptet.

Ich weiB wohl, daB derartige und ähnliche Einwände gegen den Idealismus trotz aller Scheinbarkeit ihrer Gründe einer philo- sophischen Kritik gegenüber schließlich nicht standhalten. Die idea- listische Philosophie besitzt Mittel, den richtigen Grundgedanken, welchen sie enthalten: daß es eine von meinem Bewußtsein unab- hängige, ihm vorhergehende und es überdauernde Außenwelt gibt, mit der Wahrheit der idealistischen Behauptung, daß die körperliche Welt lediglich Vorstellung des sie auffassenden Bewußtseins ist, zu vereinigen. Aber diese Mittel liegen nicht auf der Oberfläche; den komplizierten Apparat, den sie darstellen, zu verstehen und zu hand- haben erfordert wiederum eine nicht ganz geringe Fähigkeit, sich durch subtile und vielfach verschlungene G^ankenreihen sicher hindurch- zuwinden. Es ist zu befürchten, daß die Argumente, durch welche die idealistische Widerlegung des Materialismus gegen naheliegende Einwendungen gesichert werden soll, um ihrer Kompliziertheit und Abstraktheit willen ebensowenig Eindruck machen werden, als diese Widerlegung selbst Hierin liegt die Schwäche des idealistischen Aigumentes, seine geringe Überzeugungskraft. Es ist wissenschaftlich unanfechtbar, aber schwer anwendbar. Und um zu dem Punkt zu ge- langen, von dem aus die Widerlegung des Materialismus mit zwingen- der Gewalt erfolgen kann, sind erst umständliche Zurüstungen nötig, müssen erst viele Bedenken überwunden, viele Schwierigkeiten hinweg- geräumt werden. Bei dieser Sachlage drängt sich denn doch die Frage auf, ob es zweckmäßig ist, die Widerlegung der materialistLschen Weltanschauung lediglich der idealistisch- erkenntnistheoretischen Re- flexion zu überlassen, ob nicht das Ziel auf andere, weniger um- ständlichen Wegen leichter und doch ebenso sicher erreicht werden kann. In der Tat gibt es solche Wege, und wir wollen sie, das idealistische Argument beiseite lassend, jetzt zu wandeln versuchen. Wir verzichten also im folgenden darauf, den Idealismus gegen den Materialismus geltend zu machen, wir nehmen mit diesem an, daß es eine von unserem Bewußtsein völlig unabhängige, an sich seiende Welt materieller Dinge gibt, welche als solche den Gegenstand der naturwissenschaftlichen Forschung bildet, und suchen nun ganz un-

Zweites Kapitel. Metaphysisch - ixsyohologisohe Wideriegang. 21

abhängig von jeder idealistisohen Yoraussetzung zu zeigen, daß aus den Dingen und Eigenschaften dieser materiellen Welt das Geistige schlechterdings nicht erklärt werden kann, der Materialismus also an der Unmöglichkeit, seine These durchzuführen, scheitert. Um das zu zeigen, müssen wir aber die verschiedenen Formulierungen, in welchen der materialistische Grundgedanke uns entgegentrat, sorg- fiUtig auseinanderhalten. Die idealistische Widerlegung konnte diese Unterschiede ignorieren, da sie alle Formulierungen in gleicher Weise traf; die metaphysisch -psychologische Widerlegung muB sich den einzelnen Formulierungen anpassen und je nach Beschaffenheit der- selben operieren.

1. Wir prüfen daher zunächst den ersten der drei oben von uns unterschiedenen Typen: Das Psychische ist selbst seiner wahren und eigentlichen Beschaffenheit nach ein Physisches. Er zerfillt, wie wir gesehen haben, wieder in zwei Unterarten, die durch die Behauptungen: das Psychische ist ein bestimmter Stoff, und: das Psychische ist eine Eigenschaft oder ein Zustand des Stoffes, speziell: es ist Bewegung, charakterisiert werden. Betrachten wir zunächst die erste Behauptung:

a) Das Psychische ist ein Stoff.

Diese Auffassung liegt dem geschmackvollen Beispiel zu Grunde, durch welches Karl Vogt die materialistische These klarer und über- zeugender zu gestalten dachte: sowie die Nieren Urin absondern, auf gleiche Weise erzeugt das Gehirn Gedanken, Bestrebungen, Gefühle.^) In seiner »Medizinischen Psychologie« hat Lotze diesen Vergleich als einen »unfiltrierten Einfall« bezeichnet und gegen die Möglichkeit desselben eingewandt: Wenn das Geistige etwas ist, das vom Gehirn abgesondert wird, so war es doch offenbar schon da ehe es abge- sondert ward. War es da nun schon ein Psychisches, so ist es nicht erst durch Absonderung entstanden; war es ein Physisches, so ist nicht einzusehen, wie aus ihm durch den Absonderungsprozeß ein Psychisches werden soU.^) Man könnte nun freilich noch annehmen, daß das Gehirn durch irgendwelche chemischen Prozesse aus den in ihm vorhandenen Stoffen eine neue Kombination, d. h. einen neuen

1) Physiolog. Briefe für QebUdete aller Stände, Oießen 1847, S. 206. Köhler- glaube und WiBsenschaft, 3. Aufl., Gießen 1855, S. 32.

2) Lotze, Medizinische Psychologie, Leipzig 1852, S. 44.

22 Zweiter Absohmtt Die Widerlegtmg des Materialismus.

Stoff mit neuen Eigenschaften und Kräften erzeuge, ähnlich wie die Nieren aus den ihnen zugeführten Stoffen den Urin erzeugen, und daß dieser so erzeugte Stoff etwa der psychische, der »Denkstoff« sei. Aber auch dann bleibt doch der zweite der Lotzeschen Ein- würfe in Kraft Dieser Stoff würde eben in alle Ewigkeit lediglich ein Physisches, ein Stoff bleiben und ebensowenig wie der Urin je etwas Psychisches werden. Es ist eben unmöglich, daß ein Stoff zugleich etwas Geistiges sei. Physisches und Psychisches sind spezi- fisch voneinander verschieden, schließen sich gegenseitig aus, das Psychische kann unmöglich als ein Stoff gedacht werden. Ein Stoff, ein Körper, hat die Eigenschaften, die dem Körperlichen zukommen: er ist ausgedehnt, viereckig oder rund oder unregelmäßig geformt, ist hart oder weich, glatt oder rauh usw. usw.; Gedanken, Gefühle, Empfindungen sind aber weder lang noch kurz, weder viereckig noch rund, weder dick noch dünn, weder hart noch weich. Sie sind auch nicht an einem bestimmten Orte und zwischen ihnen bestehen keinerlei räumliche Beziehungen. Alle jene Eigenschaften des Körperlichen kön- nen Inhalt eines Gedankens, einer Vorstellung, aber nicht diese selbst sein.^) Wer sich den fundamentalen Unterschied des aller räumlichen Bestimmungen baren Geistes und des in ihnen ansehenden Stoffes einmal völlig klar gemacht hat, wird auch zugeben, daß die Be- zeichnung des so überaus ästhetischen Karl Yogtschen Yergleichs als »unfiltrierter Einfall« noch eine sehr milde Beurteilung bedeutet »Vollendeter Blödsinn« wäre eine zwar rücksichtslosere, aber nicht unzutreffende Bezeichnung gewesen. Sie gebührt auch der andern Form, in welcher dieser erste Typus des Materialismus auftritt:

b) Das Psychische ist Bewegung.

Verzichtet man darauf, das Psychische als einen irgendwie ge- arteten Stoff anzusehen , so scheint sich zur Bettung des Materialismus noch der Ausweg zu bieten, es insofern wenigstens als ein Physisches aufzufassen, als es als Eigenschaft eines materiellen Substrates be- trachtet wird, als ein Zustand, in welchen die Materie unter be- stimmten Bedingungen gerät, eine Bestimmtheit, die ihr nicht immer, aber unter gewissen Voraussetzungen zukommt So aufgefaßt würde das Psychische in eine Reihe treten mit anderen bekannten Bestimmt- heiten der Materie, wie Wärme, Elektricität, Bewegung, die, ohne,

1) Vgl. auch Rehmke, Lehrbuch d. allg. Psychologie, Hamb. u. Lpzg. 1894, S. 24. R. weist die Annahme zurück, daß die Seele ein stoffliches Ding, ein Atom oder ein Molekül sein könne-

Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 23

wie Schwere, Undurchdringlichkeit usw., dem Stoff unvermeidlich anhaftende, sein unverlierbares Wesen ausdrückende Attribute zu sein, doch Zustände bezeichnen, in welche die Materie unter be- stimmt angebbaren Bedingungen gerät. Dem Entwicklungsgang der Naturwissenschaft, welche alle diese Erscheinungen auf Bewegungs- vorgänge zu reduzieren und die Naturvorgänge in eine Mechanik der Atome aufzulösen strebt, entsprechend wird aber das Psychische, wenn es als Bestimmtheit der Materie betrachtet werden soll, eben als Bewegung aufgefaßt werden müssen/) und so wird

1) Die Naturwissenschaft als solche hat allerdings ein Recht und auch ein begreifliches Interesse daran, alle ihren Erklärungsprinzipien überhaupt zugänglichen £r8cheinungen als Bewegungsvorgänge und Lageverhaltnisse zu deuten und dem- gemäß zu erklären, eine Tendenz, welcher hervorragende Naturfoi'scher wiederholt auch deutlichen Ausdruck gegeben haben. »Wissenschaftliches Naturerkennen«, sagt Dubois-Reymond, » bedeutet Auflösen der Naturvorgänge in Mechanik der Atome« (Grenzen des Naturerkennens, Leipzig 1891, S. 16). Kirchhof f hat es be- kanntlich als Aufgabe der Mechanik bezeichnet, »die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen zu beschreiben, und zwar vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben« (Vorrede zu den »Yorlesungen über Mechanik«), und Hertz legt seiner Darstellung der Prinzipien der Mechanik unter Ausscheidung des Eräfte- begnffs nur die drei Begriffe: Zeit, Raum und Masse, zu Grunde (Einleitung zu den »Prinzipien der Mechanik« , 3), indem er zugleich, um den Ausfall zu decken, mit Helmholtz die Begriffe der »verborgenen« Masse und der »verborgenen« Be- wegung zu Hilfe nimmt Das Interesse, welches die Naturwissenschaft an dieser mechanistischen Auffassung der Naturerscheinungen hat, erklärt sich dadurch, daß man nur, solange man sich innerhalb des durch sie bedingten Kreises von Vor- stellungen hält, innerhalb der rein materialistischen Denkweise bleibt. Daher hat man auch den Enei^^ebegriff der mechanistischen Auffassung anzupassen und ihn dementsprechend auf die beiden Begriffe der kinetischen und der potentiellen Energie als Energie der Lage einzuschränken gesucht, wie das Hertz im 3. Kapitel seiner Einleitung schon angedeutet hat. Schon die Einführung des Begriffes der Kraft, die selbst etwas Immaterielles ist und als femwirkende auch da wirkt, wo die Materie, deren Kraft sie ist, nicht ist, zerstört, wie Adickes (Kant contra Haeckel, Berlin 1901, S. 7) ganz richtig bemerkt, eigentlich den Materialismus. Man kann ihn freilich auch in der mechanistischen Naturauffassung beibehalten, sofern man sich darüber klar ist und daran festhält, daß man an ihm in Wahrheit lediglich einen Namen besitzt, um die uns unbekannte Ursache von Bewegungen zu be- zeichnen, wobei es gänzlich unausgemacht und dahingestellt bleibt, worin diese Ursache bestehen mag, ob vielleicht in einer »verborgenen« Bewegung offenbarer oder »verborgener« Massen, oder worin sonst. Jeder Versuch aber, den Begriff der Kraft im Sinne eines innerlichen Zustandes oder Vorganges, einer lebendigen ISitigkeit des Stoffes zu verwerten, führt alsbald zu einer mehr hylozoistischen oder gar spiritualistischen Anffassung des letzteren, welche mit echter materialistischer Denkweise nicht recht vereinbar ist. Auch Wäime, Licht, Elektricität, als eigen- tümliche innere Zustände oder Tätigkeiten des Stoffes gedacht, stellen der materia-

24 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegung des MateriaÜsmos.

denn diese Form des Materialismus durch das Schlagwort gekenn- zeichnet: das Psychische, speziell das Denken, ist Bewegung. In dem

listischen Aa£fas8ang desselben Schwierigkeiten entgegen; sie zersprengen im Grande den materialistischen StofFbegriff. Zwar würde der Stoff, auch mit allen diesen mehr dynamischen und innerlichen Bestimmungen behaftet, noch von dem Psy- chischen unterschieden werden können. Wärme, licht und Elektricität haben doch Beziehungen zur Räumlichkeit, welche den psychischen Vorgängen abgehen. Die Wärme haftet an Flächen und erscheint insofern ausgedehnt, ebenso verbreitet sich Licht und Elektricität durch den Raum hindurch, und von der Kraft im allgemeinen gilt das Gleiche. Aber als von Masse, Lagerung und Bewegung spezifisch ver- schiedene »innere« Bestimmtheiten des StofiFes gefaßt, rucken sie doch dem Psy- chischen näher, die Grenzen zwischen dem Physischen und dem Psychischen werden undeutlicher, und so konnte denn Ostwald, der die Materie in Energie auflöst, wohl auf den Gedanken kommen, das Psychische selbst als eine Art Energie und damit dem Physischen Ähnüches aufzufassen (Vorlesungen über Naturphilosophie, Leipzig 1902, S. 377 f. S. 396).

Mit alledem ist natürlich über die absolute Richtigkeit der »mechanistischen« und der »dynamischen« Konstruktion des Stofifes gamichts präjudiziert. Vielleicht ist die »dynamische«, »energetische« oder meinetwegen auch die hylozoistische Auf- fassung des StofiFes, welche ihm die Fähigkeit, innere Zustände zu haben, zuschreibt und in diesem Siime den Eraftbegriff verwendet, doch wie die tiefere so auch die wahrere. Naturphilosophisch liegt die Sache ja zweifellos so, daß wir mit den Begriffen von Raum, Zeit und Masse nicht auskommen können, auch nicht wenn wir sie mit Hertz durch die Hilfabegrifife der »verborgenen« Bewegung und der »verborgenen« Masse ergänzen. Wollen wir die Dinge, die uns als körperliche entgegentreten, philosophisch verstehen, nicht nur sie »mechanisch« beschreiben und berechnen, so sehen wir xms allerdings man vergleiche z. B. die Aus- führungen Bergmanns in dessen »Untersuchungen über Hauptpunkte der Philo- sophie«, Marburg 1900, S. 317f. alsbald genötigt, dem Stoff noch mehr »ver- borgene« Eigenschaften zuzugestehen. Es kann an dieser Stelle unerärtert bleiben, ob nicht, sobald wir in naturphilosophischer Betrachtung von der mehr äußerlichen Auffassung der Naturwissenschaft zu einer vertiefteren, ihm innerliche Regungen und EjTäfte verleihenden Auffassung des Stoffes fortschreiten, diese vertiefte Auf- fassung den Begriff des Stoffes überhaupt zersprengt und an die Steile des Stoff- begriffs mit innerer Notwendigkeit der der Monade tritt. Auf alle fWe ist, was die Naturwissenschaft über den Stoff uns zu sagen weiß, noch nicht das letzte, das sich über ihn überhaupjt sagen läßt. Wir können dabei nicht stehen bleiben, die Natuiivissensohaft führt von selbst und mit innerer Notwendigkeit zur Natur- philosophie, zur Metaphysik. Andererseits kann man natürlich der Naturvrissenschaft, soweit sie lediglich Naturwissenschaft sein will, das Recht nicht bestreiten, von allen naturphilosophischen Auffassimgen, mit denen sie, da sie sich nicht rechnerisch verwerten lassen, als Naturwissenschaft nichts anfangen kann, abzusehen und sich mit dem »Bilde« des Sachverhalts zu begnügen, das, wenngleich metaphysisch vielleicht weniger kon'ekt, doch den Vorzug besitzt, praktisch brauchbar zu sein, und nur dieses »Bild« kann in Frage kommen, wenn es sich um die Möglichkeit oder Unmög- lichkeit, das Psychische materiell zu erklären, also um Recht oder Unrecht des

Zweites Kapitel. Metaphysisch -psjchologisohe WiderleguDg. 25

Kapitel »der Gedanke« seines Werkes: Kraft und Stoff hat Ludwig Büchner diese Behauptung mit klaren und deutlichen Worten aus- gesprochen. »Der Gedanke oder das Denken ist kein Abfallstoff, sondern eine Tätigkeit oder Bewegung der im Gehirn in bestimmter Weise znsammengeordneten Stoffe und Stoffrerbindungen.« »Denken kann und muß daher als eine besondere Form der allgemeinen Natur- bewegung angesehen werden, welche der Substanz der centralen Neryenelemente ebenso charakteristisch ist, wie die Bewegung des lichtes dem Weltäther. Deswegen ist aber Verstand oder Gedanke nicht selbst Materie, sondern nur materiell in dem Sinne, daß er die Manifestation eines materiellen Substrats ist, yon welchem er ebenso unzertrennlich ist, wie die Kraft vom Stoff, oder mit anderen Worten eine eigenartige Kundgebung eines eigenartigen Substrats geradeso wie Wärme, licht, Elektricität unzertrennlich von ihren Sabstraten sind.« Yon der psychischen Tätigkeit wird dann weiter gesagt, sie sei nichts anderes als die zwischen den Zellen der grauen Hirnrinde geschehende Ausstrahlung einer durch äußere Eindrücke eingeleiteten Bewegung.

Schickt man sich an, diese Ansicht zu widerlegen, so befindet man sich alsbald in einer gewissen Verlegenheit , freilich einer solchen, die nicht in der unanfechtbaren Gewißheit und Evidenz, sondern viel-

Materialiamits handelt Wer sich zum Materialismus bekennt, muß versuchen uns zu zeigen, daß das OeiBtige aus den Eigenschaften der Materie, um derentwillen wir sie ebenMaterie nennen und welche den naturwissenschaftlichen Begriff derselben kon- Btitaieren, also aus den Eigenschaften der Ausdehnung, räumlichen Gestalt, Dichtigkeit, rndurchdringlicbkeit, Beweglichkeit usw. erklärlich, mit ihnen identisch oder als Wir- kung derselben begreifbar seL Kann er das nicht und läßt sich die Unmöglichkeit solcher Auffassung nachweisen, so ist damit der Materialismus gerichtet und scheidet aus der Reihe der möglichen Standpunkte aus. Ob, wenn wir vorher die Materie zu etwas ganz anderem machen, als ihr naturwissenschaftlicher Begriff bedeutet, wenn wir ihr allerhand innere Regungen, ja einen Schatz inneren Lebens zuschreiben, das Geistige als eine Bestimmtheit oder Wirkung der Materie angesehen werden kann, ist eine ganz andere Frage. Wer sie mit diesen Voraussetzungen bejaht, ist aber auch nicht mehr Materialist. Daher ist es auch ganz ungehörig, wenn Büchner, um den unangenehmen Einwürfen wider seine materialistische These auszuweichen, ent- gegnet, wie man denn daran denken könne, das Bewußtsein aus materiellen Be- dingungen erklären zu wollen^ so lange man da3 Wesen der Materie selbst nicht kenne? Ja wie kann man denn daran denken, den Materialismus unter so be- waodten umständen zu verfechten! Der Materialismus steht und fallt mit der Möglichkeit, aus der Materie, die wir kennen, und aus den Eigenschaften, um derentwillen und durch welche sie eben »Materie« ist, das Psychische zu erklären. Hio Rhodus, hie salta! Von dieser Voraussetzung geht denn auch unsere Erörterung im Text aus.

26 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismus.

mehr in der yollendeten Absurdität des zu widerlegenden Standpunktes ihren Grund hat. Das Sinnlose teilt, wie Paulsen in seiner Kritik dieses Standpunktes treffend ausführt, mit der Wahrheit den Torzug, nicht widerlegt werden zu können.^) Man kann nur versuchen, die YöUige Sinnlosigkeit und Ungereimtheit der Behauptung, das Psy- chische, speziell der Gedanke, sei Bewegung, auseinanderzusetzen. Wer diesem Argumente nicht zugängig ist und an seiner Behauptung ungeachtet ihrer Absurdität festhält, dem ist nicht zu helfen: gegen das credo quia absurdum ist kein Kraut mehr gewachsen. Er kann 'dessen völlig gewiß sein, daß andere Argumente als dasjenige, welches nicht gelten lassen zu wollen er eben fest entschlossen ist, gegen seinen Standpunkt nicht mehr vorgebracht werden können, und kann in dieser Gewißheit stolz von sich sagen: mea caMgine tuttcs. Wer sich aber einmal klar gemacht hat, was er unter einem Gedanken und unter einer Bewegung sich vorstellt; erkennt auch sofort, daß der Satz: Denken ist Bewegung, ein hölzernes Eisen ist. Denken ist eben Denken und Bewegung ist Bewegung, sowie Holz Holz und Eisen Eisen ist. Die Behauptung, daß Denken Bewegung sei, ist um nichts wahrer und sinnvoller, als die andere, daß Holz Eisen sei. Sowie, wer dieses behaupten wollte, entweder sinnloses Zeug be- haupten würde oder unter Holz etwas ganz anderes, als man sonst darunter versteht, nämlich Eisen verstehen müßte, so würde auch der Verteidiger der These, daß Denken Bewegung sei, entweder einfach Blödsinn reden oder er müßte unter Denken etwas anderes verstehen, als wir alle, nämlich eben Bewegung. Versteht man unter Denken den psychischen Vorgang, dessen wir uns, wenn wir denken, bewußt sind, so läßt sich die materialistische, Denken zu Bewegung machende Behauptung zwar, mit Schopenhauer zu reden, zungen, aber nicht hirnen.

Wäre wirklich das Psychische, wären unsere Empfindungen, Vorstellungen und Gefühle Bewegungen, so hätten wir gar nicht auf den Gedanken (sit venia verbo) kommen können , dieselben von den Bewegungen zu unterscheiden und ihnen als etwas anderes entgegen-

1) £inl. i. d. Phil. S. 86. YgL So huppe, Grundriß d. Erkenntnistheorie u. Logik, S.10. Rehmke, Psychologie S. 23. 32. Biehl, philos. Erit. 11^ S.32, Thiele, Philosophie des Selbstbewußtseins , Berlin 1895, S. 173/74, Külpe, Einleitung S. 132. A dicke 8, Kant contra Hi^kel, S. 27. Vgl. auch Kant, Er. d. r. Y. A. 358. Vgl. femer James, Principles of Psychology, Bd. I, London 1891, S. 146, Tyndall, Fragments of Science 5th ed. S. 420, sowie Belfast Adress, »Nature«, 20. Aug. 1894, S. 318 (citiert nach James S. 147)

Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerleguog. 27

zusetzen. Mcht einmal das Vorurteil, daB Gedanken usw. etwas von Bewegungen Yerschiedenes seien, könnte es geben, wenn sie nicht auch verschieden davon wären und als etwas davon Yerschiedenes von uns erfahren würden. Wären unsere Empfindungen , Gefühle usw. Bewegungen so müBten sie auch als solche von uns erfahren, erlebt werden, nicht aber als etwas, das davon so gänzlich verschieden ist An der Tatsache, daß es so ist, geht daher die Denken und Bewegung identifizierende These unrettbar zu Schanden. Sie fälscht die Erfahrung; was aber die Erfahrung gegen sich hat, dessen Falschheit steht fest. Nur als Inhalte unserer Wahrnehmungen können Bewegungen in unserem Bewußtsein, in unserer Seele vorkommen, unser Wahrnehmen, Vorstellen, Wollen, Fühlen, Denken selbst aber ist nicht Bewegung. Es ist das, als was es von uns unmittelbar erlebt und erfahren wird. In diesem unmittelbaren Erlebnis aber ist von Bewegung schlechterdings nichts enthalten.^) Wer da denkt oder fühlt, ist sich, sofern er denkt und fühlt, einer Bewegung überhaupt nicht bewußt, er weiß von gar keiner in seinem Gehirn vorgehenden Bewegung, er weiß nur, daß er denkt oder fühlt Von den Be- wegungen, die in unserem Gehirn vor sich gehen und angeblich das Denken und Fühlen selbst sein sollen , erlangen wir durch das Denken und Fühlen unmittelbar gar keine, sondern erst auf Umwegen eine mittelbare Kenntnis. Von ihnen weiß die Physiologie einiges, wenn auch nicht viel, zu berichten. Könnten wir das Gehirn eines Menschen, während er fühlt oder denkt, beobachten, so würden wir allerhand Bewegungen in ihm vorgehen sehen, aber diese von uns beobachteten Bewegungen wären nicht das Fühlen oder Denken selbst, das sich in der Seele des Menschen vollzieht; sie begleiteten diese Tätigkeiten , wären aber nicht mit ihnen identisch. Es hat noch kein Pbysiolog einen Gedanken^ ein Gefühl im Gehirn gesehen. Während das unmittelbare Bewußtsein uns nur Gedanken^ Gefühle, Empfin- dungen usw., in ihnen aber keine Spur von räumlicher Bewegung und Körperlichkeit zeigt, zeigt die äußere mittelbare Beobachtung nur Be- wegungen körperlicher Massen, aber nie so etwas, wie das, was wir im Selbstbewußtsein unmittelbar erleben. Beides, das Psychische, wie wir es unmittelbar in uns erfassen, und das Physische, wie wir es mittel- bar beobachten^ sind eben gänzlich verschiedene und unvergleich-

1) Sehr richtig weist Lotze, Medizinische Psychologie i Leipzig 1852, S. 12 darauf hin, daß die Farben Jahrtausende lang wahrgenommen worden sind, ohne daß in ihnen eine Hindeatang auf die 'Wellenzahl eines vibrierenden Aethers be- merkt worden wäre.

28 Zweiter Absohnitt. Die Widerlegung des Materialismus.

bare Dinge: nur vollendete Gedankenlosigkeit kann das eine für das andere ausgeben.

Aber so klar und einleuchtend das alles für jeden unbefangen Urteilenden ist ^er sich einmal in den materialistisohen Gedanken verrannt hat, wird die Hoffnung, die These, Denken ist Bewegung, retten zu können, dennoch noch nicht aufgeben. Allerhand Auswege werden versucht, um das materialistische Prinzip »im Prinzip« fest- zuhalten. Das Denken, sagt man, sei eine Bewegung, die sich selbst begreift, und meint wunder was damit gesagt zu haben. Es ist klar, daB dieser Ausweg in Wahrheit eine Sackgasse ist Sehen wir von allen anderen Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten ab: wenn eine Bewegung sich selbst begreift, so haben wir zwei ganz verschiedene und voneinander sorgfältig zu unterscheidende Vorgänge: erstens die Bewegung und zweitens das Sichbegreifen, das Sichbewußtwerden der- selben. Das Bewußtsein, welches die Bewegung, indem sie sich voll- zieht, von sich als Bewegung hat, ist nicht die Bewegung selbst, die das Bewußtsein hat, ist nicht selbst wieder eine Bewegung. Die Bewegung und das Denken, Begreifen, Bewußtsein derselben bleiben nach wie vor zwei völUg verschiedene, vöUig unvergleichbare Vor- gänge; anstatt einer Bewegung, die zugleich Gedanke ist, haben wir ein solche, die von einem Gedanken begleitet wird, anstatt einer Identität eine bloße Korrespondenz. Auch würde die Bewegung, wenn sie, die doch eben Bewegung ist, sicl^ als Bewußtsein vorkommt, sich falsch vorkommen; ihr Sichbegreifen wäre zugleich notwendig ein ewiges Sich verfehlen. Sie erscheint sich als etwas anderes, als sie ist. Gerade an diesen Gedanken aber knüpft noch ein letzter Versuch, das Psychische auf eine Bewegung zu gründen, an, der freilich ebenso widerspruchsvoll und daher ebenso aussichtslos ist, als alle anderen.

Empfindungen, Vorstellungen, Gefühle, belehrt man uns, sind eigentlich und an sich Bewegungen, uns aber erscheinen sie als Empfindungen usw. Um diesen Gedanken weiter zu empfehlen und einleuchtender zu machen, beruft man sich dann auf angeblich analoge anerkannte Tatsachen. Verhält es sich nicht ebenso bei der Wärme, den Tönen, Farben, Gerüchen und Geschmäcken? Auch hier ist das eigentlich und wahrhaft Wirkliche eine Bewegung oder ein System von Bewegungen. Was aber an sich und in Wahrheit Bewegung ist, erscheint uns als Wärme, Ton, Geruch und Geschmack. Aber eben diese Beispiele zeigen mit einer Klarheit, der zu wider- stehen nur ein in seine Theorien verrannter und verbohrter Intellekt fähig ist, die Unmöglichkeit, die in ihnen gemachte und dort völlig

Zweites Kapitel. Metaphysisdi- psychologische Widerlegong. 29

berechtigte Unterscheidung von Ansiohsein und Erscheinung auf unseren Fall zu übertragen. Nicht eine rechtmäßige Anwendung, sondern nur ein leichtsinniges Spiel mit dem Begriff der Erscheinung bedeutet dieser Versuch. Zweierlei ist, als Voraussetzung der Möglich- keit seiner Anwendung, von dem Begriff der Erscheinung unzertrenn- bar: etwas, das, und was hier eben in Betracht kommt, ein Bewußtsein, dem etwas erscheint. Alle Erscheinung setzt ein Wesen voraus, das sie wahrnimmt, für welches sie yorhanden ist^) Bei der Wärme, den Farben, Tönen usw. sind diese beiden Bedingungen erfüllt Es ist ein an sich Seiendes vorhanden: Bewegungsvorgänge und es ist ein nämlich unser Bewußtsein vorhanden, dem diese Bewegongs Vorgänge als Wärme, Farbe, Ton usw. erscheinen. Machen wir dagegen das Bewußtsein selbst zu einer Erscheinung, so fehlt das Subjekt, welchem das, was an sich eine Bewegung ist, als Gtedanke, Empfindung usw. »erscheinen« könnte. Die Er- scheinung schwebt haltlos in der Luft als eine Erscheinung an sich, was eine contradiciio in adjecto bedeutet »Die Meinung, daß das Bewußtsein gleich den Tönen, den Farben, der Wärme usw. die Er- scheinung gewisser Bewegungsvorgänge sei, widerspricht sich offen- bar selbst, denn wenn es nicht wirklich da wäre, so könnte ihm auch nicht ein Bewußtseinsvorgang als Ton, oder als Farbe, oder als Wärme, oder als Bewußtsein erscheinen.«') Sobald man alles Seiende »auf oszillierende und wirbelnde Materie reduziert«, kann man nicht zu- gleich behaupten, daß diese bewegte Materie für etwas anderes ge- halten werde. Denn es »fehlt offenbar jede Möglichkeit, daß sie anders als sie ist überhaupt vorkommen oder aufgefaßt werden könnte. Die materiellen Teilchen haben ihre Lagerungen und Bewegungen und weiter nichts; sie bieten gar keine Handhabe für das Zustandekommen irgend einer andersartigen Manifestation ihres Daseins. Andere solche Handhaben sollen ja aber nicht existieren und es ist somit nicht ein- zusehen, wie auch nur eine irrige Vorstellong von dem, was sie eigentlich ist, in die Welt kommen könnte.«^)

Es ist nicht anders. Das Psychische für eine Bewegung erklären und es zugleich in seiner Eigenart als Psychisches festhalten zu wollen, ist unmöglich. Zwei so heterogene, so unvergleichliche und sich gegen- seitig ausschließende Dinge, wie Bewußtsein und Bewegung, können

1) Lotze, Mikrokosmus L 3, Aufl. S. 175, 295.

2) Bergmann, Untersuchungen über Hauptpunkte der Philosophie S. 336.

3) Eb hing haus, Grundzüge der Psychologie S. 35. Vgl. S. 40/41. Ygl. auch Thiele, Phil. d. Selbstbew., S. 174. Adiokes, Kant contra Haeokel S. 27.

30 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des MateriAlismas.

nicht unter Bewahrung ihrer Eigenart miteinander identifiziert werden. Um die Identifizierung durchführen zu können, müßte man zuvor das Bewußtsein zu etwas ganz anderem machen, als es tatsächlich und nach dem Zeugnis unserer eigenen unmittelbaren Erfahrung ist. In der Tat: die Durchführung des G^ankens, das Psychische sei Bewegung, bedeutet in Wahrheit die Elimination des Geistigen. Wem es mit der Behauptung, alles Geschehen sei lediglich ein Oszillieren und Wirbeln von Materie, Ernst ist, der muüs auch versuchen, alles, was man fälschlicherweise sonst als etwas Geistiges, d. h. von Be- wegung Yerschiedenes ansieht, uns in seiner wahren Beschaffenheit als Bewegungsvorgang begreiflich zu machen. YorsteUen und An^ schauen, Empfinden und Fühlen, Wollen und Überlegung, Liebe und Haß, Zorn, Angst, Reue und Verzweiflung sind dann gar nicht das, wofür wir sie halten, sondern sind Bewegungsvorgänge in unserem Gehirn und Nervensystem. Wird sich ein materialistischer Fhysiolog dazu entschließen, »wird er, wenn es ihm widerfahren sollte, sich zu verlieben, nicht mehr seine Liebe bekennen, sondern der Dame von dem entsprechenden vasomotorischen Prozeß, oder, mit Tyndall zu reden , von der rechts gewundenen Spiralbewegung in seinem Hirn reden, meinend, daß er damit alles gesagt und die Sache nach ihrer eigentlichen Wirklichkeit bezeichnet habe?«^) Paulsen hat recht: das ist ja offenbarer Unsinn. Aber so liegt die Sache. Wenn der Materialismus gilt, so kann es in der Welt eben überhaupt nichts anderes geben, als bewegte Materie. In dem Tanz der Atome geht alsdann das Weltgeschehen völlig auf, etwas anderes, etwa ein Geistiges, kann es alsdann gar nicht geben. Also auch nicht ein Erkennen dieser Beschaffenheit der Welt. Wäre der Materialismus als Welt- system eine Tatsache, so wäre er als Philosophie unmöglich. Wäre die Welt so, wie die Materialisten behaupten, so könnte es in ihr keine Materialisten geben, die über die Welt nachdenken und ihre wahre Beschaffenheit erkennen. Nun aber gibt es dies alles, es ist nicht wegzuleugnen, so unbequem es auch sein mag: G-efühl und Vorstellung, Denken und Erkennen, auch das Denken, das die Lehre, Denken sei Bewegung, zum Inhalt hat, und so lange es dies alles gibt, »wird der Materialismus zwar im Bereiche der Schule, die so viele vom Leben sich abwendende Gedanken einschließt, sein Dasein fristen und seine Triumphe feiern, aber seine eigenen Bekenner werden durch ihr lebendiges Tun ihrem falschen Meinen wider-

1) Paulsen, Einleitong S. 86.

Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologisohe Widerlegung. 31

sprechen.«^) Die bloße Tatsache, daß es überhaupt Gedanken, Be- wußtsein gibt, widerlegt die Ansicht, daß das Denken Bewegung sei; der Materialist, der das behauptet, steht sich selbst im Wege, die Behauptung dieses Inhalts widerlegt den Inhalt der Behauptung. Das bloße Vorhandensein des Materialismus als eines Systems von Gredanken über die Dinge macht es ganz unmöglich, daß der Oedanke lediglich eine Bewegung der Dinge sei.

2. Wo der vernichtenden Wucht der gegen sie zur Verfügung stehenden Argumente gegenüber die Formel: Das Psychische ist selbst ein Physisches, ein Stoff oder eine Bewegung, endgültig aufgegeben wird, da pflegt seitens des Materialisten mit um so größerer Zähigkeit die andere, den zweiten Typus des Materialismus bildende Formel festgehalten zu werden: das Psychische ist ein Produkt, eine Wirkung der (bewegten) Materie. Aus den ineinandergrei- fenden und sich durchkreuzenden Bewegungen der Gehirn- fasern geht das seelische Leben als ein Erzeugnis derselben hervor. Ihre wesenlichste Stütze hat diese Ansicht in der unleug- baren Tatsache, daß das Seelische, soweit unsere Erfahrung reicht, stets an ein Körperliches gebunden und von ihm in seiner Entwick- lung und Ausbildung sowohl phylogenetisch als ontogenetisch durch- aus abhängig erscheint Auf diese Tatsache beruft sie sich immer wieder aufs neue, sie spielt sie gegen alle gegnerischen Argumente als höchsten Trumpf aus, aus ihr schöpft sie die Kraft, allen Ein- wendungen den zähesten Widerstand entgegenzusetzen.

Legt man den strengsten Maßstab an, so kann freilich diese Ansicht eine materialistische eigentlich nicht mehr genannt werden. Denn sie erkennt ja an, daß es neben dem Physischen auch noch ein Psychisches gibt, und daß dieses Psychische etwas anderes, vom Physischen verschiedenes ist Mag immerhin das Geistige durch die Materie in die Welt hineingekommen sein: nachdem es nun da ist, ist es doch als ein von ihr gänzlich Verschiedenes da. Das Kind ist der Mutter, die es geboren, ganz unähnlich; mit dem ersten Auf- treten des Geistigen hört die Welt, die bis dahin eine bloß materielle war und sich in physischen Vorgängen völlig erschöpfte, auf, moni- stisch zu sein : sie wird dualistisch. Mchtsdestoweniger ist man doch vollkommen berechtigt, diesen Standpunkt, und ist auch er selbst voll- kommenberechtigt, sich als materialistisch zu bezeichnen. Denn als ein-

1) Lotze, Mikrokosmus I. 8. 296.

32 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismns.

heitlicher und alleiiiiger Qrund und Träger alles Oeschehens wird doch auch hier durchaus die Materie festgehalten. Die Materie ist das Primäre, Selbständige, das ursprüngliche und eigentliche Beale, die Substanz des Wirklichen. Das Psychische ist ein Sekundäres, Un- selbständiges, Accidentelles. Zugleich ist es im Oesamthaushalt der Natur etwas Untergeordnetes, fTebensächliches, Vorübergehendes. Es ist ein Nebeneffekt, den die Materie gelegentlich so nebenher mit erzeugt. Die physische Welt ist an sich fertig auch ohne das geistige Geschehen; dieses ist kein wesentlicher und unentbehrlicher Bestand- teil des Universums. Hunderttausende, ja Millionen von Jahren hat sich die Welt genügt, ohne daß geistiges Leben, psychische Regsam- keit in ihr vorhanden gewesen. Nachdem im Yerlauf ungezählter Jahrtausende die Bedingungen geschaffen waren, an welche die Mög- lichkeit psychischen Lebens geknüpft ist, hat sodann die souveräne Materie dasselbe hervorgebracht, um es eine Weile zu unterhalten und dann wieder verschwinden zu lassen^ während sie selbst in alle Ewigkeit beharrt und ihr Spiel in Ewigkeit fortsetzt. So erscheint in dem unendlichen Haushalt der Natur und gemessen an der zeit- lichen Unendlichkeit des physischen Geschehens das geistige Geschehen als etwas Vorübergehendes, Ephemeres, als, mit Büchner zu sprechen, »das kurze Spiel einer Eintagsfliege, schwebend über dem Meer der Ewigkeit und Unendlichkeit«.^) Die Bedingungen, an die seine Existenz geknüpft ist, ändern sich, und es verschwindet, versinkt in die Nacht der Yergangenheit Es ist, als wäre es nie gewesen: ewig und un- veränderlich, unentstanden und unzerstörbar ist allein die Materie. Die Betrachtungen, die man an diese Tatsache zu knüpfen pflegt, um die Nichtigkeit, Wertlosigkeit und Bedeutungslosigkeit des Geistigen recht augenfällig zu machen, sind ja bekannt; es sind immer dieselben, durch allzuhäufigen Gebrauch bereits etwas abgenutzten Requisiten, die dabei zur Yerwendung kommen: das unendliche Weltall mit seinen unzähligen Sonnen und Planeten, unter ihnen, der kleinsten einer, unsere Erde, ein verlorener Punkt im unermeßlichen Baum, ein Tropfen im Meere der Unendlichkeit Und auf diesem verlorenen Punkt und nur von ihm wissen wir ja gewiß, daß er geistiges Leben auf sich beherbergt nun, erst spät erscheinend und zu- sammengedrängt auf einen verhältnismäßig kleinen Teil seiner Ober- fläche, das geistige Leben, wie es die lebendigen Wesen, wie es ins-

1) Kraft imd Stoff, Kapitel: Die Zweckmäßigkeit in der Natur, 15. Aufl. S. 258.

Zweites Kapitel. Metaphysisoh- psychologische Widerlegung. 33

besondere der Mensch repräsentiert! Wie schrumpft seine Bedeutung gegenüber dem All und seiner Entwicklung zu einem Nichts zu- sammen! Die Phantasie reicht nicht aus, um den Abstand zu ver- anschaulichen. Der Mensch, seiner eigenen törichten Meinung nach der Mittelpunkt der ganzen Schöpfung, bedeutet in Wahrheit für das Weltall noch weniger, als das Dasein einer Eintagsfliege für die Erde. Wenn das gesamte menschliche Dasein heute aus der Wirklichkeit gestrichen würde, für das Weltall wäre die Einbuße gleich Null, der Verlust gleich einem Tropfen, den der Ozean yerspritzt Die Welt würde ihren Oang weitergehen, als wäre nichts vorgefallen.

In einem merkwürdigen Gegensatz zu diesen die Nichtigkeit und Wertlosigkeit des menschlichen Geistes predigenden Tiraden steht nun freilich der Wert, den die Materialisten auf die Erkenntnis, die doch auch ein Element des so werüosen geistigen Lebens ist, und speziell auf ihre, die materialistische Erkenntnis legen. In demselben Augen- blick ziehen sie alles Geistige in den Staub und erheben sie die materialistische Erkenntnis in den Himmel. Wenn aber wirklich das ganze geistige Leben etwas so untergeordnetes und unbedeutendes, eine solche quantiU n6gUgeable ist, wie die Materialisten behaupten, dann ist es doch wirklich yöUig gleichgültige ob wir so oder so über die Welt denken, dann spielt doch die Wahrheit oder der Irrtum unserer Ansichten über die Dinge schlechterdings gar keine Bolle. Wozu sich darüber streiten, weshalb sich darum mühen? Die einzig logische Eonsequenz der materialistischen Erkenntnis wäre doch , fortan Wissen- schaft nur noch aus praktischen Gründen und um praktischer Zwecke willen zu treiben, im übrigen aber das kurze Leben so intensiv wie möglich zu genieBen. Unsere materialistischen Philosophen sind aber weit davon entfernt, diese Konsequenz für sich zu ziehen. Praktisch werten sie das| Geistige ganz anders, als sie es ihren Theorien zu- folge werten müßten. An Idealismus der Gesinnung, an idealistischer Denkweise beschämen sie viele von ihnen wenigstens manchen Vertreter idealistischer Weltanschauung. SelbsÜos stellen sie sich in den Dienst der Wahrheit, deren Erforschung sie ihr Leben gewidmet haben; tief eingewurzelt ist ihnen die Yerehrung, die unbedingte Achtung vor der Wahrheit Frei und offen, mutig und entschlossen treten sie für ihre Überzeugungen ein und geben lieber irdische Vorteile aller Art auf, als daß sie ihnen untreu werden. Unbekümmert um alle Verlockungen, Drohungen, Verleumdungen und Vorurteile halten sie treu zu der Fahne, zu der sie geschworen, halten sie fest an dem, was sie als wahr erkannt haben. Begeistert stellen sie sich in den

Baste, Oeist und KOrper, Soele und Leib. 3

34 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegung des MateriaLismus.

Dienst der Menschheit, arbeiten sie an der YerroUkommnung und Ver- edlung des Menschengeschlechts, ToUer Enthusiasmus kämpfen sie für Aufklärung und Geistes&eiheit, leidenschaftlich eifern sie gegen Ge- wissenszwang und Knechtung des Geistes. Oder sie streben wohl auch ehrgeizig danach, ihre Namen in das Buch der Geschichte einzutragen, im Andenken der zukünftigen Geschlechter fortzuleben: sie trachten nach der Unsterblicheit, die der Ruhm verleiht. Und ihre eigene Lehre verbreiten und verfechten, beweisen und verteidigen sie mit einer Hingebung, mit einem Eifer und mit einer Leidenschaft, als sei sie die wichtigste Angelegenheit der Welt, als hinge das Heil der ganzen Welt davon ab, daß sie sich durchsetze und allgemein anerkannt werde. * Solch Verhalten sticht doch von der Behauptung der gänzlichen Un Wichtigkeit und Wertlosigkeit alles Geistigen, welche die Theorie enthält, gar seltsam ab; es bedeutet eine Inkonsequenz, freilich eine solche, welche unseren Materialisten persönlich nur zur Ehre gereicht Sie widersprechen, wie Lotze sagt, durch ihr lebendiges Tun ihrem falschen Meinen. Wer das Streben nach der Wahrheit so hoch schätzt und die Bedeutung der wahren Erkenntnis so hoch anschlägt, kann nicht zugleich alles Geistige für etwas halten, das in der Welt und für die Welt schlechterdings gamichts bedeutet Solche Wertschätzung des Geistes, der Erkenntnis, der Wahrheit ist doch geeignet, uns gegen das kosmische Weltbild, welches die Welt in einem Mücken- tanz von Atomen aufgehen läßt und das Geistige in den Winkel stößt, mißtrauisch zu machen. Und der durch Mißtrauen geschärfte Bück erkennt denn auch bald die Fehler und Schwächen jener Kos- mologie. Freilich, daran läßt sich nicht rütteln: seiner räumlich - zeitlichen Erscheinung nach ist das geistige, zumal das höhere geistige Leben, das für uns wieder mit dem menschlichen Leben, dem ein- zigen, von dem wir eine wirkliche Kunde besitzen, zusammenfällt, in engen Grenzen eingeschlossen. Es entfaltet sich auf einem ver- schwindend kleinem Teile des unermeßlichen Universums; einem Meteor gleich taucht es für einen Moment aus der Nacht der Ewig- keit auf, um alsbald wieder in sie zu versinken. Aber ist die Be- deutung des Geistigen abhängig von der räumlichen Ausdehnung und der zeitlichen Dauer seines Erscheinens? Ist das materielle Sein und Geschehen, weil es sich millionen- und abermillionenmal über den Teil hinausdehnt; der der Schauplatz des geistigen Lebens ist, und weil es unendlich viel länger dauert, als das geistige Leben, deshalb wichtiger und bedeutungsvoller, realer und wirklicher, als dieses? Doch nicht Die Bedeutung, der Wert des Geistigen läßt sich nicht

Zweites Kapitel. Metaphysisch -psycbologisohe Widerlegung. 35

mit !ßaam- und Zeitmafien ausmessen, er ist unabhängig von, er- haben über Raum und Zeit. So wie wir ein kurzes, aber durch inneren Reichtum und bedeutende Leistungen ausgezeichnetes Leben trotz seiner Kürze für unvergleichlich viel wertvoller halten als ein sehr langes, aber mit lauter Nichtigkeiten ausgefülltes, so kann auch das geistige Leben überhaupt, auch weim es erst an einem späten Moment der Weltentwicklung erscheint und nach verhältnismäBig kurzer Zeit wieder daraus verschwindet, dennoch unendlich viel wert- voller sein als alles, was an sonstigem Geschehen ihm vorausgeht, es begleitet und ihm folgt. Was bedeuten denn jene ungeheueren Zeiträume, welche dem Auftreten des Lebens auf unserem Planeten vorhergingen? Sind sie etwa schon dadurch etwas Großartiges, dafi sie so ungeheuerlich lang sind? Dann wäre am Ende auch ein leeres Nichts, wenn es nur genügend lang ist, schon etwas Großes und Großartiges! Oder bedeuten sie etwas durch die Vorgänge, die ihre ungehenere Leere anfüllen? Was sind denn diese Yorgänge, so un- geheuer in Zahlen ausgedrückt ihre Dauer, ihre Dimensionen, die in ihnen auftretenden Massen und Kräfte auch sein mögen, wenn man sie nicht schon als vorbereitende Schritte zur Ermöglichung geistigen Lebens auffaßt, anderes als viel Lärm um nichts? Und die unermeßlichen Entfernungen, die unsere Erde von den äußersten unserer Wahrnehmung erreichbaren Weltkörpem trennen, sind sie an und für sich schon etwas Großartiges, demgegenüber das Geistige selbst zu einem Nichts zusammenschrumpfte? Ist es wirklich etwas 80 Großartiges, vor dem aller Wert des Geistigen verblassen muß, daß auf Millionen und aber Millionen von Meilen im Weltall nichts ist, bloß leerer Baum? Oder können die ungeheueren Klumpen gasförmiger, glühendflüssiger oder fester und starrer Materie, welche in dieser ungeheueren Leere ihre Wege ziehen, können sie Anspruch darauf erheben, etwas so Besonderes, Bewunderungs- und Yerehrungs- wüxdiges zu sein? Was sind sie denn anderes als Anhäufungen ganz gemeinen, simplen Stoffes, Spottgeburten aus Dreck und Feuer! Welch merkwürdige Verehrung, welch unsinnige Vergötterung eines leeren Unendlichen, des gemeinen Stoffes und seiner blinden Kräfte! Welch seltsame Verkennung und Herabsetzung des allein Wertvollen und Bedeutsamen, des lebendigen Geistes! Nur eine Verirrung des mensch- lichen Geistes, die seltsamste, wie Lotze sehr wahr bemerkt, hindert uns, m dem geistigen Leben, das sie in sich erzeugt und in sich enthält, allen Wert und Bedeutung, alle Größe und Erhabenheit, Ziel, Zweck und eigentlichen Lihalt der ganzen Welt und ihrer ge-

36 Zweiter Abschnitt Die 'Widerlegung des Materialismus.

samten Entwicklung za sehen. Die räumlich -zeitlichen Größen der physischen Welt und die enge zeitlich -räumliche Begrenzung der Erscheinung des Geistigen stehen solcher Ansicht bei unbefangener Betrachtung und Schätzung gamicht im Wege.

Was verschlägt es dem Weltgeist, wenn selbst Millionen von Jahren vergehen, ehe das geistige Leben erscheint! Ein Mensch mag bei so langem Verzug die Geduld verlieren, der Weltgeist hat Zeit, er kann warten. Ihm, dem ewigen, sind tausend Jahre wie ein Tag und ein Tag wie tausend Jahre. Ja, ein Anhänger teleologischer Welt- betrachtung würde gerade in der ungeheueren Länge der dem Auf- treten des geistigen Lebens vorangehenden Zeit einen Beleg dafür er- blicken können, daß das geistige Leben die wichtigste Angelegenheit des ganzen Weltprozesses ist. Unwichtige Angelegenheiten, so könnte er argumentieren, bedürften keiner umständlichen Yorbereitung, wichtige Dinge aber bereite man lange und sorgfältig vor. Wie wichtig müsse aber dem Weltgeist das geistige Leben erschienen sein , da er sich nicht gescheut habe, ungeheuere Entwicklungsperioden daran zu wenden, lediglich um ihm den Boden zu bereiten? Yor der platten und geistr losen Ansicht, daß das Geistige lediglich das zufällige (obzwar natur- notwendige) Ergebnis des blinden Wirkens eines bloßen Mechanismus sei, hat dieses Argument doch noch manches voraus.

Aber die räumliche Unendlichkeit! Jene unzähligen Weltkörper von zum Teil unermeßlichen Dimensionen, sind sie nicht, wenn die Erde der alleinige Schauplatz höheren geistigen Lebens ist, vom teleologischen Standpunkt aus betrachtet eine ganz zweck- und sinn- lose Zugabe, eine Yergeudung von Massen und Kräften? Macht dieser Umstand nicht eben jede teleologische Wertung des Geistigen un- möglich? Keineswegs. Zunächst wissen wir nicht, ob nicht auch andere, ob nicht alle Weltkörper geistiges Leben in irgend einer Form in sich bergen. Wäre diese Möglichkeit aber auch schlechthin zu verneinen, die teleologische Auffassung wäre damit doch noch nicht ad absurdum geführt.

Wenn dieses ganze ungeheure Aufgebot von Fixsternen, Planeten und Kometen und von ihre Bewegung regelnden Gesetzen wirklich keinen anderen Zweck hätte, als für den denkenden Menschengeist ein würdiges Objekt seines Nachdenkens undForschens abzugeben, ihm ein Gegenstand ästhetischen Genusses, der Bewunderung und der Er- bauung zu sein, so hätte er doch einen, und zwar einen sehr ver- nünftigen Zweck, einen Zweck, der die ungeheueren dafür aufge- wandten Mittel durchaus rechtfertigte. Einem Menschen, der mit

Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 37

beschränkten Mitteln beschränkte Zwecke verfolgt, mag es scheinen, als stunden die angewandten Mittel nicht im richtigen Verhältnis zu dem Zweck, der durch sie erreicht werden soll. Dem Weltgeist aber kosten jene Mittel nichts, er kann aus dem YoUen wirtschaften, ihm stehen unendliche Mengen von Massen und Kräften zur Yerfügung) und wenn er seine Allmacht dazu gebraucht, den unendlichen Baum mit einer unermeßlichen Anzahl von Weltkörpem zu bevölkern, uns den erhabenen Anblick des sternbesäten Himmels zu geben und den Gedanken der Allmacht und Unendlichkeit uns immer aufs neue gleichsam ad oeulos zu demonstrieren, so haben wir keinen Grund, dies Verfahren aus Unverstand zu bemäkeln. Und weiter: so groB und gewaltig auch die Mittel zu sein scheinen, größer und bedeutender ist doch das Denken, welches das ungeheuere Weltgebäude seiner Erkenntnis unterwirft, größer und erhabener das menschliche Ge- müt, das den (bedanken des Unendlichen zu fassen, sich in ihn zu versenken und an ihm sich zu erbauen vermag. Vor der Größe und der Bedeutung des Geistigen schrumpft doch die räumliche Größe des Kosmos fast zu völliger Unbedeutendheit zusammen. Auch ist das, was wir am Kosmos bewundern, nicht eigentlich seine räumliche Größe und physische Gewalt; diese sind uns nur Symbole der Kraft und der Größe des in ihnen sich objektivierenden schöpferischen Geistes, dem unsere Bewunderung, unsere Yerehrung gilt. Wir bewundem nicht die ungeheueren Entfernungen und Anhäufungen von Materie, sondern den allmächtigen und all weisen Geist, der einen solchen Kosmos entwerfen, denverwickelten und doch wieder so überwältigend einfachen Mechanismus seiner Gesetzmäßigkeit konstruieren und nach den von ihm selbst gegebenen ewigen und unveränderlichen Gesetzen seine Entwicklung leiten konnte, wir bewundern und verehren den Geist, dem wir gleichen, weil wir ihn begreifen.

Wäre also das Geistige wirklich ein Erzeugnis materieller ProzesöQ, so würden wir der an diese Ansicht geknüpften Behauptung der völlig nebensächlichen und untergeordneten Bolle, welche es im Haushalt der Natur spiele, doch nicht beitreten können. Wir würden vielmehr dann behaupten, daß die materiellen Prozesse von vornherein darauf angelegt seien, das Geistige als ihr höchstes Produkt, in welchem die Entwicklung der ganzen Welt sich vollendet, aus sich hervorzubringen, daß die Entwicklung der ganzen Welt nach diesem Ziel hin gravitiere, alle der Entstehung des Geistigen vorhergehenden, wenn auch noch so lange Zeiträume füllenden Vorgänge doch nur um des Geistigen willen, um jenes zu ermöglichen und ihm den Boden zu bereiten.

38 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegung des Materialismus.

vor sich gegangen seien. Aber indem wir so den Zweckgedanken in den physischen EntwicklongsprozeB hineinbrächten ^ hätten wir freilich zugleich das Geistige als den Grund und die Bedingung aller physischen Entwicklung an die Spitze derselben gestellt und damit die Ansicht, da£ es ein Ergebnis dieser Entwicklung sei, als unmöglich angegeben.

Es wird nun Zeit, den Faden unserer eigentlichen Untersuchung wieder aufzunehmen und in nüchterner Überlegung zu zeigen, daß es in der Tat unmöglich ist, das Geistige als ein Produkt materieller Prozesse, etwa der ineinandergreifenden Bewegungen unserer Gehim- fasern, zu betrachten.

Zur Widerlegung dieser Form des Materialismus hat man sich desselben Argumentes der Unvergleichlichkeit physischer und psychischer Vorgänge bedient, das wir oben benutzten, um die Un- möglichkeit der Ansicht, das Psychische sei eine Eigenschaft der Materie, nachzuweisen. Diese Unvergleichlichkeit, sagt man, mache es unmöglich, das Psychische als eine Wirkung aus den Bewegungen materieller Teile als ihrer Ursache hervorgehen zu lassen. Yon diesem Gesichtspunkt aus hat Leibniz in seiner Monadologie in dem be- kannten »Mühlenbeispiele« (Monadologie 17) die Unmöglichkeit der materialistischen Ansicht anschaulich und drastisch zu erweisen ver- sucht »Übrigens muß eingeräumt werden, daß die Vorstellung und das, was davon abhängt, sich aus mechanischen Gründen, d. h durch die Gestalten und die Bewegungen, nicht erklären läßt Angenommen, es gebe eine Maschine, die vermittelst ihrer Einrichtung ein Denken, Fühlen und Vorstellen bewirkt, so wird man sich die- selbe unter Beibehaltung derselben Verhältnisse so vergrößert denken können, daß man in sie wie in eine Mühle eintreten kann. Dies vorausgesetzt, wird man bei der Besichtigung des Innern immer nur Teile finden, die einander treiben, nie aber etwas, wodurch eine Vor- stellung erklärt werden könnte.« In neuerer Zeit hat besonders Lotze dasselbe Argument angewandt und seine Wichtigkeit wiederholt hervorgehoben. »Alles«, heißt es im Mikrokosmus, »was den mate- riellen Bestandteilen der äußeren Natur oder donen unseres eigenen Körpers begegnen, alles, was ihnen als einzelnen oder als mannigfach verbundenen zustoßen kann, die Gesamtheit aller jener Bestimmungen der Ausdehnung, Mischung, Dichtigkeit und Bewegung, dies alles ist völlig unvergleichbar mit der eigentümlichen Natur der geistigen Zu- stände, mit den Empfindungen, den Strebungen, die wir tatsächlich auf sie folgen sehen und irrtümlich aus ihnen entstehen zu sehen

Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 39

glauben. Keine vergleichende Zergliederung würde in der chemischen Zusammensetzung eines Nerven, in der Aufspannung, in der Lagerungs- weise und der Beweglichkeit seiner Teile den Grund entdecken , warum eine Schallwelle, die ihn mit ihren Nachwirkungen erreichte, in ihm mehr als eine Änderung seiner physischen Zustände hervorrufen sollte. Wie weit wir auch den eindringenden Sinnesreiz durch den Nerven verfolgen, wie vielfach wir ihn seine Form ändern und sich in immer feinere und zartere Bewegungen umgestalten lassen, nie werden wir nachweisen können, daß es von selbst in der Natur einer so erzeugten Bewegung liege, als Bewegung aufzuhören und als leuchtender Glanz, als Ton, als Süßigkeit des Geschmacks wiedergeboren zu werden. Immer bleibt der Sprung zwischen dem letzten Zustande der materiellen Elemente, den wir erreichen können, und zwischen dem ersten Auf- gehen der Empfindung gleich groß, und kaum wird jemand die eiüe Hofhung nähren, daß eine ausgebildetere Wissenschaft einen geheimnis- vollen Übergang da finden werde, wo mit der einfachsten Klarheit die Unmöglichkeit jedes stetigen Übergehens sich uns aufdrängt«^) Darin aber besteht eben der »schlimme und alle Weltauffassung wahr- haft zerstörende« Materialismus, daß man aus der Wechselwirkung der Stoffe, sofern sie Stoffe sind, aus Stoß und Druck, aus Spannung und Ausdehnung, aus Mischung und Zersetzung die Fülle des Geistigen als eine leichte Zugabe von selbst entstehen läßt; daß man glaubt, so selbstverständlich, wie aus zwei gleichen und entgegengesetzten Bewegungen Ruhe, oder aus zwei verschiedenen eine dritte in mitt- lerer Richtung entsteht, so gehe aus der Durchkreuzung der physischen Vorgänge die Mannigfaltigkeit des inneren Lebens hervor.« >) In ganz ähnlicher Weise argumentiert, um noch ein Beispiel anzuführen, Otto Liebmann. »Die Leistung eines Organs empirisch erklären,« führt er aus, »heißt . . . nichts anderes als aus den physischen Be- schaffenheiten dieses Organs dessen Leistung als naturgesetzlich not- wendigen Effekt deduzieren, so etwa wie man die Leistung einer Lokomotive aus der Expansionskraft des heißen Wasserdampfes und

1) Ifikrokosmas, Bd. I, 3. Aufl. S. 164. 165. Vgl. Metaphysik 1879, 8. 474, Medizinische Psychologie, Leipz. 1852, S. 11. Dasselbe Argument der Unvergleich- lichkeit physisohernnd psychischer Vorgänge verwenden zu gleichem Zweck Eülpe, Einl. S. 134, Adickes, Kant contra Haeckel S. 30— 31, Dubois-Reymond, a. a. 0. (mit den früher 8. 15 erwähnten EiDSohräDkungen) 8. 42. 69. Kant streift den Gedanken in der Kr. d. r. V. A. 386. 387. Vgl. auch Ladd, Philosophy of Mind, New York 1895, S. 293—296. Höfler, Psychologie S. 47 48.

2) Ebendaselbst S. 168.

>f

40 Zweiter Abschnitt Die Widerlegasg des Materialismus.

dem Mechanismus der Maschinenteile als notwendige Folge deduzieren kann. In diesem Sinne (dem einzig wissenschaftlichen) ist denn z. B. die Funktion des Auges und die des Ohres bis auf einen gewissen Grad erklärlich und erklärt«^) Das Psychische, fügt er hinzu, kann man aber nicht in dieser Weise aus der Beschaffenheit und den Ver- richtungen des Oehims erklären. »Zwischen dem Bau des Auges und

dem Sehen ist ein Eausalnexus ganz entschieden nachweisbar ,

zwischen den Eigenschaften des Oehims und seinen intellektuellen Leistungen leider nicht. «>)

Ich vermag doch mit Paulsen*) der Ansicht, daß die Unvergleichlichkeit physischer und psychischer Vorgänge an sich schon genügt, jede Möglichkeit einer kausalen Verknüpfung beider in dem Sinne, daß das Psychische eine Wirkung physischer Vorgänge sei, auszuschließen, nicht beizustimmen. Das freilich ist richtig, der Kausalzusammenhang, den wir zwischen einem physischen Vorgang und seiner psychischen Wirkung herstellen, nimmt sich ganz anders aus als der, welchen wir zwischen einem physischen Vorgang und seiner physischen Wirkung etablieren. Im letzteren Falle bleiben wir innerhalb gleichartiger Vorstellungen. Verfolgen wir in Lotzes Beispiel den durch eine äußere Einwirkung eingeleiteten nervösen Prozeß, so sehen wir oder sähen wir, wenn wir, mit den Fähig- keiten des »Laplaceschen Oeistes« ausgerüstet, eine »astronomische Kenntnis«^) des Oehims und Nervensystems besäßen Bewegung sich an Bewegung schließen, die Bewegungen sich immer mehr verästeln und verzweigen und immer feinere und zartere Formen annehmen, aber wir blieben doch innerhalb derselben Oattung von Vorgängen, innerhalb derselben Vorstellungsweise. Ebenso, wenn wir in Leib- niz' :»Mühle« umherspazierten oder mit Liebmann den Mechanismus des Ohres oder Auges beobachteten. Demgegenüber erscheint freilich eine Umwandlung von Bewegung in Empfindung als eine fietdßaatc ek äXXo yivog, ebenso unverständlich und unerklärlich, wie die Um- wandlungen auf physischem Oebiet verständlich und erklärlich er- scheinen. Aber schließlich scheinen sie uns doch hier nur ver- ständlich und erklärlich zu sein. Eine tiefer gehende Überlegung

1) Analysis der Wirklichkeit, Eapitel »Gehirn und Geist« 1. Aofl. S. 530.

2) Ebendaselbst S. 532.

3) Einl. 1. Aufl. S. 81/82, 6. Anfl. 8. 82. Vgl. auch Riehl, Eritizismos II* S. 178.

4) Die beiden, seitdem oft wiederholten Ausdrücke bei DuboisReymond, Grenzen d. Naturerk. Leipz. 1891, S. 17 f. o. S. 37/38.

Zwoites Kapitel. Metaphysisoh- psychologische Widerlogoog. 41

zeigt doch, daB nur das ruhige Fortgleiten in der gleichen und ge- wohnten Anschauungsweise uns darüber hinwegtäuscht, daß die Um- wandlungen und Kausalzusammenhänge auf physischem Gebiete letzten Endes genau so unerklärlich (beziehungsweise auch: genau so erklär- lich) sind, als da, wo, wie bei der Annahme eines physio- psychischen Kausalzusammenhanges, die ünvergleichlichkeit der beiden Glieder uns nachdrücklicher auf das Unbegreifliche ihres Zusammenhanges und Auseinandererfolgens hinweist Ist es uns iigendwie erklärlicher, daß eine Bewegung in Wärme oder Elektrioität übei^eht, wie daß sie sich in Empfindung umwandelt? Können wir dort eher als hier nachweisen, daß es von selbst in der Natur der Bewegung liege, als Bewegung au&uhören und als Wärme, Elektrioität wiedergeboren zu werden ? Bleibt nicht auch hier der Sprung zwischen der letzten Be- wegungsform, die wir erreichen, und der Entstehung der Wärme gleich groß? Und wenn es nun unserer Wissenschaft gelänge, alle uns anders erscheinenden Naturvorgänge in Mechanik der Atome, in Bewegungen, Lagerungen und Umlagerungen materieller Teilchen au&ulösen, also die mechanistische Denkweise völlig durchzuführen: bleibt nicht schließlich die Entstehung einer Bewegung aus einer anderen oder der Übergang von Massenbewegung in molekulare Be- wegung aller Anschaulichkeit der Vorstellungsweise zum Trotze doch ebenso unerklärlich, wie die wegen ihrer Unerklärlichkeit als unmöglich zurückgewiesene Entstehung einer Empfindung aus einer Bewegung? Besteht hier etwa ein logischer, denknotwendiger Zusammenhang ZTAischen der Ursache imd der Wirkung, dergestalt, daß wir aus dem Begriff des die Ursache bildenden Vorganges oder Komplexes von Torgängen die Wirkung als seine denknotwendige Folge in einem analytischen Urteile ableiten können, ebenso wie wir aus dem Begriff des Kreises ableiten, daß sein Inhalt r^jv ist? Das wird, nachdem Hume und Kant, in diesem Punkte miteinander übereinstimmend, die Sache im negativen Sinne entschieden haben , niemand mehr be- haupten wollen. Daß, wie immer es auch um das allgemeine Kausali- tätsprinzip stehen möge, jedenfalls alle speziellen Kausalzusammen- hänge und damit die sie ausdrückenden Formeln, die empirischen Naturgesetze, aus der Erfahrung stammen, darüber braucht man wohl heutigen Tages kein Wort weiter zu verlieren. ^) Wo wir aber einen

1) Ich habe in meinem Buche: Philosophie und Erkenntnistheorie, Leipz. 1894, 8. 182 211 den empirischen Charakter der Naturgeeetze, der sie, mit Leibniz zu reden, zu bloßen tiritis de fait macht, ausführlich erörtert und in der An- merkung 8. 211 f. eine Anzahl die gleiche Ansicht vertretender Autoren (Hume

42 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegung des MateriaUsmnB.

logischen, denknotwendigen Zasammenhang nicht herzustellen ver- mögen, da können wir zwar, dem Fingerzeige der Erfahrung folgend und unsere Beobachtungen durch sorgfältig ausgedachte Experimente unterstützend, den tatsächlichen Zusammenhang registrieren und auf Grund solches Wissens Zukünftiges in immer größerem Umfange voraussehen: warum aber eigentlich ein bestimmter Zustand regel- mäßig auf einen anderen bestimmten Zustand folgt und wie die Dinge es anfangen, die Wirkungen hervorzubringen, die wir sie tatsächlich hervorbringen sehen, das alles bleibt auch bei vollkommenster Beherr- schung des gesamten empirisch möglichen Wissens gleich unbegreiflich. »Eine Erscheinung erklären«, sagt Paulsen sehr richtig, »heißt in den Naturwissenschaften überall nichts anderes, als eine Formel finden, unter der sie als Fall begriffen ist, mit deren Hilfe sie vorhergesehen, berechnet, unter umständen auch herbeigeführt werden kann.«^)

Also wir sind in der Natur, wo Ursache und Wirkung ver- gleichbar sind, um nichts besser daran, als wenn wir das Psychische als eine Wirkung an ein mit ihm unvergleichliches Physisches knüpfen wollen: hier wie dort finden wir es gleich unmöglich, die Wirkung analytisch aus der Ursache abzuleiten. Mithin bildet die Unmög- lichkeit solcher Ableitung keinen genügenden Orund, den Materialis- mus abzulehnen. »Wie es dem physiologischen Vorgang gelingt, eine Empfindung hervorzubringen, das nicht zu wissen kann uns nicht

Lotze, Paulsen, Sigwart, Dilthey, Windelband, Bain, Jevons, Hill, Kant) namhaft gemaoht. Die Zahl der dort Genannten ließe sich leicht um ein Bedeutendes vermehren, ich verzichte indes darauf, noch mehr Gewährsmänner anzuführen. Nur möchte ich noch bemerken, daB auch Bergmann, der meta- physisch durchaus auf dem Standpunlcte steht, daß jede Phase der Weltentwickiung die logisch -notwendige Folge der vorhergehenden sei und von einem alles durch- schauenden Yei-stand auch als solche erkannt werde, dennoch hervorhebt, daß für unser Erkennen die Möglichkeit, »wie das bloße Dasein eines Körpers eine Ver- änderung in dem Bewegungszustande eines anderen zur Folge haben könne«, nicht weniger unbegreiflich sei, als wie ein Körper Bewußtsein erzeugen könne (Unter- suchungen über Hauptpunkte der Philosophie S. 357). Külpe sagt zwar £inl. S. 134: »Es ist nicht wahr, daß auch bei rein physischen Zusammenhängen die gleiche ünbegreiflichkeit stattfinde. Denn hier kann jederzeit durch eine begrifiEliche oder anschauliche Konstruktion die Notwendigkeit des Eintritts bestimmter Ereig- nisse dargelegt werden.« Ich glaube aber nicht, daß er Notwendigkeit hier im Sinne logischer, auf dem Prinzip der Identität beruhender Notwendigkeit faßt Anderenfalls möchte ich eine derartige Darlegung wohl einmal kennen lernen. Die begriffliche oder anschauliche Konstruktion kann, gestüzt auf Erfahrung, uns den Zusammenhang der Ereignisse klar machen, aber nicht die Notwendigkeit dieses Zusammenhanges beweisen.

1) Ein!. 1. Aufl. S. 81/82, 6. Aufl. S. 82.

Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 43

beschweren, so lange wir auch nicht wissen, wie eine Bewegung die andere hervorbringt«*)

Aber nicht nur das unberechtigte des Verfahrens, die TJnbe- greiflichkeit dar Entstehung psychischer Prozesse aus physischen Ur- sachen unmittelbar als Argument gegen die Behauptung solcher Entstehung zu verwenden, zeigt uns der Vergleich mit den physischen Kausalzusammenhängen, er muß uns sogar dieser Ansicht günstiger stimmen. Überall, wo wir ein Ereignis b mit einem anderen a regel- mäßig verbunden erblicken, dergestalt, daß auf a immer b folgt und be- stimmten Modifikationen des a auch regelmäßig bestimmte Modifika- tionen des b entsprechen, spricht diese Tatsache sehr stark zu Gunsten des Vorhandenseins eines kausalen Zusammenhanges zwischen a und b. Nun fiadet aber ein derartiges Verhältnis zwischen den physiologischen und den psychischen Prozessen doch unzweifelhaft statt. Die Ab- hängigkeit des seelischen Lebens von den körperlichen Zuständen und Verrichtungen, durch so viele allgemeine und spezielle Erfahrungen and Beobachtungen bezeugt, ist eine nicht zu leugnende Tatsache. Bestimmte physische Dispositionen und Indispositionen, abnorme Ver- hältnisse und krankhafte Veränderungen ziehen entsprechende psy- chische Modifikationen nach sich; die ganze Entwicklung und Ent- £altung, der Fortschritt und schließlich die Abnahme und das Erlöschen des geistigen Lebens ist an die körperliche Entwicklung geknüpft und von ihr abhängig. Mit demselben Recht, mit dem wir, ohne uns an die ünbegreifUchkeit des Wie zu stoßen^ überall von beobachteter Begelmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit eines Zusammenhanges auf das Vorhandensein eines Kausalitätsverhältnisses schließen, müssen wir daher, so scheint es, auch die psychischen Vorgänge, die wir regel- mäßig und in bestimmter Weise auf bestimmte physische Vorgänge folgen sehen, auch als Wirkungen dieser Vorgänge aufi[assen, wie es der Materialismus auch stets getan hat

1) Paulsen, a. a. 0. 1. Aufl. S. 82/83, 6. Aufl. S.*83. Vgl. Sigwart, Logik II, 2. Aufl. 1893, S. 209, Erhardt, die Wechselw. zw. Leib u. Seele, Leipzig 1897, S. 31 38. Behmke, Allg. Psych. S. Il2f., die Seele des Menschen S. 21, 22. James, Principles of Psyohology I, London 1891, 8. 136—137, vgl. auch S. 181. Vgl. auch Dilthey, Einl. i. d. Geisteswissenschaften, Lpz. 1883, S. 12f. Erst die Einheit des Bewußtseins, die Spontaneität u. Freiheit des Geistes sollen uns nach D. berechtigen, seine Selbständigkeit dem Physischen gegenüber zu behaupten. Daß indes auch die Unvergleichlichkeit des Physischen und Psychischen, in richtiger Weise benutzt, die Selbständigkeit des Geistigen zu erweisen geeignet ist, wird weiter unten gezeigt werden.

44 Zweiter Absohnitt. Die Widerlegang des Materialismas.

Nichtsdestoweniger aber bildet die ünvergleichlichkeit der physischen und psychischen Yorgänge, in richtiger Weise benutzt und zur Oeltung gebracht, doch ein völlig ausreichendes Argument, um wie die Ansicht, daß das Psychische selbst ein Physisches, so auch die andere, uns hier beschäftigende zu widerlegen, daß es eine Wirkung des Physischen sei. Genügt sie auch an und für sich nicht, die Annahme eines Eansalzusammenhanges zwischen Physischem und Psychischem zu verbieten, da die ünbegreiflichkeit des Zusammen- hanges hier nicht größer ist, als bei vergleichbaren Ursachen und Wirkungen, wo sie als kein Hindernis angesehen wird, so macht sie eine solche Annahme dennoch unmöglich, sobald man alle die Nebengedanken mitdenkt, die für die Vorstellung des Verhält- nisses von Ursache und Wirkung unerläßlich sind.

Niigends bedeutet ja der Begriff der Ursache, daß dieselbe die Wirkung als ein bisher noch nicht vorhanden gewesenes Wirkliches gleichsam erschaffe. Überall ist die Wirkung nur eine Veranderung eines schon vorhandenen Wirklichen; nicht die Dinge selbst, sondern nur ihre Zustände werden durch den Kausalzusammenhang erzeugt und beseitigt Wäre also der Körper die erzeugende Ursache des Geistigen, so könnte er dasselbe doch nicht als ein neues, von ihm selbst ganz verschiedenes Wirkliches, als eine geistige Substanz, eine Seele aus dem Nichts erzeugen und so die Anzahl der vorhandenen Dinge vermehren,^) sondern wir müßten uns denken, daß in genau derselben Weise, wie in einem System materieller Teile aus irgend welchen in ihm vorhandenen physikalischen oder chemischen Zuständen andere physikalische oder chemische Zustände in gesetzmäßiger Weise hervorgehen, so auch unter bestimmten Bedingungen in ihm aus solchen physischen Zuständen psychische Zustände hervorgehen und auftreten können.

Die aus den ineinandergreifenden Wirkungen seiner Teile auf naturgesetzlichem Wege im Ganzen des Systems oder in einem be- stimmten Teile desselben entstehenden psychischen Zustände müßten also und das ist eben der entscheidende Punkt als Bestimmt- heiten eben dieses materiellen Systems betrachtet werden. Das aber verbietet nun allerdings die Unvergleichlichkeit des Phy- sischen und des Psychischen. Es ist ganz unmöglich, das Psychische als eine Bestimmtheit eines materiellen, ausgedehnten, im Raum be-

1) Thiele, Phil. d. Selbstbewußtseins, Berlin 1895, S. 174. Rehmke, die Seele des Menschen, Lpz. 1902, S. 19.

Zweites Kapitel. Metaphyaisoh-psychologisohe Widerlegung. 45

findlichen und in ihm beweglichen Systems, eines Gehirns oder Nerven- systems, zn denken: das Physische iind das Psychische schließen sich gegenseitig aas. Ein materielles System kann nur Bestimmt- heiten haben, die mit seiner Natur als materiellem System verträglich sind. Es hat Größe und Gestalt, einen Ort im Baum, es ist aus Teilen zusammengesetzt Es bewegt sich oder seine Teile bewegen sich gegeneinander. Das sind seine Grundeigenschaften, auf welche wir folglich alle übrigen, licht und Farbe, Wärme und Elektricität, zurückzuführen suchen. Auch wenn das nicht vollständig gelingen sollte, so sind doch auch diese Eigenschaften als Eigenschaften eines materiellen Systems widerspruchslos denkbar. Sie haben eine räum- hebe Natur und Wirkungsweise, sie haften an Flächen und verbreiten sich über solche.^) Aber das Geistige? Ihm als einem ganz anders gearteten ist alles Bäumliche durchaus fremd. Gedanken, Gefühle, Empfindungen haben weder räumliche Größe noch räumliche Gestalt, sie haben keinen Ort im Baum und zwischen ihnen bestehen keine räumlichen Beziehungen; sie sind weder nebeneinander noch über- onter- oder hintereinander, sie verbreiten sich nicht über Flächen und haften nicht an Flächen, und so können sie denn auch nicht im oder am Gehirn oder einem Teile desselben, können sie nicht eine Be- stimmtheit, ein Zustand desselben sein. An der ünvergleichlichkeit des geistigen und des körperlichen Seins und Geschehens, an der durch diese ünvergleichlichkeit bedingten Unmöglichkeit, das Psy- chische als eine Bestimmtheit des Körpers zu fassen , muß daher aller- dings auch der Versuch, das Psychische als eine Wirkung, eine Funktion der Materie hinzustellen, notwendig scheitern.') Wenn die

1) Vgl. hierzu die AusführoDgen der Note 1 S. 23 f.

2) Daß dies in der Tat der entsoheideude Punkt ist, kann man aas Lotzes Darlegungen im Mikrokosmus deutlich entnehmen. Es ist der Gedanke, der allen seinen Ansführongen eigentlich zu Grande liegt, in der Darstellung aber in den anderen, oben erörterten übergeht. Auch die folgende, bei ihm sich findende Argu- mentation schöpft aus ihm ihre eigentliche Kraft. »Überall, wo wir ein Element £rfolge hervorbringen sehen, die wir weder aus seiner beständigen Natur, noch aas der Bewegung, in der es sich aogenblicklich befindet, verstehen können, suchen wir den ergänzenden Grund dieser Wirkung in der anders gearteten Natur eines zweiten Elementes, die, von jener Bewegung getroffen und angeregt, aus sich den Teil oder die Form des Erfolges erzeugt, die wir vergeblich aus dem ersten ab- zuleiten versuchen würden« (Mikrokosmus Bd. I, 3. Aufl. S. 166). So bringt nicht der Feuerfunke allein die Explosion hervor, sondern er ist nur die veranlassende Bedingung füi* das Pulver, diese Erscheinung hervorzubringen. »Zu denselben Schlüssen berechtigt uns die XJnvergleichbarkeit der materiellen Zustände und ihrer

46 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegong des MateriaUsmos.

Lunge atmet, der Magen verdaut, das Herz Blut treibt, so sind das alles mechanisch-räumliche Prozesse, die wir als in und an einem materiellen Substrat vor sich gehend widerspruchslos begreifen können, und dasselbe gilt von den physiologischen Vorgängen des Sehens und Hörens, auf die Liebmanns oben S. 39/40 erörtertes Beispiel Bezug nahm. Eine »astronomische« Kenntnis dieser Vorgänge würde doch in ihnen nichts entdecken können, das sie unfähig machte, Bestimmt- heiten eines materiellen Substrats zu sein. Wenn aber das Gehirn denken soll, so liegt die Sache ganz anders. Auch eine »astrono- mische« Kenntnis des Gehirns und aller in ihm sich abspielenden Vor- gänge würde doch nicht das Denken als einen Gehimvorgang, als eine Bestimmtheit desselben zu erkennen vermögen, vielmehr würde gerade die vollendete »mechanische« Kenntnis hier die absolute Unmöglichkeit, Denken und Gehirn als Substanz und Accidens zusammenzudenken, mit absoluter Deutlichkeit offenbaren. Das Denken bildet sowenig einen Bestandteil des Gehirns und seines Mechanismus, als etwa der Ärger, den der Müller über das zu langsam arbeitende Triebwerk seiner Mühle empfindet, einen Bestandteil dieses Triebwerkes selbst bildet Eiweiß, Kali, Phosphor der Himsubstanz haben mit der Logik soviel zu schafTen, als die chemischen Bestandteile und die Gestalt des atlantischen Ozeans mit den Plänen der darauf segelnden Schiffer.^) Eben diese Unmöglichkeit, das Geistige in seiner Eigen- art als Geistiges festzuhalten und zugleich als Bestimmtheit eines materiellen Substrats zu fassen, hat die Materialisten zu dem Ver-

geistigen Folgen.c > Alles was wir als Tätigkeit oder TVirksamkeit der Materie denken können, bringt nicht aus sich selbst das geistige Leben hervor, sondern veranlaßt nur sein Hervortreten durch die Anregung zur Äußerung, die es einem anders ge- arteten Elemente zuführt« (S. 167). Verstehen, könnte man erwidern, kann man die Explosion weder aus der Natur des Funkens noch aus der des Pulvers. Wie es das letztere anfängt, die Explosion hervorzubringen, bleibt immer unbegreiflich. Zugegeben aber, daß die Sache so liegt, daß wir ebenso wie wir zur Erklärung der Explosion das ergänzende Element des Pulvers heranziehen müssen, so auch zur Erklärung des geistigen Lebens, das wir aus den Bewegungen einer Anzahl von Gehirn molekülen nicht ableiten können, ein ergänzendes Element heranzuziehen genötigt sind, so liegt doch der Grund, weshalb dieses ergänzende Element nicht wiedemm von materieller Beschaffenheit sein und das Geistige nicht als das Er- gebnis einer mateheilen Veranlassung und des Reagierens eines materiellen Sub- strates auf dieselbe betrachtet werden kann, schließlich darin, daß es wegen der ünvergleichlichkeit beider nicht möglich ist, das durch ein materielles Substrat hervorgebrachte Geistige schließlich, wie es der Fall sein müßte, zugleich als eine Bestimmtheit dieses Substrats aufzufassen.

1) Liebmann, Analysis d. Wirklichkeit S. 351.

Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 47

zweiflungsschritt getrieben, es fiir ein Materielles, einen Stoff oder eine Bewegung auszugeben. Wenn es das ist, kann es freilich Eigen- schaft oder Zustand eines Körpers sein aber dann hört es eben auf, Geistiges zu sein , und so gerät der Materialist aus der Charybdis, die er vermeiden woUte, in die Scylla, aus der er sich dann wieder in die Charybdis zurückflüchtet. InstabiUs teUus, innabilis unda. An der völligen Unvergleichlichkeit alles körperlichen und geistigen Seins und Oeschehens scheitert mithin sowohl der erste als der zweite Typus des Materialismus.^)

Dabei ist aber das Argument der ünvergleichlichkeit des Phy- sischen und des Psychischen noch nicht einmal die ultima ratio, die man dem Materialismus, um ihn zu widerlegen, entgegenstellen kann. Wenn es versagte, so bliebe noch ein anderes Argument als

1) Rehmke, Psychologie S. 23, 32, die Seele des Menschen 8. 16,22. Ygl. auch James, Principles of Psyohology vol. I., London 1891, S. 146. Ladd, Phil, of Mind S. 297 f. besonders S. 300. Münsterberg will (Grandzüge d. Psychol. I, Lpz. 1900, S. 70, 71) das Eriteriuin der Unräomlichkeit des Psychischen nicht gelten lassen und begründet seinen Widersprach a. a. damit, dafi die Psychologie den ünteischied des Räamlichen and des Nichträamlichen schon an der Schwelle ihrer TJnteisachungen wieder aufhebe. »Die Vorstellungen werden in den Körper, in das Gehirn, in die Ganglienzellen verlegt und wenn aach die Vorstellang selbst uniäomlich bleibt, so gewinnt sie durch die Introjektion doch in demselben Sinne Baomwert, in welchem ihr ein Zeitwert zukommt.« Aber wenn die Psycho- logie wirklich die Vorstellungen in die Ganglienzellen verlegt, so begeht sie so- zusagen eine psychologische Todsünde. Solche Introjektion ist eben falsch: nicht die Vorstellungen , sondern nur die etwaigen ihnen entsprechenden physiologischen Vor- gänge dürfen in das Gehirn und die Ganglienzellen »verlegt« werden. S. 95 gesteht denn auch M. selbst zu: »Die Akte können nicht im Körper sein, weil sie unräumlich sind. Das von Münsterberg hier verworfene Kriterium dürfte doch erheblich wirk- samer sein, als das von ihm selbst S. 72 (vgl. S. 202) acceptierte, nach welchem psychiscli das ist, was nur einem Subjekt erfaßbar ist, physisch dagegen das, was als mehreren Subjekten gemeinsam erfaßbar gedacht werden kann. Gegen dieses Kriterium würde der Solipsismus alsbald Einspruch erheben und man dürfte, wenn man philosophisch zu Werke gehen will, solchen Einspruch nicht einfach durch ein Appellieren an das »Erleben« abweisen. Aber auch dann, wenn wu* eine Mehr- zahl von Subjekten anzunehmen nicht umhin können, wird doch das Physische von jedem einzelnen Subjekte und nicht bloß von einem »Bewußtsein überhaupt« erfahren; die von M. acceptierte Konsequenz, daß das Physische überhaupt nicht von einem individuellen Bewußtsein erfahren werden könne, ist doch unhaltbar. Wenn aber auch das von ihm angegebene Merkmal wirklich ein Merkmal für die Unterscheidung von Physischem und Psychischem wäre, so würde doch in ihm nicht die Begründung dieser Unterscheidung liegen. S. 246 erkennt übrigens auch M. den unräumlichen Charakter der Vorstellungen »in ihrer Zugehörigkeit zum vorfindenden Bewußtsein« an.

48 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismus.

ein Bollwerk zurück, an dem die Angrifie des Materialismus schliefilicb doch zerschellen müßten. Es ist das von Lotze namentlich wieder- holt, besonders im Mikrokosmus (S. 170f.) in so meisterhafter Weise verwandte Argument der Einheit des Bewußtseins.^) Es läßt sich die Ansicht verteidigen, daß dieses Argument nur einen besonderen Fall des allgemeinen Argumentes der ünvergleichlichkeit von Oeist und Materie bilde. Denn die Einheit unseres Bewußtseins bedeute eben eine jener spezifischen Eigentümlichkeiten, durch welche unser geistiges Wesen sich von allem Körperlichen, dem eine derartige Einheit absolut fremd sei , scharf unterscheide und welche daher eine Entstehung des Geistigen aus körperlichen Vorgängen unmöglich mache. Indes würde doch auch so die Einheit des Bewußtseins ein zu den sonstigen Unterscheidungsmerkmalen des Geistigen und Körper- lichen noch hinzukommendes neues Merkmal bilden, das bedeutsam genug wäre, um als besonderes Argument gegen die materialistische Ansicht angeführt zu werden. Berücksichtigen wir aber, daß die Ein- heit des Bewußtseins eine Leistung bedeutet, welche die Seele nicht immer und nicht stets in gleichem Grade vollzieht, bedenken wir, daß man von unter- und unbewußten psychischen Yoigängen spricht, bei denen mit der Bewußtheit natürlich auch das Merkmal der Ein- heit des Bewußtseins fehlt, so werden wir jedenfalls, wie immer auch eine eingehende Untersuchung über diesen letzten Punkt entscheiden möge, vorderhand gut tun, die Einheit des Bewußtsein als ein selbst- ständiges Argument neben dasjenige der Unvergleichlichkeit physischer und psychischer Vorgänge überhaupt zu stellen.

Es besagt nun, daß die Tatsache, daß wir in jedem Momente unseres wachen geistigen Lebens den mannigfachen und vielgestaltigen Inhalt unseres Bewußtseins auf unser Ich als das einheitliche Subjekt desselben beziehen, uns dessen bewußt sein können, daß wir es sind, die diesen ganzen Inhalt wissen und seine Bestandteile in die mannig- fachsten Beziehungen zu einander setzen: daß diese Tatsache es schlechthin unmöglich macht, das Geistige als das Ergebnis materieller Vorgänge anzusehen. Denn aus einer Vielheit wie immer beschaffener Dinge oder Prozesse läßt sich die Einheit, welche unser einheitliches Bewußtsein darstellt, nun und nimmermehr ableiten. Alles was man

1) Auch Dubois-Reymond erwähnt seiner a. a. 0. S. 42, 78, 79, 80. Ebenso läßt Kant die Einheit des Bewußtseins in gewissem Sinne als Argument gegen den Materialismus gelten. Er. d. r. V. A. 356, 357, 359. B. 419, 420. »Also folgt daraus die Unmöglichkeit einer Erklärung meiner, als bloß denkenden Subjekts, Beschaffen- heit aus Gründen des Mateiialismus.« Frolegg. §§ 46 Erdm. S. 92.

Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische AViderlegung. 49

für eine aus einer Vielheit entstandene Einheit ausgegeben hat, ist in Wahrheit keine Einheit, sondern eine, nur zu gemeinsamem Wirken yerbundene, Vielheit, die, um als ein Ganzes gefaßt zu werden, eben jene Einheit des Bewußtseins schon voraussetzt, welche man als das Ergebnis des Zusammenwirkens der Vielheit angesehen wissen wollte. Eine derartige Vielheit zu gemeinsamer Wirksamkeit ver- bundener Dinge ist unser Körper, ist speziell auch unser Nerven- system und unser Gehirn. Ganz unmöglich ist es, daß aus dem In- einanderwirken der Teile des Gehirns das einheitliche Bewußtsein hervorgehen sollte, welches wir als eine charakteristische Leistung unserer Seele, ein durch innere Erfahrung beglaubigtes Faktum kennen. Ich begnüge mich an dieser Stelle damit, die Unvereinbarkeit dieses Faktums mit allen materialistischen Theorien als ein weiteres, die Unmöglichkeit des Materialismus dartuendes Argument kurz vermerkt zu haben. Eine ausführlichere Erörterung dieses Punktes bleibt an späterer Stelle vorbehalten. Denn die Tragweite dieses Argumentes ist eine viel umfassendere als die der übrigen zur Widerlegung des Materialismus benutzten. Seine Spitze richtet sich nicht nur gegen die materialistische, sondern auch gegen die pluralistische Auffassung der Seele, nach welcher sie lediglich eine zu Wechselwirkung und gemeinsamer Wirksamkeit verbundene Vielheit, eine bloße Summe selbständiger psychischer Zustände oder Vorgänge ist

Die Prüfung dieser mit dem psychophysischen Parallelismus aufs engste verknüpften Ansicht wird uns in dem der Kritik des Paralle- lismus gewidmeten Abschnitt nötigen, die Tatsache der Einheit des Bewußtseins ausführlich und eingehend zu erörtern. Ebendarum aber konnte ein kurzer Hinweis auf dieselbe für jetzt genügen.

Die Unvergleichlichkeit alles physischen und psychischen Seins und Geschehens und die Einheit des Bewußtseins: das sind die beiden Gründe, mit denen die Meinung, das Geistige sei ein Produkt der Materie, jederzeit siegreich widerlegt werden kann. Sie sind es, auf denen die Überzeugung von der Selbständigkeit des geistigen gegen- über dem materiellen Sein mit völliger Sicherheit ruhen kann. Ich vermag nicht dasselbe von einer Anzahl anderer Argumente zu sagen, welche von manchen Gegnern des Materialismus zur Widerlegung der Auffassung des Geistigen als eines Ergebnisses materieller Prozesse benutzt, ja wohl als die eigentlich entscheidenden den von mir be- nutzten vorgezogen werden. Sie mögen der Vollständigkeit wegen

Busse, Geist und Körper, Seele und Leib. 4

50 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismtus.

hier noch, wenn auch nur kurze, Erwähnung finden. Ich yersucbe zu zeigen, daß sie entweder die ihnen zugeschriebene Beweiskraft überhaupt nicht besitzen oder nur mit Zuhilfenahme des Gedankens der XJnvergleichlichheit des Physischen und Psychischen zum Ziele gelangen, dieser Oedanke also auch in ihnen als der entscheidende Punkt, auf den alles ankommt, sich bewährt

Paulsen, der in der Unvergleichlichkeit des körperlichen und des geistigen Seins und Oeschehens an und für sich mit Becht noch keinen genügenden Orund erblicken will, die Annahme, daß das Geistige ein Ergebnis materieller Yorgänge sei, abzulehnen, sieht einen solchen dagegen im psychophysischen Parallelismus, den er daher dem Materialismus als die entscheidende Oegeninstanz ent- gegenhält Man muß, fuhrt er S. 83 der »Einleitung« aus, zeigen, daß es keine Formeln geben kann, welche physische und psychische Vor- gänge zo zusammenfassen, wie in den Gesetzen der Mechanik Be- wegungsYorgänge zusammengefaßt sind. Alsdann sei der Materialis- mus definitiv überwunden. Das letztere ist zweifellos richtig, das Mißliche aber an der Sache ist, daß der von Paulsen geforderte Beweis auf Schwierigkeiten stößt Nach dem, was Paulsen selbst über die eigentliche Bedeutung des Begriffs »Erklären« bemerkt hat, ist nämlich nicht einzusehen, warum es nicht Formeln geben sollte, welche physische und psychische Vorgänge in ähnlicher (obwohl natürlich nicht genau derselben) Weise zusammenfassen, wie ver- schiedene Bewegungsvorgänge in den Gesetzen der Mechanik zusammen- gefaßt werden. In der Verschiedenartigkeit von Ursache und Wirkung liegt ja eben an und für sich kein Grund, solche Zusammenfassung für unmöglich zu erklären. Nur wenn die Wahrheit des psycho- physischen Parallelismus unzweifelhaft feststeht, wird durch ihn das andernfalls wohl mögliche kausale Verhältnis von Materie und Geist tatsächlich unmöglich gemacht Wenn es gewiß ist, daß physische und psychische Vorgänge einander parallel gehen, zwei Seiten einer und derselben Sache sind, so kann natürlich das Geistige nicht ein Erzeugnis materieller Vorgänge sein. Aber der psychophysische Parallelismus ist im besten Falle eine Hypothese, für die manches spricht, deren Durchführung aber, wie wir noch sehen werden, keine geringeren Schwierigkeiten entgegenstehen, als dem Materialismus selbst. Sie als höchsten Trumpf gegen den Materialismus auszuspielen erscheint daher wenig ratsam; wäre der Parallelisraus das schwerste Geschütz, das wir gegen ihn auffahren können, so würde es um seine Bekämpfung und Überwindung übel aussehen. Glücklicher-

Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 51

weise stehen uns andere, schärfere Waffen gegen ihn zur Verfügung, and wir tun gut, mit ihnen, wie oben geschehen, den Kampf zu führen. Erst wenn dieser Eampf schon zu Ungunsten des Materialismus ent- schieden, die Ansicht, daß das Geistige aus materiellen Vorgängen hervoi^ehe, definitiv überwunden ist, kann die Frage, ob der Paralle- lismus eine annehmbare Hypothese ist oder nicht, erörtert werden. Als Argument gegen den Materialismus kommt er nicht in Betracht Das Oesetz der Erhaltung der Energie wird von anderen, z.B. YonF. A. Lange^^) Eülpe,^) Adickes') und auch TonPaulsen^) gegen den Materialismus angeführt Erzeugt ein physischer Prozeß, z. B. eine Bewegung, einen psychischen Vorgang, z. B. eine Empfin- dung, so geht physische Energie als solche verloren, um durch etwas ganz anders Geartetes, durch ein Psychisches ersetzt zu werden. Das aber bedeutet eine Verletzimg des Gesetzes der Energie. Da also der Materialismus gegen dieses Grundgesetz der Naturwissenhaft verstößt, ist er zu verwerfen. Aber auch das Energiegesetz ist nicht eine apriorische Vemunftwahrheit, sondern eine empirisch und auf induk- tivem Wege begründete Hypothese, über deren Bedeutung und Geltung noch Streit herrscht und auch wenn seine ausnahmslose Geltung im Sinne der Eonstanz der im Weltganzen vorhandenen Enei^e vorbehaltlos anerkannt wird, macht es die Entstehung psy- chischer Vorgänge aus physischen noch nicht unmöglich. Denn es erscheint nicht unmöglich, auch das Psychische als eine besondere, in der konstanten Energiesumme des Weltganzen mit enthaltene Art von Energie anzusehen, deren Auftreten infolge Umwandlung physischer Energie und deren Rückverwandlung in solche nach der Äquivalenzformel des Energieprinzips unter bestimmten Bedingungen erfolgt Daß eine derartige, von Stumpft) vertretene Auffassung mit dem Prinzip der Erhaltung der Energie an und für sich sehr wohl vereinbar ist, hat auch Ebbinghaus^) durchaus zugegeben; daß es selbst mit der mechanistischen Konstruktion aller physischen Vor- gange nicht unvereinbar ist, habe ich im Anschluß daran dargelegt^

1) Gesch. d. Mat 1866 S. 379, W. A. S. 545.

2) Einleitong S. 133.

3) Kant contra Haeckel, S. 32 f.

4) Einl. S. 65.

5) Rede z. Eröffnung des III. intern, psych. Kongresses in München S. 9.

6) Ebbin gh aus, Grnndzüge der Psychologie, Lpz. 1897, S. 32/33.

7) Die Wechselwirkung zw. Leib u. Seele (S. A. aus d. Philos. Abhandlungen

Ch. Sigwart zu s. 70. Geburtstage 28. März 1900 gewidmet), Tübingen 1900, S. 102

Anm. *).

4*

52 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismus.

Wäre es also überhaupt möglich, das Psychische als eine Be- stimmtheit der Materie zu fassen, so würde es eben nicht anders wie Bewegung und Lagerung, eventuell auch Licht, Wärme, Elek- thcität usw. zu den Formen gehören, in welchen die der Materie anhaftende Energie unter besimmten, angebbaren oder nicht angeb- baren, Bedingungen sich darstellt, ohne daß das Gesetz der Erhaltung der Energie dagegen Einspruch erhöbe. Lediglich die auf der völligen Unvergleichlichkeit der beiden Faktoren beruhende Unmöglichkeit, das Psychische überhaupt als eine Funktion oder Bestimmtheit der Materie anzusehen, macht auch die Annahme, daß die Materie die ihr eigentümliche Energie gelegentlich auch in eine psychische Form kleiden könne, unmöglich. Also ist auch hier die Unvergleichlich- keit des Physischen und des Psychischen, nicht aber das Gesetz der Erhaltung der Energie das entscheidende, den Materialismus wider- legende Argument.

In eigentümlicher Weise hat endlich Behmke die Unmöglichkeit des Materialismus darzutun versucht.^) Wo immer, argumentiert er, an einem Dinge ein Zustand auftritt, tritt dieser Zustand an die Stelle eines anderen, mit dem er unter einem gemeinsamen Gattungsbegriff vereinigt werden kann, alle Veränderung bedeutet: Wechsel in der Bestimmtheitsbesonderheit eines Einzelwesens. Dieses Prinzip gilt all- gemein. Nie verschwindet eine besondere Bestimmtheit eines Dinges, ohne daß an ihre Stelle eine andere besondere Bestimmtheit derselben Art träte, und nie kann folglich ein Ding in einen Zustand geraten, der mit allem, was das Ding vorher war, unvergleichlich wäre. Nimmt ein Ding z. B. eine rote Farbe an, so tritt das Bot an die Stelle einer anderen Farbe, etwa Grün, die das Ding vorher hatte und welche mit dem Bot zu demselben Gattungsbegriff der Farbe gehört Ähnlich verhält es sich mit Warm und Kalt Geht ein Ding aus Wärme in Kälte über, so tauscht es eine Temperaturbestimmtheit gegen eine andere aus, und so in allen übrigen Fällen. Nähme nun aber ein Körper, der vorher lediglich räumlich -materielle Bestimmt- heiten hatte, plötzlich die Bestimmtheit Bewußtsein an, so ließe sich diese Bestimmtheit mit keiner anderen ihm zukommenden unter einem gemeinsamen Gattungsbegriff zusammenfassen, wir hätten einen Fall,

1) Lehrbuch d. allg. Psychologie, Hbg. u. Lpz. 1894, S. 32. 33. Außenwelt und Innenwelt, Leib und Seele, Oreifswald 1898, S. 20. Wechselwirkung oder Parallelismus? (in: Fhilos. Abhandl., Gedenkschr. f. ßudolf Haym) Halle 1902, S. 105 f. Die Seele des Menschen (aus Natur und Oeisteswelt, Bd. 36), Leipz. 1902, S. 7f.

Zweites Kapitel. Metaphysisch - psychologische WiderlegoDg. 53

der die obige Begel verletzte. Eben deshalb kann er aber nicht ein- treten und kann in einem Körper als einem materiellen und ausge- dehnten Substrat kein Bewußtsein entstehen.

Es ließe sich nun zunächst bezweifeln, ob das von Rehmke aut- gestellte Prinzip wirklich so allgemein gilt, als er annimmt. In meiner, an seine Oreifswalder Bektoratsrede (1898) anknüpfenden Abhandlung »Leib und Seele« wies ich daraufhin, daß, wenn ein Körper z. B. die geradlinige Bewegung verliert, er deshalb doch noch nicht eine andere besondere Bestimmtheit derselben Art anzunehmen, etwa in eine krummlinige Bewegung zu verfallen brauche! Er könne eben auch überhaupt aufhören sich zu bewegen.^) Ruhe und Bewegung könnten somit als zwei Bestimmtheiten aufgefaßt werden, die nicht verschiedene besondere Bestimmtheiten derselben Art darstellen, ohne daß dieser umstand doch den Körper hindere, bald die eine, bald die andere Bestimmtheit zu haben. So könnte denn ein Körper auch zu einer Zeit die Bestimmtheit Bewußtheit, zu einer anderen Zeit eine andere haben. Rehmke will das nun freilich nicht zugeben. In seiner Ab- handlung »Wechselwirkung oder Parallelismus?« in der Oedenkschnft iür Rudolf Haym, in der er sich mit meinem Einwand auseinander- setzt, wendet er (S. 109f.) ein, daß auch der Übergang eines Körpers aus Bewegung in Ruhe und umgekehrt lediglich die Yeränderung einer Bestimmtheitsbesonderheit bedeute, nur daß es sich hier nicht um eine Bewegungsänderung, sondern um eine Ortsbestimmtheits- veränderung handle. Der gemeinsame Artbegriff der Bestimmt- heiten »Bewegung« und »Ruhe« sei: »Ortsbestimmtheit des Körpers in aufeinanderfolgenden Zeiten«. Bewegung des Körpers heiße: »in aufeinanderfolgenden Augenblicken an verschiedenen Orten sein«, Ruhe aber: »in aufeinanderfolgenden Augenblicken an demselben Orte sein«. Ich weiß nicht, ob diese Auffassung der Veränderung, die ein Körper erleidet, wenn er aus Bewegung in Ruhe übergeht, recht vereinbar ist mit der Behauptung (S. 105), daß jedes Einzel- wesen eine Einheit von Augenblicks-Einzelwesen im Nachein- ander ist. Aber weder diese Frage noch die andere, ob etwa, wenn ein Körper, der jetzt einen gewissen Geruch hat, diesen verliert und geruchlos wird, sich diese Yeränderung auch als Wechsel von Be- sonderheiten einer allgemeinen Bestimmtheit deuten läßt, möchte ich hier als Einwand gegen die Rehmkesche Yeränderungsauffassung erheben. Zugestanden vielmehr, daß alle Yeränderung sich stets als

1) Leib u. Seele, Zeitschr. f. Phil. n. pbil. Er. Bd. 114 S. 8.

54 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismos.

ein Wechsel in der Bestimmtheitsbesonderheit eines Einzelwesens be- merkbar macht, so fragt sich, ob sich durch dieses Verändenings- gesetz die Unmöglichkeit der materialistischen Behauptung, daß das Bewußtsein eine Bestimmtheit des Körpers sei, beweisen läßt Könnte nicht auch die Bewußtheit eine Bestimmtheitsbesonderheit des Einzel- wesens »menschlicher Körper« sein, der als eine andere Bestimmt- heitsbesonderheit die ünbewußtheit gegenüber stände, während das Psychische den Artbegriff darstellt, welcher Bewußtheit und Ün- bewußtheit als seine Unterarten unter sich hat? In diesem Falle könnte der Körper die Bewußtheit als »intermittierende« Bestimmtheit bald haben, bald nicht haben.

In seiner Besprechung von Jodls Psychologie istEehmke auf diese Möglichkeit eingegangen und hat sie zurückgewiesen.^) In der Form, in welcher das Argument bei Jodl auftritt, ist es auch sicher unhaltbar. Daß das Unbewußte ein Teil des Bewußtseins im weiteren Sinne ist, läßt sich, solange man unter Bewußtheit nicht etwas ganz anderes versteht, als gemeiniglich darunter verstanden wird, gamicht denken. Allein daß das Bewußte und das Unbewußte zwei ver- schiedene Formen des Psychischen bedeuten und das Unbewußte in dem Umfang des Psychischen ungefähr die Rolle spielt, wie Schwarz im Umfang der Farbe, das läßt sich nicht ohne weiteres von der Hand weisen. Umständliche und sehr subtile Erörterungen sind er- forderlich, um die Unmöglichkeit eines unbewußten Psychischen zu erweisen, und bis jetzt wenigstens haben sie nach meinem Dafürhalten noch nicht den Erfolg gehabt, den ja sicher mit sehr vielen Schwierig- keiten behafteten Hilfsbegriff des unbewußten Psychischeu gänzlich zu vernichten. So wie die Dinge hier zur Zeit liegen, erscheint es mir daher nicht sehr ratsam, die Widerlegung der materialistischen Auf- fassung des Psychischen als einer gelegentlich auftretenden Bestimmt- heit der Materie auf dieses doch immerhin angreifbare Räsonnement zu gründen.

Aber selbst wenn man das unbewußte Psychische nicht gelten läßt, so ist damit noch immer nicht die Unmöglichkeit erwiesen, die Bewußtheit als eine Bestimmtheit des Körpers zu fassen. Zwei Auswege sind noch denkbar. Zunächst dieser, das Bewußtsein als eine dauernde Eigenschaft des (organischen) Körpers zu fassen, die er immer, aber in den verschiedensten Abstufungen oder Intensitäts-

1) Zeitschr. f. Phil. u. phil. Kritik, Bd. 112, 8. 118—120, vgl. die Seele des Menschen S. 45.

Zweites E[apiteL Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 55

graden hat, ähnlich wie ein Körper auch die Eigenschaft Bot in den verschiedensten Intensitätsstufen yom intensivsten bis zum schwächsten Kolorit haben kann. Wir würden dann zwar kein unbewußtes Psy- chisches mehr haben, wohl aber psychische Vorgänge, deren Be- wußtseinsgrad unendlich klein werden kann: Leibnizens petites per^ cepiians. Allein dieser Ausweg erweist sich in der Tat als unmöglich. Mit Becht macht Behmke geltend, daß wir von dem menschlichen Leibe als einem besonderen Einzelwesen einen durchaus klaren Be- grifT haben können, ohne das Seelische als eine Bestimmtheit desselben mitzudenken, ja daß sogar niemand sich von der Yorstellung des Leibes als eines nichtseelischen Einzelwesens losmachen kann.^) Man wende nicht ein, daß vielleicht nur die ün Vollkommenheit unseres Begriffes des Körpers uns hindere, ihn als einen Bewußtsein habenden zu erkennen, daß ein vollkommener Begriff desselben uns ihn als notwendig mit der Bestimmtheit des Bewußtseins behaftet erkennen lassen würde. Mit zweifelloser Gewißheit erkennen wir viel- mehr, daß die Bestimmtheit »Bewußtheit« dem Körper als solchem nicht zuzukommen braucht, ja sogar nicht zukommen kann, weil sie mit seinem Wesen völlig unvereinbar ist In dieser über das hier Erforderliche hinausgehenden Erkenntnis der Unmöglichkeit, die Bewußtheit wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Körper diesem zuzuschreiben, liegt nun freilich schon ein von dem Behmkeschen Yeränderungsgesetz völlig unabhängiger, dieses überflüssig machender, für sich völlig genügender Grund, den Materialismus als unmöglich abzuweisen. Hat man dieses Argument und seine Tragweite erkannt, so kann man füglich das ganze Behmkesche Yeränderungsgesetz und seine Konsequenzen auf sich beruhen lassen. Ist es unanfechtbar, so kann es doch den durch unser Argument schon vollständig getöteten Materialismus nicht noch toter machen, als er ohnehin schon ist; ist es anfechtbar, so bedeutet diese Anfechtbarkeit zwar tatsächlich keinen Gewinn für den Materialismus, aber es könnte doch der Schein er- weckt werden, als beruhe die ganze Widerlegung des Materialismus aufrecht anfechtbaren Voraussetzungen. Übrigens hat auch Behmke das von mir als entscheidend bezeichnete Argument der Unvergleich- lichkeit physischer und psychischer Vorgänge durchaus benutzt.*)

Der andere Ausweg, der bei Anerkennung des Behmkeschen Veränderungsgesetzes und Verzicht auf das unbewußte Psychische

1) Außenwelt und Innenwelt usw. S. 17.

2) z. B. S. 23 u. 32 seiner Psychologie, Die Seele des Menschen S. 16, 22. *

56 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismus.

m

noch übrig bleibt, besteht darin, daß man die Bewußtheit einem anderen Artbegriff als dem Psychischen unterordnet und sie mit anderen nichtpsychischen Bestimmtheitsbesonderheiten des ge- meinschaftlichen Artbegriffs abwechseln läßt Irgend ein gemein- schaftlicher Oberbegriff wird sich ja wohl schließlich in jedem Fall noch finden oder konstatieren lassen: zwei so völlig disparate Reale, daß sie gar keinem erdenklichen Oberbegriff untergeordnet werden könnten, gibt es garnicht Also kann dann auch das Nichtvor- handensein eines gemeinschaftlichen Oberbegriffs nicht der Grund sein, der einen derartigen aus anderen Oründen tatsächlich vielleicht doch nicht möglichen Wechsel von Bestimmtheiten unmöglich macht Ebenso allgemein wie die Begel ist auch die Möglichkeit vorhanden, ihr zu genügen. Wenn ein unmittelbar übergeordneter Allgemein- begriff nicht vorhanden ist, nimmt man eben einen entfernteren, man kann sicher sein, zuletzt einen zu finden. Hierfür kann man sich auf Behmke selbst berufen, der bei der Erörterung von seinem Yer- änderungsgesetz von anderer Seite entgegengehaltenen angeblichen Gegeninstanzen selbst für die heterogensten Dinge gemeinschaftliche Oberbegriffe nachzuweisen versteht*)

Auch Farbe, Gestalt und Ortsbestimmtheit, die Behmke für un- verlierbare Bestimmtheiten hält, weil es keine ihnen nebengeordneten Artglieder mehr gebe, können zwar aus anderen Gründen nicht mit- einander, wohl aber mit anderen Dingbestimmtheiten wechseln. Es läßt sich denken, daß ein Ding unter bestimmten Bedingungen für mit der Fähigkeit sinnlicher Wahrnehmung begabte Wesen wahrnehm- bar wird, d. h. in die Erscheinungswelt eintritt, unter anderen Be- dingungen aber wieder aus ihr entschwindet Dann hat es, insofern es erscheint, Ortsbestimmtheit, Gestalt und Farbe, die es aber, wenn es sich in die intelligible Welt zurückzieht, verliert und gegen andere, intelligible Bestimmtheiten austauscht und so ließe sich denn auch denken, daß die Bewußtheit oder Geistigkeit nur eine besondere Be- stimmtheit bedeutet, die gegen andere nebengeordnete und einem gemeinschaftlichen Oberbegriff untergeordnete besondere Bestimmt- heiten eingetauscht werden kann. Diese besonderen Bestimmtheiten wären körperliche oder materielle Bestimmtheiten und der ihnen mit allen geistigen Bestimmtheiten gemeinsame Oberbegriff wäre der des Zustands oder Attributs oder auch der des Seins überhaupt Denn geistiges und körperliches Sein, wie verschieden sie auch im übrigen

1) Wechselwirkung oder Parallelismus? S. 108, 109.

Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 57

sein mögen, stimmen doch darin überein, daß sie sind, Arten des Seienden darstellen; die Bestimmtheit der Bewußtheit und die übrigen dem Körper möglichen Bestimmtheiten, so unvergleichbar sie auch im übrigen sein mögen, haben, könnte man sagen, doch dies ge- meinsam, Bestimmtheiten, Modi, Zustände eines Realen zu sein.

Nur in einem Fall wäre diese Möglichkeit ausgeschlossen: wenn nämlich das geistige Sein oder das Bewußtsein nicht eine besondere Art oder Bestimmtheit des Seienden überhaupt, sondern eben das Seiende bedeutet, wenn es ein anderes als geistiges Sein überhaupt nicht gibt, sondern alles Sein = Bewußtsein ist. Alsdann bildet aber nicht das Behmkesche Yeränderungsgesetz, sondern die idealistische Wahrheit, daß alle Bealität Geistigkeit ist, das entscheidende Argument, das den Materialismus unmöglich macht und zugleich den von dem Reh mk eschen Gesetz noch gelassenen Ausweg verschließt. Diese Wahrheit ist aber allein schon genügend, den Materialismus zu wider- legen, das Reh mke sehe Yeränderungsgesetz bedeutet dagegen einen unnötigen, schließlich doch nur unter Zuhilfenahme und Voraus- setzung des idealistischen Argumentes zum Ziele führenden Umweg.

Daß es sich in der Tat so verhält, zeigen uns in sehr klarer und überzeugender Weise die Ausführungen Bergmanns im dritten und vierten Teile des Abschnittes »Seele und Leib« seines Buches: Untersuchungen über Hauptpunkte der Philosophie.^) Nachdem Berg- mann vorher die Voraussetzungen entwickelt hat, deren die »em- pirische« Auffassung der Seele als einer Bestimmtheit des Leibes zu ihrer Durchführung bedarf, zeigt er im vierten Teile, daß die empirische Auffassung metaphysisch doch nicht haltbar ist. Die Möglichkeit, daß ein Ding mehrere objektiv verschiedene Merkmale habe, hängt davon ab, daß diese Merkmale sämtlich einem und demselben Allgemeinen untergeordnet und in Beziehung aufeinander disparat sind (vgl. die Ausführungen S. 340 f.). Auch Eigenschaften, die ein Ding nachein- ander entfaltet, müssen dieser Bedingung genügen. Nun gibt es aber keine allgemeine Eigenschaft, die sowohl in »Bewußt« als in »Körperlich« enthalten wäre, folglich kann es auch kein Ding geben, welches mit der Eigenschaft der Körperlichkeit zugleich diejenige des Bewußtseins vereinigte, und so kann denn das Bewußtsein nicht eine Eigenschaft eines körperlichen Dinges sein. Aber weshalb kann »Be- wußt« und »Körperlich« nicht einem gemeinsamen Allgemeinen, etwa dem Begriff des Seins, untergeordnet werden? Deshalb nicht, sagt

1) S. 362f.

58 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegung des Materialismus.

Bergmann, weil Bewußtsein eben das Sein ist imd es ein anderes Sein als Bewußtsein garnicht geben kann. Hier ist also das entscheidende, zur Widerlegung der materialistischen Ansicht benutzte Argument die idealistische Erkenntnis, daß alles Sein Bewußtsein, das Körperliche aber lediglich Erscheinung für ein Bewußtsein ist. Aus ihr ergibt sich sofort, daß das Bewußtsein nicht eine Eigenschaft des Leibes sein kann. Eine Folge des idealistischen, die Unmöglichkeit des Materialismus schon in sich schließenden Standpunktes ist es auch erst, daß »Körperlich« und »Bewußt« nicht unter einen gemeinschaftlichen Oberbegriff gebracht werden können. Dieses Kriteriums bedarf ich also nicht erst, um die Falschheit des Materialismus zu beweisen; ich kann mich seiner in diesem Falle aber nur unter Zuhilfenahme einer Erkenntnis bedienen, welche die Unmöglichkeit dessen, was ich durch es als unmöglich erweisen will, schon in sich schließt und vorwegnimmt Denn daß unabhängig von der Erkenntnis und An- erkenntnis der These des Idealismus das Prinzip: Eigenschaften, die nicht unter einen gemeinschaftlichen Oberbegriff zu bringen sind, können nicht in einem Dinge miteinander vereinigt sein, im gegebenen Falle als "Waffe gegen den Materialismus völlig versagt, gibt Berg- mann durchaus zu: wenn man den Körper für etwas Primär -Wirk- liches hält, kann man den Oberbegriff Sein auf beide, Körper und Geist, anwenden und wird dann durch jenes Prinzip nicht gehindert, das Bewußtsein als eine Eigenschaft des Leibes aufzufassen.

Aber aus anderen Gründen wird man, auch wenn man den Körper für etwas an sich Existierendes hält, diese Auffassung doch unmöglich finden. Jenes Prinzip ist ja schließlich bloß negativ. Was ihm widerspricht, erklärt es für unmöglich; was aber mit ihm über- einstimmt, kann doch aus anderen Gründen unmöglich sein. Diese anderen Gründe sind in unserem Falle vorhanden: die Unvergleich- lichkeit des Physischen und des Psychischen und die Einheit des Bewußtseins machen es unmöglich, das Geistige als eine Eigenschaft eines materiellen Systemes, wie der Leib ein solches darstellt, an- zusehen.

Kann ich aber auch aus den angeführten Gründen mich nicht mit allen von den Gegnern des Materialismus gebrauchten Argumenten einverstanden erklären: in der Hauptsache, der Erkenntnis der Un- möglichkeit der Ansicht, daß das Geistige ein Ergebnis körperlicher Vorgänge sein könne bin ich mit den Männern, die sich ihrer be- dienten, einverstanden, und diese Übereinstimmung hinsichtlich des Resultats ist für mich natürlich sehr viel wichtiger, als die Differenz

Zweites Kapitel. Metaphysisch -psyohologische Widerlegung. 59

hJnsiGhtlich einiger der Wege, es zu erreichen. Irre ich mich in dem, was ich gegen die letzteren geltend gemacht habe, werden die Argu- mente durch das, was ich gegen sie vorgebracht, nicht getroffen, am so besser. Bestehen aber meine Bedenken zu Recht, so wird doch das Ziel, die Widerlegung der materialistischen These, dadurch nicht gefährdet

3. Oben (S. 13) haben wir noch einen dritten Typus des Materia- lismus unterschieden : das Psychische ist eine Begleiterscheinung des Physischen, mit diesem untrennbar verknüpft In Wahrheit bedeutet nun freilich diese Formulierung des materialistischen Grundgedankens das Aufgeben desselben; da sich die Materialisten aber ihrer bedienen, darf sie hier doch nicht unerwähnt bleiben. Sie fehlt natürlich nicht bei Büchner, bei dem ja alle Formulierungen im schönsten Durch- einander beisammen sind. »Denken und Ausdehnung«, sagt er im Kapitel: Gehirn und Seele, »können daher nur als zwei Seiten oder Erscheinungsweisen eines und desselben einheitlichen Wesens be- trachtet werden.«

Auch Dubois-Beymond spricht sich wiederholt dahin aus, daß die geistigen Vorgänge Begleiterscheinungen der Gehimprozesse sind,^) ohne doch diese Auffassung von der anderen, gleichfalls von ihm vertretenen, daß sie das Ergebnis der Gehirnprozesse seien, genügend zu trennen.

An die Stelle einer eigentlichen Widerlegung tritt nun bei diesem Typus die Belehrung, daß die in ihm enthaltene Behauptung gar nicht mehr materialistisch ist, sondern die parallelistische Auffassung aus- drückt. Daß psychische Vorgänge stets mit physischen verbunden sind, braucht auch, wer auf anderem als materialistischem Standpunkte steht, nicht zu leugnen; daß sie die physischen Vorgänge begleiten, ihnen parallel gehen, behauptet der psychophysische Parallelismus eben im Gegensatz zum Materialismus. Und natürlich liegt die Sache so, daß, wenn die psychischen Prozesse die physischen begleiten, ihnen parallel gehen, sie weder selbst physische Prozesse noch Wirkungen solcher sind, daß also von Materialismus hier gar keine Bede mehr ist In der Form, in der die Materialisten den Parallelismus der geistigen und physischen Vorgänge auffassen, derzufolge die physischen Vorgänge doch die eigentlich realen sind , das physische Geschehen das wirkliche Geschehen bedeutet, während die psychischen als bloße Be-

1) a. a. 0. S. 40, 41, 48/49 (der rekonstraierte Caesar), 8. 69, 89, 100.

60 Zweiter Abschnitt Die WiderlegUDg des MateriaUsmus.

gleiterscheinungen nebenherlaufen, entspricht er freilich auch nicht der wahren parallelistischen Auffassung, welche, wenn nicht dieSuperi- orität des Psychischen, so doch mindestens die volle Oleichberechtigung der Parallelglieder fordert Der in parallelistischer Verkleidung auf- tretende Materialismus entspricht einer mit dem Materialismus koket- tierenden Form des Parallelismus, die mit dem wahren Begriff des- selben ebensowenig vereinbar ist wie dieser Pseudomaterialismus mit dem echten Materialismus. Man kann daher auch sagen, daß der parallelistische Materialismus oder der materialistische Parallelis- mus eine unmögliche Zwischenstufe bedeutet, die man, freilich ver- geblich, zwischen den Materialismus und den Parallelismus noch ein- zuschieben versucht, und auf der alle diejenigen, welche nicht Materialisten heißen möchten, vor einem offenen Bekenntnis des parallelistischen Standpunktes um der Eonsequenzen desselben willen aber auch zurückscheuen, sich ansiedeln, in der törichten Hofl&iung, auf diese Weise dem Entweder Oder ausweichen zu können. Wir werden später, bei der Darlegung und Prüfung des parallelistischen Standpunktes, auf diese Auffassung näher einzugehen haben: hier ge- nügt der Nachweis, daß sie, wenn nicht echt parallelistisch, so jeden- falls auch nicht wahrhaft materialistisch mehr ist

Damit hätten wir unsere Prüfung des Materialismus beendet Das Ergebnis ist, daß der Materialismus ein in jeder Form, die er an- nehmen mag, unhaltbarer, in sich widerspruchsvoller und unmöglicher Standpunkt ist Daß man die gegen ihn vorgebrachten Argumente mit Erfolg beanstanden könne, steht nicht zu befürchten; eher wird man vielleicht ihre Ausführlichkeit tadeln und verwundert fragen, warum man denn mit einem so unphilosophischen und unwissenschaft- lichen Standpunkte noch so viele Umstände mache. Demgegenüber dürfte aber doch die eindringliche Warnung am Platze sein, den Materialismus nicht als qtuintiU n^gUgeable zu betrachten: solche Sorglosigkeit könnte sich bitter rächen.

Daß sich die Naturwissenschaft zurzeit durchaus ablehnend gegen ihn verhält, verhindert gar nicht, daß sie ihn zu anderen Zeiten einmal wieder auf den Schild erhebt Auch der Yitalismus war schon einmal von der Naturforschung völlig aufgegeben worden, trotzdem gewinnt er wieder Boden. Die Oefahr, daß der Materialismus einmal wieder zur Herrschaft gelange, ist aber sogar größer. Denn als Forschungsprinzip ist er für die Naturwissenschaft tatsächlich unent- behrlich: sie forscht, denkt und erklärt materialistisch. In dem Materialismus als Forschungsmaxime ist aber der Materialismus als

Zweites Kapitel Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 61

Weltanschauung latent enthalten; die Möglichkeit, daß er aus einer bloßen Maxime der Forschung eine Weltanschauung werde, ist immer vorhanden. Die Anschauung, aus der er seine größte Kraft schöpft, fordert in verlockender Weise dazu auf, und es bedarf jederzeit großer Besonnenheit und der vollen Aufmerksamkeit auf alle gegen den Materialismus in Betracht kommenden Gründe, um der Verlockung zu widerstehen und sich vor der »seltsamsten« aber trotzdem gar nicht so seltenen Verirrung des menschlichen Geistes, welche der Materialismus nach Lotze bedeutet, zu bewahren. Deshalb ist es nützlich, die Argumente, welche diese seltsame Neigung, die den Tod aller wahren Philosophie bedeutet, als Yerirrung erweisen, immer aufs neue zu wiederholen, und daher habe ich Ausführlichkeit in der Dar- legung derselben nicht gescheut Ich schließe diese Betrachtungen mit den schönen, den Materialismus als eine Yerirrung so treffend kenn- zeichnenden Worten Lotz es: »Unter allen Yerirrungen des mensch- lichen Geistes ist diese mir immer als die seltsamste erschienen, daß er dahin kommen konnte, sein eigenes Wesen, welches er allein un- mittelbar erlebt, zu bezweifeln oder es sich als Erzeugnis einer äußeren Natur wieder schenken zu lassen, die ^wir nur aus zweiter Hand, nur durch das vermittelnde Wissen eben des Geistes kennen, den wir leugneten.«^)

1) Mikrokosmus Bd. I. 3. Aufl. S. 296.

Zweiter Teil.

Psychophysische Wechselwirkung

oder

psychophysischer Parallelismus?

Erster Abschnitt

Der psychophysische ParaUelismus.

Müssen wir von dem Materialismus um seines unphilosophischen und widerspruchsvollen Charakters willen absehen, so stehen sich nach dem S. 9 Gesagten hinsichtlich der Frage nach dem Yerhältnis von Leib und Seele noch zwei Standpunkte gegenüber: Der Dualis- mus, welcher neben den rein physischen und den rein psychischen Eausalitätsverhältnissen auch noch psycho-physische Eausalitäts- Verhältnisse zuläßt und annimmt^ und der Parallelismus, welcher, psychophysische Kausalität leugnend, den psychophysischen Zusammen- hang als ein bloßes Nebeneinander, ein Parallelgehen physischer und psychischer Prozesse auffaßt. Dererstere, welcher Geistiges und Körper- liches sich wechselseitig beeinflussen läßt, wird deshalb auch als Lehre von der Wechselwirkung zwischen Geist und Körper oder auch kurz als Wechselwirkungstheorie bezeichnet; auch für den Paralle- lismus oder, in genauerer Ausdrucksweise, den psychophysischen Parallelismus gibt es noch eine Reihe anderer Bezeichnungen, die aber, weil sie speziellere, mit dem Parallelismus verbundene An- schauungen betreffen, hier noch nicht erwähnt zu werden brauchen. Zu dem um diese beiden Standpunkte entbrannten Streit Stellung zu nehmen, ihn womöglich zu entscheiden, bildet, wie schon früher be- merkt, die Hauptaufgabe dieses Buches. Wir wollen daher nunmehr beide einer umfassenden, ihre Behauptungen sowohl wie deren Be- gründungen, Tragweite und Konsequenzen berücksichtigenden kriti-

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismtis. Echte nnd unechte Formen. 63

sehen Prüfung unterziehen, um, Vorteile und Nachteile eines jeden sorgfaltig abwägend, eine Entscheidung zu treffen. Wir beginnen mit dem Parallelismus.

Erstes Kapitel. Die Formen des ParalleliBmns. Echte und unechte Formen.

Der charakteristische Grundgedanke des psjchophysischen Paralle- lismus, welcher allen seineu Schattierungen gemeinsam ist, be- steht, wie nochmals kurz heryorgehoben sein möge, in der Be- hauptung, daß psychische und physische Vorgänge voneinander unabhängig sind in dem Sinne, daß sie nicht auseinander abgeleitet, nicht aufeinander zurückgeführt werden können, und daß sie ein- ander parallelgehen, ohne irgendwie kausal aufeinander einzuwirken. Nun wiederholt sich aber beim psychophysischen Parallelismus der Vorgang, den wir beim Materialismus beobachtet haben: er tritt uns nicht in einer einzigen, abgeschlossenen und eindeutigen Oestalt entgegen, sondern es lassen sich verschiedene Formen oder Typen des Parallelismus unterscheiden, welche, Variationen über dasselbe Thema darstellend, den Orundgedanken desselben in verschiedener Weise zum Ausdruck bringen. Und auch hier gilt, wie beim Materia- lismus, daß nicht alle von den Anhängern des Parallelismus ver- tretenen Formulierungen dem Oeiste des psychophysischen Paralle- lismus konform und mit dem Prinzip desselben vereinbar, und da durchaus nicht alle Vertreter des Parallelismus über diese verschiedenen Formen, ihren Unterschied und ihr Verhältnis zu einander, sowie über ihre Vereinbarkeit mit dem Prinzip des Parallelismus im klaren sind. Wollen wir uns daher ein endgültiges Urteil über Recht und Unrecht des psychophysischen Parallelismus bilden, so werden wir die einzelnen Formen des Parallelismus unterscheiden und an ihnen zunächst immanente Kritik üben, d. h. untersuchen müssen, ob sie mit dem Grundprinzip des Parallelismus vereinbar sind. Die- jenigen Typen, bei denen das nicht der Fall ist, sind dann als un- echte auszuscheiden, so daß die endgültige kritische Entscheidung über den psychophysischen Parallelismus es nur mit den übrigblei- benden echten Repräsentanten desselben zu tun hat.

Die verschiedenen Ausprägungen des psychophysischen Parallel- prinzips unterscheiden sich nach drei Hauptgesichtspunkten vonein- ander, die ich kurz als solche der Modalität, der Quantität und der Qualität bezeichnen möchte.

64 Erater Abschnitt. Der psyohophysische Parallelismus.

Bei 4er Modalität handelt es sich sozusagen um eine Bangfrage, nämlich um die Stellung, welche dem Parallelprinzip in der Bang- ordnung unserer Erkenntnisse zuzuweisen ist Es stehen sich in dieser Beziehung zwei Auffassungen gegenüber, von denen die eine in dem psjchophysischen Parallelismus lediglich eine Maxime der empirischen Forschung, ein regulatives Prinzip erblicken, die endgültige Feststellung des Verhältnisses von Geist und Körper, Seele und Leib aber der Metaphysik überlassen will, die andere dagegen in ihm die endgültige Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis von Seele und Leib selbst schon zu besitzen glaubt und daher dem psychophysischen Parallelismus die Bedeutung einer metaphysischen Lehre bezw. einer solchen zuschreibt, welche die Metaphysik bei ihrem Versuche, die Frage nach dem Wesen der Dinge abschließend zu beantworten, un- bedingt respektieren muß.

unter dem Gesichtspunkte der Quantität haben wir den sogen, partiellen und den universellen Parallelismus zu unterscheiden. Der erstere läßt zwar allen psychischen Vorgängen auch physische, aber nicht umgekehrt auch allen physischen Vorgängen psychische Prozesse korrespondieren, sondern beschränkt die psychischen Parallel- glieder auf die Erscheinungen des bewußten tierischen und mensch- lichen Geisteslebens. Der universelle Parallelismus hält dagegen an der durchgängigen Korrespondenz physischer und psychischer Vorgänge fest, läßt also wie jedem psychischen Prozeß einen phy- sischen, so auch jedem physischen Prozeß einen psychischen ent- sprechen und füllt die Lücken der psychischen Beihe durch Zuhilfe- nahme hypothetischer unterbewußter oder unbewußter psychischer Vorgänge aus.

Nach der Qualität endlich unterscheiden wir den materia- listischen, realistisch-monistischen, idealistisch-monisti- schen und dualistischen Parallelismus. Der zuerst genannte ist der Standpunkt der sogen, materialistischen Psychologie. Charakte- ristisch für ihn ist die Leugnung einer der physischen Kausalität auf psychischer Seite entsprechenden psychischen Kausalität. Nur die Glieder der physischen Beihe sind untereinander kausal ver- bunden, zwischen ihren psychischen Begleiterscheinungen dagegen findet keinerlei Kausalitätsverhältnis statt Demnach erscheint die physische Beihe doch als die primäre. Mit ihr allein hat es die wissen- schaftliche, auch die psychologische Forschung zu tun, sie allein be- sitzt sozusagen wissenschaftlichen Wirklichkeitswert Die psychischen Begleiterscheinungen sind Epiphänomene, Schattenbilder der wahrhaft

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismos. Echte und unechte Formen. 65

»wirklichen« physiologischen Vorgänge. Nach der realistisch- monistischen Interpretation des Farallelismus sind dagegen die physischen und psychischen Vorgänge zwei gleich wirkliche oder auch gleich phänomenale, jedenfalls aber gleichen Wirklichkeitswert be- sitzende Seiten eines und desselben Realen, dessen Natur es eben ist, sich immer in diesen beiden einander durchweg entsprechenden Formen darzustellen. Wiederum der idealistisch-monistische Farallelismus schreibt der psychischen Reihe allein wahrhafte Realität zu und macht die Glieder der physischen Reihe zu bloßen Phänomenen, behauptet also einen Parallelismus physischer Erscheinungen und geistiger, realer Vorgänge. Insofern bildet dieser Standpunkt den größten, innerhalb des Parallelismus selbst möglichen Gegensatz zu dem der materialistischen Psychologie. Der dualistische Parallelismus endlich betrachtet die physische und die psychische Reihe als zwei gleich ur- sprüngliche und gleich reale, jederzeit einander entsprechende aber nie einander beeinflussende Faktoren der Wirklichkeit, ohne sie, wie beim monistischen Parallelismus, auf ein einziges identisches Reale zu reduzieren. Die Spaltung der Welt in ein Reich des geistigen und ein solches des körperlichen Geschehens wird hier also als eine ursprüng- liche, definitive und unauf hebbare angesehen, wir haben es auf diesem Standpunkte nicht mit einem provisorischen und vorübergehenden, sondern mit einem metaphysischen und absoluten Dualismus zu tun. Überhaupt sind es unterschiede der metaphysischen Weltanschauung, welche den verschiedenen Fassungen des Parallelprinzips imter dem Oesichtspunkte der Qualität zu Grunde liegen und sie bedingen. Der materialistische Parallelismus neigt, indem er der physischen Reihe größere metaphysische Realität und ihr allein Kausalität zuschreibt, zu einer materialistischen Metaphysik, der realistisch- monistische Parallelismus stellt sich als metaphysische Identitätslehre dar, der idealistisch-monistische Parallelismus repräsentiert eine spiritualistische Metaphysik und der dualistische, wie bemerkt, einen metaphysischen Dualismus.

Die von uns unter verschiedenen Gesichtspunkten unterschiedenen Standpunkte können nun noch in verschiedener Weise miteinander kombiniert werden. Aber nicht jeder läßt sich mit jedem kombi- nieren, sondern während zwischen einigen eine natürliche Af&nität besteht, schließen sich andere ebenso naturgemäß aus. So besteht zwischen der Auffassung des Parallelprinzips als Maxime empirischer Forschung und dem partiellen Parallelismus eine natürliche Verwandt- schaft Wer aus unüberwindlicher Scheu vor allem, das nur entfernt

Busse I Geist und KOxper, Seele mid Leib. 5

66 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismas.

wie Metaphysik aussiebt, dem Farallelismus keine andere Bedeutung als die einer bloßen Maxime empirischer Forschung zugestehen will, wird auch in Bezug auf den dem Paralleiprinzip einzuräumenden Umfang sich dem vorsichtigen, dasselbe auf die unmittelbarer Be- obachtung zugänglichen psychischen Erscheinungen einschränkenden partiellen Parallelismus anschließen, den universellen Parallelismus aber als metaphysisch ablehnen. Umgekehrt ziehen sich der meta- physische und der universelle Parallelismus gegenseitig an; wer die universelle Ausdehnung des parallelistischen Prinzips behauptet, spricht damit eine metaphysische Behauptung aus.

Der partielle Parallelismus braucht sich nicht mit dem empi- rischen Parallelismus zu identifizieren und braucht sich auch mit keiner der metaphysischen Interpretationen des Parallelprinzips soli- darisch zu erklären. Er wird, wenn er sich mit dem empirischen Parallelismus verbindet, mit den übrigen metaphysischen Typen auch den materialistischen ablehnen; andererseits hat er eine natürliche Neigung, sich die materialistische Auffassung des Parallelprinzips zu eigen zu machen: der partielle Parallelismus führt eigentlich unaus- weichlich zum materialistischen und der materialistische Parallelismus ist eo ipso ein partieller. Wer in dem Parallelismus eine meta- physische Theorie oder doch eine Theorie, die auch von der Meta- physik respektiert werden muß, erblickt, wird sich dagegen in quantita- tiver Hinsicht zum universellen Parallelismus hingezogen fühlen und in Bezug auf die Qualität die Auswahl haben zwischen monistischer, idealistischer und dualistischer Metaphysik, welche alle drei mit der universellen Ausdehnung des Parallelprinzips vereinbar erscheinen. Dagegen wird ein universeller Parallelist schwerlich zugleich den materialistischen Parallelismus vertreten, als welcher mit dem partiellen Parallelismus in einem Afifinitätsverhältnis steht ^)

1) Vgl. zu dieser Einteilung des Parallelismas die Darstellung bei Wen ts eher , Der psychophys. Parallelismus in der Gegenwart, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Kr. Bd. 116 S. 104—110, £rhardt, die Wechselw. zw. Leib u. Seele S. 16 23, sowie: Psycho- phys. Parall. u. erkenntnistheoret Idealismus. Leipzig 1900. (S.-A. aus Zeitsohr. f. Phil. u. phil. Kr. Bd. 116), Stumpf, Eröffnungsrede z. TU. int Kongr. f. Psych, in München, 1896, S. 7. Wundt, über psych. Kaus. u. d. Prinzip d. psychophys. Parall. Phil. Studien Bd. X. Mohilewer, Wundts Stellung zum psychophysischen Parallelismus, I.-D., Königsberg 1901, S. 17 19. Aars, The parallel relatioB between the souI and the body, Yidensskabsselskabets Skrifter n, Christiania 1898^ sowie meinen Aufsatz: Leib und Seele, S. 2 u. 3 u. S. 10. Ed. v. Hart mann bezeichnet den realistisch -monistischen (sowie den dualistischen) Parallelismus als Koordinationsparalielismus und stellt ihm den Subordinationsparallelismus gegenüber.

Erstes Kapitel. DieForineD des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 67

Indessen schweben alle diese Kombinationsmöglichkeiten und die Gründe, welche hier für, dort gegen eine Kombination zu sprechen scheinen, völlig in der Luft, solange nicht der Anspruch der ein- zelnen Typen, vollgültige Repräsentanten des parallelistischen Grund- gedankens zu sein, geprüft und über Berechtigung oder Nichtbe- rechtigung desselben entschieden worden ist Diese Prüfung wollen wir jetzt vornehmen. Es handelt sich, wie nochmals bemerkt werden möge, vorderhand lediglich um eine immanente Kritik der ver- schiedenen Formen des Farallelismus, also um eine Entscheidung darüber, ob sie mit dem Grundprinzip des Parallelismus vereinbar, dem Geiste des Parallelismus konform sind oder nicht Wir wollen die Prüfung nach der Reihenfolge der Gesichtspunkte vornehmen, nach denen wir den Parallelismus in seine Unterarten eingeteilt haben: der Modalität, Quantität und Qualität

1. Modalitat »Empirischer« und »metaphysischer« Farallelismus.

Wie bereits dargelegt, handelt es sich hier darum, ob der psycho- physische Parallelismus als ein rein empirisches Prinzip, d. h. eine bloJSe »Arbeitshypothese« oder Maxime empirischer Forschung, als ein regulatives Prinzip im Sinne Kants anzusehen ist, das als solches keinerlei Anspruch auf metaphysische Gültigkeit hat, sondern die endgültige Feststellung des Verhältnisses des Geistigen zum Körper- lichen der Metaphysik (sofern und soweit eine solche möglich ist) überläßt, oder ob er eine darüber hinausgehende allgemeine Be- deutung in Anspruch nehmen darf, ob er selbst eine metaphysische und dogmatische Beantwortung einer metaphysischen Frage ist, mit- hin die definitive Löung des psychophysischen Problems selbst be- deutet Auf den ersteren Standpunkt stellen sich, jeder in besonderer Weise, xl a. Wundt und Münsterberg, während Metaphysiker wie Fechner und Paulsen den Parallelismus als eine metaphysische Lehre bezw. als eine dogmatische Ansicht betrachten, welche für die Ausgestaltung unserer metaphysischen Anschauungen von ausschlag- gebender Bedeutung ist Es erscheint mir nun unzweifelhaft, daß die Auffassung, welche Paulsen und Fechner vom psychophysischen

dessen charakteristische Eigentümlichkeit darin besteht, daß er die eine Reihe als bloße Erscheinung der anderen als der realen unterordnet Er ist je nachdem idealistischer (=3 idealistisch- monistischer) oder materialistischer Subordinationsparallelismus. Den letzteren bezeichnet er wohl auch als physiologischen oder als subordinationsparalle- listischen Materialismus. (Moderne Psychologie, Lpz. 1901, 8. 350, 430 u. a.)

68 Erster Abschnitt Der psychophysisohe Parallelismiis.

Parallelismos haben, die richtigere, ja die einzig mögliche ist Der Farallelismus kann nur in Form einer metaphysischen oder natarphilo- sophischen, d. h. einer dogmatischen Lehre über das Verhältnis des Gei- stigen und Körperlichen vertreten werden. Er muß auf dogmatischen Wahrheits- und Geitungsgrad Anspruch machen, will er sich nicht selbst verleugnen. Jede Herabsetzung des Parallelismus zu einem lediglich methodologischen Prinzip, zu einer bloßen Arbeitshypothese ist mit dem Geist des Parallelismus nicht vereinbar, hebt ihn selbst au£

In einem Sinne freilich kann auch ich der parallelistischen Theorie (ebenso wie der der Wechselwirkung) keinen metaphysi- schen Wahrheitsgehalt zuerkennen. Wer in metaphysischer Hinsicht auf spiritualistischem Boden steht, also die Materie als etwas im meta- physischen Sinne Wirkliches nicht anerkennt, wird natürlich auch kein metaphysisches Verhältnis von Geistigem und Körperlichem, sei es der Wechselwirkung, sei es der bloßen Parallelität, annehmen können. Um die Frage, wie dieses Verhältnis zu denken sei, überhaupt auf- werfen zu können, müssen wir unsere spiritualistische Metaphysik beiseite schieben und dem körperlichen Sein die gleiche Realität zu- schreiben wie dem geistigen. Aber diese Leugnung einer meta- physischen Bedeutung des Parallelismus bedeutet etwas ganz anderes, als die Wund t- Münster b er gsche Reduktion desselben auf ein bloß methodologisches Prinzip, auf eine bloße Arbeitshypothese. Denn hier stehen wir bereits auf einem ganz bestimmten metaphysischen Stand- punkte und urteilen nun von diesem bestimmten Standpunkte aus, daß der Parallelismus als Metaphysik nicht zulässig sei. Wir weisen ihn als eine falsche Metaphysik ab, nicht aber sprechen wir ihm von vornherein jeden metaphysischen Charakter ab. Eine meta- physische Theorie, die sich schließlich als unhaltbar erweist, hört doch darum nicht auf, eine metaphysische , d. h. auf das Gebiet der Meta- physik sich beziehende und dort zu erörternde Theorie zu sein, auch eine falsche Metaphysik ist Metaphysik. Als eine bloße Arbeits- hypothese hätte dagegen der Parallelismus gar keine Beziehung irgend welcher Art zur Metaphysik. Weder hätte er sich um die Art und Weise, wie die Metaphysik das Wesen des Geistes und des Körpers und ihr gegenseitiges Verhältnis auffaßt, im geringsten zu kümmern, noch brauchte die Metaphysik bei ihren Versuchen, die Natur des Geistes und der körperlichen Dinge und ihre Beziehungen zu einander zu bestimmen , auf ihn irgend welche Rücksicht zu nehmen. Sie hätte vollständig freie Hand, der Parallelismus wäre für die Metaphysik überhaupt nicht vorhanden.

Eistes Kapitel. Die Fonnen des Parallelismüs. Echte und imeohte Formen. 69

Ich yersache nun den Nachweis, daß nur die Ansicht, welche der parallelistischen Theorie eine metaphysische bezw. naturphilo* sophische, d. h. eine für die Metaphysik maßgebende Bedeutung zu- schreibt, wahrhaft parallelistisch ist, die Auffassung des Parallelprinzips als einer bloßen Arbeitshypothese aber einen mit dem Geist des Paralle- lismus nicht vereinbaren Pseudoparallelismus darstellt

Was haben wir eigentlich darunter zu verstehen, daß die paralleli- stische Auffassung eine bloße Arbeitshypothese sei? Soll der Terminus lediglich die Ansicht ausdrücken, daß überhaupt regelmäßige, durch experimentelle Versuche feststellbare Beziehungen zwischen den phy- sischen Vorgängen im Körper und den seelischen Prozessen be- stehen? In diesem Fall haben wir es nicht mehr mit einer paralleli- stischen Ansicht zu tun. Denn über das Vorhandensein solcher Beziehungen sind sich der Parallelismus und die Wechselwirkungs- theorie ganz einig, sie bildet die gemeinschaftliche Voraussetzung, auf deren Boden sie beide stehen. Nur über den Umfang dieses gesetz- lichen psychophysischen Zusammenhanges und über die Art und Weise, wie er aufzufassen ist, ob als ein bloßes Parallelgehen oder als ein kausales Ineinandergreifen der beiden, herrscht Streit^) Soll aber der »empirische« Parallelismus bedeuten, daß man die gesetz- mäßigen Beziehungen zwischen den körperlichen und den seelischen Vorgängen im Sinne eines bloßen Parallelgehens beider auffassen und zugleich diese Auffassung lediglich als eine bloße Maxime der Forschung ansehen will, so müssen wir auch diese Formulierung als mit echtem Parallelismus unvereinbar und überdies in sich selbst widerspruchsvoll zurückweisen. Denn steUt man sich emsüich auf den Standpunkt, die parallelistische These lediglich als eine vor- läufige, der Forschung eine gewisse provisorische Grundlage schaf- fende methodologische Annahme anzusehen, so muß man es kon- sequenterweise völlig dahingestellt sein lassen, ob diese vorläufig gemachte Annahme auch noch bei umfassenderer Prüfung als eine definitive und endgültige beizubehalten ist. Wer auf diesem Stand-

1) Vgl. Wentscher, Über phys. u. psych. Eaus. u. d. Prinzip d. psychophys. ParalL, Lpz. 1896, S. 2. Derselbe, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Kr. Bd. 116, S. 105. Erhard t, die WechselwirkuDg eto. S. 23. Rehmke, Außenwelt and Innenwelt, Leib u. Seele, Oreifswald 1898, S. 24. Mohilewer, a. a. 0. S. 22. Gutberiet, Der Kampf um die Seele, Maiuz 1899, 8. 143 Anm. Hart mann, Mod. Psych., Lpz. 1901, S. 406. H. bemerkt sehr richtig, daß alsdann Parallelität eine »in jeder Hinsicht wenig zutreffende und leicht irreführende Bezeichnung für das gesetzmäßige Yerhältnis der Glieder beider Reihen zu einander c ist.

70 Erster Abschnitt. Der psychophydsche Parallelismus.

punkt steht, muß die Möglichkeit zugeben, daß die definitive Formu- lierung des Verhältnisses von Geistigem und Eörperlichem in anderem als parallelistischen, also etwa auch im Sinne der Wechselwirkungs- theorie zu erfolgen habe.^) Einen solchen Parallelismus würden natür- lich auch die Anhänger der Wechselwirkungslehre ruhig zulassen können, da zwischen ihm und der Wechselwirkungsiehre ja gar kein Gegensatz besteht Eine Anschauung, die gar keinen Anspruch darauf macht, eine wahrhafte oder auch nur wahrscheinliche') Darstellung des wirklichen Verhältnisses psychischer und physischer Vorgänge zu sein, die für sich selbst nur die Bedeutung, eine für die Praxis der Forschung brauchbare Fiktion zu sein, in Anspruch nimmt, ist kein Gegner, den die Wechselwirkungstheorie zu bekämpfen Veranlassung hätte. ^) Sie, die ihrerseits die wahrhafte Auffassung der psychophy- sischen Beziehungen zu vertreten behauptet, würde eben dem »em- pirischen« Parallelisten erwidern: Die Annahme, die als endgültige acceptieren zu müssen auch du für möglich hältst, hat sich mir aus diesen und jenen Gründen als die allein wahre bereits herausgestellt; die Frage nach dem Verhältnis von Leib und Seele muß also, soll sie definitiv beantwortet werden, im Sinne der Wechselwirkungslehre

1) Ihn vertritt z. B. James. Der Parallelismas bedeutet ihm »oertainly only a proYisioDal halting place.« (E^. of Ps. I. S. 182). Er ist aber auch konsequent genug, zuzugestehen, daß »things must some day be more thoroughly thought out« (Ebendaselbst) und daß, wenn man die Dinge gründlicher durchdenkt, die An- nahme einer mit dem Körper in Wechselwirkung stehenden Seele das meiste für sich hat, wird S. 181 und 182 ausdrücklich gesagt. Immerhin ist auch bei James ein gewisses Schwanken zwischen bloß empirisch -provisorischer und definitiver An- nahme des Parallelismus sowie zwischen pluralistischer und substanzialistischer Auf- fassung der Psyche nicht verkennbar. Vgl. darüber Ladd, Ph. of Mind S. 23 27.

2) So Heymans, der den Parallel ismus zwar nicht als eine absolute, aber doch als die »höchste zur Zeit erreichbare, der Gesamtheit des Gegebenen am engsten sich anschließende Wahrheit« betrachtet (Zur Parallelismusft*age, Zeitschr. f. Psychol. u. Physich der Sinnesorgane Bd. XYII, S. 84). Heymans kann daher nicht als Vertreter des »empirischen« Parallelismus angesehen werden. Zwischen dem Yorsichtigen Zugeben der Möglichkeit einer Korrektur der zur Zeit die meiste Wahrscheinlichkeit für sich habenden Theorie und der Behauptung, daß, was man Torlege, überhaupt gar keine Theorie, sondern nur ein praktisches Hilfsprinzip der Forschung sein solle, besteht doch ein sehr großer unterschied.

3) Vgl. Rickert, Psychophys. Kausalität u. psychophys. Parallelismus, in: PhiL Abhandlgen., Sigwart gewidmet, Tübingen 1900, S. 65. »Der Paralleiismus in diesem Sinne . . kommt hier für uns gamicht in Betracht, weil er von vorn- herein auf eine Ersetzung der psychophysischen Kausalität verzichten, ja die Frage nach der kausalen Bedingtheit des Psychischen überhaupt zum mindesten offen lassen muß.«

Erstes Kapitel. Die Formen des PArallelismiis. Echte und unechte Formen. 71

«

beantwortet werden. Das hindert mich aber nicht, dir zu gestatteii, der Erforschung der psychophsyischen Beziehungen im einzelnen die parallelistische Auffassung als heuristisches oder regulatives Prinzip, als eine praktisch -nützliche und fruchtbare Fiktion zu Grunde zu legen und dein Glück damit zu versuchen. Damit wäre denn der Streit zwischen dem Parallelismus und der Theorie der Wechselwirkung aufs schönste erledigt, und zwar zu Gunsten der letzteren. Denn in dem so zu Stande gebrachten Kompromiß sind so ziemlich alle Vorteile auf ihrer Seite. Sie wäre die endgültige, dauernd sich behauptende Ansicht, während der Parallelismus bloß geduldet wird als eine untergeordnete, vorläufige, später durch eine vollkommnere zu ersetzende Ansicht, als ein eigentlich nicht ernst zu nehmendes Provisorium, als eine aus prak- tischen Gründen innerhalb gewisser Grenzen zu tolerierende Fiktion. Ein Parallelismus, der sich zu einem derartigen Nichts herunter- drücken läßt oder sich selbst freiwillig mit einer solchen Schein- existenz begnügt, hört aber auf, Parallelismus zu sein. Gebe ich die Möglichkeit, die Wechselwirkungslehre als die wahre und endgültige Auffassung des Verhältnisses von Geist und Körper anzuerkennen, zu, so gebe ich damit den Parallelismus preis. Zum Parallelismus gehört als von ihm nicht abtrennbarer Gedanke die Leugnung der Möglichkeit psychophjsischer Wechselwirkung. Sie gehört zu seinem Wesen, mit ihr steht und fallt er: der Parallelismus muß dogmatisch sein oder garnicht sein. Wie immer auch schließlich an höchster metaphysischer Stelle über das Verhältnis geistiger und körperlicher Wirklichkeit zu einander geurteilt werden möge: der Parallelismus, will er sich nicht aufgeben, wird unter allen umständen dagegen Verwahrung einlegen müssen, daß es im Sinne psychophysischer Wechselwirkung geschehe: die nicht nur vorläufige, sondern definitive und unbedingte Ablehnung der Wechselwirkungslehre ist für den Parallelismus ein conditio sine qua non. Nimmt er nun aber die unbedingte Ablehnung jeder psychophysischen Kausalität in sein Programm auf, so hört er damit auch auf, bloße Arbeits- hypothese, bloß methodologisches Prinzip zu sein, so lehrt er über das Verhältnis des Geistigen zum Körperlichen eine ganz bestimmte Ansicht Aus einem bloß regulativen Prinzip der Forschung wird der Parallelismusgedanke alsdann zu einem dogmatischen, für die Aus- gestaltung unserer metaphysischen Ansichten konstitutiven Prinzip. i)

1) Ygl. Wentscher, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Er. Bd. 116, S. 109. Daß es zwischen Psychischem und Physischem keinerlei Wechselwirkung gehen könne, erklärt

72 Erster Abschnitt Der psyohophysische Parallelismos.

Daß dieser. Fortschritt Yon einem bloß regulativen zu einem konstitutiyen Prinzip nnyermeidlich ist, wenn man den Parailelismus« gedanken wahrhaft festhalten will, und daß die Auffassung des Faralle* lismus als bloßer Arbeitshypothese kein Standpunkt ist, auf dem jemand, dem es mit seinem Parallelismus Ernst ist, stehen bleiben kann, möchte ich noch an zwei konkreten Beispielen darlegen, an Wundt und an Münsterberg. ^) Beide wollen eingestandenermaßen im Paralle- lismus nichts weiter sehen als ein Prinzip empirischer Forschung, Wundt mehr in dem Sinne, daß die Tatsachen es nahe legen und uns nötigen, sie uns an der Hand dieses Prinzips zurechtzulegen, Münsterberg dagegen in dem Sinne, daß erkenntnistheoretische und methodologische Gründe uns yeranlassen, der psychologischen For- schung das Parallelprinzip als eine für die Zwecke derselben unent- behrliche Fiktion zu Grunde zu legen. Eine metaphysische Bedeutung soll ihm aber durchaus nicht zukommen. Beide Forscher aber vermögen es nicht, diesen Standpunkt konsequent festzuhalten. Ein- gestandener- oder uneingestandenermaßen macht sich die von ihnen prinzipiell abgelehnte metaphysisch-dogmatische Bedeutung des Parallel- prinzips doch immer wieder geltend.

S. 601/602 seines »Systems der Philosophie« (2. Aufl., Leipz. 1897) stellt Wundt die Behauptung auf, daß der Parallelismus mit den metaphysischen Annahmen eines Dinges an sich oder einer Substanz mit zwei Attributen nichts zu tun habe, sondern lediglich auf der

er mit Recht fiLr eine »unbestreitbar metaphysische Behaoptnog«. Ebenso macht Aars B. a. 0. 8. 5 geltend, daß es dem Parallelismos gar nicht möglich sei, sich einfach als empirische Theorie, die mit Metaphysik garnichts zu tun habe und von ihr gänzlich unabhängig sei, auszugeben. Denn der Paralielismus sei seinem Wesen nach eine Theorie, welche die empirische Erfahrung der TVechsel Wirkung korrigiert und der Erfahrung zum Trotze lehrt: Keine Wechselwirkung. Vgl. auch Erhard t a. a. 0. S. 22, 23, 132, y. Hartmann, Moderne Psychologie S. 408, 409.

1) Auch Ziehen (Leitfaden der physich Psychologie, 2. Aufl., Jena 1893) will den Parallelismus nur als einen kritischen oder empirischen vertreten (8. 210f.) Jeder Schritt darüberhinaus führe zur Metaphysik, mit der er es nicht zu ton haben will. Er erklärt sogar 8. 213: »So stellt sich also der psychophyische Parallelismus nur als ein scheinbarer heraus.« Die endgültige Entscheidung liegt in den Händen der Metaphysik, sofern es eine solche gibt, und der Erkenntnistheorie. Yon der hiermit Torgezeichneten Stellungnahme weicht aber die Haltung, die Z. in seinem ganzen Buche einnimmt, beträchtlich ab. Er selbst macht erkenntnis- theoretisch-metaphysische YoraussetzuDgen, z.B. die der alleinigen Ürsprünglichkeit der psychischen Reihe (8. 212, 213), und vindiziert, indem er alle Yorgänge des Seelenlebens durch seine parallelistische Associationspsychologie zu erklären unter- nimmt, dieser doch eine weit entschiedenere und allgemeinere Geltung, als er offiziell zugestehen will.

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismos. Echte und unechte Formen. 73

Ton Anfang an Torgenommenen Scheidung des psychologischen und des physiologischen Standpunktes beruhe. Eine solche Scheidung nimmt nun freilich in ihrer Weise auch die Wechselwirkuugstheorie Tor. Wundt fahrt dann fort: »Aus dem, was diese beiden Stand- punkte in ihrer Verbindung ergeben, lassen sich ja möglicherweise metaphysische Folgerungen ziehen, sie selbst sind aber vor aller Meta- physik da.« Und der Metaphysik soll es überlassen bleiben , den ihr Ton der Erfahrung vorgezeichneten Weg einzuschlagen und weiter zu Terfolgen. »Mit einem Wort: das Prinzip des Parallelismus, in dieser Bedeutung genommen, ist selbst kein metaphysisches, sondern ein empirisches Prinzip.«

Hiemach erscheint nun die parallelistische Hypothese als eine solche, die zwar selbst noch nicht metaphysisch ist, aber doch für die endgültige Auffassung, welche die Metaphysik sich von dem Ver- hältnis des Geistigen und Körperlichen zu bilden hat, von grund- legender und maßgebender Bedeutung ist Der Metaphysik bleibt zwar die endgültige Formulierung des Verhältnisses überlassen, aber sie ist doch in Bezug auf die Art derselben nicht mehr frei, sondern an das Parallelprinzip gebunden. Demnach verträte Wundt den Farallelismus in dogmatischer Form. Ähnlich lauten noch andere Äußerungen desselben Forschers. »Die heutige Psychologie«, heißt es in den »Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele«, (3. Aufl.) S. 2, »will nun weder der Philosophie ihr Recht zur Beschäftigung mit jener Frage entziehen, noch kann sie den engen Zusammenhang der psychologischen mit den philosophischen Aufgaben bestreiten.« Sie lehnt aber, im Gegensatz zu der Psychologie früherer Tage, jede Abhängigkeit der psychologischen Forschung von im voraus gefaßten metaphysischen Anschauungen ab.

An anderen Stellen seiner Werke spricht sich Wundt aber anders aus und will die parallelistische Theorie lediglich als eine Arbeits- hypothese angesehen wissen. Die Frage nach dem Verhältnis von Leib und Seele soll der Parallelismus als empirischer vollständig offen und ihre Lösung der Philosophie überlassen. »Wie die Beziehung zwischen Physischem und Psychischem im letzten Grunde metaphy- sisch zu denken sei, läßt er (der empirische ParalJelismus) ganz und gar dahingestellt als eine Frage, die an sich nicht zur Aufgabe der Psychologie gehört«^) Der Wechsel vvirkungstheorie wirft Wundt vor, daß sie der empirischen Tatsache der gesetzmäßigen Beziehungen

1) YorlesuDgen über die Menschen- und Tierseele, 3. Aufl. S. 508.

74 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismus.

geistiger und körperlicher Vorgänge in dem Prinzip der psychophy- sischen Kausalität noch eine metaphysische Annahme hinzufüge, während der empirische Parallelismus als bloß empirisches Postulat das nicht tue.i) Er stellt einen vorübergehenden Hilfebegriff der empirischen Psychologie dar, eine vorübergehend festzuhaltende empirische Hilfs- hypothese.

Wenn nun der Parallelismus es »ganz und gar dahingestellt sein« läßt, wie die Beziehung zwischen Leib und Seele im letzten Grunde metaphysisch zu denken ist, so muß er es auch dahingestellt sein lassen, ob sie nicht am Ende im Sinne psychophysischer Wechsel- wirkung zu denken ist Das aber ist Wund ts Meinung doch nicht; die Theorie psychophysischer Wechselwirkung will er unter gar keinen Umständen gelten lassen; der Parallelismus, der die Frage nach der endgültigen Fassung des Yerhältnisses von Leib und Seele offen läßt, schließt diese Auffassung dennoch schlechterdings aus. Den regel- mäßigen Zusammenhang zwischen psychischen und physischen Yor- gängen deutet er als ein Parallelgehen zweier nicht direkt inein- ander eingreifenden Kausalreihen.') Damit hat der »empirische« Parallelismus Wund ts aber aufgehört, ein bloß vorläufiges, in Bezug auf die endgültige Formulierung des Yerhältnisses von Leib und Seele garnichts präjudizierendes »empirisches« Prinzip zu sein; er ist aus einem solchen zu einem dogmatischen Lehrsatz geworden. Mit der Leugnung psychophysischer Wechselwirkung fugt er zu den em- pirischen Tatsachen eine wenn auch nur negative metaphysische Annahme hinzu.') und nicht nur metaphysische Tragweite besitzt somit das »empirische« Prinzip des Parallelismus; es beruht auch selbst auf metaphysischen, jedenfalls nicht empirischen Annahmen. Seite 598 des Systems der Philosophie erfahren wir, daß es das Prinzip des lückenlosen physischen Kausalzusammenhanges ist, aus dem das Prinzip des Parallelismus zunächst hervorgeht Daher lassen sich denn auch die sich wechselseitig bedingenden psychischen und physischen Yeränderungen niemals in einen ähnlichen Zusammen- hang miteinander bringen, wie er für die physischen Yorgänge nach den für sie gültigen Prinzipien der N^aturkausalität und zugleich auch für die psychischen, einen unmittelbaren Zusammenhang bildenden Yorgänge nach den Prinzipien psychischer Kausalität besteht Das

1) Philos. Studien Bd. X, 8. 35.

2) Yorlesungen 8. 504.

3) Vgl. Mohilewer a. a. 0. S. 26.

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 75

Prinzip der geschlossenen Naturkausalität ist natürlich auch nach Wnndt nicht nur ein problematisches und vorläufiges Prinzip, eine bloße Arbeitshypothese, sondern eine Annahme, an der keine Meta- physik auch nur zu rüttein wagen darf. Beruht nun der Parallelismus auf diesem Prinzip, ist er seine notwendige Folge, so darf und muß er einen höheren Geltungswert auch für sich in Anspruch nehmen, als den eines bloß heuristischen und provisorischen Prinzips, einer aus praktischen Gründen empfehlenswerten Fiktion.

Hiemach ist es nun nicht mehr weiter verwunderlich, daß sich das ursprüngliche Yerhältnis, wonach der Parallelismus ein mit Metaphysik gar nichts zu tun habendes bloß »empirisches« Prinzip der Forschung, die Wechselwirkung aber eine metaphysische Doktrin ist, über deren Möglichkeit oder Unmöglichkeit die Metaphysik mit meta- physischen Mitteln zu entscheiden hat: daß sich dieses ursprüngliche Verhältnis für Wundt schließlich vollständig umkehrt und die voll- ständige Durchführung des Paralielprinzips in seiner Reinheit eine An- gelegenheit der Metaphysik, die Hypothese psychophysischer Wechsel- wirkung aber eine empirische und nur auf empirischem Standpunkt zulässige vorläufige Annahme bedeutet. Man höre: »Hier ist die Psychologie, die als empirische Wissenschaft die Gegenüberstellung von Natur und Geist anzuerkennen hat, genötigt, einen Übergang phy- sischer in psychische Eausalverbindungen anzunehmen, indem sie die Entwicklung solcher Voraussetzungen, welche den mit den Grund- prinzipien unseres Erkennens unvereinbaren Begriff einer psycho- physischien Wechselwirkung beseitigen, der Metaphysik überläßt«*) »Wo für den derzeitigen Stand unserer Erkenntnisse der Kausalnexus auf der einen der beiden Seiten unterbrochen er- scheint«, ist man berechtigt, :&auf der anderen Seite ihn aufzunehmen und weiter zu führen, also psychische Vorgänge durch physische Zwischenglieder oder auch physische Vorgänge durch psychische zu verbinden«.^) Aber »nur als Aushilfen sind also derartige Übergänge vom physiologischen auf das psychologische Gebiet gestattet, niemals aber können sie selbst an die Stelle der endgültigen kausalen Er- klärung treten«.*) S. 562 des »Systems d. Ph.« erklärt er das Prinzip, alle psychischen Vorgänge auf psychische Ursachen, die den uns allein bekannten physischen Ursachen zu koordinieren sind, zurückzuführen.

1) System S. 300/301.

2) Ebendaselbst S. 380.

3) Ebendaselbst S. 381.

76 Erster Abschnitt Der psychophysische Farallelismus.

für ganz und gar metaphysisch. Darauf könne ja möglicherweise die Philosophie »nach sorgsamer Prüfung der Ton der Psychologie auf der einen, von der Physiologie auf der anderen Seite ermittelten Tat- sachen« zurückkommen, nimmermehr aber dürfe die Psychologie, »so- lange sie eine empirische Wissenschaft sein will«, es zur Grundlage ihrer Auffassung der Tatsachen machen. Hier müssen wir daran festhalten, die physiologischen Vorgänge als Bedingungen der psychologischen an- zusehen. »Wie unsere physische Organisation durch die Einrichtungen der äußeren Sinnesapparate und ihre Verbindungen mit dem Gehirn die Bedingungen zur Bildung neuer Bewußtseinsvorgänge bietet, so enthält sie nicht minder in jenen Eigenschaften der zentralen Gebilde, die schon auf Grund der physiologischen Übungserscheinungen an- zunehmen sind, die Bedingungen zur Wiedererneuerung früherer Vor- gänge, mögen diese nun Vorstellungen oder Affekte und Willens- handlungen sein.«

Damit ist die den Parallelismus einschließende, die psychophy- sische Wechselwirkung aber ausschließende kausale Erklärung als die endgültige ausdrücklich proklamiert, ihr also dogmatische Geltung vindiziert^)

Eigenartig, auf den ersten Blick sogar verführerisch ist sodann der Standpunkt, den Hugo Münsterberg in seinen in Leipzig 1900 erschienenen »Grundzügen der Psychologie« I. Abt einnimmt Durch die Ausführungen dieses Buches werden die in den früheren Schriften enthaltenen Ansichten des Verfassers in sehr bemerkenswerter Weise ergänzt und vervollständigt, sodaß man, wenn man Münsterbergs psychologischen Standpunkt in seinem ganzen Zusammenhange er- kennen und beurteilen will, auch dieses Buch zu Grunde legen muß. Mehr noch wie aus seinen früheren Schriften erkennen wir aus diesem Werke, daß Münsterbergs Auffassung der Seele als eines bloßen Mechanismus gesetzmäßig zusammenhängender psychischer Elementar- vorgänge doch noch nicht das letzte Wort ist, das er als Philosoph über die Seele und ihre Wirksamkeit zu sagen hat Die wissen- schaftlich-psychologische Erforschung der seelischen Vorgänge, erfahren

1) Vgl. Gutberiet, a. a. 0. S. 147. Wie Wundt will auch E. König den Parallelismus nur als empirischen gelten lassen (Zeitschr. f. Ph. u. ph. Er. Bd. 115 S. 167, 169, Bd. 119, S. 138; als metaphysische Theorie erklärt er ihn sogar für unhaltbar (Bd. 119, S. 23). Er gesteht aber zu, daß durch das parallelistische Postulat der Spielraum der zulässigen metaphysischen Hypothesen beschränkt werde (Bd. 119 S. 139).

Erstes Kapitel« Die Formen des Parallelismas. Echte und unechte Formen. 77

wir yielmehr, läßt uns die wirkliche Besohaffenheit des geistigen Lebens gar nicht erkennen. Der wirkliche Träger des psychischen Geschehens, das »stellungnehmende Subjekt«, wie Münsterberg es nennt, ist der wissenschaftlich -psychologischen Erkenntnis und ihren Methoden gar nicht zugänglich. In der Wirklichkeit, in die wir handelnd ein- greifen und welche auf uns einwirkt, sind wir wollende und fühlende, einheitliche und freie, sittliche Werte setzende und realisierende Per- sönlichkeiten; dieses unser wahres geistiges Wesen wird von uns un- mittelbar erlebt und verstanden. Wollen wir das, was wir unser Ich nennen, aber wissenschaftlich erkennen, so müssen wir uns erst eine Auffassung von ihm bilden, die es geeignet macht, Objekt wissen- schaftlicher Bearbeitung und Erkenntnis zu sein. Wir müssen unser Ich objektivieren. Dem unmittelbar erlebten und verstandenen »stellungnehmenden« Subjekt substituieren wir das psychologische Subjekt, d.i. eine Vielheit psychischer Elemente, welche, gesetzmäßig untereinander zusammenhängend, einen dem Mechanismus der körper- lichen Yorgänge parallelgehenden psychischen Mechanismus bilden; an die Stelle des unmittelbaren Erlebens und Yerstehens tritt die wissenschaftlich -psychologische Erkenntnis mit ihren Methoden und Hilfemitteln, ihren Analysen und Konstruktionen.

Erkenntnistheoretische Erwägungen sind es also, auf denen die methodische psychologische Forschung^ auf denen die Psychologie als Wissenschaft beruht Das lebendige, fühlende und wollende, handelnde und forschende Subjekt selbst ist es, das, um Psycho- logie als zergliedernde und beschreibende Wissenschaft treiben zu können, aus eigenem freien Entschluß die mechanistisch -pluralistische Auffassung der Seele und den mit dieser verbundenen psycho- physischen Parallelismus sich zu eigen macht. Diese ganze Auf- fassung ist mithin nicht etwa das Ergebnis empirischer Beobachtung wirklicher Tatsachen, sondern lediglich eine durch logisch- methodo- logische Bücksichten geforderte künstliche und willkürliche Hypothese, eine bloße erkenntnistheoretische Fiktion. Münsterberg läßt uns nicht im geringsten im Zweifel darüber, daß die psychologische Theorie, welche nach seiner Ansicht die Grundlage der wissenschaft- lichen Psychologie zu bilden hat und mit welcher der psychophysische Parallelismus untrennbar verknüpft ist, gar keinen Anspruch erheben kann, die wirkliche Natur des Oeistes wiederzugeben, sondern eine aus methodologischen Gründen notwendige, im übrigen aber ebenso willkürliche wie imaginäre Konstruktion bedeutet. Der Psychologe, sagt er S. 37 ausdrücklich, habe es mit einer unwirklichen Kon-

78 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismus.

struktion zu tun. Die Aufgabe der Psychologie kann ich nur lösen, »wenn ichc, wie es an einer anderen Stelle heißt, »dem wirklichen Ich die psychophysische Persönlichkeit substituiere . . . kurz, die Wirklichkeit absichtlich beiseite schiebe« (S. 50). »Unser freie Wille entscheidet, daß wir die ursprünglich als Willensmoüv er- lebte Wirklichkeit in ein Uniyersum verwandeln, in dem wir selbst nur ein winziger unfreier Teil und unser Wille ein notwendig ab- laufender Torgang ist« (S. 56). Wenn wir das aber tun, wenn wir das Objekt wissenschaftlich zergliedern, es gleichsam in Atome zer- legen, so lernen wir nicht etwa es selbst besser erkennen, sondern wir schaffen eine neue aber nur gedankenmäßige Wirklichkeit (S.57). Unser Verfahren bedeutet, an den letzten Erkenntniszielen ge- messen, einen Bückschritt: wir entfernen uns von der Wirklichkeit (8. 58). »Das vom Subjekt losgelöste Objekt, mit dem es die be- schreibenden und erklärenden Wissenschaften zu tun haben, ist ein Unwirkliches« (ebendaselbst), »der Standpunkt der Psychologie ist eben ein künstlicher und wirklichkeitsfremder« (S. 206). Auch die Verbindungen , die wir hier herstellen , sind unwirklich (S. 383). S. 486 bezeichnet Münsterberg die Frage der Psychologie nach dem Kausal- zusammenhänge des Psychischen sogar als eine unnatürliche (vgl. auch S. 487), die denn auch eine ebenso unnatürliche Antwort er- heischt. »Wenn der psychSphysische Parallelismus uns glauben macht, daß die Vorstellungen von gewissen chemischen Vorgängen in Eörper- zellen abhängen, oder daß vielleicht die Empfindungen in gewissen feinsten Fibrillen sitzen, so stehen wir eben vor Verbindungen, die für relativ künstliche Zwecke logisch ersonnen sind und in das ideale abschließende System der Erkenntnis nicht hineingehören würden; es ist die provisorische Antwort auf die provisorischen Fragen einer provisorischen Wissenschaft, die wir freilich für praktisch unbegrenzte Zeit nicht werden entbehren können« (vgl. auch S. 492). Unter diesen Umständen ist es ganz konsequent, wenn Münsterberg S. 416 die Möglichkeit zugibt, daß auch eine spiritistische Ansicht, welche die psychischen Objekte etwa den Ätheratomen zuordnet, den logischen Forderungen der psychologischen Theorie werde gerecht werden können.i)

Das also ist die Sachlage. Die ganze »wissenschaftliche« Psycho- logie hat es mit einem Phantom zu tun ; sie ist eine bloße Methode ohne wirklich reales Objekt Es ist nun nicht unseres Amts, an dieser Stelle

1) Ähnlich Ziehen, Leitfaden der physiol. Psychologie S. 210 213.

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 79

die erkenntnistheoretiscben Yoraussetzungen, die Münsterbergs An- sicht vom Wesen und der Aufgabe der Psychologie als Wissenschaft zu Grunde liegen, auf ihre Richtigkeit hin zu untersuchen. Mag hier immerhin sich alles so verhalten, wie Münsterberg annimmt, und mag das Problem der Psychologie, wie es sich für ihn ergibt, ein wenngleich unnatürliches und eigentlich unwirkliches, doch erkenntnis- thoretisch völlig gerechtfertigtes sein: so bleibt es doch dabei, daß alles was eine derartige Psychologie über die Seele und ihr Verhältnis zum Körper festsetzt, einen durchaus provisorischen Charakter hat und eine nur vorläufige, von ganz bestimmten künstlichen Yoraus- setzungen abhängige, mit hundert Wenns und Abers zu versehende Geltung besitzt Sagt doch Münsterberg selbst, daß der psycho- physische Parallelismus als eine für relativ künstliche Zwecke er- sonnene Theorie in das ideale abschließende System der Erkenntnis gar nicht hineingebort Mit einer derartigen künstlichen Theorie, er- sonnen zur Bearbeitung eines ebenso künstlich hergestellten Ob- jekts — es erinnert das doch wirklich etwas an die bekannte Definition der Philosophie: sie sei der systematische Mißbrauch einer eigens zu diesem Zwecke erfundenen Terminologie brauchen wir uns aber, werden wir weiter sagen, in der Philosophie überhaupt nicht zu befassen. Ist der psychophysische Parallelismus nur die pro- visorische Antwort auf die provisorischen Fragen einer provisorischen Wissenschaft,, so können wir ihn auf sich beruhen lassen: die end- gültige Beantwortung der Frage nach dem Yerhältnis von Leib und Seele hat dann die allgemeine Philosophie ohne jede Bücksicht darauf, ob dieselbe mit dem durch das besondere Interesse der künstlichen Psychologie geforderten provisorischen Parallelismus übereinstimmt oder nicht, zu unternehmen. Gesetzt nun, die Antwort wäre erfolgt und aus allgemeinen philosophischen Gründen wäre das Yerhältnis der Seele zum Leibe im Sinne psychophysischer Wechselwirkung end- gültig bestimmt, so dürfte alsdann der psychophysische Parallelismus, eingedenk seines bloß provisorischen Charakters, gegen solche Ent- scheidung keinerlei Einwendungen mehr machen, sondern wäre ver- pflichtet, dieselbe als zu Rechte bestehend ein für allemal anzuer- kennen. Ja er müßte, wenn es ihm mit seinem provisorischen Charakter wirklich Ernst ist, jetzt, da die definitive Lösung der Frage gelungen ist, nunmehr freiwillig zu Gunsten der Lehre von der Wechselwirkung abdanken. Und glaubt man wirklich aus Zweck- mäßigkeitsrücksichten für die Praxis der Forschung die Fiktion fest- halten zu müssen, als ob ein Parallelismus psychischer und physischer

80 Erster Abschnitt. Der psyohophysische Farallelismos.

Prozesse bestehe, so wird auch dieses Zugeständnis an den Vorbehalt zu knüpfen sein, daß überall, wo die Umstände es irgend gestatten, die wahre und definitive Auffassung der Dinge an die Stelle der bloß imaginären und provisorischen zu treten habe. Denn das letzte Ziel aller wissenschaftlichen, jedenfalls aller philosophischen Er- kenntnis ist doch stets, die Dinge zu erkennen, wie sie wirklich sind, nicht aber, eine künstliche und bewußt unwahre Konstruktion von ihnen zu geben.

Es fehlt nun bei Münsterberg nicht an Stellen, an denen er diese aus dem provisorischen und fiktiven Charakter der von ihm vertretenen psychologischen und psychophysischen Auffassung sich ergebende Eonsequenz auch zieht Nach S. 547 soll die psychologische Rekonstruktion sich der Wirklichkeit mehr und mehr nähern und um so wahrer werden, je mehr sie das tut Er hält es sogar für denkbar, daß der Fortschritt unserer empirischen Erkenntnisse auf physio- logischem Gebiet zu einer Umwandlung unserer psychophysischen Anschauungen, ja zu einer vollständigen Elimination der von ihm selbst befürworteten Psychologie führt (S. 486). Alsdann hätten vrir nur noch Physiologie einerseits und die geistige Wirklichkeit, wie sie von uns unmittelbar erlebt und verstanden wird nicht wie sie von der Münsterbergschen Psychologie künstlich konstruiert wird andererseits, und es bliebe uns nur übrig, diese unmittelbar bekannte geistige Wirklichkeit philosophisch ihrem Wesen nach zu erfassen und zu den Tatsachen der Physiologie in Beziehung zu setzen. Ob man eine derartige philosophische und »subjektivierende« Psycho- logie als »wissenschaftliche« will gelten lassen oder nicht, ist ziemlich gleichgültig: auf den Namen kommt garnichts, auf die Sache dies an und eine »unwissenschaftliche« Psychologie und Metaphysik, welche die Dinge schildern, wie sie in Wahrheit sind, sind unter allen Um- ständen mehr wert, wie eine noch so »wissenschaftliche« Psychologie, welche die Dinge in einer Weise konstruiert, wie sie in Wahrheit nicht sind.i)

Aber bei dieser Auffassung, welche zu der als metaphysische oder naturphilosophische Theorie geltend gemachten Lehre psychophy-

1) Übrigens bleibt der Begriff der »Wissenschaft« bei Münsterberg doch auch im unklaren. Wählend eioeraeits die »Wissenschaft« erst dann beginnt, »sobald alle Wirklichkeit objektiviert« ist, heiBt es bald darauf: »Es muß Er- fahrungswissenschaften geben, die dem Objekt in seiner ursprünglichen Ab- hängigkeit Yom erkenntnistheorischen Subjekt gerecht zu werden suchen, sub- jektivierende Wissenschaften neben den objektivierenden« (S. 35).

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 81

Bischer Wechselwirkung in gar keinem Gegensätze steht, bleibt auch Münsterberg nicht stehen. Er verbindet mit derselben Ansichten, die mit ihrem offiziellen provisorischen Charakter nicht vereinbar sind und sie tatsächlich zu einer dogmatischen naturphilosophischen Lehre machen. Er fordert und behauptet nämlich von seiner Methode, daß sie sich ausnahmslos auf dem ganzen Gebiet der Psychologie durchführen lasse, daß alle Erscheinungen des seelischen Lebens sich in ihr Schema einfügen, sich durch sie erklären lassen (S. 438 u. a.). Und zwar soll gerade der Umstand, daß der Parallelismus nicht auf Beobachtung der Tatsachen der Erfahrung beruht, sondern als Postulat auftritt, uns berechtigen, ihm eine ausnahmslose Geltung zuzuschreiben. >Die Parallelismustheorie hat nur dann Sinn und Wert, wenn sie als Postulat auftritt, nicht als Entdeckung bestehender Naturtatsachen« <S. 345). Wäre der Parallelismus »nur eine empirische Verallge- meinerung von Laboratoriumsexperimenten und klinischen Erfahrungen, so würde die Begrenzung der Theorie selbst der empirischen Unter- suchung zufallen und die Anerkennung der verschiedenen Ausnahmen würde den Sinn der Theorie nicht beeinträchtigen.« So aber als Postulat braucht sie keine Ausnahme als möglich zuzugeben. Daher erklärt Münsterberg ganz offen (S. 484): »Wer die Theorie als gültig voraussetzt, tritt nun an die einzelnen Tatsachen natürlich nicht mit der Frage heran, ob sie für oder gegen den Parallelismus sprechen, sondern lediglich mit der Frage, ob sich der tatsächlich vorhandene ^d. h. vorausgesetzte!) Parallelismus für den besonderen Tatsachenkreis im einzelnen nachweisen läßt.« D. h. er läßt sich durch keine Gegen- instanzen von der einmal als gültig vorausgesetzten Theorie ab- bringen. Ganz richtig bemerkt solcher Zumutung gegenüber Wundt (Phil. Studien X. S. 33), daß es sich hier nicht mehr um eine unbe- fangene Untersuchung der Tatsachen, sondern um eine Konstruktion derselben nach der angenommenen Methode handle. »Demnach ist diese Methodenlehre im wesentlichen nur eine Anweisung, wie man verfahren müsse, um die a priori aufgestellten Forderungen in jedem einzelnen Falle bestätigt zu finden.«

Nun aber ist diese Handhabung der Voraussetzung nicht minder willkürlich als die Voraussetzung selbst. Eine derartige willkürlicihe Infallibilitätserklärung einer eingestandenermaßen willkürlichen An- nahme kann doch nicht als wissenschaftlich gelten. In der Wissen- schaft können nur logische Eonsequenz und Erfahrung Geltung be- anspruchen, nicht aber Willkür und Inkonsequenz. Eine Theorie, die «ine bloß provisorische Geltung beansprucht und beanspruchen kann,

Busse, Oeist und KOrper, Soele tind Leib. 6

82 Erster Absohnitt. Der psychophysische Parallelismus.

müßte es konsequenterweise auch völlig dahingestellt sein lassen, wie weit sie sich wird durchführen lassen, und dürfte die Möglichkeit, gegebenenfalls einer anderen Auffassung Platz zu machen, keineswegs a limine abweisen. In diesem besonderen Falle liegt die Sache sogar so, daß die Forderung, alle Erscheinungen des seelischen Lebens durch die von Münsterberg befürwortete psychologische Theorie zu erklären, sich gegen die Voraussetzungen, auf welchen die Theorie beruht, selbst wendet und diese oder die Voraussetzung die aus- führliche Durchfuhrung der Theorie unmöglich macht, daß also zwischen den Annahmen, welche der Theorie zu Orunde liegen, und der universellen Geltung derselben ein unlösbarer Widerspruch besteht Das »wirkliche«, freie, sich als frei fühlende und seiner selbst un- mittelbar bewußte Subjekt, das durch seinen freien Entschluß ja das künstliche Objekt der wissenschaftlichen Psychologie und die künstb'che Methode seiner Bearbeitung erst schafft: das kann doch nicht wieder zu dem Ereis der dieser Methode zugänglichen und durch sie er- klärbaren Ot^jekte gehören; wenn nicht schon früher, so muß hier schließlich die Grenze der Anwendung der psychologischen Methode erreicht sein. Aber das will Münsterberg nicht gelten lassen. Auch das »stellungnehmende« Subjekt selbst samt seinem unmittelbaren Fühlen und seinem freien Tun, das Wollen und Hervorbringen der psychologischen Methode eingeschlossen, soll doch andererseits auch Gegenstand der erklärenden »wissenschaftlichen« Psychologie sein und von ihr als ein bestimmtes Moment des mechanischen Ablaufs der psychischen Prozesse begriffen und konstruiert werden können. »Selbst jenes Gefühl des inneren Zusammenhanges und jenes Bewußtsein des wechselseitigen Hinweisens wird für den Psychologen notwendiger- weise selbst ein Bewußtseinsinhalt und verlangt wie jede andere Gefühlsschattierung seine psychophysische Erklärung« (S. 438). »Die Anerkennung einer Ausnahme wäre gleichbedeutend mit dem Verzicht auf das Ziel der Psychologie« (S. 435). Und zwar sollen beide Anschauungen, die erkenntnistheoretische, die von den Aktendes wirklichen Objekts handelt, und die psychologische, welche auch ihre eigene erkenntnistheoretische Voraussetzung wieder psychologisch kon- struiert, nach Münsterbergs Ansicht durchaus nebeneinander be- stehen können. Man kann einerseits die Sache so ansehen, wie sie die Erkenntnistheorie auffaßt, und kann sie andererseits so ansehen, »als ob« alle psychischen Vorgänge, den Entschluß, sie so anzusehen und die Ausführung desselben eingeschlossen, lediglich Erzeugnisse eines methodisch konstruierbaren psychischen Mechanismus seien. Die

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismos. Echte und imechte Formen. 83

Yermischung dieser beiden Standpunkte, »die zu überwinden das Hauptziel unserer gesamten Untersuchungen ist« (S. 444), ist es, welche allein Verwirrung stiftet Beide sind völlig getrennt und können garnicht miteinander kollidieren. »Die Erkenntnistheorie spricht von den Akten und Objekten des wirklichen Subjektes, die Psychologie von den Objekten des psychologischen Subjektes; eine Übereinstimmung ist da ebenso unmöglich wie ein Konflikt« (S. 165). Alle Einwürfe gegen den Parallelismus beruhen eben auf der »Verwechslung zwischen geistiger Wirklichkeit und psychologischem Tatbestand« (S. 438). Münsterberg legt großes Gewicht auf diesen Punkt; ihn festzustellen und gegen alle Einwürfe zu sichern ist, wie er wiederholt betont, das Hauptziel der gesamten, den ersten Band seiner »Orundzüge« füllenden Untersuchungen. Begreiflich genug, denn mit diesem Punkte steht und fallt seine ganze Auffassung des Verhältnisses von Erkenntnis- theorie und Psychologie, steht und fallt sein Versuch, die Auffassung der Seele als eines bloßen Mechanismus psychischer Elementarprozesse und den psychophysischen Parallelismus festzuhalten und durchzu- fuhren und doch auch zugleich der lebendigen, in ganz andere Richtungen weisenden unmittelbaren Erfahrung gerecht zu werden. Aber eben dieser Punkt bildet den locum minimae resisteniiae seiner ganzen Philosophie, seine Ansicht über das Verhältnis von Erkenntnis- theorie und Psychologie ist unhaltbar. Das Zaubermittel, dessen er sich bedient, um ein friedliches Nebeneinanderhergehen so heterogener und entgegengesetzter Anschauungen möglich zu machen, ist schließ- lich, mag Münsterberg es zugestehen oder nicht, nichts anderes als eine neue Form der alten und verbrauchten Lehre von der doppelten Wahrheit. Und damit ist der ganze Versuch gerichtet »Es kann nicht etwas erkenntnistheoretisch wahr und psychologisch falsch sein«,^) man kann nicht die ganze Psychologie auf bestimmte erkenntnis- theoretische Voraussetzungen gründen und dann diese Voraussetzungen selbst wieder psychologisch zerstören. Man kann nicht die Psycho- logie erst auf Erkenntnistheorie gründen und sodann die Erkenntnis- theorie durch die Psychologie ad absurdum führen. Ist das freie und handelnde Subjekt der unmittelbaren inneren Erfohrung in Wahrheit das »wirkliche« Subjekt, die »wissenschaftliche« Psychologie mit ihrer Seelenauffiussung und ihrem psychophysischen Paralielismus aber nur eine künstliche und willkürliche Schöpfung desselben, so kann das »wirkliche« Subjekt und sein unmittelbares Erleben und Fühlen ebenso-

1) Stnmpf , Psychologie und Erkenntnistheorie, München 1891, S. 18.

6*

84 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismos.

wenig psychologisch konstruiert werden, als, um ein recht einleuch- tendes Beispiel zu wählen, das Bewußtsein, welches die Voraussetzung der Materie bildet, als ein Produkt der Materie selbst angesehen werden kann. Wird aber das wirkliche Subjekt und sein »freies«, unmittelbar erlebtes Wirken, das »freie« Hervorbringen der psycho- logischen Theorie eingeschlossen, wirklich psychologisch konstruiert, d. h. von der Psychologie als das notwendige Ergebnis des Spiels der den psychischen Mechanismus bildenden, den körperlichen Prozessen parallel gehenden psychischen Elementarprozesse begriffen und erklärt, so hört es auf, ein wirkliches Subjekt zu sein: es wird zu einer wiederum psychologisch erklärbaren Illusion, der nicht mehr ob- jektive Wahrheit zukommt als der Wahnvorstellung eines Irrsinnigen, der sich einbildet, ein König zu sein. Teriium non datur!

So wenig wie das Kantische Postulat der Freiheit Geltung haben kann, wenn, wie Kant gleichfalls lehrt, alles psychische Ge- schehen ausnahmslos determiniert ist, so wenig die Werturteile der Ritschlschen Schule irgend welchen objektiven Wahrheitsgehalt haben können, wenn die Auflösung des gesamten Weltgeschehens in einen lückenlosen mechanischen Kausalzusammenhang objektiv wahr ist, so wenig kann auch alles, was Münsterberg in erkenntnis- theoretischer Hinsicht vom wirklichen Subjekt, von seinem freien Tun und Handeln sagt, wahr sein, wenn die Psychologie, von der Auffassung der Seele als einer Vielheit psychischer, einen psychischen Mechanismus bildender Elementarvorgänge ausgehend, dieses »freie« Tun und Handeln mit ihren Mitteln zu erklären, d. h. als das Er- gebnis des psychischen Mechanismus zu konstruieren vermag. Ein Subjekt, dessen gesamte Tätigkeit ausnahmslos in dieser. Weise kon- struiert ist, hört auf, ein freies zu sein: die Erkenntnistheorie, welche Münster borg der psychologischen Konstruktion gegenüberstellen möchte, wird von dieser überflutet und verschwindet in den alles mit sich fortreißenden Strudeln der Psychologie. Indem aber die Psychologie die Erkenntnistheorie unterhöhlt und sie schließlich in sich begräbt, hört sie selbst auf, ein künstliches und willkürliches Produkt des »wirklichen« Subjekts zu sein, werden ihre Ergebnisse aus provisorischen zu definitiven von absoluter metaphysischer Gültigkeit Gibt es für die mechanistisch -pluralistische Auffassung der Seele nichts, das sich nicht völlig durch sie erklären ließe, kann diese Theorie alles ^ was gegen sie zu sprechen scheint, mit ihren Mitteln erklären, so ist die Seele wirklich nichts anderes als ein psy- chischer Mechanismus, so ist das mechanische Geschehen, in welchem

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Eohte und unechte Formen. 85

das Seelenleben aufgeht; das wirkliche Geschehen, das »wirk- liche Subjekt« mit allen Eigenschaften, die ihm Münsterberg bei- legt, aber eine bloße Fiktion, eine Einbildung, deren Entstehung wiederum den Gegenstand psychologischer Untersuchung und Er- klärung bilden kann und. muß. Mit der Lehre von der doppelten Wahrheit ist kein Staat mehr zu machen, für die eine Seite der Alter- native muß man sich entscheiden. Auch der Ausweg, den man in der Naturwissenschaft hat: daß die Physik mit ihren Konstruk- tionen lediglich Erscheinangen erkläre, die Metaphysik aber die Dinge an sich, ist hier nicht möglich. Denn die von der inneren Erfahrung bezeugten Vorgänge in unserer eigenen Seele sind eben keine Erscheinungen, sondern sind wirklich; wenn nun die Psycho- logie sie als Ergebnisse des Wirkens des psychischen Mechanismus zu erklären vermag, so sind sie auch in Wahrheit nichts anderes, und die psychologische Theorie, welche sie so erklärt, ist eine wahre Theorie. Und ebenso ist dann auch die Theorie des psycho- physischen Parallelismus, welche mit jener psychologischen Theorie verknüpft ist, mehr als »die provisorische Antwort auf die provisorischen Fragen einer provisorischen Wissenschaft« , sie ist dann die endgültigeFormulierung des wirklichen Verhältnisses der Seele zum Leibe, des Körpers zum Geist Jede andere Auffassung dieses Verhältnisses ist alsdann falsch, und wenn wir nun metaphysisch uns eine abschließende Ansicht über den Zusammenhang der Dinge bilden wollen, so müssen wir das in einer Weise tun, welche die vom psychophysischen Parallelismus vertretene Wahrheit respektiert und un- angetastet läßt Das ist eine Konsequenz, der sich niemand entziehen kann, und auch Münsterberg kann es nicht Auch bei ihm spielt allen noch so ehrlich gemeinten Versicherungen des Gegenteils zum Trotze die pluralistisch -mechanistische Psychologie und der psycho- physische Parallelismus eine ganz andere als die ihm offiziell zuge- gewiesene Rolle. Die als die >höhere« Auffassung der Dinge gepriesene Ansicht vom »stellungnehmenden« Subjekt, seinen Eigenschaften und Leistungen dagegen ist, bei Lichte besehen, eine über der Wirklich- keit ohnmächtig und gestaltlos schwebende bloße »Idee«, der zwar die nötige Eeverenz erwiesen, der aber ein aktives Einwirken auf die Gestaltung unserer wissenschaftlichen Weltanschauung nicht ge- stattet wird. Wie es um die Bealität des Münsterbergschen ein- heitlichen Seelensubjekts tatsächlich bestellt ist, mag man daraus ab- nehmen, daß er sie mit derjenigen des »Sozialsubjekts«, der Volksseele und des Zeitgeists auf eine Stufe stellt (S. 100): sie alle sind eben in

86 Erster Abschnitt. Der psychophysisohe Parallelismns.

Wahrheit Fiktionen, aus erkenntnistheoretischen, methodologischen oder auch vielleicht aus Gründen der Pietät festgehaltene »Ideen«.

Es wird, wie Wund t ganz richtig urteilt (Philos. Studien X. S.48), eine Verbeugung gegen Eant und Schopenhauer gemacht und alsdann die ganze »höhere« Ansicht mit ein paar verbindlichen Worten höflich beiseite geschoben. Die pluralistisch -mechanistische Psycho- logie und der psychophysisohe Parallelismus behaupten das Feld.^)

In Bezug auf die Modalität des psychophysischen Parallelismus, d. h. in Bezug auf die Frage, ob derselbe als lediglich empirischer Standpunkt von empirisch bedingter Geltung bezw. als eine durch erkenntnistheoretische Rücksichten bedingte wissenschaftliche Fiktion oder als eine naturphilosophische Theorie dogmatischen Charakters zu behandeln sei, lautet demnach unsere Antwort, daß die erstere An- sicht unmöglich ist, daß der psychophysisohe Parallelismus wenn über- haupt so jedenfalls nur ohne alle Yerklausulierung als wahre, für unsere metaphysische Anschauung bestimmende und maßgebende An- sicht über das Verhältnis des Leibes zur Seele angestellt und ver- treten werden kann.

2. Quantität Partieller und nniverseller Parallelismas.

Es fragt sich, ob wir annehmen müssen, daß wie der uni- verselle Parallelismus behauptet wie jedem psychischen ein phy- sischer, so auch jedem physischen ein psychischer bewußter oder auch

1) Nicht unrichtig urteilt aach £. v. Hart mann: »Physiologische Erklämngs- versnohe vom Standpunkte des erkenDtnistheoretischen Bewußtseins sind nur reines Oankelspiel, mit dem man sich selbst und andere täascht.« Mod. Psychologie S. 430, vgl. auch S. 436. Und ganz gat sagt Drews (E. v. Hartmanns phil. System, Heidelberg 1902, S. 116/117): »Wir sollen zwar aas der Erkenntnistheorie gelernt haben, daß alle spekulative Philosophie nur »BegrifEsdichtungc, also, als Philosophie genommen, bloße Illusion sei, aber wir sollen uns der so bewußt gewordenen Illusion bei Leibe nicht entschlagen, sondern dieselbe aU bewußte Illusion weiter konservieren und kultivieren. Ja, sogar auf der bewußten Selbsttäuschung dieser Fiktionen sollen die höchsten Güter der Menschheit, Beligion und Sittlichkeit, ruhen und sich gründen. Die bisher unbewußte Illusion sollen wir als »bewußte Hlusionc, als eine Art bewußte Selbsttäuschung wissenüich, d. h. als Lüge festhalten; diese Lüge sollen wir hätseheln und die edelsten Kräfte unseres Geistes auf ihre Aus- bildung und Ausschmückung verwenden ; auf dem Fundament der so gehätschelten Lüge endlich sollen wir das Gebäude der Religion und SitÜichkeit errichten, das unser Verhalten zum Absoluten und zu den Mitmenschen bestimmt, die Lüge soll die Basis unseres gesamten praktischen Verhaltens, unseres höheren Triebs-, Ge- fühls- und Vorstellungslebens bildenc. In der Tat, darauf kommt es tatsächlich schließlich hinaus, in diesen, von Drews gegen F. A. Lange gerichteten Worten ist die Bilanz der Zweiseelentheorie, die auch Münsterberg verficht, gezogen.

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 87

unbewußter Vorgang entspricht, die beiden Reihen sich also gleich lang erstrecken und sich in allen Punkten decken, oder ob, wie das die Meinung des partiellen Paralleiismus ist, zwar jedem psy- chischen ein physischer, aber nicht auch umgekehrt jedem physischen ein psychischer Vorgang entspricht, vielmehr nur mit bestimmten nervösen Prozessen in den lebenden Wesen psychische Begleit- erscheinungen verknüpft sind, so daß also nur die physische Reihe eine ununterbrochene ist, während die psychische vielfache Unter- brechungen aufweist Es ist mir nicht zweifelhaft, daß von diesen beiden Formen des Parallelismus nur die erstere, der universelle Parallelismus, wie ihn namentlich Fechner und Paulsen vertreten, eine echte Form des Paralleiismus darstellt, die letztere dagegen, der partielle Parallelismus, eine unechte Form, einen Pseudo- Parallelismus bedeutet Denn, wie ich schon in einer früheren Arbeit^) ausführte, wenn wir nicht allen,, sondern nur bestimmten bevorzugten physischen Vorgängen, etwa gewissen, eine gewisse Intensität besitzenden ner- vösen Prozessen in den Körpern lebender Wesen psychische Begleit- erscheinungen korrespondieren lassen, so bleibt uns, wollen wir diese psychischen Begleitvorgänge nicht als ganz zufällige und gänzlich ursachlose Ereignisse ansehen, nichts anderes übrig, als in der besonderen Natur und Beschaffenheit der betrefPenden physio- logischen Vorgänge den bestimmenden Grund dafür zu sehen, daß hier psychische Begleiterscheinungen auftreten, die sonst fehlen. Damit aber lassen wir tatsächlich das parallelistische Prinzip fallen und kehren zu der materialistischen Auffassung zurück, die in der unglaublich feinen und unsäglich komplizierten Struktur, welche die Materie im Nervensystem und Oehim zeigt, ja einen genügenden Erklärungsgrund für das Auftauchen psychischer Vorgänge zu be- sitzen meint') Denn warum fehlen denn die psychischen Begleit-

1) Leib u. Seele, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Er., Bd. 114, S. 10.

2} So Spaulding (Beitrage z. Kntik d. psychophys. Parall. v. Standpunkte der Energetik, Halle 1902, S. 81, 82, 84, 85 u. a.), der aher seltsamerweise die Erzeugung des Psychischen durch physische Ursachen für mit dem Parallelismus sowohl als dem Gesetz der Erhaltung der Energie völlig vereinbar hält und diese »allein berechtigte c Deutung des Parallelismus der »traditionellen« Auffassung des- selben entgegensetzt (8. 89). Hierüber später mehr. Oder will man, um dieser Eonsequenz zu entgehen, sich zu der von Ladd, Philosophy of Mind S. 328, 329, ad (tbsurdum geführten »monistischen« Ansicht bekennen, daß die starke Intensität der mit psychischen Vorgängen verbundenen physiologischen Prozesse das »Absolute« veranlasse, in diesen Fällen auch die andere ihm mögliche, die psychische Seite hervorzukehren ?

88 £rster Absohnitt. Der psychophysische Parallelismos.

erscheinuDgen bei den Torgängen in der anorganischen Natur und bei vielen Yorgängen innerhalb der lebendigen Körper? Offenbar doch nur deshalb, weil diese Vorgänge nicht geeignet, nicht im stände sind, ein psychisches Epiphänomen hervorzurufen. Mit diesen Vor- gängen hat die Natur eben keine psychischen Vorgänge verknüpft Ebenso wie hier aber die besondere Natur der physischen Vorgänge der Grund ist, weshalb sich keine psychischen Erscheinungen ein- stellen, ist überall da, wo solche auftreten, die besondere Natur der physischen Vorgänge auch der Grund, daß sie auftreten, und eine Ansicht, die zu dieser Konsequenz führt, unterscheidet sich vom Materialismus höchstens dem Namen, nicht aber der Sache nach.

Wollen wir nun aber andererseits die materiellen Nerven- und Ge- himprozesse als den erzeugenden und bestimmenden Grund der mit ihnen verknüpften psychischen Erscheinungen nicht gelten lassen, so bleibt uns doch, wollen wir diese letzteren nicht als gänzlich ur- sachlos aus dem Nichts auftauchend hinstellen, nur übrig, sie anandere^ ihnen vorangehende und sie verursachende psychische Vorgänge anzuknüpfen, die nun, dem Farallelismusprinzip entsprechend, ebenso ihre physischen Parallelvorgänge haben müssen als die, welche wir auf sie zurückführten. Auch diese Vorgänge müssen wieder ihre psychischen Ursachen haben, von denen das gleiche gilt, und so treibt denn die Konsequenz des parallelistischen Gedankens unweiger^ lieh dahin, allen physischen Vorgängen ohne Ausnahme eine psychische Innenseite zuzuschreiben, geistiges Sein sich durch die ganze Natur hindurch in lückenlosem Zusammenhange erstrecken zu lassen: die Theorie der Allbeseelung ist eine solche, ohne welche der psychophysische Parallelismus nicht gedacht werden kann, mit welcher er steht und fallt. Ob man, um sie durchzuführen, zu dem Begriffe unter- oder selbst unbewufster psychischer Vorgänge greifen muls und darf, ist eine Frage, die uns hier noch ebensowenig wie die nach der Berechtigung des Parallelismus überhaupt zu beschäftigen hat: genug, dafs in irgend einer Form überall, wo physische Vor- gänge sich abspielen, auch psychische Prozesse vorhanden sein müssen und die Kette der psychischen Vorgänge sich genau so weit erstreckt, wie die der physischen.

Spinoza, der klassische Begründer der modernen monistischen Weltanschauung, war es, der diese Theorie der Allbeseelung mit Entschiedenheit vertrat; in der Gegenwart haben sich, wie bemerkt, besonders Fechner und Paulsen zu ihr bekannt, sie mit neuen Argumenten zu stützen und gegen alle Einwände zu verteidigen ge-

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 89

sucht »Kein psychischer Vorgang ohne begleitende Bewegung, kein Bewegungsvorgang ohne begleitenden psychischen Vorgang«, mit dieser kurzen und treffenden Formel charakterisiert Paulsen S. 95 (2. Aufl.; 6. Aufl. S. 96) seiner »Einleitung« das Wesen des universellen Parallelismus und begründet die Notwendigkeit seiner Annahme damit, dais,wenn man das Gegenteil: Bewegungsvorgänge bald mit, bald ohne begleitende psychische Vorgänge, annimmt, »der Materialismus auch bei der parallelistischen Ansicht im wesentlichen recht behält« (S. 97, 6. Aufl.; S. 98) oder das Psychische wie ein Wunder in die Welt hineinkommt (S. 109, 6. Aufl. S. 110). Auf die weiteren Argumente, mit denen Fechner und Paulsen, ersterer in den »Elementen der Psychophysik« II. S. 542 f. (2. Aufl.) und in der »Nanna« sowie in der Schrift über die Seelenfrage, i) letzterer in seiner »Einleitung in die Philosophie« den universellen Parallelismus weiter zu begründen und auszugestalten sich bemühen, braucht hier nicht eingegangen zu werden : die von diesen Philosophen mit ihm verknüpften Annahmen über die Planetengeister und die Weltseele bedeuten ohnehin keinen absolut notwendigen und unentbehrlichen Bestandteil des universellen Parallelismus selbst

Wie unausweichlich aber die Annahme der Allbeseeltheit mit dem Parallelismus verknüpft ist, zeigt sich in besonders instruktiver Weise auch darin, dafs selbst solche Anhänger desselben, denen sie sehr wenig sympathisch ist, sich durch die zwingend Logik der Tatsachen genötigt sehen, sie, wenn auch zögernd und mit mancherlei Verklausulierungen, anzunehmen: die innere Logik des Gedankens selbst ist hier eben mächtiger als alles Widerstreben gegen die All- beseeltheit, gegen Animismus, Hylozoismus und Panpsychismus.

So lehnt Wundt S. 504/505 seines »Systems der Philosophie« (2. Aufl.) den Hylozoismus ebenso wie Fechners Annahme einer

1) In seiner Gesch. d. Metaphysik Bd. U. S. 265 wendet E. v. Hart mann gegen Fechner ein, dafs, da bei ihm den Atomen als äuikeren Erscheinungen keine Selbsterscheinung in ihnen entspräche, sein psychophysischer Farallelismus auf dieser untersten Stufe der Individuation eine Lücke zeige. Das ist indes, meine ich, nicht der Fall. Es ist nicht nötig, dals den Atomen eine »Selbst- erscheinnng« entspricht, es genügt, dafs ihnen überhaupt etwas Psychisches ent- spricht. Dieses psychische Korrelat ist aber in jedem Fall vorhanden: in dem umfassenden Bewufstsein der Weltseele sind doch auch die Ideen der Atome ent- halten. DaCä in dem alles umfassenden Universal bewufstsein der psychophysische Parallelismus ein vollständiger ist, sagt ja auch Hartmann selbst auf der näm- lichen Seite. Vgl. auch S. 268/69.

90 Erster Absohnitt Der psychophysische Parallelismus.

Weltseele und eines Stafenreiches planetarischer Geister als einen »phantastischen Traum« ab. Unbewußte psychische Vorgänge will er S. 559 f. nicht gelten lassen: »die unbewußte Vorstellung ist ledig- lich zu acceptieren als ein bequemes Hilfsmittel, um im Zusammen- hang einer psychologischen Betrachtung von den physiologischen Zwischengliedern zu abstrahieren« (8. 561). Die Annahme, daüs die psychische Reihe genau so weit reicht als die physische, und daß wie jedem psychischen ein physisches, so auch jedem physischen ein psychisches Olied entspricht, ist nicht berechtigt »Natur und Oeist sind nicht zwei sich deckende Kreise oder, wie man wohl auch ge- sagt hat, ein Ereis, der von zwei verschiedenen Standorten aus, einem inneren und einem äuüseren, betrachtet werden kann, sondern sie sind zwei sich kreuzende Gebiete, die nur einen Teil ihrer Ob- jekte miteinander gemein haben« (Logik, 2. Aufl. Bd. EL S. 258). Also »schließt das Prinzip des psychophysischen Farallelismus nur die Voraussetzung ein, daß jedem psychischen Geschehen ein physi- scher Vorgang entspreche, während die Umkehrung dieses Satzes durchaus nicht gefordert wird« (System S. 605). Aber diese Ab- lehnung der unbewußten psychischen Ergänzungsglieder gilt doch auch für Wundt nur vom Standpunkt der empirischen Psychologie aus und nur für diese. Anders liegt auch nach ihm die Sache, wenn wir vom Standpunkt metaphysischer Betrachtung aus urteilen. Daß auch Oehirnvorgängen, mit denen kein Bewußtseinsvorgang verknüpft ist, psychische Vorgänge entsprechen, ist ein metaphysi- scher Satz, den die Psychologie, so lange sie eine empirische Wissen- schaft sein will, nimmermehr zur Grundlage ihrer Auffassung der Tatsachen machen darf (S. 562). Die Einmengung derartiger meta- physischer Hypothesen liegt weder im Interesse der Psychologie noch der wissenschaftlichen Metaphysik. Empirisch müssen wir daran festhalten, die physiologischen Vorgänge als Bedingungen der psycho- logischen anzusehen. »Wie unsere physische Organisation durch die Einrichtungen der äußeren Sinnesapparate und ihre Verbindungen mit dem GFehirn die Bedingungen zur Bildung neuer Bewußtseins- vorgänge bietet, so enthält sie nicht minder in jenen Eigenschaften der centralen Gebilde, die schon auf Orund der physiologischen Übungs- erscheinungen anzunehmen sind, die Bedingungen zur Wiederemeue- rung früherer Vorgänge, mögen diese nun Vorstellungen oder Affekte und Willenshandlungen sein« (S. 563; vgl. Phil. Studien X. S. 42).i)

1) Ich weise hier nochmals darauf hin, daß, wenn die empirische Forschung an die Stelle der psychischen Ursachen psychischer Yoi^nge physische Ursachen^

Erstes Kapitel Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 91

Da wir es hier mit dem Parallelismus nur im Sinne einer meta- physischen bezw. naturphilosophischen Lehre über das Verhältnis des Geistes zum Körper zu tun haben, so können wir die Frage, wie die Psychologie als eine empirische Wissenschaf t sich zudem univer- sellen Parallelismus zu stellen hat, ganz auf sich beruhen lassen. Für uns kommt eben, um Wundts Stellung zu beurteilen, nur in Betracht, wie er über den universellen Parallelismus als eine metaphysische bezw. naturphilosophische Theorie denkt Da stellt er nun den Gedanken, den er um seines metaphysischen Charakters willen für die empirische Psy- chologie abwies, zunächst als einen metaphysisch wenigstens mög- lichen hin. Daß auch bei solchen Zuständen des Gehirns, auf die wir, bildlich gesprochen, die »Aufbewahrung« der Vorstellungen zurück- führen, bestimmte psychische Zustände vorhanden seien und wir, obgleich wir niemals erfahren können, was solche aufbewahrte Vor- stellungen eigentlich sind, sie doch voraussetzen müssen, weil über- haupt Gehimzuständen immer psychische Zustände entsprechen sollen, das bedeutet nach S. 562 einen ganz und gar metaphysischen Satz, »auf den ja möglicherweise die Philosophie nach sorgsamer Prüfung der von der Psychologie auf der einen, von der Physiologie auf der anderen Seite ermittelten Tatsachen zurückkommen könnte«. Aber bei dieser sehr unbestimmten Möglichkeit, daß es nicht gänzlich aus- geschlossen sei, daß die Philosophie auf den Gedanken einer durch- gängigen Korrespondenz physischer und psychischer Prozesse zurück- kommen könne, bleibt Wund t doch nicht stehen; wenige Seiten später (S. 568) wird uns schon in bestimmter Weise erklärt, daß wir in der Tat die Sache so auffassen dürfen. Denn hier erklärt Wundt, daß wir, »sobald wir überhaupt die in der Erfahrung beginnenden Entwicklungen in einem dem empirischen Fortschritt entsprechenden Sinne über die Erfahrung hinaus fortführen, auch voraussehen dürfen, daß jenseits der Grenzen, innerhalb deren für uns Bewußtsein nach- weisbar ist, dieses bereits in einfacheren Entwicklungsformen vor- komme.« Und nun findet auch die vom Standpunkt empirischer Psychologie aus abgelehnte Annahme unbewußter psychischer Vor- gänge Gnade vor Wundts Augen. Er führt den Begriff des mo- mentanen Bewußtseins als einen Grenzbegriff ein. »Insofern der B^^ff des Bewußtseins selbst in der Kontinuität der geistigen Vor-

Oehim- und Nervenprozesse, setzen, die Annahzhe psychischer Ursachen dagegen der Metaphysik überlassen soll, der psychophysische Parallelismus jedenfalls auf- hört, eine empirische Theorie und Maxime der empirischen Forschung zu sein. Hierüber ist oben unter 9 Modalität c das Nötige gesagt worden.

92 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismns.

gänge besteht, würde dieser Fall der einzige sein, wo ein be- stimmtes Geschehen im absoluten Sinne als ein »unbewußtes« zu bezeichnen wäre (S. 568). Als den angemessensten Ausdruck zur Bezeichnung eines derartigen Geschehens sieht Wundt den Leibniz- schen eines verschwindend oder unendlich kleinen Bewußtseinsgrades an. In der Tat dürfte das die angemessenste Bezeichnung sein; im übrigen ist es für unsere Zwecke hier gleichgültig, ob man die psychischen Vorgänge, die wir jenseits der Grenzen, innerhalb deren für uns Bewußtsein nachweisbar ist, voraussetzen dürfen, als ganz unbewußte oder nur als minderbewußte ansehen will: genug, daß uns überhaupt das Becht eingeräumt wird, psychische Parallel vor* gänge in so erweitertem Umfange anzunehmen. An einer anderen Stelle geht aber Wundt noch weiter: zu solcher Annahme sind wir nicht nur berechtigt, sondern sogar genötigt! Das psychische Sein, führt er S. 520 aus, ist zwar erst da nachweisbar, wo die einzelnen psychischen Akte einen umfassenden Zusammenhang zu bilden an- fangen, welcher Lebensäußerungen möglich macht, die den Hand- lungen unseres eigenen Bewußtseins einigermaßen ähnlich sehen; aber ehe diese Stufe erreicht ist, ist das psychische Sein zwar nicht nachweisbar, aber ein notwendiges Postulat für die Begreiflichkeit der tatsächlichen psychischen Erscheinungen. Zunächst innerhalb der organischen Welt. So können z. B. nach S. 539/540 die in der organischen Natur allgemeinen Triebe nach Nahrung und Fort- pflanzung, die schon auf den niedersten Stufen des organischen Lebens als die wichtigsten Faktoren aller Entwicklung anzuerkennen sind, von den höheren Willenshandlungen nicht spezifisch verschieden sein, weil sonst die Willensentwicklung selbst zu einem Rätsel werden würde. Der Grundsatz der Kontinuität verlangt ferner, daß sogar schon der primitive Spaltungs- und Eontraktions Vorgang bei dem Protoplasma als ein psychophysischer angesehen und in diesem Sinn als ein einfacher, von Empfindungen und Gefühlen eingeleiteter und aus solchen bestehender Willensakt gedeutet werde (System S. 518). und nun zwingt die Eonsequenz des Prinzips, den Grundsatz der Beseeltheit auch auf die unorganische Welt auszudehnen, auch den in ihr sich abspielenden Yorgängen eine psychische Innenseite in irgend welcher Form zuzuschreiben. Diese Eonsequenz wird denn auch von Wundt gezogen. Der »von vornherein unzulängliche Gedanke einer beschränkten Verbindung des geistigen Geschehens mit bestimmten materiellen Eomplexen« findet seine Berichtigung und Ergänzung« (S. 569). »Die stetige Entwicklung des geistigen Lebens, wie sie

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und uneohte Formen. 93

uns empirisch in den unterschieden der Bewußtseinsgrade entgegen- tritt, verlangt, daß nicht bloß gewisse materielle Substanzverbindungen, sondern daß schon die letzten begrifflich erreichbaren Einheiten gleichzeitig als Ausgangspunkte der geistigen Entwicklung gedacht werden« (S. 569). Das individuelle Bewußtsein ist Olied eines geistigen Universums, dem es als Willenseinheit relativ selbständig gegenübersteht. Durch Wechselwirkungen mit außerhalb seiner selbst gelegenen Willenseinheiten erhält es sein Besitztum an Yorstellungen (S. 591/92). Daher kann die vom Standpunkt empirischer Betrachtung des Seelenlebens aus gerechtfertigte Einschränkung der psychischen Begleitprozesse auf bestimmte nervocerebrale Prozesse auf metaphy- sischem Standpunkt nicht aufrecht erhalten werden; sie muß fallen. Die metaphysische Betrachtung kann »allgemein in den physischen Yorgängen nur Objektivierungen eines Geschehens erblicken, dessen wirkliches Sein unserm eigenen geistigen Leben analog ist« (S. 605; vgl. auch S. 424). Auch den physiologisch -chemischen Prozessen kann ein eigenes psychisches Sein nicht fehlen. Von diesem Stand- punkt aus betrachtet, erscheint nunmehr der ganze lebende Körper als ein einheitliches psychophysisches Substrat des geistigen Lebens. »Die Seele«, erklärt Wundt als Vertreter des idealistischen Parallelismus, >ist der gesamte Zweckzusammenhang geistigen Werdens und Ge- schehens, der uns in der äußeren Beobachtung als das objektiv- zweckmäßige Ganze eines lebenden Körpers entgegentritt« (S. 606). Und nun brauchen wir uns darüber nicht zu ereifern, ob das geistige Leben, das wir allen Naturprozessen als innere Begleit- erscheinung beilegen, als ein solches »im engeren Sinne des Worts« aufzufassen ist oder ob von einem solchen, wie Wundt will, nur geredet werden kann , wo es in der inneren Erfahrung und in seinen äußeren Wirkungen nachweisbar ist, und die Natur daher als die »Vorstufe des Geistes« anzusehen ist (S. 569). Wie das innere geistige Leben der Natur in concreto aufzufassen ist, wissen wir natürlich nicht, da wir uns eine anschauliche Vorstellung von ihm nicht machen können. Sind wir uns einerseits darüber klar, daß wir nicht das uns allein aus unserer eigenen inneren Erfahrung bekannte menschliche Geistesleben in die Natur hineinlegen dürfen, so gibt doch andererseits jeder, der ihr überhaupt einen Kern inneren Lebens zugesteht, auch zu, daß dieses innere Leben als ein dem mensch- lichen geistigen Leben irgendwie analoges zu denken ist, als y>qiiel' que chose d'analogiquQ au sentiment et ä VappitiU^ wie Leibniz sagte, und wer das zugibt, der bekennt sich zum Fanpsychismus

94 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismas.

und, wenn er außerdem Parallelist ist, zum universellen Parallelis- mus, und so haben denn Ziehen (Leitfaden der physiol. Psychol. 1893, S. 209/210) und Paul sen (Einl. S. 90) ganz recht, wenn sie Wundt als Vertreter des Animismus und des universellen Parallelismus (Panpsychismus) in Anspruch nehmen.^)

Mit großer Entschiedenheit spricht sich ein anderer Anhänger des psychophysischen Parallelismus, Jodl, gegen die universelle Fassung desselben aus. »Diese ganze Theorie des Parallelismus zwischen Bewußtseins- und Gerebralvorgängen«, erklärt er S. 77 seines Lehrbuchs (Stuttgart 1896), »gilt schlechterdings nur soweit, als eben dieser Parallelismus selbst erfahrungsmäßig zu konstatieren ist«. Wollten wir uns diesen Ausspruch streng wörüich zu nutze machen, so würde nun freilich folgen, daß der Parallelismus überhaupt nicht gilt, denn erfahrungsmäßig konstatiert ist er ja eben nicht Wäre er das, wäre er eine Erfahrungstatsache, so wäre auch um ihn kein

1) Ich glaube, daß wir auch Erhardt als Anhänger zwar nickt des nni- vers^Uen Parallelismus denn er bek&mpft den Parallelismus in jeder Form , wohl aber des Panpsychismus in Anspruch nehmen müssen. Die von ihm im XL Kapitel seiner Erkenntnistheorie (Leipzig 1894) entwickelte, in seiner jüngsten Schrift: Psychophysischer Parallelismus und erkenntnistheoretischer Idealismus, 1901, 8. 9, 16, 18 22 u. a. in groBen Zügen rekapituUerte metaphysische bezw. naturphilosophische Ansicht, wonach der Ausdehnung der Materie RepuMons- und Attraktionskräfte zu Grunde liegen und ihr daneben noch andere immaterielle Krfifte, wie Elektrioität, Chemismus etc. innewohnen, unterscheidet sich doch schließlich nur dem Namen nach von einer panpsychistisohen. Immaterielle Kräfte und alle Kraft ist als solche immateriell das sind geistige Realitäten, wenn nicht im engeren Sinne, so doch in jenem weiteren, daß sie quelque ekose d'ano^ logique au sentimeni et ä Vappitit bedeuten. Auf einen Grad mehr oder weniger kommt es dabei nicht an und der Abstand dieser Kräfte von der uns unmittelbar be- kannten menschlich -geistigen Realität läßt sich nicht messen. Einen spezifischen Unterschied zwischen ihnen und der letzteren aber kann, war der Materie imma- terielle Kräfte innewohnen und diese sie gestalten läßt, nicht machen, oder, wenn er ihn macht, doch nicht angeben, worin er bestehen soll, und noch weniger, warum er jene Kraft immateriell nennt Wollen wir uns von den Kräften der Materie überhaupt irgendeine Yorstellung machen, so können wir sie nur nach Ana- logie geistiger Tätigkeiten vorstellen, und dann sind wir Panpsychisten. Ygl. die Aus- füümngen der Note auf S.23f. Die Möglichkeit, das Psychische soweit auszudehnen, gibt Erhardt S. 16 seiner jüngsten Schrift zu, während er die Notwendigkeit, es zu tun, beetreitet. Bann aber läßt sich auch die Notwendigkeit, immaterielle Kräfte anzunehmen, bestreiten. Gilt diese, so auch der Panpsychismus. Baß Wundt auch nicht zu jedem psychischen einen physischen Parallel Vorgang an- nehmen will, wird später in anderem Zusammenhang zu besprechen sein. Vgl. zu Wundts Stellung zum universellen Parallelismus auch Mobile wer a. a. 0. S. 41—46.

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und anechte Formen. 95

Streit mehr möglich: offenbaren Tatsachen gegenüber maß ja doch schließlich jeder Widerstand verstummen. Aber er ist eben keine Tatsache, sondern eine Hypothese, ersonnen zum Zweck der Inter- pretation von Tatsachen und bestenfalls nahegelegt durch die Tat- sachen.^) Es kann sich also nur darum handeln, wieweit die Tat- sachen der Erfahrung es rechtfertigen, die parallelistische Hypothese im Sinne der Allbeseeltheit auszudehnen, ob es Tatsachen gibt, welche eine derartige Verallgemeinerung verbieten, oder ob die Tatsachen im Gegenteil sie nahelegen. Da meint nun Jodl, daß zwar jedem Vorgang im Bewußtsein ein cerebraler Prozeß entsprechen müsse, daß aber nicht auch umgekehrt allen neurologischen und cerebralen Prozessen psychische Begleitvorgänge entsprechen müßten, vielmehr eine solche Annahme abzuweisen sei (S. 38). Der Orund, weshalb er den universellen Parallelismus ablehnt, ist auch hier wieder die Abneigung gegen das unbewußte Psychische. Psychische Phänomene sind bewußte Phänomene, unbewußte psychische Prozesse sollen nicht gelten, das Unbewußte ist ein Nichtpsychisches (S. 79; vgl. S. 57, 59, 64 f.).*) Es gibt demnach viele physiologische Vorgänge, wie z. B. der des Gedächtnisses, denen nichts Psychisches entspricht (S. 78). > unterhalb der Schwelle unseres Bewußtseins muß fortwährend eine stille Arbeit vor sich gehen, welche organisch, nicht psychisch ist« (S. 79). Der neurologische Prozeß ist ein in sich kontinuierlich zu- sammenhängender, während der subjektiven Seite der Zusammenhang fehlt (S. 81).

Aus diesen Erklärungen folgt natürlich, daß das organische Leben sich weiter erstreckt als das psychische. Allem psychischen Leben entspricht zwar körperlich -organische Lebendigkeit, aber es gibt

1) Vgl. V. Hartmann, Med. Psych. S. 407. —Jodl erklärt zwar S. 32: Jedes Ich ist sich innerlich und äußerlich zugleich gegeben. Aber einstweilen wäre es sich jedenfalls nicht ganz äußerlich gegeben, denn gerade die körperlichen Vorgänge, welche den bewußten geistigen Vorgängen entsprechen, die Qehimprozesse, sind sowenig wie das Qehim selbst der Wahrnehmung des Ich vor der Hand noch nicht zugänglich. Es ist aber überhaupt falsch, daß das Ich sich äußerlich gegeben ist Das Ich, das sich innerlich in seinen Vorstellungen, Empfin- dungen, Gefühlen usw. allerdings gegeben ist, nimmt äußerlich einen Leib wahr, den es als seinen Leib von anderen körperlichen Dingen, die es gleichfalls urahmimimt, unterscheidet Daß dieser Leib es selbst, äußerlich angeschaut, ist, ist ihm aber nicht gegeben, sondern auf diesen Gedanken kommt es erst auf dem Wege so komplizierter Betrachtungen, wie sie der psycho- physische Paralle- lismus und seine Begründung enthält

2) Ahnlich Ziehen a. a. 0. S. 210.

96 Erster Abschnitt Der psyohophysische Paralleiismas.

organisches Leben ohne psychisches Innenleben. JodI läßt es denn auch S. 37 völlig dahingestellt sein, ob auch überall, wo Leben ist, Bewußtsein^ d. h. nach den obigen Erklärungen psychische Regsam- keit überhaupt, vorhanden ist

Aber nun kommen die Eonzessionen, die ihn allmählich und wider seinen eignen Willen auf eben den Standpunkt hinüberdrängen, den er doch ablehnen will: die Eonsequenz der Gedanken erweist sich auch hier stärker als alle Abneigung gogen die »metaphysische« Allbeseelungstheorie. Und der Übergang vollzieht sich in ganz pro- grammmäßiger Weise. Zunächst wird in Bezug auf die organische Welt ein Zugeständnis gemacht S. 38 wird die Irritabilität der Pflanzen usw. als Übergangsstufe zwischen bloß physikalisch- cliemischer und psychophysischer Bewegung gefaßt Sie bedeutet eine Fähigkeit, in der die Fähigkeit psychischer Reaktion bereits »vor- gebildet« ist und die man als eine jener analoge auffassen darf. Da haben wir also wieder das Leibnizsche: Qudque chose d'ancUogique. Es ist zwar noch keine psychische Innenseite vorhanden beileibe nicht! , aber der Vorgang ist doch auch nicht mehr bloß physisch, er enthält ein dem Psychischen analoges Element in sich! Das heißt nichts anderes als Jodl hat die Sache, die Ausdehnung der parallelistischen Theorie auf alle Vorgänge des organischen Lebens, bereits acceptiert, aber er scheut sich, die Sache auch beim richtigen Namen zu nennen. Zwischen seinem Standpunkte und dem uuiver- sellen Parallelismus besteht, soweit die organische Welt in Frage kommt, nur ein Unterschied der Bezeichnung, nicht ein solcher der Sache. Auch bei Jodl reichen die Anfänge des psychischen Lebens soweit zurück als die Anfänge des Lebens überhaupt

Weiter will Jodl nun aber die Analogie durchaus nicht treiben. Die Ansicht, welche auch der unorganischen Materie schon einen Keim psychischen Innenlebens zuschreibt, lehnt er S. 38 41 als hylozoistisch ab. Daß die Materie nicht ganz passiv ist, sondern eine gewisse Spontaneität besitzt, durch welche die Wechselwirkung zwischen den Dingen zu stände kommt, gibt er freilich zu, leugnet aber, daß diese Eraftäußerungen irgend welche Ähnlichkeit mit psy- chischen Vorgängen, mit Empfindungen und Gefühlen haben. Erst mit der organischen Materie, wo wir komplexe Verbindungen haben, die als solche ganz neue, ihren einzelnen Eomponenten nicht zukommende Eigenschaften entfalten, tritt das Psychische als Eorrelat auf (S. 39). Aber auch diese Position läßt sich nicht halten, der erste in der Richtung zum universellen Parallelismus getane Schritt zieht not-

Erstes Kapitel. Die Formen des ParaUelismiis. Echte und unechte Formen. 97

wendig den zweiten nach sich: die Spontaneität, welche auch der unorganischen Materie innewohnt, wird das Bindeglied, welches die unorganische Natur mit der von psychischem Leben erfüllten organi- schen Natur verknüpft und die Ausdehnung der Beseeltheit auch auf die erstere einerseits ermöglicht^ andererseits notwendig macht. Das für Jodl entscheidende Prinzip ist dabei das der Kontinuität der Entwicklung. Diesem Prinzip zufolge leugnet er zunächst, daß auf der körperlichen Seite mit den komplexen Verbindungen der organischen £örper etwas ganz Neues in die Welt hineinkomme, etwas, das in den vorhandenen materiellen Bestandteilen und ihren Eigenschaften nicht seine völlig zureichende Begründung hätte und sich aus ihnen nicht vollständig erklären ließe. Zwischen der organischen und der unorganischen Natur klafft kein Sprung, die erstere geht auf dem Wege kontinuierlicher Entwicklung aus der letzteren hervor. Ist das aber der Fall, und ist andererseits das Geistige dem parallelistischen Prinzip entsprechend weder eine Wirkung materieller Prozesse noch ein von außen her an die Materie herantretendes und mit ihr Wirkung und Gegenwirkung austauschendes Reales, sondern eine den physischen Vorgängen parallelgehende Begleiterscheinung derselben, so fordert doch die Eonsequenz, daß auch in der geistigen Welt das Prinzip kontinuierlicher Entwicklung seine Geltung behalte und die höheren, den komplexen Verbindungen in den Organismen entsprechenden psy- chischen Vorgänge ebenso kontinuierlich aus niederen und einfacheren psychischen Elementen hervorgehen, wie jene Verbindungen aus ein- fachen Urbestandteilen der Materie. Wenn nun Jodl, der eine sprunglose Entwicklung durchaus verlangt (S. 39), bekennt, daß in eine materielle Welt ohne alle innere Spontaneität, in der alle Be- wegung nur durch eine vis a tergo erfolgte, so etwas wie Bewußtsein nur durch ein Wunder kommen könnte, so heißt das natürlich nichts anderes, als daß in eine materielle Welt mit innerer Spontaneität das Bewußtsein nicht durch ein Wunder kommt, sondern sich auf natürliche und kontinuierliche Weise aus der in der Welt schon vor- handenen Spontaneität der Materie entwickelt Die Spontaneität der Materie erscheint also als die »Vorstufe« des Bewußtseins, als der Keim und die erste Anlage desselben, kurz als ein primitiv Psy- chisches. 8. 86/87 führt Jodl denn auch aus, daß in dem ursprüng- lichen Zustande der Welt das Psychische als Anlage und zwar als eine nicht- materielle bereits enthalten gewesen sei. Damit stehen wir auf dem Boden des universellen Parallelismus: die ersten Anfange des Geistigen lassen sich bis zu den primitivsten Vorgängen

Buie», Geist und EOrper, S«el« and L€ib. 7

98 Erster Abschnitt Der psyohophysisohe Parallelismas.

der unorganischen Welt kontinuierlich zurückverfolgen, schon die unorganische Materie enthält in der ihr eigenen Spontaneität ein primitives psychisches £lement, aus dem der Entwicklung der mate- riellen Seite entsprechend das bewußte geistige Leben sich allmählich herausbildet

Daß es Jodl wirklich £mst ist mit der Ansicht, daß zwischen den Kräften der unorganischen Materie und den höchsten Äußerungen des bewußten geistigen Lebens nur ein gradueller, aber kein spezi- fischer Unterschied besteht, wird endlich in einer jeden Zweifel aus- schließenden Weise durch die Tatsache bezeugt, daß er sich den Biehlschen Satz zu eigen macht, »daß die Empfindung, welche ja nicht bloß Rezeptivität ist, sondern Reaktion gegen den empfangenen Reiz, den Typus aller Wechselwirkung auch der nicht empfindenden Natur liefert« (S. 39). Wie sagt doch Leibniz? »Qttelqfie chose cTanalogique au sentiment et ä Vapp6Ht.< Ist nun der Begründer der Monadologie ein Panpsychist, so ist es auch Jodl. und da er außerdem Parallelist ist, so müssen wir ihn, daran können alle Proteste gegen den Hylozoismus usw. nichts ändern, zu den Yertretem des universellen Parallelismuä rechnen.

Das gleiche gilt endlich auch von Riehl, durch den Jodl, wie es scheint, beeinflußt worden ist Auch bei ihm stoßen wir zunächst auf eine entschiedene Ablehnung des universellen Parallelismus aus ähnlichen Gründen wie bei Jod L Er läßt wohl den Satz, daß jeder Modifikation des Denkens in der Erscheinung ein bestimmter Modus der Ausdehnung entspricht,^) nicht aber die Umkehrung desselben gelten (Der phil. Kritizismus u. s. Bed. für d. pos. Wissen- schaft 112. Lpz. 1887 S. 196) und verwirft daher den Panpsychismus (S. 180, 181, 192, 193, vgl. auch S. 196, 197, 206, 209, 212), an dessen Stelle er den »kritischen Monismus« gesetzt wissen will. Das psychische Leben über die Grenzen der organischen und zugleich animalischen Natur auszudehnen haben wir keinen Orund (S. 212). Und auch hier wieder stoßen wir auf die Abneigung gegen das Unbewußt- Psychische als auf den eigentlichen Orund der Abneigung

1) Auch diese Behauptcmg erleidet übrigens bei Riehl eine Einscbränkung. S. 214 sagt er, daß die Assoziation durch innere Verwandtschaft, welche keine mechanische Repräsentation haben kann, sich dem objektiven Anblick entziehen müsse, auch wenn dieser die äußerlich erkennbaren Vorg&nge der nervösen Snbstanz voll- ständig umfassen würde. Vgl. auch die Bemerkungen 8. 208 über die Sozialpsycho- logie. Über diese auch bei Wundt sich findende Einschränkung des paralle- listischen Prinzips wird später in anderem Zusammenhange das Nötige zu sagen sein.

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und iiDechte Formen. 99

gegen den universellen Parallelismus: von unbewußten Empfindungen will Biehl nichts wissen (S. 213, 214). Aber auch er muJß doch schließlich zugeben, daß die inneren Vorgänge in den unorganischen Körpern als etwas dem Psychischen Analoges angesehen werden müssen: Quelque chose d'analogique! Die Empfindung geht aus dem Beaten, das die Erscheinung der Materie bewirkt, hervor, ihr Grund ist in einer mehr als nur quantitativen oder mechanischen Wirksamkeit zu suchen (S. 192). Ebenso ist der Wille »ein not- wendiger Erfolg der qualitativen Wirksamkeit eben derselben Prozesse, die wir äußerlich als mechanische anschauen« (S. 194). »Die Er- scheinung der psychischen Tätigkeit weist auf eine wahre, von den Ele- menten ausgehende . . . Beaktion zurück« (S. 195). Und auf derselben Seite finden wir den von Jodl übernommenen, oben bereits zitierten Satz: In der Empfindung, die nicht bloße Bezeptivität ist, sondern Beaktion gegen den empfangenen Beiz, haben wir den Typus aller Wechselwirkung, auch der in der nicht empfindenden Natur vor uns, worin denn die Analogie deutlich ausgesprochen ist. Vgl. femer S. 199, 205, 206/207, 208, 211.

So bricht also ungeachtet alles Sträubens die Konsequenz des parallelistischen Gedankens, der universelle Parallelismus, bei seinen Verfechtern sich immer wieder Bahn. Diejenigen, welche wie Fech- ner und Paulsen sie ohne Zögern und ohne alle Verklausulierung ziehen, müssen daher als die echtesten Vertreter des psychophy- sischen Parallelismus angesehen werden.

Den universellen Parallelismus lehrt im Grunde auch Haeckel, obwohl bei ihm der Parallelismus immer durch materialistische Sen- tenzen durchkreuzt und beeinträchtigt wird, so daß seine Ansicht über das Verhältnis des Psychischen zum Physischen eine sehr un- klare und widerspruchsvolle ist. Paulsen zitiert noch v. Nägeli and Zöllner als Bekenner des Panpsychismus, ich füge noch Max Verworn hinzu (AUg. Physiologie, Jena 1895, S. 45).

Von Vertretern des Parallelismus, welche die Allbeseelung als Eonsequenz des Parallelismus anerkennen und dementsprechend den universellen Parallelismus vertreten, erwähne ich noch Hoff ding (Psychologie 2. Aufl. 1893 S. 71f.), Hey maus (Zur Parallelismusfrage, Zeitschr. f. Psychol. u. Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 17, 1898, S. 80—85) und Adickes^(Kant contra Haeckel S. 66). i) Die Not-

1) Münsterberg erblickt dagegen (a. a. 0. S. 100— *102) in der Theorie der Allbeseelang eine zwar berechtigte, aber nicht notwendige Hypothese. Was ihn davon abhält, ihre Notwendigkeit anzuerkennen , ist wiederum das Unbewußt -Psy-

7*

P08I2I

100 Erster Abschnitt Der psyohophysische Parallelismos.

wendigkeit, mit dem Parallelismus auch die Theorie der Allbeseelong zu verbinden, betonen ferner Erhardt (a.a.O. S. 118), Wentscher (a.a.O. S.62)i), ßehmke«), Aars«), Rickert*), James«),

chische. Er möchte den Begriff der unbewußten psychischen Disposition durch den einer materiellen Disposition im Sinne molekularer ümlagerongen im Nerven- system ersetzt wissen. Siehe S. 223 225. Im gleichen Sinne heifit es bei ihm S. 230: »ErkennoD wir . . . eine psychologische Theorie an, derzufolge die Yor- stellongen nur vermöge der unterliegenden Oehimprozesse kausal wirksam sind, so werden die nicht bemerkten Vorstellungen . . . von vomhereio durch die phy- sischen Parallelglieder ersetzt werden mÜ88en.c

Wir haben schon oben gesehen, dafi Münsterberg im eigentlichen Sinne gamicht als Anhänger des Parallelismus angesehen werden kann und werden das später in anderem Zusammenhange bestätigt finden. An dieser Stelle liegt kein Anlaß vor, auf seine Stellung zum universellen Parallelismus kritisch einzugehen; es genügt, auf die Ausführungen über Wundt, Jodl und Riehl zu verweisen.

Ziehen lehnt (Leitfaden d. physiol. PsychoL 2. Aufl., Jena 1893) die unbe- wußten psychischen Vorgänge und die Theorie der Allbeseelung als mythologisch ab. Seine Abneigung gegen die Mythologie hat ihn aber nicht verhindert, eine Mythologie der Großhirnrinde zu schreiben.

1) Wenn aber Wentscher (S. 12—15) meint, der psychophysiche Paralle- lismus müsse notwendigerweise die psychologische Kette als eine in sich abge- geschlossene ansehen, so ist das nicht richtig. Mit Recht wendet Hey maus (a a. 0. S. 95/96) dagegen ein, daß auch die Oehimprozesse ja nicht in sich ab- geschlossen seien und die Fortsetzung der psychischen Kausalität über das indi- viduelle Bewußtsein hinaus gerade die Konsequenz des ParalleUsmus sei. Auch braucht man die von Wentscher zitierte Äußerung Wund ts (Phil. Studien X. S. 111), daß die Kausalität des Bewußtseins keine in sich abgeschlossene sei und daher für sich betrachtet bloß eine relative Vollständigkeit besitzen könne, nicht so zu verstehen, daß die psychologischen Vorgänge überhaupt ohne psychische Ursachen zu denken sind (Wentscher S. 12 13, vgl. auch S. 63, S. 109). Wundt meint an dieser Stelle nur, daß sie innerhalb des Kreises des individuellen Bewußtseins nicht motiviert sind, wobei denn doch aber noch die Möglichkeit übrig bleibt, daß sie durch außerhalb des individuellen Bewußtseins gelegene psychische Ursachen motiviert sind. Vgl. hierzu auch Mohilewer aa.0. S. 37 Anm. 2 und 8. 45.

2) In einer Besprechung von Jodls Psychologie in der Zeitschr. f. PhÜ. u. phil. Kritik Bd. 112, S. 120. Rehmke streitet Jodl, wenn er den Panpsychismus ablehnt, sogar das Recht ab, sich überhaupt Parallelist zu nennen. Vgl. Allg. Psycho- logie S. 103.

3) In dem schon oben erwähnten Aufsatz: The parallel relaiion bettoeen the aoul and the body. In irgend einer Form, führt er S. 10/11 aus, spricht die allgemeine Beseelung jeder konsequente Vertreter des Parallelismus aus. *If not othencüe, then at least it is said thtä the rudiments from tohieh feeling, thought and will epring, are found in the matter,* «

4) Psychophys. Kausalität und psychophys. Parall. in: PhiL Abhandl., Chr. Sigwart gewidmet, Tübingen 1900, S. 65, 66.

5) Piindples of Psychology, Bd. I S. 149. Dieser Ansicht sind nach ihm die »more elear-sighied evohUionary philoeophers.*

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 101

Hartmanni), Lange»), Mach»), Hering*), Bütschli«) u. a. m.

Die vorstehenden Erörterungen dürften wohl gezeigt haben, daß der Fanpsjchismus in der Tat die notwendige und unausweichliche Eonsequenz des psychophysischen ParaUelismus ist In Bezug auf die Frage nach der Quantität des Parallelismus, ob derselbe als partieller oder als universeller zu fassen sei, ist also unsere Antwort die, daß nur der universelle Parallelismus eine echte Form des Parallelismus darstellt, der partielle dagegen, der einen Rückfall in den Materialismus bedeutet, als eine unechte, mit dem Geist des psychophysischen Parallelismus unvereinbare Form auszuscheiden ist

3. Qualität Materialistisoher , realistisch - monistisoher , idealistisch - monistischer

und dualistischer Parallelismus.

Von diesen Standpunkten scheidet indes der erste, der materiar listische Parallelismus oder die sogenannte, von Mün sterbe rg und Ziehen vornehmlich vertretene »materialistische Psychologie« sofort aus, weil er nur dem Namen, nicht aber der Sache nach paralle- Ustisch ist.

Schon bei der Prüfung des Materialismus habe ich (oben S. 59 u. 60) auf eine Form desselben hingewiesen, welche, indem sie das Psychische zu einer Begleiterscheinung des Physischen macht, nicht mehr materialistisch, sondern parallelistisch ist, andererseits aber, insofern sie doch von den beiden einander parallel gehenden Faktoren nur den materiellen als eigentlich real ansieht, in der materialistischen Denkweise stecken bleibt Ihr entspricht nun auf parallelistischem Gebiet der materialistische Parallelismus, der, insofern er die psy- chischen Phänomene nicht als Wirkungen, sondern als Begleit- erscheinungen der physischen Yorgänge angesehen wissen will, sich auf die Seite des Parallelismus stellt, andererseits aber dui'ch sein Herabdrücken der psychischen Begleitphänomene zu bloßen Epi- phänomenen seine Hinneigung zum Materialismus deutlich bekundet

1) Med. Psychol. S. 344, 348, 350, 351, 364, 368, 404, 405, 442, 444 u. a.

2) Wenn auch mit vorsichtiger Berücksichtigung der Schwierigkeiten, welche das einheitL Bewußtsein und die Entstehung der Empfindung aus den primitiven Psychosen darstellen. Gesch. d. Mat W, A. S. 496, 678 u. a.

3) Über d. Wirkliohk. d. räuml. Yert d. lichtreizes auf d. Netzhaut, Sitzungs- berichte d. Wiener Ak. d. W. Bd. 52, Wien 1868. Beitr. z. Analyse d. Empfin- dungen, Jena 1886.

4) Z. Lehre v. liohtsiim, Wien 1878.

5) Mechanismus u. Yitalismus, Lpz. 1901,

102 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismos.

Er ist eben ein halb materialistischer, halb parallelistischer Zwitter- standpunkt, als solcher bei allen denen beliebt, welche, sich inneriich zum Materialismus hingezogen fühlend, zugleich aber etwas erkeuntnis- theoretisch angehaucht, einen Standpunkt suchen, der ihnen erlaubt, unter parallelistischer Flagge ihren materialistischen Neigungen unge- hindert folgen zu können. Charakteristisch für ihn ist die Leugnung der psychischen Kausalität Nur auf der physischen Seite gibt es einen Eausalnexus, nur die Glieder der physischen Reihe stehen zu einander im Verhältnis von Ursache und Wirkung; die der psychischen Parallelreihe stehen nur zu den physischen Vorgängen, denen sie beigeordnet sind, in einem Verhältnis funktioneller Abhängigkeit, zwischen ihnen selbst besteht gar kein Kausalzusammenhang. »Ein psychisches Objekt kann weder Ursache noch Wirkung sein; das Auftreten und Verschwinden der Bewußtseinsinhalte kann nicht erklärt werden, und die einzelnen Teile des psychischen Systems sind somit ohne direkten Zusammenhang«^). Daran schließt sich die von diesem Standpunkt aus aXich nicht zu umgehende Behauptung, daß die wissen- schaftliche Forschung es eben nur mit Erforschung der Oehirnvor- gänge und deren Verknüpfung zu tun habe; erst von dieser Grund- lage aus lasse sich dann auch eine Einsicht in den Zusammenhang der psychischen Vorgänge gewinnen. Psychologie ist ganz und gar auf Physiologie zu begründen: das ist eine Orundüberzeugung der »materialistischen« Psychologie, die um dieser Überzeugung willen diesen Namen führt. Sie würde folgerichtiger handeln, wenn sie sich auf diesen Namen beschränkte und die weitere Bezeichnung ihrer selbst als parallelistischer Lehre gänzlich fallen ließe. Denn mit dieser Bezeichnung segelt sie unter falscher Flagge; mit dem Parallelismus ist die materialistische Psychologie ebensowenig wie der partielle Parallelismus, mit dem sie überdies, wie schon oben (S. 66) erwähnt, eng verbunden ist^), vereinbar: die Leugnung der psychischen Kau- salität führt unweigerlich zum Materialismus.

Auf die wunderlichen Ansichten, zu denen die Anhänger der » Schatten theorie«, wie Stumpf sie treffend bezeichnet'), in dem ver- geblichen Bemühen, uns die psychologischen Vorgänge und ihren

1) Münsterberg, a. a. 0. S. 384. Vgl. auch S. 387 u. 430. Vgl. auch Spaulding a. a. 0. 8. 76, 96 u. a.; Heinrich, Zur Principienfrage der Psycho- logie, Zürich 1899, S. 6—17.

2) Vgl. Aars a. a. 0. S. 7.

3) Rede zur Eröfib. d. psychol. Kongresses in München 1896 S. 7, Arohiv Gesch. d. Phil. Bd. 8. S. 306.

Erstes Kapitel. Die Formen des ParaUelismus. Echte und nneohte Formen. 103

psychischen Zusammenhang physiologisch verständlich zu machen, gelangen, brauchen wir hier noch nicht einzugehen, die ünmöglickeit, Psychologie auf Physiologie zu gründen, hier noch nicht nachzuweisen. An späterer Stelle und in anderem Zusammenhange werden wir diese Seite der materialistischen Psychologie in Betracht zu ziehen haben. Für jetzt handelt es sich lediglich um die Frage, ob die materialistische Psychologie, was immer im übrigen ihr Wert sein möge, noch paralle- listisch ist oder nicht, und diese Frage glauben wir entschieden ver- neinen zu müssen.

Sind die psychischen Phänomene psychisch überhaupt nicht bedingt, so hängen sie, sollen sie nicht völlig in der Luft schweben, von den physischen Vorgängen ab, in deren Begleitung sie auftreten. Schon das bedeutet, wie oben bereits erwähnt (S. 87/88), ein Preisgeben des parallelistischen Standpunktes zu Gunsten des materialistischen; die weitere Eonsequenz aber, zu der die Anerkennung dieser Ab- hängigkeit unweigerlich führt, macht es noch deutlicher, daß der Weg des materialistischen Parallelismus notgedrungen zum Materialismus zurückführt Hängen nämlich die psychischen Phänomene von den physischen Yorgängen ab, mit denen sie verbunden sind, so hängen sie damit eo ipso auch von den weiteren physischen Vorgängen ab, deren Wirkungen ihre physischen Komplemente sind. Nehmen wir an, die physische Eausalkette bestehe aus den Gliedern AB CDS und es trete bei D ein psychisches Epiphänomen A auf. Offenbar ist es nun der physische Eausalnexus AB CD ein psychischer besteht ja nicht gewesen, der zu dem Auftreten von J, dem mit D verknüpften Epiphänomen, geführt hat Ein anderer physischer Kausalnexus, etwa AFOH, hätte entweder zu gar keinem oder zu einem anderen, jedenfalls also nicht zu dem Epiphänomen A geführt. Also müssen wir in den Gliedern ABC der physischen Reihe nicht nur die Ursache von Z>, sondern auch die von A erblicken, womit wir denn in den Materialismus zurückfallen, uns nur noch durch die Behauptung: das Psychische sei eine Begleiterscheinung des Phy- sischen, dem Namen, nicht der Sache nach von ihm unterscheidend.

Haben wir es also in der materialistischen Psychologie nicht mit einem aufrichtigen Materialismus zu tun, so noch weniger mit einem wirklichen und echten Parallelismus. Der materialistische Parallelismus ist ein verkappter Materialismus und ein Pseudoparalle- lismus.^)

1) V. Hartmann, Mod. Psych. S. 348.

104 Erster Absohnitt Der psychophysische ParalleliBmos.

Dagegen läßt sich gegen die drei anderen Formen des Paralle- lismus, den dualistischen, realistisch -monistischen und idealistisch- monistischen Farallelismus, was immer auch sonst etwa sich gegen sie mag einwenden lassen, jedenfalls vom Standpunkt immanenter Kritik aus kein Einwand erheben : alle drei erscheinen als mit dem paralleli- stischen Grundgedanken durchaus vereinbare echte Formen des psycho- physischen Parallelismus.

Das gilt insbesondere von dem dualistischen Parallelismus, der überhaupt nichts weiter als die Formulierung des parallelistiBchen Grundgedankens: das durchgängige Parallelgehen physischer und psychischer Vorgänge, darstellt Ihm zufolge zerfallt die Welt in eine psychische und in eine physische Hälfte, deren einzelne Modi sich wechselseitig genau entsprechen. In dieser Behauptung erschöpft er sich, auf sie beschränkt er sich. Warum dieser Parallelismus statt- findet; wie es zu verstehen ist, daß jedem physischen Vorgang eine psychische Begleiterscheinung korrespondiert und zu jedem psychischen Vorgang ein physisches Gegenstück vorhanden ist, das erklärt er ent- weder garnicht oder weist uns auf eine aus dem Absoluten stammende prästabilierte Harmonie hin. Der Dualismus von Geist und Materie bildet für ihn ein letztes, unauf hebbares Faktum, der dualistische Parallelismus vertritt den Dualismus als metaphysische, endgültige Theorie. Dieses Umstands wegen hat er aber auch kaum einen nam- haften Vertreter gefunden. Ein metaphysischer Dualismus ist un- befriedigend, er trägt dem der menschlichen Vernunft unhintertreibbar innewohnenden Verlangen, die Welt als ein einheitliches Ganze zu begreifen, nicht Rechnung. Aus der Welt, die doch eine unteilbare ist, macht der dualistische Paralielismus zwei absolut verschiedene und getrennte Welten, die dann doch auf eine ganz unverständliche, mysteriöse Weise sich in allen Einzelheiten genau entsprechen sollen. Damit kann sich die menschliche Vernunft nicht befriedigen, sie sucht nach einem vernünftigen und einleuchtenden Grunde dafür, daß die beiden so heterogenen Welthälften doch eine so durchgängige Kongruenz aller ihrer Teile aufweisen. Dem Bestreben, einen solchen Grund anzugeben, verdanken zwei andere Formen des Parallelismus, der realistisch -monistische und der idealistisch -monistische, ihre Ent- stehung. Beide sind monistisch, d. h. beide suchen den für die empirische Wirklichkeit gültigen Gegensatz von Geist und Materie metaphysisch dadurch zu überwinden, daß sie die beiden Faktoren auf einen einheitlichen Grundfaktor, der nun als das allein wahrhaft Beale zu gelten hat, zurückführen. Der monistisch -realistische

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 105

Monismus in der Weise, daß er die psychischen und die physischen Phänomene als zwei verschiedene Manifestations- oder Objektivations- weisen eines und desselben ihnen beiden zu Grunde liegenden Realen, das also an sich weder Geist noch Materie bezw. die Identität beider ist, auffaßt Die geistige und die körperliche Welt bilden also, im ganzen wie auch in allen ihren Teilen, zwei Seiten einer und der- selben Sache: una, eademque res duobus modis ^cpressa. Darin nun, daß sie garnicht zwei selbständige Dinge sind, sondern daß es ein und dasselbe Beale ist, welches sich in psychischer und in physischer Form manifestiert, liegt zugleich der erklärende Grund der durch- gängigen Übereinstimmung und Korrespondenz dieser Formen. Wegen der Ton ihr behaupteten metaphysischen Identität dessen, das uns einerseits als psychischer, andererseits als physischer Vorgang er- scheint, bezeichnet man diese Form des psychophysischen Paralle- lismus auch als Identitätsphilosophie. Ob nun die von ihr behauptete Identität ein genügender Erklärungsgrund für den gleichfalls von ihr behaupteten durchgängigen Parallelismus physischer und psychischer Yorgänge ist, soll an dieser Stelle nicht untersucht werden; jedenfalls enthält sie nichts, was mit dem Prinzip des Parallelismus nicht ver- einbar wäre. Vom Standpunkt immanenter Kritik aus müssen wir den realistisch -monistischen Parallelismus daher durchaus gelten lassen.

Und dasselbe werden wir vom idealistisch -monistischen Paralle- lismus sagen müssen. Die Zurückführung der beiden Faktoren, des psychischen und des physischen Seins, auf einen gemeinschaftlichen Grund unternimmt er in der Weise, daß er in Übereinstimmung mit dem erkenntnistheoretischen Idealismus das psychische Sein für das allein wahrhaft reale, das physische dagegen für eine bloße Er- scheinung des geistigen Seins erklärt Metaphysisch ist alle Realität geistiger Art, unser Geist ist aber so organisiert, daß ihm das an sich Geistige in sinnlicher Form, als ein Bäumlich -Materielles erscheint Nur sein eigenes geistiges Sein erfaßt jeder Mensch unmittelbar, alles fremde stellt sich ihm dank der ihm eigentümlichen sinnlichen Wahrnehmung als ein Physisches, im Baum Befindliches und in ihm Bewegliches dar, ja auch sein eigener Geist erscheint jedem, soweit er ihn sinnlich wahrnimmt, als ein Bäumlich -Körperliches.

Unser Körper ist die äußere, sinnlich wahrgenommene^Erscheinung dessen, was wir als Gefühle, Torstellungen, Willensimpulse unmittel- blir als Wirklichkeit erleben oder als wirkliche Vorgänge unseres unbe- wußten Lebens annehmen zu müssen glauben, die fremden Körper sind die Erscheinungen der fremden Seelen, wie denn auch unsere

106 Erster Abschnitt. Der psychophysisohe ParaUelismns.

eigene Seele Fremden nur in Gestalt unseres Körpers erscheint. Hier liegt also in der Tatsache, daß die gesamte körperliche Wirklichkeit die Erscheinung einer ihr zu Grunde liegenden geistigen Welt von Gefühlen, Strebungen und Gedanken ist, der erklärende Grund dafür, daß die erstere der letzteren in allen Einzelheiten genau entspricht: jeder Bestandteil, jeder Vorgang in der wahrhaft wirklichen geistigen Welt muß eben auch in der sinnlichen Erscheinungswelt sich wider- spiegeln, dort einen entsprechenden Ausdruck finden. Möglicherweise stößt auch diese Ausgestaltung der parallelistischen Anschauung bei ihrer Durchführung auf erhebliche Schwierigkeiten: Tom Standpunkt des parallelistischen Prinzips aus aber läßt sich sicherlich nichts gegen sie einwenden, sie entspricht allen berechtigten Anforderungen, die man von ihm aus an eine parallelistische Weltanschauung machen kann. Yom Standpunkt der Qualität aus ist also das Ergebnis unserer Untersuchung dies, daß der materialistische Parallelismus als unecht abzuweisen ist, der dualistische, realistisch- monistische und idealistisch -monistische Parallelismus dagegen als echte Formen des parallelistischen Grundgedankens anzuerkennen sind.

Der klassische Vertreter der realistisch -monistischen Form des Parallelismus ist Spinoza; nach ihm wird dieselbe vielfach direkt als Neo-Spinozismus bezeichnet; von Neueren bekennen sich, um nur einige der am meisten hervorgetretenen Namen zu nennen, zu ihm: Baini), Clifford«), Huxley»), Carus*), Jodl»), Spencer«).

1) Geist und Körper, Leipzig 1874. AuftftUend ist, daS Bain in seiner Skizze der Oeschichte der Seelentheorien G. YIl Spinoza mit keinem Worte erwähnt, während er doch gerade dessen Lehre in fast gleichlautenden Wendungen Terficht. »Die eine Substanz . . mit zwei Klassen von Eigenschaften, zwei Seiten, einer physischen und eiuer geistigen eine Einheit mit zwei Gesichtern scheint allen BedürfniBsen des Falles zu genügen« (C. VII, S. 241).

2) Seeing and Thinking 1879, Leotures and Essays 1879, 2. Aufl. 1886.

3) Man's Place in Nature 1864, Collected Essays, 9 Bde., 1893—94.

4) The Soul of Man , Chicago 1891. Fundamental Problems , 2nd odition 1894 (l^e Religion of Science Library, Chicago, vol. II Nr. 2), Primer ofPhilosophy, Chicago 1896.

5) Lehrbuch der Psychologie, Stuttgart 1896.

6) Phnciples of Psychology. Freilich kann Spencer nioht als entschiedener und konsequenter Vertreter des psychophysischen Parallelismus gelten. Vielmehr finden sich bei ihm neben entschieden im Sinne des psychophysischen ParaUelismus gehaltenen realistisch - monistischen Äußerungen auch solche, die dualistische Auf- fassung verraten und eine Wechselwirkung zwischen Seele und Leib lehren. Auch Oaupp gibt das zu, er sagt (H. Spencer, Frommanns iUassiker der Philosophie Bd. V, S. 154), daß Spencers Ansichten über das Verhältnis von Geist und Materie Unklarheiten und Schwankungen zeigen, die eine dualistische Auffassung nahelegen.

Ebrstes Kapitel. Die Fonnen des ParaUelismns. Echte und unechte Formen. 107

Auch Haeckel ist, soweit er überhaupt als Parallelist in Frage kommt, als Anhänger der realistisch -monistischen Form des Parallelismus an- zusehen. Den idealistisch- monistischen Parallelismus vertritt mit

Es sei mir gestattet, ein paar Belegstellen dafür anzuführen. Zunächst einige ent- schieden parallelistisch lautende. »Was objektiv betrachtet eine Veränderung in einem höheren Nervencentrum ist, erscheint subjektiv betrachtet als ein Gefühl« (Principles of Psychology, 3, Aufl. 1881, Bd. I, S. 107, Übersetzung von Vetter, 8tattg. 1882, I, S. 110). »Wenn es also auch unmöglich ist, unmittelbare Beweise dafür zu geben, daß Gefühle und Nerventätigkeit nur jeweils die innere und die äußere Seite einer und derselben Veränderung (the inner and the otUer faees of the sanie ehange) darstellen, so steht doch die Hypothese, daß dies der Fall sei, mit allen beobachteten Tatsachen im Einklang.« 51 , Pr. of Ps. I, S. 128 , Vetter I, 8. 132). Vgl. femer auch § 110, § 116, § 269. Nachdem in den §§ 269—272 der Materialismus und der Spiritualismus erörtert und abgelehnt worden sind , wird im § 273 die Folgerung gezogen, »daß es eine und dieselbe höchste Realität ist, welche sich uns subjektiv kundgibt«. Diese letztere ist ihrem Wesen nach unerf erschlich, aber es zeigt sich doch, »daß die Ordnung ihrer Kundgebungen in allen geistigen Erscheinungen dieselbe ist wie die Ordnung ihrer Kundgebungen in der ganzen Summe der materiellen Erscheinungen« (Pr. of Fs. I, S. 627, Vetter I, S. 659). Vgl. auch Bd. II, § 475, wo die Ansicht, daß die eine unbekannte Substanz sich uns zugleich in subjektiver und in objektiver Weise darstellt als »Transfigured Sealism« bezeichnet wird, § 475g, sowie First Principles § 40 u. 45. Diesen und ähnlichen Stellen stehen nun aber andere gegenüber, in denen das Psychische als eine besondere Art Energie erscheint, welche sich in physische Energie umsetzt und aus ihr durch Eückvei-wandlung wieder entsteht, Stellen, die mithin eine psychophysische Kausalität lehren. So wird in den Principles of Psychology I, § 47 die Frage aufgeworfen, ob zwischen physischen und psychischen Veränderungen ein derartiger Zusammenhang bestehe, daß man die einen als Äquivalent der anderen betrachten könne »ungefähr in dem Sinne, wie wir eine bestimmte Wärme- menge als einer bestimmten Bewegungsgröße äquivalent annehmen?« (Pr. of Ps. I, S. 116, Vetter I, S. 119). Und diese Frage wird durch die Ausführungen der folgenden Seiten bejaht Empfindungen werden nach S. 118 (Vetter S. 121) durch peripherische Beize von sehr verschiedener Stärke hervorgerufen, sie selbst rufen wieder motorische Entladungen hervor. Nach S. 120 (Vetter S. 124) haben wir »allen Grund zu der Annahme, daß an der besonderen SteUe in einem höheren Nervencentrum, wo auf geheimnisvolle Weise eine objektive Veränderung oder Nerventätigkeit eine bestimmte subjektive Veränderung oder ein Gefühl erzeugt, auch ein quantitatives Äquivalenz Verhältnis zwischen beiden stattfindet«. Der Ver- gleich mit dem Klavier, dessen Tasten die Töne hervorbringen, in § 245, läßt den Gedanken psychophysischer Wechselwirkung noch deutlicher hervortreten. »Wenn wir uns nun an Stelle der Tasten des Klaviers einen Haufen solcher empfindlicher Körper denken, wie sie die Netzhaut zusammensetzen, wenn wir statt der Ein- richtungen, durch welche die auf die Tasten geführten Schläge nach den Saiten übertragen werden, die Fasern nehmen, die nach den Sehcentren jene Eindrücke fortpflanzen, welche auf diese Netzhautelemente ausgeübt wurden, und wenn wir an Stelle der in Schwingung versetzten Saiten die Ganglienkörper setzen, welche durch die empfangenen Impulse erre^ werden, so werden wir leicht einsehen, daß

108 Erster Abschnitt. Der psychophysisohe Parallelismus.

größter Entschiedenheit und Konsequenz Friedrich Faulsen^); zu ihm bekennen sich weiter Schopenhauer, Lange'), Fechner^,

eine Wahrnehmung sich wohl mit einem musikalisohen Akkord vergleichen iSfit Wie duroh Anschlagen einer bestimmten Gruppe von Saiten eine eigentümliche Kombination von einfachen oder komplizierten Tönen, von Konsonanzen oder Disso- nanzen hervorgebracht wird, so entsteht auch, wenn ein einzelner betrachteter Gegenstand durch sein Bild eine besondere Gruppe von Netzhautelementen erregt und durch sie Erregungswellen nach den Fasern und Zellen eines entsprechenden centralen Plexus entsendet, jenes spezielle Aggregat von Gefühlen, welches eben eine Wahrnehmung des Gegenstandes ausmachte (Pr. of Ps. I, S. 563, Vetter I, S. 591). Vgl. auch § 246. Wie unsicher und schwankend Spencers ganze An- sicht über das Verhältnis des Physischen zum Psychischen ist, zeigt sich besonders darin, daß mitunter beide Auffassungen, die parallelistisoh-moniBtiBche und die kausalistisch- dualistische, ganz unvermittelt nebeneinander hergehen. So sagt er z. B. auf einer und derselben Seite 51 Pr. of Ps. I, S. 127, Vetter S. 131), daß die Gefühle die Begleiterscheinungen (cieeompantments) nervöser Vorgänge, und daß sie die Produkte der Tätigkeit des Nervensystems sind. Vgl. zu diesem Schwanken Spencers auch £. v. Hartmann, Gesch. d. Metaph. U, S. 492, Mod. Psych. 8. 327.

1) Einl. i. d. Phil, 2. Aufl. S. 115, 6. Aufl. S. 116.

2) Gesch. d. Materialismus.

3) Idealistisch ist Fechners Auffassung, insofern er das göttliche Bewußt- sein für den letzten Grund der psychischen und der physischen Erscheinungen und ihrer wechselseitigen Bedingtheit erklärt Im übrigen aber bleibt doch nach meinem Dafürhalten beiFechner eine gewisse Unklarheit darüber bestehen, ob der Körper der > Selbsterscheinung« des Wesens in der Seele als die gleichen Relalitätsgrad habende »äußere Erscheinung« desselben Wesens zur Seite tritt oder ob die »Selbst- erscheinung« die Wirklichkeit an sich, der Körper aber nur die Erscheinung der wahrhaft wirklichen Seele ist. Körper und Seele sollen die äußere und die innere Seite des gemeinsamen ihnen zu Grunde liegenden Wesens darstellen, dieses Wesen aber wieder nur in der Wechselbedingtheit beider bestehen. Über die Seelenfrage, Lpz. 1861, S. 210: »Insofern aber beide Zusammenhänge (so. der geistigen und der körperlichen Erscheinungen) nach einem Verhältnis der Wechselbedingtheit und Federung solidarisch zusammenhängen, kann man ihnen auch ein gemeinsames Wesen unterlegen, und den Körper die Seite der äußern Erscheinung, die Seele die Seite der Selbsterscheinung dieses Wesens nennen.« »Das identisch gemeinsame Wesen des Körpers und der Seele ist eben nichts anderes als die solidarische Wechselbedingtheit der Selbsterscheinungen der Seele und der äußeren Erscheinungen des Körpers«. Im Sinne des realistisch -monistischen Parallelismus gehalten ist auch die Stelle Seelenfi*age S. 120: »So folgt die Seele jeder Wendung der durch sie verknüpften Tätigkeiten, oder sagen wir umgekehrt, sie folgen jeder Wendung der Seele; im Grunde folgt keines dem andern, sondern eines geht mit dem andern, und wann imd wo der Gipfel dieser Tätigkeiten ist, gipfelt sich auch zugleich das Seelenleben, wonach man den jeweiligen Sitz der Seele bezeichnen kann«, ebenso die Ausführungen S. 211. Auch in den »Elementen der Psychophysik« stoßen wir auf diese VorstoUungsweise. So wenn wir II, S. 553 angewiesen werden, uns den durchgreifenden Zusammenhang zwischen Leib und Seele »in der Form einer doppelten Erscheinungsweise desselben Grundwesens« vorzustellen. S. 221 der

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. £chte und unechte Formen. 109

Höffdingi), Wundt«), Ziehen»), Heymans*), Ebbing- haus^ u. a.

Schrift über die Seelenfrage rühmt Fechner seiner Ansicht nach, daß sie mehreren Standpunkten Zugleich gerecht werde.» »Diese Ansicht ist ganz materialistisch, indem sie die Möglichkeit keines menschlichen Oedankens ohne ein Gehirn und eine Bewegung in diesem Gehirn gestattet, und darin sogar übermaterialistisch, daß sie auch keinen göttlichen Gedanken ohne eine körperliche Welt und ohne Bewegungen in dieser Welt gestattet . . .c »Diese Ansicht ist ganz dualistisch, indem Leib und Seele danach zwei gamicht aufeinander zurückführbare, grundwesentlich Tersohiedene und doch aufeinander bezogene Seiten der Existenz sind, nur daß ihre Beziehung, statt eine bloß äußerliche zu sein, durch die Einheit des göttlichen Bewußtseins yermittelt ist, in welchem zuletzt alles Körperliche und Geistige er- scheint und hiermit ist« »Diese Ansicht ist ganz Identitätsansicht, indem sie beides, Leib und Seele, nur für zwei verschiedene Erscheinungsweisen desselben Wesens hält, die eine auf innerem, die andere auf äußerem Standpunkt zu ge- winnen, nur daß sie das Wesen, was beiden Erscheinungsweisen gemeinsam unter- liegt, in nichts als der untrennbaren Wechselbedingtheit beider Erscheinungsweisen und die letzte Bedingung der Untrennbarkeit in der Einheit des göttlichen Bewußt- seins sieht.« An die Spitze aller der Standpunkte, denen seine Ansicht konform ist, stellt Fechner aber doch (8. 220) den idealistischen: »Diese Grundansioht ist ganz idealistisch, sofern alle Existenz nach ihr in einem allgemeinsten, im gött- lichen, Bewußtsein ruht«. Aber auch hier lenkt er zur realistisch -monistischen Auffassung zurück, indem er alsbald hinzufügt (S. 221): »nur daß sie nicht im Sinne des gewöhnlichen Idealismus die Materie, die Natur, sei es für ein nach- geborenes Produkt des Geistes oder einseitig yon ihm abhängig, sondern für eine immanente Bedingung seines Daseins hält Der Zusammenhang der Erscheinungen, der uns die Natur repräsentiert, gehört selbst zum wesentlichen Gefüge und zui* XJnteriage des allgemeinsten, des höchsten Geistes.«

1) Psychologie in umrissen, deutsch von Bendixen, Leipzig 1887. Höff- ding bedient sich allerdings nicht selten auch der Anschauungsweise des realistisch - monistischen Parallelismus und erscheint mitunter auch als Vertreter des dua- listischen und lediglich empirischen Parallelismus , der der Metaphysik die weitere und endgültige Formulierung des Verhältnisses von Leib und Seele überläßt

2) Vgl. Grundzüge der physich Psychologie, 2. Aufl. 1880. Bd. II, 8.463: ». . . Die durchgängige Wechselbeziehung zwischen Physischem und Psychischem fährt zu der Annahme, daß was wir Seele nennen das innere Sein der nämlichen Einheit ist, die wir äußerlich als den zu ihr gehörigen Leib anschauen. Diese Auffassung des Problems der Wechselwirkung führt aber weiterhin unvermeidlich zu der Voraussetzung, daß das geistige Sein die Wirklichkeit der Dinge, und daß die wesentiichste Eigenschaft derselben die Entwicklung ist Vgl. femer die oben 8. 93 zitierte Stelle aus dem System d. Ph. S. 606.

3) Psychophysiologische Erkenntnistheorie, Jena 1898; Über d. allg. Beziehungen zwischen Gehirn u. Seelenleben, 2. Aufl. Leipzig 1902.

4) VgL den schon mehrfach zitierten Aufsatz: Zur Parallelismusfrage in Ebbinghaus' Zeitschrift, Bd. 17, 1898.

5) Auch bei Ebbinghaus findet aber ein gewisses Schwanken zwischen der idealistischen und der realistischen Fassung des Parallelismus statt, ja einige Sätze

110 Erster AbBohnitt Der psychophysische Parallelismns.

Fassen wir zam Schluß die Ergebnisse der Untersuchungen dieses ganzen Kapitels nochmals kurz zusammen. Von den ver-

scheinen sogar den Standpunkt des partiellen nnd materialistischen Parallelismns zu vertreten. Wenn es z. 6. 8. 37 seiner »Grandzüge der Psychologie« (Lpz. 1897) heißt: »Geistiges und Nervöses sind in Wahrheit eine einzige Art von Bealitftt, die sich nnr infolge besonderer Yerwickelangen in diesen beiden Weisen manifestiert«, so kann das nur so verstanden weiden, dafi die physische Beihe immer vorhanden ist, aber nur unter besonderen Umständen Vorgänge zeitigt, deren Natur es mit sich bringt, eine psychische Begleiterscheinung aufzuweisen. S. 44 vertritt er die idealistische Auffassung, daß die räumlichen Gebilde nur die Art und Weise bezeichnen, wie sich die geistigen Systeme für andere darstellen, ebenso wird S. 46 gesagt: Die Gedanken, Wünsche usw., die ich unmittelbar erlebe, er- scheinen einem anderen Beobachter als Gehimprozesse. Daneben aber lesen wir S. 43: »Die eine jener beiden Manifestationsweisen des Bealen (das beiden zu Grunde liegt) für unwahrer und minderwertiger zu erklären als die andere, wie Materialismus und Spiritualismus wollen, dazu haben wir nicht das mindeste Recht Sie sind beide gleich echt und wahrhaft und beide gleich wichtig und charakteristisch für die Konstitution der Welt« Und S. 42 heißt es, daß, wie sich das^ was uns in zweifacher Weise gegeben ist, einem gänzlich außer und über uns stehenden Wesen darstellen möge, wir nicht sagen können.

Ich benutze diese Gelegenheit, um auch Kants Stellung zum psychophysischen Parallelismua einer Erörterung zu tmterziehen. Natürlich kann es nicht meine Ab- sicht sein, die Frage, ob Kant als Vertreter des psychophysischen Parallelismus anzusehen ist oder nicht, erschöpfend zu behandeln, was eine besondere Schrift erfordern würde; ich muß mich auf das Notwendigste beschränken.

Meiner Ansicht nach hat man kein Recht, Kant ohne weiteres zu einem Anhänger des psychophysischen Farallelismus zu stempeln, wie Rieh! und Pauls en das tun^); außer der einen bekannten, immer zitierten Stelle im zweiten Paralogismus, der aber andere, ganz andere Auffassung verratende Stellen gegen- überstehen, dürfte man schwerlich beweiskräftige Argumente ftlr den Parallelismus Kants ins Feld führen können. Daß Kant in den vorkritischen Schriften die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele angenommen und vertreten hat, wird wohl allgemein zugestanden: erst in der Kr. d. r. Y. soll die paralielistische An- sicht auftreten, und zwar, wie man meint, als eine logische Folge des Kritizismus selbst Ich bin nicht der Meinung, daß die pai'allelistische Ansicht eine notwendige Folge des transcendontalen Idealismus ist; dieser ist vielmehr auch mit der An- nahme einer Wechselwirkung zwischen Leib und Seele und einer dahinter stehenden monadologischen Metaphysik durchaus vereinbar. Und ich glaube, daß man die Absicht Kants falsch auffaßt, wenn man sein Bemühen, zu zeigen, daß der Idealismus allein im stände sei, die in der Verbindung von Leib und Seele liegenden Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, im parallelistißchen Sinne deutet. Kant führt lediglich aus, daß die Schwierigkeit, die man in der Verknüpfung von Leib und Seele wegen der spezifischen Vei'schiedenheit beider erblickt, tatsächlich nicht vorhanden ist Denn der Leib ist nur die Erscheinung eines ihm zu Grunde

1) Yornchtigor drückt sich HOffding S. 86 seines Baches sns »Kant gab eine Andentung der Identitfttshypothese in der ersten Ausgabe der »Kritik der reinen Vernunft«, wKhrend er in der zweiten Ausgabe seine frohere , konsequentere Auffassung in dieser wie in anderen Besiehungen Knderte«.

Erstes Kapitel. Die Formen des ParalleliBinae. Echte und unechte Formen. Hl

schiedenen Formulierungen des parallelistischen Grundgedankens, die wir unter den drei Gesichtspunkten der Modalität, Quantität und Qualität unterschieden, haben sich vom Standpunkt immanenter

liegenden Dinges an sich, nnd dieses Ding an sich braucht von der Seele nicht spezifisch yerschieden zu sein, sondern ist ihm möglicherweise gleichartig. Indem der Idealismus diese Aussicht eröffnet, eröffnet er zugleich eine Aussicht auf Be- seitigung der erwähnten Schwierigkeit um das zu leisten, genügt aber der Hinweis auf eine mögliche oder wahrscheinliche metaphysische Wesensgleichheit ▼on Körper und Seele; es ist nicht nötig, diese metaphysische Wesensgleichheit zu einer metaphysischen Wesensidentität im Sinne des monistischen ParaUeUsmus zu steigern, und man darf denn auch Eant diese Absicht nicht ohne weiteres zuschreiben. Nicht eine Stelle läßt sich nachweisen, in der er ein Parallelgehen physischer und psychischer Zustände ausdrücklich gelehrt hätte. Seine Aus- fuhrungen in den Pandogismen scheinen vielmehr, mit unbefangenen Augen be- trachtet, einen empirischen Kausalzusammenhang zwischen dem Körper und dem (empirischen) BewuBtseinssubjekt zu lehren, eine Annahme, die durch die bei Kant sich findeode Lehre von der doppelten Affektion (ygl. zu derselben Falckenberg, Gesch. d. neueren Phil., Lpz. 1886, S. 268—272, 4. Aufl., 1902, 8.300—304, Yaihinger, Zu Kants Widerl. d. Idealismus, Straßburger Abhand- lungen z. Phil. 1884, Kommentar zu Kants Kr. d. r. Y. II, S. 6— -9, 14, 21 u. bes. Kxkurs: die affizierenden Dinge S. 35 55, Busse, Zu Kants Lehre vom Ding an sich, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Kr. Bd. 102, S. 175 215, Adickes, Die bewegenden Kräfte in Kants philosophischer £ntwickluDg und die beiden Pole seines Systems, Kantstudien I, S. 363— 365, Paulsen, I. Kant, Frommanns Klassiker d. Philosophie Bd. YII, Stuttg. 1898, S. 144 148) auch geradezu gefordert wird.

Doch gehen wir die flauptstellen, in denen man eine parallelistische Theorie entdecken zu können glaubt, in Kürze durch. Sie finden sich hauptsächlich in den Ausführungen zum 2. Paralogismus in der ersten Auflage. Kant legt hier (A. 356 f.) dar, daß die rationale Psychologie mit ihrer Lehre von der einfachen Natur der Seele die Dienste nicht leiste, um deren willen man sie so schätzt: die Seele Yon aller Materie spezifisch zu unterscheiden und sie dadurch der Yer- gänglichkeit zu entziehen. Denn wir können zwar die Seele als Gegenstand des inneren Sinnes von den Körpern als Gegenständen des äußeren Sinnes, d. h. als Erscheinungen, genügend unterscheiden, da aber die Körper Erscheinungen sind, so bleibt doch die Möglichkeit, daß sie an sich gleichfalls geistiger Art, die Sub- jekte der Gedanken sind. In diesem Fall besteht kein spezifischer Unterschied mehr zwischen Seele und Körper, und die Ausnahmestellung, die wir der ersteren auf Grund ihrer von aller Körperlichkeit spezifisch verschiedenen Natur einräumen wollten, fällt dahin. Die obige Möglichkeit und nichts anderes drückt der Satz A. 358 aus: »Ob nun aber gleich die Ausdehnung, die ündurchdringlichkeit, Zu- sammenhang und Bewegung, kurz alles, was uns äußere Sinne nur liefern können, nicht Gedanken, Gefühle, Neigung oder Entschließung sein oder solche enthalten werden, als die überall keine Gegenstände äußerer Anschauung sind, so könnte doch wohl dasjenige Etwas, welches den äußeren Erscheinungen zu Grunde liegt, was unseren Sinn alfiziert, daß er die Yorstellungen von Raum, Materie, Gestalt usw. bekommt, dieses Etwas als Noumenon (oder besser als transcendentaler Gegenstand) betrachtet, könnte doch auch zugleich das Subjekt der Gedanken sein, wie wohl

112 Erster Abschnitt Der psycliophysisclie ParaUelismus.

Kritik, dem einzigen Maßstab, den wir bisher angelegt haben, ans beurteilt der empirische, partielle und materialistische ParaUelismus als unhaltbar erwiesen. Als echte und vollgültige Formen des Paralle-

wir durch die Art, wie unser äußerer Sinn dadurch affizieri wird, keine An- schauuog von Yorstellungen , Willen usw. bekommen.c Unbefangen gelesen besagt doch der Satz wirklich nichts anderes, als daß das, was uns als ein Körper er- scheint, auch an sich, als Ding an sich, ein Fürsichsein haben »das Subjekt der Gedanken« sein könne. Von einer Identität mit unserem eigenen Ich an sich ist keine Rede, Kant sagt nicht: das Subjekt unserer Gedanken. »Die Prädikate des inneren Sinnes, Vorstellungen und Denken, widersprechen ihm nicht« (A. 359). Auch der Schlußsatz dieses Abschnittes (A. 359): »Demnach ist selbst durch die eingeräumte Einfachheit der Natur die menschliche Seele tou der Materie, wenn man sie (wie man soll) bloß als Erscheinung betrachtet, in Ansehung des Substrats derselben gamicht hinreichend unterschieden«, spricht nur davon, daß die den materiellen Dingen zu Grunde liegenden Dinge an sich möglicherweise auch ein- fache Wesen Monaden! sein können, nicht aber von einer Identität von Geist und Körper (vgl. Überweg-Heinze, Gesch. d. Phil, m 1, 8. Aufl., S. 296). Wenn Kant dann weiter sagt (A. 359): »daß also der Substanz, der in Ansehung unseres äußeren Sinnes Ausdehnung zukommt, an sich selbst Gedanken beiwohnen, die durch ihren eigenen inneren Sinn mit Bewußtsein vorgestellt werden können«, so spricht auch diese Auslassung in keiner Weise für die monistische Auffassung; vielmehr deutet der Ausdruck »durch ihren eigenen inneren Sinn«, der einen Gegensatz zu unserem äußeren und inneren Sinn enthält, deutlich genug darauf hin , daß es sich um eine von unserem eigenen Ich verschiedene Substanz handelt Auch der folgende Satz: »Auf solche Weise würde eben dasselbe, was in einer Beziehung körperlich heißt, in einer anderen zugleich ein denkendes Wesen sein, dessen Gedanken wir zwar nicht, aber doch die Zeichen derselben, in der Er- scheinung anschauen können« zwingt uns nicht, ihn parallelistisch zu verstehen, besagt er doch nur, daß , was uns als ein Körperliches erscheint in einer Beziehung körperlich heißt an sich zugleich ein geistiges Wesen sein kann. Der Ge- danke, daß das Ding an sich und die Art, wie es uns erscheint, zwei Seiten des- selben Dinges bedeuten, findet sich ja auch sonst bei Kant. Vgl. A. 38, B. 55: »Erscheinung, welche jederzeit zwei Seiten hat, die eine, da das Objekt an sich selbst betrachtet wird (unangesehen der Art, dasselbe anzuschauen, dessen Beschaffen- heit aber eben darum jederzeit problematisch bleibt) die andere, da auf die Form der Anschauung dieses Gegenstandes gesehen wird, welche nicht in dem Gegenstande an sich selbst, sondern im Subjekte, dem derselbe erscheint, gesucht werden mufi, gleich- wohl aber der Erscheinung dieses Gegenstandes wirklich und notwendig zukommt.«

Schwieriger gestaltet sich dagegen der folgende Satz: »Dadurch würde der Ausdruck fortfallen , daß nur Seelen (als besondere Arten von Substanzen) denken ; es würde vielmehr wie gewöhnlich heißen, daß Menschen denken, d. i. eben dasselbe, was als äußere Erscheinung ausgedehnt ist, innerlich (an sich selbst) ein Subjekt sei, was nicht zusammengesetzt, sondern einfach ist und denkt«

Man kann versuchen, auch diesen Satz so zu deuten, daß er lediglich eine monadologische Ansicht als möglich hinstellen will. Man muß dann interpretieren: Da auch das Substrat der Materie ein denkendes Wesen sein kann, so darf man

Erstes'Kapitel. DieFonnen des Parallelismus. Echte und unechte Fennen. 113

lismus blieben der metaphysische (bezw. dogmatische), der universelle, der dualistische, realistisch -monistische und idealistisch -monistische Parallelismus übrig.

nicht sagen, daß nur Seelen, als eine besondere Art von Substanzen, denken, sondern es muß heißen, daß Menschen denken, indem eben nicht nur die Seele (die Centralmonade), sondern auch die Monaden, welche der Erscheinung des mensch- lichen Körpers zu Grunde liegen, denken. Man muß alsdann das »d. i.« nicht als eine unmittelbare Erläuterung des »Menschen denken c auffassen, sondern ihm ganz allgemein den Sinn geben: der Materie, die sich als ein Ausgedehntes uns darstellt, kann ein Einfaches (Monade) zu Grunde liegen, also können auch die ausgedehnten Teile des menschlichen Körpers an sich einfache denkende Wesen sein. Aber es läßt sich nicht leugnen, daß eine derartige Interpi'etation etwas Gezwungenes hat und die natürlichere Auffassung die ist, daß, was sich äußerlich als ein menschlicher KÖi'per darstellt, innerlich das denkende Subjekt selbst ist, daß also ein und dasselbe Ding sich einerseits als Seele, andererseits als Körper darstellt, und zwar so, daß die Seele, wie der idealistisch -monistische Parallelismus lehrt, das wahrhaft Seiende, der Körper die Erscheinung desselben ist Daß ein derartiger idealistischer Parallelismus mit Kants Phänomenalismus im Grunde nicht recht vereinbar ist, bedeutet keinen begründeten Einwand gegen die obige Auf- fassung: hat doch Kant den von ihm offiziell auch auf die Seele ausgedehnten Phänomenalismus in Bezug auf diese keineswegs durchweg streng festgehalten : das Psychische erscheint ihm doch immer wieder als das wahrhaft Reale (vgl. Paul- 86 n, Kant S. 248). Dagegen spricht nun gegen die parallelistisohe Interpretation allerdings der Ausdruck: nur Seelen. Vom parallelistischei) Standpunkt aus müßten wir erwarten, daß Kant sagte, nicht Seelen als besondere Arten von Substanzen denken, sondern der Mensch denkt, d. h. das Ansich des Menschen erscheint einerseits als ein denkender Geist, andererseits als ein ausgedehnter Körper. Das »nur« ist vom parallelistischen Standpunkt aus unverständlich; es legt viel- mehr die Auffassung nahe, daß zwar Seelen als besondere Arten von Substanzen denken, aber nicht sie allein, sondern außer ihnen auch noch die dem Körper zu Grunde liegenden Monaden, die von der Seele noch zu unterscheiden sind. Es stehen also sowohl der parallelistischen als der monadologischen Interpretation der Stelle Schwierigkeiten entgegen, so daß selbst diese Stelle nicht unbedingt als ein Zeugnis für Kants parallelistisohe Denkweise anzusehen ist. Faßt man sie in diesem Sinne auf, so wird man natürlich auch die früher zitierten Stellen, insbe- sondere den Satz A. 358: dieses Etwas, als Noumenon betrachtet, könnte doch auch zugleich . . ., parallelistisch deuten und das »Etwas« auf den menschlichen Körper beziehen (so Adickes in seiner Kantausgabe, Berlin 1889, S. 692/93, Rand- bemerkung 3).

Berücksichtigt man, daß es Kant in erster Linie darum zu tun ist, zu zeigen, daß die angebliche Einfachheit der Seele uns garnicht ermöglicht, sie von der Materie gänzlich zu unterscheiden, da wir nicht wissen, was die Materie an und für sich ist (ein Gedanke, der A. 360 [»Vergleichen wir« usw.] nochmals als das Leitmotiv der ganzen Untersuchung erscheint), so läßt sich vielleicht die Ansicht verfechten, daß Kant zwei Gedanken vorschweben und ineinander übergehen. Da wir garnicht wissen, was die Materie an sich ist, so ist es 1. möglich, daß sie dem Ansich der Busse, Qeist und KOxpor, Seele und Leib. 8

114 Erster Abschnitt Der psyohophyBisohe ParaUelismus.

Yon diesen sind die dogmatische und die universelle Form mit dem ParalleUsmus nicht nur verträglich, sondern ihm wesentlich, sie stellen nicht nur echte ^ sondern sogar notwendige Formen desselben dar.

Seele gleichartig, es ist aber sogar auch 2. möglich daß sie nämlich die Materie des menschlichen Körpers mit dem Ansioh der Seele identisch ist. Spricht doch Kant A. 360 von 9 dergleichen Hypothesen«, also von einer Mehrheit möglicher Hypothesen. Das ist die Auffassung , welche üeberweg-HeinzeS. 296 Anm. ^) des OrondrissQS der Gesch. d. Phil. (UP, 8. Aufl.) vertritt. In erster Linie, wird dort ausgeführt, will Kant zeigen, dafi das Substrat der Materie möglicher- weise auch ein denkendes Wesen und mit dem transcendentalen Substrat der Er- scheinungen des inneren Sinnes gleichartig sein könne, »und nur weil wir von dem transcendentalen Substrat gamichts Näheres wissen können, so liegt femer in der Konsequenz, daß auch noch andere Annahmen, wie etwa jene Identitätsansicht, sofern sie als bloße Hypothesen auftreten, nicht widerlegt werden können.«

Gehen wir weiter. Auch der Satz A. 360: »Vergleichen wir aber das denkende Ich mit dem Intelligibelen , welches der äußeren Erscheinung, die wir Materie nennen, zum Grunde liegt: so können wir, weil wir vom letzteren gamichts wissen, auch nicht sagen, daß die Seele sich von diesem irgend worin innerlich unterscheide«, enthält, unbefangen aufgefaßt, kein Bekenntnis zum psychophysischen monistischen Parallelismus. Das denkende Ich wird ja mit einem anderen ver- glichen, das nicht es selbst ist, und von diesem anderen gesagt, daß es dahinge- stellt bleiben müsse, ob die Seele sich von ihm innerlich unterscheide oder nicht, d. h. ob beide gleicher oder verschiedener Art sind. Die parallelistisohe Auffassung bringt Riehl erst;hinein, indem er (Philos. Krit. 11* S. 185) in seinem Citat hinter innerlich in Klammem die Worte hinzufügt »d. i. an sich selbst«. Davon ist bei Kant keine Rede, jene Hinzufügung bedeutet eine Verfälschung des Kantischen Textes.

Es läßt sich, wie schon bemerkt, meines Wissens kein einziger Satz aus Kant beibringen, in welchem er ausdrücklich erklärt, daß ein Parallelismus psychischer und physischer Vorgänge stattfinde. Stellen dagegen, welche eine Wechselwirkung zwischen Seele und Leib als Erfahrungsobjekten bekunden, lassen sich allerdings anführen. So der folgende, im 4. Pandogismus stehende Satz A. 379: »Fragt man nun, ob denn diesem zufolge der Dualismus allein in der Seelenlehre stattfinde, so ist die Antwort: Allerdings! aber nur im empirischen Verstände, d.i. in dem Zusammenhange der Erfahrung, ist wirklich Materie, als Substanz in der Er- scheinung, dem äußeren Sinne, sowie das denkende Ich, gleichfalls als Substanz in der Erscheinung, vor dem inneren Sinne gegeben, und nach den Regeln, welche diese Kategorie in den Zusammenhang unserer äußeren sowohl als inneren Wahrnehmungen zu einer Erfahrung hineinbringt, müssen auch beiderseits Erscheinungen unter sich verknüpft werden.« Die Verknüpfung der Erscheinnngen geschieht ja aber nach der Regel der Ursache und Wirkung, die Kategorie der Kausalität macht ja nach Kant einen gesetzmäßigen Zusammenhang der Erscheinungen allererst möglich.

Weiter: Der Satz A. 379/380: »Das transcendentale Objekt, welches den äußeren Erscheinungen, imgleichen das, was der inneren Anschauung zum Grunde liegt, ist weder Materie noch ein denkendes Wesen an sich selbst, sondern ein

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 115

Der Parallelismus muß stets ohne jede YerklausulieruDg als eine dogmatische Ansicht über das wirkliche Verhältnis von Leib und

uns unbekannter Grund der Erscheinungen, die den empirischen Begriff von der ersten sowohl als zweiten Art an die Hand geben« muß durchaus nicht mit Riehl S. 186 parallelistisch verstanden werden. Die Wendung: »imgleichen das« lehrt vielmehr, daß es sich um zwei transoendentale Objekte handelt, dasjenige, welches den äußeren Erscheinungen zu Grunde liegt, also mit dem transoendentalen Objekt der inneren Anschauung nicht identisch ist. Vom streng kritischen Standpunkt aus sind der Leib wie die Seele Erscheinungen, denen Dinge an sich zu Grunde liegen, die aber in beiden Fällen gänzlich xmbekannt sind: dies, aber nicht mehr ent- hält unser Satz.

Die >Betrachtungen über die Summe der reinen Seelenlehre« sodann sprechen dTU'chaus gegen die Ansicht, daß Kant ein Vertreter des psychophysichen Paralle- lismus sei. Zwar lehnt er die Lehre vom influxus physicua ab, aber nur wegen des mit ihr verbundenen Bealismus: ihre Anhänger machen die Materie zu einem Ding an sich. Und aus demselben Grunde wird auch die Lehre von der voraus- bestimmten Harmonie abgelehnt. Im eigentlichen Verstände gibt es also keine Wechselwirkung zwischen Körper und Geist: die Körper sind ja bloße Vorstellungen. Siebt man aber hiervon ab und stellt man sich auf den empirischen Standpunkt, 80 findet allerdings psychophysische Wechselwirkung statt, ja Kant bemüht sich, die solcher Annahme etwa en^genstehenden, aus der so heterogenen Natur dos Körpers und des Geistes geschöpften Bedenken durch den Hinweis darauf zu er- ledigen, daß ja eigentlich nicht der von unserer Seele so absolut verschiedene Körper, sondern das ihm, der nur Erscheinung ist, tu Grunde liegende und der Seele vielleicht gleichartige Ding an sich auf die letztere wirke und von ihr beeinflußt werde. So A. 384: »Ich behaupte nun, daß alle Schwierigkeiten, die man bei dieser Frage (von der Möglichkeit der Gemeinschaft der Seele mit einem organischen Körper) vorzufinden glaubt, . . . auf einem bloßen Blendwerke beruhen, nach welchem man das, was bloß in Gedanken existiert, hypostasiert.« Ebenfalls A. 385: >Denn die Materie, deren Gemeinschaft mit der Seele so große Bedenken erregt, ist nichts anderes als eine bloße Form oder eine gewisse Vorstellungsart eines unbekannten Gegenstandes durch diejenige Anschauung, welche man den äußeren Sinn nennt.« Daß es eine monadologische, nicht eine parallelistisohe An- schauung ist, welche Kant zu Grunde legt, geht aus folgenden, auf derselben Seite sich findenden Stellen deutlich hervor. »Es mag also wohl etwas außer uns sein, dem diese Erscheinung, welche wir Materie nennen, korrespondiert.« Also das Ding an sich des Körpers ist nicht mit unserer Seele identisch, sondern existiert außerhalb derselben. »Materie bedeutet also nicht eine von dem Gegen- stande des inneren Sinnes (Seele) so ganz unterschiedene und heterogene Art von Substanzen.« Wie man in diesem Satze einen Beleg für Kants Paralle- lismus sehen kann (Riehl a. a. 0. S. 185), ist mir unverständlich. Daß innerhalb der phänomenalen Erfahrungswelt die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele eine ganz unbedenkliche Annahme bedeutet, zeigt dann noch einmal sehr deutlich die Stelle A. 386: »Nun ist die Frage nicht mehr von der Gemeinschaft der Seele mit anderen bekannten und fremdartigen Substanzen außer uns, sondern bloß von der Verknüpfung der Vorstellungen des inneren Sinnes mit den Modifikationen

8*

116 Erster Abschnitt. Der psychophysisolie Parallelismnfl.

Seele auftreten, als eine Annahme, welche die wenn auch nicht in metaphysischer Hinsicht letzte und höchste^ so doch innerhalb der

unserer äußeren Sinnlichkeit, nnd wie diese untereinander nach beständigen Gesetzen verknüpft sein mögen, so daß sie in einer Erfahrung zusammen- hängen.« Nach beständigen Gesetzen verknüpft, das ist bei Kant gleichbedeutend mit kausal verknüpft, da ja die Kausalität erst den gesetzlichen Znsammenhang der Erscheinungen ermöglicht »So lange wirc, heißt es weiter, »innere und äußere Erscheinungen als bloße Vorstellungen in der Erfahrung miteinander zusammen- halten, so finden wir nichts Widersinnisches, und welches die Gemeinschaft beider Art Sinne befremdlich machte.« Gemeinschaft, weiß man ja schon aus der Kategorientafel, ist bei Kant gleichbedeutend mit: Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden. Und wieder beseitigt Kant die Bedenken gegen die Möglichkeit solcher Gemeinschaft eines Körpers und eines Geistes durch den Hinweis (A. 387): »Aber wir sollten bedenken, daß nicht die Körper Gegenstände an sich sind, die uns gegenwärtig sind, sondern eine bloße Erscheinung wer weiß welches unbekannten Gegenstandes . . . mithin daß nicht die Bewegung der Materie in uns Vorstellungen wirke usw.« Auch diese Stelle nimmt daher Biehl a. a. 0. S. 184/185 mit Unrecht für den Parallelismus in Anspruch. Ausdrücklich erklärt Kant dann noch einmal A.392, daß gegen den infkucus physicus ein dogmatischer Einwurf überhaupt nicht gemacht werden könne und die Theorie der Okkasionalisten, die mit jener des physischen Einflusses den erkenntnistheoretischen Irrtum, Er- scheinungen für Dinge an sich zu halten, teile, im übrigen vor ihr schlechter- dings nichts voraushabe, so daß auch kein Grund vorliege, sie jener vorzuziehen. Aus jenem Irrtum entspringen' aber »ohne Ausnahme« »alle Schwierigkeiten, welche die Verbmdung der denkenden Natur mit der Seele treffen« (A. 391). Lediglich ein kritischer Einwurf kann nach A. 392 gegen die Wechselwirkungs- lehre gemacht werden. Der aber bezieht sich eben nur auf die Berichtigung jenes erkenntnistheoretischen Irrtums; im übrigen ist die Wechselwirkungslehre eine durchaus zulässige Annahme, denn »in allen Aufgaben, die im Felde der Er- fahrung vorkommen mögen, behandeln wir jene Erscheinungen als Gegenstände an sich selbst, ohne uns um den ersten Grund ihrer Möglichkeit (als Erscheinungen) zu bekümmern« (A. 393).

In metaphysischer Hinsicht lehrt Kant also die (mögliche) Gleichartigkeit der transcendenten Grundlagen der körperlichen und der seelischen Phänomene, nicht aber ihre Identität Er steht auf dem Boden der Monadologie, nicht auf dem des parallelistischen Monismus. In empirischer Hinsicht lehrt er eine Wechsel- wirkung zwischen Körper und Seele, nicht einen Parallelismus beider.

Viel deutlicher noch als die erste Auflage zeigen diese Position die Aus- führungen über die Paralogismen in der zweiten Auflage der Kritik. Hier ist auch nicht die schwächste Spur einer Hinneigung zur Identitätslehre mehr vor- handen.^) An der Annahme einer psychophysischen Kausalität wird durchweg fest- gehalten; die Schwierigkeiten, welche ihr entgegenzustehen scheinen, sind bloß scheinbare, weil der Körper ja eben nur Erscheinung ist B. 421: »Die Schwierig- keit . . . besteht, wie bekannt, in der vorausgesetzten Ungleichartigkeit des Gegen-

1) Aach fiOf fding gwtaht 8. 86 b. Baches sa, dafb Kant in der zweiten Aoflage den Paimlle- limnos nicht nach seiner Ansicht nicht mehr Tertrete. Vgl. das Citat oben S.llO Anm.

Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 117

Grenzen der ErscheinuDgswelt letzte und unwiderrufliche, daher für die metaphysische Lösung bestimmende und maßgebende Entscheidung

Standes des inneren Sinnes (der Seele) mit den Gegenständen äußerer Sinne . . . Bedenkt man aber, daß beiderlei Art von Gegenständen hierin sich nicht innerlich,' sondern nur sofern eines dem anderen erscheint, voneinander unterscheiden, mithin das, was der Materie als Ding an sich selbst zu Grunde liegt, yielleicht so ungleichartig nicht sein dürfte, so verschwindet die Schwierigkeit, und es hieibt keine andere übrig, als die, wie überhaupt eine Gemeinschaft von Sub- stanzen möglich sei« eine Schwierigkeit, deren Lösung natürlich nach Eant überhaupt unmöglich ist. Übrigens wird in der zweiten Auflage das Bewußtsein auch nicht schlechtweg als Erscheinung hingestellt (Vgl z. B. B. 429). Ebenso sehen wir in den ja zwischen der ersten und der zweiten Auflage der Kiiük er- schienenen »Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft« (1786) Kant durchaus auf dem Boden der Lehre psychophysischer Wechselwirkung stehen. Die Seele ist ihm Substanz (Mechanik, Lehrsatz 2, Anm.) Alle Veränderung der Materie muß zwar nach Lehrsatz 3 der Mechanik eine äußere Ursache haben, aber diese »äußere« Ursache braucht nicht notwendig eine physische zu sein; es sind auch psychische Ursachen möglich. In der Anmerkung zu diesem Lehrsatz heißt es: »Wenn wir die Ursache irgend einer Veränderung der Materie im Leben suchen, so werden wir es auch sofort in einer anderen, von der Matehe ver- schiedenen, obzwar mit ihr verbundenen Substanz zu suchen haben.« Er protestiert nur und gerade gegen den Hylozoismus als den Tod aller Naturphilosophie.

Denmach kann ich die Meinung Biehls und Paulsens, welche in Eant einen Anhänger des phänomenalistischen Parallelismus erblicken wollen, nicht teilen. Sie haben diese Meinung üi keiner Weise wahrscheinlich zu machen verstanden; wie mir es scheinen will, sind sogar Paulsens eigene Ausführungen durchaus ge- eignet, gerade die entgegengesetzte Ansicht zu stützen. Mit Recht sagt er S. 247 seines Eantbuches, daß Eant auf die Frage nach dem Verhältnis des Leiljps zur Seele nicht naher eingehe, aber alle Schwierigkeiten dieses Problems durch die Kritik für beseitigt halte; seine weitere Behauptung, daß die Lösung, welche die Kritik gibt, die des phänomenalistischen Parallelismus sei, besteht aber nicht zu Recht und läßt sich mit Paulsens eigenen weiteren Darlegungen nicht vereinigen. Stellen wir uns Dämlich in metaphysischer Hinsicht auf den Boden des phänomenaüstischen Paralle- lismus, so kann die Frage nach dem Verhältnis von Leib und Seele nicht schließlich, wie Paulsen 8. 248 sagt, darauf hinauslaufen »wie das intelligible Substrat, das den Erscheinungen des inneren Sinnes zu Grunde liegt, mit dem intelligiblen Sub- strat der Körperlichkeit in Gemeinschaft stehen könne ? « Sind beide identisch, so ist eine Gemeinschaft zwischen ihnen weder möglich noch nötig; steht das intelligible Substrat des Körpers mit dem intelligiblen Substrat der Seele in Ge- meinschaft, so sind sie nicht una eademque res duolms modis expresaa, und die zwischen ihnen ausgetauschte intelligible Wechselwirkung wird empirisch sich als Wechselwirkung zwischen Leib und Seele darstellen. Wenn Paulsen sodann weiter ausführt, daß Eants ursprüngliche Auffassung der Seele als einer einfachen, mit dem Eörper während ihres irdischen Lebens in Wechsels: Wirkung stehenden Substanz zugleich die Ansicht einschließe, daß die Ver-

118 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismos.

der Frage nach dem Verhältnis von Leib und Seele darstellt Der psychophysische Parallelismus muß femer als universeller auftreten und ist nur als solcher denkbar. Er kann endlich in dualistischer oder monistischer, und als monistischer wieder in idealistischer oder realistischer Form auftreten.

Diese echten Formen des Parallelismus allein werden wir auch den nachfolgenden Untersuchungen über Yorteile und Nachteile, Becht und Unrecht des Parallelismus zu Grunde legen.

bindusg mit dem Körper eine Hemmung der geistigen Tätigkeit der Seele bedeute (S. 249, 250), 80 ist zu bemerken, daß dieser Gesichtspunkt (der Körper ein Hemmnis für die Seele) sich auch in der Kritik noch findet (B. 806, 807), woraus denn der Rückschluß folgt, daß auch wohl der andere Gesiohtpunkt, der des eonimerdum von Körper und Seele, hier nicht aufgegeben und der Körper die »Fundamentalerscheinung« ist, »worauf als Bedingung sich in dem jetzigen Zu- stande (im Leben) das ganze Vermögen der Sinnlichkeit und hiermit alles Denken bezieht.« Sehr bemerkenswert ist doch auch, daß, wie Paulsen selbst anführt, in dem 1796 erschienenen Aufsatz: »Zu Sömmering, über das Organ der Seele«, Kant der Seele eine yirtuelle Gegenwart in dem in der Gehimhöhle enthaltenen Wasser zuschreibt, wodurch er sich, wie Paulsen gleichfalls bemerkt, den von Lotze in der Medizinischen Psychologie entwickelten Ansichten n&hrt Wenn aber Kant in seinen vorkiitischen Schriften die Wechselwirkung zwischen Seele und Leib annimmt und noch im Jahre 1796 den gleichen Standpunkt vertritt, so er- weckt das jedenfalls ein günstiges Vorurteil für die Annahme, daß er auch in den achtziger Jahren diesen Standpunkt eingenommen hat. um uns Yom Gegenteil zu überzeugen bedürfte es jedenfalls gewichtigerer Argumente, als von paralle- listisoher Seite bis jetzt geltend gemacht worden sind.

Den von mir im Text unter dem Gesichtspunkt der Qualität unterschiedenen und kritisierten Formen des Parallelismus hat man wohl den sogenannten »kritischen Monismus« noch als eine besondere und zwar natürlich als die wissenschaftlich allein berechtigte und haltbare Form zur Seite zu stellen versucht. Ich ver- mag indes wie zum Teil schon aus den Ausführungen über den Kantischen Standpunkt hervorgeht im »kritischen Monismus« keine besondere, am aller- wenigsten aber die wissenschaftlich allein berechtigte Form des Monismus anzu- erkennen. Der »kritische« Monismus bedeutet, wie sich noch öfters ergeben wird, in Wahrheit nichts anderes als ein fortwährendes Hin- und Herschwanken zwischen dem realistischen und dem idealistischen Monismus, indem je nach Bedarf bald die eine, bald die andere Seite herausgekehrt wird. So teilt der »kritische« Monis- mus alle die Halbheiten, Unklarheiten und Zweideutigkeiten, die dem Kritizismus überhaupt, diesem künstlichen Balanciersystem, nun einmal eigen sind.

Wundt unterocheidet (Phil. Studien X. S. 41) drei mit dem Parallelismus verknüpf bare Annahmen: die dualistische, materialistische und idealistische. Er läßt also die realistisch -monistische Fassung (Identitätsphilosophie) fort Daß die materialistische Fassung als unecht auszuscheiden ist, ist oben gezeigt worden. Auch Wundt läßt die materialistische Psychologie nicht gelten; er selbst ent- scheidet sich für den Idealismus.

Zweites Kapitel. Die Vorteile des Parallelismus. 119

Zweites Kapitel. Die Vorteile detf ParalleliBmiu.]

Man macht sich schwerlich einer Übertreibung schuldig, wenn man behauptet, daß der psychophysische Farallelismus die gegenwärtig am weitesten verbreitete Ansicht über das Verhältnis des Leibes zur Seele darstellt AuBer zahlreichen Psychologen hängt ihm die über- wiegende Anzahl der Naturforscher, die sich vom Materialismus end- gültig losgesagt haben, an. Offenbar aus dem Grunde, weil der psychophysische Parallelismus ihnen Vorteile zu bieten scheint, die andere Standpunkte, z. B. die Annahme einer mit dem Körper in Wechselwirkung verbundenen Seele, vermissen lassen. Es ist nicht schwer^ diese Vorteile zu bezeichen, sie liegen auf der Hand. Paul- sen macht sie S. 114 und 115^) seiner »Einleitung« namhaft »und hiermit wäre denn die materialistische Weltansicht überwunden; überwunden freilich nicht in dem Sinn, daß sie überhaupt falsch und grundlos wäre; das ist sie gewiß nicht, ihre Forderung, daß alles Wirkliche physisch dargestellt sei, ist völlig begründet und es wird ihr von der dargelegten Anschauung durchaus entsprochen; für den Physiker ist das Universum als eine alle Wirklichkeit umschließender physischer Zusammenhang vorauszusetzen.« In der Tat, so liegt die Sache. Der psychophysische Parallelismus bedeutet einen Standpunkt, der, ohne den Materialismus als Weltanschauung festzuhalten, doch zugleich die in ihm als naturwissenschaftlicher Anschauung ent- haltenen prinzipiellen, als unaufgebbar erachteten Gedanken durch- aus festzuhalten erlaubt, vor allem den Gedanken einer ausschließlich physischen Begründung aller physischen Vorgänge ohne Zuhülfenahme, ja ohne Duldung psychischer Ursachen, weiterhin das hiermit aufs engste zusammenhängende Prinzip der Erhaltung der Energie. Man hat sich auf naturwissenschaftlicher Seite von der ünhaltbarkeit des Materialismus überzeugt und ist bereit, die materialistische Theorie gegen eine andere auszutauschen, aber nur gegen eine solche, welche die Grundsätze, die den Materialismus als Prinzip der Naturforschung empfehlen, unangetastet läßt War man einerseits wohl froh, von einer Weltanschauung loszukommen, deren Trostlosigkeit auch ihren eifrigsten Anhängern nicht verborgen bleiben konnte, und kehrte man gerne zu idealistischen Ansichten zurück, so war doch die Bedingung für den Übertritt die, daß dem Naturforscher nichts zugemutet werde.

1) 2. Aufl. 1893, 6. Aufl. S. 115/116. Vgl auch Heymans in 8. Aufsatz S. 90/91. James, Principles of Psychology vol. I. London 1891, S. 134/135.

120 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismus.

was zu einer Aufgabe der bewährten Prinzipien naturwissenschaft- licher Forschung nötigen würde. Diese Bedingung erfüllt aber, so scheint es, eben der psychophysische Parallelismus. Er erlaubt es, jene Prinzipien wie bisher festzuhalten und doch zugleich in idealistischer Weise die Selbständigkeit und Originalität der geistigen Wirklichkeit anzuerkennen, ja sie als das wahrhaft Wirkliche, die körperliche Welt aber als bloße Erscheinung des an sich geistigen Seins aufzufassen, und so schien es denn, als sei in dem psychophysischen Paralie- lismus endlich die so lange vergeblich gesuchte Formel gefunden, welche den uralten Kampf zwischen den Anforderungen wissenschaft- licher Erklärung und Erkenntnis und den Bedürfnissen des Gemüts, den Jahrtausende alten Zwist zwischen Wissen und Glauben zu schlichten im stände sei. Und daß damit etwas unendlich Hohes und Wertvolles erreicht wäre: wer wollte das leugnen? »Zwischen den Bedürfnissen des Gemütes und den Ergebnissen menschlicher Wissen- schaft«, sagt Lotze in der Vorrede zu seinem Mikrokosmus, »ist ein alter nie geschlichteter Zwist Jene hohen Träume des Herzens auf- zugeben, die den Zusammenhang der Welt anders und schöner ge- staltet wissen möchten als der unbefangene Blick der Beobachtung ihn zu sehen vermag: diese Entsagung ist zu allen Zeiten als der Anfang jeglicher Einsicht gefordert worden.« Sie ist gefordert worden und sie ist geleistet worden^ aber denen, die sie leisteten, mag das Herz dabei oft schwer genug geworden sein. Immer wieder sahen sich gerade die am weitesten in der Erkenntnis der Dinge vorge- drungenen Forscher vor die Alternative gestellt, entweder ein Opfer des Intellekts zu bringen und sich irgend einer Autorität in die Arme zu werfen, oder trotzigen oder verzweifelten Herzens den Glauben an die Ideale des Menschengeistes als eine Illusion aufzu- geben. Denn das Heilmittel, das die Lehre von der doppelten Wahr- heit darbietet: einerseits den Lehren der Wissenschaft anzuhängen und alle Eonsequenzen derselben zu ziehen, andererseits aber den Glauben an die idealen Forderungen des Gemüts gleichfalls festzu- halten, dieses Heilmittel mußte gerade bei ernsten und gewissenhaften Forschern versagen. Ein Idealismus, der mit unbezweifelbaren Er- gebnissen wissenschaftlicher Forschung^jm vereinbar ist, ist eine Illusion. Was aber einmal als Illusion erkannt ist, das kann nicht länger mehr für wahr gehalten und als Ideal verehrt werden. Gerade der ernste, ernsthaft um die Wahrheit ringende Forscher muß den Dua- lismus von Eopf und Herz ablehnen. Die Vernunft, das wissenchaft- liche Gewissen sträubt sich dagegen, zwei einander entgegengesetzte

Zweites Kapitel. Die Vorteile des Parallelismus. 121

und sich gegenseitig aufhebende Weltansichten für gleich wahr und solchen Zwiespalt als das letzte uns mögliche Wort, als in der Natur der Dinge selbst begründet anzusehen: eine in sich widerspruchslose Weltanschauung aufzustellen ist und bleibt das letzte Ziel aller sich selbst recht verstehenden und nicht durch »erkenntniskritische« Sophi- stikationen in die Irre geleiteten Wissenschaft und Philosophie ^). Und so hat sich denn die Philosophie immer aufs neue bemüht, eine Formel zu finden, welche sowohl den Ansprüchen der Wissenschaft als den Bedürfnissen des Oemüts in gleicher Weise genüge. Aber die Fortschritte der Wissenschaft machten die Lösung der Aufgabe immer schwieriger, eine Formel nach der andern mußte, weil der fort- geschrittenen wissenschaftlichen Erkenntnis nicht mehr entsprechend, fallen gelassen werden. Der unerhörte Aufschwung endlich, den die Naturwissenschaft^ immer weitere Gebiete der rein mechanistischen Erklärung unterwerfend und ihrem Ideal, die ganze Welt als einen ungeheueren, im Prinzip durchgehends erklärbai*en und berechenbaren Mechanismus anzusehen, sich immer mehr annähernd, im 19. Jahr- hundert nahm, schien jede Möglichkeit, eine ideale Welt- und Lebens- auffassung mit diesem Weltbild zu vereinigen, für immer auszu- schließen. Stille Besignation, männliches Entsagen und selbstlose Hingabe an die Forschung, an das Streben nach Erkenntnis und Wahrheit, schien das einzige zu sein, das dem Manne der Wissen- schaft, dem Naturforscher noch übrig blieb. In dem psychophysischen Parallelismus aber schien nun endlich die Formel entdeckt zu sein, nach der man so lange und vergeblich gesucht hatte, die Formel, welche Wissen und Glauben vereint und versöhnt. Hier stieß man auf eine Ansicht, die beiden gerecht wird, die dem Gemüt gibt, was des Gemütes ist, zugleich aber auch der Wissenschaft gibt, was der Wissenschaft ist Der psychophysische Parallelismus, der ein ^Nebeneinanderbestehen und Nebeneinandergehen von Geist und £örper lehrt, läßt die Selbständigkeit und ürsprünglichkeit des (Geistigen unangetastet, die geistige Welt bleibt in ihrer Eigenart und in ihrer spezifischen Verschiedenheit von der körperlichen Welt durchaus bestehen. Der auf parallelistischem Boden stehende Naturforscher erkennt an, daß die Naturwissenschaft das geistige Leben mit ihren Mitteln nicht zu konstruieren vermag, daß auf geistigem Gebiet ihre Begriffe, ihre Methoden, ihre Hilfsmittel ver-

1) Vgl. hierzu des Verf. Aufsatz: Die Bedeutung der Metaphysik für die Philosophie und die Theologie, Zeitschi-, f. Phü. u. phü. Kr. Bd. 111, S. 23 60.

122 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismas.

sagen. Die Furcht, als sei die Naturwissenschaft allen Idealen des Herzens notwendig feindlich gesinnt, als bedrohe der Fortschritt der naturwissenschaftlichen Erkenntnis alles, was dem Menschen außer- halb der Wissenschaft wertvoll und heilig ist, mit Zersetzung und Zerstörung, eine Furcht, die, angesichts des von manchen materia- listischen Naturforschern zur Schau getragenen Cynismus wohl be- gründet erscheinen konnte, sie erweist sich nun als grundlos, un- versehrt steht das Geistige nun da, allen Angriffen materialistischer Naturbetrachtung entrückt, unangreifbar, unverwundbar durch natur- wissenschaftliche Waffen. Der Naturforscher selbst erkennt die Grenze, die das Yorhandensein einer geistigen Wirklichkeit seiner Wissen- schaft zieht, als eine unbedingte und' absolute an.

Andererseits aber gewinnt auch die Naturwissenschaft bei dem Ausgleich. Sie braucht keinen von den Grundsätzen aufzugeben, an welchen, als für sie unentbehrlichen, sie ein für allemal festhalten zu müssen glaubt Sie behält, was sie braucht, ihr Recht bleibt ebenso gewahrt wie das des Geistigen. Gibt sie j eden Anspruch darauf, das Geistige mit ihren Mitteln konstruieren zu wollen, rückhaltlos auf, so lehnt sie mit nicht geringerer Entschiedenheit auf ihrem eigenen Ge^ biete jede Einmischung von anderer Seite ab. Hier herrscht sie allein, unbedingt und absolut Mit dem einmaligen Beitrag, den sie mit der Anerkennung der Selbständigkeit und Ursprünglichkeit des Gei- stigen leistet, kauft sie sich sozusagen von allen weiteren Verpflich- tungen der idealen, geistigen Wirklichkeit gegenüber los, kauft sie sicH los von jeder weiteren Behelligung durch aus ihr entstammende Forderungen. Solche dürfen auf naturwissenschaftlichem Gebiet nicht geltend gemacht werden; die Anerkennung des Prinzips: »die Natur für die Naturforscher« bildet den Preis, den sich die parallelistischen Naturforscher für ihre Anerkennung der Selbständigkeit des Geistigen zahlen lassen. Und, wie es scheint, wird er ihnen gern gezahlt Nach- dem die Besorgnis, der Fortgang der naturwissenschaftlichen Forschung möchte dahin führen, das geistige Leben völlig in den Natur- mechanismus aufzulösen, geschwunden ist, hat die mißtrauische, ja feindselige Stimmung, die sonst in weiten Kreisen der Naturwissen- schaft gegenüber bestand, einer wohlwollenderen und freundlicheren Auffassung Platz gemacht Viele, welche sonst die Fortschritte der naturwissenschaftlichen Forschung, deren praktische Vorteile sie sich doch auch zu eigen machten, mit geheimer Angst verfolgten, sind nunmehr, nach der von parallelistischen Naturforschem erlassenen offiziellen Erklärung, durchaus geneigt, der Naturforschung zu geben,

Zweites Kapitel. Die Vorteile des Parallelismos. 123

was der Natnrforschung ist und ihr die Natur zur alleinigen Be- arbeitung und Erklärung nach ihren Prinzipien rückhaltlos zu über- lassen. Es ist vielleicht nicht zu viel behauptet, wenn man sagt, daß das odium^ das bislang auf der Naturwissenschaft oder doch auf einem großen Teil derselben gelastet hat, durch den Parallelismus von ihr genommen ist. Eine schiedlich -friedliche Teilung der Welt und damit der Arbeit, die jede Möglichkeit eines Streites zwischen idealistischer und realistischer Weltanschauung in Zukunft auszuschließen scheint, ist an die Stelle des früheren Kampfes getreten. Der Idealist kann die Berechtigung realistischer Forschungs- und Denkweise anerkennen, ohne befürchten zu müssen, daß die ideale, geistige Wirklichkeit deswegen in ihrem Rechte verkürzt werde. Der Naturforscher aber kann die Realität, den Wert und die Bedeutung des Geistigen voll- kommen anerkennen, ohne seine naturwissenschaftlichen Grundan- schauungen deswegen aufgeben oder modifizieren zu müssen. Er kann sie bis in die äußersten Eonsequenzen verfolgen; die Selbst- ändigkeit des Geistigen beeinträchtigt er dadurch nicht.

Und nun kann die Naturwissenschaft in voller Ruhe und Sicher- heit sich der Durchführung der großen Aufgabe widmen, die ihr zu allen Zeiten vorgeschwebt hat, der Aufgabe, das Prinzip rein phy- sischer, wenn möglich, rein mechanistischer Eausalerklärung ausnahms- los durchzuführen und sich so dem Ideal naturwissenschafüicher Welterklärung, der Erkenntnis und Darstellung der Welt als eines ungeheueren^ in allen seinen Teilen gesetzmäßig zusammenhängenden, begreifbaren und berechenbaren Mechanismus, immer mehr anzunähern. Man mache sich klar, was das heißt. Es bedeutet nichts mehr und nichts weniger, als daß, die Materie und ihre Eigenschaften und die Naturgesetze als mechanische Gesetze vorausgesetzt, es auf dem ge- samten Gebiet der Natur nichts gibt, das nicht prinzipiell mechanistisch begreübar und mechanistisch erklärbar wäre und vielleicht eines Tages tatsächlich erklärt werden wird. Jeder Vorgang auf physischem Gebiet, der größte wie der kleinste, der einfachste wie der verwickeltste, der Umschwung der Gestirne wie die Bewegung einer Billardkugel, die Erscheinungen des Lichtes und des Schalles wie die des Magnetismus und der Elektrizität, die chemischen ümsetzungsprozesse wio die organischen Prozesse der Säftebildung und der Säfteausscheidung, der Nerven- und Gehimzellenerregung, jeder physische Vorgang ist als das notwendige, nach bestimmten unabänderlichen Naturgesetzen erfolgende Ergebnis vorangehender physischer Bedingungen aufzu- fassen und aus ihnen ohne Zuhilfenahme anderer Ursachen völlig und

X24 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallel ismus.

ohne Rest erklärbar. Ein lückenloser, stetiger, in sich geschlossener, rein physischer Kausalzusammenhang umfaßt alle physischen Vor- gänge und verbindet sie zu dem Ganzen des physischen Weltalls. Nirgends zeigt sich in der physischen Welt eine nicht- physische Kraft, nirgends ein Eingreifen psychischer Faktoren. Keine Götter und Dämonen, keine Seelen und (Jeister vermögen irgend welchen Einfluß auf den Lauf der Natur auszuüben; selbständig, nur ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit unterworfen, vollendet die Natur, ein ungeheurer Automat, ihren Lauf. Auch Gott selbst, sofern er als ein über der Natur stehendes Wesen gefaßt wird, vermag nichts in ihr zu be- wirken, die Naturwissenschaft bedarf seiner nicht, n'a pcts besoin de cette hypothese, mit Laplace zu reden. Somit sind alle die be- rechtigten Forderungen, welche der Materialismus, sie mit unbe- rechtigten unklar vermischend, von jeher verfochten und geltend ge- macht hat, gewahrt Innerhalb der Naturwissenschaft selbst bleibt das materialistische Prinzip, d.h. das Prinzip rein physischer Erklärung, un- versehrtbestehen, nur als Weltanschauung macht die Naturwissenschaft den Materialismus nicht mehr geltend, er hat aufgehört, Philosophie zu sein. Diese Metamorphose des Materialismus, die ihn als Philo- sophie vernichtet, als Prinzip naturwissenschaftlicher Forschung aber bestehen läßt, hat F. A. Lange in seiner Geschichte des Materialismus gelehrt und verteidigt, sie preisen Naturforscher und Philosophen als die Grundlage, auf der allein ein dauernder Friede zwischen Philo- sophie und Naturwissenschaft geschlossen werden kann.

Neben dem allgemeinen Prinzip des geschlossenen und lücken- losen physischen Kausalzusammenhanges ist es im besondem noch das sogenannte Gesetz der Konstanz der Energie, das bei dem im psycho- physischen Parallelismus enthaltenen Ausgleich intakt erhalten wird, während die Annahme einer Wechselwirkung zwischen Körper und Geist seine Geltung aufhebt Bei der Bedeutung, welche dieses seit seiner ersten Aufstellung durch ß. Mayer in der Naturforschung zu immer größerer Verwendung und Durchführung gelangte Gesetz für die Naturwissenschaft hat, ist es nicht verwunderlich, daß die Naturforscher sich weigern, irgend einer Ansicht über das Verhältnis von Leib und Seele, Körper und Geist, welche mit ihm nicht ver- einbar ist, ihre Zustimmung zu geben, und sich in hellen Haufen dem psychophysischen Parallelismus zuwenden, welcher neben allen anderen schon erwähnten Vorteilen auch noch den bietet, dieses für unaufgebbar erklärte Prinzip unangetastet zu lassen. Daß aber mit der Annahme einer Wechselwirkung zwischen Leib und Seele

Zweites Kapitel. Die Yorteile des Parallelismus. 125

die Bebaaptang der Konstanz der Energie im physischen Weltall za vereinigen eine sehr schwierige, wenn nicht überhaupt unmög- liche Sache ist, muß allerdings zugegeben werden. Versteht man unter Energie die Fähigkeit der Körper, unter geeigneten Um- ständen mechanische Arbeit zu verrichten, z. B. ein bestimmtes Gewicht zu einer bestimmten Höhe zu heben, so besagt das Oesetz der Konstanz der Energie, daß diese Fähigkeit bei allem Wechsel des Geschehens an den körperlichen Dingen unveränderlich sich gleich bleibt. Geht also eine Energieform in eine andere, z. B. Bewegung in Wärme, Elektrizität, chemische Differenz usw. über, so sind die einander ablösenden Energieformen einander äquivalent, besitzen denselben Arbeitswert. Daher läßt sich, wenn durch mecha- nische Arbeit thermische, elektrische, chemische Yeränderungen ein- geleitet werden, aus ihnen unter geeigneten Umständen prinzipiell genau derselbe Betrag mechanischer Arbeit wiedergewinnen, der zu ihrer Erzeugung aufgewendet ward. In allen Erscheinungen, Wärme, Elektrizität, Spannung, Bewegung usw. haben wir nur verschiedene Manifestationsweisen der Energie zu erblicken, die sich immer so in- einander umsetzen, dafs für ein bestimmtes Quantum des einen Agens, welches verschwindet, ein äquivalentes Quantum eines anderen Agens, d. h. ein solches von gleichem Arbeitswert an die Stelle tritt Im Ganzen der Natur bleibt mithin das Quantum der verfügbaren Energie sich immer gleich und kann weder vermehrt noch vermindert werden. Dem Satz von der Unzerstörbarkeit und Konstanz des Stoffes tritt der von der Unaufhebbarkeit und Konstanz der Energie an die Seite. Die Natur stellt ein ungeheueres Reservoir von Energie dar, die sich in den mannigfachsten Formen darstellen, die verschiedensten Gestalten annehmen kann, aber in allem Wechsel ihrer Gestaltungen mit sich identisch, ihrer Quantität nach gleich bleibt Der Weltprozeß geht ohne Gewinn und ohne Verlust vor sich, Debet und Credit der Weltrechnung bleiben sich immer gleich. Der Parallelismus nun, der ja die physische Seite der Wirklichkeit sich vollständig selbst überläfst, hat natürlich gar keine Veranlassung, diese Auffassung, auf welche die Naturforscher einen so grofsen Wert legen, zu bestreiten, er nimmt auch in diesem Punkte eine durchaus entgegenkommende Haltung ein und verdient sich damit den Beifall und die Sympathie der Naturforscher. Anders die Ansicht, welche eine Wechselwirkung zwischen der geistigen und der körperlichen Welt anzunehmen für nötig hält Für sie ist es schwer, wenn nicht un- möglich, dem Prinzip der Konstanz der Energie die von der Natur-

126 Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelismos.

Wissenschaft geforderte universelle and ausnahmslose Geltung zuzu- gestehen. Wendet der Körper Energie auf, um einen seelischen Vorgang, eine Empfindung oder ein Gefühl, hervorzurufen, so gebt physische Energie verloren, ohne durch einen äquivalenten Betrag derselben oder einer anderen physischen Energieform ersetzt zu werden, das Gesamtquantum der in der Natur vorhandenen Energie wird also um den Betrag der zur Erzeugung der Empfindung auf- gewandten Energie vermindert Umgekehrt, wenn die Seele durch ihren WiUen oder ihre Yorstellungen auf den Leib einwirkt und einen Bewegungsvorgang in ihm hervorruft, so tritt in der Natur Eneigie auf, ohne daß zu ihrer Erzeugung ein gleich großer Betrag derselben oder einer anderen physischen Energieform aufgewandt worden wäre. Es findet also ein Gewinn von Energie statt, das Gesamtquantum der in der Natur vorhandenen Energie wird um den Betrag der durch den Willen erzeugten Energie vermehrt Also bleibt die Energie im physischen Weltall sich nicht ewig gleich, konstant, sondern es findet abwechselnd Gewinn und Verlust statt

Die Versuche, die Lehre von der Wechselwirkung zwischen Geist und Körper durch besondere Annahmen mit dem Gesetz der Konstanz der Energie in Übereinstimmung zu bringen und so auch diese Ansicht den Naturforschem annehmbar zu machen, werden uns an späterer Stelle zu beschäftigen haben; für jetzt genügt es, darauf hinzuweisen, daß sich in Bezug auf dieses Prinzip sowohl wie auf jenes der geschlossenen Naturkausalität der psychophysische Paralle- lismus gegenüber der Lehre von der Wechselwirkung unleugbar im Vorteil befindet Seine Verträglichkeit mit demselben ist klar, ein- fach, zweifellos, diejenige der Wechsel wirkungslehre dagegen zum mindesten schwierig und zweifelhaft, wo nicht völlig ausgeschlossen. Der Vorteil aber, den der Parallelismus hier bietet, beschränkt sich nicht darauf, der Naturwissenschaft ein von ihr als unentbehr- lich bezeichnetes Prinzip wissenschaftlicher Forschung unversehrt zu belassen 9 sondern die Integrität dieses Prinzips ermöglicht es der Naturwissenschaft überdies, eine auch in poetischer Beziehung be- friedigende, ja verloc^kende Naturanschauung aufzustellen^ eine Natur- anschauung, die schließlich, in Verbindung mit einer idealistischen Grundanschauung, unleugbar etwas Grandioses, Erhabenes, ja Be- rauschendes hat.

Die Natur erscheint als eine ungeheuere, keiner Vermehrung und keiner Verminderung fähige, ewig sich selbst gleich bleibende Kraft, der aber eine unerschöpfliche Fülle von Gestaltungen

Zweites Kapitel. Die Yorteile des Parallelismus. 127

zu Gebote steht, ihr Wesen in ihnen auszudrücken. Wie im Kalei- doskop mit jeder Drehung ein neues Bild sich einstellt, aber alle un- ablässig aufeinander folgenden und einander ablösenden Bilder doch schließlich nur verschiedene Gruppierungen desselben identischen In- haltes, derselben bunten Steinchen und Glasstückchen darstellen, so besteht auch der Weltprozeß aus immer neuen Kombinationen der verschiedenen Manifestationen derselben stets mit sich identisch blei- benden Weltenergie: ein nie endendes, unerschöpfliches, reizvolles und Wechsel volles Spiel, in welchem sich die Weltenergie unablässig betätigt In immer neuen Gruppierungen stellt sie ihren Inhalt dar, in jeder sich ganz offenbarend, aber in keiner sich erschöpfend. Denn sie alle bilden nur verschiedene Ausdrucksformen desselben sich gleichbleibenden Sinnes der Welt, Variationen über ein und dasselbe Thema. Das Wunder, das uns in tausendfacher Variation in den uralten Märchen entgegentritt, das Sichverwandeln eines identischen Subjekts in alle möglichen Gestalten, das Wunder, das der Pudel im Faust vollführt: die Natur verwirklicht es alle Tage vor unseren Augen. Proteusartig nimmt sie neben- und nachein- ander die verschiedenartigsten Gestaltungen an, durch allen Wechsel derselben ihre Identität hindurchrettend und nie eine Einbuße an £nergie erleidend.

Ist schon diese Naturanschauung poetisch und reizvoll, so kann die ihr zu Grunde liegende Idee sogar begeisternd und berauschend wirken, wenn man sie mit dem idealistischen Prinzip der alleinigen Bealität des Geistigen verknüpft und auf dieser Grundlage aus- gestaltet Denn nun ist es nicht mehr eine physische Kxaft, die in der unendlichen Mannigfaltigkeit des Naturgeschehens sich auswirkt, sondern der Weltgeist ist es, der in der Natur sich betätigt, in allen Ereignissen lebt und webt Die gesamte Natur in allen ihi«en Erscheinungen und Formen, alle Manifestation physischer Energie ist nunmehr schließlich doch nur die Erscheinung einer hinter allem Natnrgeschehen stehenden und ihm zu Grunde liegenden geistigen Wirk- lichkeit Was unserer sinnlichen Wahrnehmung sich als Bewegung, als Elektrizität, Magnetismus, Wärme, als ein in allen Farben des Begenbogens glänzender Kosmos darstellt, das ist an sich ein unserem eigenen Geist verwandtes lebendiges geistiges | Wesen; es ist der

Weltgeist selbst, der sich für uns in eben diese Erscheinungsformen hüllt Er ist es, der dieses mannigfache und reizvolle Spiel unter- hält und genießt, seinen unendlichen geistigen Inhalt in immer neuen Formen entfaltend und ausprägend. Yoneinander abweichend

128 Erster Abschnitt. Der psychophysische ParaUelismns.

in der Form, bilden die einander ablösenden Phasen des Welt- prozesses doch nur immer neue Ausdrucksweisen des sich ewig gleichbleibenden Sinnes der Welt, die sich für ein das Ganze über- schauendes Bewußtsein zusammenfugen zu der einen mächtigen, un- endlichen, brausenden Weltmelodie. Und so können wir auf den in der Natur sich offenbarenden und auswirkenden Weltgeist die Worte anwenden, mit denen Goethe im »Faust« das Wesen und die Tätigkeit des Erdgeistes charakterisiert:

»In Lebensfluthen, im Thatenstunn

Wair ich auf und ab,

Wehe hin und her!

Geburt und Grab,

Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben,

So sohafiP ich am sausenden Webstuhl der Zeit,

und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.«

Und wie die ganze Natur nichts weiter als die sichtbare Er- scheinung des allein wahrhaft wirklichen lebendigen Geistes ist, so stellt sich die innere Harmonie und Folgerichtigkeit des Weltgeistes in der sinnlichen Erscheinungswelt als unyerbrüchliche Naturgesetzlich- keit dar. Diese Naturgesetzlichkeit kann nun die Naturwissenschaft rückhaltlos verfolgen, ohne doch deshalb zu leugnen, daß letzten Endes alles Vergängliche nur ein Gleichnis, die gesamte Natur nur die Erscheinung einer ganz anders gearteten, geistigen Wirklich- keit ist

Wahrlich, verwunderlich ist es nicht, daß der in der idealistischen Form des psychophysischen Parallelismus unzweifelhaft enthaltene poetische Gehalt, daß die Idee, in dieser Formel sei nun der Aus- gleich zwischen Verstand und Gemüt gefunden, sie ermögliche es, eine durch und durch poetische und ideale Weltanschauung mit den strengsten Anforderungen exakter naturwissenschafdicher Tatsachen- erklärung verbinden zu können, eine große werbende Kraft darstellt und dem Parallelismus zahlreiche Anhänger fortgesetzt zuführt

Indessen dürfen wir uns durch den verführerischen Beiz dieser Weltanschauung nicht verleiten lassen, ihr vorbehaltlos beizutreten. Vielmehr, je bestechender ein Weltbild erscheint, um so mehr ist es geboten, vorsichtig zu sein und kalten und unbefangenen Sinnes zu untersuchen, ob nicht vielleicht der Glanz, der von ihm aus- strahlt, doch zum guten Teil nur ein trügerischer, blendender Schein ist, der schärferer Nachforschung nicht standhält

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 129

Schopenhauer bezeichnet es irgendwo als einen von ihm häufig und mit Vorteil angewandten Kniflf, einen Gedanken, von dem er besonders begeistert war, plötzlich mit dem eiskalten Wasser kritischer Refle:xion zu übergießen, um zu sehen, ob er auch dann noch seine Natur und Kraft behielt. Diesen Kniff müssen auch wir jetzt dem psychophysischen Parallelismus gegenüber anwenden, wir müssen kühle, nüchterne, unbestechliche und unerbittliche Kritik an ihm üben, um uns zu vergewissem, ob die Medaille nicht auch noch eine Kehrseite hat, ob nicht den glänzenden Vorteilen, die er zu gewähren scheint, auch schwere, jene beeinträchtigende oder gar aufhebende Nachteile gegenüberstehen, Nachteile, die ihn als un- wahrscheinlich, wenn nicht unmöglich erscheinen lassen. Denn von der Lehre von der doppelten Wahrheit haben wir uns ja schon ein- mal losgesagt Eine * Weltanschauung mag noch so erhaben, noch so bestechend, noch so poetisch und verführerisch sein; wenn sie mit inneren Widersprüchen behaftet ist oder den Tatsachen der Er- fahrung widerstreitet, muß sie dennoch aufgegeben werden. Niemand kann zween Herren dienen. Diese kritische Untersuchung, diese Nachforschung nach etwaigen Fehlern und Mängeln der parallelisti- schen Weltanschauung anzustellen soll die Aufgabe des folgenden Kapitels sein.

Drittes Kapitel. Die Nachteüe des Parallelismus.

1. Der metaphysische Unterbau. Ob die auf der Grundlage des Parallelismus von Körper und Geist errichtete, im vorigen Kapitel geschilderte Weltanschauung selbst in idealistischer Fassung wirklich allen Anforderungen, die man billigerweise an eine ideale Weltanschauung stellen kann, genügt, mag doch noch bezweifelt werden. Vielleicht findet doch mancher, der zuerst dem poetischen Zauber des parallelistischen Welt- bildes erlag, bei weiterem und eingehenderem Nachdenken eine ganze Anzahl von Punkten heraus, in denen es ihn unbefriedigt läßt. Wir werden an diesem Punkt nicht ganz vorbeigehen können: wird uns die paraUelistische Weltanschauung um der Befriedigung willen, die sie sowohl den Ansprüchen der Wissenschaft als auch denen des Gemüts gewährt, besonders empfohlen, so werden wir uns auch die Frage vorzulegen haben, ob sie in der Tat eine Anschauung von der Welt darstellt, in der das Gemüt volle Befriedigung finden kann. Aber die wichtigste und nächste Frage ist für uns die, ob der

Basse, Oeist und Kfiiper, Seele und Leib. ^

130 Erster Abschnitl Der psyohophysisohe Parallelismiui.

Eompromiß zwischen Wissen und Glauben, naturwissenschaftlich exakter Forschung und idealer Welt- und Lebensauffassung, den die parallelistische Theorie darstellt, einerlei, wie es um diesen Eompro- miß selbst bestellt sein möge, nicht vielleicht durch willkürliche, unverständliche oder gar unmögliche, weil in sich widerspruchsvolle Annahmen zu Wege gebracht worden ist Ist das der Fall, so müssen wir natürlich die ganze Theorie ungeachtet aller Yorteile, die sie bietet, ablehnen: der schönste Eompromiß zwischen Glauben und Wissen wird hinfällig, wenn die Voraussetzungen, auf denen er beruht, unhaltbar sind. Indem wir uns jetzt anschicken^ diese Frage zu untersuchen, wollen wir zunächst den metaphysischen Unterbau, durch welchen die Parallelisten ihrer Lehre einen meta- physischen Abschluß und gleichzeitig noch eine weitere Stütze zu geben versuchen, einer kritischen Betrachtung unterziehen.

Zwei solcher Unterbauten haben wir kennen gelernt: den realistisch- monistischen und den idealistisch -monistischen Parallelis- mus. Wir untersuchen zunächst den ersteren.

a) Der realistisch-monistisohe Parallelismus . (Neo - Spinozismas , Ideo titätsphilosophie).

Dieser Form des Parallelismus zufolge sind Geist und Eörper zwei gleichen Wirklichkeitswert besitzende Seiten eines und desselben Dinges. Es ist ein und dasselbe unbekannte Reale X^ das, an sich weder Eörper noch Geist, aber der metaphysische Grund beider, sich in diesen beiden Formen manifestiert, in ihnen sein Wesen ausdrückt Die metaphysische Identität von Geist und Eörper bildet hier zugleich den £rklärungsgrund der Parallelität beider. Eben weil es ein und dasselbe identische Reale ist, dessen beide Seiten Geist und Eörper bilden, weil es zur Natur dieses einen identischen Realen gehört, jeden zu seinem Wesen gehörenden Inhalt auf zwie- fache Weise darzustellen, ist es auch erklärlich, daß die geistige und die körperliche Welt sich in allen Einzelheiten decken.

Es fragt sich indes, ob sich der Gedanke, Geist und Eörper seien zwei Seiten eines und desselben Realen X^ dieses eine iden- tische Reale stelle sich in zwiefacher Form dar, auch wirklich denken, d. h. ob sich mit diesen Worten auch ein verständlicher Sinn verbinden, die Forderung, die sie ausdrücken, auch vollziehen läßt. Um nun die identitätsphilosophische Behauptung als eine durch- aus zutreffende zu erweisen und sie zugleich anschaulicher und plau- sibler zu machen, hat man versucht, sie durch Beispiele zu erläutern,

Drittes Kapitel Die Nachteile des Parallelismus. 131

unter denen das bemerkenswerteste und am häufigsten gebrauchte wohl das Fechn ersehe des Kreisbogens ist, der eine konvexe und eine dieser genau entsprechende konkave Seite hat.^) Natürlich be- weisen solche Beispiele noch nicht, daß sich auch der Fall, den sie illustrieren sollen, genau nach den Beispielen denken läßt, daß alles, was im Beispiel als möglich oder selbstverständlich erscheint, es auch in dem betreffenden Falle ist. Mit anderen Worten, wenn Beispiele angeführt werden, um den Sinn einer Behauptung klarer und ver- ständlicher zu machen, so müssen wir verlangen, daß sie auch auf die betreffende Behauptung passen, und wenn diese Beispiele dazu dienen sollen, die Möglichkeit, Denkbarkeit, Richtigkeit der durch sie gestützten Ansicht zu erweisen, so müssen wir sorgsam prüfen, ob sich dieselbe auch in jeder Beziehung nach Analogie des Bildes konstruieren läßt. Anderenfalls laufen wir Gefahr, daß die Klar- heit, welche wir durch das Beispiel über unsere Ansicht verbreiten, mit Heymans zu reden, »nur die trügerische Klarheit des Bildes, nicht die echte des Begriffs«') ist. Ich bin nun allerdings der An- sicht, daß das nicht nur, wie Heymans zugibt, bei den meisten, sondern bei allen Bildern der Fall ist, durch welche man die realistisch -parallelistische Ansicht zu empfehlen gesucht hat Alle diese Beispiele hinken, sie lassen sich gerade in dem entscheidenden Punkte, auf den alles ankommt, nicht auf den realistisch -monistischen Parallelismus übertragen, und so können sie denn auch nicht dar- tun, daß die Forderung des letzteren, Geist und Körper als zwei Seiten eines und desselben identischen Realen anzusehen, auch wirk- lich durchführbar ist

Nehmen wir Fechn er s Beispiel des Kreisbogens und seiner beiden untrennbar zusammengehörenden Seiten.^) Wie hier die Konvexität und die Konkavität zwei einander genau entsprechende und einander notwendig fordernde Seiten des identischen Kreisbogens sind, genau so, wird gesagt, verhalten sich auch Körper und Geist »Beide Seiten gehören untrennbar zusammen, als die geistige und

1) Elemente der Psyohophysik L 2. Aufl., Leipz. 1889. S. 2/3.

2) A. a. 0. 8. 63.

3) Ebbinghaus (a. a. 0. 8. 41) und Adickes (Kant contra Haeckel S. 65 operieren mit dem Bilde der Engelschale. Ygl. dazn die Kritik H. Rickerts, Psyohophys. Eansal. n. psychophys. Parall., Sigwart- Festschrift, Tübingen 1900, 8. 72, 73. Mit Recht bebt Rickert hervor, daß die Bilder, durch die man den Parallelismus begründen will, ihm UDgefähr einen ebenso großen Dienst leisten als das berühmte Vogt sehe SekretionsbeiBpiel dem Materialismus.

9*

132 Erster Abschnitt. Der psychopbyBische Parallelismus.

.leibliche Seite des Menschen, und diese lassen sich vergleichsweise auch als innere und äußere Seite fassen.« Fechner fügt freilich so- fort hinzu (S. 3): »Aber der Kreis ist nur ein Bild« und deutet da- mit schon an, daß möglicherweise bei dem Vergleich nicht alles stimmt. Einige Mängel desselben führt er auch selbst S. 4 an. Daß er uns aber gerade in dem entscheidenden Punkte im Stich läßt, ist auch ihm entgangen. ^) Und doch drängt sich dieser Fehler des Bildes formlich auf. Im Bilde nämlich läßt sich die Zweiseitentheorie aufs schönste durchführen. Wir verstehen es vollkommen, daß die Kreislinie als solche eine konvexe und eine konkave Seite haben muß und daß diese beiden Seiten einander durchweg entsprechen, dergestalt, daß jeder Veränderung der einen eine entsprechende Ver- änderung der anderen parallel geht. Und ebenso verstehen wir es hier vollkommen, daß Konvexität und Konkavität zwei Seiten eines und desselben identischen Dinges, des Kreisbogens darstellen. Hier hat mithin die Zweiseitentheone einen durchaus verständlichen, ja sogar wirklich zutreffenden Sinn. Wir können das Reale selbst von den beiden Seiten^ die es zeigt, unterscheiden. Das Reale, die Linie, ist nicht, sondern hat die beiden Seiten, die konvexe und die konkave. Wir können uns die Linie auch ohne diese beiden Seiten vorstellen. Lassen wir sie aus der Kurvenform in die der geraden Linie übergehen, so hat sie die konvexe und die kon- kave Seite nicht mehr; sobald sie dagegen wieder die erstere Form annimmt, treten auch wieder als notwendige Folge derselben jene beiden Seiten und ihre Korrespondenz auf. Will man noch größere Anschaulichkeit, so setze man statt der Linie einen dünnen Metall- stab, der, ohne seine Identität einzubüßen, aus der geraden Richtung in die krumme übergeht und in der letzteren Form eine konvexe und eine jener in jeder Beziehung entsprechende konkave Seite besitzt. Wie aber steht es mit dem identischen Realen, dessen Seiten Leib und Seele darstellen, und mit diesen letzteren selbst als zwei sich notwendig entsprechenden Seiten jenes Realen? Was von alledem, das bei der Linie oder dem Stab völlig verständlich und notwendig war, läßt sich auf diesen Fall übertragen? Ist es hier ebenso notwendig oder auch nur begreiflich, daß das Reale X zwei Seiten,

1) tEine genauere Ausführung und Begründung dessen , was er unter denn, psychophysischen Parallelismus versteht, hat Fechner nicht gegeben; er begnügt sich wesentlich damit, das Gleichnis von der konkaven und konvexen Seite eines Kreisbogens an Stelle einer klai'en begrifflichen Ausführung zu setzen.« v. Hart- mann, Med. Psych. Leipz. 1902, S. 325.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des ParaUelismus. 133

und zwar eben diese beiden Seiten hat und daß sie sich durchweg entsprechen? Erscheint es hier ebenso begreiflich und selbstverständ- lich, daß die beiden parallelen Faktoren verschiedene Seiten eines und desselben identischen Realen darstellen? und können wir auch hier die beiden Seiten gleichsam von dem Realen, dessen Seiten sie sind, hinwegdenken und dieses uns ohne sie vorstellen? Offenbar nicht Statt der Linie oder des Metallstabes, deren Wesen uns be- kannt ist, erhalten wir hier ein völlig Unbekanntes, ein X^ von dem nun zwar behauptet wird, daß es zwei Seiten, eine körper- liche und eine geistige habe, von dem aber weder gezeigt wird, daß es sie haben muß, noch, wie es sie haben kann, ohne in sie auseinanderzufallen. Qnd ebensowenig wird hier wie beim Kreisbogen ein wirklicher Orund dafür angegeben, daß die beiden »Seiten« ein- ander notwendig in allen Einzelheiten entsprechen müssen. Wir sollen uns denken, daß ein X^ das an sich weder Körper noch Geist ist, doch sich stets in körperlicher und geistiger Form dar- stellt und daß, weil das X sich in diesen Formen darstellt, diese Formen einander notwendig parallel gehen. Verständlich ist das alles gamicht, vielmehr, was im Bilde als selbstverständlich erschien, bleibt hier durchaus unverständlich.^) Und ebensowenig vermögen wir umgekehrt einzusehen, warum die beiden gegebenen und angeblich parallelen Faktoren Geist und Körper einem und dem- selben identischen Dinge als seine zwei Seiten beigelegt werden müssen. Der realistisch -monistische Parallelismus bleibt tatsächlich im Dualismus stecken. Darüber hinaus erkennen wir zwar noch den Wunsch, ihn durch eine monistische Betrachtungsweise zu überwinden, und durch ihn hervorgerufen die Behauptung, Körper und Geist seien lediglich zwei Seiten eines und desselben Realen; wie aber dieser Wunsch sich erfüllen und die Behauptung der Identität sich wirklich durchführen lasse, erkennen wir gamicht, sondern werden statt eines Beweises mit Beispielen abgespeist, in welchen, weil die Dinge da ganz anders liegen als bei der in Frage stehenden Theorie, freilich das alles geht, was hier eben nicht geht.^)

1) Vgl. die Bemerbmg Rehmkes, Allg. Psychologie S. 101, 102, daß die Bilder eben nicht erklären, wie Dinge, die garnichts Identisches enthalten, sich doch entsprechen sollen. Nicht mit unrecht erklärt sodann Ladd, Phil, of Mind 8. 347: Des Monismus ^declaration of the 'identity* of matter and mind in a being thai is neither matter nor mind landa the monistic theory not simply in the unknotoHf aa it tcotdd have us believe, hut in the absurd,*

2) Vortrefflich sagt Stampf in seiner Eröffnungsrede z. psyohol. Kongreß in München 1896 S. 6: »Was es dabei« wenn man die heterogene Natur des

134 Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelismns.

Auch die übrigen Bilder leisten das nicht, was sie leisten sollen. Wenn Höffding^) das Beale, das sich in geistiger und in körper- licher Form darstellt, mit einem in zwei Sprachen ausgedrückten G^ danken vergleicht , so läßt hier sogar das Bild die Selbstverständlichkeit vermissen, durch die es die Zweiseitentheorie empfehlen und stützen sollte. Denn es ist nicht ebenso selbstverständlich, daß ein Gedanke sich durch zwei verschiedene, verschiedenen Sprachen angehörende Worte ausdrücken läßt, wie es selbstverständlich ist, daß ein Kreis- bogen zugleich in konvexer und konkaver Gestalt erscheint und ebensowenig lassen sich die beiden Worte, etwa Löwe und lion, als zwei Seiten des durch sie bezeichneten Tieres ansehen. Wir haben es vielmehr mit zwei verschiedenen Bezeichnungen desselben Tieres zu tun. Lassen wir aber diese das Bild als solches betreffenden Be- denklichkeiten fallen, so müssen wir auch von ihm sagen, daß die Yereinigung von Identität und Dualität, die sich in ihm unschwer vollziehen läßt, beim realistisch -monistischen Farallelismus sich nicht in gleicher Weise vollziehen läßt, sondern nach wie vor undurchführ- bar erscheint Im Bilde können wir uns das Beale, das Tier als seiendes oder auch nur als Inhalt einer Yorstellung^ deutlich ver- gegenwärtigen, ohne die sprachlichen Bezeichnungen mitzudenken, und dann finden wir es zwar nicht notwendig, aber doch durchaus begreiflich, daß es zwei sich auf denselben realen Inhalt, etwa dieses seiende oder vorgestellte Tier, beziehende Benennungen geben kann, die sich deshalb in den beiden Sprachen, denen sie an- gehören, entsprechen. Aber wir können uns nicht in gleicher Weise das dem körperlichen und dem geistigen Sein zu Grunde liegende Reale in seiner wahren, weder geistigen noch körperlichen, Beschaffen- heit vorstellen. Und ebenso vernehmen wir zwar die Behauptung, diese beiden, das körperliche und das geistige Sein, seien nur zwei verschiedene Auffassungsweisen, die sich auf ein und dasselbe Beale

Physischen und des Psychischen so seharf betont, wie es seitens der Vertreter des psyohophysischen Parallelismus geschieht »noch heißen soll, dafi das eine nur die Kehrseite oder Innenseite des anderen darsteUe, hat noch niemand anders als durch Gleichnisse zu erläutern gewußt, wie Spiegelung, konkave und konvexe Krümmung einer Fläche u. dgl., Gleichnisse, die insgesamt eigentlich auf einer dualistischen Auffassung ruhen . . .< »Auch die einheitliche Substanz, die sich in den beiden Attributen des Physischen und des Psychischen »ausdrücken« soll, ist nichts weiter als ein Wort, das nur das Bedürfnis ausdrückt, dem Dualismus zu entgehen, ohne aber die Kluft für unser Verständnis wirklich zu überbrttcken.c Vgl. auch Ladd, Philosophy of Mind, S. 318, 345—347. 1) a.a.O. S.81, 82.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismos. 135

beziehen, aber wir sehen nicht ebenso, wie bei Löwe und lion, wie sie das können, unsere Erkenntnis bleibt bei der Zweiheit von Oeist und Eörper stehen, die ursprüngliche Identität beider bleibt eine leere Behauptung.

Noch weniger yermag ein drittes, von Kur d Laß witz ^) gebrauchtes Bild den Zweck, dem es dienen soll, zu erfüllen: des eines sich yer- zinsenden Kapitals. Wie ein Kapital, das sich verzinst, zugleich eine Schuld für den, der es geliehen und ein Vermögen för den, der es ausgeliehen hat ist, so ist auch ein und derselbe reale Vorgang zugleich ein körperlicher und ein geistiger Prozeß, eine Nervenerregung und eine Empfindung. Wie Schuld und Ver- mögen die beiden Seiten desselben Kapitals, so bilden Körper und Oeist die beiden Seiten des Realen X. Laßwitz bemerkt selbst, daß alle Oleichnisse hinken; das seinige aber hinkt sozusagen auf sämtlichen Beinen. Das Kapital braucht nicht notwendig die beiden Seiten: Schuld und Vermögen, zu haben, denn es braucht, um sich zu verzinsen, nicht ausgeliehen zu werden. Ich stecke es in mein Oeschäft und lasse es sich dadurch verzinsen. Alsdann fällt die eine Seite, die Schuld, fort, und dann: im Beispiele können wir das Kapital als eine bestimmte Summe Oeldes für sich deutlich vorstellen und von ihm Schuld und Verdienst als zwei verschiedene Beziehungen, in denen zwei verschiedene Personen. zu ihm stehen, unterscheiden. Und ebenso können wir umgekehrt Schuld und Verdienst, die wir als voneinander verschieden, als zweierlei auffassen, doch auf das Kapital als auf ihre gemeinschaftliche Basis beziehen. Alles dies können wir aber gerade bei der Zweiseitentheorie von Leib und Seele nicht Wir können nicht das reale X uns denken und dann Leib und Seele als ihm zukommende Beziehungen oder Eigenschaften auffassen. Wir können zwar Leib und Seele, Körper und Oeist als ver- schieden vorstellen, aber es fehlt uns gerade die gemeinschaftliche Grundlage, auf die wir beide beziehen könnten. Wir haben zwei »Seiten« ohne ein Etwas, dessen Seiten sie sind, und können daher auch mit der Behauptung, sie seien zwei verschiedene »Seiten«, hier keinen verstandlichen Sinn verbinden. Anstatt uns die Identität von Körper und Oeist klarzumachen, zeigt uns das Beispiel daher gerade die Un- möglichkeit, diese behauptete Identität auch wirklich zu denken.

Endlich hat Fechner noch ein anderes Bild.^) Unser Sonnen- system erscheint von der Sonne aus betrachtet als die Kopemikanische^

1) Wirklichkeiten, Berlin 1900, 8. 114.

2) Elemente der Psychophysik I. S. 3.

136 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelisinas.

von der Erde aus betrachtet als die Ptolemäische Welt »Es wird in aller Zeit für denselben Beobachter unmöglich bleiben, beide Welt- systeme zusammen zu beobachten, ungeachtet beide ganz untrennbar zusammengehören und ebenso wie die konkave und konvexe Seite des Kreises im Grunde nur zwei verschiedene Erscheinungsweisen derselben Sache von verschiedenen Standpunkten sind.«

Während Hey m an s alle übrigen Bilder für dunkel und irreführend hält, findet er dieses Fechnersche, »welches in unzweideutiger Weise den Unterschied der » beiden Welten « auf denjenigen zweier mensch- licher Betrachtungsweisen eines identischen gegebenen Tatbestandes zurückführt « , vortrefflich. » Wenn man dieses Bild scharf im Auge behalten hätte, so wäre für weittragende Mißverständnisse die Tür verschlossen geblieben. « ^)

Ich vermag die günstige Ansicht, die Heymans von diesem Bilde hat, nicht zu teilen, bin vielmehr der Ansicht, daß auch es im wesentlichen an demselben Fehler leidet, wie die übrigen. Brauch- bar würde es sein, sofern man von den beiden einander korrespon- dierenden Systemen das eine, etwa dasKopernikanische, für die wirkliche Welt, das andere, das Ptolemäische, dagegen für die Gestalt erklärt, in der sich die Welt einem auf der Erde befindlichen Beobachter darstellt Alsdann läßt sich dartun, daß alle Verhältnisse der wirklichen Welt in dem Ptolemäischen Weltbild sich widerspiegeln müssen, also ein durchgängiger Parallelismus zwischen der wirklichen und der schein- baren Welt besteht. Aber alsdann sind das Eopemikanische und das Ptolemäische Weltbild nicht mehr zwei Seiten einer und der- selben Sache, sondern das eine ist die Sache selbst, das andere ihre uns zugewandte Seite. Wollen wir den Unterschied noch durch Fechners Kreisbogenbeispiel erläutern, so bilden das Kopemi- kanische und das Ptolemäische Weltbild nicht die konvexe und die konkave Seite des Kreisbogens, sondern das erstere ist der Kreis- bogen, die iha bildende Linie, der so geformte Metallstab, das letz- tere aber die konvexe Form^ in welcher sich die gekrümmte Linie oder der gebogene Stab einem außerhalb befindlichen Beobachter präsentiert So aufgefaßt, kann das Beispiel sehr wohl zur Erläu- terung des idealistisch-monistischen Parallelismus dienen, der ja auch das geistige Sein für das wahrhaft Wirkliche, das Sein an sich erklärt, die Körperwelt aber für die Erscheinung der wahrhaft wirklichen, geistigen Welt hält. Von solch idealistischem Parallelismus ist aber hier bei Fechner und auch bei Heymans keine Bede; die Worte

1) a. a. 0. S. 66.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des ParaUelifimus. 137

Fechners yerbieten es uns, sein Beispiel idealistisch zu deuten. Er erklärt ausdrücklich das Ptolemäische und das Eopernikanische Welt- bild für zwei Yerschiedene Erscheinungsweisen derselben Sache für Terschiedene Standpunkte und vergleicht sie mit der konvexen und konkaven Seite des Kreises. Und auch Hejmans spricht von zwei menschlichen Betrachtungsweisen eines identischen gegebenen Tatbestandes, unterscheidet also den Tatbestand als solchen von den »menschlichen« Auffassungsweisen desselben. Mit dieser Auffassung aber kehren wir wieder zum realistisch -monistischen Parallelismus zurück und wollen das Bild zu seiner Erläuterung und Bechtfertigung benutzen. Diesen Dienst vermag es aber ebensowenig wie die übrigen Bilder zu leisten, deren Mängel es teilt Wären nämlich das Eoperni- kanische und das Ptolemäische Weltbild lediglich im. idealistischen Sinne zwei verschiedene Yorstellungsreihen, die sich überhaupt nicht auf eine von ihnen verschiedene Wirklichkeit mehr beziehen, so hätten wir eben zwei Yorstellungsreihen, die, ohne irgendwie zusammenzufallen, die Eigentümlichkeit zeigen, daß ihre einzelnen Glieder sich genau entsprechen. Wir würden vollständig im Dua- lismus stecken bleiben und weder für die Zweiheit noch für die Korrespondenz der Reihen einen erklärenden Grund angeben können. Beziehen wir dagegen die beiden Auffassungsweisen auf eine beiden gemeinschaftliche Grundlage, etwa auf eine intelligible Welt, die sich, je nachdem, uns als Kopernikanische oder als Ptolemäische Welt darstellt, so können wir im Bilde die intelligible Welt als die Sache an sich ohne die beiden nur für den sinnlich -anschauenden Beobachter vorhandenen Erscheinungsweisen vorstellen und anderer- seits diese letzteren auf die intelligible Welt als auf ihre gemein- schaftliche Grundlage beziehen und in solcher Beziehung den Grund ihrer Korrespondenz erblicken. Beim realistisch -monistischen Paralle- lismus haben wir aber eben dieses unabhängig von seinen beiden Aoffassungsweisen zu denkende Beale nicht und sind daher auch nicht im stände, die letzteren wirklich aut ein gemeinsames Drittes zu beziehen und durch es ihre ursprüngliche Identität sowohl als ihre durchgängige Parallelität zu begründen. Auch dieses Beispiel also zeigt uns statt der Möglichkeit gerade die Unmöglichkeit, der in der Formel des realistisch -monistischen Parallelismus enthaltenen Forde- rung, Körper und Geist als zwei verschiedene Seiten einer und der- selben Sache zu denken, wirklich zu genügen.

Hiermit aber ist die Sache doch noch nicht erledigt Der rea- listische Parallelismus, auf diese Weise bedrängt, hält uns entgegen,

138 Erster Absohnitt Der psyohophysische Parallelismiis.

daß unsere Einwände auf einem Mißyerständnis beruhen. Die Mei- nung sei nicht, daß ein drittes, Körper und Oeist zu Grunde liegendes Etwas beide zu einer Einheit verbinde, sondern ohne ein solches Dritte sei die Identität von Körper und Oeist zu denken: ein und derselbe mit sich identische Vorgang sei ein zugleich geistiger und körperlicher. Die beiden »Seiten«, die körperliche und die geistige, fielen in eins zusammen, ähnlich wie die konvexe und konkave Seite der idealen Linie zusammenfielen und diese eben konvex-konkav sei

Auf diesen Standpunkt stellt sich Fechner in dem oben (S. 109 Anm.) zitierten Satze: »Diese Ansicht ist ganz Identitätsansicht, in- dem sie beides, Leib und Seele, nur fiir zwei verschiedene Erscheinungs- weisen desselben Wesens hält, die eine auf innerem, die andere auf äußerem Standpunkt zu gewinnen, nur daß sie das Wesen, was beiden Erscheinungen gemeinsam unterliegt, in nichts als der untrennbaren Wechselbedingtheit beider Erschei- nungsweisen und die letzte Bedingung der üntrennbarkeit in der Einheit des göttlichen Bewußtseins sieht«

Deutlicher noch und entschiedener lehnt Paul Garus jedes hinter Oeist und Körper stehende X ab. Die Zweiseitentheorie be- darf desselben nicht, Körper und Oeist sind » ttoo aspects of one reality«^^) oder »o/* one and the same tndivisible facU,*) Ähnlich soll bei Laßwitz des »Oeschehen« zugleich körperlich und geistig sein.*) Ein und dasselbe »System« ist physisch und psychisch zu- gleich, »physisch in der Beziehung auf andere Systeme, psychisch in der Beziehung auf sich selbst« ^) Diese Identität macht das »Oesetz« begreiflich. »Unter dem Oesichtspunkte des Oesetzes ist es begreiflich, daß ein und dasselbe System, d. h. die gesetzliche Verbindung eines Mannigfaltigen zu einer Einheit, zugleich eine ob- jektive Seite als Naturnotwendigkeit besitzt, und eine subjektive Seite, in welcher seine Einheit unmittelbar dem Bewußtsein sich darbietet«^) Endlich sei noch Erich Adickes angeführt, der, nachdem er erst Seele und Leib mit der Innenseite und Außenseite eines und des- selben Dinges verglichen, Haeckel den Vorwurf macht, mit seinen BegrifPen von Kraft und Stoff im Dualismus stecken zu bleiben. Denn diese seien, wenn auch stets miteinander vereinigt, immer zwei, nie

1) Fandamental Problems, 2nd ed. 1894 S. 183.

2) 8. 180.

3) E. Laß Witz: Feohner, Stattgart 1896, S. 154.

4) S. 155.

5) S. 156.

Drittes Kapitel. Die Formen des Parallelismas. 139

eine Einheit iNor in einem Dritten hätten sie eins sein können.^) »Beim Farallelismus« dagegen, fährt Adickes dann fort, »ist es an- ders. Bewegungen und Innenzustände, Ausdehnung und Bewußtsein sind nicht nur nie das eine ohne das andere, sie sind auch im Grunde eins. Derselbe Vorgang, dasselbe Ding offenbart sich in doppelter Weise: von innen als Gefühl, Wille, Empfindung, Gedanke, von außen als Ausdehnung, Bewegung, Spannungszustand.«

Ich kann nicht finden, daß der Versuch, durch Auslassung des »Dritten«, des^, den sonst unvermeidlichen Dualismus zu überwinden, geglückt wäre. Vielmehr, sobald sie versuchen, die behauptete Iden- tität von Geist und Körper klarzumachen, fallen die Vertreter dieser Ansicht unwillkürlich wieder in die von ihnen abgelehnte Vorstellung: Körper und Geist zwei Seiten eines identischen Dinges, zurück. Die Identität von Körper und Geist wird immer wieder zu einer Identität der Grundlage von Körper und Geist Das ist nur natürlich, denn nur diese letztere Behauptung ist, wenn wir auch nicht einsehen, wie das, was sie enthält, möglich ist, doch wenig- stens kein in sich unmöglicher Gedanke. Die Forderung dagegen, Geist und Körper als an sich identisch zu denken, mutet unserem Intellekt etwas ihm unmögliches zu.^) Wie dünn oder gänzlich un- ausgedehnt der Breite nach man sich auch die geometrische Linie vorstellen oder denken möge, immer bleibt es doch dabei, daß sie die Bedingung der konvexen und konkaven Seite ist, daß sie diese Seiten hat, nicht aber sie selbst ist, und daß daher auch die Seiten selbst zwei bleiben und nie miteinander identisch bleiben. Der realistisch -monistische Parallelismus, der die Identität ohne das »Dritte« ermöglichen will, mutet uns aber allen Ernstes zu, die konkave und konvexe Seite als identisch, Konkavität als « Kon- vexität zu denken. Und ebenso müßten wir in den anderen Bei- spielen lion für dasselbe Wort wie Löwe erklären, Schuld -Vermögen setzen und das Kopernikanische Weltbild als identisch mit dem Ptolemäischen ansehen. Aber dem principium idenütatis indiscer- mbilium läßt sich kein prindpium idenütatis discemibilium an die Seite stellen; zwei Seiten, die wir als zwei verschiedene unterscheiden können, können nie und nimmer eine und dieselbe Seite sein.')

1) EaDt oontra Haeokel S. 65.

2) Vgl. Biehl a. a. 0. 11' S. 201, . . . »ein Beweis, daß der reale Vorgang selbst von beiden Ersoheinungsweisen verschieden sein mtiB.«

3) Eine sehr gate lUnstration hierzu gibt Ebbinghaus' im übrigen doch so klare Darstellang a. a. 0. 8. 42 f. Immer wieder stoßen wir da auf die Behauptung,

140 Erster Abschnitt. Der psychopbysische Parallelismos.

Das Kunststück, 2=^1 und 1«»2 zu denken, mag von Spiritisten und Okkultisten fertig gebracht werden, aber diesem Hexeneinmal- eins einen Platz in der Philosophie einräumen zu wollen erscheint doch als ein sehr verwunderliches unternehmen. Wer Körper und Oeist überhaupt unterscheidet, kann auch nicht, ohne sich selbst zu widersprechen, ihre Identität behaupten; wer diese behauptet, hat kein Recht mehr, dem Materialismus, der denselben Fehler begeht, diesen vorzuhalten. Die Formel: Denken und Bewegung sind ein und derselbe identische Vorgang, ist um nichts besser als die materialistische Formel: Denken ist Bewegung. Sie sind beide ab- surd. »Wenn Identisches fehlt, kann zweierlei bestimmtes Gegebenes niemals eine Einheit bilden.« Wie dieser, so wird man auch der weiteren Behauptung Rehmkes recht geben müssen, daß man, wenn man nun doch Körper und Oeist als identisch denken will, ent- weder die Identität oder die Verschiedenheit abschwächt.^) Das letztere Verfahren aberführt zum Materialismus,^) das erstere zum Dualismus.^) Und es ist natürlich eine Illusion, zu denken, daß man jeden Widerspruch vermeidet, wenn man als das Identische den »Menschen«, den »Organismus«, das »System«, das »Gesetz« oder »die Wechsel- bedingtheit beider Erscheinungsweisen« hinstellt Denn was ist der Mensch? Seele oder Körper oder die Vereinigung beider? Nein, wird gesagt, die Identität beider! Die Identität von Geist und Körper wird ermöglicht durch den Menschen, der Mensch aber wird ermöglicht durch die Identität von Geist und Körper! In diesem öden Zirkel

das Physische und das Psychische seien dasselbe, ohne daß doch erklärt wird, wie das möglich sein soll, wenn man nicht das Folgende als Erklärung gelten lassen will: »Die eine Reihe ist . . . dem realen Geschehen nach durch- aus identisch mit der anderen und die freilich auch vorhandene Zweiheit beruht lediglich auf dem Reichtum des sonstigen Daseins in der Welt« (S. 43). Dunkel ist der Rede Sinn; ich vermag weder zu ver- stehen, was das »sonstige«, außer dem realen (psycho -physischen) Geschehen noch vorhandene Dasein bedeutet, noch wie auf dem Reichtum desselben die Zwei- heit des realen Geschehens beruhen kann.

1) Rehmke, Psychologie« Hamburg und Leipzig 1894, S. 38. Vgl auch: Innenwelt und Außenwelt, Leib und Seele, Greifswald 1898, S. 22, Wechselwirkung oder Parallelismus? Gedenkschrift für Rudolf Haym, Halle 1902, S. 118—123. Mit vollem Recht erblickt daher auch Ladd, Phil, of Mind S. 347 in dieser mo- nistischen Behauptung einen MiBbrauch des Prinzips der Identität Geist und Körper seien nicht zu identifizieren: Mind is not Matter (8. 350).

2) Bezw. Spiritualismus.

3) Sehr richtig bemerkt Ziehen Leitfaden S. 210, daß es vergeblich sei, die Verschiedenheit der beiden koordinierten Reihen durch mehr oder weniger sophistische

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismas. 141

werden wir herumgetrieben.^) Ebenso liegt die Sache beim »Organis- mus«. »Fragt man, was der Körper sei, so hören wir, er sei die reelle Seite, der Geist sei die ideelle Seite. Aber wessen Seite? Dieses Subjekt bleibt unbestimmt, oder man antwortet höchstens: des Organismus. Aber diese Antwort lehrt nichts, denn den Organismus bestimmt man nicht unabhängig durch andere BegrifPe, sondern tauto- logisch dadurch, daß er die Einheit eines bestimmten Reellen und eines Ideellen sei.^ Denselben Zirkel auch bei den Hilfsbegriffen des »Systems«, des » Gesetzes < und der »Wechselbedingtheit« nachzu- weisen kann nun wohl füglich unterbleiben. In allen Fällen bleibt es völlig unbegreiflich und unverständlich, wie etwas, das zweierlei ist, dadurch, daß man es unter einen gemeinsamen Oberbegriff bringt, aufhören soll, zweierlei zu sein, und eins, U7ia eademque res werden soll. Die Sache wird dadurch nicht begreiflicher, daß Laßwitz in dem oben zitierten Satze") diktatorisch erklärt, unter dem Gesichtspunkte des »Gesetzes« sei sie begreiflich. Lotze behält recht: »Die viel- beliebten und nichtssagenden Ausdrücke des Innern und Äußern, der

Beweise hinwegzoschafiFen, etwa durch die Behauptung, daß beide Reihen eigent- lich identisch seien und sich nur merkwürdigerweise durch Entzweiung differenziert haben. Die Anmerkung 2 bezeichnet es mit Recht als ein bloßes Wortspiel, zu sagen, daß die Materie das von außen betrachtet sei, was das Seelische von innen betrachtet ist (Hoff dings Identitätshypothose). ~ Vgl. die Kritik der paralle- listischen Bilder in desselben Verfassers Schrift: Über die allgem. Beziehungen zwischen Gehirn u. Seelenleben. 2. Aufl., Lpz. 1902, S. 43, 44. Die weitere Bemerkung Ziehens(Leitf. S. 210): »Man dürfte doch biUig fragen, wozu nun der Betrachter resp. das Betrachten gehört« (vgl. : Über d. allg. Bez. usw. S. 44) ist freilich nicht zutreffend. Denn natürlich gehört auf dem Standpunkte der Identitätslehre der Betrachter und das Betrachten zu beiden Reihen. Das was von innen gesehen der psychische Prozeß des Betraohtens ist, stellt sich, von außen betrachtet, als ein Gehimvoigang dar, und von dieser »Betrachtung« gilt das nämliche und so fort in infinitom.

1) Rehmke, Psychologie S. 36.

2) Lotze, Med. Psychologie 1852, S. 54.

3) a. a. 0. S. 156. Diese seine Auffassung bezeichnet L. als die »kritische« Auffassung des ParalleHsmus; sie soll zugleich die Fechners sein (S. 196/197). Das letztere ist sehr zu bezweifeln, was aber den »kritischen« Parallelismus be- trifft, so schwebt das »Gesetz der Erkenntnis«, welches nach Laßwitz das phy- sische und das psychische System bedingt, doch nicht über beiden, keinem von ihnen angehörend, gleichsam in der Liift, sondern als »eine Bestimmung im Be- wußtsein« (8. 156), gehört es selbst einer der beiden Wu'klichkeitsformen, die es bedingen soll, nämlich der geistigen, an und muß demnach selbst ein physisches Äquivalent haben. Das Gesetz ist also eben dem Parallelismus, den es bedingen soll, unterworfen, der »kritische« Parallelismus fallt in den idealistischen oder in den realistischen zurück. Vgl. die Bemerkung S. 118 Anm.

142 Erster Abschnitt Der psyohophysisohe ParallelismDS.

Fonn und des Inhalts, des Intensiven und des Extensiven spielen unbegreifliche Bollen ; allerhand »fallt zusammen«, was wir zur Klar- heit notwendig scheiden müssen.«^) und weiter: »Gegen die Mei- nungen von einer Identität des Geeistes und des Körpers müssen wir erinnern, daß trotz möglicher Analogie ihrer wesentlichen Qualität beide doch verschiedene Elemente sind, die höchstens innerlich gleich, aber nie dasselbe sein können.«*) Der realistisch -monistische Farallelismus ist nur seiner Behauptung nach monistisch, tat- sächlich bleibt er durchweg im Dualismus stecken. Der »Bruch«, der nach Adickes') bei der Annahme einer Wechselwirkung zwischen Körper und Oeist durch das All geht »es klafft auseinander in zwei ganz getrennte Welten« , der ist gerade bei der Identi- tätslehre vorhanden und unverheilbar. Bei der Wechselwirkungs- theorie bilden die körperliche und die geistige Wirklichkeit nicht zwei ganz getrennte Welten; eben die Wechselwirkung, in welcher sie miteinander stehen, macht sie zu verschiedenen aufeinander bezogenen Bestandteilen eines größeren Zusammenhangs, eines umfassenderen Oanzen. Beim realistisch -monistischen Parallelismus dagegen bilden sie zwei in sich und gegeneinander völlig abge- schlossene Welten,' die völlig beziehungslos nebeneinander hergehen und nun doch wieder eine unbegreifliche oder sogar unmögliche identische Einheit bilden sollen, eine Einheit, deren eigentümliche Natur es ist, nie eine solche, sondern immer eine Zweiheit zu sein, und das wird uns als die Lösung des Welträtsels, als die alle Schwierigkeiten beseitigende Beantwortung der Frage nach dem Ver- hältnis von Leib und Seele angepriesen!

Wir lehnen den realistisch -monistischen Parallelismus als einen unmöglichen Standpunkt ab, unmöglich nicht, weil er gegen den paraUeUstischen Grundgedanken verstößt, sondern weil er nicht mo- nistisch ist, weil er eine unmögliche Kombination von Monismus und Dualismus darstellt Wie es auch sonst immer um den Parallelismus bestellt sein möge, der Versuch, den der realistisch- monistische Parallelismus darstellt, den Parallelismus von Leib und Seele, Körper und Oeist metaphysisch zu begründen, zu erklären und zu rechtfertigen, muß jedenfalls als völlig gescheitert angesehen werden.^) Das wird auch

1) a. a. 0. S. ^.

2) 8. 65.

3) a. a. 0. S. 68.

4) Daß die angebliche Identität von Körper und Geist, selbst wenn sie an sich möglich und denkbar wäre, zur Erklärung des tatsächlichen Verhältnisses

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismns. 143

Yon Yertretern des Parallelismus selbst zugegeben. So you Wilhelm Wundt. Der Monismus in spinozistischer Form ist ihm »eine dem Scheine nach monistische Anschauung, welche aber gleichwohl in dem dualistischen Spiritualismus ihren nächsten Verwandten anerkennen muß, wie sie sich denn auch historisch aus ihm entwickelt hat Körper und Seele gelten hier freilich nicht mehr als selbständige Substanzen. Aber da die allein selbständige Substanz, deren Modi innerhalb ver- schiedener Attribute sie sind, unerkennbar bleibt, so sind die em- pirischen Eonsequenzen diejenigen des vulgären halb materialistischen halb spiritualistischen Dualismus.«^)

beider zueinander nichts beitragen würde, betont Lotze im Mikrokosmus Bd. I, 3. Anfl. 8. 169. Diese Voraussetzung > würde nicht erklären können, wie es zugehe^ daß eine physische Veränderung nur darum eine ihr ungleichartige geistige nach sieb ziehe, weil dasselbe Subjekt der Ti'äger beider wäre, und sie würde aus der Einheit der auf sich wirkenden Substanz die allgemeiuen Gesetze, nach denen die Änderungen der einen dieser Zustandsreihen von den Änderungen der anderen abhängen, um nichts besser entwickeln können, als es unter Voraussetzung einer Wechselwirkung zweier verschiedener Subjekte möglich wäre.« Vgl. auch Med. Psychologie S. 14. In demselben Sinne bemerkt Ziehen a. a. 0. S. 210: »Irgend- welche Einsicht in den Zusammenhang beider Reihen wird uns durch diese unbe- weisbare Hypothese nicht eröffnet.« Vgl. femer Rehmke, Innenwelt und AuBen- welt, Leib und Seele, Greifswald 1898, S. 23, Wechselwirkung oder Parallelismus? Gedenlschrift f. Rud. Haym, Halle 1902, S. 116—118, 120; v. Hartm^nn, Mod. Psych. S. 339 1 S. 401. Nach allem, was wir über den realistisch -monistischen Parallelismus bemerkt haben, wird man das harte Urteil Ladds über die »monistic tenets* nicht für ganz ungerechtfertigt halten können: »Not a single trecUise^ aattsfaeiory cts to its survey of facta and making the impression of soundnesa in arffumeni, ean anywhere be found in the defenee of iheae teneta* (Phil, of Mind S. 316).

1) Grundzüge der physiologischen Psychologie Bd. U, 2. Aufl. 1880 S. 443/44 (6. Abschn. Kap. 23, § 1). Wundts » psychophysisches « Subjekt ist freilich im eigentlichen Verstände ebenso unmöglich.

Vgl. zu diesen ganzen Erörterungen über den realistisch -monistischen Parallelismus Stumpf, Rede z. ErÖfifn. des psychol. Kongresses in München 1896, 8. 6 und 8. 8. W entscher. Über physische und psychische Kausalität und das Prinzip d. psyehoph. Parall., Lpz. 1896, S. 99, 100, 106. Rehmke, Alig. Psycho- logie, Hamb. und Lpz. 1894, 6. 36—39, S. 102, Innenwelt und Außenwelt, Leib und Seele S. 22—24, Die Seele des Menschen, Lpz. 1902, S. 25 f. Erhardt, Die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele, Lpz. 1896, S. 19, 126, 127. Külpe, Einleitung in die Philosophie, Lpz. 1895, S. 152, 155. Höfler, Psycho- logie, Wien und Prag 1897, S. 56. James, Prinoiples of Psyohology, Vol. I, London 1891, S. 135. Wähle, Kurze Erklärung der Ethik d. Spinoza, Wien und Lpz. 1899, S. 74, sowie meinen Aufsatz »Leib und Seele«, Zeitsohr. f. Ph. und ph. Kr. Bd. 114, S. 9.

144 Erster Abschnitt. Der psychophysische Paralielismas.

Mit der realistisch- monistischen Form des Parallelismus fällt nun freilich noch nicht dieser selbst. Er kann sich ja noch in anderen, vielleicht gänzlich einwandfreien Formen darstellen, in idealistisch -monistischer oder schließlich auch, auf allen Monismus verzichtend, in dualistischer. Prüfen v^ir daher zunächst die erstere.

b) Der idealistisch-monistische Parallelismus.

Bei dieser Form des Parallelismus handelt es sich, wie wieder- holt betont, nicht mehr um einen Parallelismus zweier gleich realer Arten oder Seiten des Seienden, sondern um einen solchen von Er- scheinung und Sein (Subordinationsparallelismus nach Hartmann). An sich gibt es nur eine geistige Wirklichkeit; wir Menschen aber und vielleicht alle Wesen überhaupt sind psychisch so organisiert, daß wir dieselbe geistige Wirklichkeit, die ^vir in der inneren Er- fahrung — d.h. jeder sein eigenes Selbst als eine solche unmittel- bar erleben, in unserer äußeren sinnlichen Wahrnehmung mittel- bar als eine körperliche, im Raum sich ausdehnende auffassen, und nun entsprechen sich nach dem idealistischen Parallelismus die Glieder der beiden Reihen, der phänomenalen und der realen, in der Art, daß man, wenn man die Yorstellungen, deren Inhalte die Erscheinungen sind, in ihrem Zusammenhange betrachtet, stets nur auf Erscheinungen, d. h. räumlich -materielle Prozesse stößt, nie aber auf wirkliche, d. h. geistige Yorgänge; daß aber jedes Glied der Erscheinungsreihe als Erscheinung eines Gliedes der wirklichen Reihe diesem zugeordnet ist, parallel läuft. Der Parallelismus erscheint demnach hier als Eonsequenz des Idealismus oder Spiritualismus.

Gegen die metaphysische Basis, welche der idealistische Paral- lelismus darstellt, lassen sich ähnliche Einwände, wie wir sie gegen den realistisch -monistischen Parallelismus vorbringen konnten, schwerlich erheben. Von den Unklarheiten und Widersprüchen, an denen dieser litt, ist sie frei. Daß die Wirklichkeit an sich geistiger Natur sei und sich nur uns in unserer sinnlichen Wahrnehmung als eine räumlich -körper- liche darstelle, ist ein durchaus verständlicher, widerspruchsfreier Gedanke, und auch gegen seine erkenntnistheoretische bezw. meta- physische Richtigkeit läßt sich meines Erachtens nichts Triftiges einwenden: die idealistische Grundanschauung ist nicht nur die Grundüberzeugung fast aller Philosophen, sondern hat auch in der Naturwissenschaft sich siegreich durchgesetzt. Da ich selbst auch durchaus auf dem Boden idealistisch -spiritualistischer Weltanschauung stehe, kann ich es natürlich nicht als meine Aufgabe betrachten.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismos. 145

etwa die entgegengesetzte Annahme, den Realismus*, gegen den Idealismus und damit gegen den idealistischen Parallelismus auszu- spielen. Ich sehe daher von jeder Kritik der idealistischen Basis selbst ab und beschränke mich auf die Untersuchung der Frage, ob und wieweit sich mit dieser idealistischen Basis eine parallelistische Anschauung vereinigen läßt bezw. ob der Parallelismus die notwendige Konsequenz des Idealismus ist

Da ist nun zunächst zu bemerken, daß wir, wenn wir uns auf den Boden idealistisch -spiritualistischer Weltanschauung stellen, im eigentlichen und strengen Verstände natürlich einen psjcho- physischen Parallelismus nicht vertreten und festhalten können. Ist die Welt ihrer wahren und wirklichen Beschaffenheit nach nur psychisch, so gibt es in ihr auch nur psychische Vorgänge und einen psychischen Zusammenhang. Die physische Beihe, die der Reihe der psychischen Prozesse parallel gehen soll, verschwindet als solche auf diesem Standpunkte, ihre Glieder werden zu Bestand- teilen der psychischen Reihe selbst Die Yorstellungen der Körper und ihrer Aktionen sind selbst Bewußtseinsinhalte, gehören also der psychischen Reihe an. Insofern hat Erhardt ganz recht, wenn er den psychophysischen Parallelismus nur in realistischer Form für möglich hält »Wenn ... der Parallelismus überhaupt einen Sinn haben soll, so muß er realistisch gedacht sein; die unumgänglich notwendige Voraussetzung für einen Parallelismus zwischen geistigen und materiellen Prozessen ist die Annahme einer Realität der letzteren. . . . Denn wenn es in Wirklichkeit keine Körperwelt mehr gibt, so kann es auch keine Veränderungen einer Körperwelt mehr geben, die den Veränderungen in der geistigen Welt parallel gehen.« ^)

Zunächst aber ist es doch nur der psy chophy sische Parallelismus, dessen Unmöglichkeit auf idealistischer Basis feststeht Wenn die Wirklichkeit durchweg psychischer Natur ist, können den psychischen Ereignissen, in denen sie sich erschöpft, nicht noch garnicht vor-

1) Fsychophys. Farallelismiis imd erkenntnistheoretisolier Idealismas, Zeitschr. f. Phil u. phü. Kr. Bd. 116 S. 257, 260 S. A. Lpz. 1900 S. 4, 7. Vgl. auch desselben Verfassers: Die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele S. 109, 112, 126, 152. Vgl. auch Rickert, Psychophysische Kausalität und psychophys. ParallelismuB, Sigwart- Festschrift Tiib. 1902, S. 71: »Man kann immer nur Erscheinung mit Erscheinung oder Wesen mit Wesen kausal verknüpfen oder parallel S6tzen.€ Rehmke, allg. Psychol. S. 91; v. Hartmann, Mod. Psychol. S. 340—343, 351, 363.

Bnsio, Geitt and Körper, Seele und Leib. 10

146 Erster Absohnitt. Der psyohophysische ParaUelismiis.

handene physische Ereignisse parallel gehen. Es ist aber damit noch nicht gesagt, daß auf idealistischer Grundlage überhaupt kein Farallelismus möglich ist. Es könnte ja der Fall sein, daß eine Reihe psychischer Vorgänge, eben die Beihe der Wahrnehmungen oder Yorstellungen, deren Inhalte die physischen Phänomene bilden, anderen, gleichfalls psychischen Vorgängen, sei es in demselben, sei es in verschiedenen Individuen, parallel gehen, dergestalt, daß be- stimmten Gliedern der einen immer bestimmte Glieder der anderen Beihe entsprechen, ein Verhältnis von Ursache und Wirkung aber immer nur zwischen Gliedern derselben Beihe stattfindet Beide Beihen wären psychisch, beide gleich real; es ist streng genommen nicht ganz richtig, wenn Paulsen, der auf idealistischem Boden steht, sagt: die psychische Seite ist die Darstellung der Wirklich- keit, wie sie selbst für sich selber ist^): die physische Seite, die ja in Wahrheit auch eine psychische ist, ist als solche ebenso wirklich. Sie ist freilich ein Punkt, auf den später Gewicht zu legen sein wird in jedem endlichen Bewußtsein ein bloßes Fragment; in einem allumfassenden Bewußtsein könnte sie aber vollständig ent- halten sein, und schließlich ist das Fragment, wenn auch Fragment, doch als solches ebenso wirklich, wie die vollständige Beihe.

Versucht man nun aber, den Parallelismus in dieser Form als einen psychischen und auf der Grundlage idealistisch -spiritualistiscber Weltanschauung wirklich durchzuführen, so muß man sich vor allem klar machen, daß man man auf dieser Grundlage wie das psyoho- physische, so auch das Prinzip der Identität der beiden Beihen, die Zweiseitentheorie, fallen lassen muß. Es hat auf idealistischem Standpunkte keinen Sinn mehr, zu sagen, die beiden Beihen; die Vorstellungen der körperlichen Phänomene und die ihnen in dem- selben oder in einem anderen Individuum entsprechenden psychischen Vorgänge, seien identisch, zwei Seiten einer und derselben Sacba Vielmehr haben wir nun zwei völlig getrennte Beihen psychischer Vorgänge, Dualität, nicht Identität Das wird vielfach übersehen, in den Idealismus versucht man die Identitätsphilosophie mit hinüber- zunehmen, die dort keinen Platz finden kann. So versucht das Ebbinghaus, wenn er S. 43 seiner Psychologie behauptet, daß die eine Beihe »dem realen Geschehen nach« durchaus identisch mit der anderen sei. Ebenso beantwortet er S. 46 die Frage ^ wie denn zwei so verschiedene Arten des Bealen wie körperliche Prozesse und

1) Einl. i. d. Phü., 2. Aufl. S. 96, 6. Aufl. S. 97.

Drittes Eapitel. Die NacMeile des ParaUelismns. X47

seelische Torgänge als identisch gedacht werden können, mit dem Hin- weis darauf, daß sie garnicht so verschieden von einander sind. Die Ge- danken, Wünsche usw., die ich unmittelbar erlebe, erscheinen einem anderen Beobachter als Qehimprozesse. Ja aber dann sind sie doch nicht identisch; sie sind ja doch an zwei verschiedene Bewußtseine verteilt In dem einen Bewußtsein sind die unmittelbar erlebten Gedanken, Wünsche usw., in dem anderen, nämlich in dem des Be- obachters, die Vorstellungen der Gehimprozesse (sofern es möglich ist, in den Eopf eines psychisch tätigen Individuums hineinzusehen). Beide sind genau so verschieden voneinander, wie der Gedanke, den eine Person hat und ausspricht, von den Gedanken und Gefühlen, die er in einer anderen Person auslöst; von Identität, von zwei Seiten einer und derselben Sache kann da keine Bede sein. Diese Yerschieden- heit gibt Ebbinghaus S. 46 auch selbst zu. Die Erscheinungen der Gedanken und Wünsche im Bewußtsein des Beobachter, sagt er, sind »also zwar völlig getrennt von den Gedanken und Wünschen, die da so angeschaut werden, sie existieren innerhalb ganz anderer Bewußtseinseinheiten, aber sie sind als seelische Inhalte doch etwas ihnen durchaus Wesensverwandtes.« Das sind sie nun freilich, aber Wesensverwandtschaft ist doch etwas ganz anderes, als Identität Die Gleichartigkeit körperlicher und geistiger Prozesse in dem Sinne, daß letzten Endes die körperlichen Prozesse auch geistiger Art sind, kann und muß auch der Gegner des Parallelismus, sofern er auf idealistisch -spiritualistischem Boden steht, anerkennen; sie läßt sich auch in monadologischer Form durchführen. Sie bildet also nicht einmal ein unterscheidendes Charakteristikum des Parallelismus, geschweige denn der Identitätsphilosophie. Man kann die Gleich- artigkeit der beiden Beihen zugeben, ihre Parallelität und worauf es hier zunächst ankommt Identität aber ablehnen. Wenn Ebbinghaus daher S. 47 meint, daß der Parallelismus gestatte, auch bei idealistischer Grundanschauung den Namen der Identitäts- lehre dem des Spiritualismus vorzuziehen, so verwechselt er eben Wesens^eichheit mit Wesensidentität ^)

Etwas komplizierter liegt die Sache bei Hejmans.*) In seinem Beispiel wird ein Yorgang in einem Bewußtsein C von einem anderen Bewußtsein B beobachtet, in welchem er sich als ein (in dem C zuge-

1) Die gleiohe Yerwechslnng liegt, wie sie noohmals bemerkt werden mag,

der oben bekämpften paiallelistisc^en Auffassung des Eantischen Standpunktes zu |

Grande.

2) Zur Parallelismusfrage, Zeit3ohr. f. Psychologie, Bd. 17, 1898, S. 75.

10*

148 Erster Abschnitt Der psychophysisohe Parallelismns.

ordneten Gehirn vor &ich gehender) Gehirnprozeß darstellt Diese Be- obachtung von B ist aber wieder Gegenstand der Beobachtung für ein drittes Subjekt A und stellt sich ihm wiederum als ein (in dem B zu- geordneten Gehirn sich abspielender) Gehimprozeß dar. Dieses Beispiel soll nach Heymans zeigen, daß »selbst eine identische Bewußtseins- erscheinung sowohl als der einen (psychischen) wie als der anderen (physischen) Reihe zugehörig betrachtet werden« kann. Das soll näm- lich der Fall sein mit dem Vorgang in B^ der mit Bezug auf Ä der ersten (psychischen), mit Bezug auf C der zweiten (physischen) Beihe angehört Denkt man das Hey mansche Beispiel durch, so kommt eine ganz andere Identität heraus, als die, welche der Farallelis- mus in Anspruch nimmt und deren Möglichkeit doch eben das Bei- spiel erweisen sollte, eine Identität, die, wenn wir versuchen wollen sie auf realistischer Grundlage durchzuführen, sich zudem sofort als unmöglich erweist Das Heymanssche Beispiel führt zu einem dem beiEbbinghaus erörterten entgegengesetzten Fehler. liegt die Sache bei der von diesem vorausgesetzten Identität so, daß dieselbe die reali- stische Anschauung voraussetzt, auf idealistischer Grundlage aber verschwindet und ist es hier daher ein Fehler, sie auf dieser Grund- lage noch festhalten zu wollen, so läßt sich umgekehrt die Hey- manssche Identität nur auf idealistischer Grundlage festhalten, läßt sich aber nicht auf die realistische Ansicht übertragen, sondern wird dort absurd. Zudem ist sie auf idealistischem Gebiet, wo sie möglich ist, doch für die Zwecke des Parallelismus bedeutungslos. Ich versuche, das in Kürze zu zeigen. Nach der parallelistischen Identitätslehre ist der einen psychischen Prozeß begleitende Gehim- prozeß mit diesem identisch, diese beiden stellen zwei Seiten einer und derselben Sache dar. In unserem Beispiele also ist der den Vorgang in C begleitende Gehimprozeß mit ihm, der dem Vor- gang in B parallelgehende Gehirnprozeß mit diesem identisch. Diese Identität läßt sich, wie oben schon gezeigt, nicht in die idealistische Interpretation der Sache mit hinübemehmen: mit der in B vorhandenen Vorstellung des Gehimprozesses kann die Vorstellung in (7 nicht identisch sein, ebensowenig die Vorstellung in B mit der in Ä. Aber dies ist nun gamicht die Identität, welche Heymans behauptet Der Vorgang in J3, also der mittlere- Vorgang, soll mit Bezug auf Ä der ersten Beihe angehören, also ein psychischer sein, mit Bezug auf C der zweiten Reihe an- gehören, also ein physischer sein. Das heißt: der Vorgang b in B ist, insofern er die Vorstellung eines Gehirnprozesses ist, ein

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismns. 149

physischer, insofern er eben die Vorstellung eines Gehirnprozesses ist, ein psychischer, der sich erst für einen dritten Beobachter, A^ als ein physischer, nämlich wiedenim als ein cerebraler Prozeß dar- stellt. Von dieser Identität läßt sich nun umgekehrt zeigen, daß sie, sobald wir realistische] YorstelluDgen einsetzen, sich als un- möglich erweist Denn in realistischer Sprechweise ausgedrückt bedeutet das Gesagte: der Gehirnprozeß, der den Vorgang c in einem Bewußtsein C begleitet, ist nicht mit diesem, sondern mit der Vorstellung, die ein anderes Bewußtsein von ihm hat, iden- tisch. Und ebenso ist auf realistischer Basis nicht etwa der psy- chische Prozeß in B mit dem ihm korrespondierenden physischen Prozeß im Gehirn von B, sondern dieser letztere mit dem psychischen Beobachtungsprozeß in Ä identisch. Eine derartige Identität läßt sich nun aber gamicht behaupten und wird auch von der Identitäts- pbilosophie nicht behauptet. Die identitätsphilosophische Annahme, daß eine Vorstellung und der sie begleitende Gehimvorgang doch im Grunde nur zwei Seiten eines und desselben realen Vorganges seien, erscheint doch wenigstens nicht gleich auf den ersten Blick unmöglich: daß aber, wie uns hier zwar nicht explicite, wohl aber implicite zugemutet wird, ein Gehirnprozeß und die Vorstellung, die ein ihn beobachtendes Subjekt von ihm hat, identisch, zwei Seiten einer und derselben Sache seien, ist eine Behauptung, die im Ernst doch niemand, der sich, wenn auch nur vorübergehend, einmal auf den Boden realistischer Anschauungsweise stellt, wird verfechten wollen. Damit ist nun allerdings aber dieser ganzen Identitätslehre das urteil gesprochen. Eben weil die Identitätelehre nur auf realistischer Grundlage überhaupt aufgestellt werden kann, ist eine Theorie, die eine Identität lehrt, die gerade auf realistischem Gebiet völlig unmöglich wird, überhaupt unmöglich. Anstatt dem Parallelismus zur Stütze zu dienen, zerstört sie denselben vollständig, indem sie den Sinn desselben völlig ändert. Der Parallelismus lehrt ein Parallelgehen von psychischen Original vergangen und physi- schen Original Vorgängen oder, auf idealistischer Grundlage, ein solches von psychischen Originalvorgängen und Erscheinungen (Vorstellungen). Aus dem Heymansschen Beispiel ergibt sich aber ein Parallelismus von Erscheinungen als Originalvorgängen und den Vorstellungen von Erscheinungen. Die den Vorstellungen, welche den sie zum Inhalte habenden Vorstellungen parallel gehen, schließlich zu Grunde liegenden psychischen Originalvorgänge, auf welche doch alles ankommt, spielen in diesem Parallelismus über-

X50 Erster Abschnitl;. Dar psyohophysische Farallelismus.

haupt keine Bolle, sie sind nioht selbst eine der beiden parallelen Beihen, sondern stehen als die Grundlage der einen Beihe außerhalb des Farallelismus selbst

Aber auch soweit die von Hey maus behauptete Identität mög- lich oder wirklich ist auf idealistischem Gebiet ist sie doch für die Zwecke der parallelistischen Identitätspbilosophie völlig wert- bs. Schließlich bedeutet doch die Behauptung Heymans, daß eine identische Bewußtseinserscheinung sowohl als der einen wie als der anderen Beihe zugehörig betrachtet werden kann, bei Lichte be- sehen nichts anderes, als daß wir an jeder Yorstellung den Akt des Yorstellens und den yorgestellten Inhalt unterscheiden können und daß beide doch eine untrennbare Einheit bilden. Das wußte man nun freilich schon lange: um das zu wissen brauchte man nicht erst die Theorie des psjchophysischen Parallelismus au£sustellen. Was aber hat diese Identität der Yorstellung und des Yorstellungs- inhalts zu tun mit der, welche der Parallelismus behauptet, der Identität zweier Beihen? Wäre hiermit schon die parallelistische Identität gesetzt, so könnten wir die Akten über den Parallelismus- streit schließen. Denn dann wäre der Parallelismus gar keine Theorie mehr, sondern eine Tatsache: diese Identität zu leugnen wird niemand einfallen. Was wir leugnen, ist die Berechtigung, sie als Beweisstück für die Identität von Physischem und Psychi- schem zu benutzen. Weil die Yorstellung einen Inhalt hat, gehört sie noch nicht der physischen Beihe an; vielmehr, weil der Inhalt mit dem Akte des Yorstellens eine untrennbare Einheit bildet, ge- hört er ebenso wie jener der psychischen Beihe an.^) Um die physische Beihe herauszubekommen, muß man den Yorstellungs- inhalt projizieren und hypostasieren und dem also hypostasierten Yorstellungsinhalt die natürlich wiederum aus Inhalt und Akt zusammengesetzte Yorstellung als das psychische Gegenbild gegen- überstellen, wobei dann, wie oben dargelegt, die Identität verloren geht Also entweder bleibt man auf idealistischem Boden : dann hat man eine Identität, aber ohne Zweiheit, eine Identität ohne die

1) Aueh bei der Wandtsohan Unterscheidung der Aufgaben der Psycho- logie und der Naturwissenschaft kommt eine ganz andere Identität heraus als die hier benötigte. Derselbe Vorgang soll in Bezug auf das Bewußtsein psychisch sein und der Psychologie anheimfallen, unter Abstraktion vom Subjekt aber physisch imd damit Gegenstand der Naturwissenschaft sein. Das fuhrt zu einer IdentitSt des Empfindungsinhalts mit dem entsprechenden äußeren Objekt, nicht aber zu einer solchen zwischen Empfindungsinhalt und Gehimprozeß. Vgl. dazu Hartmann Mod. Psych. 340—341.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 151

physische und die psychische Seite, oder man hypostasiert: alsdann hat man die Zweiheit, aber ohne die Identität Somit yermag uns das Heymanssche Beispiel die Möglichkeit einer psychophysischen Identität ebensowenig darzulegen, als das Ebbingh aussehe. Geht bei letzterem die Identität der beiden an verschiedene Individuen verteilten Reihen verloren, so fehlt es bei dem Heymansschen einer in einem Individuum vorhandenen Vorstellung an den beiden Reihen.

Ich erwähne noch, daß sich auf dem von Ebblnghaus ein- genommenen Standpunkte nichts ändert, wenn wir mit Heymans, der die Möglichkeit, diesen Gedanken einmal in die Wirklichkeit um- zusetzen, mit Recht garnicbt für ausgeschlossen hält (S. 75, Anm. 1), annehmen, das ein Subjekt S sich selbst, während es fühlt oder denkt, sinnlich wahrnimmt

Alsdann würden diesem Subjekt seine eigenen Gedanken und Gefühle, während es sich ihrer als solcher bewußt ist, auch zugleich als Gehirnprozesse erscheinen. Auch in diesem Falle aber hätten wir zwei, zwar in einem und demselben Bewußtsein vorhandene, im übrigen aber durchaus getrennte Reihen, die psychischen Original- prozesse und die Vorstellungen, deren Inhalt die Gehirnprozesse bilden. Von einer Identität dieser beiden Reihen könnte hier ebenso- wenig die Rede sein, als wenn dieselben in zwei verschiedenen Be- wußtseinen abliefen.

Aber wir müssen noch weiter gehen, nicht nur die Identität, auch die Parallelität der beiden Reihen muß auf idealistischem Boden aufgegeben werden. Um sie festzuhalten, müßten wir eine völlig rätselhafte, unerklärliche und unbegreifliche prästabilierte Har- monie der beiden Reihen, der physischen und der psychischen, voraus- setzen. Wir müßten annehmen, daß immer dann, wenn in einem Bewußtsein bestimmte Gedanken vorhanden sind, zu gleicher Zeit in einem anderen Bewußtsein (oder, bei mehreren Beobachtern, in anderen Bewußtseinen) Vorstellungen bestimmter Gehimprozesse als Ergebnisse der diese Reihe beherrschenden immanenten Kausalität sich einstellen. Oder, wenn dasselbe Bewußtsein sich, während es tätig ist, zugleich äußerlich anschaut, so müßten mit den Gedanken, Gefühlen und Vorstellungen, die sich in ihm abspielen, zugleich Vor- stellungen bestimmter Gehirnprozesse in diesem Bewußtsein untrennbar verknüpft sein. Aber nicht nur unerklärlich und rätselhaft wäre eine derartige parallelistische Harmonie, sie ist auch uimiöglioh, insofern

152 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismus.

die Yoraussetzungen, auf denen sie beruht, sich wider sie auflehnen. »Wenn das Funktionieren meiner Hörzelle für niemand Erscheinung wird wo bleibt dann überhaupt zu meinem Hören das gesuchte Parallelglied?«, fragt Höfler in seiner Psychologie.^) Ob sich, wie Höfler meint, der Umstand, daß die Glieder der physischen Reihe beim idealistischen Parallelismus nicht vollständig sind, als ein Argu- ment gegen den idealistisch -monistischen Parallelismus verwenden läßt, haben wir zur Zeit nicht zu untersuchen, ich benutze den Höflerschen Einwand jetzt nur, um darauf hinzuweisen, daß, wenn wir uns auf den idealistischen Standpunkt stellen, die Yorstellungen der Oehimprozesse, also die Glieder der sogenannten physischen Reihe, nur dann sich einstellen, wenn eben die psychischen Original- prozesse zugleich von einem demselben oder fremden Subjekt beobachtet werden. Dieser Umstand ist sehr wichtig, weil sehr folgenschwer. Beobachtung, Wahrnehmung schließt überall Wirken, Kausalität ein. Damit ich ein Ding wahrnehme, eine Wahrnehmung von ihm in meinem Bewußtsein sich einstelle, ist es nötig, daß das Ding irgendwie auf mich einwirke. Das bloße Dasein des Dinges genügt dazu nicht, es muß sein Dasein mir bemerkbar machen. Die äußere Wahrnehmung, die ich von einem als wirklich ange- nommenen Dinge oder Vorgänge habe, ist also allemal als eine Wir- kung des Dinges oder Vorganges auf mich anzusehen: zwischen ihm und meiner Wahrnehmung findet ein durch mein Ich vermitteltes Kausal Verhältnis statt Und dieses Kausalverhältnis stellt sich nun auf idealistischem Boden dem Parallelismus entgegen, macht ihn hier unmöglich. Es sei mir gestattet, diese Behauptung an den bisher benutzten Beispielen durchzufuhren. Nehmen wir in einem ersten Falle an, ein Subjekt 8 beobachtet sich selbst, während es denkt Das heißt, wenn wir von allem anderen, dem Willen, Beobachtungen anzustellen, der Konzentrierung der Aufmerksamkeit usw. usw. absehen, das Subjekt setzt sich der Einwirkung seiner eigenen Zustände auf sich selbst aus und die Folge dieser Einwirkung ist das Auftreten der Wahrnehmung, deren Inhalt der Gehimprozeß bildet. Diese ent- steht als eine Rückwirkung des Subjekts 8 auf die Einwirkung, die es von seinen eigenen Zuständen erleidet; sie ist daher auch nicht gleichzeitig mit dem sie veranlassenden Zustande, sondern folgt auf ihn. Setzen wir für diese psychische Konstruktion die physische ein , so tritt an die Stelle der sich selbst afßzierenden Seele ein sich

1) Wien u. Prag 1897, 8. 55/56.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 153

selbst affizierendes Gehirn, und da liegt denn die Sache so, daß die von irgend einem Oehirnprozeß ausgehenden Lichtstrahlen auf irgend einem Wege auf die Netzhaut eines mit dem betreffenden Oehim verbundenen Auges fallen und durch YermitÜung dieses und des Sehnerven einen zweiten Prozeß in demselben Gehirn auslösen: der zweite Gehimprozeß ist als die durch den ersten unter Yermittlung anderer Faktoren hervorgerufene, nur unter bestimmten Bedingungen auf ihn folgende Wirkung desselben anzusehen. Alles was hier gilt, muß aber nach dem Prinzip des psychophysischen Parallelismus auch von den entsprechenden intelligiblen Yorgängen gelten. Dem ersten Gehimprozeß entspricht der psychische Originalprozeß, das Denken des Subjekts /9, dem zweiten die sinnliche Wahrnehmung desselben Subjekts, die zum Inhalt den ersten Gehimprozeß hat Dem Kausal- verhältnis zwischen den beiden Gehirnprozessen muß auf psychischer Seite ein analoges Kausalverhältnis zwischen den genannten beiden Bewußtseinsvorgängen entsprechen: idealistisch, als Yor Stellung be- betrachtet, ist also der Gehimprozeß, die sogenannte »äußere« Seite des psychischen Denk Vorganges, nicht das gleichzeitig mit jenem vor- handene Parallelglied desselben, sondern seine in der Zeit auf ihn folgende, unter bestimmten Bedingungen (unter »günstigen Adaptations- verhältnissen«, wie Hey maus S. 72 sagt) eintretende Wirkung, i)

Die Sache liegt ebenso, sogar noch viel deutlicher, wenn wir an die Stelle des einen sich selbst beobachtenden Subjekts zwei im Verhältnis von Objekt und Subjekt zu einander stehende Subjekte S und Si setzen. Mit dem Auftreten eines Gedankens ain S ist nicht gleichzeitig und ohne weiteres auch die diesen Gedanken in Gestalt eines Gehimprozesses anschauende Wahmehraung b in S^ vorhanden, sondern sie stellt sich erst als Folge einer Einwirkung ein, die S^ von 8 erleidet. Physikalisch wäre auch hier die Sache so zu konstruieren, daß der Gehirnprozeß, welcher physisch dem Ctedanken a entspricht, auf Augen und Nerven von S^ einwirkt und in dessen Gehirn einen physiologischen Prozeß auslöst, welcher als physisches Gegenstück zu der Wahrnehmung b anzusehen ist Und dem

1) Wezin daher Ebbinghaus S. 46 meint, daß, wenn in einer Seele Ge- danken und Wünsche sich regen und gleichzeitig das stattfindet, was wir Ge- sehen und Getastetwerden nennen, dann diese Gedanken usw. zu gleicher Zeit als nervöse Vorgänge angeschaut werden, so ist eben das »zu gleicher Zeit« zu bestreiten. Zwischen dem Dasein der Gefühle und ihrer Wahrnehmung als nervöser Prozesse liegt eine wenn auch noch so kleine Zeit, und zugleich stehen sie zu einander im Verhältnis von Ursache und Wirkung.

164 Erster Abachnitt Dar psyohophyBisohe Piurallalismiu.

Eausalitätsyerhältnis zwischen diesen beiden Prozessen müfite audi hier ein Eausalitätsverh&ltnis und ein zeitlidies Nacheinander zwischen den psychischen Vorgängen a und b entsprechen. Es ist vielleicht zweckmäßig, noch ein drittes Beispiel heranzuziehen, in welchem ein Subjekt mehrere Dinge und deren Zusammenhang, also einen Zusammenhang sogenannter Naturprozesse beobachtet Ich beobachte, wie eine Eugel auf eine andere stößt und sie in Bewegung setzt oder, in einem von Wentscher gebrauchten Beispiele^), wie ein Zahnrad in ein anderes eingreift. Vom Standpunkte des realistischen Farallelismus aus sind die Glieder dieser physischen Prozesse, die wir kurz mit abcd bezeichnen wollen, die äußere, physische Darstellung inteiligibler Pro- zesse, deren Bestandteilen aßyd ... sie durchweg entsprechen. Hier haben wir mithin einen wirklichen ParalleUsmus psychischer und physischer Yorgänge. Auf idealistischem Standpunkte werden aber die physischen Yorgänge zu Wahrnehmungen im Bewußtsein eines Beobachters. Unmöglich können wir nun die Sache so erklären , daß etwa die Wahrnehmung des Inhaltes a die Wahrnehmung des Inhalts &, diese die des Inhalts c usw. mittelst eines psychologischen Mechanismus hervorrufe') und diese Kausalität der die intelligiblen Yorgänge aßyd. . . miteinander verknüpfenden genau parallel gehe. Denn mit dieser Annahme würden wir nicht nur die psychophysische, sondern letzten Endes und konsequenterweise jede transeunte Kausalität zwischen den Dingen aufheben und nur noch die imma- nente Kausalität in den einzelnen Dingen festhalten. Wir müßten dann folgerichtig zur Leibnizschen prästabilierten Harmonie oder zum Okkasionalismus der Kartesianer zurückkehren. Aber auf Grund unserer Bewußtseinsvorgänge konstatieren wir nur die objektive Kausalität zwischen den Inhalten unserer Wahrnehmungen, indem wir diese hypostasieren und in die Außenwelt sozusagen projizieren.') Der tatsächliche Kausalzusammenhang ist auch hier ein ganz anderer. Der Prozeß a muß, um eine Wahrnehmung von ihm in mir zu veranlassen, auf mich einwirken» sich mir bemerkbar machen. Die Wahrnehmung a ist also die durch eine Beihe anderer Faktoren, schließlich durch die »Seele« vermittelte Wirkung des Prozesses a. Und ebenso muß der durch a verursachte Prozeß j3, damit eine Wahr-

1) Der psyohophys. Parallelismus in der Qegewart, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Er. Bd. 117, S. 92.

2) Vgl. Erhardt, Psychophys. Parall. u. erkenntnistheor. Idealismus, Zeitsohr. f. PhU. u. phil. Kr. Bd. 116, 8. 283, S. A. Leipzig 1900, S. 30.

3) Wentsober, ebendaselbst

DnitoB Eäpitd. Dse Vorteile des PanOlelianniB. 155

nehmung von ihm in meinem Bewußtsein sei, auf mich einwirken^ und so fort in infinittim. Wir haben also zwei Kausalitäten, erstens die, welche die Glieder der Beihe a ß y d . . . miteinander verbindet, die longitudinale oder Beihenkausalität, wie wir sie nennen können, und zweitens die, welche die einzelnen Glieder der Beihe y 6 mit den entsprechenden Gliedern der Beihe ah cd verbindet und also die Form a a, ß 6, y c usw. hat Wir wollen sie die transver- sale Kausalität nennen. Dagegen besteht zwischen den Gliedern der Beihe a b c d überhaupt keine Kausalität, so wenig wie zwischen den Strichen und Punkten des Begistrierapparates der Aufnahme- station eines Telegraphenamtes , die durch die entsprechenden Finger- bew^ungen des aufgebenden Beamten vermittelst des elektrischen Stromes auf dem Papierstreifen erzeugt werden. Auch hier er- scheinen also die Wahrnehmungen, deren Inhalte die physischen Vor- gänge bilden, vom idealistischen Standpunkte aus als die zeitlich späteren Wirkungen der intelligiblen Prozesse, denen sie doch parallel gehen sollen. Das Bestehen einer transversalen Kausalität zwischen den Gliedern der beiden Beihen erkennt denn auch Hejmans ausdrücklich an. »Schließlich ist jeder sekundäre Vor- gang durch den entsprechenden primären als durch seine unter konstanten Bedingungen wirkende Ursache vollkommen bestimmt^) Wenn man die transversale Kausalität in so bestimmter Weise aner-

1) a. a. 0. S. 72, vgl. auch S. 76, 79, 95, 99. Vgl. v. Hartmann, Mod. Psych. 8. 356, 359, 360; Erhardt, Psychophys. Farall. und erkenntnisth. Ideal. Zeitschr. f. Phü. u. phü. Kr. Bd. 116. S. 279, 283, 285—287; S.-A. S. 27, 30, 33, 35; Kehmke, Qedenkschr. f. B. Haym, Halle 1902, S. 134—136. Auf 8. 85 gibt Heymans ein Schema, das wohl geeignet ist, den wahren Zusammenhang der Dinge, wie er sich auf idealistischem Standpunkte ergibt, darzustellen, und das daher hier Platz finden mag.

"t T X-, -r ... I I

LIT, -»• WnJ ■♦- i,

Die in der Klammer befindlichen Buchstaben bedeuten psychische, sich im Bewußtsein eines Subjekts abspielende Vorgänge (und zwar W Wahrnehmungen, P andere psychische Gebilde), die außerhalb derselben befindlichen reale transsub- jektive, natürlich intelligible Prozesse (in der sogenannten Natur oder in anderen Bewußtseinen vor sich gehend). Der Pfeil deutet eine Kausalverbindung und die Eiohtung derselben an. Die Reihe T^ f X^ --f (^^ —f P, —f P, . .—f Pn) --»• Tn"-^ . . bedeutet also, daß intelligiblo, auf das Subjekt S wirkende Vorgänge m diesem Wabrnehmxmgen ver^las§en, die ihrerseits wieder andere psjrohischQ

156 Erster Abschniti Der psychophysische Parallelismiis.

kennt, so darf man aber nicht, wie Heymans tut, nach FaUenlassen der Verschiedenheit und Parallelität der Glieder der primären und

Yoigänge, Gefühle, Willensregungen usw. auslösen, welche dann wiederum andere transsubjektive Wirkungen (lj|— f ...) zur Folge haben. Daß auch diese, etwa die den Bewegungen unserer Glieder zu Grunde liegenden intelligiblen Vorgänge, wiederum Wahrnehmungen (welche diese Bewegungen zum Inhalt haben) in S hervorrufen können, ist durch den Zusammenhang Tn^-^Xn^^ Wn ausgedruckt y^ —^ Y^ bedeutet einen transsubjektiyen intelligiblen Kausalzusammenhang (in der Natur oder einem anderen Subjekt), W^ W\ die demselben entsprechenden Wahrnehmungen. Hier sieht man nun sehr deutlich, daß zwischen den primären intelligiblen Prozessen (F, Z) und den Wahrnehmungen, d. i. den nach dem Parallelismus die » äußere c Seite der ersteren bildenden sekundären physischen Pro- zessen (W) ein Verhältnis der Kausalität, nicht der Parallelität besteht, die letzteren sich in zeitlicher und kausaler Hinsicht an die ersteren anschließen. Und ebenso sehen wir deutlich, daß zwischen den Wahrnehmungen, deren Inhalte die physischen Vor- gänge bilden, TT^, TF,, TT,, keinerlei Kausalbeziehung besteht. Die Reihenfolge fr, f -X, ^ TF, soll den von Heymans angenommenen und auch von mir erörterten denkbaren Fall illustrieren , daß ein Subjekt S, während es einen primären psychischen Prozeß in sich erzeugt, sich selbst äußerlich anschaut Hier ist nun aber das Schema nicht richtig. X^ stellt ja einen transsubjektiven Vorgang dar, W^--^Xf würde mithin bedeuten, daß der primäre Vorgang W^ zunächst einen als transsubjektiv zu bezeichnenden Vorgang ^ verursacht, X^ fF,, daß dieser, nunmehr auf das Subjekt S zurückwirkend, in diesem die Wahrnehmung W^ aus- löst, die den physischen Vorgang, dessen intelligibler Grund X^ ist, (den Gehimvor- gaog) zum Inhalt hat. Das heißt dann aber, daß S irgend einen transsubjektiven Prozeß als Gehimvorgang wahrnimmt, nicht aber, was nach Heymans doch der Fall sein soll, sich selbst, d. h. den primären in seinem Bewußtsein enthaltenen Vorgang TT,. Die Wahrnehmung TT, ist garnicht der psychische Vor- gang W^y äußerlich angeschaut, sondern die sinnliche Auffassung eines anderen, durch W^ verursachten, eines transsubjektiven Vor- ganges. Ist demnach, wie Heymans S. 86 behauptet, X dasjenige, was sich, wenn wahrgenommen, als Himprozeß darstellt, so folgt aus dem Schema unweiger- lich, daß das Gehirn und die Gehimprozesse nicht die äußere Erscheinung unserer eigenen Bewußtseins Vorgänge, unseres eigenen Ichs, sondern vielmehr die von anderen außerhalb unseres Bewußtseins vor sich gehenden und mit ihnen kausal verknüpften Prozessen sind. Vgl. auch Rehmke, Gedenkschr. f. R. Haym, Halle 1902 S. 129. Auf diese Thatsache möchte ich schon an dieser Stelle hinweisen, weil Heymans die Möglichkeit, daß die Gehimprozesse Erscheinungen nicht der primären Bewußtseinsvorgänge selbst, sondern einer dritten Reihe von Vorgängen sind, S. 72 ausdrücklich ablehnt Zwar gibt er zu, daß die Tatsache, daß be- stimmten Bewußtseinsvorgängen bestimmte Himprozeßwahmehmungen entsprechen, sich auch so deuten läßt, daß es andere, mit den Bewußtseinsvoi^gängen nicht identische, sondern mit ihnen in Wechselwirkung stehende intelligible Prozesse sind, die den Himprozeßwahmehmungen zu Grunde liegen, er gibt aber seiner mo- nistischen Auffassung als der einfacheren und näherliegenderen den Vorzug. »Wenn wir zwei Reihen von Erscheinungen a^ o^ o, und b^ b^ 6, kennen und finden, daß, so oft ein Glied der ersteren Reihe unter der Bedingung o gegeben ist, das ent-

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 157

der sekundären Seihe die Yerschiedenbeit und Parallelität der sie beherrschenden Gesetze aufrecht erhalten wollen. Er sagt S. 76/77: »In der Yerschiedenheit der herrschenden Gesetze, und nicht in einer angeblichen Yerschiedenheit der einzelnen Elemente liegt die vielbehauptete Heterogeneität der beiden Beihen; auf ihr beruht auch der abgeschlossene Charakter jeder Reihe gegenüber der anderen.« Die Glieder der sekundären Beihe zeigen auf idealistischer Basis überhaupt keine ihnen eigentümliche Gesetzmäßigkeit, sondern hängen durch transversale Kausalität in gesetzmäßiger Weise mit den Gliedern der primären Beihe zusammen, zu denen sie ja im Grunde selbst gehören. Fingiert man aber, im übrigen die idealistische An* schauung festhaltend, eine für die Glieder der sogenannten sekundären Beihe gültige Gesetzmäßigkeit, so hat man kein Becht, sie als eine in sich abgeschlossene und der Gesetzmäßigkeit der sogenannten primären Beihe parallel laufende hinzustellen. Denn sind die Glieder der zweiten Beihe Punktionen der Glieder der ersten (Heymans S. 77), so hängt es von dem konstanten Funktionieren der transversalen Kausalität a a, ß 6, y c usw. ab, ob die sekundäre Gesetzmäßigkeit a b—cjisw. der primären Gesetzmäßig- keit a ß y usw. durchweg parallel verläuft. Wir haben es also nicht mit einem auf der Selbständigkeit der beiden parallelen Beihen beruhenden Parallelismus zu tun, sondern mit einem solchen, der die eine Beihe von der anderen abhängig macht und durch diese Ab- hängigkeit, die zugleich ein zeitliches Nacheinander bedeutet, den parallelen Yerlauf beider erklärt Wird nun die transversale Kausalität, welche die Abhängigkeit der einen Beihe von der anderen involviert, irgendwo aufgehoben, so tritt, während die primäre Beihe a ß y usw. dieselbe bleibt, in der Abfolge der Glieder der sekundären Beihe und damit in ihrem gesetzlichen Zusammenhange eine Lücke und eine Änderung ein, auf a folgt vielleicht statt b und c nach einer Pause sogleich d. Und ebenso wird, wenn der transversale Kausalzusammen- hang durch irgend einen sich dazwischen schiebenden und ihn beeinflussenden Faktor eine Abänderung erleidet, diese Abänderung

sprechende Glied der anderen Reihe eintritt, so nehmen wir doch zunächst eine direkte Eansalbeziehung an, statt noch ein Drittes anzunehmen. Genau so liegt aber die Sache hier.« Aus seinem Schema muß man aber gerade die von Hey- mans abgelehnte Möglichkeit herauslesen. Schon an einer früheren Stelle (S. 95 Anm. 1) habe ich Jod 1 gegenüber hervorgehoben, daß wir kein Recht haben, ohne weiteres zu behaupten, jedes Subjekt sei sich in äußerer Anschauung gegeben. Hier haben wir die anschauliche Darstellung und Begründung dieses Einwandes.

158 Entor Abeoluitt. Der pflychophysiBche

sich aach in der sekundären Reihe bemerkbar machen, deren Zu- sammenhang alsdann nicht mehr dem der primären Seihe entspricht So kann, wenn wir das telegraphische Beispiel von oben wiederum benutzen wollen, der elektrische Strom, welcher die kausale Verbindung zwischen den verschiedenartigen Vingerbewegungen des aufgebenden. Beamten und den entsprechenden Strichen und Punkten des Papierstr^fens des Aufnahmeapparates herstellt, zeitweilig unter- brochen werden: alsdann würden eine Anzahl Glieder des primären Zusammenhanges ohne Parallelglieder im sekundären Zusammenhang bleiben, dieser also und ebenso die etwa für die Reihenfolge der Striche und Punkte fingierte QesetzmäBigkeit lückenhaft sein. Schiebt sich aber zwischen Aufgabe- und Aufiiahmestation ein die Yerbindungs- leitnng modifizierender Faktor ein, so können dadurch auch die Glieder der sekundären Reihe und ihr Zusammenhang modifiziert werden. Kurz, ist »jedes Glied der einen Reihe eine bestimmte Funktion des ent^rechenden Gliedes der anderen Reihe« (S. 77), so müssen die Gesetze der beiden Reihen nicht parallel verlaufen; je nach den Umständen tun sie es oder tun sie es nicht

Also so liegt die Sache: Wenn man den psychophysischen Parallelismus mit einer idealistisohen Metaphysik verbinden will, so darf man jedenfalls nicht den Yersuch machen, das parallelistische Prinzip ohne Änderung in die idealistische Konstruktion mit hinüber- zunehmen, dort als integrierenden Bestandteil festzuhalten. Ver- wandeln sich auf idealistischem Boden die realen physischen Prozesse in Vorstellungen solcher Prozesse, so können diese mit den gleich- falls psychischen primären Prozessen weder identisch sein noch ihnen einfach parallel gehen, vielmehr treten sie zu ihnen in ein Verhältnis kausaler Abhängigkeit, das zugleich ein solches zeitlicher Aufeinanderfolge ist Hieraus folgt nun wieder umgekehrt, daß, wenn man dieses Verhältnis kausaler und zeitlicher Folge in ein solches gleichzeitiger Parallelität verwandeln will, man die Inhalte unserer sinnlichen Wahrnehmungen verselbständigen, objektivieren und ihnen eine Gesetzmäßigkeit und einen kausalen Zusammenhang bei- legen muß, den sie an sich nicht besitzen.^) Mit anderen Worten, um den Parallelismus der Erscheinungen und der intelligiblen Vor- gänge wirklich durchführen zu können, muß man vergessen, daß die

1) Diese Eonsequenz hat sich z. B. Verworn dorohaos nicht klar gemacht; infolgedeseen hemoht auch bei ihm ÜDklarheit darfiber, ob die GeaetzmäBigkeit, die es zu erforschen gilt, eigentlich eine rein sabjektiv- psychische oder eine objektiv -physische ist Vgl. seine AUg. Physiologie S. 40-^45.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des ParaUelismns. 159

Erscheinungen bloß Erscheinungen sind, muß man sich unter dem Yorbehalt, diese Ansicht metaphysisch durch eine idealistische zu er- setzen — auf den Boden des Realismus stellen und den physischen YoigSngen den gleichen Bealitätswert zuschreiben als den psychischen.^ Daß dann unter den psychischen Yorgängen die physischen Prozesse in Form von Yorstellungen noch einmal vorkommen, also zweimal, einmal als reale, transsubjektive, und zweitens als ideale, vorgestellte, als Bewußtseinsinhalte, vorhanden sind, ist ein Fehler, der schließlich allen naiv-realistischen Standpunkten eigentümlich ist und hier bei der schließlichen Reduktion der ganzen Ansicht auf die metaphysische idealistische Basis sich erledigt.')

1) Es ist wichtig, diese Tatsache: daß wir von der idealistischen Eonstraktion uad dem mit ihr gegebenen Kausalzusammenhang zur parallelistischen Konstruktion und der Negierung psychophysischer Kausalität nur gelangen können, wenn wir den Wahrnehmungen der physischen Dinge und Vorgänge im realistischen Sinne wirkliche Dinge und Vorstellungen gegenüber stellen, also uns auf den Stand- punkt des naiven Realismus stellen, schon hier mit aller Entschiedenheit zu be- tonen und festzuhalten. Dieser Standpunkt ist die Voraussetzung sowohl des Parallelismus als der ihm entgegengesetzten Annahme psychophysischer Wechsel- wirkung. Nur auf diesem Standpunkt sind beide und ihr Oegensatz möglich, auf idealistischer Basis yerschwindet sowohl der psycho -physische Farallelismus als die psycho -physische Wechselwirkung. Auf dieser realistischen Grundlage muß daher auch der Streit zwischen Parallelismus und Wechselwirkungslehre au^gefochten werden. Es ist ganz unzulässig, Nachteile, die einer dieser baden Theorien auf derselben etwa erwachsen und sie der ander an gegenüber un- gunstiger erscheinen lassen, dadurch gegenstandslos machen zu wollen, daß man sich, in die Enge getrieben, auf die idealistisch -metaphysische Auffassung, also auf einen Standpunkt zurückzieht; auf dem es weder psychophysischen Parallelis- mns noch psychophysische Wechselwirkung mehr gibt. Diese Bemerkung wird sp&ter sich als wichtig erweisen. Auch Ed. y. Hartmann bestreitet die Möglichkeit des Parallelismus auf phänomenalistischer Grundlage. Gesch. d. Met II. S. 506/509, Mod. Psychologie S. 351, 356, 359, 397, 402.

2) Am störendsten tritt diese Doppelexistenz unserer Wahmehmungsinhalte herror, wenn wir mit Hey maus die Annahme machen, daß ein Subjekt, während psychische Prozesse in seinem Bewußtsein ablaufen, sich selbst beobachtet. Ich sehe einen Baum und beobachte mich, während ich diese Gesichtswahmehmung habe, selbst. Die Gesichtswahmehmung stellt sich mir alsdann als ein physischer Vor- gang dar, den ich durch die sensiblen Nervenfasern des Opticus bis zu den Zellen der Retina und weiter durch die Ätherwellen bis zu dem Baum zurückverfolgen kann, von dem die das Bild auf der Retina veranlassenden Lichtstrahlen ausgehen. Also haben wir den Inhalt »Baum« in doppelter Eigenschaft Als Glied der physischen Reihe ist er das physische Parallelglied zu einem transsubjektiven intelligiblen Substrat und veranlaßt den Gehimprozeß, welchem die Wahrnehmung entspricht, als Glied der psychischen Reihe ist er dagegen das psychische Parallelglied des von dem physischen Baum veranlaßten Gehimprozesses und die Folge der Wirksam-

160 Erster AbBohnitt Der psyohophysische Parallelisinns.

Man geht aber andererseits entschieden zu weit, wenn man es

ohne weiteres für unmöglich erklärt, den psychophysischen Parallelismus als eine unter der Voraussetzung der Realität der phy- sischen Prozesse bezw. als eine für die empirische (zum Teil phäno- menale) Wirklichkeit ausnahmslose Geltung besitzende Theorie mit einer spiritualistischen Metaphysik zu verbinden, wenn man mit anderen Worten behauptet, daß der psychophysische ParalleUsmus deshalb auch für die empirische Wirklichkeit unmöglich sei, weil wir ihn auf metaphysischem Oebiet letzten Endes durch eine andere Konstruktion ersetzen müssen. Die dahinzielende Polemik Erhardts gegen Heymans und Paulsen halte ich für verfehlt

Keineswegs hat, wie Erhardt behauptet,^) der Parallelismus die Wirkungsunfähigkeit des Willens zur Folge, denn auf parallelistischer Grundlage vermag der Wille wenn auch nicht auf die physischen Glieder, so doch auf die ihnen zu Grunde liegenden realen intelligiblen Dinge zu

keit des dem physischen Baum zu Grande liegenden inelligiblen Substrats. Man sieht hier noch einmal deutlich, daß die von Heymans konstruierte Identität nicht existieren kann. Die Schwierigkeit ist auch Ton Münsterberg bemerkt worden, er sucht ihr a. a. 0. 6. 425 f. durch eine merkwürdige Theorie auszuweiehen. Die Wahmehmungsprozesse können gamicht den Oehirnteilen als Gegenstanden der Wahrnehmung zugeordnet sein, sondern nur denselben als »individuelle gedachten. »Daß die Vorstellung des Mondes mit dem Occipitallappen des Gehirns zusammen- hängt, also mit einem Stück Nervengewebe, das vom Standpunkt der Mechanik allen übrigen Teilen der physischen Welt koordiniert erscheint, das muß als ein materia- listischer Widersinn gelten. In der Tat, es ist solch ein Widersinn, solange jener Gehimteil unter dem Gesichtspunkt der Physik, also unter dem Gesichtspunkt über- individueller Wahrnehmung betrachtet wird« (S. 425/426). Das Gehirn soll nun aber eine doppelte Bolle spielen. Es soll einmal ein er£ahrbares Objekt sein und als solches in kausalem Zusammenhang mit den anderen physischen Objekten stehen, und es soll andererseits eine rein individuellle £ntität und als solche den psychischen Phänomenen koordiniert sein (S. 401 , vgl. auch S. 431). Das heißt nun aber nichts anderes, als daß Münsterberg, nachdem er erst (vgl. oben S. 76f.) das Psychische, um es den physischen Vorgängen koordinieren und parallel setzen zu können, zu etwas ganz anderem absichtlich gemacht hat, als es tatsachlich und in Wahrheit ist, nunmehr auch die physischen Objekte, denen das Psychisohe koordiniert sein soll , zu etwas ganz anderem macht, als sie er£ahrungsmäßig sind, und so einen Parallelismus von zwei künstlichen und fingierten Reihen konstruiert, auf welchen die Bezeichnung psychophysisch gamicht mehr paßt und an dem im Grunde weder die Freunde noch die Gegner des psychophysischen Parallelismus ein Interesse nehmen können. Es erscheint mir doch geratener, die doppelte Existenz der Wahmehmungsinhalte hinzunehmen und die schließliche Auflösung der Schwierig- keit der Metaphysik zu überlassen.

1) Psychophys. ParalL u. erkenntnistheor. IdeaUsmus, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Er. S. 262, S.-A. Leipzig 1900, S. 10; vgl. S. 290, S. A. S. 38.

Drittee Kapitel. Die Nachteile des Parallelismius. 161

wirken: die an sich intelligible Wirkung erscheint uns dann in unserer sinnlichen Wahrnehmung als Bewegung eines Armes oder Beines, und mit solcher Auffassung acceptiert der Parallelist keineswegs die Lehre Ton der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele. Zwischen den beiden Theorien bleibt noch der bedeutende unterschied bestehen, daß die Wirkung des Willens auf die intelligiblen transsubjekÜTen Dinge sich, sobald man an die Stelle derselben die physischen Dinge der empirischen Erscheinungswelt einsetzt, nach der ersteren als eine Wirkung des Gehirns als der Erscheinung der Seele, nach der letzteren als eine solche der Seele auf die körperlichen Dinge, also als eine psychophysische Wirkung darstellt Dem Parallelismus zu verbieten, die Seele mit den realen Elementen der intelligiblen Außenwelt in Beziehung stehen zu lassen,^) besteht, soweit bis jetzt geurteilt werden kann, keine Veranlassung; wenn Erhardt diese Annahme einfach ins Gebiet der Fabel verweist,^) so hört sie des- halb doch nicht auf, möglich zu sein. Wenige Seiten später gesteht auch Erhardt selbst zu, »daß man auf Grund dieser Anschauung das Recht hat, in einem gewissen Sinne von einem Parallelismus des seelischen und des materiellen Geschehens zu reden.« ^) Er fügt aber hinzu: »Aber das ist nicht der Punkt, auf den es ankommt« Alsdann aber war ja eigentlich die ganze Polemik gegen Heymans überflüssig, denn etwas anderes als dies, daß man auch als Idea- list in einem gewissen Sinne von einem Parallelismus des seelischen und des materiellen Geschehens reden könne, hat ja Heymans gamicht behauptet

Ebensowenig erfolgreich ist Erhardt nach meinem Dafürhalten in seiner den Idealismus betrefifenden Polemik gegen Paulsen. »Wechselwirkung« in dem Sinne, daß die Seele auf das intelligible Substrat der Körperwelt einwirkt,^) leugnet ja Paulsen gamicht und braucht er auch nicht zu leugnen; er leugnet nur die Wechsel- wirkung zwischen der Seele und der Eörperwelt selbst. Beides sind zwei sehr verschiedene Dinge. Es ist nicht richtig, vom idealistischen Parallelismus zu sagen: »Indem ich da eine Empfindung auf psychische Torgänge zurückführe, die Ton außen kommen, führe ich sie zu gleicher. Zeit auf eine körperliche Einwirkung zurück, da ja die Reihe der

1) 8. 263, S.-A. S. 11.

2) S. 270, S.-A. 8. 17. Vgl. auch die 8chrift: Die Wechselwirkung zwischen Leib u. 8eele 8., 124.

3) 8. 276, S.-A. 8. 23.

4) 8. 277. 8.-A. 8. 23/24.

Bnsso, Geist und Körper, Seele und Leib. 11

162 Erster Alwohnitt Der psychophysisohe Parallelismus.

materiellen YerändeniDgen an sich nur in der Form psychisdier Vorgänge existiert.^) Vielmehr liegt hier bei Erhardt eine Ver- wechslung des >auß6n« im empirischen Verstände mit dem »außen« in transcendentajer Bedeutung vor. Ebensowenig wie gegen eine Einwirkung der intelligiblen »Außenwelt« auf die Seele braucht sich der Parallelismus gegen die Eonsequenz zu sträuben, daß die Seele in den äußeren Naturlauf, sofern man darunter die den Er- scheinungen zu Grunde liegenden intelligiblen Vorgänge versteht, kausal eingreift: die entgegengesetzte Behauptung Erhardts^ be- ruht wieder auf einem Mißverständnis seinerseits.

Aber wenn wir es den Vertretern des idealistischen Parallelismus auch nicht ohne weiteres verbieten dürfen, daß sie, um den Paralle- lismus überhaupt durchführen zu können die Erscheinungen der körper- lichen Dinge wie reale Dinge betrachten, so fehlt doch noch viel daran, daß der Parallelismus als die notwendige Folge idealistisch -spirituali- stischer Betrachtungsweise, d.h. als diejenige Theorie erscheine, zu der

1) S. 278. 8..A. 8. 26.

2) 8. 279. S.-A. 8. 26. Ich verstehe auch nicht, waram die beiden von Paulsen aufgestellten und von Erhardt angeführten Sätze: Alles Wirkliche, das an sich selbst seelisch -geistiger Natur ist, ist auch für die sinnliche Anschauung als Glied der materiellen oder äußerlich wahrnehmbaren Welt vorhanden, und: Alle Vor- gänge der materiellen (phänomenalen) Welt sind aus materiellen (phänomenalen) Ursachen zu erklären, sich widersprechen sollen. Erhardt fügt zwar hinzu: »und zwar behaupte ich das mit vollster Sicherheit und Bestimmtheit, ohne irgendwelche Möglichkeit einer Beseitigung des Widerspruchs zuzugeben c (8. 280. 8.-A. 8. 27), aber ich vermag trotz alledem den Widerspruch nicht zu erkennen. Nach Erhardt soll er darauf beruhen, daß die Naturvorgänge, wenn sie nur Erscheinungen sind, nicht »mechanische erklärt werden können; um das zu tun, müsse man auf die Dinge an sich zurückgehen. (Vgl. Die Wechselw. zw. L. u. 8. 8. 109.) Aber »erklären« heifst doch nach Paulsens eigner Auffassung nur: in einen gesetzmäßigen Zusammenhang einreihen, eine Erscheinung aus anderen mit ihr in bestimmter Weise verbundenen ableiten. Daß das, wenn man zugleich annimmt, die so erklärten Erscheinungen seien bloße Erscheinungen, unmöglich und widerspruchsvoll sei, kann man doch nicht mit Fug behaupten. Erhardt macht ja selbst seine ganze Behauptung hinfällig, wenn er 8. 283 (S.-A. 8. 31) sagt: »Trotz alledem habe ich nicht das mindeste dagegen ein- zuwenden, daß man auch vom idealistischem Standpunkte aus fortfährt von einem Kausalzusammenhang in der räumlichen Welt der materiellen Objekte und der Be- wegungen zu reden.« Man müsse sich, meint er, aber bewußt bleiben, daß das eine uneigentliche und ungenaue Ausdrucksweise ist. Freilich ist sie das und freilich muß man das. Man muß, um die Naturerscheinungen mechanistisch erklären zu können, sie gleichsam aus dem psychologischen Zusammenhang, in welchem sie als Vor-

Drittel KspiteL Die Nachteile des Parallelismus. 168

wir notwendig gelangen müssen^ sobald wir, die strenge ideali- stische Konstruktion verlassend und die Wahmehmungsinhalte objek- tivierend, das Verhältnis von Geist und Körper, Seele und Leib vom empirischen Standpunkt aus in Betracht ziehen. Solange aber dieser Nachweis nicht geführt worden ist, kann man jedenfalls nicht behaupten, daß der Parallelismus durch die idealistische Interpretation, die man ihm gibt, erklärt, bewiesen, gerechtfertigt würde. Sollte sich aber bei näherer Betrachtung sogar zeigen, dals die Yerbindung von metaphysischem Idealismus oder richtiger Spiri- tualismus mit empirischem oder phänomenalistischem Farallelismus auf große Schwierigkeiten stößt, so würden wir genötigt sein, die idealistisch - monistische Form des Farallelismus ebenso wie die

Stellungen im Bewußtsein stehen, herauslösen; führt man den idealistischen Grund- gedanken in strengster Fassung darch, so kommt allerdings, wie wir oben gesehen haben, eine ganz andere Kausalität heraus, als die, welche Paulsen beim Paral- lelismus voraussetzt üeber das Uneigentliche des physischen Eausalsusammen- hanges ist aber Paulsen auch keineswegs im Unklaren, und so trifft ihn der von Erhardt geltend gemachte Einwand nicht. Trotzdem ist die Bemerkung des letzteren S. 286 (S.-A. S. 34), daß die Parallelisten in unklarer Weise zwischen einer reali- stischen und einer idealistischen Auffassung der Dinge hin und her schwanken , nicht unberechtigt Wenn es gilt, den ParalieLismus als die mit der Naturwissenschaft am besten übereinstimmende Philosophie hinzustellen, wird der Idealismus beiseite gestellt; gilt es dagegen, den auf paralleUstischem Boden unvermeidlichen paradoxen Konsequenzen auszuweichen, so kehrt man wieder die idealistische Qestält heraus, ohne zu berücksichtigen, daß auf idealistischem Boden weder von psychophysischer Wechselwirkung noch von psychophysisohem Parallelismus streng genommen noch die Bede sein kann. Wir kommen auf diesen schon in der Note S. 159 berührten Punkt später zurück.

Auch den folgenden von WentscherS. 104—107 seiner Schrift (Psychische und physische Kausalität, vgl. Ethik, Leipzig 1902, S. 296) dem Parallelismus entgegengestellten Einwand vermag ich nicht als berechtigt anzuerkennen. Wenn psychophysische Wechselwirkung ausgeschlossen ist, so wäre ein Wissen vom Phy- sischen nicht möglich. Warum nicht? Das Wissen vom Physischen entsteht nicht auf Grund einer Einwirkung des Physischen auf uns, sondern auf Grund des Wirkens der intelligiblen Innenseite der Dinge auf unsere Seele, ein Wirken, das ja auch Paulsen anerkennt (Vgl. Hey maus a.a.O. S. 97). In der Erscheinung freilich stellt sich dieser Zusammenhang als ein solcher zwischen den fremden Körpern und unserem Körper, speziell unserem Gehirn dar; da gibt es kein Wissen und darf es nach dem Parallelismus auch keins geben. An sich aber kann es Wissen sehr wohl geben. Wenn aber noch Schwierigkeiten, die Möglichkeit des Wissens betreffend, zurückbleiben, so sind es jedenfalls nicht solche, welche den Paralle- lismus speziell drückten, sondern vielmehr solche, welche allen philosophischen Standpunkten gemeinsam sind. Das Gesagte gilt auch gegen E. v. Hartmann, der Med. Ps. S. 437 Wentschers Standpunkt teilt, unbewußte psychische Ursachen . der Bewußtseinsinhalte nimmt er ja selbst an (vgl. S. 448).

11*

164 Enter Abschnitt Der psychophysinohe PanUelismns.

realistisch -monistiscbe abzalehnen. Wir müssen daher die Frage, ob zwischen idealistischer Metaphysik and psychophjsischem Paralle- lismus ein notwendiger oder anch möglicher Zusammenhang existiert, noch einer weiteren Prüfung unterziehen.

In dieser Hinsicht ist nun zunächst zu bemerken, dals wir, um von metaphysischen Yoraussetzungen idealistisch- spiritualistischer Form aus zur Lehre des psychophysischen Parallelismus zu gelangen, die uns streng genommen nur als Wahmehmungsinhalte gegebenen physischen Prozesse nicht nur objektivieren, aus ihrem psychisch- intelligiblen Eausalzusammenhaug herausnehmen und mit einer eigenen Kausalität ausstafBeren, sondern daß wir sie auch durch nicht wahrgenommene, bloß gedachte und zwar als objektiv real gedachte Glieder ergänzen und vervollständigen müssen. Denn tatsächlich sind uns natürlich nur Bruchstücke der so- genannten Dingwelt gegeben; jeder von uns nimmt immer nur einen Ausschnitt des physischen Kosmos wahr. Streng genommen dürfen wir von dem physischen Kosmos im Singular überhaupt nicht sprechen, sondern er ist so oftmals vorhanden, als Bewußtseine vor- handen sind , welche sinnliche Wahrnehmungen haben und sie objek- tivieren können. Jeder dieser objektivierten Wahrnehmungskomplexe ist aber ein Fragment, einerlei, ob sich seine Grenzen deutlich angeben lassen oder nicht Es bedarf also der Hinzufügung bloß gedachter Glieder, um die einzelnen, von verschiedenen Indivi- duen oder auch von demselben Individuum zu verschiedenen Zeiten wahrgenommenen Weltfragmente in kontinuierlichen und kausalen Zusammenhang miteinander zu bringen. Auf diese notwendige Ergänzung weist eben Höflers oben S. 152 angeführtes Beispiel hin. Fehlt zu dem Funktionieren meiner Hörzelle oder besser und richtiger zu dem psychischen Vorgang meines Hörens der Beobachter, für den er sich als cerebraler Prozeß darstellt, so fehlt in der Kette der physischen Prozesse tatsächlich dieses Glied. Um die Lücke au8- zufüUen, müssen wir mit Heymans die wirklich wahrgenommenen Glieder durch hinzugefügte bloß gedachte (möglicherweise wahr- nehmbare) Glieder ergänzen, also die physische Beihe als eine ideale konstruieren.^)

1) Heymans a. a. 0. 8. 80 f., 101. Natürlich müssen wir auch die psychische Wirklichkeit in Oedanken venrollstftndigen , da das, was ein jeder nnmittelbar da- Ton erlebt, ja auch nur einen Bruchteil des mundua inteüigibilü bildet, und mit Recht betont Heymans a.a.O. S. 80, daß diese Ergänzung sogar noch yiel dringender und unrermeidlicher ist, als die der physischen (sekundären) Reihe*

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 165

Und nun erbebt sieb die Frage, ob die Srgänzangen, die wir, wenn wir unsere Wabmebmungsinbalte verselbständigen wollei:^ Tomehmen, in der Weise vorgenommen werden müssen, daß jeden Oliede der primären intelligiblen Reibe aucb ein Glied der sekundären physiscben Beibe entspricbt, diese also ein gescblossenes Ganze bildet Daß man, wenn man bei dem Übergang von metapbysiscbem idea- listiscben Monismus zu empiriscbem dualistischen Realismus zu einer parallelistiscben Auffassung des Verhältnisses der körperlichen und der geistigen Wirklichkeit gelangen will, die Ergänzung in dieser Weise vornehmen muß, ist freilich nach dem, was wir früher in dem Kapitel übei die Formen des Parallelismus ausgeführt haben, ganz klar: der Parallelismus steht und fallt eben mit der Annahme, daß jedem physischen Vorgang ein psychischer und jedem psychischen ein physischer entspricht Aber es fragt sich eben, ob man die Sache auch umkehren und sagen darf, daß, weil man bei dem Übergang von spiritualistisch- monistischer zu (auf empirischem Gebiet allein brauchbarer) realistisch -dualistischer Betrachtungsweise die Ergänzung der physischen Glieder notwendig so vornehmen müsse, daß jedes Glied der psychischen Reihe auch im mundtis sensibtUs sich in physischer Form darstelle, der psychophysische Parallelismus die notwendige Konsequenz des Idealismus sei.

Heymans und Paulsen sind dieser Ansicht

Der erstere meint, daß in der Erkenntnis, daß die gesamte naturwissenschaftliche Erkenntnis phänomenalistisch sei und die Be- ziehung au& Bewußtsein voraussetze, schon die Keime des Parallelismus enthalten seien. Denn verstehen wir unter Natur das System der möglichen Einwirkungen, welche wir unter bestimmten Bedingungen Ton den wirklichen, außerhalb unseres Bewußtseins sich abspielenden Prozessen erleiden können, und muß folglich jedem wirklichen Komplexe der letzteren ein genau bestimmter Komplex der ersteren entsprechen, so muß auch die abgeleitete sekundäre Reihe der H^aturerscheinungen der primären Reihe der wirklichen Prozesse

»Denn eine Lücke in der primären Reihe würde ein reales Geschehen ohne ür- saohe, eine Lücke in der sekundären Reihe dagegen nur ein reales Geschehen ohne mögliche Wirkung ins Bewußtsein bedeuten; jenes schlieBt das Kausalgesetz un- bedingt aus, dieses nicht c Die Ergänzung der unmittelbar erlebten und bewußten Bestandteile der intelligiblen die Wahrnehmungen der Dinge einschließenden Sßibe mijssen wir auch yomehmen , wenn wir auf dem streng idealistischen Boden stehen bleiben, die der unmittelbar durch Wahrnehmung bekannten Glieder der physischen Reihe wird dagegen nur nötig, wenn wir die Wahmehmungsinhalte objektiyieren wollen.

166 Erster Absohnitt Der psychophysisohe Pirallelisiiras.

parallel verlaufen, d. b. es muB eine durchgehende Korrespondenz zwischen der uns verborgenen Kausalität des Wirklichen und der QesetzmäBigkeit der Natur stattfinden. Und so haben wir denn den Parallelismus. Und da wir weiter Grund zu der Annahme haben, daß in den psychischen Vorgängen uns Glieder jener bisher unbestimmt ge- lassenen primären Reihe gegeben sind, so ist damit zugleich auch der Monismus gegeben.^)

Aber muß jedem wirklichen Komplex ein genau bestimmter Komplex möglicher »Einwirkungen«, d. h. physischer Vorgänge, ent- sprechen? Das ist ja gerade die Frage! Heymans behauptet es; bewiesen hat er es nicht Auch in der Folge stoßen wir statt auf wirkliche Gründe überall auf bloße Behauptungen und peiitiones principii. »Sofern der Beobachter«, lesen wir S. 78, »es für gut finden sollte, während beliebiger Zeit seine Aufmerksamkeit ausschließ- lich einer der beiden Reihen zuzuwenden, würde er in dem gesetzlichen Ablauf der betreffenden Erscheinungen nirgends eine Lücke entdecken« bezw., da die Beobachtung tatsächlich doch Lücken zeigt, hält er sich für berechtigt, die Ergänzung, die er notwendig vornehmen muß, stets nur in der Form der betreffenden Reihe vorzunehmen. »Auf keinen Fall aber könnte diese Ergänzung so stattfinden, daß ein fehlendes Glied der einen einfach durch das entsprechende Glied der anderen ersetzt würde; es paßt eben dieses Glied an Ort und Stelle nicht in die betreffende Reihe hinein.«. Richtiger wäre hier wohl zu sagen: es paßt eine solche Annahme nicht in den Paral- lelismus hinein und deshalb ist sie zu verwerfen! Der Parallelismus wird überall schon als die auf empirischem Gebiet selbstverständliche Fassung des Verhältnisses von Geistigem und Körperlichem voraus- gesetzt und demnach die Möglichkeit, daß in die physische Reihe aach unter umständen ein (nicht notwendig gerade das »entsprechende«, diese Annahme setzt auch schon wieder den Parallelismus voraus) psychisches Glied eintreten könne, a limine abgewiesen. Auf solche Weise ^ist es freilich leicht, die Richtigkeit und Notwendigkeit des psychophysischen Parallelismus zu demonstrieren. Wer aber nicht schon auf paral- lelistischem Boden steht, wird weder die Behauptung, daß man, wenn man seine Aufmerksamkeit einer der beiden Reihen ausschließlich zuzu- wenden »für gut findet«, in ihr nirgends eine Lücke entdecken könne, noch auch die andere, daß die Ergänzung der tatsächlich vorhandenen Lücken notwendig stets durch physische Glieder erfolgen müsse, als

1) a. a. 0. S. 70.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismos. 167

begründet anerkennen. »Der Physiolog«, meint Heymans weiter S. 79, »yersucht das Nichtgegebene sich in einer Weise vorzustellen, welche die Gesamtheit des Geschehens vom Eintritt ins Gehirn bis zum Austritt aus demselben als eine lückenlose Kette zu überschauen gestattet« Gut, werden wir sagen, mag er es versuchen, der Versuch ist nicht strafbar. Aber es darf nicht auch zugleich als selbstverständlich vorausgesetzt werden, daß der Versuch, wenn die äußeren Schwierigkeiten, die sich seiner Durchführung entgegen- stellen, überwunden werden, notwendig zu dem Ergebnis führt, welches der Parallelismus benötigt: der lückenlosen physischen Eausalreihe, welche der gleichfalls lückenlosen psychischen Eausal- reihe parallel verläuft Das geschieht aber wieder: wir ergänzen die fehlenden Glieder der physischen Beihe, indem wir die Gesetze, welche den uns gegebenen Zusammenhang beherrschen, auch auf die einzuschiebenden Glieder ausdehnen. »Es versteht sich, daß auch die einzuschiebenden Glieder sich dieser Bestimmung fügen müssenc. Aber das »versteht sich«, wenn man nicht schon den Parallelismus voraussetzt, garnicht, sondern ist im höchsten Grade fraglich. Die Wissenschaft fragt nach Hey maus: »Wie würden die Wahrnehmungen beschaffen sein , welche den wirklichen Prozessen als ihre möglichen sinnlichen Wahrnehmungen entsprechen?«, ich aber irage: Müssen denn allen wirklichen Prozessen mögliche sinnliche Wahrnehmungen entsprechen? und halte das noch keines- wegs deshalb schon für ausgemacht, weil Heymans es be- hauptet und voraussetzt Wenn nun die Sache so liegt, daß unser Bewußtsein, unsere Empfindungen, Vorstellungen, Gefühle sich über- haupt nicht in Form von Wahmehmungsinhalten darstellen und die Gehimprozesse, die wir an uns selbst oder an anderen Individuen beobachten bezw. als Inhalt möglicher Beobachtungen hypothetisch konstruieren, nicht die äußeren, physischen Erscheinungen der Vor- gange in unseren eigenen oder in anderen menschlichen Bewußtseinen, sondern vielmehr solche intelligibler, unserem Gehirn zu Grunde liegender transsubjektiver Prozesse sind? Die Möglichkeit einer derartigen Interpretation gibt Heymans S. 72 selbst zu; was er, um sie unwahrscheinlich zu machen, vorbringt, ist wenig über- zeugend. Daß sie die umständlichere, die parallelistische Interpre- tation dagegen die bequemere ist^ darf, selbst die Bichtigkeit dieser Behauptung vorausgesetzt, doch kein Grund sein, der letzteren den Vorzug zu geben. Daß sie durch die Gehirnphysiologie nahe gelegt werde, wird zwar behauptet, aber nicht nachgewiesen, schließlich

168 Erster Abflohnitt. Der psychophysisobe Parallelismns.

läuft die ganze Argumentation darauf hinaus, daß der Monismus -— nämlich der Parallelismus eben »annimmt«, daß die unbekann- ten primären, den Gehirnprozessen entsprechenden Glieder just die BewußtseinsTorgänge selbst sind, daß diese also unter »günstigen Adap- tationsTerhältnissen« uns als Gehirnprozesse erscheinen. Festgestellt ist von Heymans also nichts als bestenfalls die Möglichkeit, mit idealistisch -monistischer Metaphysik den Parallelismus als die für die empirische Wirklichkeit gültige Auffassung des Verhältnisses von Körper und Geist zu verbinden. Die Notwendigkeit dieser Theorie ist zwar behauptet, aber ebensowenig erwiesen, als die Unmöglich- keit der entgegengesetzten Auffassung nachgewiesen ist Ja, das Schema, dessen sich Heymans zur VerdeuÜichung seiner Darlegungen bedient, stellt sogar, wie schon in der Anm. S. 155 bemerkt, die von Heymans S. 72 kurz abgewiesene, dem Parallelismus wider- sprechende Annahme, daß die Gehimprozesse Erscheinungen von intelhgiblen, mit unseren Bewußtseinsvorgängen nicht identischen, sondern mit ihnen in Kausalzusammenhang stehenden Prozessen sind, als die mit der Wirklichkeit sich deckende hin!

Auch Paulsen hat die Notwendigkeit, mit metaphysischem Idealismus oder richtiger Spiritualismus eine parallelistische Konstruk- tion des empirischen Verhältnisses der physischen zu den phychischen Vorgängen zu verbinden, keineswegs gezeigt. In der Entgegnung, die er auf meinen im 114. Bande der Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik erschienenen Artikel »Leib und Seele« im 115. Bande derselben Zeitschrift veröffentiicht hat,^) führt er zwar aus, daß die Theorie des Parallelismus in der Richtung des philo- sophischen Denkens liege, sofern dieses idealistisch sei, und fügt hinzu, daß es ihm schwer verständlich sei, wie jemand, der in er- kenntnistheoretischer oder auch in metaphysischer Absicht Idealist ist, zu einer anderen Konstruktion des Verhältnisses der physischen zu den psychischen Vorgängen kommen könne, als zu der paralle- listischen.') Aber die Gründe, die er zur Bekräftigung dieser An- sicht anführt, sind nach meinem Dafürhalten nicht geeignet, dieselbe sonderlich zu stützen. »Ist die Körperwelt«, argumentiert Paulsen, Erscheinungswelt, hinweisend auf ein an sich Wirkliches, das dem im Selbstbewußtsein erlebten Wirklichen verwandt oder gleichartig ist, so ist nicht abzusehen, warum das im Selbstbewußtsein Erlebte

1) »Nooh ein Wort zur Theorie des Farallelismos.c

2) Daselbst S. 1.

DritteB Kapitel. Die Nachteile des PaiallelismiiB. 169

nicht auch in der Erscheinungswelt als ein Physisches vorkommen sollte. Konstruiert man, wozu Basse neigt, mit Leibniz-Lotze die an sich seiende Wirklichkeit als ein System von Monaden, Wesen psychischer Natur, deren Zusammen sich in der sinnlichen Anschau- ung als ein körperliches System darstellt, dann muß doch auch die Monade, die in einem Partialsystem von Monaden, das sich in der Erschein ungs weit als belebter Leib darstellt, die auszeichnende Stellung der Seele einnimmt, in dem leiblichen System als ein Glied des physischen Zusammenhangs sich darstellen.« Ich habe schon in der Entgegnung auf Paulsens Einwürfe, die ich im 116. Bande der Zeitschrift für Philosophie veröffentlichte,^) hervorgehoben, daß ich eben die Voraussetzung, die Paulsen macht: daß alles Psychische auch sich im mundtis sensibiUs als ein Physisches darstellen müsse, nicht als eine selbstverständliche anerkennen könne. Muß denn, fragte ich, alles was ist, sich auch in körperlicher Form darstellen? Wenn der Parallelismus gilt, freilich, aber unabhängig davon vermag ich eine Verpflichtung des Realen, sich durchweg uns auch als ein Körperliches zu zeigen, nicht anzuerkennen.') Das ist auch^etzt noch meine Meinung, in der ich mich mit Erhardt^), der von etwas anderen Voraussetzungen ausgeht, begegne. Es ist durchaus unberechtigt, zu folgern, daß, weil wir nun einmal die sinnliche Auf- fassungsweise besitzen, prinzipiell auch alles dieser sinnlichen Auf- fassungsweise zugänglich sein müsse, daß mithin überall, wo wir irgendwelche Dinge oder Vorgänge nicht sinnlich wahrzunehmen ver- mögen, das nur irgendwelchen zufalligen umständen oder der Schwäche unserer Sinnesorgane zuzuschreiben sei, während bei absoluter Vollkommenheit der letzteren alles von uns sinnlich wahrgenommen ^Verden müßte. Einen zwingenden Grund, eine derartige spezifische Energie der sinnlichen Auffassungsweise überhaupt anzunehmen, vermag ich wenigstens nicht zu erkennen. Wie es schließlich doch auch von der Natur der Dinge mit abhängt, wie sie uns, wenn sie nun sinnlich wahrgenommen werden, erscheinen, ob grün oder rot, sauer oder süß, so wird es auch von ihrer Natur und Beschaffenheit mit abhängen, ob sie uns überhaupt in sinnlicher Form erscheinen können oder nicht

Wie mir wenigstens scheinen will, werden wir,, sofern und so- lange wir an der Existenz von Dingen festhalten, in der einen oder

1) »Wechselwirkong oder Parallelismus?«

2) Daselbst S. 57.

3) a. a. 0. ß. 264/265, 273; S.-A. S. 12f., 20f.

170 Erster AbBohniti Der psychophysische Parallfilismus.

anderen Form immer hierauf zurückkommen müssen. Denn warum, kann man fragen , erscheinen wir uns eigentlich selbst in körperlicher Form? Weil wir unter dem Zwang sinnlicher Anscbauungsformen stehen? Aber wenn wir gezwungen sind, alle Dinge sinnlich auf- zufassen, warum fassen wir uns nicht nur so auf, sondern auch noch in nichtsinnlicher Weise? Und sagt man, wir besitzen eben neben der Fähigkeit sinnlicher auch noch die Fähigkeit unsinnlicher Erkenntnis^ so erhebt sich die Frage, warum wir nur uns in der letzteren Weise, die anderen Dinge aber nicht so, sondern nur sinn- lich auffassen können. In der Unmittelbarkeit des eigenen Ich und der Transsubjektivität der der »Außenwelt« angehörenden Realen kann der Grund dieses Unterschiedes nicht liegen, da ja die Unmittel- barkeit unseren Ichs uns nicht hindert, dieses Ich auch in sinnlicher Form, als Körper aufzufassen. Also könnte die Transsubjektivität der anderen Dinge auch nicht hindern, sie in nichtsinnlicher Form zu schauen.

Wir werden uns, meine ich, kaum der Eonsequenz entziehen können, in der besonderen Struktur der uns sinnlich wahrnehmbaren Dinge einen mitbedingenden Orund dafür zu sehen, daß sie Seelen, die überhaupt in sinnlicher Weise aufzufassen föhig und gezwungen sind, in räumlich -körperlicher Form erscheinen. Und dann werden wir auch folgern müssen, daß überall da, wo, wie bei unserem eigenen Ich , diese Bedingung offenbar fehlt da wir uns ja in unsinnlicber Form erfassen können wir das betreffende Reale auch nicht in sinnliche Form, sondern entweder gamicht oder nur in unsinnlicher Weise er- kennen können. Also ist dann unser Leib auch nicht die Erscheinung unseres eigenen Ich und ebenso stellen sich die unserer eigenen Seele verwandten fremden lohe uns nicht in sinnlicher Form dar. Wie weit das Oebiet der nicht sinnlich wahrnehmbaren Realen reicht, mag man dahingestellt sein lassen; einen prinzipieUen Unterschied zwischen sinnlich wahrnehmbaren und nur in unsinnlicher Weise erkennbaren Realen zu machen wird man aber nicht umhin können.

Legen wir diese für die gesamte sinnliche Erkenntnis Geltung beanspruchende Annahme noch an einem besonderen Beispiele näher dar. Daß räumlich -körperliche Objekte von uns gesehen werden, hängt nach unserer oben dargelegten Auffassung nicht nur yon dem Vorhandensein und Funktionieren unseres sinnlichen Wahrnehmunga- Vermögens und der Existenz auf uns wirkender Dinge überhaupt, sondern auch noch von dem besonderen Verhalten der letzteren ab. Wenn nun physikalisch zu den Bedingungen des Sichtbarwerdens von

Drittee Kapitel. Die Nachtdle des Parallelismos. 171

Körpern die Existenz eines Äthers gehört, welcher die Sohwingangen der kleinsten Teile der leuchtenden Körper bis zum Auge fortpflanzt, so hängt es doch auch von der Natur und dem Verhalten der Körper ab, ob sie gesehen werden oder nicht. Sie müssen entweder sich in einem solchen Zustande befinden, daß die Schwingungen ihrer Moleküle die Teile des Äthers in Miterregung zu setzen vermögen, d. h. leuchtende Körper sein, oder die sie treffenden, von leuchtenden Körpern ausgehenden Lichtstrahlen zurückwerfen. Körper, die weder der einen noch der anderen Bedingung genügten, die absolut dunkel imd absolut durchsichtig wären, würden auch dem schärfsten Auge nicht sichtbar werden können. Wie nun hier die besonderen Eigen- schaften und Verhältnisse der Körper das Zustandekommen des sub- jektiven Eindruckes, der Gesichts Wahrnehmung, mit bedingen, so mögen auch, wenn wir uns nun aus dem physischen in das meta- physische Gebiet begeben, die besonderen Eigenschaften der den sichtbaren Körpern zu Grunde liegenden intelligiblen Substrate, die wir als »Dingmonaden« bezeichnen wollen, die mitbedingende Ver- anlassung sowohl der intelligiblen Prozesse, welche den durch leachtende Körper hervorgerufenen Schwingungen der Teile des Äthers entsprechen, als auch derjenigen sein, welche der Zurück- werfung der Lichtstrahlen durch dunkle Körper parallel gehen. Intelligible Wesen, welche, wie nach unserer Annahme die mensch- lichen und tierischen Seelen, nicht Substrate körperlicher phänome- naler Objekte sind (»Seelenmonaden«) vermögen dagegen alsdann diese intelligiblen Prozesse nicht unmittelbar hervorzurufen und können infolgedessen auch dem schärfsten Wahrnehmungsvermögen nicht als Körper sichtbar werden. Es muß ja nicht jede mögliche Form der Wechselwirkung zwischen allen Dingen möglich sein. Wie Lack- muspapier nur durch Säuren rot gefärbt wird, durch Eintauchen in andere Flüssigkeiten aber zu dieser Reaktionsweise nicht veranlaßt wird, so mag das intelligible Substrat des Äthers auch nur durch Erregungen von » Dingmonaden «r zu der Beaktionsweise genötigt werden, die wir physikalisch als Schwingung seiner Teile bezeichnen, auf die Erregung einer Seelenmonade aber, falls eine unmittelbare Beziehung zwischen beiden überhaupt besteht^ nicht in derselben Weise antworten.

Ist nun der Gedanke so ganz unmöglich, daß der Allgeist, den ich mit Paulsen als die umfassende Substanz des Weltganzen an- erkenne, in sich zunächst eine Schicht ewig unveränderlicher, keiner SntwicUung fähiger primitiver geistiger Realitäten, von Monaden

172 Erster Absohnitt Der psychophT^Bische Parallelismus.

(Dingen) gesetzt hat, die nun uns in unserer sinnlichen Wahr- nehmung als Natur, als eine im Baum sich ausdehnende und be- wegliche Welt körperlicher Dinge erscheinen (wobei es dahin gestellt bleiben mag, ob sie in der Erscheinung restlos aufgehen oder nicht)? Daß uns folglich in unserer sinnlichen Wahrnehmung nicht das Absolute selbst in sinnlicher Oestalt, sondern nur eine Schöpfung desselben als Teilinhalt seines Wesens erscheint, während von ihm selbst, dem in allen seinen Geschöpfen tätigen, aber nicht in ihnen aufgehenden Allgeist nach wie vor gilt, dass er sinnlich überhaupt nicht, sondern nur im Oeist und in der Wahrheit er- kannt werden kann? Und ist es weiter eine so ganz unmögliche Annahme, daß derselbe Allgeist, der die Honaden, welche uns als physischer Kosmos erscheinen, in sich erzeugte, auch ein Beich höherer, einer größeren oder geringeren Entwicklung fähiger Wesen (Seelen) in sich setzte, die mit ihm selbst die Eigenschaft teilen, sinnlich überhaupt nicht, sondern nur rein geistig erkennbar zu sein? Machen wir diesen Unterschied zwischen »Wesen« (Seelen) und »Dingen«, welchen doch eigentlich die ganze Natur in gamicht mißzuverstehender Weise lehrt und welchen auch eine spiritualistische Weltanschauung nicht aufzugeben braucht, so bedeutet die Welt der »Dingmonaden« den beständigen, in seinen Formen sich stets verändernden, seinen Bestandteilen nach aber unveränderlichen, seiner innersten Natur nach aber auch noch geistigen Schauplatz, dessen die zu Höherem bestimmten geistigen Wesen zum Dasein und zur Entfaltung ihrer Natur benötigen. Diese, die ihrerseits wieder die mannigfachstea Abstufungen innerlicher Begsamkeit und geistiger Entwicklungs- fähigkeit aufweisen, stehen zu dem Beich der Dingmonaden in ver- änderlichen Beziehungen gegenseitiger Beeinflussung und Abhängig- keit, indem jedes einzelne Wesen (jede einzelne Wesensmonade) zu den einzelnen Bestandteilen der Dingwelt Beziehungen abgestufter und veränderlicher Innigkeit unterhält In ihrer durch die Natur der Dinge einerseits und durch ihre eigene Natur andererseits be- dingten räumlich -sinnlichen Anschauung erscheint jeder mit der Fähig- keit sinnlicher Wahrnehmung begabten Wesensmonade das Beich der Dingmonaden als eine körperliche Wirklichkeit, der zu ihr in un- mittelbarster Beziehung stehende Komplex von Dingmonaden aber als ihr Leib, der in dem Ganzen der räumlich -körperlichen Welt einen jederzeit bestimmten, im übrigen wechselnden Ort einnimmt. Die mannigfachen Beziehungen wechselseitiger Beeinflussung aber endlich, die zwischen ihr und dem Beich der Dingmonaden bestehen,

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismns. 173

stellen sich ihr in ihrer sinnlichen Anschauung als ein Eingreifen in die Körperwelt' und ein Beeinflußtwerden durch körperliche Vor- gänge, also als psjchophysische Wechselwirkung dar.

Natürlich können wir, wenn wir uns auf diesen Standpunkt stellen, das physische Universum nicht als ein in sich völlig ab- geschlossenes, keiner von außen kommenden Einwirkung zugäng- liches System ansehen. Wir werden dann aber in dem fragmentarischen Charakter, welcher der Natur bei solcher Auffassungsweise eigen ist, emen bedeutungsvollen Hinweis darauf erblicken, daß alles Natur- geschehen doch eben nur ein Teil des Weltgeschehens überhaupt ist und erst in Verbindung mit dem geistigen Geschehen die Oe- samtwirklichkeit ausmacht. Und das Oanze der psychophysischen Wirklichkeit zeigt ja dann auch die Geschlossenheit und den lücken- losen Zusammenhang, den man von dem Weltganzen mit Recht, von der Natur als einem Teil des Ganzen aber mit Unrecht fordert^)

Paulsen erklärt selbst S. 1 seines erwähnten Aufsatzes die von mir vorgezogene Theorie der Wechselwirkung die doch die I^ugnung der sinnlichen Erscheinungsweise alles psychischen Seins unausweichlich zur Folge hat für an sich ebenso möglich als die Theorie des Parallelismus. Wenn das aber der Fall ist, so ist damit zugestanden, daß der Parallelismus nicht die notwendige Folge des Idealismus oder, wie ich wenigstens vorziehen würde zu sagen, des Spiritualismus ist, daß man also in metaphysischer Hinsicht Spiritualist sein kann, ohne doch das empirische Verhältnis der physischen zu den psychischen Vorgängen im parallelistischem Sinne zu konstruieren. Somit darf Paulsen auch nicht behaupten, daß die Theorie des Parallelismus >in derlUchtung des philosophischen Denkens, sofern dieses idealistisch ist, liege«'); sie liegt lediglich in der Sichtung seines Denkens, seiner philosophischen Über- zeugungen.

Die Notwendigkeit der parallelistischen Theorie, welche sich durch theoretische Gründe von idealistischen Voraussetzungen aus nicht erweisen läßt, versucht Heymans noch durch praktische Gründe darzutun. Die sekundäre, der primären parallel laufende Reihe zu konstruieren soll für ims eine gebieterische Notwendigkeit sein: »erst die Erkenntnis ihrer Gesetze macht das Handeln mög-

1) Vgl. meme Eotgegnnsg a. a. 0. S. 57—59. Der von mir gemachten Unterscheidung niederer und höherer Monaden stimmt auoh E. v. Hartmann zu Mod. Psyon. S. 396.

2) a. a. 0. S. 1.

174 Erator Absohnitt Der psyohophyBisohe t^araUelismns.

licb.«^) Man könnte mit demselben im Grande, wie oben gegen Erhardt ausgeführt ist, mit ebensowenig Becht behaupten, daß die parallelistische Konstruktion, da sie jede Einwirkung des Geistes auf das körperliche Gebiet ausschließt, das Handeln unmöglich mache. Die Zulassung einer psychophysischen Kausalität kann yemünftiger- weise keine andere Folge haben, als daß wir bei unserem Handeln, sofern lebendige Wesen dabei in Betracht kommen, die Möglichkeit geistiger Einflüsse und Strafte berücksichtigen was denn bei seinem praktischen Handeln auch jeder Anhänger der parallelistischen Theorie tun dürfte. Also auch als Postulat der praktischen Ver- nunft läßt sich der Parallelismus von der Basis des Idealismus aus nicht wohl begründen.

Gäbe es nicht noch andere, zu Gunsten des Parailelismus stark ins Gewicht fallende Gründe, aus denen die Kombination paralle- listisch-empirischer und idealistisch -metaphysischer Anschauung ge- boten erscheinen kann, so würde, lediglich vom Standpunkt idealis- tischer Grundanschauung aus betrachtet, der psychophysische Parallelisr mus nach dem bisher Gesagten als eine zwar mögliche, d.h. mit metaphy- sischem Idealismus oder Spiiitualismus vereinbare, im übrigen aber YöUig willkürliche Auffassung des Verhältnisses Ton Geist und Körper, Seele und Leib erscheinen. Wir würden wieder auf den Standpunkt Münsterbergs zurückkommen, daß das freie und sich frei fühlende »wirkliche« Subjekt aus eigenem freien Entschlüsse, also ganz will- kürlich, sich die parallelistische Auffassung zu eigen macht; daß der Parallelismus deshalb gilt, weil das Subjekt die Dinge unter diesem Gesichtspunkt betrachten will.

Vielleicht läßt sich aber auch zeigen, daß, wer Ton einer idea- listischen oder spirituaUstischen metaphysischen Grundanschauung ausgeht, nicht nur nicht genötigt ist, mit ihre eine parallelistische Auffassung des empirischen Verhältnisses von Leib und Seele zu verbinden, sondern vielmehr bei konsequentem Denken sich veran- laßt sehen muß, der Theorie der psychophysischen Wechselwirkung als der mit einer spiritualistischen Metaphysik besser zusammen- stimmenden, durch sie nahegelegten Auffassung den Vorzug zu geben. Um das zu zeigen, müssen die verschiedenen möglichen Formen des Idealismus berücksichtigt und muß außer dem endlichen auch das hypothetisch angenommene unendliche oder absolute Be-

1) a. a. 0. 6. 87.

DrittoB Kapitel. Die Nachiefle des Parallellsnnis. 175

wußtsein und die Art und Weise, wie sich ihm das Verhältnis von Geist und Körper darstellt , in Betracht gezogen werden. Freilich kann dieser Forderung hier nur in sehr bescheidenem Umfange ge- nügt werden; eine ausführliche Erörterung der yerschiedenen dabei in Betracht kommenden idealistischen Standpunkte und ihrer Eonse- quenzen würde uns tief in die letzten und höchsten Fragen der philosophischen Weltanschauung hinein und damit weit über die Aufgabe hinaus führen, die sich dieses Buch gesetzt hat

Ich hebe zunächst noch einmal kurz hervor, daß die Yertreter des psychophysischen Parallelismus sowohl als die der psychophjsischen Wechselwirkung, sofern sie in metaphysischer Hinsicht auf idealistisch - spiritualistischem Boden stehen, darin völlig einig sind oder doch sein sollten, daß im Reiche der intelligiblen Dinge, d. h. im Beiche des wahrhaft Seienden, weder von psychophysischem Parallelismus noch von psychophysischer Wechselwirkung die Bede sein kann: hier gibt es nur ein Wirken intelligibler, d. i. geistiges Wesen aufein- ander. Dabei bleiben aber doch Unterschiede. Der Anhänger der Wechselwirkung wird die Seele auf die intelligible Grundlage des Gehirns und diese auf die intelligiblen Substrate der anderen Dinge, der Parallelist dagegen die Seele, die ihm das intelligible Substrat des Gehirns selbst ist, direkt auf die intelligiblen Substrate der anderen Dinge wirken lassen. Um nun von dieser Yorstellung aus zur Yorstellung entweder des psychophysischen Parallelismus oder der psychophysischen Wechselwirkung zu gelangen, muß man, wie ge- zeigt, die Wahrnehmungsinhalte, welche körperliche Dinge, den eigenen Leib und das Gehirn als Objekt möglicher Wahrnehmung ein- geschlossen, repräsentieren, verselbständigen und durch hinzugedachte hypothetische Glieder ergänzen. BQerbei scheiden sich nun aber die Wege. Der Anhänger der Lehre psychophysischer Wechselwirkung behält, indem er die Inhalte sämtlicher sinnlicher Wahrnehmungen, den eigenen Leib samt dem Gehirn eingeschlossen, verselbständigt, doch noch die Seele, das eigene Ich übrig, das nun zu den verselbständigten Wahmehmungsinhalten , zu der physischen Welt, in mannigfache Beziehungen wechselseitiger, teils mittelbarer, teils beim eigenen Leibe unmittelbarer Beeinflussung tritt. Der Parallelist dagegen, für den ja der Körper, speziell das Gehirn^ die äußere Erscheinung der Seele selbst ist, behält, wenn er nun sämtliche »Erscheinungenc verselbständigt, keine Seele mehr übrig, die nun zu der physischen Welt noch in Beziehung treten könnte. Sie ist vielmehr restlos in der physischen Welt aufgegangen, als Gehirn zu einem Teile der-

176 Erster Abschnitt Der psychophysisohe Parallelismiis.

selben geworden: die physische Welt, ihres Charakters als Erschei- nung entkleidet und als selbständig existierend gedacht, bildet einen in sich TöUig geschlossenen, alles Psychische repräsentierenden Ereis. Mir will nun aber scheinen, daß sich dieser für den Parallelis- mus unaufgebbaren Forderung doch tatsächlich gamicht genügen läßt, daß vielmehr ein nicht in der physischen Reihe gleichfalls enthaltener psychischer Best notwendig übrig bleiben muß. Nehmen wir an, irgend ein endliches Wesen hätte in einem gegebenen Mo- mente ein vollständiges Bewußtsein seines gesamten seelischen In- haltes, der sich ihm als die Mannigfaltigkeit a b c d . . . n dar- stellte. Besitzt dieses Wesen nun zugleich die Fähigkeit, seinen Inhalt auch sozusagen in das Physische zu übersetzen, so wird es die Mannigfaltigkeit abcd ... n in Gestalt von verselbständigten physischen , sagen wir Oehimprozessen a ß y d . . . v wahrnehmen, von denen, wenn der ParalleUsmus zu Recht besteht, jedes einzelne einem bestimmten seelischen Inhalte entspricht In diese Gleichung und Korrespondenz tritt aber das Wahrnehmen der Reihe aßyö . . , v und die Erkenntnis, daß sie sich mit abcd , , .n genau deckt, nicht ein; dieser Bewußtseinsinhalt ist zunächst in der physischen Reihe nicht repräsentiert, sondern stellt einen Überschuß auf psychischer Seite dar, einen Rest, für welchen die physische Deckung noch fehlt Wenn nun dieser Inhalt, welcher zu dem durch aßyd . . .v physisch repräsentierten Gesamtinhalt abcd . . .n unseres Wesens noch hinzu- kommt, auch wieder sinnlich angeschaut wird, so geschieht das durch einen neuen psychischen Akt und eine neue sich daran knüpfende Erkenntnis der Parallelität der Reihen abcd ... n + m und aßyd ... V + fi^ die nun ihrerseits wieder einen auf der physischen Seite noch ungedeckten psychischen Rest darstellen, und das muß sich ins Unendliche wiederholen ; in alle Ewigkeit bleibt die psychische Reihe der physischen sozusagen um eine Nasenlänge voraus. Die letztere hinkt immer nach, der Parallelismus geht, so oft er auch durch die Anstrengungen der physischen Reihe, mit der psychischen Schritt zu halten, hergestellt wird, immer wieder in die Brüche. An welchem Punkte der psychischen Reihe wir auch einen Quer- schnitt anbringen mögen, nie werden wir die beiden Reihen, die physische wie die psychische, gleich lang finden, sondern stets wird die psychische Reihe einen Überschuß aufweisen. Dieser Tatsache wird, meine ich, die Theorie der Wechselwirkung, welche die Seele überhaupt nicht in der physischen Reihe repräsentiert sein läßt, besser gerecht, als der Parallelismus, der den psychischen Überschuß

Driitee Kapitel Die Nachteile des ParaUelismus. 177

nicht zugeben darf, aber auch nicht vermeiden kann. Letzterer, kann man sagen, bedeutet in gewissem Sinne, ähnlich wie der Uaterialismus, die Anschauung . des bei seiner Bechuutlg sich selbst

nämlich sein Bewußtsein von der physischen Beihe und deren Identität und Parallelität mit der psychischen vergessenden Subjekts.^)

Dieses Manko der parallelistischen gegenüber der Theorie der psychophysischen Wechselwirkung wird vielleicht noch deutlicher, wenn wir nun an die Stelle des endlichen, sinnliche Wahmehmungs- inhalte habenden und sie verselbständigenden Wesens ein unendliches oder absolutes Bewusstsein setzen.

Hier sind nun zunächst zwei Fälle möglich, welche verschiedene Formen idealistisch -spiritualistischer Metaphysik repräsentieren. Ent- weder gehört die Form räumlich -sinnlicher Anschauung auch zum Wesen des absoluten Bewußtseins oder sie ist nur eine Eigentümlich^ keit endlicher Wesen. Zu der letzteren Auffassung neigt der monodo- logische Spiritualismus und der subjektive Idealismus,^) zu ihr bekennen sich auch ausdrücklich Pauls en und Hey maus, beide Ver- treter des idealistischen Parallelismus. Es ist klar, daß alsdann für das absolute Bewußtsein des Allgeistes die Theorie des Parallelismus

ebenso die Theorie psychophysischer Wechselwirkung keine Geltung haben kann; für es existieren nur psychische Vorgänge. Hey maus spricht diese Konsequenz mit großer Entschiedenheit aus: »Für ein alle Wirklichkeit umfassendes Bewußtsein müßte es auch bei diesem Einen unserer primären Beihe entsprechenden Zusammen- hang notwendig bleiben; in seiner Welt- oder Selbstanschauung fände der Parallelismusbegriff keine Verwendung«.^) Die Konstruktion der sekundären Beihe wäre für es »nur noch eine sinn- und zwecklose Spielerei«^). Ein so beschaffener Allgeist würde aber, nach den obigen Ausführungen, auch erkennen, daß sich die parallelistische Konstruktion auch vom Standpunkt der endlichen, in ihm enthaltenen und sinnlicher Anschauungsweise unterworfenen Bewußtseine nicht rein durchführen läßt, daß von der tatsächlich auch dort allein vor- handenen rein geistigen Wirklichkeit aus sich kein natürlicher Fort^ gang zu der parallelistischen Auffassung des empirischen Verhält-

1) Hieranf weist auoh Sigwart hin, Logik IX, 2. Aufl. S. 543.

2) Vgl. die DarleguDg der verschiedenen Variationen des idealistisch -spiritua- listiscfaen Standpunktes oben S. 3f.

3) a. a. 0. 8. 86.

4) Ebendas. S. 87.

finiie, Oeiit und Köiper, Seele nnd Leib. 12

178 Eister AlMSohidtt Der pByofaophysische ParalleliBmns.

nisses von Geist und Körper erofhet. Und so würde er der Lehre psychophysischer Wechselwirkung als einem mit der wahren Wirk- lichkeit besser karmonierenden empirischen Standpunkte den Yorzug geben. Gehört aber die räumlich -sinnliche Auffassungsweise zur Natur alles Bewußtseins überhaupt und gehört es daher auch zum Wesen des absoluten Bewußtseins, solche Anschauungsweise zu haben, so kann man fragen, ob das absolute Bewußtsein sich der Tatsache^ daß die körperliche Welt, welche den Inhalt seines, »gegen- ständlichen Bewußtseins« (Behmke) bildet, nur seine Yorstellung ist, bewußt ist oder nicht Im letzteren Falle würde es, wenn es paralle- listisch denkt, glauben, die innere, ideale Hälfte oder Seite einer Wirklichkeit zu sein, dessen äußere, reale Hälfte oder Seite das physische Universum bildet Es würde, die Gesamtheit seines eigenen Inhaltes und die Gesamtheit der physischen Vorgänge überschauend, einen durchgängigen Parallelismus beider konstatieren oder postu- lieren und würde demnach jeden einzelnen physischen Yoigaüg zu einem bestimmten ihm entsprechenden Inhalt seines Bewußtseins in Beziehung setzen. Es würde aber auch ebenso wie das endliche Bewußtsein erkennen und anerkennen müssen, daß das Erkennen der physischen Vorgänge und ihrer Parallelität mit den psychischen nicht wieder einen Bestandteil der erkannten Parallelität bildet, sondern zunächst ein Plus auf der psychischen Seite darstellt Und ebenso würde sich nun der Vorgang wiederholen, daß, so oft auch für das psychische Plus wieder ein physisches Parallelglied gefunden und registriert wird, dies immer wieder durch eine Erkenntnis bewirkt wird, die ihrerseits wieder ein psychisches Plus bedeutet Also bleibt dieses Plus in alle Ewigkeit übrig und die Rechnung des Parallelis- mus geht nie ganz auf. Dächte man sich aber gar das absolute Bewußtsein als zeitlos und den ganzen unendlichen physischen und psychischen Zusammenhang vollständig überschauend, so würde das Bewußtsein der Parallelität beider als ein zu der Gesamtheit aller physischen Vorgänge und der ihnen entsprechenden psychischen Parallelglieder noch hinzukommender Bewußtseinszustand etwas be- deuten, zu dem es ein physisches Parallelglied schlechterdings nicht geben kann.

Ist sich im anderen Falle das absolute Subjekt dessen bewußt, daß das körperliche Universum nur die Art und Weise bezeichnet, wie es sich selbst, das in Wahrheit geistiger Art ist, in seiner sinn- lichen Wahrnehmung erscheint, so kann es den Zusammenhang seiner sinnlichen Wahrnehmungen mit dem übrigen Inhalt seines Bewußt-

Drittes Kapitel. Die Naohteile des Parallelismns. 179

Seins unmöglich parallelistisch auffassen aus den Gründen, die ich oben (S. 151 f.) ausführlich entwickelt habe. Das absolute Sub- jekt müßte wissen, daß die sinnliche Auffassung seiner psychischen Inhalte von ihm selbst infolge der Selbstaffektion durch eben diese Inhalte hervorgebracht ist, daß also zwischen den Wahmehmungs- inhalten als solchen gar keine, zwischen ihren und den sie bedingen- den psychischen Vorgängen aber ein Verhältnis transversaler Kausalität besteht^) Zu einer parallelistischen Auffassung vermag ein auf dem Boden des Idealismus stehen bleibendes unendliches Bewußtsein schlechterdings nicht zu gelangen.

Zu demselben Ergebnis gelangt man schließlich auch, wenn man sich auf den Standpunkt des besonders von Schuppe, Bergmann und Rehmke*) vertretenen objektiven Idealismus stellt. Auf diesem Standpunkte bedeutet die körperliche Wirklichkeit nicht die sinnliche oder äußere Auffassungsweise desselben Bealen, das an sich oder innerlich betrachtet sich als ein Geistiges darstellt, sondern einen Bewußtseinsinhalt, der überhaupt in keiner anderen als dieser Form aufgefaßt werden kann und als solcher neben anderen »see* lischen« Bewußtseinsinhalten, wie Gedanken und Gefühlen, sich findet, Inhalten, die ihrerseits auch nur in einer einzigen und eindeutigen Weise sich darstellen. Die endlichen Bewußtseine sind so eingerichtet, daß sie neben den sogenannten »psychischen« Prädikaten, den Vor- gängen des Denkens, Fühlens und WoUens auch noch räumlich -sinn- liche Dinge, Körper, zu ihren Inhalten haben , darunter auch den eigenen Leib, den sie allerdings auch noch in anderer, unmittelbarerer Weise wahrnehmen oder vielmehr fühlen. Die ganze innere und äußere Welt bilden zusammen den Gesamtinhalt des Bewußtseins; beide stehen zu einander in den mannigfachsten Beziehungen gegenseitiger Beeinflussung und Abhängigkeit. Ein Parallelismus ist hier ausge- schlossen; dächte man sich die Bewußtseinsinhalte, welche körper-

1) Vgl. auoh E. v. Hartmann, Mod. Psych. 8.325. Hartmaon macht Fechners idealistischer Weltanschauung sogar zum Vorwurf, eine doppelte Kausalität statt der angeblich prästabilierten Harmonie tatsächlich anzunehmen. Gottes Be- wußtsein schafft die Körperwelt; sein Wissen um sie wird wieder vermittelt durch Reize, welche sie auf sein Bewußtsein ausübt.

2) Wilhelm Schuppe, Erkenntnistheoretische Logik, Bonn 1878, Grundriß der Erkenntnistheorie und Logik, Berlin 1894, Der Zusammenhang von Leib u. Seele das Grundproblem der Philosophie (Grenzfragen des Nerven- und Seeleniebens XIII), Wiesbaden 1902; Julius Bergmann, Untersuchungen über Hauptpunkte der Philo- sophie, Marburgl900, besonders das Kapitel: beele und Leib; Juhnnnes Rehmke, Allg. Psychologie und die anderen von mir zitierten Schriften.

12*

180 Erster Absohnitt Der psychöphysisohe Parallelismus.

liohe Objekte bedeuten, yerselbständigt, so würde ihnen die »Seele« gegenüberstehen als auf sie wirkend und von ihnen leidend.

Und auch hier liegt die Sache nicht anders, wenn wir nun von den endlichen zu einem unendlichen Bewußtsein übergehen. Das Wesen des Allgeistes, zu welchem Bergmann Schuppe's »Bewußt- sein überhaupt« ausgestaltet, ist dem objektiven Idealismus zufolge so beschaffen, daß er neben seinen Bewußtseinstätigkeiten auch noch ein körperliches Universum zum Bewußtseinsinhalt hat, nicht in dem Sinne, dafs er, indem er sich selbst betrachtet, sich als körper- liches Universum, also als ein anderer, als er in Wahrheit ist, er- scheint, sondern in dem anderen, daß er in diesen auf keine durch sich selbst oder andere erlittene Einwirkung hin in ihm entstandenen vielmehr ursprünglich zu ihm gehörenden und mit ihm zugleich ge- setzten Inhalt die Bedeutung einer anderen Seite seines Wesens hin- einlegt. Als Inhalt des absoluten Bewußtseins ist das physische Weltall unabhängig von der Wahrnehmung der endlichen Bewußt- seine, welche der Allgeist in sich erzeugt oder setzt Wie es selbst aus dem Wesen des absoluten Bewußtseins mit Notwendigkeit folgt, so ergeben sich auch die es beherrschenden Gesetze aus diesem Wesen : die Naturgesetze sind vom Standpunkt des objektiven Idealis- mus aus angesehen psychologische Gesetze des absoluten Bewußt- seins, nämlich solche, die seine Wahrnehmungsinhalte betreffen. Er- geben sich aber die die Wahmehmungsinbalte betreffenden Natur- gesetze aus dem Wesen des absoluten Bevnißtseins, so besteht auch ein gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen den Vorgängen in dieser Welt objektiver Wahmehmungsinbalte und den übrigen »inneren« oder subjektiven Yorgängen desselben Bewußtseins: beide bestimmen und beeinflussen sich gegenseitig. Die Setzung eines besonderen einheitlichen Organismus, welche metaphysisch das Auftreten eines einheitlichen, solchen Organismus zum Inhalte habenden Wahr- nehmungsaktes bedeutet, hat zur notwendigen Folge die Setzung eines endlichen, die Seele des betreffenden Organismus bildenden Bewußtseins im absoluten Bewußtsein. Und ebenso muß nun auch weiter ein gesetzmäßiger, aus dem Wesen des absoluten Bewußtseins sich ergebender Zusammenhang bestehen zwischen den Vorgängen in den einzelnen Organismen und den zu ihnen gehörenden Seelen. Also stellt das absolute Bewußtsein nicht einfach die »innere« Seite des physischen Universums und dieses die »äußere« Erscheinung der Welt- seele dar, sondern das physische Universum bildet einen Teil des Gesamtinhaltes des absoluten Bewußtseins. Beide, die »physischen«

Drities Kapitel. Die Naohteile des PanJlelismos. Igl

und die »psychischen« BewuBtseinsinhalte zu welch letzteren auch die im absoluten Bewußtsein gesetzten, in ihm enthaltenen endlichen Seelen gehören sind in mannigfacher Weise durch die Gesetz- mäßigkeit des absoluten Bewußtseins miteinander yerknüpft und auf- einander bezogen, sie zusammen stellen erst den Totalinhalt dieses Bewußtseins dar und erschöpfen ihn. Die Natur ist folglich kein in sich abgeschlossenes Oanze, sondern bildet erst zusammen mit der geistigen Wirklichkeit die Totalität des Seienden.

Auch der objektive Idealismus kann also nicht als metaphysischer Unterbau des psychophysischen Farellelismus in Betracht kommen, auch Ton ihm aus gelangt man nicht zu einer parallelistischen, sondern zu einer kausalistischen Auffassung des empirischen Yerhältnisses von Geist und Körper, Seele und Leib, und so sind denn auch weder Berg- mann noch Schuppe Anhänger des psychophysischen Farallelismus.^)

1) Rehmkes Gegnerschaft gegen denselben ward schon häufig erwähnt. Schuppe will freilich auch die Wechselwirkungslehre nicht gelten lassen, aber nur deshalb und insofern nicht, als er ein Einwirken der Materie auf eine im- materieUe Seelensubstanz oder ein leeres Ich für unmöglich erklärt Sein Stand- punkt kann aber nicht ausschlieBen, daß nervöse Prozesse Bewußtseinsinhalte in einer gesetzmäßigen Weise bedingen, die, da sie nicht paraUelistisch sein soll, nur kausalistisch zu deuten ist (so »Der Zusammenhang zw. Leib u. Seele c usw. S. 58, 59). Gegen den Parallelismus erklärt sich Schuppe S. 23, 34, 36, 38/39, 51, 53, 58 u. a. der genannten Schrift. Die Unmöglichkeit, auf dem Boden des objektiven Idealismus noch die parallelistische Theorie beizubehalten, zeigt in recht instruktiver Weise Ziehens Versuch, das Unmögliche doch möglich zu machen (P8ychoph3r8iol. Erkenntnisth., Jena 1898, Über die allg. Bez. zw. Gehirn u. Seelenleben, 2. Aufl. Jena 1902). Wenn alles psychisch ist, unsere Bewußtseinsvorgänge aber zugleich abhängig von den Gehirnprozessen sind, durch diese beeinflußt werden (S. 52 der letztgenannten Schrift spricht Z. auch von der nach bestimmten Gesetzen erfolgenden Rückwirkung der Hirnrinde auf unsere Empfindungswelt), so bedeutet das im empirischen Sinne eine physio- psychische Kausalität. Daß die Annahme einer solchen sowie auch was Z. nicht berücksichtigt einer psycho -physischen Kausalität nach seinen Voraussetzungen unvermeidlich ist, zeigt vortrefflich das von ihm S. 55 gebrauchte Bild eines Gaslustre, dessen in der Mitte befindliches Gasreservoir die Empfindungswelt, dessen Brenner dagegen die Gehirne der em- pfindenden Wesen repräsentieren. Wie die Flammen (= Bewußtseinsvorgängen) nun von dem Gasreservoir und der Beschaffenheit der Brenner abhängig sind, so erscheint auch das Reservoir anders je nach der Beleuchtung durch die Brenner. Das Bild lehrt demnach ganz zweifellos eine Einwirkung der Eörperwelt auf die Seele und der letzteren auf jene. ^ Auch Riokert hebt (Psychophys. Eaus. u. psycho- phys. Parall.; Sigw. Festschr., Tüb. 1900 S. 79, 80) hervor, daß auf dem Stand- punkte der Immanenzphilosophie wir auch einen Kausalzusammenhang der physischen und psychischen Inhalte haben. Gibt man das zu, so muß man aber auch weiter an- nehmen, daß, auch wenn an die Stelle 4er qualitativen physischen Inhalte quantitative

182 Entor Abtohnitt Der psyohophysische PazallelifimiiB.

Die von uns erörterten Arten idealistisch -spiritualistischer Meta- physik erschöpfen aber die möglichen Arten dieser Form der Welt- betrachtung, so daß, was wir über das Verhältnis derselben zum Parallelismos gesagt haben, seine Richtigkeit vorausgesetzt, von aller idealistisch -spiritualistischen Metaphysik ganz allgemein gilt

Fassen wir nunmehr zum Schluß die Ergebnisse unserer Über- legungen nochmals kurz zusammen. Davon, daß sich der psycho- physische Parallelismus durch eine idealistisch -spiritualistische Meta- physik begründen, als notwendig erweisen lasse, kann jedenfalls keine Rede sein, denn man kann nicht beweisen, daß die paralle- listische Konstruktion des empirischen Yerhältnisses von Leib und Seele die notwendige Eonsequenz einer derartigen Metaphysik ist Alles, was sich hier im günstigsten Falle erreichen läßt, ist, zu zeigen, daß der psychophysische Parallelismus mit einer spirituali- stischen oder idealistischen Grundanschauung verträglich, ebenso verträglich ist, wie die Theorie psychophysischer Wechselwirkung. Aber auch in dieser Beziehung scheint mir die Sache für die letztere weit günstiger zu liegen ; sie erscheint bei unbefangener Betrachtung als die natürliche Eonsequenz einer idealistischen oder spirituali- stischen Metaphysik. Psychophysischer Parallelismus und idealistisch- spiritualistische Metaphysik, weit entfernt, einander zu fordern, scheinen eher einander auszuschließen. Soweit die metaphysische Grundlage in Frage kommt, erscheint der Parallelismus der Wechsel- wirkungstheorie gegenüber im Nachteil.

Aber natürlich wäre, wenn der Beweis, daß idealistisch- spiritualistische Metaphysik und psychophysischer Parallelismus mit- einander unverträglich sind, in unanfechtbarer Weise erbracht wäre, damit noch nicht der Parallelismus vernichtet Er ist nicht so eng und unauflöslich mit einer idealistischen Grundanschauung verbunden, daß er mit jener steht und fällt Wenn daher die spinozistische

treten, aa dieser Eaataibezeiohnang nichts geändert wixxi, daß die Unvergleiohliohkeit derselben mit psychischen Inhalten kein Hindernis für ihre wechselseitige Kausalver- bindong ist Die von Riokert S. 75, 77 ausgeführte Ansicht, daß, wenn wir aas metbodologiflchen Gründen eine mechanistische Naturauffassung entwickeln, diese sich dann sa den qualitativen psychischen Inhalten in gar keine Beziehung mehr setzen läßt, diese Beziehungslosigkeit aber als Ergebnis einer künstlichen Konstruktion der Wirklichkeit verschwindet, wenn man die unmittelbar erlebte Wirklichkeit wieder in ihre Rechte einsetzt, schmeckt stark nach Münsterberg und ist nach dem, was ob«i über dessen Theorie bemerkt worden, nicht haltbar.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismos. Ig3

Metaphysik in sich unhaltbar, die idealistisch -spiritualistische Basis aber mit empirischem Parallelismos schwer vereinbar ist, so kann der Parallelist diese Formen monistischer Metaphysik fallen lassen, ohne den Parallelismus aufzugeben. ^) Dieser läßt sich ja auch noch in dualistischer Form aufstellen und verfechten. Man kann das Parallelgehen physischer und psychischer Prozesse als eine letzte, nicht weiter reduzierbare und vielleicht auch nicht weiter erklärbare Tatsache der Welteinrichtung hinstellen, es also völlig dahingestellt sein lassen, ob eine metaphysische Interpretation dieser Tatsache ge- geben werden kann oder nicht. Oenug, wenn die Tatsachen die paralMistische Auffassung uns aufoötigen und wenn jede Metaphysik, welche uns eine abschließende Oesamtanschauung des Wesens und Sinnes der Welt geben will, wie im übrigen sie auch beschaffen sein möge, diese Auffassung anerkennen und respektieren muß. Meta- physische Theorien, welche mit ihr unverträglich sind, sind dann eben unhaltbar. Ist also eine idealistische Metaphysik wirklich mit der Theorie des^ psychophysischen Parallelismus unvereinbar, so muß man sie eben aufgeben und da auch der Monismus in spinozi- stischer Form nicht haltbar ist zu einer dualistischen Metaphysik seine Zuflucht nehmen, wenn man es nicht vorzieht, auf eine meta- physische Interpretation des psychophysischen Parallelismus über- haiq>t zu verzichten.*)

Die weitere Prüfung des psychophysischen Parallelismus und seines Nebenbuhlers, der Lehre von der psychophysischen Wechsel- wirkung, wird daher unabhängig von allen mit der einen oder der anderen Theorie etwa verbundenen metaphysischen Anschauungen zu erfolgen haben. Es fragt sich, welche weitere Momente sich für oder wider den psychophysischen Parallelismus anführen lassen, und ob demnach ihm oder der Lehre von der Wechselwirkung der Vorzug zu geben ist Die Antwort hierauf wollen die folgenden Abschnitte zu geben versuchen.

2. Die Künstliohkeit der parallelistisehen Theorie. Der Farallelismus und das Eausaiitätsprinzip.

In dem Paragraphen 97b des zweiten Bandes seiner Logik, den er in der zweiten Auflage dieses Werkes '') hinzugefügt hat, hat

1) Vgl. Ladd, Phü. of Mind, S. 345. Höffding, Psychol. 1887 S. 84. T. Hartmann, Mod. Psych. S.363. J. Schaller, Leibu. Seele, Weimar 1855, S.27.

2) Chas. Mercier, The nervaus system and the mind^ 1888,

3) Froibori ttii4 Ijeipeig 1893.

Ig4 Erster Absolmitt Der psychophysische ParalleliBmiis.

Christoph Sigwart ausführlich die Gründe entwickelt, die ihn veranlassen , in der Streitfrage zwischen psychophysischem Farallelis- mus und psychophysischer Wechselwirkung sich für die letztere und gegen die erstere Annahme zu erklären. Diese seine Stellung formu- liert er S. 518 mit den Worten: >. . . Insbesondere ist die An- nahme von Eausalbeziehungen zwischen Vorgängen im Be- wußtsein und äußeren Veränderungen durch die allgemeinen Voraussetzungen der empirischen Forschung gerechtfertigt, und die Theorie des psychophysischen Parallelisnias ist weder durch den Begriff der Kausalität oder das Prinzip der Erhaltung der Energie gefordet, noch läßt sie sich ihrer Eonsequenzen wegen durchfuhren.« Mit diesen Worten hat Sigwart bestimmt und scharf die Funkte bezeichnet, um die sich der Streit zwischen den Anhängern der Parallelismus- und der Wechsel Wirkungstheorie bislang gedreht hat und voraussichtlich auch in Zukunft drehen wird. Es sind das die drei Fragen:

1. Spricht der Begriff der Kausalität zu Gunsten der psycho- physischen Wechselwirkung oder zu Gunsten des psychophy- sischen Parallelismus?

2. Machen die Konsequenzen des psychophysischen Parallelismus seine Ablehnung notwendig oder nicht?

3. Erlaubt das Gesetz der Erhaltung der Energie die An- nahme einer Wechselwirkung zwischen Leib und Seele oder schließt es sie aus und nötigt uns zur Annahme des psycho- physischen Parallelismus?

Die erste dieser drei Fragen ist es, die uns in diesem Ab- schnitt beschäftigt Wir haben zu erwägen, ob das Kausalitäts- prinzip mehr für die parallelistische oder mehr für die kausalistische Interpretation des Verhältnisses von Leib und Seele spricht, ob die eine oder die andere Auffassung mit ihm besser zusanmienstimmt, durch es gefordert oder durch es unmöglich gemacht wird.

Da ist es mir nun nicht zweifelhaft, daß beide, die paralle- listische und die kausalistische Auffassung, mit dem Kausalitäts- prinzip vereinbar sind, daß aber die letztere die mit ihm besser übereinstimmende und in diesem Sinne natürlichere Auffassung darstellt, der gegenüber die parallelistische Lehre als eine ziemlich gekünstelte Theorie erscheint

Es handelt sich in dem Streit zwischen der Parallelismustheorie und der Lehre von der Wechselwirkung um die Interpretation einer Tatsache der Erfahrung, nämlich der von allen anerkannten

Diittes KapiteL Die Nachteile des Panlielismus. 185

Tatsache, daß physische und psychische Yorgänge wechselseitig von- einander abhängig sind, daß eine bestimmte Korrespondenz physischer und psychischer Prozesse besteht. Daß der Parallelismus selbst keine Tatsache ist, wurde von mir schon einmal gegen Jodl ausgeführt (vergl. oben S. 94/95); wäre er das, so wäre ja der ganze Streit zwischen Parallelismus und Wecbselwirkungstheorie sofort ent- schieden. Aber der Parallelismus ist nicht selbst eine Tatsache der Erfahrung, sondern eine Theorie, eine Hypothese, ersonnen um Tatsachen zu deuten, im besten Falle eine solche, welche die Tat- sachen besonders nahe legen und empfehlen. Von einem empirischen Nachweisen des Parallelismus, von einem Eonstatieren desselben als einer Tatsache kann, wenn man nicht die Korrespondenz phy- sischer und psychischer Vorgänge selbst schon Parallelismus nennen will,^) doch füglich keine Rede sein. 2) Es ist mir daher unverständ- lich, wie Wundt behaupten kann:®) »Nun wird offenbar diese Voraus- setzung (nämlich der psychophysische Parallelismus) besonders auch dann vorzuziehen sein, wenn sich wirklich, sei es auch nur in ein- zelnen Fällen, ein Parallelismus psychischer und physischer Fälle nach- weisen läßt Dies trifft nun unzweifelhaft bei den einfachsten ErscheinungenderErregung von Sinnesempfindungen durch äußere Reize zu. Oewiß, wäre auf diesem Gebiete der Paral- lelismus, d. h. also auch das Nichtvorhandensein psychophysischer Kausalbeziehungen, konstatiert, so würden wir allerdings die be- gründetste Veranlassung haben, die parallelistische Theorie durchweg der kausalistischen Lehre vorzuziehen. Was aber Wundt zur Be- gründung seiner Behauptung anführt, ist, meine ich, nur geeignet,

1) So Ziehen, Über d. allg. Beziehungen zwischen Gehirn und Seelenleben, 2. Aufl., Leipz. 1902, S. 26.

2) Vgl. Lad d, PhiLofMind, S.240. *Notc, strictly speaMng , tkere ctre no suoh immediately knoten and undeniable faeis as eorrespond to the modern coneeption of so-ealled mental cmd so-ccUled hodily pkenomena*, >. . . never does the eub^ Ject of all States deteet or remember two parallel series of ehanges, running on side by side in the one stream of eonseiousness , one ofwhiek it is compeUed to assign to the being ealled *my hody< and the other to the subjeet of states eaUed i^my mtnd*,* Vgl. S. 324 u. S. 243: *lt is ordy by a eomplieated and doubt- ful network of inferenees that the knotoledge (?) or even the coneeption or sus- e^ion of a strictly eoneomitant eorreUUion beiween brain- states andstcUes of eonsoiotuness is reaehed,* Vgl. auch t. Eries, Über d. materiellen Grundlagen der Bewufitseinsersoheinungen, Tübingen u. Leipzig 1901, S. 2; 0. Flügel, D. Be- deutung d. Metaph. Herbarts f. d. Gegenw., Zeitschr, f. Phil, u. PUdag. Bd. Till 1901, S. 453.

3) Phü. Studien X. S. 34.

186 Erster AiMBchnitt. Der psychophyBisclM PaitUelismus.

die entgegengesetzte Behauptung, daß der Parallelismus lediglich eine Hypothese ist, zu stützen und ins rechte licht zu setzen. Mannigfache Erscheinungen, fahrt Wundt aus, weisen darauf hin, daß die centralen Erregungen nicht spurlos aus der physischen Welt entschwinden, um in der geistigen Welt wieder aufzutauchen. Er gibt selbst zu, daß die physiologische Forschung noch sehr unvoll- kommen ist, behauptet aber trotzdem, daß man an dem Parallelismos kaum noch zweifeln könne. ^) Er gibt*) weiter zu, daß es bei Vorgängen , auf welche die Anhänger der Lehre von der Wechsel- wirkung zur Begründung ihrer Behauptung, daß das Seelische auf den Leib einwirke, sich berufen, nicht möglich ist, auf der physischen Seite feste Ausgangspunkte der Wirkungen aufzufinden, weil die centralen Vorgänge, "welche unsere äußeren Willensbewegungen vor- bereiten, zumeist unbekannt seien. Aber diese verwickeiteren Fälle sollen nach den einfacheren zu beurteilen sein, und hier bilden nun die einfachsten Triebbewegungen »offenbar« Beispiele einer kausalen Willensreihe, »die wir uns ohne Schwierigkeit auf physischer Seite auch ohne die Existenz psychischer Vorgänge denken könnten!« Es mag sein, daß wir sie uns ohne Schwierigkeit so denken können, aber wo bleibt da die behauptete Eonstatierung des psychophysischen Parallelismus als einer Tatsache der Erfahrung? Von einer solchen kann eben keine Bede sein, es fragt sich lediglich, ob die Tatsachen der Er&hrung uns auf den Parallelismus als auf die ihnen am besten angepaßte, von ihnen am meisten nahe gelegte Theorie hinweisen. Das tun sie nun aber um den Ausdruck auch einmal zu ge- brauchen— »offenbar« nicht, sondern eine unbefangene Betrachtung der Tatsachen wird immer in erster Linie zu der kausalistischen Auffassung als der natürlichsten Deutung führen. Denn überall, wo wir auf dem Gebiete der Tatsachen und ihrer Verknüpfung ein Ver- hältnis regelmäßiger Abhängigkeit zwischen verschiedenen Vorgängeti bemerken, drücken wir dies Verhältnis durch die Begriffe Ursache und Wirkung aus. Nun zeigt die Erfahrung und das ist eben die einzige Tatsache, welche die Erfahrung unmittelbar bezeugt , daß zwischen seelischen und körperlichen Vorgängen ein derartiges

1) Mänsterberg, der doch gleichfalls Anhänger des Pandlelismos ist, be- hauptet gerade das strikte GegenteU. Eine zweifelsfreie Dorchfühning der panJle- listisohen Anschaaung, führt er S. 484 seiner Gnmdzüge der Psychologie ans, ist heute noch in keiner Einzelfrage erreiohtl und bierin dürfte er Wandt gegenüber recht behalten.

2) S. 35.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des ParallelismTis. 187

Yerhältnis regelmäßiger Abhängigkeit besteht, daß mit bestimmten Erregungen bestimmter Sinnesgebiete bestimmte Empfindungen regel- mäßig verknüpft sind und daß mit bestimmten Vorstellungen, Ge- fühlen, WiUensimpulsen sich bestimmte körperliche Bewegungen ebenso regelmäßig verbinden. Also müssen wir auch hier zur Deutung und Erklärung dieser Tatsachen von den Begriffen Ursache und Wirkung Gebrauch machen. Yen dieser allgemeinen Gepflogen- heit gerade in diesem Falle abzugehen wären wir nur dann be- rechtigt, wenn besondere, in der Natur der hier kausal verbundenen Vorgänge liegende Umstände die Anwendung des Eausalitätsbßgriffs ausnahmsweise untersagten. Daß in der spezifisch verschiedenen Natur der physischen und der psychischen Prozesse an sich wie es auf den ersten Blick allerdings scheinen könnte und auch wiederholt im Verlauf der Geschichte der Philosophie behauptet worden ist ein solcher Grund nicht liegt, wurde schon bei einer früheren Gelegenheit bei der Widerlegung des Materia- lismus, s. oben 8. 40 f. hervorgehoben; eine tiefere Betrachtung überzeugt uns, daß schließlich der Zusammenhang physischer Vor* gange uns nicht besser verständlich ist, als der von physischen und psychischen. Letzten Endes muß sich unsere empirische Forschung überall damit begnügen, den Zusammenhang als solchen zu kon- statieren und möglichst genau zu beschreiben. Die Ungleichartigkeit von Geist und Körper, Seele und Leib kann daher nicht als Grund gegen die Möglichkeit kausaler Verknüpfung angeführt werden.^) Ebensowenig wie dieses kann aber auch das von Münsterberg benutzte Argument der Identität von Ursache und Wirkung als Instanz gegen die psychophysische Kausalität in Betracht kommen. Das Kausatitäts- prinzip können wir eben nicht auf das Prinzip der Identität zurück- führen. Die Identität der Objekte und der Subjektakte, welche Münster-

1) Vgl. hierzu Lotze, Metaphysik 1879 S. 492, 494; Sigwart, Logik IE (2. Aufl. 93) S. 209; Behmke, Allg. Psychologie S. 92, S. 112 ff., Die Seele des Menschen S. 21, 22; Erhardt, die Wechselwirkung zw. Leih u. Seele S. 31—38, 118; Stumpf, Eröffnungsrede S. 8, Wentsoher, Über phys. u. psych. E^usal. usw. S. 38—41; Ethik L Leipz. 1902 S. 295; Höf ler, Psychologie S. 58; Külpe, Einl. L d. PhiJ. S. 148, 149; Jerusalem, EinL i. d. Phil., Wien u. I^ipzig 1899, S.99; y. Hartmann, Mod. Psych. S. 335, 410, 411; James, Principles of Psychology, I, 8. 136, 137. Mit vollem Recht sagt James (S. 137): > . . . one kos no right to puü the pM over the psyehic half of the subfeet otUy, <m tke automatüts do, and to say tkat tkat eauaation is uninteüigible, whiUt in the aame breath one dogTJiatfxss abotU matericU eausaiion, as if Hume, Kant, and Lotxe had never been bom.* Vgl. auch S. 181. Vgl. auch Ladd, Phil, of Mind, 8. 353.

188 Erster Absohnitt. Der psyohophysische ParalleliBmns.

borg als notwendig betrachtet, bedeute doch nicht, daß die in einem oder mehreren Objekten aufeinander folgenden und kausal verbundenen Zustände, Aktionen, Vorgänge selbst miteinander identisch sind oder auch nur analytisch auseinander abgeleitet werden können. Ist die Vorstellung von heute mit der gestrigen gleichen Inhalts nicht identisch, so ist die Erdumdrehung von heute mit der in ganz gleicher Weise erfolgten gestrigen auch nicht identisch: das Fehlen der Iden- tität bei den psychischen und ebenso bei den psychophysischen Zu- sammenhängen kann als eine allen kausalen Zusammenhängen über- haupt zukommende Eigenschaft nicht gegen die Möglichkeit psychischer und psychophysiscber Kausalität angeführt werden.^)

Im Eausalitätsprinzip als solchem liegt mithin sowenig ein Orund, die psychophysische Kausalität abzulehnen, daß es vielmehr gerade zu ihrer Annahme auffordert Mit wenigen Ausnahmen stehen denn auch Anhänger wie Gegner der psychophysischen Wechsel- wirkung auf dem Standpunkte, daß diese Theorie jedenfalls die nächst- liegendste ist, die durch die Tatsachen der unmittelbaren Erfahrung am meisten empfohlene und in diesem Sinne natürlichste Auffassung des Verhältnisses physischer und psychischer Vorgänge bedeutet Sigwart ward oben schon erwähnt;') noch weiter wie er geht Biehl, der geradezu behauptet, daß die Anahme, eine »willkürliche« Be- wegung könne auch ohne Vorstellung und Absicht erfolgen, zu der unmittelbaren Aussage unseres Bewußtseins in schroffstem Wider- spruch stehe. ^) Scharf hebt sodann Stumpf die große Künstlichkeit der die Wirklichkeit in zwei beziehungslos nebeneinander herlaufende Welten teilenden Farallelisraustheorie hervor, der gegenüber die Wechsel Wirkungstheorie den Bedürfnissen unseres Verstandes, seinem Verlangen nach einer wahrhaft einheitlichen Weltanschauung, wie sie die universelle Durchführung des Kausalitätsprinzips darstellt, weit mehr entgegenkommt »Zur Sache selbst müssen wir uns die Frage vorlegen, ob nicht die Konsequenz der Naturforschung, ins- besondere der Entwicklungslehre, selbst wenn wir die Philosophie bei Seite lassen, dahin drängt, die Welt in allen ihren Teilen als ein kausal zusammenhängendes Ganzes aufzufassen, worin jedes Wirkliche seine Arbeit leistet, keines von der allgemeinen Wechsel-

1) Münsterberg, Grondzüge d. Psychologie, S. 82 f. Vgl. hierzn aaoh Sig- wart, Logik, IL 2. Aufl. 8. 172.

2) YgL aofier der oben zitierten Stelle auoh nooh a. a. 0. S. 522, 523, 524, 533, 571, sowie §74, 16 18, §100, 16.

3) Phü. Krit S. 200.

Diitias Kapitel. Die Nachteile des Parallelismns. 189

Wirkung ausgeschlossen ist«^) »Denn nicht so sehr«, bemerkt Stumpf weiter, »die Oleichartigkeit der Elemente oder der Prozesse, als die Allgemeinheit und die Einheitlichkeit der letzten und höchsten Ge- setze ist es, die wir von einem einheitlichen Weltganzen verlangen müssen. Zugleich hat diese AufTassung (der psychophysischen Wechsel- wirkung) den Yorteil, daß sie das Verhältnis, das dem parallelistischen Monismus ein durchaus undefinierbares bleibt, unter den allgemeinen Kausaibegriff subsumiert und dadurch dem Bedürfnis des Begreifens und der Oekonomie des Denkens in höherem Maße entgegenkommt«') Nach Münsterberg ist der psychophysische Farallelismus nicht etwa eine Entdeckung bestehender Naturtatsachen ,^) sondern ein auf be- stimmten erkenntnistheoretischen Erwägungen beruhendes Postulat Davon abgesehen, legen die Tatsachen der Erfahrung durchaus die An- nahme psychophysischer Wechselwirkung näher. » Aber die Tatsachen selbst legen es doch zunächst sehr viel näher, die Handlung als Wirkung einer körperlich nicht bedingten, schöpferischen Seelentätigkeit und die Wahrnehmung als eine freie geistige Reaktion auf den Oehirnreiz zu denken.« »Wir könnten einen vollständigen psychischen Eausal- zosammenhang folgern und würden dann ergänzende Hilfsvorstel- longen nur für die psychopetalen und psychofugalen Übergänge zwischen Psychischem und Physischem bei der Wahrnehmung und der Handlung heranziehen.« ». . . Es ist ein Irrtum zu glauben, daß die empirischen Tatsachen wirklich mehr verlangen«.^)

Weiter mögen Külpe,^) Rehmke,«) Erhardt,^ Höfler,») Ladd,») Bergmann,") Wentscher,") Aars,") Gutberiet") Hey-

1) Eröffnungsrede S. 8.

2) Ganz ähnlich übrigens James, Fr. of Ps. I S. 163. Ebendas. S. 10, vgl. auch S. 13; vgl. auch Eülpe, Einl. 2. Aufl., 1898, S. 145.

3) Grundz. d. Psych. S. 435.

4) Ebendas. S. 403. Vgl. auch S. 404.

5) Einleitung in die Philosophie, Leipzig 1895, S. 148, 155.

6) Lehrb. d. allg. Psychologie S. 112 f., Die Seele des Menschen S. 34.

7) Die Wechselw. zw. Leib und Seele S. 111, 114, 116—117, 118, 136; Psy- choph. Par. u. erkennth. Ideal., Zeitschr. f. Phil. u. phil. Kr. S. 293 Textu. Anm. 2, S.- A. Lpz. 1900 S. 40 Anm. 2 u. S. 41.

8) Psychologie, Wien u. Prag 1897, 8. 60, 61.

9) Phü. of Mind, S. 241, 242, 285, 287; Elements of Physiological Psycho- logy, London 1887, S. 632.

10) Unters, üb. Hptpkte. d. Phil. S. 360.

11) Ethik I. Lpz. 1902, S. 296, 297.

12) A. a. 0. S. 12.

13) Der Kampf um die Seele, Mainz 1899, S. 176.

190 Erster Abschnitt Der psychophysisohe Parallelisrntis.

mans,^) als solche genannt werden, welche die Ansicht vertreten, daß das Kausalitätsprinzip an sich der Annahme psychophysischer Wechsel- wirkung nicht im Wege steht, die Tatsachen der Erfahrung vielmehr dieselbe nahelegen. Auch Ebbinghaus, ein entschiedener An- hänger des psychophysischen Parallelismus, ist unbefangen genug, anzuerkennen, daß psychophysische Wechselwirkung die »für uns nächstliegende Formulierung des Verhältnisses von Leib und Seele c ist,') und ebenso äußert Wundt sich wiederholt in einem ähn- lichen Sinne. Wohl am schärfsten von allen hebt James die Natürlichkeit und Angemessenheit der Wechselwirkungshypothese und das Oezwungene und Oekünstelte des Farallelismus hervor. ^However inadequate aur ideas of causal efficacy may be, we are less tvide of ihe mark tohen we say thai our ideas and feeUngs have it, than the Automaiists are when they sey thai they haven't f7.«^) Die Tatsachen legen den Gedanken der Kausalität für das Verhältnis von Leib und Seele nahe und die Psychologie muß sich dem anpassen. Uns jetzt die »Automatentheorie« aufdrängen zu wollen is an unwarrantable impertinence in ihe present state of psychology.€*)

Auch Jodl, der sich ebenso wie Ebbinghaus zum Parallelismus bekennt, gesteht doch zu, daß die Ansicht, nach welcher der Geist auf den Körper und der Körper auf den Oeist wirkt, mit den empi- rischen Tatsachen der Abhängigkeit des Geistes vom Körper und der Parallelität (Korrespondenz) der psychischen und physischen Vor- gänge auch zusammen bestehen könne, ^) und ebenso hat Paulsen die Theorie der Wechselwirkung für an sich ebenso möglich und denkbar erklärt, als die Theorie des Parallelismus.^

1) A. a. 0. S. 103. Auch mag hier noch einmal auf Kant hingewiesen werden, der in der Er. d. r. V. A. 392 erklärt, daß, sofern man sich auf den Standpunkt der Realität der Materie stelle, wider den angenommenen physischen Einfluß kein dogmatischer Einwurf gemacht werden könne.

2) Qrundzüge der Psychologie 8 37. Nach S. 36 soll dagegen die Annahme einer psychophysischen Kausalität große Ansprüche an unsere intellektuelle Opfer- willigkeit stellen. Die Behauptung Ebhinghaus', daß die Identitätslehre die Meinung fast aller Philosophen sei (8. 37), ist schon von Erhardt 8. 127 Anm. seines Buches (vgl. auch S. 47) zurückgewiesen worden. Gegenwärtig dürfte Ebbinghaus seine Behauptung wohl selbst nicht mehr aufrecht halten.

3) Principles of Psychology vol. I 8. 137.

4) Ebendas. 8. 138.

5) Lehrbuch der Psychologie 8. 61/62.

6) Einl. d. Phil. 8.89, Noch ein Wort zur Theorie des Parallel ismus, Zeitschr. f. Phil u. phil. Kr. Bd. 114 8. 1 f. Eine besondere und eigentümliche Stellung nimmt

Drittes Kapitel. Die Kaohteile des Parallelxsnias. 191

Die Situation verschiebt sich aber noch mehr zu Ungunsten des psjchophjsischen Parallelismus, dieser erscheint noch gekünstelter, noch schwerer mit der unmittelbaren Erfahrung vereinbar, wenn wir berücksichtigen, daß die Kausalität, welche er bestreitet, doch gerade das Yorbild aller Kausalität überhaupt ist, daß in dem unmittel- baren Bewußtsein der eigenen lebendigen Ursächlichkeit psychologisch der Ursprung des Kausalitätsgedankens zu suchen ist Hier allein erfahren wir die Kausalität, hier nehmen wir sie wahr; in der Außenwelt nehmen wir sie bloß an. Die unmittelbare Erfahrung zeigt uns hier nur regelmäßige Succession, den Gedanken der Kau- salität tragen wir (ebenso wie den aus dem logischen Denken ge- schöpften Gedanken der Notwendigkeit) erst in die Dinge hinein, indem wir die Tatsachen der Erfahrung anthropomorphisch, nach Analogie unseres eigenen unmittelbar erlebten lebendigen Wesens deuten, den Dingen Kräfte zuschreiben und sie vermittelst ihrer Kräfte aufeinander wirken lassen. Es ist hier nicht der Ort, zu untersuchen, wie weit diese Deutung des äußeren Geschehens be- rechtigt und haltbar ist; die Yersuche, die Begriffe der Kraft und der Kausalität aus der Naturwissenschaft ganz zu entfernen und diese in eine bloße Beschreibung der regelmäßigen Zusammenhänge der Phänomene aufzulösen (Kirchoff, Yolkmann u. a.), beweisen jeden- falls, daß die Kausalität, welche die Dinge aufeinander ausüben, keine

S. T. Hartmann ein. Er nimmt einen gewissen, aber nicht lückenlosen Parallelis- mns an zwischen den Bewußtseinsinhalten und den Gehirnprozessen. Dieser Paral- lelismus ist nach ihm aber als das Produkt der zwischen den physischen Prozessen und der unbewußten Seelentätigkeit stattfindenden psychophysischen (isotropen , zu- gleich einerseits interindividueUen , andererseits intraindividuellen) Kausalität einer- seits und der zwischen dieser und der bewußten subjektiv idealen Sphäre statthabenden (allotropen) Kausalität andererseits anzusehen, so dafe also das un- bewußte Geistige zwischen Bewußtein und Körper vermittelt. Mod. Psych. S. 337 bis 339, 397, 411, 416, 421, 456; Eategorienlehre, Lpz. 1896, das Kapitel über die Kausalität (8. 363 430), besonders der Abschnitt: Die Kausalität in der meta- physischen Sphäre S. 401f., uod der Artikel: Die allotrope Kausalität, Arch. f. System. Phil. V S. 1— 24. Auf die weitschichtige Frage, ob und inwieweit ein Unbewußt -Psychisches zulässig oder notwendig ist und ob dieses allein, das Be- wußte aber nicht auf die körperlichen Prozesse einwirken und Einwirkungen von ihnen erleiden kann, kann und will ich mich hier nicht einlassen. Die Tatsache aber, daß Hartmann, das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität ablehnend, einen Kausalnexus zwischen Physischem und (Unbewußt-) Psychischem annimmt, genügt, auch ihn zu den Gegnern des psychophysischen Parallelismus zu rechnen. Daß die Kausalität zwischen Bewußtpsychischem und Physischem irgendwie wunder- barer wäre, als die zwischen Unbewußtpsychischem und Physischem, wie Hart- man n behauptet (Mod. Psych. S. 440), muß ich freilich bestreiten.

192 Erster iibschmtt Der psyohopbysische Parallelismüfi.

durch die Erfahrung unmittelbar verbürgte Tatsache, sondern viel- mehr unsere Auffassung und Deutung der Tatsachen der äußeren Erfahrung darstellt, eine Deutung, die eben auf eine subjektive Quelle, unsere eigene unmittelbar erlebte und gefühlte Tätigkeit, zurückgeht 1)

Wenn dem aber so ist, so ist es verfehlt, die Lehre von der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele dadurch zu bekämpfen, daß man sie als unvereinbar mit dem Eausalitätsprinzip hinstellt Man kann sich doch nicht gut auf das Eausalitätsprinzip, d. h. den Begriff, durch den wir bestehende regelmäßige Abhängigkeitsverhält- nisse uns verständlich zu machen suchen, berufen, um das tatsäch- lich bestehende psychophysische Abhängigkeitsverhältnis als ein nicht kausales hinzustellen! Das ist so einleuchtend, daß, wenn wirtrotz-

1) Über den psychologisohen Ursprung des Eaasalitätsbegriffo und die Vor- bildUchkeit der subjektiven Kausalität für die objektive sind sich die Philosophen zur Zeit wohl so ziemlich einig. Mit besonderem Nackdruck betont ihn bekannt- lich Schopenhauer. Unser eigenes willkürliches Handeln bildet nach Sigwart den Musterfall, nach dem wir die äußeren Vorgänge deuten; der Gedanke eines inneren Zusammenhanges aufeinanderfolgender Ereignisse würde uns jedenfalls schwerer und später deutlich zum Bewußtsein kommen, wenn wir bloße Zuschauer der Voi^nge außer uns wären. Der Ursprung des Eraftbegriffes geht auf den Willen und seine Macht zurück, das Bewußtsein der Anstrengung gibt uns das ursprünglichste Maß für die Größe eines Wirkens (Logik 11. 2. Aufl. S. 143 145, vgl. S. 536). Auch Wundt gibt Sigwart bereitwilligst zu »daß die psychische Kausalität an sich die ursprünglichere, die physische die abgeleitete ist, wie dies ja auch die psychologische Entwicklung des KausalbegriffiB im allgemeinen bestätigt Aus imserer inneren Wahrnehmung schöpfen wir die Forderung, daß alles uns in irgend einer Wahrnehmung Gegebene nach Gründen und Folgen zu verknüpfen seit (Phil. Studien X. S. 109/110. Vgl. auch S. 27 sowie System d. Phil. 2. Aufl. S. 280). Dasselbe Zugeständnis enthält der schon einmal citierte Satz Biehls: »In der Empfindung, die nicht bloße Heceptivität ist, sondern Reaktion gegen den empfangenen Reiz, haben wir den Typus aller Wechselwirkung auch in der nicht empfindenden Natur vor uns.c »ÄÜ cattsatton ts volittoncU*, nämlich ^derived from that knoten mode of existenee which ahne givea tu the notton of eausality at cUU^ erklärt Romanos (Thoughts on Religion, citirt bei Lindsay, Kecent Advances in Theistic Philosophy, Edinb. u. London 1897, S. 164/165) und ebenso macht La dd den psychologischen Ursprung des Eausalitätsbegriffs wiederholt geltend. Phil, of Mind 8. 218—225, 228, 230; Psychology, Descriptive aud ExpUnatory, New York 1894, S. 215, 472 f., 501 507. Daß die psychophysische Kausalität das Urbild aller Kausalität sei, ist Jerusalems in s. Eiol. i. d. Phil. (Lpz. 1899) S. 166 (vgl. auch S. 99) ausgesprochene Ansicht. Vgl. endlich auch noch Stumpf (Eh:- öffnuDgsrede S. 7) und Erhardt (die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele S. 162), Dilthey, Einl. i. d. Geisteswissenschaften, Vorrede 8. XYIU und mein Buch: Philosophie und Erkenntnistheorie S. 209.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Farallelismiis. 193

dem auf Yersuche stoßen, im Namen des Eausalitätsprinzips gegen die psychophysische Kausalität Einspruch zu erheben, wir von vorn- herein gewiß sein können, daß nicht das allgemeine Eausalitäts- prinzip als solches, sondern spezielle, mit demselben von den Be- treffenden verknüpfte hypothetische Zutaten die eigentliche und tat- sächliche Grundlage solches Einspruchs bilden. Ton diesen Neben- gedanken wird dann behauptet, daß sie im Prinzip der Kausalität implicite enthalten, die logische Konsequenz desselben seien. So behauptet Münsterberg in den »Experimentellen Beiträgen zur Psychologie,«^) daß das Kausalitätsprinzip den Grundsatz fordere und einschließe, daß jede physische Erscheinung eine physische Ursache, jede psychische Erscheinung eine psychische Ursache hat Hier ist also das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität einer- seits und das der geschlossenen psychischen Kausalität andererseits bereits in das Kausalitätsprinzip selbst mit aufgenommen und das so geformte und spezialisierte Kausalitätsprinzip wird nun als Instanz gegen die Möglichkeit psychophysischer Kausalität geltend gemacht Aus jenen beiden Prinzipien setzt sich aber schließlich das Prinzip des psychophysischen Parallelismus zusammen, und so ist es denn eigentlich das Parallelismusprinzip selbst, das zur Wider- legung der psychophysischen Kausalität und der sie voraussetzenden Wechselwirkungslehre benutzt wird.*) Gibt man Münsterberg alle seine Voraussetzungen zu, so folgt freilich die Unmöglichkeit psycho- physischer Kausalität sofort ex hypothesi; es fragt sich nur, ob sich aus dem Prinzip der Kausalität an und für sich, unbefangen und ohne jede hypothetische Zutat aufgefaßt, die beiden von Münster- berg hinzugefügten Prinzipien wirklich mit Notwendigkeit ergeben. Solange das nicht erwiesen ist, darf man nicht behaupten, daß das Prinzip der Kausalität als solches die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele ausschließe.

Ähnlich liegt die Sache bei Jodl, der ungeachtet seiner oben zitierten, auf S. 61/62 seines Lehrbuches der Psychologie sich findenden Äußerung doch S. 63 desselben Werkes erklärt, daß die Lehre von der Wechselwirkung dem Prinzip der Kausalität ins Ge- sicht schlage. Auch hier erklärt sich diese Stellungnahme aus dem

1) I, S. 13, Freiburg 1889.

2) Vgl. Sigw., Logik II. 2. Aufl. S.571. »die unmittelbare Wahrnehmung . . . zeigt einen Zusammenhang von Willensimpuls und Bewegung, den nur eine in be- stimmten Hypothesen schon befangene Auffassung sich weigern kann, als ein wirk- liches Kausal Verhältnis anzusehen.«

Basse, Geist nnd EOrper, Seele und Leib. 13

194 Erster Abedmitt Der psyohophysische ParallaÜsmns.

Umstände, daß ganz spezielle, in dem EaasaUtätsprinzip als solchem noch nicht enthaltene Vorstellungen mit ihm verbunden werden. Denn auf dersdben Seite erfahren wir, daß das Gesetz der Trägheit und das Gesetz der Erhaltung der Energie als der konsequenteste und präziseste Ausdruck des Eausalitätsprinzips anzusehen sind, wo- mit denn gesagt ist, daß Kausalität eben nur da vorhanden ist, wo physische Ursachen und Äquivalenz von Ursache und Wirkung sich nachweisen lassen. Nur unter dieser Yoraussetzung wird uns denn auch die Behauptung Jodls verständlich, daß die Annahme psychophysischer Kausalität »härtere Anforderungen an unser Denken stellt, als die Aufforderung, bestehende Lücken des neurologischen Zusammenhangs hypothetisch zu ergänzen« (S. 63). Denn an sich stellt die Annahme psychophysischer Wechselwirkung sicher nicht härtere Anforderungen an unser Denken, als der ParalleUsmus, sie entspricht im Gegenteil, wie Stumpf so treffend ausgeführt bat (s. oben), weit besser den Forderungen, Bedürfnissen und der Ökonomie unseres nach einheitlicher Weltanschauung verlangenden Denkens, als der Parallelismus, der die Welt in zwei ganz beziehungslose Hälften teilt und diese dann wieder in unsagbarer Weise identi- fizieren will. Nur so verstehen wir auch, daß Jodl gegen die psychophysische Kausalität den Einwand erhebt, sie sei ein Wunder. An und für sich, ohne das Prinzip der geschlossenen Naturkausalitftt und der Eonstanz der Energie schon vorauszusetzen, ist die psycho- physische Kausalität, wie oben gezeigt, nicht wunderbarer als die physische; ja, wenn psychophysische Kausalität wirklich ein »Wunder« ist, so ist dies Wunder jedenfalls sehr viel kleiner als das Wunder, an das zu glauben uns der Parallelismus zumutet: zwei einander nicht im geringsten beeinflussende, aber immer parallel zueinander verlaufende Welten! Ob nun die Prinzipien der geschlossenen Natur- kausalität und der Erhaltung der Energie uns zwingen, an das Wunder des Parallelismus zu glauben , ist hier noch nicht zu unter- suchen; aus ihnen zu folgern, daß die Wechselwirkungshypothese gegen das Kausalitätsprinzip verstoße, ist man jedenfalls nur dann berechtigt, wenn man nicht nur behauptet, sondern nachweist, daß das Kausalitätsprinzip mit jenen Prinzipien steht und fällt

Wie Jodl, zieht auch Wundt die geschlossene Naturkausalität und das Gesetz der Erhaltung der Energie von vornherein schon in den Kausalitätsbegriff hinein, um dann die unter dieser Yoraus- setzung natürlich selbstverständliche Konsequenz zu ziehen, daß

Drittes Kapitel. Die Kaohteile des Pandlelismtis. 195

psjchophysische Kausalität mit dem Kaasalitätsprinzip unreranbar sei. Man könne ja, meint er (System der Philosophie, 2. Aufl., Leipzig 1897, S. 599), wenn man regelmäßige Beziehung als Motiv für Kausalität gelten lassen wolle, auch die psjchophjsische Kausa- lität neben die physische und die psychische als eine dritte stellen. Allein, fithrt er fort, das gehe nicht an, denn eine berechtigte Be- deutung habe das Kausalitätsprinzip nur noch da, »wo es nicht bloß in der gänzlich inhaltsleeren Forderung besteht, es auf irgend welche regelmäßig miteinander yerbundenen Tatsachen anzuwenden« (S. 600). Die heutige Stellung dieses Prinzips sei vielmehr die, »daß es überall in einer Reihe genau formulierbarer und in ihrer Yerbindung den formalen Charakter der Ereignisse genau darstellender Prinzipien seinen Ausdruck finden muß. In diesem Sinne ist das Prinzip der Natur- kausalität in den mechanischen Prinzipien und in dem Energieprinzip enthalten« (ebendas). Derselbe Gedanke leitet die Ausführungen Wu n d ts in dem Aufsatze über psychische Kausalität und das Prinzip des psychophysischen Parallelismus in Bd. X der »Philosophischen Studien«. »Insofern nämlich«, lesen wir da z. B. S. 29, »die Transformations- gleichungen (die das Energieprinzip einschließen) überall nur Werte enthalten, die sich auf Naturprozesse beziehen, enthalten sie still- schweigend auch die Voraussetzung, daß man Vorgänge, die nicht zu den NaturprozeBsen gehören, nirgends als Ursachen oder als Wirkungen von Naturvorgängen betrachten dürfe, wenigstens nicht in dem Sinne, daß durch solche etwa nebenhergehende Vorgänge der Verlauf der Naturprozesse selbst ii^endwie alteriert würde.« ^)

Unzweifelhaft: wenn alles physische Geschehen physisch bewirkt sein und physische Wirkungen haben muß und wenn alle Kausal- zusammenhänge sich auf Kraftgleichungen dem Energieprinzip gemäß müssen zurückführen lassen, so schließt dann allerdings der Begriff der Kausalität die psychophysische Kausalität aus. Ebenso un- zweifelhaft aber ist andererseits, daß man im Namen des Kausalitäts- prinzips nur dann die Wechselwirkung von Leib und Seele abiebnen darf, wenn sich der Beweis führen läßt, daß die genannten An- nahmen wirklich notwendig im Kausalitätsbegriff enthalten sind, dieser ohne sie undenkbar ist.

Läßt sich dieser Nachweis führen? Ist er schon geführt worden? Das letztere nun jedenfalls nicht, denn Behauptungen, an denen

1) Vgl. 8.9, vgl. auch Logik ü. 2. Aufl. S. 328. Vgl. zu Wundts Stellung Mohilewer, a. a. 0. 8. 52f.

13*

196 Snter Absohnitt. Der psychophysische Parallelisrntis.

es freilich nicht fehlt, sind ja schließlich noch keine Beweise. Ich meine aber auch, daß er sich der Natur der Sache nach gamicht führen läßt. Das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität und das Prinzip der Erhaltung der Energie treten als allgemeine, das kausale Geschehen in der Natur vielleicht ausnahmslos charakterisierende nähere Bestimmungen des Kausalitätsprinzips zu diesem hinzu, aber sie lassen sich nicht als notwendig und ausnahmslos zu ihm gehörige Merkmale aus ihm ableiten. Ob die Naturwissenschaft mit einem nicht das Energieprinzip und die physische Immanenz einschließenden Eausalitätsprinzip auf ihrem Gebiete viel anfangen kann, ist eine Frage für sich, von deren Entscheidung die Möglichkeit eines diese Merkmale nicht einschließenden Eausalitätsbegriffes aber nicht ab- hängig gemacht werden darf: schließlich sind doch die besonderen Bedürfnisse der Naturwissenschaft nicht allein maßgebend für die Formulierung und Inhaltsbestimmung unserer wissenschaftlichen Be- griffe überhaupt!

Wirft man die Frage auf, welche Gedanken notwendig im Eau- salitätsbegriff enthalten sind oder welche die konstituierenden Merk- male desselben bilden, so darf man vemünftigerweise nicht bei dem allgemeinen Eausalitätsprinzip: alles was geschieht, muß eine Ursache haben, stehen bleiben. Daß dieses die psychophysische Kausalität nicht ausschließt, dürfte ja wohl von niemandem geleugnet werden. Aber mit ihm können wir um seiner Allgemeinheit und Unbestimmt- heit willen auch nichts Rechtes anfangen, überall strebt unsere Er- kenntnis dahin, bestimmte Eausalzusammenhänge festzustellen, zu sagen, welches Geschehen im einzelnen Ursache welches anderen Geschehens ist. Daß diese bestimmten Kausalzusammenhänge nicht a priori konstruiert werden, sondern auf dem Wege der Erfahrung und Beobachtung allein gefunden werden können, dürfte gegenwärtig auch kaum noch jemand bestreiten wollen. Und ebenso dürfte die Behauptung wohl kaum auf Widerspruch stoßen, daß unsere Gewiß- heit, in einem bestimmten zeitlichen Zusammenhang einen wirklichen Kausalzusammenhang vor uns zu haben, in dem Maße wächst, als der Zusammenhang sich in unserer Erfahrung als ein regelmäßiger und gesetzmäßiger zu erkennen gibt Von hier aus wird der Stand- punkt verständlich, in der Kausalität überhaupt nichts weiter als einen Ausdruck für den empirisch konstatierbaren regelmäßigen und gesetzmäßigen Zusammenhang der Erscheinungen zu sehen. Stellen wir uns auf diesen Standpunkt, so liegt nun freilich, meine ich, nicht der geringste Grund vor, diesen Kausalitätsbegriff gegen die

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 197

Annahme psyohophysischer Wechselwirkung geltend zu machen.^) Daß regelmäßige Abhängigkeitsheziehungen zwischen physischen und psychischen Yorgängen bestehen, ist ja gerade die dem Paralle- lismus und der Wechsel Wirkungshypothese gemeinsame, durch Tat- sachen belegbare Yoraussetzung.^) Mit vollem Becht bemerkt daher

1) Ygl. Sigwart Logik n 2. Aufl. S. 141/142, Ladd, Phil, of Mind, S.210. Wentscher, Ethik 8.297, 303, 304.

2) Die (MilUohe) Tendenz, in dem Kaasalitätsbegriff niohts weiter zu sehen als die Gesetzlichkeit, den regelmäßigen Zusammenhang selbst, macht sich in naturwissen- schaftlichen Kreisen vielleicht stärker und lebhafter bemerkbar als sonst. Vgl. Helm- holtz, Wissenschaftl. Abhandlungen I,13u. 68,Petzold, Das Gesetz der Eindeutig- keit, Vierte^jahrsohr. f. Wissenschaft!. Phil. XIX, 8. 257. Mach erklärt die Eiiusalität, sofern sie mehr als bloße Gesetzmäßigkeit bezeichnen will, fiir Fetischisirius (Prin- zipien der Wärmelehre, vgl. auch d. Prinz, d. Vergleich, i. d. Physik, Lpz. 1894, 8. 12), und ebenso lehnt Volk mann (Erkenntnisth. Grundzüge der Natui'wissen- schalten Lpz. 1896, besonders S. 155, Einl. i. d. theor. Physik 8. 39) die Kausalitäts- idee grundsätzlich ab. (Die obigen Zitate zum Teil nach Voß, die Prinzipien der rationellen Mechanik in d. Encyklopädie der mathem. Wissenschaften lY^ Heft 1, Leipz. 1901, 8. 13.) 8tellt man sich auf diesen Standpunkt, so darf man aber nicht mit '^olkmann den empirisch feststellbaren gesetzmäßigen Zusammen- hang in der Natur für notwendig erklären und aus der Naturnotwendigkeit die Denknotwendigkeit ableiten wollen. Haben wir kein Recht, von Kausalität im Sinne eines ursächlichen Bewirkens auf dem Gebiete der Natur zu reden, so haben wir noch weniger ein Recht, von einer Notwendigkeit des Naturgeechehens zu sprechen. Dazu wären wir nur dann berechtigt, wenn wir den Zusammen- hang von 9 Ursache« und »Wirkung« in analytischen Urteilen nach dem Prinzip der Identität konstruieren könnten. Davon kann aber wie oben gegen Münster- berg dargetan keine Rede sein. Auch ist das gamicht Volkmanns Ansicht, der Naturnotwendigkeit und Denknotwendigkeit sehr wohl unterscheidet. »Die Mathe- matik hat zur Voraussetzung, daß es Denknotwendigkeiten, also logische Gesetze, in uns gibt; die Physik hat zur Voraussetzung, daß es Naturnotwendigkeiten, also Naturgesetze, außer uns gibt.« (Erkenntnistheoret Grundzüge der Naturwissen- schaften, 8. 56. Vgl. 8. 57, 61, 64.) Die Naturgesetze sind ihm empirische, auf empirischem Wege gefundene Formeln. »Wenn wir auf empirischem Wege zu Gesetzen fortschreiten, dürfen die Gesetze auch weiter nichts beanspruchen, als eine Wiedergabe des empirischen Materials in komprimierter Form zu sein, gültig in den Grenzen, in denen sich die Beobachtimg bewegt« (ebend. 8. 163). Damit kann ich mich ganz einverstanden erklären, wie ich auch weiter nichts gegen die Behauptung einzuwenden finde , daß ein durch die Erfahrung ausnahmslos verifiziertes Naturgesetz Allgemeingültigkeit in Anspruch nehmen darf (8. 59), indem eine über- große Wahrscheinlichkeit sich schließlich für uns in praktischer Hinsicht, wie ich hinzufügen möchte von der Wahrheit —soll heißen: Gewißheit in nichts unterscheidet (8.60). Aber ich muß Volk mann (und ebenso Schuppe, Der Zu- sammenhang von Leib und Seele 8. 12, 14, 22) widersprechen, wenn er 8. 155 nun das gesetzmäßige und regelmäßige Naturgeschehen zugleich für ein not- wendiges erklärt, »nicht in dem Sinne, daß wir die Gründe dafür angeben können

198 Enter Absohnitt Der psychophyasche Paralielismiis.

Rickert:^) »Wenn es sich beim Wirken nur um wiederholte Suo- cession handelte, wäre die psycbophysische Kausalität überhaupt kein Problem.«*)

oder anzugeben hätten, sondern weil sich uns dasselbe als ein ausnahmsloses auf- gedrängt hat«. Auch die allergrößeste Allgemeingültigkeit, erwidere ich, bedeutet noch keine Notwendigkeit; ein Naturgesetz kann von An£ang der Welt bis zum Ende aller Dinge gelten, ohne deshalb notwendig zu sein. Notwendigkeit be- deutet eingesehene Notwendigkeit und diese wieder logische Denknotwendigkeit Eine andere als logische Notwendigkeit kenne ich nicht, eine nichtlogische Not- wendigkeit ist ftir mich vielmehr als die von Volkmann perhorrescierte Kausalität ein bloBes'Wort ohne angebbaren Sinn. Ganz unmöglich ist hiemach, daß die Logik ihren Ursprung in dem gesetzmäßigen Geschehen der Dinge auBer uns haben und dieses erst die Notwendigkeit in das Denken hineingebracht haben solle, und wenn Volk mann diese Ansicht S. 173 (vgl. den Aufsatz: Über die Existenz, Eindeutigkeit und Vieldeutigkeit der Probleme usw. in Ostwalds Annalen der Naturphilosophie I. 8. 113] als den Kernpunkt seiner erkenntnistheore- tisohen Studien auf naturwissenschaftlichem Boden bezeichnet, so bleibt mir nur übrig, zu konstatieren, daß ich mich in dieser Beziehung in einem grundsätzlichen Gegensatz zu meinem geschätzten Kollegen befinde. Es ist nach metner Über- zeugung ganz unmöglich, daß das Naturgeschehen, selbst wenn es ein wirklich logisch notwendiges wäre, in irgend einem Bewußtsein oder Denken die Denk- notwendigkeit selbst erst bewirke. Was in dieser Weise bewirkt würde , wäre gar keine Denknotweudigkeit, sondern bestenfalls psycnologische Notwendigkeit des Denkens: Volkmann verwechselt, wie so viele, logische und psychologische Notwendigkeit. Die äußeren Vorgänge können immer nur die Veranlassung for das Denken sein, den Gedanken der Notwendigkeit anzuwenden; diesen selbst aber muB es immer aus sich selbst schöpfen und kann ihn nur aus sich selbst schöpfen, weil wahre Notwendigkeit immer Denknotwendigkeit ist. Diese aus den Tatsachen herauspressen zu wollen ist nach Sigwarts treffendem Ausdruck (Logik II 6.421) »Bookmelkerei«. Ich habe mich hierüber an anderer Stelle schon ausführlicher ausgesprochen und verweise auf die Ausführungen in meiner Schrift: Philosophie u. Erkenntnistheorie, Lpz. 1894, S.54— 63, 130>-134, 192—211 und die Anm. 1 dazu. Übrigens begeht auch Ostwald denselben Fehler wie Yolkmann. Ygl. Vorlesungen über Naturphilosophie, Lpz. 1902, 8.305, 308 311.

1) Psychophys. Kaus. und psychophys. Parall. in: Phil. Abhandlungen, Chr. Sigwart gewidmet, Tübingen 1900, S. 63; vgl. auch S. 81.

2) Auch Wundt will in der Kausalität nur die als notwendig gedachte Verbindung bestimmter Ereignisse sehen (System d. Phil. 2. Aufl. 8. 234). Seine Ab- lehnung der psyohophysisohen Kausalität beruht auf seiner Identifizierung des Sjiusa- litiltsbegrifEB mit dem Begriff der Kraftgleichung. Freilich kann man sagen: gesetz- mäßige Verknüpfung ist noch keine Kausalität, es gehört noch das Merkmal der Succession hinzu (s. König, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Kr. Bd. 119 S. 33). Allein ein- mal ist es strittig, ob die Ursache der Wirkung voraufgeht oder mit ihr gleich- zeitig ist. Manche sind der Ansicht, daß das letztere der Fall ist, da, wenn alle Bedingungen, von denen die Wirkung abhängig ist, vollständig gegeben sind, die >X7rsache« also sozusagen komplett ist, die Wirkung auch a tempo eintritt. Würde «e dann auch nur ein Differential eines Zeitmomentes auf sich warten lassen, so

Drittes Kapitel. Die Nachteile des ParalieUsmus. 199

Nun kann aber freilich der Philosoph bei diesem EausaUtäts- begriff, der ein locus a non lucendo ist, nicht stehen bleiben^ und anch die Naturwissenschaft tut, wenn sie keinen anderen Kausalitäts- begri£f glaubt zulassen zu können, besser, mit Yolkmann^) den Begriff der Kausalität für das Naturgeschehen überhaupt abzulehnen, als ihn in einer Weise zu formulieren, die ihn seines eigentlichen Charakters völlig entkleidet Mag aber auch eine wissenschaftliche Bearbeitung der Naturvorgänge im Sinne einer Beschreibung und Berechnung derselben ohne Kausalitätsbegriff resp. mit dem seiner eigentlichen Bedeutung völlig entkleideten und auf bloße gesetz- mäßige Succession reduzierten Kausalitätsbegriff durchaus möglich sein: die philosophische Interpretation des Kausalitätsbegriffs kann sich mit einem derartig kahlen Begriff nicht begnügen. Sie verbindet mit dem Begriff Kausalität den des Wirkens, der Kraft, des Tätig« seins, des sich Abarbeitens. Daß der Kausalitätsbegriff, so gefaßt, nicht einfach aus der Erfahrung der Begelmäßigkeit des Naturge- schehens selbst hervorgehen kann , dürfte heute auch so ziemlich an« erkannt sein. Der regelmäßige Zusiunmenhang der Dinge ist nur die Veranlassung, ihn anzuwenden, den Begriff selbst liefern die Dinge nicht, sondern wir entnehmen ihn aus unserem eigenen Bewußtsein. Ihn aber, also die Vorstellung des Wirkens, der Kraft, legen wir in die Dinge hinein, wenn wir ihnen Kausalität zuschreiben, und nur wenn wir diese Vorstellung in sie hineinlegen, können und dürfen wir von einer Kausalität in der Welt der Dinge reden; bloße Succession ist eben noch keine Kausalität. »Die bloße Succession von Vorgängen», sagt Sigwart mit Recht (Logik 11 2. Aufl. S. 133), »erschöpft den Sinn, den mir mit »Wirken« verbinden, nicht, son-* dem muß durch den Oedanken ergänzt werden, daß das Tun eines Dinges (der Ursache) in das andere übergreife und eine Veränderung desselben, die es von selbst nicht erfahren hätte, hervorbringe.«

Auch in dem so gefaßten Kausalitätsbegriff liegt natürlich an sich gar kein Hindernis, ihn auf das Verhältnis des Physischen zum Psychischen auszudehnen: erst die Hinzufügung des Prinzips der

würde sie überhaupt ausbleiben und die angebliche Ursache eben nidit die wirk- liche Ursache sein. Hiernach würde also nur die Herstellung der Ursache der Wir- kung Torangehen, nicht sie selbst. Und dann, um yon diesen strittigen Fragen ganz abzusehen: soweit wir überhaupt eine gesetzmäßige Abhängigkeit körperlicher und geistiger Vorgänge direkt beobachten können, ist auch immer Succession gegeben. Die Empfindung folgt auf die Reizung des Organs und die Erregung der Nerven, die Oliederbewegung auf das Wollen usw.

1) Erkenntnisth. Grundz. d. Natorw. S. 155,

200 Erster Absohnitt. Der pBychophysische Parallelismofl.

geschlossenen Naturkaasalität und des Prinzips der Erhaltung der Energie macht ja, wie oben gezeigt, die psjchophysische Kausalität unmöglich. Führt nun der Begriff der Kausalität, wenn er ein Wirken und Bewirken einschließt, notwendig und unausweichlich zur geschlossenen physischen Kausalität und dem Prinzip der Erhaltung der Energie, damit aber zugleich zur AusschlieBung phychophysischer Kausalität?

Daß es mit dem erstgenannten Prinzip sich nicht so verhält, liegt auf der Hand. Im Begriff der Kausalität als eines Wirkens und Bewirkens liegt an sich nichts, aber auch schlechterdings gamichts, das uns nötigte, mit ihm zugleich den Oedanken zu verbinden^ daß alle physischen Vorgänge physische Ursachen haben müssen und nur physische Wirkungen haben können. Welche anderen Gründe auch für eine solche Annahme sprechen mögen: aus dem Kausalitätsprinzip als solchem kann man sie nicht entnehmen. Kausalität und physische Kausalität sind keine identischen Begriffe. Das bestätigen die Ver- fechter des Prinzips des lückenlosen physischen Kausalzusammen- hangs selbst. Eine psychische Kausalität nimmt ja auch Wundt an. Wäre aber alle Kausalität physische Kausalität, fielen diese beiden Begriffe zusammen, so könnte es auch eine psychische Kausalität nicht geben. Umgekehrt: ist diese möglich, so fallt eben die Kau- salität überhaupt nicht mit der physischen Kausalität zusammen, so liegt kein Grund mehr vor, die psychophysische Kausalität als gegen das Kausalitätsprinzip verstoßend abzulehnen.^)

Ebensowenig wie das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität läßt sich aber auch das der Erhaltung der Energie, auf das man jenes wieder hat stützen wollen, aus dem Kausalitätsprinzip logisch ableiten und als einzig zulässiger Ausdruck desselben demonstrieren. Was es auch immer mit diesem Prinzip für eine Bewandtnis haben möge, eine logisch notwendige Folge des Kausalitätsprinzips ist es jedenfalls nicht, und alle hierauf sich stützenden Versuche, im Namen des richtig verstandenen Kausalitätsbegriffes die Annahme einer psycho- physischen Kausalität zurückzuweisen, sind vergeblich.

1) Die Identifikation des Prinzips der geschlossenen Katarkausalitat liegt auch Königs Ablehnung der psychophysischen Kausalität (Zeitschr. f. Phil. a. phil. Kr. Bd. 115 S. 181f., Bd. 119 S. 23 f.) zu Grunde. Dasselbe ist der Fall bei Bütschli, Mech. u. Vital. S. 91, und bei Ostwald, Vories. üb. Katurph. 8. 296. Freilich läßt 0. die Identität von Kausalität und Eneiigieprinzip wiederum Yorsichtigerweise »zunächst« nur »für alles physische Geschehen« gelten. Anders lautet seine Formulierung S. 302.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des ParaUelismas. 201

Auf den ersten Blick freilich könnte es scheinen, als wäre das Energiegesetz im Eausalitätsprinzip selbst bereits enthalten, denn »es folgt aas dem Begriffe des Wirkens von selbst, daß die Größe der bewirkten Veränderung das Maß für das Wirken der Ursache gibt, denn dieses Wirken besteht ja eben in dem Hervorbringen der Ver- änderung«.^) Es ist in der Tat selbstverständlich und folgt aus dem Begriff des Wirkens, daß der Effekt das Maß des Wirkens ist, daß der wirklich eingetretene Effekt die tatsächliche Wirksamkeit der Ur- sache mißt Nur am Effekt erkennen wir, daß überhaupt ein Wirken stattgefunden hat, ein effektloses Wirken ist kein Wirken. Und nur am Effekt erkennen wir ferner, wie groß die Wirksamkeit war, die ihn herbeiführte. Je größer der Effekt, um so größer auch die Wirk- samkeit der Ursache. Allein so richtig das ist, so wenig bedeutet es andererseits. Oanz abgesehen davon, daß die Natur der wirken- den Ursache hierbei vollständig unbestimmt bleibt, wird auch über die Größe der den Effekt bewirkenden Ursache im Grunde nichts ausgesagt. Denn das Urteil: Der Effekt ist das Maß des Wirkens, besagt an sich nichts weiter, als daß und das ist eben selbst- verständlich — die Wirkungsfähigkeit der Ursache offenbar so groß war, daß sie diesen Effekt hervorbringen konnte. Wäre sie nicht so groß gewesen, so hätte, sie ihn eben nicht hervorgebracht Wie groß aber diese Wirkungsfähigkeit an sich ist, ist damit noch garnicht gesagt Und so lange wir weder den Vorgang (oder die Vorgänge), den wir als Ursache bezeichnen, noch den, welchen wir die Wirkung nennen, genau bestimmen, d. h. in Maßeinheiten ausdrücken können, bringt uns der Satz: der Effekt ist das Maß des Wirkens, keinen Schritt weiter, wird die Unbestimmtheit hinsichtlich des Größen Ver- hältnisses von Ursache und Wirkung durch ihn in keiner Weise be- hoben. Es könnte sein, daß die bewirkende Ursache dieses Wort im weitesten Sinne genommen an sich sehr viel weniger »Energie« darstellt, als die Wirkung enthält: trotzdem würden wir berechtigt sein, den Effekt als das Maß des Wirkens der Ursache zu betrachten. Wir würden dann eben sagen: eine Energie von x (< y) ist er- forderlich, um eine Wirkung, die eine Energie y (> x) repräsentiert, hervorzubringen; y^ obwohl größer als 2:, ist in diesem Sinne doch das Maß von x, dieses hat eine Wirkungsfahigkeit y. Und das brauchte sich auch nicht zu ändern, wenn wir es nun ermöglichen, den bewirkenden und den bewirkten Vorgang zu messen und auf einerlei

1) Sigwart, Logik ü. 2. Aufl. S. 192, vgl. S. 134, 137. Vgl. auch Lotze, Metaphysik 1879, S 410.

202 Erster Abeobnitt. Der psychophysische Parallelisiniis.

Maßeinheit zu reduzieren, und wenn wir femer den Gedanken hinzu- fügen, daß eine Ausgabe von Kraft, ein Kraftaufwand erforderlich ist, um eine Wirkung, die ihrerseits wirkungsfahig ist, zu erzielen. Mehr wie dieses: daß überall da, wo wir einen wirkungsfähigen Effekt auftreten sehen, ein Aufwand von Kraft erforderlich war, um ihn hervorzubringen , und daß dieser Kraftaufwand eben so groß gewesen sein muß, wie nötig war, um diesen Effekt hervorzubringen, daß also in diesem Sinne der Effekt das Maß des Wirkens der Ursache ist, läßt sich aus dem Kausalitätsbegriff schlechterdings nicht heraus- holen. Wenn wir nun unter bestimmten Umständen empirisch kon- statieren können, daß ebensoviel Energie, wie seitens des verur- sachenden Dinges oder Vorganges verbraucht ward, um den Effekt zu erzielen, der Effekt selbst repräsentiert, indem er fähig ist, die mechanische Arbeit, welche zu seiner Erzeugung geleistet werden mußte, genau in demselben Betrage wiederzuerstatten, so fügen wir auf Orund unserer Beobachtung diese Eigentümlichkeit zu unserem Kau- salitätsprinzip hinzu, ohne in demselben einen Erklärungsgrund für dies tatsächliche Verhalten zu besitzen, ohne also das letztere als eine notwendige Folge des Kausalitätsprinzips zu begreifen.^) Daß das Gesetz der Erhaltung der Energie ein empirisches, auf empirischen Wegen gefundenes und durch Induktion verallgemeinertes Prinzip bedeutet, ist doch nicht zweifelhaft: also ist der Begriff der Kausalität nicht mit dem Energieprinzip identisch. An dieser Stelle haben wir nun weder die Frage, ob das Prinzip der Erhaltung der Enei^e ausnahmslose Gültigkeit beanspruchen kann, noch die andere zu er- örtern, ob das Prinzip der Erhaltung der Energie, wenn es aus- nahmslose Gültigkeit besitzt, jede Wechselwirkung zwischen Physi- schem und Psychischem unmöglich macht Ist das der Fall, so ist es jedenfalls nicht das Kausalitätsprinzip, nicht die Forderung, daß jeder Kausalzusammenhang eo ipso die Form einer Kausalgleichung haben müsse, welche solche Wechselwirkung ausschließt; vielmehr ver- bietet alsdann eine besondere mit dem Kausalitätsprinzip als solchem

1) Vgl. Rehmke, Psychologie S. 112. Ebensowenig läßt sich, wie bei- läufig bemerkt werden mag, aus dem Begriff der Kausalität ableiten, dafi alle Kausalität als aktuelle Kausalität aufgefaßt werden müsse. Für die Frage, ob eine WeohselwirkuDg zwischen Leib und Seele anzunehmen sei oder nioht, ist os übrigens gleichgültig, ob man mit Wundt den aktuellen oder mit 8 ig wart den substanziellen Kausalitätsbegriff zu Grunde legt (vgl. Hartmann, Mod. Psych. S. 367, 369, 411). Philosophisch, meine ich, können wir die Kausalität letzten Endes nicht gut yon den Dingen trennen: deren Yerhalten ist die Ursache der ent- 3tehenden Wirkung.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Paiallelisnnis. 203

keineswegs Dotwendig verknüpfte, mit allem phjsischen Oesohehen aber tatsächlich ausnahmslos yerbundene Begleiterscheinung, was an sich und nach dem Eausalitätsprinzip sehr wohl möglich wäre.

Wie bei dem Prinzip der geschlossenen Naturkausalität, so werden wir auch hier sagen: wäre der Eausalitätsbegriff mit dem Energieprinzip untrennbar verknüpft, dürften wir von Kausalität nur da sprechen, wo wir den Kausalzusammenhang in Form einer Kraft- gleichung darstellen können, so müßten wir mit der psjchophysischen auch die psychische Kausalität ablehnen, so würden die Becht behalten, welche in den psychischen Vorgängen bestenfalls nur die physischen Vor- gänge begleitende Epiphänomene erblicken, alles Wirken und alle Kausa- lität aber einzig allein in die physische Seite hineinlegen.^) Die» Schatten- theorie « und der Materialismus wären die einzigen Annahmen, die mit dieser Fassung des Kausalitätsbegriffs vereinbar wären.') Wer aber mit Wundt an der psychischen Kausalität durchaus und mit Becht, ist sie doch das Vorbild aller Kausalität überhaupt festhält, hat kein Becht mehr, im Namen des Kausalitätsbegriffis gegen die psycho- physische Kausalität Front zu machen. Tut man das dennoch, so legt man eben dem Worte Kausalität einen anderen und zwar spezielleren Sinn bei, als sonst üblich ist, versteht also unter ihm etwas anderes, behält aber das Wort bei und verbietet daher seine Anwendung auf Fälle, die sich mit denen, die man selbst im Auge hat, nicht decken. Man täte besser, für den neuen Spezialbegriff, den man so einführt, auch ein neues Wort zu wählen, alsdann würde die Sachlage sehr viel klarer und die Streitfrage bald geschlichtet sein denn in der Tat bedeutet der Streit, ob das Kausalitätsprinzip die peychophysisohe Wechselwirkung fordert, zuläßt oder verbietet, im Grande nicht viel mehr als einen Streit um Worte. Mit Becht weist Paulsen') darauf hin, daß wenn Dubois-Beymond sagt, die neben den materiellen Vorgängen im Gehirn einhergehenden geistigen Vorgänge entbehrten für unseren Verstand des zureichenden Grundes:

1) Vgl. Bickert, Sigwart-Festsohrift S.83: »Sollte der Begriff der Kausalität nor dort zidftssig sein, wo ein Zasammenhang sich im Prinzip durch eine Kausal- gleiohang ausdrucken läßt, so würde dies bedeuten, daß der Begriff des Wirkens auf eine andere als eine in rein quantitativ bestimmten Begriffen darstellbare Welt überhaupt nicht angewendet werden kann.c Vgl. auch Mobile wer a. a. 0. S. 62.

2) Rickert a. a. 0. S. 84 nennt nur den Materialismus. Die Schattentheorie muß aber auch genannt werden, wenngleich zuzugeben ist, daß sie wenig mehr als einen verkappten Materialismus bedeutet (vgl. oben).

3) Einl. S. 83 Anm.

204 Erster Abschnitt. Der psyohophysische Parallelismos.

»sie stehen außerhalb des Kausalgesetzes«:, er damit meine: »außer- halb des mechanischen Kausalzusammenhanges«, als auf welchen allein der Laplacesche Geist eingeübt ist. Er unterscheidet also auch den mechanischen Kausalzusammenhang als eine besondere Form der Kausalität von dem Kausalitätsprinzip überhaupt und tadelt Dubois- Reymond darob, beide nicht auseinandergehalten zu haben. Ähn- lich liegt die Sache hier. Daß die Form der Kausalität, welche den intraphysischen Kausalzusammenhang beherrscht und welche das Prinzip der Erhaltung der Energie in sich schließt, auf das Yerhält- nis von Leib und Seele nicht anwendbar ist, bedeutet nicht, daß das Kausalitätsprinzip überhaupt nicht auf dieses Yerhältnis anwendbar ist Jenes können auch solche zugeben, welche an der psychophysischen Kausalität durchaus festhalten. In diesem Sinne äußert Sigwart, daß man zwar die Empfindung nicht wie sonst in der Natur die Wirkung als Maß der wirkenden Ursache betrachten und durch »ein exaktes Kausalgesetz mit jedem Betrag einer Nervenerregung den korrespondierenden Betrag des geistigen Geschehens verknüpfen könne«, daß aber dieser Mangel nicht im stände sei, die Überzeugung zu erschüttern, »daß im gewöhnlichen Sinne die Empfindungen als Effekte der Einwirkung äußerer Beize zu betrachten sind«. ^) Physische (d.h. eine physische Ursache mit physischer Wirkung verknüpfende) Kau- salität, psychische (d. h. eine psychische Ursache mit psychischer Wirkung verknüpfende) Kausalität und physiopsychische resp. psychophysische Kausalität sind drei verschiedene, nach den Objekten, welche durch sie verknüpft werden, zu unterscheidende Arten des Kausali- tätsbegrifb überhaupt. Daß der Begriff der physischen Kausalität nicht auf das Yerhältnis von Leib und Seele anwendbar ist, versteht sich von selbst: hier haben wir eben physiopsychische und psycho- physische Kausalität Die physische, mit dem Energieprinzip ver- knüpfte Kausalität für die einzig mögliche zu erklären und deshalb die psychophysische Kausalität abzulehnen ist aber ein ganz willkür- liches Verfahren, ein Verfahren, dessen Willkür vielleicht am besten durch den Umstand illustriert wird, daß Naturforscher wie Volkmann umgekehrt den Begriff der Kausalität gerade für das Naturgeschehen ablehnen und ihn nur für das Gebiet menschlicher Handlungen gelten lassen wollen.') Auf das Wort »Kausalität« kommt es ja schließlich

1) LogUc n. 2. Aufl. S. 524, 533.

2) a. a. 0. S. 155. Gegen die Identifizierung yon Kansalitftt und Energie- prinzip erklären sieh femer Outberiet, Der Kampf tun die Seele 8. 153, E. y. Hart- man n, Die psychophysische Kausalität, Zeitschr. f. Fh. u. ph. Kr. Bd. 121, 8.15/16,

Drittes Eapitel. Die Kachteile des Parallelismas. 205

nicht unbedingt an. Will man also Kausalität nur den Zusammen- hang nennen, der zugleich Energie-Äquivalenz zeigt gut! so sagen wir: zwischen Leib und Seele findet kein Verhältnis der Kausalität, wohl aber eines der Wechselwirkung statt! Besser aber ist es, mit der Sache auch den Namen beizubehalten.

Unzutreffend ist sodann der weitere Grund ^ den Wundt fOr die Ablehnung psychophysischer Kausalität anführt: sie bedeute, da man bei ihr dem Kausalitätsverhältnis nicht die Form einer Kraftgleichung geben könne, einen wissenschaftlich völlig wertlosen Begriff.^) Denn dieser Behauptung liegt wieder die ganz unzulässige petitio principii zu Grunde, daß alle »wissenschaftliche« Erklärung sich in den Formen andYorstellungen der mechanistischen Naturerklärung bewegen müsse. Ohne diese Voraussetzung ist es nicht recht begreiflich, warum die Annahme einer Kausalität in Fällen, die eine Kausalgleichung nicht zulassen, wissenschaftlich ganz wertlos sein und deshalb fallen ge- lassen werden müsse. Wgllte Wundt diesen Standpunkt konsequent festhalten, so müßte er nicht nur ungeachtet alles dessen, was er S. 600 seines Systems d. Phil, zu Gunsten derselben anführt die psychische Kausalität leugen, sondern auch behaupten, daß auf dem ganzen weiten Gebiete des Naturgeschehens, auf dem es bisher noch nicht gelungen ist, Kxaftgleichungen aufzustellen, vor der Hand Yon Kausalität überhaupt nicht geredet werden dürfe, da der Kau- salitätsbegriff ja hier wissenschaftlich wertlos ist!^) Man darf auch nicht entgegnen, daß wir überall da, wo wir Kausalitätsverhältnisse annehmen, ohne Kraftgleichungen aufstellen zu können, solches in der Voraussetzung tun, daß sie tatsächlich sich aufstellen lassen und später auch von uns werden aufgestellt werden. Ob das der Fall sein wird, kann wenigstens bezweifelt werden, daß Kausalität das ganze Gebiet des Naturerkennens beherrscht, kann dagegen trotz Stuart Mill nicht bezweifelt werden. Gegen die Behauptung, daß die Annahme von Kausalbeziehungen ohne gleichzeitige Annahme von Kausal- gleichungen wissenschaftlich völlig wertlos sei, protestiert denn auch sozusagen die ganze Geschichte der Naturwissenschaft, die doch mit dem Kausalitätsbegriff erfolgreich operiert hat, ehe Mayer das

Reinke, Einl. in die theor. Biologie, Berlin 1901, S. 558. Nach Sp aal ding a.a.O. 8.89 decken sich das allgemeine Kaosalitätsprinzip und das Energiepiinzip nur teil- weise, nach Heinrich (Zar Prinzipienfrage der Psychologie, Zürich 1899) sind physische Kausalität und £uergieprinzip nicht ganz identisch.

1) System d. Phil. 2. Aufl. S. 600.

2) Vgl. Mohilewer a.a.O. S.61.

206 Erste Absolmitt Der psjohophysisohB PftiaUfilianu.

Esergiegeeetz formulierte und damit zunächst bei so ziemlich der gesamten wissenschaftlichen Welt auf Ablehnung stieß. Es »sind doch auch im Gebiet der Naturwissenschaft eine Menge von Kausal- zusammenhängen als unzweifelhaft bestehend angenommen und als induktiv bewiesen betrachtet] worden, ehe man die Äquivalentzahlen kannte; da£ Reibung erwärmt, und daß Wärme durch die Expansion des von ihr erzeugten Wasserdampfes Bewegung hervorbringt, war sicher konstatiert, ehe Mayer und Joule die Äquivalente gefunden hatten, die gestatteten zu berechnen , wie viel von der erzeugten Wärme und Bewegung sich verwandelt, wie viel für den Nutzeffekt der Dampf- maschinen verloren geht Die Formulierung des Kausalgesetzes war unvollkommener, die genauen Grenzen, innerhalb deren es gilt, noch nicht bekannt, daß aber ein Kausalzusammenhang feststehe, und daß mit der mechanischen Kraft der Reibung die Wärme, mit der Wärme die Leistungsfähigkeit der Maschine wachse, war doch unanfechtbar. Ähnlich steht es auf psychophysischem Gebiete.«^)

Man darf also nicht die Annahme psychophysischer Kausalität deshalb verbieten, weil diese Kausalität sich nicht in Form einer Kausalgleichung ausdrücken läßt. Ton der ganzen Behauptung Wundts bleibt nichts übrig, als daß was niemand leugnen wird psychische Vorgänge aus physischen und physische aus psychischen nicht im gleichen Sinne kausal erklärt werden können, in welchem wir physische aus anderen physischen Erscheinungen und psychische aus anderen psychischen Erlebnissen abzuleiten suchen.^) Wenn der Parallelismus, wie Wundt bemerkt, lediglich diese Bedeutung hat, so unterscheidet er sich freilich von der Wechselwirkungstheorie herz- lich wenig: in der Tat steht Wundts Parallelismus ihr näher als er selbst meint und zugibt

Ziehen wir die Summe. In dem Prinzip der Kausalität als solchem liegt schlechterdings gar kein Hindernis, es auch auf das Verhältnis von Leib und Seele anzuwenden. Alle Nebengedanken,

1) Sigwart, Logik ü. 2.Aiifl. S.533. VgLMohilewer a. a. 0. S.60, 61.— Nach Ostwald (vgl. Volkmann a.a. 0. S. 157) hat schon der Entdecker des Energie- priozips, R. Mayer, dasselbe mit dem Eausalitatsphnzip identifiziert (Vorl. üb. Natarpbil. S. 295f. vgl. auch S. 221). Aber wie es scheint, hat er diese Auffassung des EausalitätsbegriSs doch nicht durchweg festgehalten. Wenigstens bemerkt er ich zitiere nach Volk mann, Erkenntnisth. Grundz. d. Naturw. S. 158 in seinem Aufsatz über Auslösung ausdrücklich, daß er in ganz anderem Sinne beider Auslösung auch von Ursache und Wirkung zu sprechen pflege.

2) Wundt, Logik 11. S. 253 (2. Aufl.). Vgl. Mohilewer a. a. 0. S.62, 63.

Drittes EapiteL Die Kachteüe des PtaciUeÜBiiitiB. 207

die man mit dem Kansalitätsprinzip verknüpft hat, müssen für sich besonders und unabhängig vom Eausalitätsprinzip, dürfen aber nicht im Namen des Eausaiitätsprinzips selbst geltend gemacht werden, weil sie nicht notwendig mit ihm zusammenhängen, nicht notwendig aus ihm folgen. Das Eausalitätsprinzip verhindert aber nicht nur nicht die psychophysische Eausalität, es scheint sie vielmehr zu fordern, die Annahme psychophjsischer Eausalität ist die natürliche Eonsequenz des Eausalitätsgedankens wie unseres Verlangens nach wahrhaft einheitlicher Weltanschauung, während ihr gegenüber der psjchophysische Parallelismus als eine künstliche, sowohl dem Eau- salitätsgedanken als auch der natürlichen Tendenz des Denkens nach einheitlicher Weltanschauung wiederstrebende Ansicht erscheint Die Wechselwirkungslehre setzt alles Wirkliche in durchgängige Be- ziehung zueinander und läßt das Eausalitätsprinzip nirgends ab- brechen; sie statuiert einen lückenlosen universellen Weltzusammen- hang. Der psychophjsische Parallelismus dagegen teilt die Welt in zwei beziehungslos nebeneinander herlaufende Welten und sucht das Wunder ihres durchgängigen Parallelgehens durch das noch größere Wunder ihrer heimlichen Identität zu erklären. Um die Geschlossen- heit der physischen Eausalkette zu retten, opfert er den univer- sellen Weltzttsammenhang und schneidet er den Weltkausalzusammen- hang an unzähligen Punkten mitten entzwei. Es müßten, wie Sigwart sagt, schon sehr zwingende Gründe, nämlich unlösbare Widersprüche, in die sich die Theorie der Wechselwirkung verstrickt, sein, die uns nötigen könnten »diese ganze Basis imserer Auffassung der objektiven Welt schließlich doch aufzugeben und nach anderen Richtungen Zusammenhänge zu suchen, die sowohl auf physiologischem als psychologischem Gebiete nur in ganz hypothetischer Weise er- reichbar sind.«^) Ob das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität und das Gesetz der Erhaltung der Energie derartige, dann aber jedenfalls im Eausalitätsprinzip selbst noch nicht enthaltene Gründe darstellen, wird später zu untersuchen sein. Das Eausalitätsprinzip allein kann uns jedenfalls so wenig veranlassen, die Wechselwirkungs- lehre zu Gunsten des psychophysischen Parallelismus aufzugeben, daß es uns vielmehr bestimmen muß, sie anzunehmen. Sofern es allein in Frage kommt, befindet sich die Lehre von der Wechselwirkung entschieden im Yorteil gegenüber dem phychopsysischen Parallelis-

1) Logik n. 2. Aufl. S. 536. Vgl. auch die Ausführungen bei Beiuke, a. a. 0. 8.573/674, 628.

208 Erster Abschnitt. Der psychophysische Panllelismns.

mus. Dieser erscheint als eine der natürlichen Tendenz des Denkens entgegengesetzte künstliche Theorie, und diese KünsÜichkeit bedeutet für ihn zunächst unter allen umständen einen Nachteil.

3. Die Konsequenzen des psychophysischen Parallelismus und ihre

Undurehführbarkeit.

a) undurehführbarkeit der aus dem psychophysischen ParaLlelismus resultierenden Forderung, zu allen psychischen Eigentümlichkeiten die physischen Analoga anzugeben: der auf psychischer Seite Ter-

bleibende Rest.

Das Prinzip des psychophysischen Paralleiismus verlangt, daß jedem physischem Vorgang ein psychischer und ebenso jedem psy- chischem Vorgang ein physischer ausnahmslos entspreche. Danach werden wir erwarten und verlangen müssen, daß alle Details des psychischen Geschehens auf der physischen Seite irgendwie repräsentiert sind und ebenso umgekehrt alle Besonderheiten des physischen Ge- schehens auch ihren psychischen Ausdruck finden. Je nachdem man also seinen Ausgangspunkt von der psychologischen Betrachtung oder von der physiologischen Forschung aus nimmt, wird man auf dem Standpunkt des psychophysischen Parallelismus sich vor die Auf- gabe gestellt sehen, die physischen bezw. die psychischen Analoga anzugeben, welche den festgestellten psychischen oder physiologischen Prozessen entsprechen. Es fragt sich aber, ob das möglich ist, ob sich die Aufgabe lösen läßt Wir wollen dieser Frage jetzt näher treten, indem wir zunächst von der Psychologie ausgehen und untersuchen, ob sich für alle Eigentümlichkeiten des seelischen Lebens auch ein physisches Analogen angeben läßt Es versteht sich, daß wir bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnis der Gehirnprozesse auf keinen Fall im stände sind, die bestimmten, verwickelten psychischen Vorgängen ex hypothesi entsprechenden Gehimvorgänge wirklich nachzuweisen: einstweilen und auch auf lange Zeit, wenn nicht für immer, sind wir auf hypothetische Konstruktionen angewiesen. Über- blickt man die bisher nach dieser Richtung hin unternommenen Ver- suche, so kann man sich freilich nicht verhehlen, daß die große Ver- schiedenheit der aufgestellten Theorien, sowie die mit der Zuver- sichtlichkeit, mit der sie von ihren Urhebern vorgetragen werden, seltsam kontrastierende sehr mangelhafte Begründung und innere UnWahrscheinlichkeit der meisten sehr geeignet ist, gegen die ganze ihnen zu Grunde liegende Behauptung, »daß sich nichts in unserem Bewußtsein ereignet, was nicht in bestimmten physischen Vorgängen

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 209

eine sinnliche Grundlage fände«,^) durchaus mißtrauisch zu machen. Man wird Sigwart nicht Unrecht geben können, wenn er erklärt: »Schwerlich hat sich die vielgeschmähte Philosophie, seit sie aus ihren ersten Anfängen heraus ist, so kühner und luftiger Speku- lationen schuldig gemacht und es mit den Schwierigkeiten so leicht genommen, als diese Richtung, welche den ganzen Zusammenhang unseres Denkens und Wollens auf chemische und physikalische Vor- gänge glaubt reduzieren zu können ,«2) man wird Lad d 's entschiedene Weigerung »to hinding ihe partiaUy exphred continent ofpsychology to ihe unknottm and waste ocean of cerebral physiology as though they were but two eqttal and perfecily symmetrical halves of one sphere^^) verständlich und Wundt's scharfe und beißende Kjitik der »materialistischen« Psychologie*) berechtigt finden. Denn in der Tat bedeuten die Konstruktionen, welche man uns bisher geboten hat, nicht viel mehr als physiologische Mythologien.

Nichtsdestoweniger aber sind doch alle Ausstellungen, welche man an den Versuchen, die physischen Analoga der psychi- schen Vorgänge wirklich im einzelnen zu konstruieren, machen kann und welche in anderem Zusammenhange uns später noch näher beschäftigen werden, nicht genügend, die prinzipielle An- nahme, daß alle Eigentümlichkeiten der psychischen Vorgänge irgendwie physisch repräsentiert sein müssen, als unmöglich er- scheinen zu lassen. »Die Schwierigkeit der Lösung widerspricht nicht dem Prinzip«;^) so lange nicht Gründe angegeben werden, aas denen die Unmöglichkeit der durchgängigen Kongruenz des physischen und des psychischen Oeschehens zweifellos erhellt, kann man den Versuch, diese Kongruenz im Detail zu konstruieren, nicht a limine abweisen.

Gibt es solche Gründe? Die Gegner des psychophysischen Paralle- lismus pflegen es vielfach zu behaupten und zu glauben, daß sie durch dieselben die gegnerische Ansicht ad absurdum führen können. Ich kann indes nicht finden, daß die Gründe, die man zumeist an- geführt sieht, wirklich geeignet sind, den Parallelismus zu wider- legen. Sie beruhen größtenteils auf einer mißverständlichen Auf-

1) Wundt, Grondzüge der physiol. Psychologie, 2. Aufl. Bd. II, C. 24, §3, S. 459.

2) Logik n, 2. Aufl. 8.569.

3) Phil, of Mind S. 332.

4) Phü. Studien Bd. X, S. 53f.

5) Münsterberg a. a. 0. S. 442.

Busse, Geist und Körper. Seele und Leib. 14

210 Erster Absohniü Der psychophysische Parallelismas.

fassung dessen, was das Prinzip psjchophysischer Kongruenz in Wahrheit verlangt Übertriebene, durch das Prinzip des Parallelis- mus keineswegs gebotene Forderungen der Qegner des psychophy- sischen Parallelismus einerseits, und ebenso übertriebene und natür- lich mißlingende Versuche seiner Anhänger, solchen gamicht not- wendigen Forderungen gerecht zu werden, andererseits verleihen diesen Gründen den Schein einer Beweiskraft, die ihnen an und für sich keineswegs zukommt

Daß worauf Ladd Gewicht legt die Gehirnprozesse alle einförmig sind, nämlich Bewegungsvorgänge, während wir auf seelischem Gebiet die qualitative Yerschiedenheit von Denken, Fühlen und Wollen haben, ^) bedeutet in der Tat gar keinen Einwand gegen die Parallelismushypothese. Ganz abgesehen davon, daß die Yer- schiedenheit und Wirklichkeit aller drei von Ladd unterschiedenen »Seelenvermögen« eine immerhin strittige Frage ist, ist es eine ganz unberechtigte Forderung, daß den drei Formen des seelischen Ge- schehens drei analoge grundverschiedene Formen der Gehirnprozesse entsprechen müßten. Nur daß jeder Gedanke, jedes Gefühl und jeder Willensakt irgendwie physisch repräsentiert sei und daß das physische Äquivalent eines Gedankens sich anders darstelle als das eines Gefühls und dasjenige eines Willensaktes, muß vorausgesetzt und kann mit Recht gefordert werden. Gamichts aber steht im Wege, daß alle drei seelischen Funktionen durch voneinander verschiedene Bewegungsvorgänge physisch repräsentiert sind.

Damit habe ich den fundamentalen Irrtum, der den meisten nach dieser Richtung hin gegen den Parallelismus erhobenen Ein- wänden zu Grunde liegt, bereits angedeutet Es ist ein Irrtum, zu meinen, daß die inhaltliche Bedeutung der psychischen Yorgänge irgendwie physisch »ausgedrückt«, repräsentiert werden müsse, der- gestalt, daß man aus der Form und Art der Gehirnvorgänge die inhaltliche Bedeutung und die inhaltlichen Beziehungen der ihnen nach dem Parallelismus korrespondierenden psychischen Akte er- schließen^ gewissermaßen ablesen könne. Eine derartige Annahme, mag sie nun von Anhängern oder Gegnern des psychophysischen Paral- lelismus gemacht werden, bedeutet eben ein völliges Mißverstehen des letzteren und des durch ihn bedingten Eongruenzprinzips, und die Anhänger des Parallelismus, die sich auf diese Annahme ver- steifen und ihr durch den Stempel der Unmöglichkeit an der Stirn

1) PhU. of Mind S. 334.

Drittes Kapitel. Die Naohtetle des Paralielismüs. 211

tragende Konstraktioaen xa gentigen suchen^ leisten der Sache, für die sie fechten, einen schlechten Dienst.

Das MiBverständnis ist alt, schon Spinoza schied die wahre und berechtigte Form parallelistischer Kongruenz nicht deutlich von der falschen und unberechtigten Form derselben. Sein berühmter Satz: ordo et connexio idearum idem est ac ordo et eonneoßio rerum hat einerseits eine psychophysisch-parallelistische, andererseits eine er- kenn tnistheoretische Bedeutung. In der ersteren besagt er, daß jedem psychischen Vorgänge, jeder idea ein Yorgang im Körper enstprechen muß, drückt also das Prinzip des psychophysischen Paralielismüs aus. In der letzteren aber besagt er, da£ idea vera debet cum stw ideaio convenirey dafi unsere wahren Vorstellungen sich ihrem Inhalte nach mit den Objekten, auf die sie sich beziehen, decken, bezeichnet also die erkenntnistheoretische Orundvoraussetzung des dogmatischen Bationalismus. Beide sehr verschiedenen Bedeutungen hat Spinoza, wie gesagt, nicht scharf geschieden; er hat in die psychophysiche Korrespondenz die, erkenntnistheoretische hinein- gemischt und dadurch manche Verwirrung in sein System hinein- getragen.^) Insbesondere erhält die Lehre von der Seele als idea corporis dadurch ein ziemlich zweideutiges Aussehen. Es gewinnt mitunter den Anschein, als ob die Seele den Körper und die in ihm verlaufenden Prozesse inhaltlich abbilde, dieser also die Ideen- inhalte physisch repräsentiere. Die Konsequenz dieser Auffassung würde sein, daft die Vorstellung des Dreiecks im Oehim durch einen eine dreieckige Form habenden Vorgang, die Vorstellung des Kreises aber durch men in kreisförmiger Gestalt sich darstellenden Vorgang »repräsentiert« ist, dafi den inhaltlichen Beziehungen, die wir zwischen unseren Vorstellungen stiften, analoge Beziehungen zwischen den ihnen korrespondierenden körperlichen Prozessen entsprechen, daß der Wert oder Unwert, den die Inhalte unseres Bewußtseins für uns haben, auch physisch erkennbar ist usw. ' Auch spätere Anhänger

1) Vgl Paulsen, Einleitung, 2. Aufl. 6. 90 Anm., 6. Aufl. S. Ol. Auf die mannigfachen Widerspräohe, die sich aus der Zweideutigkeit des Satzes bei Spi- noza ergeben, weist auch Fullerton in seinem Buche: On Spinozistic Immor- tality (Philadelphia 1890), Pars I: The World of Ibdstences, hin, ohne aber diese Zweideutigkeit selbst mit genügender Deutlichkeit zu bezeichnen. Vgl. meine An- zeige in der Zeitschr. f. Psydiologie und Physiologie der Sinnesorgane Bd. 25. Die oben 8. 150 Anm. 1) erwähnte Wundtsche Unterscheidung würde, mit dem Parallelismus kombiniert, direkt zum Abbilderparalleliamus fuhien. Einer Yer- wechslong der beiden Interpretationen des Parallelprinzips macht sich Bütschli schuldig, Mechanismus u. Yitalismos, Leipzig 1001 , S. 4 u. 5.

212 Erster Abschnitt. Der psyohophysische Parallelismas.

und ebenso auch Gegner haben sich dieser durchaus falschen und unzulässigen Interpretation des psjcbophjsischen Eongruenzprinzips nicht ganz zu erwehren yermocht Wenn F. A. Lange Terlangt, daß die reine Vernunft physiologisch darstellbar sein müsse, wenn er in dem Mechanismus der Keflexbewegungen möglicherweise den physiologischen Orund des Kausalitätsbegriffes erblicken zu können meint, wenn er die Forderung aufstellt, die Kategorien aus der Struktur unserer Sinnesorgane abzuleiten, so nähert er sich dem Standpunkt des »Abbilder-Parallelismus« in sehr bedenklicher Weise. In den Fehler, die physischen Begleitprozesse als die »Abbilder« der betreffenden psychischen Vorgänge anzusehen, scheint mir auch Erhardt S. 127 130 seines Buches^) zu fedlen, und dasselbe gilt Ton Ladd.') Auch Ziehen läßt bei seinen kühnen Versuchen, die den komplizierteren geistigen Vorgängen entsprechenden nervösen Prozesse im Detail zu konstruieren, die Grenze zwischen der Wieder- gabe des rein Psychologischen und des Inhaltlich -Logischen nur zu häufig außer acht,^) und selbst Ebbinghaus drückt sich gelegentlich in einer Weise aus, die es wenigstens zweifelhaft erscheinen lass^i kann, ob er von den physiologischen Prozessen nicht ein eigentliches und unmittelbares Abbilden der inhaltlichen Bedeutungen der psychischen Geschehnisse erwartet^) Die phantasievollen Analogien endlich, die Hoff ding S. 62 65 seines Werkes zwischen Gehirn und Bewußtsein herzustellen versucht hat, sind von Behmke bereits auf ihren wahren Wert zurückgeführt, d. h. als ganz unmögliche Fhantasiegebilde gekennzeichnet worden.^)

Es yersteht sich Ton selbst, daß eine derartige Kongruenz physischer und psychischer Vorgänge, nach der die ersteren die

1) Die 'Wechselwirkung zwischen Leib und Seele.

2) a. a. 0. 8. 330.

3) Leitfaden der physiologischen Psychologie.

4) Grandzüge der Psychologie S. 44: »Man kann seinen Ausgang nehmen von Kategorien des geistigen Lebens, wie Yorstellnng, Wahrheit, Religion, Sittlich- ieit usw. und zu ermitteln suchen , wie sich diese wohl den Draußenstehenden in materiellen Bildungen und Verwicklungen darstellen, in welcher Weise also das geistig Sinnvolle und Bedeutende in materieller Gestalt zur Erscheinung kommt.« Indes wird man nach der ganzen Auffassung, die Ebbinghaus vom psychophysi- sehen Parallelismus hat, annehmen müssen, daß er mit den obigen Worten nichts anderes sagen will als dies, daß jeder psychische Vorgang, was immer er auch liedeuten möge, irgendwie auch auf physischem Gebiet repräsentiert sein müsse.

5) Höffding, Psychol. in ümr. S. 62—65; Rehmke, AUg. Psychologie S. 96—100.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des ParallelismtiB. 213

inhaltliche Bedeutung der letzteren symbolisch wiedergeben sollen, weder möglich noch durch das Prinzip des psychophysischen Paral- lelismus gefordert ist Die begleitenden Gehimprozesse sollen ja nach ihm gamicht dasselbe, was die psychischen Yorgänge aus- drücken, noch einmal und zugleich in physischer Weise ausdrücken, sondern sie sollen nur den einzelnen psychischen Vorgängen über- haupt parallel gehen und die unterschiede der ersteren durch ent- sprechende, aber natürlich anders geartete Unterschiede ihrer Gestaltung wiedergeben. Also braucht der Vorstellung des Drei- eckigen kein in dreieckiger Gestalt sich präsentierender, der Vor- stellung des Runden kein in runder Form verlaufender Gehirnprozeß zu entsprechen so wenig wie der Empfindung des Roten ein rötlich aussehender, der des Weißen ein weißlich gefärbter Gehirn- Torgang korrespondiert. Es genügt vollständig, wenn jeder dieser Empfindungen und Vorstellungen ein irgendwie beschaffener, aber durchaus bestimmter physiologischer Vorgang entspricht und den Verschiedenheiten auf psychischer Seite auch Verschiedenheiten der physiologischen Prozesse parallel gehen, daß also der physiologische Vorgang, welcher der Empfindung Rot korrespondiert, ein anderer ist, als der, welcher der Empfindung Grün entspricht, und wiederum das physiologische Korrelat einer Empfindung von dem einer Vor- stellung sich irgendwie deutlich unterscheidet Und so liegt die Sache tiberall. Der räumlichen Ordnung der Bestandteile einer Phantasievorstellung braucht nicht eine gleiche räumliche Anordnung der Teilprozesse zu entspringen, aus denen sich der korrespondierende Oehirnvorgang zusammensetzt, und ebenso kann nicht verlangt werden, daß, was ich als zeitlich früher oder später vorstelle, durch einen zeitlich früheren oder späteren physiologischen Begleitprozeß re- präsentiert werde. Der Einwand, den Ladd aus den psychischen Eigentümlichkeiten des Erinnerungsvorganges gegen die Möglichkeit psychophysischer Kongruenz herleiten zu können glaubt, ist daher, soweit die Zeitverhältnisse dabei in Betracht kommen, völlig hin- fällig. ^For whai I remember recognitirely I huno izs in ihe pasi of time, and as belonging io my past, to the past of the same Seif ihat I now am.«^) Das ist ganz richtig, und ebenso die weitere Be- hauptung, daß der Gehimprozeß, der etwa der Erinnerung an die Vergangenheit entspricht, seinerseits nicht '»in the past of time^ vor sich geht, sondern der Gegenwart angehört^) Aber das Bewußtsein,

1) Phü. of Mind. S. 343.

2) a. a. 0. S. 344.

214 Erster AlMohniti Der psychophysische Pftrallelismns.

die Yorstellusg des yergangenen Vorganges ist auch keine ver- gangene Yorstellang, sondern gehört der Gegenwart an; auch psychologisch ist es nicht möglich, diese Vorstellung, deren Inhalt ein Vorgang der Vergangenheit bildet, aus der Stelle, die sie im Zusammenhang eines Seeleulebens einnimmt, herauszureißen und an eine frühere Stelle zu setzen. Damit der Forderung strilcter psjchophysischer Korrespondenz genügt werde, ist mithin nichts weiter nötig, als daß die jetzige Vorstellung des vergangenen Vor- ganges durch einen irgendwie beschaffenen gegenwärtig sich ab- spielenden Gehimvorgang auf der physischen Seite repräsentiert werde, einen Vorgang, der sich von allen anderen Gehimrorgängen ebenso deutlich obwohl in anderer Weise unterscheidet, als diese Vorstellung von allen anderen Vorstellungen. Das Leichtigkeits- gefühl, das wir haben, wenn der Übergang von einem Zustand zum andern sich leicht vollzieht, wird allerdings nach dem psyoho- physischen Parallelismus durch einen leichten Übergang des einen korrespondierenden Prozesses zum andern bedingt sein, aber dieser leichte Übergang stellt natürlich nicht das physische Korrelat zum Leichtigkeitsgefühl dar. Vielmehr wie dieses zu dem Bewußtsein des Übergehens noch hinzukommt, so wird ihm auch auf physischer Seite ein Prozeß korrespondieren, der sich an den Übergang anknüpft und durch ihn bedingt ist, dergestalt etwa, daß mit dem Wechsel a—f fr eine Erregung einer benachbarten Zelle verknüpft ist: das physio- logische Korrelat zum »Leichtigkeitsgefühlc Auch die Werte, die wir unseren Vorstellungen zuschreiben und durch Gefühle der Lust und Unlust ausdrücken, können natürlich nicht in ihrer ureigensten Gestalt^ als Werte, in das Gehirn hinein projiziert werden. Der Forderung der Kongruenz wird aber auch in diesem Falle genügt, wenn den verschiedenen Werten und ihren Gegenteilen verschiedene, mit den Prozessen, welche die für uns wert- oder un wertvollen seelischen Vorgänge begleiten, verbundene oder verschmolzene physio* logische Korrelate entsprechen, dergestalt, daß diese Korrelate in ihrer Weise ebenso verschieden voneinander sind, als die Lust- und ünlustgefühle sich voneinander unterscheiden. Dieser Forderung zu genügen bedeutet aber für den psychophysischen Parallelismus keine unmögliche Aufgabe. Und so scheinen wir denn bei dem Ergebnis stehen bleiben zu müssen, daß die Forderung durchgängiger Kon- gruenz und Korrespondenz der physischen und der psychischen Vor- gänge, mögen wir auch weit davon entfernt sein, nachweisen zu können, in welcher Art ihr im einzelnen genügt wird, doch nirgends auf

DritiBS Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 215

Hindemisse prinzipieller Art stößt, die ihre Durchführung von vorn- herein ausschließen. Nirgends zwar geben die nervösen Prozesse die Eigenart der psychischen Vorgänge symbolisch wieder, so daß, wer eine »astronomische« Kenntnis derselben hätte, aus ihnen die korre- spondierenden psychischen »Epiphänomene« erraten, gleichsam ab- lesen könnte. Aber wer mit einer »astronomischen« Kenntnis der Oehimprozesse eines Menschen zugleich eine aus anderer Quelle stammende vollständige Kenntnis der Gedanken, Empfindungen, Ge- fühle desselben Menschen verbände, würde im stände sein, zu jedem Gedanken, jeder Empfindung, jedem Gefühl das entsprechende physiologische Gegenstück nachzuweisen und würde nunmehr auf Grund seiner beide Seiten und ihr Verhältnis zueinander um- bssenden Erfahrung im stände sein, aus der bloßen Beobachtung der Gehimprozesse das ganze ihnen korrespondierende Seelenleben bis ins kleinste zu erschließen, ganz ähnlich, wie wir aus der Haltung, den Gesten, Bewegungen, dem Blick und dem Spiel der Gesichts- maskeln einer Person ihre Gemütsverfassung zu erschließen ver- mögen. ^)

Der von mir hier eingenommene Standpunkt wird von den meisten Anhängern wie Gegnern des psychophysischen Parallelismus geteilt. Auf ihn stellt sich Ziehen, um einer Beihe auf die inhalt- liche Bedeutung der psychischen Vorgänge sich stützender Einwände gegen den psychophysischen Parallelismus zu begegnen ,') ihn machten Höfler') und Heinrich*) geltend und erkennt Rehmke an, der nur gegen die psychophysische Abbildertheorie polemisiert') Auch Fechner nimmt ihn, scheint es mir, in den Elementen der Psychophysik H S. 388 (vgl. S. 528) ein. Den unterschied zwischen inhaltlicher Wiedergabe der psychischen Vorgänge und bloßer Korrespondenz psychischer und physischer Prozesse hebt auch Wundt in seinen Schriften häufig hervor. Der psychophysische Parallelismus verlangt nach ihm lediglich ein gleichzeitiges Nebeneinanderhergehen physischer

1) Daß freilich in der Projektion auf die Ebene des Idealismus die »phy- sisch ec Seite der »psychischen« immer nachhinkt und auf diese Weise in alle Ewigkeit auf der physischen Seite ein Plus, ein Rest bleibt, den die physische Seite noch nicht wiedergegeben hat, habe ich früher (S. 174 f.) zu zeigen versucht Der psychische Rest, um den es sich in diesem Abschnitt handelt, ist von ganz anderer Art, als der dort erwähnte.

2) Leitfaden der physiologischen Psychologie, 2. Aufl. S. 106.

3) Psychologie S. 53 Anm.

4) Zur Prinzipienfrage der Psychologie, Zürich 1899, S. 13 16.

5) S. 101, 102. Vgl. die Polemik gegen Höffding S. 96-100.

216 Erster Abschnitt. Der psyohophysische Panülelismus.

und psychischer Prozesse, nicht aber ein gegenseitiges Sichentsprechen in dem Sinne, daß sich zu jedem psychischen Prozeß das physische Oegenbild konstruieren lassen müßte. ^) Den psychischen Elementen entsprechen') bestimmte physische Vorgänge, den eigentümlichen Ver- bindungen, welche die physischen Elemente in unseren Vorstellungen, Gemütsbewegungen und in den aus diesen zusammengesetzten Be- wußtseinsvorgängen bilden^ entsprechen zwar ebenfalls irgendwelche Verbindungen auf der psychischen Seite, aber diese brauchen den psychi- schen Verbindungen nicht äquivalent zu sein, sondern können disparater Natur sein. Die physischen Vorgänge lehren uns daher nichts darüber, was die ihnen entsprechenden psychischen Vorgänge bedeuten.^) »An und für sich wäre es z. B. ebenso gut denkbar, daß die centralen Seh- und Tasterregungen, die der Komplikation einer Gesichts- und einer Tastvorstellung entsprechen, in dem Seh- und in dem Tast- centrum der Großhirnrinde koexistieren, ohne durch irgend welche Zwischenerregungen intermediärer Bahnen verbunden zu sein, wie die Existenz solcher Bahnen möglich ist.«^) Die Werte können als solche nicht physisch repräsentiert werden; das Prinzip des Paral- lelismus nötigt auch zu solcher Annahme nicht ^) Auch die intellek- tuellen Prozesse können daher dem Prinzip des Parallelismus nicht entzogen werden.^) In besonders deutlicher Weise sprechen sich Münsterberg und Wentscher über diesen Punkt aus. Ersterer sucht zu zeigen, in welcher Weise die Wertgefühle durch physische Korrelate repräsentiert sein können. Mag man auch seine Annahme, daß die Betonung eines gesprochenen Wortes, die Bewegung des Auges oder der Finger, die Veränderung der Atmung oder des Fuls- schlages eben dieses Korrelat darstelle,^ bestreiten, so bleibt doch richtig, daß keiner Wertbestimmung das physische Parallelglied im Gentralnervensystem abgesprochen werden kann.^) Zur weiteren Unterstützung dieser Annahme weist Münsterberg noch darauf hin, daß wir durch Einführung gewisser Nervina in den Blutkreislauf, welche den Inhalt der Vorstellungen unberührt lassen, die Wert-

1) PhiL Stadien X. S. 42 45.

2) »im allgemeinen« heißt es bei Wund t, worüber weiter unten das Nähere.

3) System d. PhiL, 2. Aufl. S. 387.

4) Ebendas. 8. 602. Vgl. Phil. Studien X. S. 44, 45.

5) Ebendas. S. 45, 46.

6) Vorlesungen über die Menschen- u. Tierseele, 3. Aufl., 8. 507. Vgl. auch Mohilewer a.a.O. S. 31—32.

7) Gmndzüge der Psychologie S. 443.

8) Ebendas. S. 444.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des ParaUelismus. 217

gefüble verändern können.^) Der Gedanke, daß die physiologischen Vorgänge die Werte selbst wiedergeben , abbilden sollen, erfährt aber eine scharfe Abweisung. Was von den Werten gilt, gilt in gleicher Weise von allen anderen psychischen Inhalten. :»Der physische Be- gleitprozeß der Farbenempfindongen enthält keinen Hinweis auf den qualitativen Unterschied zwischen rot und gelb und grün.« »Wir fordern nirgends in den qualitativen Elementarprozessen Hinweise auf die quantitativen Unterschiede und umgekehrt« »Wir können also in dem physischen Substrat keinen Hinweis darauf erwarten, daß einmal auf qualitativer Seite Yorstellungen, ein anderes Mal Werte entstehen, wofern nur Verschiedenes stets durch Verschiedenes begleitet wird und die Glieder geeignet sind, den Zusammenhang der Erscheinungen zu erklären.«') »Es ist spinozistische Metaphysik, zu sagen, daß die Ordnung der Vorstellungen zugleich die Ordnung der Dinge sei.«^) Endlich sei noch die Stelle S. 450 angeführt: »Es ist also durchaus nicht die Bede davon, die erlebten Beziehungen des Geistigen für die psychischen Inhalte als Beziehungen bestehen zu lassen^) and dann diese Beziehungen in den Zusammenhang der physi- schen Begleitprozesse hineinzuprojizieren, wie die Gegner der Psycho- physik es ihr mit Vorliebe andichten. Wer da glaubt, daß psychische Elemente miteinander verschmelzen oder eine Einheit oder einen Gegensatz formen oder leicht ineinander übergehen und alles das dann physisch darauf basiert, daß die entsprechenden physiologischen Elementarvorgänge auch eine Einheit bilden oder gegeneinander an-

1) Ebendas.

2) Ebendas. S. 445.

3) S. 447. Aach Münsterberg hält freilich die erkenntnistheoretische Be- deutung des Spinozischen Lehrsatzes neben der psychophysischen fest. Die Wahr- nehmung des Mondes entspricht dem Monde und zugleich einem Gehimprozeß, und zwar einem solchen, der mit dem Monde in kausaler Verbindung steht. Der auf unsere Sehorgane wirkende Mond löst die Gehirnerregung aus, der die Wahr- nehmung des Mondes korrespondiert (S. 427, vgl. S. 487). Bei Eiinnerangsbildem, Träumen und Hallacinationen findet zwar keine direkte, aber doch eine indirekte Korrespondenz der psychischen Inhalte und der äußeren Objekte statt, insofern die ersteren nach S. 472 »durch das Neuauftreten der entsprechenden« ursprünglich durch die betreffenden Objekte hervorgerufen »Oehirnerregung« erklärt werden müssen. Münsterberg geht an dieser Stelle auf Yorstellungen nichtwirklicher Objekte, wie z.B. die eines Kentauren, nicht ein: sie müssen dann als bedingt durch Kombinationen physiologischer, mit realen Objekten kausal zusammenhängender Prozesse angesehen werden. Aber natürlich hat diese Korrespondenz nichts mit der Abbüdertheorie der idea corporis zu tun.

4) N. B. auf diesen Punkt komme ich später zurück.

218 Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelismüs.

prallen oder chemisch yerschmelzen oder leicht oder schwer zu- einander überführen, der begeht allerdings im Interesse der Pyscho- phjsik genau denselben Fehler, den die Gegner der Psychophjsik immer wieder machen: er überträgt subjektive Kategorien auf ob- jektive Verhältnisse.« Nicht minder deutlich oder vielleicht 6ogar noch deutlicher spricht sich Max Wentscher über diesen Punkt aus. »In der Tat würde man ja von dem Parallelismus nicht wohl fordern können, daß die psychischen Vorgänge mit allen ihren Eigentüm- lichkeiten in den zugehörigen physischen Parallelvorgängen ihr ge- treues Gegenbild finden sollten, oder umgekehrt alles Charakteristische der Gehimvorgänge auch irgendwie in den zugeordneten Bewußt- seinsvorgängen zum Ausdruck käme; vielmehr muß es genügen, wenn diejenigen Momente der einen Beihe, die für den bestimmten Verlauf der Vorgänge als von maßgebendem Einfluß nachgewiesen werden können, in der anderen Reihe überall von Momenten be- gleitet sind, denen ein gleicher Einfluß für den Verlauf ihrer Vor- gänge zugeschrieben werden kann.«^) Aber »weder die physischen Vorgänge noch ihre Unterschiede brauchen mit den psychischen und deren Verschiedenheiten irgend welche Ähnlichkeit zu haben.«*) »Nur daß überhaupt einer jeden Veränderung im Psychischen eine Ver- änderung auch im Physischen zeitlich zur Seite geht, würde allerdings zu fordern sein, wenn der Gedanke des ParaUelismus nicht seinen Sinn verlieren soll.«*) Keineswegs aber verlangt der Paralle- lismus, daß das Inhaltliche der psychischen Akte in den Gehim- vorgängen wiederkehre. »Gerade so gut, wie dem Grün der Empfin- dung irgend ein Schwingungszustand gewisser Hirnrindenzellen, oder was es sonst sein mag, als physisches Korrelat zugeordnet gedacht wird, muß auch die Möglichkeit anerkannt werden, daß den ästhe- tischen, ethischen und übrigen Bestimmtheiten der psychischen In- halte irgend eine charakteristische Eigentümlichkeit des dem be- treffenden Inhalt zugeordneten Korrelats gleichviel worin diese bestehen mag ständig zur Seite geht«^)

Angesichts dieser Sachlage ist es verfehlt, wenn Wundt der von ihm mit Becht behaupteten Unmöglichkeit, die inhaltliche Be- deutung der psychischen Akte durch eine physiologische Symbolik wiederzugeben, nicht selten die Form gibt, daß der psychophysische

1) Über physische und psychische Kausalität usw. S. 90.

2) 8. 91.

3) Ebendas.

4) 8.92. Vgl. auch 8.114.

Drittes Kapitel. Die Naohteile des FaraUelismns. 219

FarallelismuB selbst auf eine Anzahl elementarer psychischer Pro- zesse zu beschränken sei, andere psychische Vorgänge aber ihm entzogen werden müßten. So lesen wir im »System der Philosophie« (2. Aufl.) S. 602, daß das Prinzip des psychophysischen Parallelis- mos zunächst auf jene Elemente, Empfindungs- und Oefühls- elemente, zu beschränken ist, für die es durch die Beobachtung an die Hand gegeben wird, während die Präge, inwieweit auch den Verbindungen jener Elemente zu zusammengesetzten psychischen Vorgängen entsprechende Verbindungen relativ einfacherer physischer Gehimrorgänge parallel gehen, durchaus der näheren Untersuchung vorbehalten bleibt« Die Ausführungen in Phil. Studien X. S. 42 f. wollen die Werte dem psychophysischen Parallelismus überhaupt entziehen. Deutlicher noch ist folgende Stelle der Ethik .-i) »Da aber die Objekte der Außenwelt nur einen Teil unseres geistigen Lebens bilden, und da insbesondere alle intellektuellen Verknüpfungen der- selben sowie die Gefühlsreaktionen unseres Bewußtseins nicht selbst zu den Objekten gehören, so kann auch nur die der Empfindung angehörende sinnliche Außenseite des geistigen Lebens in bestimmten materiellen Vorgängen ihr Substrat finden.« Der Parallelismus kann daher nur auf die elementaren psychischen Prozesse, denen allein bestimmt abgegrenzte Bewegungs Vorgänge parallel gehen, angewandt werden, es findet nur ein Parallelgehen elementarer physischer und psychischer Vorgänge, nimmermehr ein solches zwischen komplexen Leistungen auf beiden Seiten statt ^)

Es liegt auf der Hand, daß mit der Statuierung derartiger »Ausnahmen«') das Prinzip des psychophysischen Parallelismus ver- letzt, durchbrochen wird. Der Parallelismus steht und fallt mit der durchgängigen und universellen Kongruenz physischer und psychischer

1) 2. ATifl. 8. 470.

2) Vorlesungen nsw. 8.509, 513; vgl. anoh noch Logik II. 2. Aufl. 8.258, Essays S. 116, 118, 119.

3) Anoh Riehl statniert deren. Die Assooiation duroh innere Verwandtschaft ist nach ihm einer meohanischen Interpretation nicht fähig. 8ie müßte »sich dem objektiven Anblick entziehen, auch wenn dieser vollständig alle äußerlich erkennbaren Yoiigänge in der nervösen 8ub8tanz umfassen würde« (Phil. Erit. II', 8.214). Dasselbe gilt vom Gedächtnis und der Einheit des Bewußtseins. Gut, aber wer das behauptet, darf sich nicht als Anhänger des psychophysischen Parallelismus be- zeichnen. Eine Verletzung des parallelistischen Prinzips bedeutet es auch, wenn Ziehen a. a. 0. 8. 210 (vgl. 8. 57 u. 86) einräumt, daß für die Projektion der Em- pfindungen in Raum und Zeit die materielle Grundlage fehlt. Vgl. dazu Hein ri cht Die med. physiol. PsychoL in Deutschland 2. Aufl. Zürich 1899, 8. 175.

220 Erster Abschnitt Der psychophysische ParaUelismxis.

Vorgänge, jeder Versuch, irgend eine psychische Eigentümlichkeit diesem Gesetz zu entziehen, bedeutet, wie Münsterberg mit Recht sagt, einen Versuch, eine Bresche in das Farallelismussjstem zu legen. ^) Diese Bresche tritt denn auch bei Wundt gelegentlicb so groß und deutlich hervor, daß sie seinen ganzen Parallelismus aus- ein anderzureißen droht. »Natur und Geist«, erklärt er (Logik Bd. EL, 2. Aufl. S. 258), >sind nicht . . . zwei sich deckende Kreise oder, wie man wohl auch gesagt hat, ein Kreis, der von zwei verschiedenen Standorten aus, einem inneren und einem äußeren, betrachtet werden kann, sondern sie sind zwei sich kreuzende Gebiete, die nur einen Teil ihrer Objekte nämlich die Empfindungen miteinander gemein haben.« Möglicherweise hat Wundt mit seiner Lehre, daß Natur und Geist sich »durchkreuzen«, ganz recht aber wie kann, wer das behauptet, sich noch einen Parallelisten nennen? Hier wie an so mancher anderen Stelle müssen wir konstatieren, daß Wundts Stellung zum psychophysischen Parallelismus eben keine eindeutige und konsequente, sondern eine ziemlich unsichere, schwankende und widerspruchsvolle ist, daß er mit seiner parallelistischen Grundüber- zeugung Annahmen verbindet, die mit dem Geiste des echten Paralle- lismus schlechterdings unvereinbar sind.*)

In der Unmöglichkeit, die inhaltliche Bedeutung der psychischen Akte physisch zu symbolisieren, liegt aber, ich wiederhole es, an sich kein Grund, den Parallelisten zu einem derartig eklatanten Abfall von seinem Prinzip zu bewegen. Jene Unmöglichkeit besteht, wie auch von Gegnern des Parallelismus anerkannt und ausgesprochen ist,") auf dem Gebiete der Sinnesempfindungen ebenso gut wie bei den komplexeren und höheren geistigen Tätigkeiten. Das Grün und Blau einer Gesichts-, der Ton einer Gehörs-, die Wärme oder Kälte einer Temperaturempfindung wird so wenig durch die begleitenden nervösen Prozesse ausgedrückt, als die Ähnlichkeit oder logische Notwendigkeit, welche das Denken erkennt, oder der Wert, den wir

1) Münsterberg, Grundzüge S. 436 ; vgl. S. 443 446. Vgl. auch Wen t- scher, Über phys. u. psych. Eaus. usw. S. 91. W. spricht ganz richtig von einem »Mißverständnis« Wundts. Vgl. femer Mobile wer a.a.O. S. 35.

2) Die Stellung Wundts zum psychophysischen Parallelismus ist von J. Mo- bile wer zum Oegenstand einer speziellen Untersuchung gemacht worden. I.-D. Eönigsbeig 1901. Das Schwankende und Widerspruchsvolle dieser Stellung wird in dieser kleinen, von mir schon öfters zitierten Schrift gut dargelegt. Auch Spaul- ding tadelt Wundts Beschränkung der Parallelität als einen YerstoB gegen das Farallelitätsprinzip selbst a.a.O. S. 26— 30.

3) Vgl. auch hierzu Mohilewer S. 34.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des ParaUelismns. 221

einer Vorstellung zuschreiben. Bildet nun dort dieser Umstand kein Hindernis für die Durchführung des parallelistischen Kongruenz^ prinzips, so braucht er hier ein solches auch nicht zu bilden.

Aber yielleicht befindet sich Wundt mit seiner Ansicht, daß die Natur der psychischen Prozesse es nicht erlaubt, das Prinzip psychophysischer Kongruenz völlig durchzuführen, doch auf dem richtigen Wege und irrt nur darin, daß er meint, trotzalledem am psychophysischen Parallelismus festhalten zu können.

Zwei Punkte lassen sich noch angeben, welche sich der Durch- führung des Prinzips psychophysischer Kongruenz als ein, wie es scheint, unüberwindliches Hindernis entgegenstellen. Einmal das so- genannte beziehende Denken, die einheitliche Zusammenfassung des Mannigfaltigen durch das Bewußtsein. Und zweitens der Um- stand, daß die logischen und ethischen Normen, welche unser Denken und Fühlen regieren, nicht nur überhaupt als inhaltliche Bedeutung vorhanden sind, sondern einen Einfluß auf den psy- chologischen Verlauf unserer Vorstellungen und Gefühle ausüben, einen Einfluß, der, da die inhaltliche Bedeutung sich phy- sisch nicht ausdrücken läßt, auch kein physisches Gegenstück haben kann. Will man daher nicht zu ganz unmöglichen und unhaltbaren Analogien seine Zuflucht nehmen, so muß man, um die Kongruenz durchzuführen, versuchen, die psychische Seite so zu konstruieren, daß die angeblich logische und ethische Gesetzlichkeit sich in einen bloßen Associationsmechanismus verwandelt. Wir werden diesen Punkt an späterer Stelle besonders zu erörtern haben; im Zusammen- hange unserer gegenwärtigen Betrachtungen ist es der erste Punkt, das beziehende Denken, der uns zu beschäftigen hat Wir haben nicht nur Wahrnehmungen und Vorstellungen von Objekten, sondern unser Denken stiftet auch Beziehungen zwischen ihnen, vergleicht und unterscheidet sie, wird sich ihrer Ähnlichkeit und ihrer Unähn- lichkeit bewußt, faßt sie zu Gruppen zusammen und ordnet die einzelnen einem Höheren, Allgemeinen unter. Gesetzt nun, die einzelnen Vorstellungen a b c d , . sind durch bestimmte Gehirn- prozesse a ß y d repräsentiert: wie sollen wir uns vorstellen, daß auch die Beziehung zwischen a und 6, b und c, c und d, das Bewußtsein der Gleichheit oder Ungleichheit, Ähnlichkeit oder Verschiedenheit, Zusammengehörigkeit oder Unvereinbarkeit, physisch zum Ausdruck gelange?

222 Erster Abeohnitt Der psychophy^isclie ParalleliBmos.

Die physiologischen Prozesse selbst besiehen sich nicht aufein* ander in derselben Weise, wie wir im Bewußtsein unsere Vor- stellungen aufeinander beziehen. So wenig wie die Funkte einer geometrischen Figur, die unsere vergleichende Betrachtung auswählt und in Beziehung zueinander setzt, dadurch selbst in nähere Be- ziehung zueinander treten, so wenig tan es auch die physiologischen Prozesse, deren psychische Parallelglieder das Bewußtsein in Beziehung zueinander setzt Oder sollen wir, um noch ein von Wundt^) ge- brauchtes Beispiel anzuführen, die Harmonie oder Disharmonie, welche bestimmte, zugleich erklingende Töne für uns darstellen, durch irgend welche physiologische Verhältnisse nicht nur begründen, sondern plastisch darsteUen? Gibt ^s ein physisches Analogen für Harmonie oder Disharmonie, einen nervösen Prozeß, der diese Eigentümlichkeit unseres Bewußtseins ebenso physisch repräsentiert, wie die nervösen Prozesse, welche etwa den einzelnen Tönen entsprechen, diese reprä- sentieren? Offenbar gehört die Beziehung, die wir zwischen zwei Wahrnehmungen oder Vorstellungen stiften, nicht selbst zum Inhalte dieser Vorstellungen, sondern bedeutet eine psychologische Tatsache, die als solche, wenn das psychophysische Kongruenzsystem zu Recht besteht, irgend welchen physischen Ausdruck finden müßte: der aber läßt sich, wie es scheint, nicht herstellen.

Auf diese Schwierigkeit ist von Anhängern wie von Gegnern des Parallelismus häufig genug hingewiesen worden,') von den letzteren in der Überzeugung, daß an ihrer ünlösbarkeit der psychophysische Parallelismus notwendig scheitern müsse. So hält Sigwart es für völlig unmöglich, daß das Bewußtsein der Notwendigkeit, mit welcher das Produkt aus den Faktoren sich ergibt, das Bewußtsein der Allge- meinheit der Zahlbegrifie, das zusammenfassende Bewußtsein des zeiüichen Verlaufs einer Beihe succedierender Vorgänge durch ein physisches Korrelat dargestellt werden könne. Es » versagt jede Mög- lichkeit, die endlosen Verknüpfungen, die durch Denken oder phan- tasievolle Kombination in unerschöpflicher Mannigfaltigkeit hergestellt werden, durch irgend welche räumliche Anordnungen, Faserverbin- dungen oder dergleichen vorstellig zu machen. «>') Und in änlichem Sinne sagt Ladd: »But as to what is meant by a cerebrai process ihat is parallel or proportional to ihe inteUectual activity ofreloHng, as such, to the selfconsdotis work of discriminating, this is some-

1) Phü. Studien X. 8. 53.

2) Vgl. die Amn. 1 zu 8. 219.

3) LogUc U, 2. Aufl. 8. 538.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 233

iking to which we find it quiie impomblß io attacb any okar conception.<i^)

Solchen Argumentationen gegenüber liegt es nun natürlich nahe, einzuwenden und ist auch eingewandt worden , daß sie dooh aus demselben Mißverständnis entsprängeji , das wir oben abwehrten, der Yerwechslung der inhaltlichen Bedeutung einer Vorstellung mit dem Akte des Yorstellens selbst. Natürlich könne nicht daran ge- dacht werden, daß die Vergleichung und Beziehung selbst durch ein physisches Korrelat ausgedrückt werde, d. h. durch einen physischen Vorgang, der die beiden den verglichenen oder aufeinander be* zogenen Vorstellungen entsprechenden physischen Prozesse ebenso in sich fasse oder umschließe, wie die Vergleichung oder Be* Ziehung die verglichenen oder aufeinander bezogenen Vorstellungen. Aber psychologisch betrachtet stelle die Vergleichung oder Beziehung, das Bewußtsein der Ähnlichkeit oder Verschiedenheit, der Allgemein- heit und Notwendigkeit eben einen neuen psychischen Akt, eine neue Vorstellung dar, die zu den früheren hinzutritt und nun ebenso durch einen zu den früheren nervösen Prozessen hinzutreten- den nervösen Prozeß physisch repräsentiert sein kann, wie die ur- sprünglichen Vorstellungen selbst Wir haben eben nicht nur Vor- stellungen von einzelnen konkreten Inhalten, sondern auch Bezie- hungs- und Vergleichungsvorstellungen. Garnichts aber hindere, auch diese als von bestimmten physiologischen Prozessen begleitet zu denken, nur dürfe man nicht verlangen, den Inhalt der Ver- gleichungs- oder Beziehungsvorstellung, das Bewußtsein der Gleich- heit und Ähnlichkeit etc. durch den Gehimprozeß gleichsam symbolisch wiedergegeben zu sehen. In dieser Weise sucht z. B. Münster borg den aus dem »beziehenden Denken« geschöpften Einwendungen gegen das psychophysische Kongruenzprinzip zu begegnen. Wenn man sagt, auf der psychischen Seite seien nicht nur die Vorstellungen, sondern auch ein Urteil über ihre Verschiedenheit enthalten, so ist zu er- widern, daß das Urteil über die Verschiedenheit nicht zur Existenz der psychischen Elemente selbst gehört. Es tritt als ein neues psychisches Gebilde hinzu, das den gegebenen Elementen associiert ist und das nun auch seinerseits wieder associierte physiologische Begleitprozesse erfordert^) Und so ist es überall ; auch die Synthesen und begleitenden Gefühle sind besondere psychische Gebilde, deren

1) Phü. of Mind S. 341.

2) Grondzüge S. 448.

224 Erster Abschnitt. Der psyohophysische Parallelisiniis.

entsprechende physische Korrelate mit bestimmten, den ursprüng- lich gegebenen psychischen Vorgängen parallelgehenden physiologi- schen Prozessen in ihrer Art ebenso zusammenhängen, wie sie selbst mit jenen.

Und gewiß wird sich diese Verteidigung überall da durchführen lassen, wo sich auf psychischer Seite die »Beziehung« als ein neuer, zu den ursprünglich allein gegebenen Faktoren hinzutretender psychischer Akt hinstellen läßt, überall da also, wo an einen zu einer gegebenen Zeit im Bewußtsein vorhandenen Inhalt eine nachfolgende, diesen Inhalt zum Gegenstand habende Überlegung anknüpft Es fragt sich aber, ob sich diese Sonderung zwischen ursprünglicher und »Beziehungs«-Vor8tellung überall psychologisch durchführen, ob sich die letztere durchweg als ein von den Faktoren, an die sie an- knüpft, getrennter Akt psychologisch hinstellen läßt Das aber scheint mir doch nicht der Fall zu sein. Mag man das Bewußtsein der Harmonie und der Disharmonie noch als ein zu dem Bewußtsein der in diesem Verhältnis stehenden Töne hinzukommendes, in ihm nicht notwendig zugleich enthaltenes Bewußtsein in Anspruch nehmen: es gibt doch genug Fälle, in denen die »Beziehung« selbst zum Wesen des ursprünglichen Bewußtseinsaktes gehört, von ihm nicht getrennt werden kann. Das ist meines Erachtens schon bei der Anschauung eines Räumlich-Mannigfaltigen der Fall. Die Sache liegt doch nicht so, daß erst allein das Bewußtsein der Objekte als solches vorhanden wäre und erst nachher noch das Bewußtsein ihrer räumlichen Anord- nung hinzukäme. Die Theorien, welche das Entstehen der Raum- anschauung durch Verschmelzung ursprünglich gegebener Elemente erklären wollten, haben sich als verfehlt erwiesen, wir müssen den Faktor der Bäumlichkeit als einen ebenso ursprünglichen ansehen, wie die qualitativen Empfindungen selbst, die sich räumlich gruppieren und anordnen. Das ist auch Ziehen 's und Ebbinghaus', zweier überzeugter Vertreter des psychophysischen Parallelismus, Ansicht^) Wir können zwei Eindrücke a und b nicht haben, ohne zugleich uns ihres räumlichen Verhältnisses zueinander bewußt zu sein; dieses Bewußtsein gehört zum Bewußtsein a und 6, ist mit ihm identisch. Ich habe nicht erst das Bewußtsein von a und das Bewußtsein von b und schlage dann erst die Brücke von a zu 6, sondern ich habe von vornherein das Bewußtsein a^^b^ ich kann a und b garnicht wahr-

1) Ziehen, a.a.O.S. 57, 86, 94,213; Ebbinghaus, Grundzüge I S. 415 f., 431 f. Nur die dritte (Tiefen -) Dimension nimmt Ebbinghaus aus.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismns. 225

nehmen, ohne zugleich auch ihr Verhältnis zu einander wahrzunehmen. Muß nun aber, was zum Bestände des psychischen Vorganges ge- hört, sein physisches Korrelat haben, so muß auch diese Eigentümlich- keit des psychischen Vorganges, das Bewußtsein der räumlichen Beziehung zwischen a und b, physisch irgendwie repräsentiert sein. Wie aber? Wohlverstanden, es handelt sich hier nicht um dieselbe Forderung, die wir oben S. 213 als unberechtigt zurück« wiesen. Dem Sehen eines rechts von einem anderen gelegenen Ob- jektes braucht nicht ein physiologischer Prozeß zu entsprechen, der sich rechts von dem dem Sehen des anderen Objektes korrespondierenden Prozeß abspielt Aber unser Sehen und unterscheiden des rechts und des links befindlichen Objektes, das nicht einfach eine Summierung des Sehens des einen und des Sehens des anderen ist, sondern zu- gleich eine Beziehung zwischen ihnen herstellt, muß physiologisch irgendwie repräsentiert sein, wenn das Kongruenzprinzip gültig bleiben soll. Eine solche Repräsentation erscheint aber unmöglich. Physisch sind nur die beiden Prozesse a und ß gegeben, welche dem Sehen des Objektes a und dem des Objektes b entsprechen; sie mögen nebeneinander herlaufen oder voneinander getrennt in verschiedenen Teilen des Gehirns verlaufen. Wie aber die in dem Sehen von a und b unmittelbar und eo ipso mit enthaltene Unterscheidung und Beziehung nun auch durch die beiden physischen Prozesse mit reprä- sentiert werden solle, ist schlechterdings nicht einzusehen: Münster- bergs Behauptung, daß hierin nichts liege, das der psychophysischen Analogie widerstreite^), macht die Sache nicht plausibler.

Wie aber hier, so liegt die Sache überall, wo eine Mannigfaltig- keit einheitlich aufgefaßt zu einem Ganzen nicht verschmolzen, sondern unter Schonung der Teilinhalte zusammengefaßt wird. Wir können zwei Inhalte nicht wahrnehmen, vorstellen, denken, ohne uns ihrer als voneinander verschiedener, voneinander unterscheidbarer, ohne uns ihrer als zweier, als einer Mehrheit bewußt zu sein, ohne sie also voneinander zu unterscheiden und dadurch zugleich sie zu einer Gesamtheit zusammenzufassen. Und überall fehlt auf der physischen Seite eben das, was zu den einzelnen physiologischen Prozessen, welche den Teilen des psychischen Vorganges entsprechen, noch hinzukommen müßte, damit dem einheitlichen psychischen Vor- gang ein gleich einheitiicher physiologischer Vorgang als physisches Analogen gegenüberstände.

1) S. 448. BuBBo, Qoiflt and KOrper, Seele und Leib. 15

226 Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelismus.

Was in allen diesen Leistungen des beziehenden Wissens in die Erscheinung tritt, ist ja schließlich nichts anderes als die unser ganzes seelisches Leben durchdringende, von unserem Bewußtsein unabtrennbare Eigentümlichkeit, die wir als Einheit und Einheit- lichkeit unseres Bewußtseins zu bezeichnen pflegen, die trans- scendentale Apperception, das einheitliche Ich-Bewußtsein. Die Ein- heit des Bewußtseins bedeutet nicht eine besondere Vorstellung, die zu den anderen Vorstellungen gelegentlich noch hinzuträte, sie bedeutet ebensowenig eine Summation der einzelnen, mit der Eigentümlichkeit der Bewußtheit ausgestatteten »Psychome« oder »Psychosen«, sondern sie stellt eine dieselben zusammenfassende und sie in Beziehung zuein- ander setzende formale und allgemeine Eigentümlichkeit alles Bewußt- seins überhaupt dar. Sie mag in yerschiedenen Graden vorhanden sein, wir mögen Bewußtsein und Selbstbewußtsein noch unterschei- den; — vorhanden ist sie immer: Bewußtsein und Einheit des Be- wußtseins sind identische Begriffe, alles Bewußtsein ist als solches einheitliches und vereinheitlichendes Bewußtsein. Es verbindet sich garnicht mit den einzelnen Vorstellungen das Moment der »Bewußt- heit« , das dann zu dem Moment der Bewußtheit einer anderen Vor- stellung in Beziehung träte, um schließlich durch das Hinzukommen noch anderer »bewußter« Psychome oder Psychosen das Gesarat- bewußtsein zu bilden, sondern die einzelnen Vorstellungen sind eben nur als einzelne Momente des einheitlichen Bewußtseins möglich und wirklich, ohne dieses könnte es überhaupt kein Bewußtsein von irgend etwas geben.

Und für diese Grundeigentümlichkeit des seelischen Lebens mangelt es nun allerdings an einem physischen Analogen. Ewig vergeblich wird der Versuch bleiben, im Gehirn irgend etwas aus- findig zu machen, das dieser üreigentümlichkeit des psychischen Lebens entspräche. Der Versuch, den Höffding gemacht hat, in bestimmten Gehimfunktionen ein Analogen zur Einheit des Bewußt- seins aufzustellen, hat wenigstens das Verdienst, die absolute Hoff- nungslosigkeit aller derartiger Versuche aufs deutlichste erkennen zu lassen. Er vergleicht die Leistung des Bewußtseins mit der des Nervensystems und findet beide ähnlich. Wie das Bewußtsein des in Baum und Zeit Zerstreute vereint, so verbindet auch das Nerven- system verschiedene Teile des Organismus miteinander.^) Das »So wie«, welches Höffding hier statuiert, steht aber auf derselben

1) Psychologie im Umriß S. 62.

Drittes Kapitel. Die Naohteile des Parallelismus. 227

Höhe, wie das berühmte Vogtsche: »So wie der Urin ein Sekret der Nieren ist« etc. Dieser Analogie gegenüber hatte Behmkes Kritik leichtes Spiel. Er hob den fundamentalen unterschied hervor, der zwischen der Funktion des Nervensystems und der des Bewußtseins besteht und jede Analogie zwischen beiden ausschließt. Das Nerven- system verbindet zwar als Centralorgan verschiedene Teile des Organismus, aber nicht als seine Teile, als zu ihm gehörig; es selbst steht außer und neben den Teilen, die es verbindet. Das Bewußtsein dagegen vereint das in Baum und Zeit Zerstreute in sich, als zu ihm gehörig.^) Zu dieser Art Einheit gibt es eben kein Anajogon in der Natur, und kein noch so großer Aufwand von Phan- tasie und Scharfsinn vermag daher ein solches im Oehim oder Nerven- system zu entdecken. Hier fehlt, wie auch Wentscher und Hart- mann betonen^), tatsächlich das physische Korrelat. Vorhandensein aber müßte es, wenn das psychophysische Kongruenzprinzip zu Becht bestehen soll; es ist nicht erlaubt, mit Fechner und Heymans anzunehmen, das, was psychisch eine Einheit ist, sich physisch als eine Vielheit darstellen könne.') An sich mag das möglich sein, wenn aber der psychophysische Farallelismus und mit ihm das Prinzip psychophysischer Kongruenz gilt, muß auch die nicht zur inhalt- lichen Bedeutung des Psychischen gehörende, sondern rein formale Eigentümlichkeit des Zusammenhangs der psychischen Prozesse, welche die Einheit des Bewußtseins darstellt, irgendwie physisch repräsentiert sein. Wenn das nun nicht geht, so bleibt eine Grundforderung des psychophysischen Parallelismus, das Prinzip durchgängiger psycho- physischer Kongruenz, unerfüllt, steht eine unausweichliche Konsequenz desselben mit den Tatsachen in Widerspruch. Es ist auch nicht möglich, dieser unangenehmen Konsequenz dadurch auszuweichen,

1) AUg. Psychologie S. 96.

2) Wentscher S. 93— 94 seines Bnches; Hartmann, Mod. Psych. S. 314.

3) Fechner, Eiern. d.P8ychoph., 2. Aufl.!! 8. 388, vgl. 8.526; Heymans a.a.O. S. 102. Merkwürdig ist übrigens, daß Heymans 8. 103 behauptet, die Dualisten seien genötigt, einen Centralpunkt des ganzen Oehims anzunehmen und sich so in Widerspruch zu den von der Geliirnforschung konstatierten Tatsachen zu setzen. Die Dualisten brauchen diese Annahme nicht zu machen, eher die Monisten, wenn sie nach einem physischen Analogon für die Einheit des Bewußtseins suchen. Mit Becht weist deshalb Wentscher, um auf die Unmöglichkeit eines derartigen physischen Korrelats hinzuweisen, auch auf die Tatsache hin, daß sich ein der- artiger Centralpunkt des Gehirns, in dem sich alle Nervenbahnen vereinigten, nicht hat auffinden lassen (8. 93 -94). Vgl. James, Ps. of Ps. 8. 190.

15*

228 Erster Absclmitt. Der psychophysische Paralleb'smas.

daß man mit Riehl die Unmöglichkeit, für die Einheit des Bewußt- seins das physische Korrelat anzugeben, durch den Umstand erklärt und rechtfertigt, daß diese Einheit, da sie der Orund des Erscheinens sei, natürlich nicht mit »erscheinen« könne. ^) Denn dann kann sie auch im Psychischen nicht mit erscheinen, und ist das der Fall, so bildet jedenfalls der Mechanismus nicht, wie Biehl doch behauptet, «die äußere Erscheinung des an sich Realen«*), sondern nur eines Teiles desselben: der reale Einheitsgrund ;!>erscheint« eben nicht mit.

Es bleibt mithin ein psychischer Rest, für den es kein phy- sisches Korrelat mehr gibt, der auf der physischen Seite durch nichts repräsentiert ist. Dieser Rest ist bedeutend genug, den ganzen psycho- physischen Farallelismus ins Schwanken zu bringen. Denn kann es überhaupt etwas Psychisches geben, das nicht auch irgendwie auf der physischen Seite repräsentiert ist, so fällt damit überhaupt die Ver- pflichtung des Psychischen, unter allen Umständen auch in phy- sischer Gestalt sich darzustellen oder zu erscheinen. An dieser For- derung muß aber der psychophysische Paralielismus, sowohl in monistischer als in dualistischer Form, festhalten, mit ihr steht und fällt er, sie aufgeben heißt für ihn sich selbst aufgeben. Den Paralle- lismus als gültig vorausgesetzt, hat Paulsen durchaus recht, zu behaupten: Jedes Element der Wirklichkeit gehört einerseits dem mundus sensibilis an und ist durch ihn in seiner physischen Be- tätigung kausal bestimmt; andererseits gehört es auch dem muridus intelligibilis an und steht hier in einer »intelligiblen« Wechsel- wirkung . . . mit seiner Umgebung und zulezt mit dem Ganzen.« ^^)

Ich habe früher ausgeführt, daß diese Paulsen sehe Annahme nicht die notwendige Konsequenz idealistisch -spiritualistischer Welt- anschauung sei;^) daß sie aber die notwendige Konsequenz des psychophysischen Parallelismus ist, muß durchaus anerkannt werden. Ist sie nun vom Standpunkt idealistisch -spiritualistischer Weltan- schauung aus vielleicht möglich, aber nicht notwendig, so zeigt sie sich vom Standpunkt des Parallelismus aus als notwendig, aber tat- sächlich unmöglich. Auch diese Unmöglichkeit zeigen in sehr deut-

1) Phü. Kr. S. 215.

2) S. 216.

3) Noch ein Wort zur Theorie des Paralielismus, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Kr. Bd. 115 S. 2.

4) S. oben S. 165 f.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 229

lieber Weise die Formeln der spinozischen Philosophie, der klassischen Vertretung parallelistischer Weltanschauung. Die Seele ist -nach Spinoza idea corporis^ der ideelle Ausdruck für das, was sich phy- sisch als corpus darstellt Jedem Bestandteil, jedem Yorgaug im letzteren entspricht auf psychischem Oebiet eine besondere idea] sie alle zusammen stellen ebenso die ^idea corporis^ dar, wie die Gesamt- heit der physischen Bestandteile den »corpus^. Aber die Seele hat nach Spinoza auch Selbstbewußtsein, sie ist nicht nur idea corporis^ sondern auch idea ideae corporis oder idea mentis. Der idea idea ecor- poris aber entspricht nicht mehr eine Eigentümlichkeit der Ausdehnung, ihr tritt kein corpus corporis oder wie man es nennen wollte zur Seite: es bleibt ein psychischer Rest, für welchen das physische Korrelat fehlt Mit diesem Eest wird das Prinzip des psychophysischen Parallelismus durchbrochen; wer diesen Best anerkennt und gelten läßt, kann nicht mehr behaupten, daß jedem Element des psychischen Lebens ein physisches Element korrespondiere, der gibt die Möglich- keit zn, daß es Psychisches gibt, das nicht zugleich als ein Physi- sches sich darstellt oder erscheint Dann aber braucht auch die »Seele« nicht sich in körperlicher Form darzustellen, der Körper nicht die äußere Erscheinung der Seele zu sein: der Kern und Grundgedanke des ganzen psychophysischen Parallelismus schwindet dahin.

Wir müssen es also als einen schweren Nachteil des psycho- physischen Parallelismus bezeichnen, daß er zu einer Konsequenz führt, die sich tatsächlich als undurchführbar erweist, und die er doch nicht aufgeben kann, ohne sich selbst aufzugeben. So lange die Auffassung der Einheit des Bewußtseins, die wir geltend machten, unangefochten bleibt, bildet sie für den Parallelismus eine für ihn unüberwindliche Gegeninstanz. Der einzige Ausweg aus dieser Schwierigkeit, der noch versucht werden könnte, scheint daher der zu sein, zu yersuchen, die Gültigkeit dieser Auffassung zu bestreiten, das Seelenleben in einer Weise zu konstruieren, welche es erlaubt, es ohne Rest durch die physischen Begleitprozesse wiederzugeben. Es ist das der Versuch, den die sogenannte »Mind-StufF«- Theorie oder die sogenannte materialistische (Associations-) Pychologie macht Die Aussichten, die ein solcher Versuch bietet, sollen weiter unten im Zusammenhange kritisch geprüft werden; jetzt soll uns zunächst eine andere, nicht weniger wichtige und verhängnisvolle Konse- quenz beschäftigen, zu welcher der psychophysische Parallelismus gleichfalls unausweichlich führt

230 Erster Absohnitt. Der psyehophysische Parallelismns.

b) Die Gesohlossenheit des psychisohen und des physisohen Oeschehens und die sich daraus ergebenden Schwierig- keiten. Biologische und kulturgeschichtliche Eonsequenzen. Die

Automatentheorie.

Das Prinzip des psychophysischen Parallelismus verlangt nicht nur eine durchgängige Korrespondenz physischer und psychischer Vorgänge, sondern zugleich auch die völlige Unabhängigkeit des physischen und des psychischen Oeschehens voneinander in dem Sinne, daß keinerlei psychische Ursachen in den Ablauf des phy- sischen Oeschehens eingreifen und keinerlei physische Ursachen das psychische Oeschehen beeinflussen können. Beide Forderungen be- dingen und ergänzen sich gegenseitig und machen in ihrer Ver- einigung das Wesen des psychophysischen Parallelismus aus. Wir postulieren also die völlige und absolute Oeschlossenheit sowohl der psychischen als auch der physischen Kausalkette. Jeder psychische Vorgang muß auf psychische Ursachen zurückgeführt und aus ihnen begriffen werden können, jeder physische Vorgang dagegen aus bloß physischen Urachen vollständig erklärt werden können.

Prüfen wir, ob sich nicht auch aus dieser unausweichlichen Forderung des psychophysischen Parallelismus Schwierigkeiten und Unzuträglichkeiten ergeben, die auf das Debet- Konto desselben ge- schrieben werden müssen.

Wir ziehen zunächst

a) die psychische Seite in Betracht. Man hat auch die universelle intrapsychische Kausalität gegen den Parallelismus ins Feld geführt Behmke nennt sie mystisch. »Die Spinozisten müßten also z. 6. erklären, daß das Einzelwesen, welches als Einzelwesen der Außenwelt eine Steck- nadel genannt ist, durch seine Außenweltsseite, indem es in die Haut des menschlichen Leibes eingeführt witd, eine bestimmte Nervenerregung als leibliche Veränderung des Menschen wirke, zugleich als Einzelwesen der Innenwelt durch seine seelische Seite . den stechenden Schmerz als seelische Verän^derung des Menschen wirke.« »Unsere heutigen Spinozisten«, fügt Kehmke hinzu, »werden aber kaum den Mut haben, diesen mystischen Erklärungs- weg, der doch der einzig folgerichtige von ihren Voraussetzungen aus ist, zu gehen. «^)

1) Außenwelt and Innenwelt usw. S. 26, 27.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismos. 231

Und gewiß läßt sich nicht leugnen, daß ein derartiger Stand- punkt, welcher das seelische Innere von Stecknadeln zu HUfe nimmt, um die Entstehung eines Schmerzgefühls zu erklären, das eine nicht in den Banden des Parallelismus liegende unbefangenere Ansicht einfach als Wirkung der Stecknadel selbst auffaßt, auf den ersten Blick seltsam genug sich ausnimmt Und eben des- halb ist es begreiflich, daß selbst solche, die sich im Prinzip zum Parallelismus bekennen, sich geneigt zeigen, doch den physischen Vorgang als Veranlassung des seelischen Gefühls anzusehen. Allein das Recht, die Paradoxie, welche die parallelistische Konstruktion des obigen Vorganges unleugbar enthält, als sachliches Argument gegen den psychophysischen Parallelismus zu verwenden,^) ist doch ein ziemlich zweifelhaftes. Schließlich ist doch die Hauptschwierig- keit, an die sich der sogenannte gesunde Menschenverstand, d. h. das naive Bewußtsein, stößt, eben die, daß überhaupt den von uns wahr- genommenen physischen Dingen und Vorgängen geistige Entitäten und geistige Prozesse zu Grunde liegen, die ersteren also bloße Er- scheinungen sein sollen. Das aber ist ein Punkt, den alle Formen des Idealismus und Spiritualismus gemein haben. Daß die räum- lich-körperliche Welt lediglich Bewußtseinsinhalt sei und sich darin erschöpfe, will dem gesunden Menschenverstände ebensowenig ein- leuchten, als daß sie die Erscheinung einer intelligiblen geistigen Wirklichkeit sei; vielleicht ist er das letztere noch eher anzunehmen bereit, als das erstere. Hat man sich hiermit aber einmal abge- funden, so macht die weitere Forderung, entweder den Bewußt- seinsinhalt y>ms Fleisch stechende Nadel« oder den intelligiblen Vorgang, der der Erscheinung der stechenden Nadel entspricht, als Ursache des Schmerzgefühls anzusehen, keine besondere Schwierig- keit mehr. Wenn wir früher in der Ungleichartigkeit von Leib und Seele keinen genügenden Grund erblicken konnten, die An- nahme einer psychophysischen Kausalität abzulehnen, so dürfen wir auch jetzt in der Ungewohntheit der Vorstellung, Dingen wie Stecknadeln eine psychische Innenseite zuzuschreiben, keinen Grund sehen, diese psychische Innenseite nicht als Ursache eines Gefühls anerkennen zu wollen. Der Einwand, wäre er berechtigt, würde ja den Idealismus und eine monalogische Weltanschauung genau ebenso treffen, wie den idealistischen Parallelismus: in dem Grunddogma:

1) Wie das auch von mir, freilich mit Vorbehalt (vgl S. 15), in dem Auf- satz »Leib und Seelet, Zeitsohr. f. Phil. u. phil. Kr. Bd. 114 8. 11 geschehen ist.

232 Elster Absolinitt. Der psychophysische Parallelismos.

Alle Bealität ist Geistigkeit, alles Oescheben ist psychisches Ge- schehen, aller Zusammenhang der Dinge ist als ein intelligibler, geistiger anzusehen, stimmen sie eben alle überein.

Auch die Schwierigkeit, auf die Wentscher hinweist,*) existiert, wie mir scheint, in Wirklichkeit gamicht Er meint, daß die An- nahme eines über die Grenzen des individuellen Bewußtseins hinaus- gehenden psychischen Zusammenhanges daran scheitere, daß psychische Zustände nicht einfach »weiter gegeben« werden könnten, wie etwa auf physischem Gebiet die Bewegung von einer Billardkugel zur anderen, sondern in iedem neuen Subjekt neu erzeugt werden müssen. »Nehmen wir an, das Individuum Ä habe die Empfindung a, so heißt diese Tatsache, dem Individuum B mitgeteilt, nicht, daß nun auch B die Empfindung a habe, sondern nur: B weiß jetzt, daß Ä die Empfin- dung a hat.« Das ist natürlich vollständig richtig, und zwar gilt das Prinzip nicht nur für die psychische, sondern auch für die körperliche Welt Auch in der Natur werden nirgends fertige Zu- stände von einem Ding auf das andere einfach übertragen oder »weitergegeben«, sondern jedes Ding reagiert seiner eigentümlichen Natur gemäß auf die einzelnen Afiektionen, die es von anderen er- leidet. Aber macht denn diese Art des Bewirkens den universellen psychischen Zusammenhang überhaupt unmöglich? Verlangt denn dieser, daß die Empfindung, die Ä hat, einfach an B »weitergegeben« werde? Doch sicher nicht. Sondern nach wie vor wird, wenn A eine ihm gegenwärtige Empfindung B mitteilt, d. h. wenn sich an sein Haben dieser Empfindung eine Reihe psychischer Prozesse knüpft, deren physische Korrelate Erregungen von Gehirnzellen und motorischen Nerven, Bewegungen der Muskeln der Zunge und des Kehlkopfes von J., Schallwellen, physiologische Prozesse im Ohr, Gehörsnerv und Gehirn von B darstellen, in B's Bewußtsein nicht die Empfindung a selbst, sondern nur das Wissen um die Tatsache, daß Ä diese Empfindung hat, vorhanden sein. Damit B die Em- findung a selbst habe, ist es nötig, daß derselbe intelligible Vorgang, dessen physisches Korrelat der auf Ä wirkende Beiz ist, auch auf B wirke. Ich gestehe daher, daß die Behauptung, die Wentscher S. 63 ausspricht: »Die Entstehung der Empfindung auf psychische Zusammenhänge zurückzuführen, erweist sich mithin überhaupt als unmöglich «, mir völlig unverständlich ist Mit Ausnahme der physi-

1) Über phys. u. psych. Kausal, tisw. S. 62/63. Vgl, S.85— 87, 101—103; vgl. auch Erhardt, Wechselw. zw. L. u. S. S. 123.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 233

sehen Beschaffenheit der Ursachen und Wirkungen läßt sich alles, was für einen psychophysischen Zusammenhang gilt, auch auf den innerpsychischen Zusammenhang übertragen. In dieser Weise hat denn auch Paulsen in dem Beispiele, das er in seiner Einleitung in die Philosophie gibt, den Zusammenhang konstruiert.^) »Ich höre die Schläge einer Glocke. Das ist die Wirkung, sagt die gewöhn- liche Betrachtung, der Erzitterung der Luft; die Erregung der Ge- hörsnerven ist Ursache der Empfindung.. Das ist unmöglich, sagt unsere Theorie ; eine Empfindung ist ein psychischer Vorgang, kann also nicht Wirkung einer Bewegung sein. Aber wovon ist sie denn die Wirkung? Denn daß sie eine Wirkung, nicht ein isolierter, dem Gesetz der Kausalität nicht unterliegender Vorgang ist, nehmen doch alle an, auch diejenigen, die an Willensfreiheit glauben, betrachten Empfindungen als verursacht Wodurch also ist die Empfindung verursacht? Von einem in der Seele des Hörers vorhergehenden Bewußtseinsvorgang? Aber offenbar nicht, denn sie tritt in zeitlicher Folge auf jeden beliebigen Bewußtseinsvorgang ein. Es muß also die Ursache außerhalb der eigenen Bewußtseinszustände gesucht werden.« Diese sind nun aber nicht die Schallwellen, die von der geschlagenen Glocke ausgehen. Vielmehr: »die Bewegungen, die von der Glocke ausgehen, haben lediglich Nervenerregungen und Gehirn Vorgänge zur Wirkung; die Empfindung dagegen ist die Wirkung der jene Er- zitterung der Moleküle begleitenden inneren Vorgänge«. Paulsen beeilt sich hinzuzufügen, daß wir diese inneren Vorgänge nicht kennen; wir denken sie eben hinzu. Das Becht und die Möglichkeit es zu tun läßt sich meiner Ansicht nach gamicht bestreiten. Zwar erwachsen aus der Forderung, daß der psychische Zusammenhang in seinem ganzen Aufbau und seinem Gefüge den äußeren, physischen Zusammenhang genau wiedergeben soll, sehr erhebliche, den Parallelismus wirklich drückende Schwierigkeiten, welche uns im nächsten Abschnitt (c) be- schäftigen werden. Die Forderung, überhaupt einen universellen psy- chischen Zusammenhang anzunehmen, enthält aber eine derartige Schwierigkeit nicht; eine äußere psychische Ursache irgend eines Be- wußtseinsvorgangs anzunehmen ist prinzipiell um nichts schwieriger, als eine physische Ursache vorauszusetzen. Die wirkliche Schwierigkeit, anzugeben, wie überhaupt irgend ein Vorgang irgend einen anderen bewirken könne, ist für alle drei Annahmen, die physische, die psycho- physische und die psychische Kausalität, genau dieselbe. Man wird

1) ?,Aiifl. S. 94/95, 6. Aufl. 8.95/96.

234 Erster Abschnitt. Der psychophysisehe Farallelismus.

also in der Konsequenz des Farallelismus, welche die Annahme eines geschlossenen und universellen psychischen Zusammenhanges darstellt, keinen besonderen Nachteil desselben erblicken können.^)

ß) Die physische Seite.

Wie alle psychischen Vorgänge auf rein psychische, so müssen alle physischen Vorgänge auf rein physische Ursachen zurückgeführt und aus ihnen erklärt werden, wenn der psychophysisehe Parallelismus Geltung haben soll. Das wird man nun nicht nur bereitwilligst zuge- stehen, sondern verwundert fragen, wie aus dieser Konsequenz dem Farallelismus irgend welche Schwierigkeit erwachsen solle. Bildete doch, wie früher gezeigt, die Möglichkeit, das Frinzip der geschlos- senen Naturkausalität bei gleichzeitiger Wahrung der Selbständig- keit des geistigen Lebens streng durchzuführen, einen der Hauptvor- teile des psychophysischen Farallelismus gegenüber dem Materialismus einerseits und der Wechselwirkungshypothese andererseits, ist doch die Forderung, den ganzen physischen Kausalzusammenhang als einen in sich geschlossenen zu betrachten, eine solche, von der die Natur- forscher unter gar keiner Bedingung abgehen zu können yermeiaen. Erfüllt von dem Bewußtsein der Wichtigkeit, Bedeutung und Not- wendigkeit dieses Frinzips glaubt ein Glifford sich berechtigt, die ihm widerstreitende Annahme einer psychophysischen Kausalität ein- fach als ^nonsense^ abzulehnen. -^It toiü be foutui^^ spottet er, ^exceüent practice in the mental Operations required by ihis doctrine to ima- gine a train the fore pari of which is an engine and ihree carriages linked toith iron couplings^ and the hind part three other carriages Unked tvith iron couplings; the bond between the two parts being made up out of the seniiments of amity subsisting between the stoker and the guard,^^) Das Beispiel ist freilich sehr unglücklich gewählt, denn kein Anhänger psychophysischer Kausalität wird be- haupten, daß durch rein seelische Verhältnisse eine Verbindung zwischen physischen Objekten hergestellt, daß die Freundschaft zwischen Heizer und Kondukteur zwei Eisenbahnwagen zusammenkoppeln oder die Liebe zweier an den entgegengesetzten Ufern eines Flusses stehender Menschen zu einander eine Brücke über diesen Fluß schlagen könne. Eine psychophysisehe Kausalität liegt in Gliffords Beispiel garnicht

1) Das macht denn auch Heymans mit Beoht gegen Wentsoher geltend (a, a. 0. S. 123).

^) Zitat nach James, a. a. 0. L, S. 132.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 235

vor, wir müßten denn annehmen, daß die beiden Beamten, durch das Freundschaftsgefühl veranlaßt, sich die Hände reichen und so eine Verbindung der beiden Zughälften herstellen. Die Verfechter psychophysischer Kausalität würden es aber nicht nötig haben, zu so extravaganten Annahmen zu greifen. Sie würden einfach auf den Befehl des Vorgesetzten, die und die Wagen zu einem Zuge zu- sammenzustellen, sowie auf den Intellekt und die pflichtmäßige Ge- sinnung der den Befehl ausführenden Unterbeamten als auf die psychischen Faktoren hinweisen, von denen ebenso wie von der Halt- barkeit der eisernen Kuppelungen der Zusammenhang des Zuges ab- hängig ist Aber das Beispiel, wenn auch schlecht gewählt, zeigt doch deutlich, welcher Verwunderung, ja welch spöttischer Abweisung der Versuch begegnen muß, gerade das Prinzip, auf dessen rück- haltlose Durchführung die Parallelisten ganz besonders stolz sind, als Waffe gegen den Farallelismus zu verwenden. Dennoch aber läßt sich nicht leugnen, daß eben das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität bei näherer Betrachtung Schwierigkeiten enthält, die auch der über- zeugteste Parallelist nicht einfach ignorieren kann, daß es zu Konse- quenzen führt, die auch den enthusiastischsten Verehrer der Natur - Souveränität stutzig machen können , und daß es uns Annahmen zu- mutet, die selbst Naturforschern aus naturwissenschaftlichen Gründen bedenklich erscheinen können und erscheinen. Solange wir das Prinzip nur als allgemeines im allgemeinen denken, erscheint alles vortrefflich und selbstverständlich. Und auch so lange wir uns auf die Betrachtung der unorganischen Natur beschränken, werden wir so leicht nicht auf einen Punkt stoßen, der uns gegen unseren Grund- satz bedenklich machen könnte. Nur die Mythologie suchte hinter jedem Naturvorgang eine geistige Macht, die ihn verursacht habe, die Naturwissenschaft erklärt sie alle aus physischen Ursachen, und wo sie dieselben nicht anzugeben vermag, zweifelt sie doch nie, daß sie vorhanden sind und sich bei genauerer und umfassenderer Er- kenntnis werden finden lassen.

Aber etwas anders liegt die Sache doch, wenn wir uns von der unorganischen Natur zur organischen und insbesondere zur anima- lischen Natur, zu den tierischen Lebewesen wenden. Daß sich nicht alles, was für die. unorganische Natur gilt, ohne weiteres auch auf die organische Welt übertragen läßt, ist eine Überzeugung, welche gegenwärtig, nachdem die von der entgegengesetzten Überzeugung ausgehenden, mit großem Enthusiasmus unternommenen Erklärungs- versuche die hochgespannten Erwartungen, die sie wachriefen, nicht

236 Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelismos.

erfüllt haben, ^) gerade in naturwissenschaftlichen Kreisen sich mehr und mehr auszubreiten und zu befestigen scheint. Das Wiederauftauchen und die zunehmende Verbreitung vitalistischer Anschauungen bietet dafür einen ebenso deutlichen wie beachtenswerten Beleg, auf den wir uns daher zur Unterstützung unserer Ansicht wohl berufen dürfen. Wenn von gegnerischer Seite die ganze neovitalistische Bewegung als eine bloß vorübergehende Anwandlung, als Ausdruck mo- mentaner Entmutigung hingestellt wird, so zeugt das von viel Selbstgefälligkeit, aber wenig Gründlichkeit Der Grund der Er- scheinung liegt viel tiefer. Auf die Streitfrage zwischen vitalistischer und mechanistischer Auffassung selbst an dieser Stelle einzugehen, erscheint mir weder nötig noch zweckmäßig. Die Frage, um die es sich für uns hier handelt, ist eine andere und viel weiterreichende. Nicht das fragen wir, ob die physischen Vorgänge in den lebendigen und beseelten Leibern an sich denen der unorganischen Natur völlig gleichartig und mit denselben Mitteln zu konstruieren sind wie jene, oder ob sich in ihnen das Wirken einer besonderen organischen Lebens- kraft zu erkennen gibt, sondern für uns handelt es sich um die Frage, ob dieselben ohne alle psychische Ein- und Mitwirkung lediglich durch physische organisch oder mechanisch wirkende Ur- sachen bedingt sind oder nicht Allerdings besteht zwischen beiden Fragen insofern ein innerer Zusammenhang, als die negative Beant- wortung der zweiten meines Erachtens auch die negative Beantwor- tung der ersten notwendig nach sich zieht Eben weil und insofern psychische Ursachen in den Ablauf der organischen Prozesse ein- greifen und sie beeinflussen, lassen sich die letztem mit den Hilfs- mitteln der Physik und Chemie nicht vollständig und ohne Best er- klären: in der psychophysischen Natur der Lebewesen liegt erst der Grund der Eigenartigkeit und spezifischen Eigentümlichkeit der organischen Vorgänge, welche der Neovitalismus mit Recht betont Wäre dieser Zusammenhang mit dem Psychischen nicht vorhanden, so würden die organischen Prozesse aus dem Rahmen der übrigen Natur nirgends irgendwie heraustreten ; soweit sie daher ohne psychische Beeinflussung vor sich gehen, wird man die Möglichkeit, sie mit den Methoden und Hilfsmitteln der physikalisch -chemischen Wissenschaft zu erklären , im Prinzip zugeben müssen. Mögen sie auch sehr viel komplizierter und differenzierter sein als die Yorgänge in der unor-

1) Daß bisher keine oder doch nur sehr wenige der LebenserscheinungeD wirklich erklärt sind, gibt anch ein Anhänger der mechanistischen Theorie wie Bütschli zu (Mechanismus xu Vitalismns , Leipzig 1901, S. 16).

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 237

ganischen Natur, so brauchen sie doch nicht von ihnen spezifisch verschieden zu sein. Die Tatsache, daß es gelungen ist, organische Verbindungen auf experimentellem Wege herzustellen, beweist zwar nicht, daß auch die Organismen lediglich Produkte chemisch- physikalischer Prozesse sind, ist aber doch geeignet, gegen die Annahme, daß im Organischen besondere Titale oder organische Kräfte neu hinzukommen, mißtrauisch zu machen. Der Oedanke, daß die Natur als solche, unbeeinflußt durch ihr selbst fremde Kräfte, denselben Urelementen, die sie auch in der unorganischen Welt verwendet und dort nach festen, unabänderlichen Gesetzen wirken läßt, in den komplizierteren Verbindungen, zu denen sie in den Organismen zusammentreten, plötzlich ganz andere, mit allen in der unorganischen Natur vorkommenden gänzlich unver- gleichliche Wirkungsweisen mitteilen sollte, Wirkungsweisen, die sich in keiner Weise aus den den einzelnen in der Verbindung wirkenden Urelementen innewohnenden Kräften ableiten lassen: dieser Gedanke hat viel, sehr viel gegen sich, der entgegengesetzte, ein einheitliches, nach einheitlichen Gesichtspunkten erfolgendes Wirken der Natur postulierende dagegen viel für sich. Gäbe es nichts weiter als Natur, erschöpfte sich die Wirklichkeit in der körperlichen Welt, so würde, wenn es in einer solchen Welt über- haupt eine Auffassung der Dinge geben könnte, eine Weltanschauung, welche das Weltall als einen ungeheueren Mechanismus ansieht, in welchem jeder, auch der komplizierteste Vorgang, sich aus den die Dinge bildenden Urelementen und ihren Kräften erklären und im Prinzip berechnen läßt, nicht nur die verführerischste, sondern auch die angemessenste, ja wohl die allein berechtigte sein.^) Daß wir in der Tat nur die Alternative haben, entweder die Abweichungen, welche das Verhalten lebendiger Organismen von dem sonst durch- weg beobachtbaren mechanischen Naturgeschehen zeigt, auf die

1) Vgl. Ostwald, Vorlesungen über Naturphilosophie, Lpz. 1902, S. 312 f., 348f. Hermann, Lehrbuch der Physiologie, 12. Aufl., Berlin 1900, S. 5/6. Verworn, Allg. Physiologie, Jena 1895, S. 47 f. Spaulding, a. a. 0. S. 52—58. Daß vieles, das man spezifisch organischen Kräften zuschreiben zu müssen ge- glaubt hat, sich auf physikalisch -chemischem Wege hinreichend erkläi-en läßt, zeigt gut Bütschli, Meoh. u. Vitalismus, Lpz. 1901. Vgl. auch König, Beil. z. Münch. Allg. Ztg. 1900, Nr. 29 30. Kroman, Unsere Naturerkenntnis, deutsch V. Fischer -Benzen, Kopenhagen 1883, S. 367/368 läßt die Frage, ob Vitalismus oder Mechanismus, unentschieden. Volkelt bekennt sich in seinem Schopenhauer -Buch (Frommanns Klasiker d. Philosophie Bd. X, S. 191, 192) zum Vitalismus ohne nähere Angabe über das Wie desselben.

238 Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelismas.

Mit- und Einwirkung psychischer Faktoren zurückzuführen oder sie zu leugnen, dürfte auch die Streitfrage über die Entstehung der Organismen bestätigen. Sind sie auf natürliche und mechanische Weise aus der unorganischen Natur hervorgegangen, sind sie also nichts weiter als ein gesetzmäßiges Produkt des mechanischen Naturlaufes, so treten in ihnen auch keine Ejüfte auf, die nicht schon irgendwie in den Urelementen enthalten gewesen wären. Leugnet man aber diese Entstehungsweise und nimmt ein übernatürliches Eingreifen in der Natur an, so hat man, da ein solches dann doch nur das eines Oeistes sein kann, die Mitwirkung des Psychischen im Prinzip schon zugestanden. Einfacher und philosophischer, als den Geist Oottes gelegentlich auf eine im übrigen ihren eigenen Weg gehende Natur einwirken zu lassen, scheint es mir aber zu sein, anzunehmen, daß, wenn die Bedingungen erfüllt sind, an welche der Plan des Weltlaufs (eine höhere, Natur und Oeist umfassende und aufeinander beziehende Gesetzmäßigkeit) das Auftreten geistigen Lebens sei es auf unserem Planeten sei es überhaupt geknüpft hat, d. h. wenn organische Verbindungen, welche die Grundlage für einen Orga- nismus abgeben können, entstanden sind, die Seelenmonaden zu denselben hinzutreten und durch ihr Einwirken auf sie die Orga- nismen gestalten.^)

Nun aber: solange die Neovitalisten ihren Widerspruch gegen eine rein mechanistische Konstruktion aller Tätigkeiten der Lebewesen nicht auf die Mitwirkung des psychischen Faktors gründen, solange sie den Kräften der unorganischen Natur spezifische organische Naturkräfte oder eine besondere Lebenskraft als eine neue ge- heimnisvolle Naturkraft gegenüberstellen, können wir wohl das negative Ergebnis des Neovitalismus, die Leugnung der Möglich- keit restloser mechanistischer Erklärung auf dem Gebiet des orga- nischen Lebens ims zu eigen machen und uns darauf berufen, von seinen positiven Behauptungen aber für die Entscheidung der uns jetzt beschäftigenden Frage keinen Gebrauch machen.') Wenn

1) Vgl. u. a. Thiele, Phil. d. Selbstbewußtseins, Berlin 1895, 8. 248—251. Jedenfalls aber bat man, wenn man, wie Bütschli, Mechanismus u. Vitalismus 8. 88, tut, eio Schöpf ungsprinzip nicbt als unmöglich ansieht, kein Recht mehr, psychophysische Kausalität im übrigen für unmöglich zu halten.

2) Richtig auseinandeigehalten werden die beiden von mir unterschiedenen Gegenargumente gegen die mechanistiBche Konstruktion aller Lebensprozesse von König, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Kr., Bd. 115, 8. 163.

Ich kann auch den Ausführungen, durch welche Bergmann (Unter- suchungen über Hauptpunkte der Philosophie 8. 354 360) und Adickes (Kant

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 239

die Vorgänge in den Organismen nur durch besondere organische Kräfte, durch eine besondere „Lebenskraft" verursacht oder reguliert

contra Haeckel S.78 82) die Annahme spezifischer organischer oder physiologischer Kräfte zu stützen suchen, nicht beipflichten. Übrigens erkennen sowohl Berg- mann (8.355) als Adickes (8.81) an, daß die organischen Kräfte nicht etwa als etwas ganz Neues und Grundloses im Organismus auftreten, sondern der Anlage nach in den TJrelementen bereits enthalten sind. >Die Weltentwicklung schafft nicht sie, sondern allein die Bedingungen, unier denen sie in Tätigkeit treten können« (A.); sie »kommen nicht erst im Organismus zu den physikalischen und chemischen Kräften hinzu, sondern sie erhalten nur in den zu einem Organismus verbundenen Teilen erst die Möglichkeit, sich zu betätigen, die Veranlassung oder Anregung zur Wirksamkeit, gleichwie die Affinität des Wasserstoffes zum Sauer- stoffe zwar in jedem Wasserstoffteilchen zu jeder Zeit yorhanden ist, aber erst dann sich als Kraft geltend macht, wenn es mit Sauerstoff bei einer gewissen Temperatur zusammentrifft« (B.). Von spezifischen organischen Kräften kann man bei dieser Sachlage eigentlich nicht mehr reden, man behauptet im Grande nur noch, daB die Urelemente noch über mehr physische Kräfte verfügen, als man ihnen gemeiniglich zuschreibt, und daß unter bestimmten Bedingungen, wie sie der lebendige Organismus repräsentiert, diese Kräfte entbunden werden. Die Richtigkeit dieser Annahme läßt übrigens Bergmann 8.355 ausdrücklich dahin- gestellt. Ich meine, solange man diese unbekannten Kräfte nicht näher bezeichnen und genauer angeben kann, wodurch sie sich denn eigentlich von den bekannten chemischen und physikalischen Kräften unterscheiden, fehlt iins eigentlich die Be- rechtigung, sie überhaupt als von ihnen verschieden anzusehen, und dann: welches sind denn eigentlich die Bedingungen, die sie auslösen? Die Verbindung, in die sie im Organismus treten. Diese selbst kann nicht schon wieder eine »spezifisch -organische« sein, da sie ja nur die Bedingung des Auftretens orga- nischer Kräfte ist. Also wird sie chemisch -physikalischer Natur sein. Daß aber komplizierte chemisch -physikalische Verbindungen andere als chemisch - physi- kalische Kräfte in den Teilen der Zusammensetzung entbinden sollten , klingt doch seltsam; die natürlichere und methodologisch richtigere Annahme ist hier doch, daß hier wie überall in der Natur chemisch - physikalische Bedingungen auch chemisch -physikalische Prozesse auslösen. Die Schwierigkeiten, auf welche Bergmann S. 355 357 hinweist, erkenne ich natürlich vollauf an, halte es aber eben für richtiger, zur Erklärung der chemiseh- physikalisch nicht restlos konstmierbaren Vorgänge in den lebendigen Körpern die uns bekannten , ihre Wirk- samkeit in den Organismen uns förmlich aufdrängenden psychischen Tätigkeiten heranzuziehen , als seine Zuflucht zu mystischen und sehr problematischen »organi- schen« Kräften zu nehmen. Eigentümlich aber ist es, daß Adickes, der an die Möglichkeit einer rein »mechanischen« Erklärung der organischen Entwicklung an- gesichts der großen Schwierigkeiten, die sich derselben entgegenstellen, nicht glauben will, doch an die geschlossene Naturkausalität ungeachtet der nicht minder großen Schwierigkeiten, welche sie bietet, unentwegt glaubt weil sonst »keiner, der sein Augenmerk auf die Methoden und Prinzipien richtet, der Naturwissenschaft und ihrer Fortschritte so recht froh werden könnte« (8. 72). Wie nun, wenn ihm die Naturforseher erklärten, daß sie auch mit den organi-

240 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismus.

werden, bleibt doch das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität gewahrt, bleibt es doch dabei, daß alle Vorgänge im Organismus

sehen Kräften der Naturwissenschaft und ihrer Fortschritte nicht so recht froh werden könnten?

Meine Auffassung deckt sich dagegen, von der Verschiedenheit der meta- physischen Grundanschauungen abgesehen, vielfach mit derjenigen, welche £. y. Hart mann in den Schriften: Das unbewußte vom Standpunkte der Physio- logie und Descendenztheorie, und: Wahrheit und Irrtum im Darwinismus (Philo- sophie des Unbewußten , 10. Aufl. Bd. III) entwickelt hat Nach ihm greift das Unbewußte also doch eine geistige Potenz ein, um das Organische zu bilden, sobald die Möglichkeit dazu gegeben ist, d. h. sobald organische Verbin- dungen, die als solche auf rein chemisch- physikalischem Wege sich bilden, ent- standen sind. Die auf einen Organismus gerichtete spezielle Tätigkeit des Abso- luten bildet auch eine synthetisch -einheitliche Funktion, die »Seele« desselben. Vgl. Kategorienlehre S. 505 535, Mod. Psych. S. 287—291. Die Annahme, daß bei'eits in den Uratomen organische, später zur Entfaltung kommende Kräfte enthalten seien, hält auch Hart mann für sehr unwahrscheinlich, Kategorienlehre S. 487 489. Einen dem meinen ganz ähnlichen Standpunkt nimmt auch Wen t- scher ein, Phys. u. psych. Kaus. S. 41— 47.

Ich bemerke noch, daß der allgemeine Gesichtspunkt: die Vorgänge in den organischen Wesen weixlen durch psychische Faktoren beeinflußt und unterscheiden sich dadurch von den Vorgängen in der organischen Natur, die Frage noch völlig offen läßt, wie weit sich denn der Einfluß des Psychischen in den organischen Körpern erstrecke. Darüber kann man sehr verschieden denken.

Dem Hart mann sehen Standpunkt steht, wie er auch selbst wiederholt hervorhebt, J. Reinke nahe. Indes kommt die Auffassung, daß es psychische Kräfte sind, welche die Vorgänge in den Organismen beeinflussen, bei ihm nicht in unzweifelhafter und unzweideutiger Weise zum Durchbruch. Die Natur der »Dominanten«, welche bei R. an die Stelle der alten, von ihm abgelehnten »Lebenskraft« treten (Einl. i. d. theoret Biologie, Berlin 1901, S. 50 u.a.), bleibt im unklaren; sie bekennen nicht recht Farbe. Sie lenken und leiten die Lebens- prozesse und führen sie einem bestimmten Ziel entgegen, sie richten, lenken und transformieren, konzentrieren und reduzieren die im Körper vorhandene und wir- kende Energie (S. 168), sie sind form- und Stoff bildende Kräfte (S. 146, 176); auf ihnen beruhen Erscheinungen wie Assimilation und Dissimilation (S. 273), An- passung (8. 104f.), Zielstrebigkeit (8. 176, 364, 369, 382 u. a.), Entwicklung (S. 360f.), Befruchtung (S. 443), Vererbung (S. 389, 396, 401), Mannigfaltig- keit usw. usw., kurz, sie leisten ungefähr alles das, was früher die Lebenskraft leisten sollte. Aber was sie eigentlich sind , d. h. unter welche Rubrik des Wirk- lichen sie einzureihen sind, wird nicht deutlich. Unzweifelhaft ist nur, daß sie nicht selbst als chemisch -physikalische Vorgänge aufzufassen sind, sondern zu ihnen hinzukommen; daß sie nicht energetischer Natur sind (8.59, 83, 145, 164, 172, 555 f., 628); ob sie aber eigentlich psychischer Art oder als nichtpsy- chische organische Vermögen aufzufassen sind, läßt sich aus Reinkes Äußerungen nicht mit Sicherheit entnehmen. Sie werden zwar wiederholt als (niedere) psy- chische Kräfte bezeichnet (vgl. S. 37, 43, 83, 575/576, 608, 611, 616 f. u.a.), werden aber andererseits von den bewußten psychischen Tätigkeiten so scharf unter-

Drittes Eiipitel. Die Nachteile des Parallelismus. 241

auf physische Ursachen zurückzuführen und durch sie zu erklären sind. Wir aber fragen gerade, ob eine rein physische Erklärung

schieden (vgl. S. 56, 146, 185, 200, 566, 587 f.) und organischen Kräften rein physischer Art, die in der physischen Organisation begründet sind, dermaßen an- genähert, daß sie nur noch ein symbolischer Ausdruck für ihrem Wesen nach noch nicht genügend erforschte physische Kräfte zu sein scheinen. Spricht doch Reinke worauf auch Bütschli a. a.0. S. 103 mit einiger Verwunderung hin- weist — wiederholt auch von Dominanten von Maschinen (S. 183, 198/199, 619, 624 u.a.), einer Stutzuhr und Spieldose (S. 170, 578 f., 589/590), eines Phono- graphen (S. 398/399), einer photographischen Kamera (S. 359), eines Orchestrions (S. 610), und vergleicht sie mit Transformatoren elektrischer Eneigie (S. 168). Bei einer Maschine aber kann doch von psychischen, im Innern der- selben wirksamen Kräften nicht wohl die Rede sein; das Dominanten- system bedeutet hier nichts weiter als die Anordnung, Konstellation oder Konfiguration der Teile, von der die Gestaltung des Effekts abhängig ist und durch die sie in Verbindung mit der in der Maschine tätigen Energie erklärt wird. Denn wenn auch das Prinzip der Erhaltung der Energie selbst über die Rich- tung, in welcher die Energieumwandlungen vor sich gehen, nichts aussagt, so ist doch auch diese in einer Maschine durch lediglich physische Faktoren be- dingt und in diesem Sinne »kausalmechanisch« erklärbar. Oder soll etwa, was Bütschli (a.a.O. S. 103) als Reinkes Ansicht vermutet, die Intelligenz des In- genieurs, der die Maschine konstruierte, als unbewußte hyperphysische Macht in der Maschine weiterwirken? Sind nun die Dominanten in den Organismen mit der »Maschinenseele« vergleichbar, so müßten sie sich gleichfalls auf physikalisch -che- mische Faktoren zurückfuhren lassen, jedenfalls wären sie nicht hyperphysische, sondern bestenfalls hyperphysikalische, spezifisch organische Kräfte, die in der oi^ganischen Struktur der Organismen begründet sind.

Damit stimmt, daß Reinke wiederholt erklärt, die Dominanten seien in der Struktur des Organismus begründet, von der »Konfiguration« seiner Teile abhängig (vgl. S.56, 164, 177, 343, 359, 400, 608, 611, 624—625 u.a.m.). Dieser Auf- fassung steht aber wiederum bei Reinke eine andere entgegen: die organische Struktur der lebenden Körper wird durch die Dominanten bewirkt! In der Konsequenz dieser Auffassung lehnt er die Urzeugung als undenkbar ab (S. 555 f.) und nimmt eine Schöpfung der Organismen an. Kräfte, die ihnen nicht selbst innewohnen, wirken auf die unorganischen Stoffe ein (8.559) und gestalten sie zu Organismen imd wirken dann in ihnen in der oben geschilderten Weise weiter: es sind die Domin&nten, die zugleich in eine nicht ganz klare Beziehung zur kosmischen Ver- nunft gesetzt (S. 59, 83, 612) und dadurch wiederum zu psychischen gestempelt werden. So erscheinen die Dominanten zugleich als Grund und als Folge der Konfiguration des Stoffes, eine unmögliche Position, die aber den schwankenden Charakter der Dominanten, die einerseits spezifisch organische, also physische, den energetischen Kräften sogar mitunter bedenklich naherückende, andererseits aber psychische, von allen physischen spezifisch verschiedene Kräfte sind, aufs beste illostriert.

Indes darf doch auch Reinke, und zwar an hervorragender Stelle, zu den Katurforschem gerechnet werden, die an das Dogma von der geschlossenen Natur- Icansalität nicht glauben und daher auch nicht den psychophysischen Parallelismus Busse, Geist und EOiper, Seele und Leib. 16

242 Erster Abschnitt. Der psychopbysische Parallelismus.

aller physischen Vorgänge, die dann unseres Erachtens auch immer eine physikalisch -chemische sein muß, sich überall, also auch auf dem Gebiet der organischen Natur, bei den lebendigen Wesen, rück- haltlos durchführen läßt, oder ob der Versuch nicht vielmehr zu Konsequenzen führt, die geeignet sind, uns stutzig zu machen. Diese Frage glaubte ich oben bejahen zu müssen und möchte diese meine Ansicht nunmehr noch etwas weiter ausführen und durch Gründe stützen.

Offenbar bedeutet das Verlangen, alle Tätigkeiten der lebendigen Organismen rein physisch, ohne jede Zuhilfenahme psychischer Ur- sachen, zu erklären, nichts anderes als die Erklärung derselben nach dem Muster der Reflexbewegungen. Von diesen wird ja all- gemein zugestanden, daß sie rein physische Prozesse bedeuten, welche ohne irgendwelches Zutun der Seele vor sich gehen. In gleicher Weise müssen nun auch alle die Handlungen, welche nach der gewöhnlichen Annahme unt^r Mitwirkung psychischer Faktoren, wie Vorstellungen, Gefühle, Willensimpulse, vor sich gehen, alle die Tätig- keiten des Greifens und Haschens, des Ausweichens, Fliehens und Verfolgens, des Angreifens und sich Verteidigens, erklärt werden. Wir müssen versuchen, die Lebewesen als bloße Maschinen, als Automaten mit automatenhaften Bewegungen aufzufassen und dem- gemäß die Tätigkeiten, die sie ausüben, zu konstruieren. Auf phy- sischer Seite ist die Eonsequenz des psychophysischen Parallelismus die sogenannte Automatentheorie. ^) Man mache sich aber klar, was das heißt!

Es bedeutet zunächst für die Biologie die Aufforderung, die Begriffe, mit denen sie bisher operiert hat, fast sämtlich fallen zu

als den allein seligmaohenden Glauben der Naturwissenschaft ansehen. Von dem Vorhandensein psychophysischer Kausalität ist er fest überzeugt (vgl. S. 83, 397, 570, 590, 601/602), den psychophysischen Parallelismus lehnt er ab. Somit darf der Philosoph, der die Wechsel wirkungstheorie verficht, sich auch auf ihn berufen. Im übrigen muß es, was den Yitalismus betrifft, hiermit sein Bewenden haben; auf die ziemlich umfangreiche yitalistiscbe Litteratur (Reinke, Welt als Tat, 2. Aufl., y. Hanstein, Das Protoplasma als Träger der tierischen und pflanzhchen Lebens- verrichtungen, Kerner, Pflanzenleben, Rindfleisch, Ärztliche Philosophie, Bunge, Lehrbuch der physiol. u. pathol. Chemie, Driesch, Organische Natur und Tele- ologie usw. usw.) an dieser Stelle einzugehen muß ich mir versagen. Mir kam es nur auf das im Text ausgesprochene und in der Anmerkung noch etwas weiter ausgeführte allgemeine Prinzip an.

1) James a. a. 0. S. 128—130.

Drittes Kapitel. Die Naoh teile des Parallelismus. 243

lassen. Die Biologie hat sich bislang für berechtigt gehalten, auch die psychischen Funktionen der Lebewesen als wichtige Faktoren der Lebensprozesse mit in Betracht zu ziehen, sie hat von Empfin- dungen, Trieben, Gefühlen, Streb ungen, von Begehren und Torstellen ebenso wie von Nerven und Muskeln, Ernährung und Fortpflanzung, Zellenbildung und Blutkreislauf gesprochen und diese psychischen Faktoren in weitgehendem Maße benutzt, um die Entwicklung, Ausge- staltung, die Selbsterhaltung und Vervollkommnung der Lidividuen wie der ganzen Art verständlich zu machen. Lisbesondere sind es die Selek- tioiistheorie und die speziellere Form derselben, welche wir Darwi- nismus nennen, die von den genannten psychischen Hilfsprinzipien einen sehr weit gehenden Oebrauch machen. Die Biologie stellt sich dabei auf den Standpunkt, sämtliche in einem Lebewesen sich zeigenden Fähigkeiten imd £[räfte als eine Ausstattung anzusehen, welche ihrem Besitzer Nutzen unter Umständen auch einmal Schaden bringt und von ihm zur Erhaltung und Verstärkung seines Daseins verwandt wird, als eine Ausstattung, die, im »Kampf ums Dasein« er- worben und weitergebildet, auch als ein Mittel, den Kampf ums Dasein mit Aussicht auf Erfolg zu führen, anzusehen ist. Ebenso wie Felle, Panzer, Krallen, Muskelkraft, Gelenkigkeit, Geschwindig- keit Ausstattungen sind, die dem, der sie besitzt, Vorteile im Kampfe ums Dasein gewähren, so stellen auch die psychischen Fähigkeiten solche Ausstattungen dar und gewähren ähnliche, manche sogar noch größere Vorteile; ist es doch die überlegene Vernunft, die dem Menschen ungeachtet seiner im Vergleich zu vielen Tieren recht dürftigen Ausstattung die Herrschaft über die gesamte Tierwelt ver- leiht. Er besitzt weder die Stärke des Löwen noch die Geschwindig- keit des Hirsches, weder den scharfen Blick des Adlers noch den ausgebildeten Geruchssinn des Hundes. Keine Krallen und kein scharfes Gebiß sind ihm als Angriflswaffen verliehen, kein Schuppen- panzer, kein dichtes, dickes Fell schützt seinen Körper vor feind- lichem Angriff und gegen die Unbill der Witterung: nackt und bloß, fast schutzlos steht er den feindlichen Kräften der Natur und der lebendigen Schöpfung gegenüber. Aber sein Verstand ersetzt ihm hundertfach alles, was die Natur ihm sonst versagt hat Mit List stellt er den stärksten Tieren nach, besiegt und bändigt sie, kunstvolle Werkzeuge ersinnt er, die ihm tausendmal mehr leisten, als die natür- liche Körperausstattung der Tiere; die Kräfte der Natur, deren Art und Wirkungsweise er erkennt, zwingt er in seinen Dienst. Er ist der

Sieger, sein Sieg ein Sieg der geistigen Kraft über die physischen Kräfte.

16*

244 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelisnms.

Diese ganze, in Poesie und Prosa zu allen Zeiten so tausend- fach variierte Auffassungs- und Betrachtungsweise müßte aber völlig aufgegeben werden, wenn der psychophysische Parallelismus zu Becht besteht Denn mit ihm ist sie schlechterdings unverträglich. Übt das Geistige gar keinen Einfluß in der physischen Welt aus, ist es ledig- lich eine neben den physischen Prozessen herlaufende, auf sie nicht im geringsten einwirkende Begleiterscheinung, so kann es die Bolle nicht spielen, die ihm in der eben zu seinem Preis gesungenen Hymne zuerteilt wird.^)

Schon der ganze Begrüf des »Kampfes ums Dasein« verliert jeglichen Sinn, wenn das Psychische als mitwirkender, ja treibender Faktor dabei nicht anerkannt werden kann. Die Organismen als rein körperliche Automaten betrachtet »kämpfen« nicht um ihr Da- sein, so wenig wie Maschinen das tun. Einer Maschine ist es völlig gleichgültig, ob sie besteht und funktioniert oder nicht, sie verrichtet die Arbeit, zu der ihre Einrichtung sie zugleich befähigt und nötigt, solange die umstände es gestatten und fordern, sie stellt sie ein und zerfallt in ihre Bestandteile, wenn die veränderten Umstände es so mit sich bringen. Irgend welche besondere Anstrengung zu machen, um sich und ihr Wirken unter ungünstigen Umständen zu behaupten, sich den sich ändernden äußeren Bedingungen über die in ihr etwa vorgesehenen mechanischen Reguliervorrichtungen hinaus anzupassen, oder gar sich selbst zu vervollkommnen und zu ver- bessern fallt ihr, fällt einem Automaten nicht ein. Um ihr Dasein »kämpfen« nur lebendige Wesen, die, vom Willen zum Dasein, vom Selbsterhaltungstrieb geleitet, sich und ihre Art im Dasein zu erhalten, sich zu verbessern und zu vervollkommnen streben, und deren Streben auf ihr physisches Terhalten von irgend welchem Einfluß ist. 2) Unterstützt wird dieses Streben durch die Gefühle von Lust und Unlust, welche dem Individum anzeigen, was ihm nützlich und was ihm schädlich ist, es anspornen und warnen. Daß im allgemeinen die Lustgefühle die psychischen Repräsentanten von Zuständen sind, die dem Organismus heilsam und förderlich sind,

1) James, Pr. of Ps. I S. 138. Das Bewußtsein >seeins to be an organ, superadded to the other organs whiofa maintain the animal in the stniggle for existence; and the presumption of course is that it helps him in some way in the stmggle, just as they do. Bat it cannot help him without being in some way efficacions and inflaencing the course of the bodily history.« Vgl. Riehl, Phil. Krit. IT S. 177—179. Stumpf, Eröffnungsr. S. 12.

2) James a. a. 0. 8. 141, 142.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des ParaUelismus. 245

die Schmerzgefühle dagegen von solchen, die ihm schädlich sind, wird ja darch die Erfahrung durchaus bestätigt und kann auch ver- nünftigerweise nicht bezweifelt werden. Aber auch diese Annahme verliert jeden Sinn und jede Berechtigung, wenn die Gefühle gänz- lich unvermögend sind, das Verhalten des tierischen Körpers irgend- wie zu beeinflussen. Die Schmerzgefühle sind uns verständlich und rechtfertigen sich teleologisch, wenn sie als Warner auftreten, das Geschöpf auf Störungen seines Organismus, welche die Erhaltung desselben bedrohen, aufmerksam machen und es in den Stand setzen, durch geeignetes Verhalten die Störung zu überwinden und die Gefahr abzuwehren. Gilt aber der psychophysische Parallelismus, so können die Gefühle diese RoUe nicht spielen; sie haben alsdann für die Ökonomie des tierischen Lebens gar keinen Wert und die Biologie darf von ihnen als von die Entwicklung der Organismen mitbedingenden Faktoren nicht reden. Das Streben nach Lust kann nunmehr in der biologischen Erklärung ebensowenig eine Rolle spielen, als der »Kampf ums Dasein«; es ist ein Ausdruck, dem jeder verständ- liche Sinn fehlt In Wirklichkeit bedeuten jetzt die Gefühle eine vom biologischen Standpunkte aus gänzlich überflüssige, die Schmerz- gefühle sogar eine verhängnisvolle, entsetzliche Zugabe, einen Faktor, den die Biologie in ihrem Rechnungsansatz ebensowenig einstellen kann, als etwa den mosaischen Schöpfungsbericht ^) Damit fällt dann auch ein Prinzip wie z. B. das der geschlechtlichen Zucht- wahl; auch von ihm kann die Biologie in keiner Weise als von einem Erklärungsprinzip mehr Gebrauch machen. Und dasselbe

1) Vgl. hierzu Erhardt, Die AVechselwirkung zw. L. u. S. S. 122, 145, V. Hartmann, Mod. Psych. S.431, 432, 436—437, Külpe, Einl. i. d. Phil. 1895 S. 146. Es ist daher vom Standpunkt mechanistischer Auffassung aller organischen Vorgaoge aus völlig richtig, wennBütschli mit dem Zweokbegriff nichts anfangen zu können erklärt. Mechanismus u. Vitalismus, Leipzig 1901, 8. 30: »Denn der Gesamt- zweck dieses Geschehens kann doch auch nur sein, daß der fragliche Organismus besteht, existiert, sich erhält. Dies ist aber etwa dasselbe, als wenn ich sage, der Zweck der Planetenbewegungen ist der, daß sie bestehen, sich erhalten, und daß so das gesamte Planetensystem sich erhält, wie es ist« Ganz richtig: einen Sinn erhält das ganze Streben der Organismen nach Erhaltung ihres Daseins erst, wenn man das Bewußtsein, den Willen zum Leben, Lust und Leid des Daseins als mitbe- teiligte Faktoren mit in Rechnung zieht. Um so auffallender ist, daß Bütschli, der den Darwinismus und seine Prinzipien so ausgiebig yerwendet, um die » Zweck- mäßigkeit c »kausalmechanisch c zu erklären, gamicht bemerkt, daß die Prinzipien des Darwinismus, Kampf ums Dasein usw., ohne Mitwirkung psychischer Faktoren ebenso unanwendbar werden und allen Sinn verlieren, wie die Zweckmäßigkeit, über die er spottet (S. 32 , 35).

246 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismns.

Schicksal trifft alle übrigen psychischen Fähigkeiten. Empfindungen und Anschauungen können nicht mehr als Orientierungsmittel, ^) das Denken und Überlegen nicht mehr als Stütze und Grundlage des physischen Handelns angesehen und benutzt werden.^) Wir müssen versuchen, alle die Phänomene, die wir bisher uns durch die Annahme psychischer wirkender Kräfte und Tendenzen verständlich gemacht haben, die ganze Entwicklung und Ausgestaltung der Lebewesen, ihre Lebensäußerungen und ihre wechselnden Beziehungen zueinander als ein ungeheueres Getriebe zu betrachten, in welchem jeder Teil nach mechanischen Gesetzen arbeitet und wirkt. An die Stelle der psychischen Fähigkeiten treten durchweg die »Cerebrationen«, d.h. die ihnen auf physischem Gebiet entsprechenden mechanischen Aus- lösungs- und Umschaltungsvorgänge im Gehirn.^ Aus ihrem In- einanderwirken und ihrer Verflechtung mit äußeren, gleichfalls mechanisch wirkenden Reizen muß das ganze buntgestaltete Leben der organischen Schöpfung begriffen werden: der »Kampf ums Da- sein« löst sich in eine Mechanik der Atome auf. Ganz im Sinne dieser Ansicht sagt Münsterberg: »Noch bedenklicher aber wäre es, die Existenz des Psychischen im Tiere dadurch zu beweisen, daß es als notwendiges Erklärungsmittel für die äußerlich beobacht- baren Prozesse am Tierkörper herangezogen wird. Die Bewegungen der kontraktilen Substanz aus vorangehenden Ursachen zu erklären, muß vom Protisten bis zum Sänger eine rein physiologische Auf- gabe bleiben.«*)

1) Ziehen a. a. 0. S. 88: »Es ist klar, welch unendlicher Vorteil im Daseinskampf dem ersten Tier gewonnen war, welches in dieser (räumlichen) Weise seine Empfindungen lokalisierte.«

2) Derselbe, Üb. d. allg. Bez. zw. Gehirn u. Seelenleben 8. 36. Auch Ost- wald vertritt (Vorl. über Naturphilosophie, Leipzig 1902, S. 154, 388, 390, 409 f. u. a.) durchaus die Auffassung, dafi das Bewußtsein ein Mittel im Kampf ums Dasein ist.

3) Jodl, Psychologie S. 119.

4) Orundzüge der Psychologie S. 98. Vgl. femer S. 219, 255, 386, 430. Die Unvereinbarkeit des psychophysischen Parallelismus mit der Selektionstheorie wird ausführlich erörtert bei Rein, Föraök tiü en framstäiling af Psykologin eller vetenskapen om sfälen, 11^ Helsingfors 1891. Leider war mir das sohwe- dische Original nicht zugänglich und so ist mir Beins mit meinem sich in sehr vieler Hinsicht deckender Standpunkt nur durch das Referat bekannt geworden, das Arvid Grotenfeld in der Zeitschr. f. Phil. u. phil. Er. Bd. 103, S. 154f. über das Buch erstattet bat. Wenn übrigens Rein (a.a.O. S. 156), Erhardt (a.a.O. S. 145— 146), Jodl (Psych. S.84) und Hart mann (Mod. Psych. S.431) auch geltend machen , daß das Psychische als völlig nutzloses Organ nach den 6e-

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parailelismus. 247

Oflenbar aber kann das Prinzip rein physiologisch -mechanisti- scher Erklärung nicht auf die Tierwelt und deren Lebensäußerungen beschränkt bleiben: auch die menschlichen Handlungen müssen, die einfachsten wie auch die kompliziertesten, in allen ihren Verzwei- gungen und ihrem anscheinend planvollen Ineinandergreifen durchaus derselben Betrachtungs- und Erklärungsweise unterworfen werden. Nicht nur die Biologie im engeren Sinne, auch die gesamte Kultur- geschichte muß sich die »materialistische Denkweise« zu eigen machen, muß alles^ was bislang als Zeugnis für die Wirksamkeit des Geistes in der Natur angesehen ward, als das notwendige Produkt physischer, nach mechanischen Gesetzen blind wirkender Kräfte zu verstehen und aus ihnen zu erklären versuchen, als das ungewollte und in diesem Sinne zufällige Erzeugnis des großen Automats der Natur, der alle Organismen mit ihren vielgestaltigen Gliedern und Organen, ihren Zellen und Nerven, Muskeln und Sehnen in sich schließt und sich durch sie hindurch erstreckt »Die ganze sogenannte Weltgeschichte«,

setzen der Biologie durch natürliche Auslese längst zur Verkämmei-uDg, ja zum Yerschwinden hätte gebracht werden müssen, so scheiDt mir dieses Argument doch nicht unbedingt zutreffend zu sein. Denn dabei wird immer schon vorausgesagt, daß das Psychische ein »Organ< ist, das eigentlich dem Organismus irgendwelche Dienste leisten sollte, aber durch die Umstände den psychophysischen Paralle- lismus — daran verhindert wird, weshalb es denn verkümmern muß. Aber dieser ganze Gesichtspunkt muß , wenn der psychophysische Parailelismus gilt, eben voll- ständig aus der Betrachtung ausscheiden. Das Psychische ist kein Organ des körperlichen Organismus, es gehört einer ganz anderen Weit an, die ihre eigenen Zwecke hat Es muß, wie Jodl auch darzutun versucht (Psych. S. 84 f.), als lediglich zu seinem eigenen Dienst und Zweck in der Welt vorhanden betrachtet und ebenso muß die gesamte körperliche Welt als völlig sich selbst genügend auf- gefaßt und verstanden werden: das ist die Konsequenz , zu der der psychophysische Parallelismus uns nötigt. Andererseits bedeutet Jodls Auffassung der Rolle, welche das Geistige in der Welt zu spielen hat, keine Entkräftung des biologischen Einwandes. Wenn das Geistige auch nicht lediglich als Mittel im Kampf ums Dasein der Organismen, als Ausrüstung derselben anzusehen ist, sondern als etwas, das seinen Zweck in sich selbst hat was gewiß der Fall ist , so schließt das nicht aus, daß es zugleich auch benifen ist, dem Organismus Dienste zu leisten. Dieser Gesichtspunkt wird durch die Anerkennung des Eigenwerts des Geistigen nicht unberechtigt, vielmehr dürften sich beide Gesichtspunkte sogar gegenseitig fordern. Denn da die Sache doch nun einmal so liegt, daß es ein von aller körperlichen Organisation unabhängiges Geistiges nicht gibt, da der Geist die hohe Aufgabe, die ihm Jodl stellt, nur auf körperlicher Grundlage lösen kann, so wird der Geist, um seinen Selbstzweck zu erfüllen, zugleich auch für die Vervoll- kommnung der körperlichen Grundlage sorgen, also um seiner selbst willen auch die Rolle einer Ausrüstung des Körpers im Kampfe ums Dasein spielen müssen. Damit aber bleibt der Einwand der Biologie in ungeminderter Schäi'fe bestehen.

248 Erster Absohnitt Der psyohophysische Parallelisnmg.

sofiihrt Liebmann diesen Gedanken treffend aus, »von Adam Cadmon oder Ton Deokalion an bis auf die allemeuesten politischen Ereig- nisse der Gegenwart, wäre dann nur ein rein physiologischer, mit mechanischer Eausalnotwendigkeit ablaufender Prozeß; alles Wollen, Fühlen, Denken, Handeln, alle Absichten, Pläne, Überlegungen, Enttäuschungen, alles Suchen, Finden und Irren, alle Erkenntnisse und wissenschaftlichen Entdeckungen, die sich jemals in menschlichen Köpfen abgespielt haben, wären als eine ohnmächtige Begleiterschei- nung, als ein so nebenherlaufendes Accidens dieser nach materiellen Naturgesetzen mit strenger Notwendigkeit aufeinanderfolgenden G^ hirnzustände anzusehen; sio hätten wegen ihrer absoluten [Jnselb- ständigkeit nicht den geringsten Einfluß auf den Lauf des Geschehens, wobei denn die gewöhnlich angenommene Wechselwirkung zwischen menschlichen Persönlichkeiten durch materielle Wechselwirkung un- zähliger durch Ätherschwingungen, Luftwellen, Stöße und Püffe auf- einander wirkender Gehirne ersetzt sein würde. Das ist die Kon- sequenz!«^) Ähnlich sagt Stumpf: »Hiernach verläuft nun also jede der beiden Welten genau so, wie wenn die andere nicht existierte. Speziell die psychische Welt ist vollkommen einflußlos, irrelevant für den Ablauf und die Entwicklung der physischen. Die Organismen leben und handeln, die Menschen gründen Staaten, schreiben Gte- dichte, halten Kongresse (auch solche, worin die dem Worte Psycho- logie entsprechenden Luftbewegungen und Gehirnprozesse eine Bolle spielen), getrieben durch rein physische Kräfte, genau so, als ob gar kein Denken, Fühlen und Wollen existierte. Daß das die strenge Konsequenz ist, unterliegt keinem Zweifel.«^)

In der Tat, so liegt die Sache. Wir werden zu einer »materia- listischen 4: Geschichtsauffassung hingedrängt, die alles hinter sich läßt, was man bisher unter diesem Namen verstanden hat Wir müssen alle historischen Ereignisse, soweit sie aus äußeren Hand- lungen und Torgängen bestehen, Schlachten und Gefechte, Konzile und Verhandlungen mit ihren Abstimmungen und Beschlüssen, Staatengründungen und Revolutionen, alle politischen und sozialen

1) Gedanken u. Tatsachen, Straßb. 1899, S. 295. Vgl. die Ausführung in dem E[ap. »Psychologische Aphorismen« S. 464 468.

2) Eröffnungsrede S. 7. Ähnliche Darlegungen finden sich sehr häufig, z. B. bei Fräser, Philosophy of Theism I., Edinburgh u. London 1895, S. 263, James, Pr. of Ps. S. 132— 133, Sigwart, Logik IL, 2. Aufl., S. 541/542, Münster- berg a.a.O. S. 460, 558—560, Erhardt, Die "Wechselw. usw. S. 136— 139, V. Hartmann, Mod. Psych., S. 404, 422.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 249

Einrichtangen mit ihrer Arbeitsteilung, Eroberungs- und Ent- deckungsfahrten, alle Erfindungen, alle Wunder der Technik, alle Kunstwerke, auch alle Werke der Heilkunst, der helfenden Menschen- liebe, kurz, alles was uns Kunde gibt yon dem, was die Menschheit jetzt und früher erdacht und ersonnen, geschaffen und erarbeitet hat, als mit Naturnotwendigkeit entstandene Produkte eines blinden Mechanismus ansehen, als aus ihm ohne jede Zuhilfenahme psy- chischer Ursachen völlig erklärbar. Buckle behält nicht nur recht, er wird sogar noch bedeutend übertrumpft. Daß eine solche Auffassung von der Kulturgeschichte sich sehr paradox ausnimmt und sehr seltsam anmutet, wird niemand leugnen und können auch die Anhänger des psychophysischen Farallelismus ebensowenig in Abrede stellen, als sie leugnen können, daß sie die notwendige und unausweichliche Konsequenz ihres Standpunktes bedeutet. Es ist nützlich, sich das Groteske dieser Auffassung durch ein paar kon- krete Beispiele noch deutlicher zum Bewußtsein zu bringen.

Man nehme eine Unterredung zweier Personen, etwa ein Ge- spräch zwischen Examinator und Examinand. Da der phsycho- physische Parallelismus jedes Kausalverhältnis zwischen Physischem und Psychischem ausschließt, so dürfen wir die Aufeinanderfolge von Frage und Antwort auch nicht so verstehen, als habe das Yom Examinator gesprochene Wort im Bewußtsein des Examinanden das Hören und weiter das Verstehen desselben zur Folge, als schließe sich dann an dieses Verstehen das Überlegen und Nachdenken und endlich als letztes Glied in der Kette das Aussprechen der Antwort. Vielmehr müssen wir versuchen, die physischen Reihenglieder unter Ausschaltung jedes psychischen Zwischengliedes in ein rein physi- sches Kausalverhältnis zueinander zu bringen. Wie immer sich der Prozeß auch von innen betrachtet ausnehmen möge, nach seiner äußeren physischen Seite muß er als ein lückenloser phy- sischer Prozeß konstruiert werden. Das durch Gehirn, Nerven, Zunge und Kehlkopf des Examinators erzeugte Wort, d. h. die dieses repräsentierenden Schallwellen wirken , so müssen wir annehmen, auf Ohr, Nerv und Gehirn des Examinanden ein und lösen in seinem Gehirn eine Beihe physiologischer Prozesse, chemische Entladungen, Schwingungen, ümlagerungen von Molekülen aus, an die sich, durch motorische Zellen vermittelt, nervöse Prozesse und endlich wiederum Bewegungen der Sprachorgane knüpfen, die dann wieder eine Lufterschütterung verursachen: die Antwort Der Geist sowohl des Examinators als des Examinanden hat mit dem ganzen Prozeß als

250 Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelismus.

einem physischen nicht das Geringste zu ton. Die Absicht des ersteren, die Überlegungen, Zweifel, Bedenken, der Entschluß des letzteren sind zwar auch verbanden und begleiten die einzelnen Phasen des physischen Vorganges; auf die Gestaltung des letzteren haben sie aber nicht den geringsten Einfluß. Die Antwort des Prüflings ist das mit Naturnotwendigkeit erfolgende Produkt seiner Gehirn- und Nerventätigkeit; die Richtigkeit oder Falschheit der- selben hängt nicht von seinem Wissen oder Nichtwissen, seiner Klugheit oder Beschränktheit, seiner Geistesgegenwart oder Be- fangenheit ab, sondern von der augenblicklichen Konstellation seiner Gehirn- und Nervenzellen.^) Es ist das eine Auffassung, welche Flato schon im Phädon als Konsequenz materialistischer Biologie hingestellt und verspottet hat. Im G^präch mit seinen Freunden vor der Hinrichtung sagt Sokrates mit Bezug auf Anaxagoras, der zwar eine Vernunft an den Anfang alles Geschehens setzt, aber zugleich alles rein mechanistisch erklären will: »Und mich dünkte, es sei ihm so ergangen, als wenn jemand zuerst sagte, Sokrates tut alles, was er tut, mit Vernunft, dann aber, wenn er sich daran machte, die Gründe anzuführen von jeglichem, was ich tue, zu- nächst sagen wollte, daß ich deshalb jetzt hier säße, weil mein Leib aus Knochen und Sehnen besteht und die Knochen hart und durch Gelenke verbunden, die Sehnen aber so eingerichtet sind, daß sie angezogen und nachgelassen werden können, und mit dem Fleisch und der alles zusammenhaltenden Haut die Knochen um- geben. Und weil die Knochen locker in ihren Gelenken hängen, so machen die Sehnen, wenn ich sie nachlasse und anspanne, es möglich, daß ich meine Glieder jetzt beugen kann, und das sei der Grund, weshalb ich hier jetzt mit gebogenen Knieen sitze. Und ebenso, wenn er von meinem Gespräch mit euch ähnliche Gründe anfuhren wollte, etwa die Töne und die Luft und das Gehör und tausend andere Dinge, die wahren Gründe aber vernachlässigte, nämlich daß, da die Athener es für gut befunden haben, mich zu verurteilen, nun auch ich es für besser gehalten habe, hier zu sitzen und es für gerechter ge- halten habe, ruhig die Strafe zu erdulden, die sie verhängt haben.c')

1) Ein ähnliches Beispiel bei Sigwart, Logik 11., 2. Aafl., S. 54, und bei Ladd, Phil, of Mind., S. 336/337; vgl. Erhardt, Die Wechselwirkung usw. S. 157, und meinen Aufsatz: Leib u. Seele, Ztschr. f. Phil. u. phil. Er. Bd. 114, S. 11, 12.

2) Phädon, 98 Ende. Das Beispiel ist bereits von Hof 1er, Psych. S. 52 Anm. angeführt worden. Vgl. anch meinen Aufsatz: Leib u. Seele S. 14, 15; Liebmann, Gedanken u. Tatsachen S. 468.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismns. 251

In dem Aufsatze »Leib und Seele«, (in der Zeitschrift f. Phil, und pbil. Kritik Bd. 114), in welchem ich zum ersten Male diese Konsequenz des Parallelismus erörterte, habe ich^) zur Yeranschau- lichung derselben noch ein anderes Beispiel gegeben, das auch hier Platz finden möge: Napoleon I., die Schlacht bei Austerlitz leitend. Die gewöhnliche, psychophysische Wechselwirkung voraussetzende Anschauung, welche übrigens die Anschauung jedes Historikers sein dürfte, nimmt an, daß der siegreiche Ausgang der Schlacht neben der Tapferkeit und Geübtheit der französischen Truppen Yomehrolich dem Genie und der überlegenen Feldhermkunst Napoleons zu ver- danken sei. Kaltblütig die Bewegungen der Heereskörper verfolgend, weiß er jede günstige Situation blitzschnell auszunutzen. Die kompli- zierten, stets wechselnden und immer neue Konstellationen ergebenden Eindrücke fügen sich in seinem sie umfassenden Geiste zu einem ge- ordneten Ganzen zusammen. Er erkennt, wo Gefahr droht und findet alsbald ein Mittel, ihr zu begegnen. Er erspäht die Schwächen der feindlichen Stellung und weiß sie auszunutzen. Er errät die Ab- sichten, die Pläne der Feinde und versteht sie zu durchkreuzen. Blitzschnell und doch ohne Unordnung folgen sich in seinem Geiste die VorsteUungen, Überlegungen, Erwägungen, ebenso schnell folgen sich die Entschlüsse, die er in kurzen Befehlsworten verkündet Die Adjutanten fliegen, die Befehlshaber der einzelnen Kontingente geben entsprechende Weisungen, Kommandorufe erschallen, Geschütze fahren auf, ein Hagel von Geschossen begrüßt den Feind, ein ununter- brochenes Infanteriefeuer knattert über das Feld, die Regimenter stürmen an, ziehen sich zur Seite, umfassen die Flanke des Feindes, noch ein letzter, unter betäubenden mve rempereur -Rufen unter- nommener Vorstoß und die feindlichen, russischen und österreichi- schen, Heerhaufen räumen das Feld, verfolgt von den Kriegern Napo- leons: der Sieg von Austerlitz ist erstritten. So ist das Ganze ein stetiges Ineinanderwirken von körperlichen und geistigen Kräften. Die physischen Vorgänge wirken auf die Seelen der beteiligten Per- sonen ein, in ihren Erwägungen und Überlegungen, Lust und Schmerz, Furcht und Hofhung, Begeisterung und Entsetzen hervorrufend, die dann wieder sich in die verschiedensten körperlichen Prozesse und Vorgänge umsetzen , Schießen , Hauen und Stechen , Angriff und Ver- teidigung, Flucht und Verfolgung, Wunden und Tod zur Folge haben. Anders aber, ganz anders stellt sich die Sache vom Standpunkt des

1) S. 12, 13.

252 Erster Absohnitt Der psychophystsdie ParaUelismas.

psychophysischen Parallelismus aus dar. Der Zusammenhang der physischen Ereignisse muß unter Ausschaltung jeder psychischen Einwirkung als ein in sich geschlossener, durch ausschließlich physische Glieder yermittelter verstanden werden. Die Lichtstrahlen, welche, von den kämpfenden Heerkörpern ausgehend, die Netzhaut der Augen Napoleons treffen und dort ein Bild der Schlacht erzeugen, lösen in seinem Gehirn allerhand physiologische, d. h. chemisch -physikalische Prozesse aus, die sich wieder in Bewegungen von Zunge und Kehl- kopf umsetzen. Diese wieder haben Lufterschütterungen zur Folge, welche in anderen Leibern, den Leibern der Napoleon umgebenden Adjutanten, allerhand komplizierte Gehirn- und Nervenprozesse au&* lösen, deren wieder durch die mannigfachsten physischen Zwischen- glieder vermittelte Wirkungen Schenkel- und Zügeldrücke, Galopp, Befehle, Eommandorufe , Schießen, Vorrücken, Hauen und Stechen, Wunden und Tod, Flucht und Verfolgung bilden. Ein Beobachter, der in das Innere der Dinge hineinzublicken vermöchte, würde da freilich allerhand psychische Vorgänge, Vorstellungen, Gemütszu- stände, Willensimpulse gewahr werden, aber er würde nicht im stände sein, dieselben zu den Vorgängen, welche die äußere Beobachtung zeigt, in einen anderen Zusammenhang als den des bloßen Neben- einanderhergehens zu bringen. Sie sind auch da^ haben aber nicht den geringsten Einfluß auf den Ablauf der physischen Prozesse. Diese letzteren bleiben wie sie sind, auch wenn wir uns die psychischen Begleiterscheinungen hinwegdenken. Nicht Napoleons Genie hat die Schlacht gewonnen, sondern die mechanische Verkettung der physi- schen Prozesse, in welcher auch die paar Molekülumlagerungea in den Gehirnzellen Napoleons enthalten sind und ihre Arbeit leisten, hat den Ausgang mit Notwendigkeit herbeigeführt. Wenn nicht der psychophysische Parallelismus zu jedem physischen Vorgang einen entsprechenden psychischen als Begleiterscheinung forderte, so hätte Napoleon, während seine Gehirnzellen sich chemisch veränderten, auch garnichts oder etwas ganz anderes denken können: der physische Kausalzusammenhang, der ja von allen psychischen Einwirkungen unabhängig ist, wäre doch der gleiche, der Ausgang der Schlacht also derselbe geblieben.

Und was hier von Napoleon I. bei Austerlitz gilt, gilt natür- lich in gleicher Weise von allen historischen Persönlichkeiten und ihren Handlungen, die sämtlich als lediglich physische Beflexhand- lungen zu konstruieren sind. »Caesar würde über den Bubikon gegangen, Napoleon IIL bei Sedan gefangen genommen sein, die

Drittes Kapitel. Die Nachteile des ParallelismuB. 253

ganze sogenannte Weltgeschichte würde ebenso, wie es faktisch ge- schieht, auch dann f^erlaufen, wenn so etwas wie »Seelenleben« in der Welt nicht existierte. Dies die einfache, nackte Wahrheit. «i) Der Yollkommene Physiolog »würde uns den Verfasser der Kritik der reinen Vernunft als eine Art Uhrwerk demonstrieren; bei dieser Disposition der Oehirnzellen, ihren Verbindungen untereinander und mit motorischen Nerven müßten solche auf die Netzhaut, auf die Tastnerven der Einger wirkende Reize solche Bewegungen veran- lassen, prinzipiell nicht anders wie bei einem Schreibautomaten oder einer Spieldose. Von Gedanken und dergleichen wäre bei jenen Demonstrationen keine Rede; der Physiolog könnte darum wissen, daß auch so etwas stattfindet, aber für seine Demonstration würde er davon keinen Gebrauch machen wollen und dürfen, Gedanken können so wenig die Finger bewegen, als sie den Mond aus seiner Bahn zu lenken vermögen . . . Das Spiel der Gehirnmoleküle . . . und nicht die Gedanken sind Ursache der Bewegungen, durch welche die Schriftzeichen auf das Papier gebracht werden.« 2) Ganz ähnlich sagt James: >If we knew thoroughly the nervous System of Shake- speare, and OS thoroughly all his enmroning conditions, we should be able to show why at a certain period of his life his hand came io trace on certain sheets of paper those crabbed Utile block marks which we for shortness' sake call the manuscript of Hamlet, We should understand the ratimiale of every erasure and aüeration iherein and we should understand all this without in the slightest degree acknowledging the existence of the thoughts in Shake- speare's mind,€ »In like manner we might exhaustively write the biography of those two hundred pounds, more or Uss, of warmish aUmminoid matter called Martin Luther, vdthout ever implying thai it feU,<^) So hat ein eigentümlicher in der stofflichen Beschaffenheit und der Konstellation der Gehirn- und Nervenzellen Luthers begründeter physiologischer Prozeß es veranlaßt, daß er am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Schloßkirche zu Wittenberg schlag. Wäre uns die Zahl und Art der verschiedenen Atome, die damals das Gehirn Luthers bildeten, genau bekannt, so könnten wir aus ihnen im Verein mit den auf sie einwirkenden äußeren Reizen seine Handlung als natumotwendige Wirkung der Tätigkeiten dieser Atome erklären und ableiten. Wir würden aus dem leeren Magen

1) Liebmannn, Gedanken n. Thatsachen, S. 468.

2) Paulsen Einl. 2. Aufl. S.92, 6. Aufl. S.93.

3) a.a.O. S. 132, 133, vgl. Höfler a.a.O. S. 51.

254 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismus.

einiger tausend Menschen die französische Revolution, aus dem Spiel einiger Millionen von Gehirnzellen, Blutkörperchen, Nerven- und Muskelfasern nebst einer Anzahl von optischen, akustischen, ther- mischen und ähnlichen physikalischen Prozessen es erklären, daß Christus, als er in Jerusalem einzog, eine große, lebhaft bewegte, Palmen schwingende und Hosianna rufende Menge um sich scharte, daß dieselbe Menge kurze Zeit später ihm ihr »Kreuzige« ent- gegenbrüllte, daß er gegeißelt, nach Golgatha geschleppt und ans Ereuz geschlagen ward und am Kreuze hängend in die Worte aus- brach: »Yater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.c

und wie alles, so müssen nun auch die Bücher, welche die An- hänger des Parallelismus zur Begründung und Verteidigung dieses Standpunktes schreiben, mit all den scharfsinnigen Argumenten, die sie enthalten, nicht als ein Produkt und Zeugnis des Geistes, des .Scharfsinns, des Wissens, der Gelehrsamkeit ihrer Urheber, sondern als die notwendigen, im teleologischen Sinne aber zutälUgen Pro- dukte des blinden Spiels ihrer Gehimatome angesehen und erklärt werden. Der Parallelist muß sich selbst als einen Automaten und sein Buch als ein Maschinenprodukt ansehen, über welches er weder Stolz noch Freude zu empfinden Veranlassung hat, da ja sein Geist an der Erzeugung desselben nicht den geringsten Anteil hat ^The briUiant additions io scientific literature^y bemerkt Fräser gegen Huxley als Verfechter der Parallelismustheorie, -^for which we are grateful to Professor Huxley, when we refer them io his seif- consdous agency, are only ihe natural issue of an organism, itsdf one of ihe issties of the grcLdiuü evoluticm of ihe rnaterial universe: his published works might have existed eocactly as they exist notCj if neither his consdous life nor any oiher had ever made appear- ance in the universe,^^) Dieselbe Konsequenz hielt Stumpf in fein pointierter Wendung den parallelistisch denkenden Teilnehmern am psychologischen Kongreß in München entgegen,^) und in humor- voller Weise formuliert sie Liebmann: In der Theorie sind wir blinde Maschinerien, in der Praxis müssen wir uns so verhalten, als wären wir enorm viel mehr. »Und so werde denn auch ich fort- fahren, so zu handeln, als ob ich diese Worte hier deshalb nieder- geschrieben hätte, weil ich sie schreiben wollte.«')

1) Philosophy of Theism., L, Edinb. and London 1895, S. 263.

2) S. das Citat S. 248.

3) Ged. u. Thats. S. 468.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismos. 255

Nun, daß das alles höchst paradox sich ausnimmt, wird auch der enragierteste Anhänger des psychophysischen Parallelismus nicht wohl leugnen können; hat doch Paulsen ein so lebhaftes Gefühl für den Eindruck, den diese Lehre auf den gesunden Menschen- verstand machen muß, daß er ihn mit einem: »Aber das ist ja Un- sinn« gegen die Zumutung, die Kritik der reinen Vernunft als Maschinenprodukt aufzufassen, protestieren und auch »den einen oder anderen Physiologen« darüber am Parallelismus irrewerden und sagen läßt: »Das kann ja kein Automat leisten, das kann nicht ohne Denken und Absicht erklärt werden.«^)

Und da auch der Philosoph, wenn er auch den sogenannten »gesunden Menschenverstand« nicht als höchsten Bichter in Fragen anerkennen kann, die zumeist über den Horizont desselben hinaus- gehen, doch nicht ohne Not sich zu sehr von ihm entfernen mag, so ist es sehr erklärlich, daß sich die Anhänger des Parallelismus bestrebt zeigen, die von uns hervorgehobene Parado;jde als in Wirk- lichkeit garnicht vorhanden hinzustellen.

Einen dahin zielenden Versuch machen z. 6. Paulsen und Hey- mans, indem sie auf die idealistische Orundanschauung verweisen, die sie mit ihrem ParaUelismus verbinden, während Biehl mit Hilfe des kritischen Monismus alle Schwierigkeiten aus dem Wege räumen zu können meint. Gegen meine Darstellung des Zusammen- hanges der Dinge in der Schlacht bei Austerlitz bemerkt Paulsen, daß doch für den idealistisch denkenden Parallelisten alle die Weiß-, Grün- und Blauröcke, die da gegeneinander kämpfen, samt dem peilt caporal und seinem dreieckigen Hute, sowie auch alle Kugeln, die da hin iind wieder fliegen, nur Erscheinungen intelligibler Vorgänge seien: die letzteren, die ein die Dinge völlig durchschauen- des Bewußtsein restlos erkennen würde, seien die allein wahrhaft wirklichen Ereignisse. Und in den Zusammenhang dieser Ereignisse gehen ja die Überlegungen, Entschlüsse, Gemütszustände ein, nicht als bloß begleitende Epiphänomene, sondern als wirkende, Einfluß ausübende Faktoren. Man braucht sich also nur auf die idealistisch- metaphysische Grundlage der ganzen parallelistischen Vorstellung zu besinnen, um die Auffassung, die der Historiker von der Sache hat, als die richtige anerkennen zu können, nur daß der idealistische

1) Einl. 2. Aufl. S. 92, 6. Aufl. S. 94. Auch König gesteht zu, daß die Automatentheorie »im höchsten Grade paradox ist« (Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 119, S. 36).

256 Erster Absohnitt Der psyohophysische Parallelismns.

Metaphysiker und Parallelist die Gedanken, Willensantriebe und Ge- fahle nicht auf Nerven und Muskeln, Flinte und Säbel, sondern auf die diesen Dingen zu Grunde liegenden intelligiblen Bealen wirken und von solchen Einwirkungen erleiden läßt, den Zusammenhang also als einen rein psychischen konstruiert Dieser wahrhaft wirk- liche Zusammenhang erscheint nun aber einem mit der Fähigkeit sinnlicher Wahrnehmung ausgestatteten Wesen, also etwa einem die Schlacht anschauenden und seine Wahrnehmungsinhalte analysierenden vollkommenen Physiologen als ein Kausalzusammenhang von Flinten, Säbeln^ Kugeln, Kanonen, menschlichen und tierischen Leibern, Muskeln, Nervenfasern und Zellen, ein Zusammenhang, in welchem nun ebenso jedes psychische Glied fehlt, wie in dem metaphysischen jedes physische.^) Und in ähnlicher Weise macht Heymans gegen Erhardt geltend, daß auch der Monismus die teleologische Bedeutung der Gefühle nicht zu leugnen brauche, da sie ja in der psychischen, metaphysischen Reihe sich zur Geltung bringen, und spielt den psy- chischen Kausalzusammenhang auch gegen Kromans Beispiel des seine Dampfmaschine konstruierenden Watt und des seine Prinzipien schreibenden Newton aus.^)

Wird aber dadurch die Paradoxie wirklich beseitigt? Es bleibt ja doch alles beim alten. Jener psychische Zusammenhang ist eine Sache für sieh, er gehört einer Welt an, in welcher nach der Auf- fassung, welche die Paulsen und Heymans von der Sache haben, das ganze Problem, das uns hier beschäftigt, verschwindet. In der Welt der Dinge an sich gibt es ja nach Paulsen keine Kanonen und Flinten, keine Bücher und Dampfmaschinen, keine Muskeln und Nerven, sondern nur geistige Vorgänge, Vorstellungen, Gefühle, Triebe, Bestrebungen und derartige mehr oder weniger bewußte oder vielleicht zum Teil ganz unbewußte Prozesse. Daß die aufeinander einwirken können, wollen wir gern glauben. Wir aber fragen: Ist es glaublich, daß das Hin und Her, Vorbereitung und Ausgang einer Schlacht, daß Dampfmaschinen, gelehrte Bücher, herrliche Bildwerke, Gemälde, Prachtbauten naturwissenschaftlich erklärt werden können als naturnotwendige Produkte des im teleologischen Sinne zufalligen mechanischen Zusammenwirkens von ein paar Millionen oder Milliarden Atomen? Sollen wir annehmen, daß alles, was menschliche Erfindungsgabe, Phantasie und Geisteskraft auf der

1) Noch ein Wort zur Theorie d. Parall. Zeitsohr. f. Phil. u. phiL Kr., Bd. 115, S. 7 u. 8.

2) a.a.S.93, 94, 96.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 257

Erde geschaffen hat, alle die Wunder der Baukunst und Technik naturwissenschaftlich auf eine Stufe zu stellen seien mit Yorgängen der Bildung der Erdrinde , der Entstehung der Gebirge, mit Tulka- nischen Ausbrüchen , Erdbeben, Überschwemmungen, Wirbelstürmen usw. usw., die wir als Wirkungen blind wirkender Naturkräfte an- zusehen uns gewöhnt und zu erklären verstanden haben? Die Zu- mutung, die in einem derartigen Ansinnen liegt, bleibt gleich groß, ob man hinter allen physischen Ereignissen noch intelligible Prozesse annimmt oder nicht Mag auch immerhin der Geist eines Eant oder Newton das dem Manuskript der Kritik der reinen Vernunft oder der mathematischen Prinzipien der Naturphilosophie zu Gninde liegende intelligible Ding verursacht haben: das Manuskript selbst ist und bleibt das zufällige Produkt des Spiels einer Anzahl von Gehirnmolekülen, und diese Ansicht bleibt so paradox, wie zuvor.

Aber nicht nur hat die Flucht in die idealistische Metaphysik in Wirklichkeit nicht den Erfolg, den sich der Parallelist davon verspricht, sie ist an sich ganz unberechtigt und unzulässig. - Wer auf dem Boden des psychophysischen Parallelismus steht, hat kein Becht, sich, sobald die Eonsequenzen seines parallelistischen Stand- punktes anfangen, ihm unbequem zu werden, aus dem paralle- listischen Dualismus in den idealistischen Monismus zu flüchten, deshalb nicht, weil der ganze Parallelismus von physischen und psychischen Prozessen sich überhaupt nur unter der Voraussetzung der Objektivierung und Verselbständigung der physischen Erscheinungen durchführen läßt und der Streit zwischen ihm und der Theorie psy- chophysischer Wechselwirkung daher durchaus auf diesem Boden durch- geführt werden muß. Ich knüpfe hier an an das, was ich früher in dem Kapitel über den idealistisch -monistischen Parallelismus (S. 144 f.) ausgeführt^) und dessen Eonsequenz ich bereits in der Anmerkung zu 8. 159 und in der Schlußbetrachtung S. 182/183 angedeutet habe. Wenn wir uns auf die idealistisch-spiritualistische Basis zurückziehen, so geben wir damit eben den Parallelismus, den wir durch diesen Schachzug seiner Paradoxität ent- kleiden wollten, auf. In der intelligiblen metaphysischen Wirk- lichkeit gehen die »Erscheinungen«^ die selbst zu psychischen Inhalten geworden sind, den anderen psychischen Vorgängen nicht mehr parallel, sondern sind in den Eausalzusammenhang derselben ver- flochten. Sie bilden mit ihnen einen Zusammenhang, der, je nach-

1) Besonders 8.151 159 und 174—182. Baas«, Geist und Köiper, Seele und Leib. 17

258 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismas.

dem man die »Erscheinungen« nach ihrer Natur als psychische Akte oder nach ihrem Inhalt in Betracht zieht, sich als ein rein psychischer oder als ein psychophysischer Kausalzusammenhang, in keinem Fall aber als ein Parallelismus darstellt. Die Sache liegt garnicht so, daß die Kanonen und Flinten, Menschen- und Pferde- leiber, Muskeln und Nerven und Zellen in dem intelligiblen Zu- sammenhang, als welcher sich die »Schlacht bei Austerlitz« einem um- fassenden und das Innere der Dinge vollständig erkennenden Bewußt- sein präsentieren würde, garnicht vorkämen. Soweit diese Dinge von Napoleon und den übrigen Teilnehmern an der Schlacht ge- sehen worden sind, als Wahmehmungs- und Yorstellungsinhalte, sind sie auch in der »primären« oder intelligiblen Reihe durchaus enthalten und stehen mit den übrigen Gliedern derselben in Kausalzusammen- hang, sind sie die Wirkungen einiger und die Ursachen anderer von ihnen. Bezeichnen wir die »physischen« Vorgänge der Schlacht bei AxxsiQTlitz mit abcdefg .. .^ die ihnen parallelgehenden psy«- chischen Prozesse mit aßydeKri . . ., so nimmt das fingierte voll- kommene Bewußtsein nicht lediglich die »psychische« Reihe a^/dc^ij... wahr, sondern percipiert einen Zusammenhang von vielleicht der Form aßyadebcdteff] . . . Um von diesem metaphysischen Zusammen- hang aus zu einer parallelistischen Auffassung zu kommen, müssen wir die Wahrnehmungsinhalte objektivieren, verselbständigen, oder vielmehr ihnen, die ja in der »primären« Reihe nicht entbehrt wer- den können , eine zweite Reihe von verselbständigten Inhalten gegen- überstellen und diese dann durch hypothetisch hinzugefügte Ergän- zungsglieder zu einem geschlossenen Ganzen machen. Ob dieses Resultat beim Übergang von metaphysisch -idealistischer zu empirisch - realistischer Anschauung das einzig mögliche ist, ob nicht vielmehr eine Anschauung, welche die verselbständigten »physischen« Er- scheinungen in Kausalzusammenhang mit physischen Gliedern setzt, als ein natürlicheres und ungezwungeneres Resultat erscheint, soll hier nicht nochmals erörtert werden, nachdem in dem erwähnten Kapitel das Nötige darüber gesagt worden ist. Genug, daß beide, Paralle- lismus wie Wechselwirkungslehre, Theorien darstellen, die nur, wenn wir jenen Übergang bereits vollzogen haben, Sinn und Bedeutung haben und zueinander in dem Gegensatz, den die Bejahung oder Verneinung psychophysischer Kausalität bezeichnet, stehen. In dem Abgrund idealistisch -spiritualistischer Metaphysik verschwindet so^ wohl der psychophysische Parallelismus als auch die Lehre von der psychophysischen Wechselwirkung, dort verliert sowohl das Prinzip

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Farallelismus. 259

der Erhaltung der Energie als auch das der Geschlossenheit der Naturkausalität jeden Sinn und jede Geltung. Da gibt es nur Psychisches und nur psychische Wirkung, da wirkt die Seele nur auf Seelisches, entweder auf die dem Gehirn zu Grunde liegenden intelligiblen Dinge, oder auf die, welche das intelligible Substrat der Muskeln und Nerven bilden wie sie denn auch von dem einen oder dem anderen intelligiblen Substrat Wirkungen erleidet

Im Lichte höchster metaphysischer Denkweise betrachtet stellen beide, die Wechselwirkungstheorie wie der psychophysische Paralle- lismus, gewissermaßen Fiktionen dar, wenn auch solche, die den Anspruch erheben, den wahren Sachverhalt in symbolischer Weise, d. h. so wiederzugeben, wie er sich bei der Übersetzung aus dem Metaphysischen ins Empirische darstellen muß. Glauben wir nun aus den Gründen, welche zumeist für den Parallelismus angeführt werden, um des Prinzips der Erhaltung der Energie und der Ge- schlossenheit der Naturkausalität willen die Übersetzung im Sinne des psychophysischen Parallelismus unter Ablehnung jeder psycho- physischen Kausalität vornehmen zu müssen, so müssen wir dann aber auch den Mut haben, alle Konsequenzen, die sich aus dieser Stellungnahme ergeben, mögen sie auch noch so paradox, seltsam, unglaublich erscheinen, zu vertreten, und dürfen nicht, sobald sie uns entgegengehalten werden, uns auf einen Standpunkt zurückziehen, auf dem der Parallelismus, zu dessen Yerteidigung wir diesen Schritt tun, selbst verloren geht^) Der Parallelist darf diesen Schritt umso weniger tun, als er ja selbst gegen die Vertreter der Wechselwirkungstheorie mit Argumenten kämpft, die auch nur auf empirisch -realistischem Boden, unter der Voraussetzung einer unab- hängig vom Bewußtsein existierenden physischen Wirklichkeit, Sinn und Bedeutung haben können. Das Prinzip der Erhaltung der Energie, der Grundsatz der Geschlossenheit der Naturkausalität, die Behauptung der Unmöglichkeit psychophysischer Kausalität, das alles läßt sich doch nur verwenden^ wenn wir uns auf den Boden em- pirisch-realistischer Betrachtung stellen, wenn und solange man die Fiktion einer realen physischen Welt aufrecht erhält. Der Anhänger der Lehre von der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele könnte ja sonst auch diesen Einwänden gegenüber sich unter die schützenden Böcke der Mutter Metaphysik verkriechen. Er könnte sagen: In Wirklichkeit gibt es ja gar keine Physis und also auch keine phy-

1) Was Heymans a.a. 0. S.86, 87 ja ausdrücklich anerkennt.

260 Erster Abschnitt. Der psychophysisohe Parallelismus.

sische Energie, die konstant bleiben müßte; er könnte darauf hin- weisen, daß die psychophysische Kausalität, gegen welche der Pa- rallelist so eifere, sich metaphysisch ja als eine psychische Kausalität, als eine Wechselwirkung der Seele mit dem intelligiblen Substrat des Gehirns entpuppe usw. Meines Wissens haben aber die An- hänger der Wechselwirkungslehre diesen Weg bislang nie einge- schlagen, sondern haben es sorgfaltig vermieden, im Kampf gegen den Parallelismus die metaphysische und die empirische Betrachtungs- weise durcheinander zu mengen. Mit Recht, sie dürfen das ebenso- wenig tun, als der Parallelist. Wie der Anhänger der Wechselwirkung die psychophysische Kausalität als solche festhalten und ihre Mög- lichkeit und Denkbarkeit gegen die Argumente der Gegner vertei- tigen muß, ohne auch nur nach der Metaphysik hinüberzuschielen, so muß auch der Parallelist die ausschließlich physische Kausalität in Biologie und Geschichte aufrecht erhalten und ihre Möglichkeit dartun, ohne bei der Metaphysik eine Hilfisanleihe zu machen. Wenn man erst den Gegner mit Argumenten, die alle auf dem Boden empirisch -realistischer Weltbetrachtung gewachsen sind, mit dem Energieprinzip, dem Geist der Naturwissenschaft und der Notwendig- keit, ihn zu respektieren, bekämpft, dann aber, wenn der Gegner mit einem auf dem gleichen Boden gewachsenen, nur auf ihm mög- lichen, auf ihm aber auch berechtigten Gegenargument antwortet, diesen Hieb dadurch zu parieren versucht, daß man plötzlich den Kampfplatz wechselt und sich in die Metaphysik flüchtet, so bedient man sich doch einer unerlaubten Fechtweise, spielt man ein täu- schendes Doppelspiel.^)

Also der Streit zwischen der parallelistischen und der Wechsel- wirkungslehre muß, soweit die Frage der psychophysischen Kausa- lität in ihm eine Rolle spielt, durchaus und allein auf dem Boden empirisch -realistischer Weltbetrachtung zum Austrag gebracht werden. Und auf diesem Boden ist man durchaus berechtigt zu sagen, der Parallelist müsse die Ereignisse, welche zusammen den räumlich - zeitlichen Verlauf der Schlacht bei Austerlitz bilden, physikalisch - chemisch auseinander erklären und ableiten, als wenn die psychischen Yorgänge gamicht vorhanden wären. Denn auf diese kommt es aut diesem Standpunkt wirklich nicht an. Mögen auch in der Identität des Absoluten beide Reihen irgendwie vereinigt und eins sein: in

1) Ygl. die Ansfühnmgen Erhardts, Psyohophys. Parali. u. erkenntnistheor« Idealismus. Ztschr. f.Phil.u.phil.K>. Bd. 116 S. 286, 8.-A. S. 34, Die Wechselw. usw. S. 137, 151. y. Hartmann, Mod. Psychologie 8.383.

Drittes Kapitel. Die Naohteile des Parallelismus. 261

der empirischen Wirklichkeit haben wir immer nur zwei einander parallel laufende, aber voneinander yöUig unabhängige, einander garnichts angehende Reihen. Wir können die psychische Reihe hinwegdenken oder sie in Gedanken anders gestalten: die physische Reihe, die ja ihre eigene Gesetzmäßigkeit hat und deren Glieder lediglich durch diese bedingt sind, wird dadurch nicht verändert, sondern bleibt, wie sie ist Und so hätte, wenn die physischen Ereignisse der Schlacht bei Austerlitz wirklich lediglich durch phy- sische Ursachen bedingt waren, Napoleon bei Austerlitz allerdings ebensogut über die Quadratur des Zirkels nachdenken oder auch garnichts denken können, ohne daß deshalb der Ausgang der Schlacht ein anderer hätte sein müssen. Die physischen Erscheinungen sind, wie sie sind, auch wenn die psychischen Vorgänge sich ändern oder überhaupt ausfallen. i)

Das erkennen denn auch die meisten sowohl Anhänger wie Gegner des Parallelismus durchaus an, manche heben es, wie die oben angeführten Zitate bezeugen, ausdrücklich hervor. So sagt Stumpf: »Hiernach verläuft nun also jede der beiden Welten genau so, wie wenn die andere nicht existierte.« Die Menschen handeln »genau so, als ob gar kein Denken, Fühlen und Wollen existierte. Daß dies die strenge Eonsequenz ist, unter-

1) Statt der obigen Konsequenz, die ich in der Tat vertrete, schiebt mir Paulsen in seiner Entgegnung auf meinen Aufsatz »Leib u. Seele« eine andere zu, die ich nicht gezogen habe und auch nicht vertrete. Er läßt mich behaupten, daß der parallelistische Philosoph als Parallelist die psychische Eeihe ver- leugnen müsse (Ztschr. f. Phil. u. phil. Kr. Bd. 115, S. 8). Das habe ich nicht gesagt, wie ich schon Ztschr. f. PhiL u. phil. Kr. Bd. 116, S. 73/74 ausgeführt habe. Der Parallelist muß natürlich zu jedem physischen Vorgang auch einen entsprechenden psychischen Vorgang fordern, das ist für den Parallelismus not- wendig. Aber der Parallelismus selbst erscheint, wenn wir die Natur als völlig unabhängig von der psychischen Welt betrachten, nicht als notwendig, sondern als ein Zufall. Die uoabhängige, sich selbst genügende Natur braucht die psy- chische Seite nicht ebenso notwendig, wie der Parallelismus; die Konsequenz des letzteren, die Unabhängigkeit der Natur, macht ihn selbst für eben diese Natur überflüssig. Denselben aus demselben Mißverständnis entsprungenen Vorwurf macht mir auch Rick er t (Psychophys. Kaus. u. psychophys. Parall., Sigwarts Fest- schr., Tübingen 1901 , S. 66/67): > Solche Konsequenzen werden vielmehr gerade durch den Parallelismus verboten.« Aber der Parallelismus hat den Dingen nichts zu erlauben und nichts zu verbieten. Er kann fordern, daß, wer sich zu ihm be- kennt, auch bei jedem physischen Vorgang einen entsprechenden psychischen Vor- gang annimmt, aber er kann nicht verbieten und verhindern, daß dieses Auch- dasein des psychischen Vorgangs für den physischen Zusammenhang und seine Erklärung so gut wie ein Nicht dasein ist.

262 Erster Absciinitt Der psyohophysische Parallelisraas.

liegt gar keinem Zweifel.« Sie zieht denn auch Sigwart mit den Worten: »Alles, was in ihm (dem Körper) vorgeht, müßte aus bloß physikalischen und chemischen Ursachen ebenso vorgehen, wenn auch gar kein psychisches Geschehen existierte.«^) Ähnlich äußert sich Wentscher: »Das Wirkliche würde gerade so, wie es jetzt verläuft, auch seinen Ablauf nehmen, wenn die psychischen Er- wägungen und Entschlüsse, von denen wir es so vielfach beeinflußt glaubten, gamicht vorhanden wären.«') Hartmann faßt sogar Paulsens eigene Meinung nach seiner Darstellung des Austerlitz- argumentes dahin auf, daß der Gang der Schlacht genau derselbe gewesen sein würde, wenn die die Vorgänge begleitenden Gefühle, Gedanken usw. fortgefallen wären.') Um auch noch einige An- hänger des Parallelismus anzuführen, so sagt schon Fechner (Seelen- frage S. 94): »Wenn man nicht aus Selbsterfahrung wüßte, daß ein Mensch empfindet, denkt, müßte man ihn nach dem, was von ihm physiologisch erfaßbar ist, nicht minder von Grund aus bis zum Schluß und Gipfel ganz aus Organen und Prozessen des vegetativen Lebens, Yermittelungen und Resultanten solcher Prozesse aufgebaut halten als die Pflanze«. Auch Jodl gibt zu, daß die physischen Vorgänge ruhig ihrer Kausalität folgen, als ob die psychischen gar- nicht da seien.^) Ziehen sagt geradezu: »Der materielle Prozeß, welcher der Handlung zu Grunde liegt, ist in sich völlig abge- schlossen und auch ohne den psychischen Parallelvorgang, ohne Empfindungs- und Erinnerungsbilder vollkommen verständlieb. Die Handlung würde nicht anders verlaufen, auch wenn die Er- regung der Sinneszelle ohne das Korrelat der Empfindung und die zurückbleibende materielle Disposition ohne das Korrelat des Erinnerungsbildes oder der Vorstellung bliebe.«*)

Ebenso gibt auch König ohne weiteres zu, daß durch den psychophysischen Parallelismus das menschliche Individuum zu einem Automaten gemacht wird, »der nach blinder, naturgesetzlicher Not- wendigkeit funktioniert und ganz ebenso auch funktionieren

1) Logik n', 2. Aufl., S.525.

2) Erhardt wurde schon weiter oben erwähnt

3) Mod. Psych. S.350, 351. Vgl. auch 8.56, 360 u. 457. Ich erwähne endlich auch noch Rein in der schon genannten Arbeit: Försök usw., Helsingfors 1891; vgl. Grotenfeldt, Zeitschr. f. PhU. u. phil. Kr. Bd. 103, S. 155, 157.

4) a. a. 0. S. 74.

5) a. a. 0. S. 211.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Paralleliamos. 263

würde, wenn ihm jede seelische Innerlichkeit abginge« (Zeit- schrift f. Phil. u. ph. Kr. Bd. 119, S. 36, vgl. Bd. 115, S. 162). Endüch finden wir auch bei Biehl Sätze, welche dieselbe Ansicht ganz unzwei- deutig zum Ausdruck bringen: »Wir denken uns, daß alles, was in der organischen und zugleich animalen Natur, einschließlich der menschlichen, mit Bewußtsein geschieht, soweit es sich um die zur äußeren Anschauung gelangende Seite dieses Geschehens handelt, ebenso auch ohne Bewußtsein geschehen würde. Und dieser Gedanke ist richtig, wenn er nur der Methode der äußeren Natur- forschung Ausdruck geben wilL«^) Und ganz richtig sagt Riehl weiter, daß wir, wenn wir uns auf den Standpunkt stellen, die physischen Prozesse auch in den Organismen durch bloß physische Ursachen restlos zu erklären, überhaupt keinen rechten Grund mehr haben, eine psychische Parallelerscheinung vorauszusetzen und anzunehmen. >Wäre uns der Mechanismus der Bewegungen in der nervösen Substanz vollständig bekannt, kennten wir überdies die Veränderungen, die diese Substanz vorübergehend oder dauernd durch frühere Eindrücke erfahren hat und auf Grund deren sie auf erneute äußere Eindrücke in modifizierter Weise zurückwirkt, so würde es uns an einem objektiven Kriterium für das Vor- handensein von Bewußtsein in dieser Substanz gänzlich fehlen. Wir würden dann sämtliche Bewegungen derselben, auch die willkürlichen, mechanisch begreifen.«^)

Nun zeigt sich aber andererseits Biehl wiederum bemüht, die »physiologische Antinomie«, wie er selbst den Widerstreit zwischen der kausalen biologisch-kulturhistorischen Betrachtungsweise und der Eonsequenz des Parallelismus bezeichnet,^) durch das Universalheil- mittel des »kritischen« Monismus zu beseitigen, in einer eigen- tümlichen, mit der eben zitierten und mit manchen anderen Äuße- rungen von ihm nicht recht im Einklang stehenden Weise. Die Antinomie soll doch nur dann bestehen, wenn man die absolute Realität der mechanischen Vorgänge in der Natur voraussetzt, soll aber verschwinden, sobald man an die Stelle dieser Auffassung die kritische Lehre setzt, daß diese Vorgänge Erscheinungen des

1) Krit. 8. 200.

2) Ebendaselbst S. 213. Dasselbe Argument in ähnlicher Form bei Fräser, a. a. 0. S. 264, 266. Nach F. kommen wir daher auf diesem Wege logischerweise zum Solipsismus.

3) Krit. IP S. 177 u. 179.

264 Erster Abschnitt. Der psychophysisohe Parallelismus.

Wirklichen sind.^) Das ist insofern richtig, als im metaphysischen Jenseits, mag man es nun als ein Psychisches oder als das dem Psychischen und Physischen zu Grunde liegende identische Beale be- trachten — zwischen beiden Auffassungen schwankt der kritische Mo- nismus ziemlich unkritisch hin und her der Gegensatz des Phy- sischen und Psychischen überhaupt und damit sowohl die psycho- physische Kausalität als auch der psychophysische ParaUelismus verschwindet. In der Erscheinung dagegen, in der das Absolute eben zwei Seiten aufweist, bleibt aber, wie soeben gegen Paulsen hervorgehoben, deshalb doch alles beim Alten, bleibt mit der Dualität auch die Parallelität und mit dieser die Unmöglichkeit gegenseitiger Beeinflussung bestehen, und deshalb lehnten wir die Berufung auf die Metaphysik als unzulässig ab. Riehl glaubt aber sogar durch seine Bezugnahme auf den metaphysischen Sachverhalt auch die Berechtigung, auf parallelistischem Boden die biolo- gisch-kulturhistorische Betrachtungsweise beibehalten zii dürfen, dartun zu können, was schlechterdings unmöglich ist Daß Biehl diese Unmöglichkeiten verkennt, ist in dem Fehler begründet, an dem seine ganze Argumentation leidet und der sich durch alle seine Beispiele hindurchzieht Er besteht in nichts anderem, als in dem oben S. 138f. von uns kritisierten ganz unmöglichen Unternehmen, physische und psychische Vorgänge, weil sie zwei als solche doch zu unterscheidende Seiten eines identischen Vorgangs sind, selbst zu identifizieren, also zwei eins und eins := zwei zu setzen und dann zu folgern, daß die physische Ursache eines psychischen Vorganges zugleich eine psychische, also der letztere auch durch eine psychische Ursache mit hervorgebracht sei. Einer- seits wird in der metaphysischen Identität die Zweiheit, der Unter- schied des Physischen und des Psychischen, insgeheim doch fest- gehalten, andererseits wird die metaphysische Identität noch in die Erscheinung und ihren Dualismus hineinpraktiziert und auf diese Weise ein Mitwirken der in der Erscheinung gesondert hervor- tretenden psychischen Seite eines Vorganges an der gleichfalls in der Erscheinung hervortretenden physischen Seite eines anderen des verursachten Vorganges herauskonstruiert Natürlich ist das ein ganz unzulässiger Kunstgriff. Daraus, daß ein die Identität der beiden in der Erscheinung sich voneinander abhebenden und miteinander unvergleichbaren parallelen Seiten a und a dar-

1) a. a. 0. S. 187.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 265

stellender Yorgang X die Ursache des die Identität der ebenso unvergleichbaren parallelen Erscheinungsseiten b und ß darstellenden Torganges T ist, folgt nie und nimmer, daß a irgendwie als Ur- sache von b anzusehen sei. Vielmehr an sich und metaphysisch ist eben lediglich die Kausalität ^--fF vorhanden; zenällen wir dieses Ansich in seine beiden Erscheinungsseiten, so treten an die Stelle der absoluten und an sich seienden Kausalität X-^ T die beiden parallelen Kausalitäten a-^2» und a-^ß^ nie aber eine Kausalität a— f /8 oder a— f 6. Erscheint sie also dennoch, wie es bei Riehl der FaU ist, so beruht sie auf einer Verwechslung von Dingen, die ein kritischer« Monismus sorgfaltig unterscheiden müßte. »Zu dem Nerven- vorgange, der in seinem auf die äußeren Sinne bezogenen Teile wie jeder andere Vorgang in der Außenwelt als Bewegung erscheint oder doch als solche vorzustellen ist, gehören unter umständen Empfin- dung und Wille als wesentliche Bestandteile, eine Annahme, die sich sogar als notwendig herausstellt, wenn wir nicht in den Dua- lismus geraten wollen. Sofern also gilt wieder der Satz des Biologen, daß Vorstellung und Wille an der Bewegung, d. i. an dem Vorgang, der den objektiven Sinnen als Bewegung erscheint, wesentlich be- teiligt sind.«i) Hier ist das quid pro quo ganz deutlich. Es ist ganz unzulässig zu sagen: an der Bewegung, d. i. an dem Vorgang, der den objektiven Sinnen als Bewegung erscheint, denn der reale Vorgang, der uns als Bewegung erscheint, ist an sich selbst nicht Bewegung. Empfindung und Vorstellung aber haben an der Her- vorbringung des realen Vorganges, der uns als Bewegung erscheint, keinen Anteil, da sie ja nur Erscheinungen sind und Erscheinungen doch nicht Dinge an sich produzieren können. An dem Auftreten der Bewegung haben sie aber natürlich erst recht keinen Anteil, und der Satz des Biologen gilt nicht, sofern der Parallelismus gilt.

Zu dem Nervenvorgang gehören Empfindung und Wille unter keinen Umständen , weder als wesentliche noch als unwesentliche Be- standteile. Was ist der Nervenvorgang? Ist er der Bewegungs- vorgang selbst oder das, was ihm zu Grunde liegt? Das bleibt bei Biehl unklar. Er ist natürlich eben die Bewegung, die wir wahr- nehmen oder vorstellen, bezw. ein irgendwie gearteter physischer Vorgang, kurz eine Erscheinung. Zu ihm gehören nun Empfindung und Wille in gar keinem Falle, wenn der Parallelismus irgend- welchen Sinn behalten soll; auch der Wunsch, nicht in den Dualis-

1) a. a. 0. S. 183.

266 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismus.

mos zu geraten, darf doch nicht dazu verführen, die Dualität der Erscheinungen anzutasten. Aber auch wenn wir unter dem Nerven- vorgang den realen Vorgang selbst verstehen wollten, dessen Er- scheinung die Bewegung ist, so würde zu ihm Empfindung und Wille auch nicht gehören^ da sie ja auch nur einen und zwar den der Bewegung parallel gehenden Bestandteil der Erscheinungs- welt bilden. Will Biehl den Dualismus als Methode festhalten, wie er S. 191 es für nötig erklärt, so darf er auch die psychische Mit- wirkung bei physischen Vorgängen nicht in irgend einer Form retten wollen. Jeder dahinzielende Versuch führt wieder zu dem unmög- lichen prindpium ideniatis discemibilium zurück. Der Begriff der ^^qualitativen Wirksamkeit«, den er auf derselben Seite einführt, leidet an eben diesem Fehler. »Daß wir sämtliche Vorgänge in der Natur aus mechanischen Gründen zu erklären haben, ist eine Vor- schrift, welche keineswegs mit der Forderung: gewisse Vorgänge in der Natur zugleich aus psychischen Ursachen zu erklären, im Wider- spruche steht «^) Es soll sich nämlich bei der »mechanischen« Er- klärung um die quantitative, bei der anderen Forderung aber um die qualitative Seile desselben Vorganges handeln und beide Forde- rungen sollen sich nur dann widersprechen , wenn sie von derselben Erscheinung in derselben Hinsicht gelten sollen. Nun, dieser Wider- spruch ist eben vorhanden. Wir können als Parallelisten immer nur sagen, daß gewisse Vorgänge in der Natur durch Vorgänge ver- ursacht seien, die von psychischen Parallelvorgängen begleitet sind, nicht aber, daß sie in irgend einer Weise von den letzteren selbst mit verursacht sind.*) Und so kann denn auch der Wille nicht, wie Riehl will, als mitbedingende Ursache eines Bewegungsvorganges auftreten. »M. a. W., ein Vorgang, der mit unserem Willen erfolgt und sich den äußeren Sinnen gleich jeder anderen Begebenheit in der Natur als Bewegung darstellt, könnte ohne unseren Willen nicht eintreten, er wäre ohne den Willen nicht mehr derselbe Vorgang,

1) S. 193.

2) Die Sachlage gestaltet sich noch komplizierter dadurch, daß Riehl an- nimmt, daß die Wirksamkeit der materiellen Dinge sich nicht im Mechanischen er- schöpft, und daß die »innere subjektive Seite« nun halb als eine physische nicht- mechanisch wirkende Kraft, halb als die psychische, die physischen Vorgänge be- gleitende Wirksamkeit (aus der schließlich das Bewußtsein hervorgeht) erscheint und wir also drei Faktoren haben, deren Verhältnis zu einander im unklaren bleibt, die bald als identisch, bald als verchieden erscheinen: 1. die physische mechanisch wirkende Aktivität, 2. die physische nicht mechanisch wirkende Aktivität, 3. die psychische Aktivität Vgl. auch S. 194, 205.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismas. 267

obgleich er sich der äußeren Erscheinung nach von anderen Be- wegungsvorgängen nicht unterscheidet «1) Derselbe Vorgang wäre er etwa in demselben Sinne nicht mehr, wie die Bewegung eines Körpers^ der durch einen anderen , einen Schatten werfenden Körper gestofien wird, nicht dieselbe ist, wenn der stoßende Körper, da die Sonne gerade über ihm steht, keinen Schatten wirft: sie ist dann nicht eine durch einen Schatten werfenden Körper hervorgerufene Bewegung. Der physische Vorgang bleibt, was er ist, ob der seine Ursache begleitende psychische Vorgang nun stattfindet oder nicht. Ist eine Ursache, welche eine psychische Begleiterscheinung hat, verschieden von einer solchen, bei der das nicht der Fall ist, so ist sie doch nicht nur deshalb verschieden, weil sie das psychische Korrelat hat, das jener fehlt, sondern weil sie anders ist, als jene, hat sie es, jene aber nicht. Vorgäoge, welche physische Ursachen haben, mit denen psychische Epiphänomene verknüpft sind, haben also andere physische Ursachen, als solche, deren Ursachen ohne solches Korrelat sind, und die Verschiedenheit der physischen Ursachen ist der alleinige Orund dafür, daß sie selbst verschieden sind. Das Psychische spricht dabei gamicht mit, also auch nicht bei der Inner- vation (S. 195).*) Es ist daher nicht richtig, daß, wer zugibt, daß die zentrale Innervation die Auslösung einer Bewegung, z. B. eines Armes ist, damit zugibt, s>daß der mit der Innervation identische(!) Willensimpuls ein ursächliches Moment dieser Bewegung sei (S. 199), da£ zur vollständigen Ursache die psychische Seite so gut wie die physische gehöre, daß es ebenso wahr sei, daß der Wille den Arm bewegt, wie daß die zentrale Innervation diese Bewegung auslöst; es ist nicht ebenso wahr, zu sagen, daß die Hand des Künstlers von der Idee seines Werkes geleitet, wie daß sie von den cerebralen Prozessen, welche die Erscheinung dieser Idee für einen außen- stehenden Beobachter bilden würden, regiert werde (ebendaselbst). Das Gegenteil ist überall der Fall, überall besteht auf parallelistischem Boden nur die physische Kausal Verknüpfung zu Becht, während psychische Verursachung physischer Vorgänge in jeder Form völlig ausgeschlossen ist. Der Wille wirkt, wie Riehl S. 200 richtig be- merkt, nur auf das Intelligible, das Ding an sich der Materie, aber er ändert dadurch nicht, wie R hinzufügt, »die Erscheinung des- selben für die äußere Anschauung«:, sondern diese Änderung wird durch den dem auf das Intelligible wirkenden Willen parallel laufenden

1) S. 193/194.

2) Ebenso liegt die Sache S. 202 u. 211.

268 Erster Absohnitt. Der psyohophysische ParaUelismos.

physischen Vorgang hervorgerufen, und so kann sich denn bei paralielistischer Denkweise der biologischen Betrachtung das Bewußtsein auch nicht als das Mittel darstellen, »solche Anpassungs- bewegungen hervorzurufen, die nicht durch bereits fertige oder an- geborene Mechanismen ausgelöst wordene (S. 201), kann es mit nichten gleichgültig sein, ob man die Ursache einer Instinkthandlung auf der physischen oder psychischen Seite der die Bewegung ver- anlassenden Empfindung suchen will (S. 202), kann Meynerts be- kanntes Schema, seine Bichtigkeit vorausgesetzt, den Einfluß des Bewußtseins auf die Form der Bewegung nicht evident machen (S. 203) usw.^) Unberechtigt ist vom Standpunkt des Parallelismus aus die Behauptung, daß die Sozialpsychologie nur indirekt mit der allgemeinen Nervenphysiologie zusammenhänge (S. 208), sowie die Ablehnung der Buckleschen Oeschichtstheorie (S. 209). Diese ist vielmehr die notwendige und unausweichliche Konsequenz des psycho- physischen Parallelismus.

Die richtige Eonsequenz des Parallelismus zieht Riehl allein in den oben S. 263 zitierten Sätzen, die mit den Versuchen, die Mit- wirkung des Psychischen zu retten, gamicht zu vereinigen sind.

Den Widerspruch, der zwischen dem psychophysischen Paralle- lismus und der biologisch-kulturgeschichtlichen Auffassung des Yer- hältnisses von Geist und Körper besteht, löst die kritische Philosophie, wie sie Biehl versteht, nicht (S. 200), sondern sie begeht ihn.

Ich muß also auf meinem Schein bestehen. Wer sich zum psychophysischen Parallelismus bekennt, muß auch als Biolog und Kulturhistoriker die Konsequenz desselben, welche die Automaten- theorie darstellt, anerkennen und der in ihr liegenden Paradoxie mutig ins Auge blicken. Die Bedenken gegen solche Auffassung durch Hinweis auf die idealistische Metaphysik, in der ja alles ganz anders aussieht, zu beschwichtigen oder gar auf dem Wege metaphysi- scher Begriffsverwirrung eine psychische Auch -Ursache neben der physischen herauszuspekulieren, ist nicht erlaubt. Der Parallelist muß alle psychischen Ursachen physischer Vorgänge abschwören und sich entschlossen auf den Standpunkt stellen, alles was in der sicht-

1) Schopenhauer, anf den sich Kiehl S. 204 bemft, kann hier aach nicht als Eideshelfer fungieren, denn er ist in diesem Punkte ebenso inkonsequent, wie Riehl. Er ist einerseits Parallelist und läßt andererseits doch fortwiUirend den Willen auf den Körper einwh'ken und ihn gestalten.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Farallelismus. 269

baren Welt in die Erscheinung tritt, Dampfmaschinen und Beethoven- Statuen so gut wie Layablöcke und Eisberge, als das natumotwendige Ergebnis blinder, mechanisch wirkender Kräfte anzusehen und dem- gemäß zu erklären. Statt verfehlter Beschwichtigungsversuche muß er die Möglichkeit, die Sache allem Anschein des Gegenteils zum Trotz so erklären zu können, festhalten und wahrscheinlich zu machen versuchen. In »seiner Einleitung in die Philosophie« hat denn auch Paulsen diesen Weg, den er in dem gegen mich gerichteten Artikel der Zeitschrift für Philosophie nicht zum Vorteil der Sache, die er verfocht, verlassen hat, mit Entschlossenheit eingeschlagen: »Was aber die Unfähigkeit des Körpers zu solchen »automatischen« Leistungen anlangt, so kann man darauf mit Spinoza antworten: bisher hat noch niemand die Grenze dessen gefunden, was der Körper als solcher leisten könne.« »Mit den fünfhundert oder tausend Millionen ZeUen der Hirnrinde, die alle wieder aus ungezählten, überaus kom- plizierten und verschiedenartigen chemischen Molekülen zusammen- gesetzt und durch zahllose Leitungsbahnen miteinander verbunden sind, wird sich ja etwas ganz anderes macheu lassen, als mit den paar Bädern und Hebeln unserer Maschinen, und wenn in Wirklich- keit unsere Physiologen damit noch so gut wie gamichts machen können, so ist doch der Phantasie damit ein grenzenloser Spielraum eröffnet«.^)

Daß es mit dem grenzenlosen Spielraum, der der Phantasie er- öShet worden ist, seine Bichtigkeit hat, beweist allerdings ein Blick auf die physiologischen Theorien, durch welche man der in der Automatentheorie liegenden Forderung tatsächlich hat genügen wollen, deren verwirrendes Durcheinander und phantasievolle Kühnheit nur zu geeignet ist, die prinzipiellen Zweifel an der Möglichkeit mecha- nistischer Biologie und Geschichte zu verstärken. Ist es denn über- haupt denkbar, die lebendige Begsamkeit der Tiere, die technische, künstlerische, wissenschaftliche, soziale Arbeit des Menschenge- schlechts auf physikalisch- chemischem Wege völlig begreifen, Biologie und Geschichte in »mechanische« Naturwissenschaften verwandeln zu wollen?*) Wie ungeheuer groß die Schwierigkeiten sind, die sich einem derartigen Versuch entgegenstellen und ihn als hoffnungslos erscheinen lassen, beweist am besten die Tatsache, daß so viele Yertreter des psychophysischen Parallelismus doch auf biologisch-

1) 2. Aufl. 8. 92, 93; 6. Aufl. S. 94.

2) Daß es nioht denkbar sei, gesteht u. a. Rickert, Sigwart- Festschrift, Tübingen 1900, S. 86.

270 Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelismtis.

kulturgeschichtlichem Oebiet einfach wieder in die kausalistische Auf- fassung zurückfallen, die doch mit psychophysischem Parallelismus schlechterdings unvereinbar ist.

So Schopenhauer. Während er im Prinzip die Ansicht ver- tritt, daß der Leib die äußere Erscheinung oder Objektivation des Willens als des inneren, ideellen Prinzips ist, daß er in der durch die Vorstellung bedingten sinnlichen Form dasselbe darstellt^ was, ohne diese Form betrachtet, Wille ist, faßt er doch immer wieder den Willen als das Agens auf, das auf den Körper einwirkt und ihn gestaltet, als die »ürkraft, welche den tierischen Leib 8cha£F); und erhält«^) Der Wille ist es, »welcher auch in der Pflanze die Gtomme ansetzt, um Blatt oder Blume aus ihr zu entwickeln«, und welcher »überhaupt als das wahre und einzige avröfiatovy im eigentlichsten Sinne des Worts, auch allen Kräften der unorganischen Natur zum Grunde liegt, in allen ihren mannigfaltigen Erscheinungen spielt, wirkt« etc.^) Man braucht nicht gerade jeden Satz, in welchem Schopenhauer statt der eigentlich zu nennenden organischen Vor- gänge den Willen als Ursache nennt, ihm als einen Verstoß gegen das parallelistische Grundprinzip auszulegen; wer aber die Schrift »Über den Willen in der Natur« und die einschlägigen Kapitel der »Welt als Wille und Vorstellung« •) unbefangen liest, wird doch den Eindruck erhalten, daß das, was Schopenhauer den Willen in der sichtbaren Natur zu Wege bringen läßt, nicht im metaphorischen Sinne, son- dern durchaus ernstlich gemeint ist Ungeachtet seines Parallelismus stellt er sich ganz unbefangen auf den biologischen Standpunkt, welcher das Psychische als eine Ausrüstung des Organismus ansieht und ihm wichtige Dienste leisten läßt, hält er an der teleologisch- biologischen Deutung der Gefühle fest und faßt den Intellekt als eine wichtige Waffe im Kampf ums Dasein. Ausdrücklich hebt er beim Motiv, »welches die Bewegung des Tieres hervorruft«, die Imma- terialität der Ursache hervor^) und fügt hinzu, daß hier »ihr schein- bares Zuwenigenthalten gegen die Wirkung den höchsten Grad er- reicht« und »die Unbegreiflichkeit zwischen beiden (Ursache und Wirkung) sich zu einer absoluten steigern« würde', »wenn wir, wie die übrigen Kausalverhältnisse, auch dieses bloß von

1) W.W. (Grisebaoh) H., S. 342.

2) S. 343.

3) Verwiesen sei besonders auf die Kapitel 22 u. 23 des zweiten Bandes.

4) Grandprobleme der Ethik W. W. HI, S. 417.

- Drittes Kapitel. Die Nachteile des Farallelismus. 271

Aufsen kennte n.€ So aber »ergänzt hier eine Erkenntnis ganz anderer Art, eine innere, die äußere.«^)

Über Spencer ist früher bereits das Nötige bemerkt worden,') ebenso habe ich eine mit dem parallelistischen Prinzip nicht zu- sammenstimmende Äußerung Ziehens schon angeführt^ Daß auch Haeckel von seinen Atomseelen und deren psychischen Kräften einen Gebrauch macht, der mit dem psychophysischen Farallelismus unver- einbar ist, indem er sie die Oestalt des Plasma mit aufbauen,^) die Geschlechtszellen durch ihre sinnlichen Triebe zueinander hingezogen sein läßt,^ und was dergleichen Vorstellungen mehr sind, wird keinem unbefangenen Leser der» Welträtsel « verborgen bleiben können.^)

Was aber sollen wir sagen, wenn wir sogar Philosophen, welche ihren parallelistischen Standpunkt ausführlich dargelegt und begründet haben und welche wir als Vorkämpfer der parallelistischen Denk- weise, als Rufer im Streit anzusehen gewohnt sind, nichtsdestoweniger ganz unbefangen die altgewohnten Wege biologisch -historischer Be- trachtung wandeln sehen, die vom parallelistischen Standpunkt aus doch verbotene Wege sind?

Friedrich Jodl ist sich der Bedeutung des Einwands, den der »Satz der Biologie, daß in der gesamten Entwicklung der Lebewesen nur diejenigen Eigenschaften und Organe sich auszubilden und fort- zubilden vermögen, welche für ihren Träger eine fördernde Wirkung im Kampfe ums Dasein haben«, dem Parallelismus gegenüber be-

1) 8. 418. Vgl. auch S. 424. Übrigens hat diese Inkonsequenz ja bei Schopen- hauer ein Oegenstück in der Behauptung, daß der Intellekt »tertiär«, eine Funktion des Gehirns sei. Das Schwanken Schopenhauers hebt auch Yolkelt in seinem Schopenhauerbuche (Fromanns Klassiker Bd. X) S. 82f. hervor, vgl. S. 373, 8.263— 64 Note.

2) S. oben 8. 106 f. Anm. 6.

3) a.a.O. 8.88, s. oben S. 246 Anm. 1.

4) Welträtsel 8. 137, 140.

5) 8. 74.

6) Adickes hat ganz recht, wenn er sagt, daß wir damit von Blumen- bachs »Bildungstrieb« nicht mehr weit entfernt sind. Aber seine eigene dyna- mische Konstruktion der Materie, welche die Bewegungen durch das Eingreifen von Kräften hervoigerufen werden läßt, die yon primitiven psychischen Zuständen kaum zu unterscheiden sind , bedeutet im Grunde auch eine Verletzung des paralle- listischen Prinzips. Auch bei Haeckel steht, wie auch früher bereits erwähnt worden ist, dieser mit dem Parallelismus nicht zu vereinbarenden Anschauung die andere, mit ihm gleichfalls nicht in Einklang zu bringende materialistische gegenüber: das Psychische ein Erzeugnis der physischen Vorgänge.

272 Erster Abschnitt Der psyohophysisolie FaraUelismus.

deatet, durchaus bewußt; er nennt ihn ausdrücklich einen »emstenc.^) Aber schon die Betrachtung, die er im nächsten Paragraphen (48) diesem Einwand entgegenstellt, zeigt, daß er die Denkweise, zu der die parallelistische Anschauung nötigt und gegen welche sich der biologische Grundsatz richtet, nicht konsequent festhält Auf einem »kritisch besonnenen Standpunkt« soll es töricht sein, zu sagen, es könne ein organisiertes und tätiges Menschengehim geben, ohne daß seine Tätigkeit von Bewußtsein begleitet wäre.^) Doch nicht, sondern auch wenn wir aus metaphysischen Gründen es für selbst- verständlich und notwendig halten, daß auf bestimmten Stufen der physischen Entwicklung psychische Begleiterscheinungen auftreten, so bleibt es doch auf »kritisch besonnenem«: parallelistischen Standpunkt dabei, daß die biologisch -physische Erforschung und Erklärung diese psychischen Begleiterscheinungen als nicht vorhanden betrachten muß. Ganz im Sinne der herkömmlichen, psychophysische Wechselwirkung voraussetzenden biologisch -anthropologischen Denkweise sind nun aber die folgenden Sätze gehalten. »Der bewußte denkende Wille des Menschen ist nicht bloß Produkt in der Welt, sondern auch Faktor; eine Kraft unter anderen Kräften; und darum aus der menschlichen Entwicklung nicht zu eliminieren. Die Evolution der Menschheit ist nicht, wie ein übertriebener Naturalismus es bisweilen darzustellen sucht, das Werk blinder Naturkräfte, die den Fortschritt besorgten, wie sie den Aufbau des Planetensystems besorgt haben; sondern das Ergebnis stetigen Zusammenwirkens der blinden Naturkräfte mit den sehend gewordenen Naturkräften, d. h. menschlichen Zweckgedanken. Wenn die Wirklichkeit und ihre Kräfte allenthalben das menschliche Denken, die menschliche Zwecktätigkeit beeinflussen, so umgekehrt auch menschliche Zwecke jederzeit die Wirklichkeit Ohne die Be- rücksichtigung dieses unaufheblichen Wechselverhältnisses gibt es kein wahres Yerständnis menschlicher Entwicklung.«^) Sehr schön, vriie stimmt es aber damit, daß nach S. 119 auch die höchsten Leistungen unserer bewußten Intelligenz nichts anderes als »Cere- brationen«, d. h. mechanische Auslösungs- und ümschaltungsverhält- nisse des Gehirns sind? Als solche sind sie doch wohl das Werk blinder Naturkräfte, und der »übertriebene Naturalismus«, der den Fortschritt der menschheitlichen Entwicklung durch sie ebenso be-

1) Psychologie S.83.

2) 8. 84.

3) a. a. 0. S. 160.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Paralleiiamos. 273

sorgen läBt, wie sie den Aufbau des Planetensystems besorgt haben^ behält recht. Der »bewußte denkende Wille« des Menschen aber, sofern wir ihn als etwas von Gerebration Verschiedenes betrachten, ist dann allerdings aus der menschlichen Entwicklung, mit der es die Biologie zu tun hat, zu eliminieren, er ist als solcher weder Produkt noch Faktor, sondern ein bloßes Epiphänomenon. Einem ähnlichen Verstoß gegen die Eonsequenz des Parallelismus be- gegnen wir auf S. 382/383. Nachdem Jodl ausgeführt hat, daß jeder Organismus eine beständige Anpassung von biologischen Vor- gängen an Vorgänge der Außenwelt darstellt, bemerkt er, daß, wenn nun die Entwicklung eine Stufe erreicht, welche das Auftreten psychischer Vorgänge gestattet, sich die notwendige Folge ergebe, daß die den Organismus bedrohenden Vorgänge als schädlich un- mittelbar empfunden werden. Gut! Wenn Jodl diese Notwendigkeit nun aber weiter mit den Worten begründet: »weil jedes Wesen, dem diese Fähigkeit mangelte, der Vernichtung ausgesetzt wäre«, so ist diese Begründung vom parallelistischen Standpunkt aus ganz unzulässig, denn die »Cerebrationen^, als welche biologisch und physio- logisch betrachtet die Lust- und Schmerzgefühle sich darstellen, wür- den eben auch ohne die psychischen Begleitphänomene ihre Schuldig- keit tun und den Organismus nach Kräften vor Schaden bewahren. Der Dienst, den Jodl hier von den psychischen Fähigkeiten erwartet, ist nur verständlich und möglich, wenn wir annehmen, daß die Ge- schöpfe sich durch ihre Gefühle zum Handeln bestimmen lassen, psychische Vorgänge also in den Ablauf physischer Prozesse bestimmend eingreifen. Diese Annahme macht Jodl auch S. 383. »Denn von dem Augenblick an, in welchem psychische Phänomene in einem Organismus hervortreten, wird auch das Verhalten und die Tätigkeit dieses Organismus in einem gewissen Grade wenigstens von ihnen abhängig. Und ein Wesen, in dem die Regulierung seiner Tätigkeit durch psychische Erlebnisse in einem seiner Erhaltung hinderlichen Sinne erfolgte, würde lebens- und fortpflanzungsunfahig sein.« Also sollen »in diesem Sinne« Schmerz und Lust doch »Wächter des Lebens« innerhalb der bewußten Welt, das Gefühl »die wichtigste Bedingung zur Selbsterhaltung des Organismus« sein. Denn »von Lust und Schmerz hängt ab, welche Reize als normal und fördend aufgesucht und festgehalten, welche als nachteilig ge- mieden und verabscheut werden. Eben darum ist auch das Gefühl überall da, wo es der Regulierung der menschlichen Handlungen bedarf, die letzte und ausschlaggebende Instanz; eine Perversität des

Busse, Geist and Körper, Seele vnd Leib. 18

274 Erster Abschnitt. Der psychopbysische Parallelismiis.

Gefühls ist durch keinen Verstand wieder gut zu machen.«^) Die Rolle, die hier dem Gefühl an sich mit Becht zugeschrieben wird, kann es nicht spielen, wenn der psjchophjsische, alle psycho- physische Wechselwirkung ausschließende Parallelismus zu Becht besteht. Jodls Annahme bedeutet eine flagrante Verletzung des parallelistischen Grundprinzips, das auch auf biologischem Gebiet unbeirrt durchzuführen ihm eben nicht gelingen will.^)

Auch in diesem Zusammenhang muß ich endlich W. Wundt wiederum jenen Anhängern des psychophysischen Parallelismus zu- zählen, welche dem parallelistischen Prinzip nicht treu bleiben, es nicht konsequent durchführen, sondern Annahmen mit ihm verbinden, die es tatsächlich aufheben.

Seinen Parallelismus bringt Wundt wiederholt mit einer Ent- schiedenheit zum Ausdruck, die keinen Zweifel an seiner Überzeugt- heit aufkommen läßt Die Annahme psychischer Ursachen, die auf das physische Geschehen bestimmend einwirken könnten, ist ihm gleichbedeutend mit der Einräumung eines Wunders.^) Und dieser Standpunkt wird auch im >System der Philosophie« festgehalten. Das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität und das der Erhaltung der Energie nötigen uns den Parallelismus auf. »Da nun aber innerhalb der objektiven Naturerklärung ein unmittelbares Herein- greifen psychischer Triebe in den Verlauf des physischen Geschehens nach den allgemeinen Prinzipien der Naturkausalität, ob man nun als solche die mechanischen Prinzipien oder das Energieprinzip an- wendet, nicht statuiert werden darf, so ist hiermit (nämlich mit der Annahme eines psychischen Einflusses) für die physiologische Eau- salerklärung nicht das geringste gewonnen.«*) Und ebenso würde die Naturerklärung, wenn sie in den geistigen Zweckzusammenhang die Glieder eines damit in Verbindung gedachten Naturzusammen-

1) Vgl. auch noch S. 432, wo Jodl selbst des Arguments, daß die psychischen Vorgänge bei pai*alielistischer Auffassung ganz sinn- und zwecklos werden, sich bedient: »Wenn der ganze Weltprozeß in Natur und Geschichte sich genau ebenso hätte abspielen müssen durch den bloßen Automatismus der Organismen ohne alle psychische Begleiterscheinungen , wenn alle dieselben Kunstwerke und Wissenschafls- werke auch ohne Seelenleben hätten geschaffen werden müssen, welchen Sinn hat dann die Existenz psychischer Parallelerscheinungen aus dem Gesichtspunkt der mechanischen Weltanschauung ?c

2) Auch V. Hartmann rügt Mod. Psych. S. 376 Jodls Inkonsequenz.

3) Phü. Studien X. S. 33.

4) System d. Phil. 2. Aufl. S. 499.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parailelismas. 275

banges aufnehmen wollte, aus der ihr angewiesenen Bolle fallen.^) Yielmehr »greift bei den fundamentalen Lebensvorgängen überall eine zwiefache Interpretation Platz: eine physikalisch -chemische, die ihren Zusammenhang mit den allgemeinen Naturbedingungen nach- weist, und eine psychologische, welche die Zwecktätigkeit des orga- nischen Lebens und seine Bedeutung als Substrat der geistigen Ent- wicklung begreiflich macht.') Die Naturwissenschaft führt die Natur- erscheinungen auf Prinzipien der Naturkausalität zurück, die Psychologie dagegen sucht in den geistigen Vorgängen selbst begründete kausale Prinzipien auf.^) Auch stehen diese Forderungen durchaus im Ein- klang mit Wundts metaphysischem Standpunkt, demzufolge ja die Seele der gesamte Zweckzusammenhang geistigen Werdens und Ge- schehens ist, der uns in der äußeren Betrachtung als das objektiv zweckmäßige Ganze eines lebenden Körpers entgegentritt^) Diesen sehr bestimmt lautenden Aussprüchen stehen aber andere gegenüber, welche die Annahme psychophysischer Wechselwirkung als zulässig, ja als notwendig erscheinen lassen. Man wird freilich nicht überall da^ wo Wundt von physischen oder psychischen Ursachen psy- chischer oder physischer Vorgänge spricht, aus dieser Ausdrucks- weise eine Verletzung des parallelistischen Prinzips folgern dürfen: auch der Parallelist hat natürlich ebenso das Becht, sich derartiger abgekürzter Bezeichnungen unbeschadet seiner parallelistischen Grund- überzeugung zu bedienen, wie der auf Kopernikus-Eepler- New tonscher Grundlage fußende Astronom das Becht hat, von Sonnenaufgang und -Untergang zu reden. Und in diesem Sinne er- klärt Wundt selbst in einem schon bei früherer Gelegenheit^) von mir zitierten Satze von psychophysischer Kausalität sprechen zu wollen. »Hier ist die Psychologie, die als empirische Wissenschaft die Gegenüberstellung von Natur und Geist anzuerkennen hat, genötigt, einen Übergang physischer in psychische Kausalverbindungen anzu- nehmen, indem sie die Entwicklung solcher Voraussetzungen, welche den mit den Grundprinzipien unseres Erkennens unvereinbaren Be- griff einer psychophysischen Wechselwirkung beseitigen, der Meta-

1) Ebendas.

2) S.571.

3) S. 592. Vgl. auch S. 593: Von jeder Wisseuschaffc ist zu yerlangen, dafi sie vor allen Dingen die Prinzipien des Gebiets zur Anwendung bringe, dem sie selbst angehört: die Physiologie also die Prinzipien der Natui*kausalität, die Psy- chologie die der geistigen Kausalität.

4) S. 606.

5) S. 75.

18*

276 Erster Abschnitt. Der psychophysische Farallelisinus.

physlk überläßt«^) »Die von den Metaphysikern so viel erörterte Frage«, erklärt er weiter,*) »wie es denn der Wille anfange, um überhaupt auf physische Organe zu wirken, kann dabei ganz außer Betracht bleiben. Denn nicht darum handelt es sich hier, wie es im letzten Grunde möglich sei, das Verhältnis von Natur und Geist metaphysisch widerspruchslos zu denken, sondern allein darum, wie nach den in der Erfahrung gegebenen Tatsachen die Entstehung zweckmäßiger physischer Bildung möglich ist. Unter diesem Ge- sichtspunkte sind aber die Beziehungen zwischen dem Wollen und den seinem Einfluß unterworfenen Organen lediglich als empirisch gegebene hinzunehmen, und nur in diesem empirischen, uns aus dem täglichen Leben geläufigen Sinne ist darum hier von einer Wirkung des Willens die Rede.« In diesem Sinne werden wir es demnach wohl zu verstehen haben, wenn Wundt z. B. sagt:*) »In Wahrheit kann von der Psychologie die Empfindung nur als ein intensives Quäle betrachtet werden, dessen Yerbindung mit anderen ähnlichen Empfindungen zwar durch gewisse regelmäßig existierende oder einander folgende Beizeinwirkungen äußerlich veranlaßt, nicht aber im eigentlichen Sinn verursacht wird.« Ereilich steht diese ganze Auffassung im Widerspruch zu der sonst von Wundt ver- tretenen, wonach die empirische Betrachtung gerade das Parallel- prinzip zu Grunde legen soll, aber dieser, früher*) von mir wieder- holt hervorgehobene Widerspruch geht uns an dieser Stelle nichts an. Also, können wir im Sinne Wundts sagen, wir wollen der Einfachheit wegen zunächst und für die empirische Betrachtung des Verhältnisses von Leib und Seele die Sache so ansehen, als ob Physi- sches auf Psychisches und Psychisches auf Physisches einwirke; wir be- halten uns aber vor, die richtige nämlich parallelistiscbe Auffassung schließlich an die Stelle der zunächst als provisorisch gewählten zu setzen. Aber doch nicht alle Stellen, in denen Wundt von psycho- physiscber Kausalität spricht, lassen sich nach diesem Bezept be- handeln und deuten. Vielfach stoßen wir auf Sätze, in denen er die Annahme, daß psychische Ursachen in den Ablauf physischer Er- eignisse eingreifen, ausdrücklich deshalb für unerläßlich erklärt, weil er die Möglichkeit einer rein physikalisch -chemischen Erklärung für ausgeschlossen hält. Und zwar sind es auch hier wieder die bio-

1) System S.300, 301.

2) S. 327.

3) PhU. Studien X, S.87.

4) Vgl. S. 75 und S. 90/91 Anm. 1.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Paralielismus. 277

logisch -anthropologischen Probleme, die Entwicklung der lebendigen Organismen und die diese Entwicklung bedingenden Prinzipien, welche Wundt nötigen, den psychischen Kräften eine aktive Rolle zuzuweisen, die ihnen nach dem strengen Parallelismus schlechter- dings nicht zukommen kann. Schon in den »Orundzügen der phy- siologischen Psychologie« bemerkt Wundt, daß die organischen Naturprodukte aus den von der Physik vorauszusetzenden Eigen- schaften der Substanz niemals erklärt werden können, dagegen eine Erklärung von der vom psychophysischen Standpunkte aus gefor- derten Ergänzung (sc. der Bildung des psychophysischen Substanz- begriffs) aus erwarten dürfen,^) und diese Ansicht hat er auch im :> System der Philosophie« unentwegt beibehalten. Der Standpunkt ausschließlich physikalischer Betrachtung, führt er hier S. 497/98 aus, reicht so lange aus, »als es sich etwa darum handelt, die Wechselwirkung der physischen Vorgänge in einem fertig gegebenen Organismus zu erklären«, er scheitert aber unvermeidlich, »sobald die Veränderungen begreiflich gemacht werden sollen, die sich an diesem Zusammenhang durch den Einfluß psychischer Ursachen vollziehen. Indem nun solche Ursachen insbesondere auch in alle Entwicklungsvorgänge als ursprünglich bestimmende Faktoren mit eingreifen, entziehen sich gerade die Grundfunktionen des organischen Lebens, von denen die übrigen erst bedingt sind, zumeist einer zu- reichenden physikalischen Interpretation.« Der Darwinismus, der Kampf ums Dasein lassen sich rein mechanistisch nicht begreifen. Unter Ablehnung des Vitalismus, »der auf die Frage des Willens als Erzeugers objektiver Naturzwecke eine völlig nichtssagende, durch ihren Widerstreit mit den allgemeinen Prinzipien kausaler Natur- erklärnng überdies unmögliche Antwort gibt«, glaubt Wundt in dem Voluntarismus als einer »neuen Gestaltung animistischer Denk- weise« das die einseitige und ungenügende chemisch -physikalische Erklärung ergänzende Prinzip gefunden zu haben. Wir sind ge- nötigt, anzunehmen, »daß in den lebenden Wesen Willenskräfte frei werden, die in den Verlauf der Naturerscheinungen be- stimmend eingreifen und durch deren Bückwirkungen vor allem die handelnden Wesen selber fortan verändert werden.«*) »Im Lichte des Entwicklungsgedankens werden . . . beide (sc. die Organisation und die Lebensweise) als die Glieder einer fortwährenden Wechsel- wirkung zu deuten sein, innerhalb deren die Bolle des

1) Bd. n, 2. Aufl. 1887, S. 460.

2) System S. 322.

278 Erster Abschnitt Der psyohopbysische Parallelismus.

primufn movens den Willenstrieben zufällt, die, durch äußere Bedingungen veranlaßt, ihrerseits dann Modifikationen der Lebensweise hervorbringen.«^)

Man vergleiche ferner die Darlegungen S. 325 u. 326, wo der sehr ansprechende Gedanke ausgeführt wird, daß bei den ersten Oe- staltungen des Organismus der Wille hervorragend beteiligt, die später eintretende Mechanisierung der organischen Vorgänge aber als eine Entlastung des Willens anzusehen ist, der dadurch für weitere, höhere Zwecke verfügbar wird, sowie S. 328 334. »Daß die Lebens- erscheinungen ohne die Voraussetzung der Wirksamkeit gei- stiger Kräfte in der Natur nicht zu erklären sind«, wird auch S. 433 ausdrücklich behauptet. Man sehe auch noch die Erörterungen S. 500 558. S. 501 heißt es: »Darum gehört z. B. alles, was die neuere Entwicklungstheorie unter dem Begriff der Anpassung an die äußeren Naturbedingungen zusammenfaßt, nur insoweit einer objek- tiven Zweckbestimmung an, als dabei die Willenshandlungen der lebenden Wesen selbst einen verändernden Einfluß auf die Organisation gewinnen.« Ebenso wird S. 502 von den »Bück Wirkungen« gesprochen, welche die geistigen Zweckbestim- mungen auf die uns umgebende Außenwelt ausüben«. S. 539/540 wird der Wille als ^^Erreger des Kampfes ums Dasein«, als ein organische Zweckmäßigkeit im Kampf ums Dasein hervorbringender Faktor aufgefaßt; ohne diese Annahme wäre der Wille in den höheren Geschöpfen selbst ein Bätsei. »Jene Zweckmäßigkeit der organischen Natur, die sie zum Werkzeug zweckbewußter Willenstätigkeit macht, erweist sich so als eine notwendige Folge der schon die ursprüng- lichen Formen des Lebens beherrschenden Willenstriebe. Nur des- halb kann der Wille auf den vollkommenen Stufen der Entwicklung sich selbst als den Beherrscher des lebenden Körpers entdecken, weil er von Anfang an solche Herrschaft ausgeübt und sich so in dem Körper, den er zu einer funktionellen Einheit zusammenfaßt, das Hilfsmittel zur Verwirklichung seiner Zwecke und gleichzeitig durch die Veränderungen, die jede Zweckleistung zurückläßt, das Substrat seiner eigenen Weiterentwicklung geschaffen hat« (S. 542).^) Natürlich gilt das Gesagte vom Menschen und seiner zweckvollen Tätigkeit in höchstem Maße. Mögen auch alle Wirkungen einer Ma-

1) 8. 323.

2) Ähnlich S. 571, SchloBsatz des Kapitels: Die Natur als Vorstufe des Geistes. Denselben Geist atmen die Ausführungen in den Philos. Studien X, Abschnitt IV, S. 75 f.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 279

schine Bestandteile der Naturkausalität sein, so liegt doch die er- zeugende Idee des Ganzen auf geistigem Gebiet, »so daß zwar die Art wie, nicht aber die Tatsache daß sie in die Naturkausalität ein- greift, in Frage kommt«. ^)

Wie Wundt nun behaupten kann, daß es mit dieser Auffassung vollkommen yereinbar« bleibt, »daß sich vom physiologisch -chemi- schen Standpunkt aus die Lebenserscheinungen den allgemeinen Ge- setzen der Naturkausalität einfügen«,') ist mir schlechterdings unver- ständlich. Mag es selbst gelingen, den Nachweis zu führen, daCs die quantitative »Maßbestimmung der physikalisch -chemischen Energien« auch bei Zulassung psychischer Ursachen unverändert die gleiche bleibt, worüber an späterer Stelle das Nötige zu sagen sein wird, so fallt doch mit der Anerkennung solcher Ursachen das Prinzip der Ge- schlossenheit der Naturkausalität und damit das Prinzip des psycho- physischen Parallelismus unrettbar dahin. Wundts Beispiel des Ofens, des Dampfmotors und der sinnvoll sich selbst regulierenden Maschine, die alle bei gleicher Eohlenzufahr auch das nämliche Quantum Energie verwerten, ist daher verfehlt. Die Frage ist, ob wir die vollkommenere Konstruktion des Motors und die noch voll- kommenere der sich selbst regulierenden Maschine als ein bloß me- chanisches Produkt mechanisch wirkender Kräfte verstehen oder Vor- stellung und Denken mit in die Ursachen aufnehmen müssen. Ist das letztere, wie Wundt lehrt, unvermeidlich, so lassen wir mit dieser Annahme das Prinzip des psychophysischen Parallelismus und seine Konsequenz, die ausschließlich chemisch -physikalische Er- klärung nach den allgemeinen Gesetzen der Naturkausalität, eben fallen. Entweder oder; eine Vereinigung beider Denkweisen oder ein Drittes gibt es nicht. Es geht auch nicht an, sich hier wieder auf den Standpunkt zu stellen, die Annahme psychischer Ursachen nur als eine uneigentliche, provisorische Auffassung des wahren Sachverhalts ansehen zu wollen. Dagegen spricht das Motiv, aus dem Wundt die psychische Mitwirkung einführt Physiologie und Psy- chologie sollen ja so lange wie möglich die Prinzipien ihres eigenen Gebiets zur Anwendung bringen und erst da auf das andere Ge- biet übergreifen, »wo dies durch die Erfahrung selbst gefordert wird und zur Ergänzung der sonst bleibenden Lücken der Kausai- erklärung unerläßlich ist«.^) Welchen Sinn hätte es, den rein physi-

1) System 8. 314.

2) 8. 541.

3) 8. 593.

280 Erater Abschnitt. Der psychophyBische Parallelismus.

kaiisch -chemischen Standpunkt als auf biologisch -anthropologischem Gebiet völlig unzureichend und der Ergänzung durch eine den psychischen Faktor mit berücksichtigende Anschauungsweise be- dürftig hinzustellen, wenn die endgültige Ansicht doch wieder auf ihn zurückgreifen muß? Im Lichte dieser Motivierung betrachtet erscheint die kausalistische Auffassung, die Wund t hier der paralle- listischen entgegenstellt, doch als eine mehr als bloß provisorische Ansicht, und damit bleibt der Widerspruch, in dem sie sich zu der letzteren befindet, in voller Schärfe bestehen. Es ist aber auch un- möglich, ihn durch die idealistische Metaphysik fortzuschaffen, auf die Wundt gelegentlich Bezug nimmt. ^) Mag auch metaphysisch »der Gegenstand beider Gebiete schließlich derselbe« sein*), mögen im metaphysischen Absoluten Geist und Körper zusammenfallen und die Prinzipien der Physiologie und der Psychologie als zwei sich er- gänzende und gegenseitig fordernde Bestimmungen eines und des- selben Inhaltes erscheinen,^) so kann doch diese metaphysische Iden- tität nie den Widerspruch beseitigen, der darin liegt, daß die beiden Seiten, in die das Absolute sich für unsere Betrachtung auseinander- legt und welche die uns gegebene empirische Grundlage bilden, zu- gleich einander bloß parallel laufen und aufeinander einwirken, mit- hin zugleich nach dem Bezept des Parallelismus und dem der Wechselwirkungslehre behandelt werden sollen. Das sind unverein- bare Gegensätze. Wer parallelistisch denkt, muß auch auf biologisch- anthropologischem Gebiet an der ausschließlichen Verwendung phy- sikalisch-chemischer Erklärungsprinzipien festhalten; wer hier die Mitwirkung psychischer Faktoren in Anspruch nimmt, kann sich nicht mehr Parallelist nennen. Man wird daher Hartmann nicht unrecht geben können, wenn er behauptet, daß Wundt mit dieser Annahme seinen Parallelismus aufgegeben habe und auf dem gewöhn- lichen Standpunkt übergetreten sei, und daß der ganze Best von Parallelismus bei ihm einer klebengebliebenen Eierschale gleiche, die er aus Gewohnheit und Beharrung sitzen lasse/)

1) S. 593/594, 607 u. a.

2) S. 593.

3) S. 593/594.

4) Mod. Psych. S. 343/344. Vgl. auch Mohilewer a. a. 0. S. 38 41, 49 bis 51, Wentscher, Phys. u. psych. Kaue. S. 12, 64, 108—111, Reincke a.a.O. S. 591f., bes. S. 592, 606, Spaulding a.a.O. S. 12, 14, 25/26. Ge- legentlich versucht Wundt auch die psych ophysiscbe Kausalität dadurch in Übereinstimmung mit dem Parallelismus zu bringen, daß er die physischen

Drittes Kapitel. Die Nachteile des PaialleliBmus. 281

Müssen wir nun aber an dem Entweder Oder festhalten und demgemäß, wenn wir uns für die parallelistische Denkweise ent- scheiden, auch den Yersuch machen, den Zusammenbang auf der physischen Seite durchweg ohne jede Zuhilfenahme psychischer Fak- toren zu begreifen, so erhebt sich nochmals, und jetzt in dringlichster Form, die Frage: Ist denn eine rein mechanisch- automatische Ver- ursachung aller Lebensäußerungen und Handlungen lebendiger Wesen denkbar, können wir denn eine Mechanik der Kultur für möglich halten? Möglich, denkbar bedeutet in diesem Zusammenhang na- türlich mehr, als lediglich: keinen logischen Widerspruch in sich schließend. Daß die Annahme, alle Ereignisse der menschlichen Geschichte, alle Erfindungen und Entdeckungen, alle Kunstwerke und gelehrten Schriften, alle Werke der Barmherzigkeit und alle soziale Arbeltsteilung seien als das naturnotwendige Ergebnis eines Spiels blind wirkender Naturkräfte aufzufassen, einen logischen Wider- spruch in sich schließe, läßt sich nicht mit Fug behaupten. In

bezw. psychischen Vorgänge durch physische und zugleich auch durch psy- chische Ursachen und umgekehrt bewirkt werden läßt, also eine »Auch- Kausalität« annimmt. System 8. 570/571: >Die Gestaltungen des Lebens auf seinen verschiedenen Stufen werden in ihrem ganzen Umfange nur unter der Voraussetzung verständlich, daß die in ihnen sich entfaltenden höchsten Formen der Naturkausalität zugleich Wirkungen geistiger Kräfte seien.c Phil. Studien X, S. 36: »Psychische Effekte physischer Ursachen sind psychische Vorgänge, die aus einer physischen Eausalreihe derart hervorgehen, daß ihre Entstehung in dem Ablauf jener physischen Beihe keine Veränderung hervorbringt«. S. 38 lesen wir, »daß die Annahme einer besonderen psychophysischen Kausalität lediglich dasselbe (nämlich wie das Parallelprinzip) in der Form ausdrückt, daß sie ge- wissen physischen Ursachen neben ihren nach Naturgesetzen erfolgenden Wirkungen auch noch psychische Wirkungen zuschreibt, die aber auf jene ersteren keinen Ein- fluß ausüben, und daß sie ebenso gewissen psychischen Ursachen physische Wirkungen zuschreibt, die gleichzeitig eine von jenen unabhängige physische Ableitung gemäß den Prinzipien der Naturkausalität erfordern.« Daß eine Annahme, die mit einem derartigen Kausalitätsbegriff operiert, lediglich dasselbe ausdrückt, wie der ParaUelismus , ist freilich richtig, aber wozu dann der Lärm? Warum bleibt man dann nicht einfach beim Parallelismus stehen? Was soll diese »psychophysische« Kausalität, die ein Messer ohne Klinge ist, dem das Heft fehlt? Ausführlicher wird über diesen Punkt zu handeln sein, wenn wir die Versuche, die psycho- physische Wechselwirkung mit dem Prinzip der Erhaltung der Energie in Überein- stimmung zu bringen, erörtern werden.

Ich bemerke noch, daß auch S p aulding (a. a. 0. S. 86) das Bewußtsein eine BoUe in der Selbstregulieiimg der Organismen spielen und ein Mittel zu seiner Erhaltung sein läßt, ohne zu bemerken, daß diese Annahme mit dem von ihm gleichfalls festgehaltenen Parallelismus ganz unvertilLglich ist. Eine ähnliche Un- klarheit bei König, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Kr. Bd. 119, S. 32.

282 Erster Absobnitt Der psychopbysische Parallelismus.

diesem Sinne ist die »mechanistische« Ansicht allerdings »möglich«. Aber in demselben Sinne ist es auch »mögliche, daß alle Natur- gesetze einmal versagen, auch diese Annahme schließt, wie Hume so treffend gezeigt hat, keinen logischen Widerspruch ein. Naturgesetze sind ja keine apriorischen, denknotwendigen Wahrheiten, sondern Formulierungen des tatsächlichen, empirisch festgestellten Yerhaltens der DiDge; das Gegenteil einer Tatsache bleibt immer denkbar. Also auch Wunder sind, sofern man darunter eine gelegentliche Außerkraftsetzung von Naturgesetzen versteht, durchaus möglich, d. h. denkbar, nicht logisch in sich widersprechend. Und so können wir denn eine bloß physisch bewirkte Kulturgeschichte zwar für un- glaublich, seltsam und wunderbar, aber nicht für schlechtweg un- möglich erklären. Aber nun gibt es doch noch einen anderen Gegensatz, der sich auch als ein solcher des Denkbaren und Undenk- baren , des Möglichen und Unmöglichen bezeichnen läßt Undenkbar, unmöglich im Sinne dieses Gegensatzes ist das Absurde, das, was allen Erfahrungen und vernünftigen Erwägungen widerspricht, was in hohem oder höchstem Grade unwahrscheinlich, was unannehmbar, unglaublich erscheint Wir können es nicht für schlechterdings un- möglich erklären, daß, wenn wir ein paar Millionen Lettern durch- einander werfen, sie sich durch »Zufall« so ordnen, daß ein großes, bedeutungsvolles Werk, eine Ilias oder eine Kritik der reinen Ver- nunft, daraus hervorgeht Wir glauben dennoch nicht an eine solche Möglichkeit und sagen in diesem Sinne, es sei unmöglich. Der Gegensatz gegen das als unmöglich Abzuweisende bildet hier das mit der Erfahrung Übereinstimmende, das vernünftigerweise Anzu- nehmende. Und in diesem Sinne fragen wir: Ist es möglich, ist es denkbar, die ganze Biologie und Kulturgeschichte nach dem paralle- listischen Schema zu konstruieren, ist eine solche Annahme um der ungeheueren Paradoxien willen, die sie enthält, nicht absurd? Ist nicht der Versuch, die Entstehung eines Kunstwerkes, eines wissen- schafüichen Buches, überhaupt die komplizierteren Handlungen höher stehender Organismen auf physikalisch -chemischem Wege zu erklären, so völlig aussichts- und hoffnungslos, daß man sich nur über den Sinn und die Tragweite des Unternehmens klar zu werden braucht, um ein für alle mal davon abzustehen?

Es scheint nun freilich doch nicht, als ob dieser Eindruck bei allen, die auf parallelistischem Boden stehen, ein so starker ist, wie wir glaubten voraussetzen zu müssen. Denn wenn auch entweder in bescheidenem Umfang oder mit allerhand schließlich zum Vor-

Drittes Kapitel. Die Nachteile des ParaUelismus. 283

schein kommenden reservationibus mentalibus: Yersuche, Vorgänge wie die oben erwähnten »mechanistisch« zu konstruieren, |sind doch in erklecklicher Anzahl gemacht worden, und wir müssen uns die betreffenden Theorien doch noch etwas näher ansehen, um unsere prinzipielle Stellungnahme entweder durch dieselben bestätigt und bekräftigt zu finden oder auch mit einer günstigeren Beurteilung zu yertauschen.

Überblickt man nun die Theorien, durch welche man Hand- lungen und Vorgänge, welche wir gemeiniglich auf die Mitwirkung psychischer Faktoren zurückzuführen pflegen, als rein physikalisch- chemische Prozesse hinzustellen und zu erklären versucht hat, so fallt zunächst sofort eines auf. Alle diese Theorien sind nicht etwa Ergebnisse empirischer Beobachtung der Vorgänge in Plasma und Zelle, Nerven und Oehim, nicht Hypothesen, zu denen man auf rein naturwissenschaftlichem Wege, die beobachteten physischen Prozesse miteinander vergleichend, gelangt ist, sondern sie bedeuten hypothetische Konstruktionen, durch welche man das, was man nach seinem psychischen Zusammenhang auf Grund psychologischer Er- fahrung kennt, nachträglich auch als einen physiologischen Prozefi zu verstehen sucht Nicht unbefangene und »voraussetzungslose« Forschung, sondern die Verfolgung ganz bestimmter Absichten hat diese Theorien gezeitigt Man wollte eben das, was man psycho- logisch verstand, auch als lückenlosen physiologischen Vorgang verstehen und hielt nun unter den tatsächlichen Ergebnissen phy- siologischer Forschung Umschau, um sie 'SO zu combinieren, zu verwerten, zu deuten und durch hypothetische Annahmen zu er- gänzen, daß schließlich das Schlußglied, die Handlung, welche wir als durch psychische Ursachen vermittelt kennen, auch als Ergebnis des hypothetisch konstruierten physischen Kausalzusammenhanges er- scheine. Die Psychologie gab also überall die Regel an, nach welcher die Durchmusterung der physiologischen Tatsachen vorgenommen wurde, sie gab den Schlüssel für das Verständnis des Zusammenhangs der physiologischen Phänomene, soweit ein solches überhaupt möglich erscheint, her; die physiologischen Theorien wurden und werden dem psychischen Tatbestand angepaßt

Das ist ebenso natürlich, wie es wichtig und bedeutsam ist Diese Tatsache wirft alle die anmaßenden, hier und dort auftretenden Behauptungen, daß die Psychologie auf Physiologie gegründet werden, in Physiologie aufgehen müsse, daß die »wissenschaftliche« psycho- logische Forschung aus der Gehimanatomie und -physiologie die

284 Erster Abschnitt Der psycfaopbysisohe Parallelismns.

Kenntnis der psychischen Yorgänge und das Yerständnis ihres Zu- sammenhanges schöpfen müsse, mit einem Schlage über den Haufen. Vor der Hand werden die Physiologen wohl noch darauf angewiesen bleiben, bei ihren physiologischen Konstruktionen psychischer Zu- sammenhänge sich durch ihre Kenntnis der letzteren führen und leiten zu lassen; der Physiolog, der uns eine von aller Psychologie unabhängige Gehirnphysiologie gibt und erst auf dieser Grundlage uns dann psychologisch orientiert, soll erst noch gefunden werden. Die Yersuche, das natürliche Yerhältnis dennoch umzukehren, haben nicht nur keinen Nutzen, sondern sogar mannigfachen Schaden ge- stiftet i)

Die unbestreitbare und unvermeidbai'e Tatsache, daß die Psy- chologie den physiologischen Theorien erst den Leitfaden für ihre Konstruktionen an die Hand gibt, hat andererseits zu dem an früherer Stelle erörterten und berichtigten Fehler geführt, die Inhalte der Wahrnehmungen und Yorstellungen in den physischen Korrelaten wiederzufinden und in dieser Form einen psychophysischen Paralle- lismus durchzuführen. 3) Das ist, wie wir gesehen, nicht möglich und kann auch vom psychophysischen Parallelismus garnicht ver- langt werden. Im Gegenteil, wenn wir auch nur auf der Grund- lage unserer Kenntnis des psychologischen Zusammenhangs die phy- sische Kausalkette konstruieren können, so müssen wir sie doch eben so konstruieren, daß sie nun an sich, als solche, ohne * den psychologischen Hintergrund, verständlich, in ihrer Notwendigkeit begriffen wird. Es genügt nicht, im allgemeinen die Möglichkeit plausibel zu machen, daß ein Zusammenhang, der sich nach der gewöhnlichen, die Mitwirkung psychischer Faktoren voraussetzenden Annahme als ein solcher von der Form a b c 6 e ^ f] i klm n wobei die lateinischen Buchstaben die physischen, die griechischen die psychischen Glieder der Reihe bedeuten sollen

1) Vgl. hierzu Sigwart, Logik IL, 2. Aufl., S. 619, 550, 566, 571, sowie S. 199; Wundt, Philos. Studien Bd. X, S. 37 u. 47 f., Bd. XII, S. 16-19, 30—33; Stout, Analytic Psychology, London 1896, Vol. I, S. 31/32; Liebmann, An. d. "W., 2. Aufl., Abschn. Gehirn u. Seele; Ged. u. Tats., S. 288 u. 414; Riehl, Phil, Kr. II', S. 209 (zum Meynei'tscben Schema); Schuppe, Der Zusammenhang zw. Leib u. Seele, Wiesbaden 1902, S. 20.

2) Vgl. oben S. 209 f. Es bedeutet eine beißende, aber nach Lage der Dinge doch nicht unberechtigte Satire, wenn TVundt den Versuchen Ziehens gegen- über, die Allgemeinbegriffe physiologisch zu konstruieren (Leitfaden der physiol. Psychologie S. 115, 110), den Vorschlag macht, die Allgemeinbegriffe als Ver- dauungsprodukte der Zellen aufzufassen (Phil. Studien X, S. 68).

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelisnius. 285

darstellt, auch irgendwie, indem man eine Anzahl physiologischer Yorgänge miteinander verknüpft und durch hypothetisch angenom- mene Glieder ergänzt, physiologisch konstruiert werden könne. Es muß uns vielmehr auch die Überzeugung beigebracht werden, daß der die psychischen Faktoren ausschließende und ersetzende phy- sische, von uns konstruierte Zusammenhang ein naturnotwendiger, nach Naturgesetzen eindeutig bestimmter ist, d.h. daß, wenn das Anfangsglied a gegeben war, nur b mit Ausschluß aller anderen Möglichkeiten, auf b wieder nur c, auf c nur d und so weiter folgen konnte.

Das aber bedeutet eine Aufgabe, deren Lösung noch keiner der bisher aufgestellten Theorien gelungen ist und auch keiner ge- lingen wird; wir stehen hier vor einer, wie mir wenigstens scheinen will, unüberwindlichen Schwierigkeit, an welcher der psychophysische Parallelismus schließlich doch scheitern muß. und zwar liegt, wie mir weiter scheint, die Sache so, daß eben die ungemeine, schier grenzenlose Mannigfaltigkeit von Möglichkeiten, welche die Millionen oder Milliarden von Zellen und Fasern im Gehirn und Nerven- system dem Konstrukteur darbieten, es verhindert, eine der un- zähligen möglichen Kombinationen als die in einem bestimmten Falle allein mögliche und notwendige hinzustellen. Auf diese Mannigfaltigkeit und die durch sie gebotenen unerschöpflichen Kombinationsmöglicbkeiten pflegt man sich ja zu berufen, um die Bedenklichkeiten: wie ein Automat so vielerlei ohne psychische Hilfe leisten könne, zu zerstreuen; auf sie und den grenzenlosen Spielraum, den sie unserer Phantasie eröffnet, wies Paulsen ja aus- drücklich hin. Sie bildet, kann man sagen, das asylum ignorantiae^ in das sich der Parallelist, wenn ihm die Schwierigkeiten seines biologischen und kulturhistorischen Standpunktes vorgehalten werden, als auf einen, wie er meint, völlig sicheren Standort zurückzieht: mea cäligine tutus. Aber ich meine, daß dieses letzte, verzweifelte Mittel den Nutzen nicht gewährt, den man von ihm erwartet. Gerade die Grenzenlosigkeit des Spielraums, der sich hier unserer Phantasie eröffnet, hindert uns, die von uns gewählte Kombination als die in diesem Falle allein mögliche, naturnotwendige plausibel zu machen, sie des Willkürlichen und Zufälligen zu entkleiden, das ihr anhaftet. Wo alles Mögliche möglich ist, da ist nichts notwendig; jede andere physiologische Kombination, als die gewählte, wäre ebenso gut möglich gewesen, und so erscheinen denn alle Kombi- nationen als zufallig, gewaltsam, willkürlich: das Ziel, den dem

286 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismos.

psychischen Zusammenhang ex hypothesi parallel laufenden physischen Zusammenhang unabhängig von aller Beflexion auf das Psychische als einen notwendigen, naturgesetzlich eindeutig bestimmten plau- sibel zu machen, wird nicht erreicht, nur die Behauptung, daß er das sei und der Entschluß, ihn als einen solchen ansehen zu wollen, bleibt übrig. Damit aber kann man keine Theorien stützen. So lange es sich nur um verhältnismäßig einfache Reflex- bewegungen handelt, finden wir keine übergroße Schwierigkeit darin, uns vorzustellen, daß an bestimmte Erregungen der sensiblen Nerven und der ihnen zugeordneten Zellen sich, vermittelt durch motorische Zellen, Erregungen motorischer Nerven und schließlich Muskel- bewegungen rein automatisch knüpfen und daß der ganze Zusammen- hang, mögen wir ihn auch nicht in alle seine Glieder auseinander- legen können, durchweg notwendig und eindeutig bestimmt ist, ganz ähnlich, wie uns auch die Konstruktion einer innerhalb gewisser Gren- zen sich selbst regulierenden Maschine als kein unlösbares Promblem erscheint Aber wie die Schwierigkeit, eine sich ohne äußeres Ein- greifen von selbst regulierende Maschine herzustellen, mit dem Umfang der Leistungen und der zur Bewältigung derselben nötigen größeren Kompliziertheit der Struktur fortwährend wächst und wir uns eine für alle möglichen Fälle berechnete, sich unter allen Bedingungen selbst regulierende Maschine nicht ausdenken, geschweige denn sie herstellen können, so wächst auch bei dem tierischen und menschlichen Automaten mit der größeren Mannigfaltigkeit und Kompliziertheit der Funktionen und der Struktur die Schwierigkeit, sich vorzustellen, daß bei allen Reizen , die auf ihn wirken , unter allen Möglichkeiten, welche die Mittel des Organismus bieten, immer auf rein mecha- nischem Wege eine ganz bestimmte Auswahl getroffen wird, die tat- sächlich erfolgende Rückwirkung also stets zugleich die einzig mög- liche, nach Naturgesetzen eindeutig bestimmte ist. Die Schwierigkeit wächst und wird schließlich unendlich groß, damit aber unüber- windlich. Unser Nervensystem und Gehirn, können wir sagen, er- scheint wie ein Instrument, das demjenigen, der es zu spielen ver- steht, eine schier unbegrenzte Mannigfaltigkeit möglicher Mittel und Wirkungen darbietet, nicht aber als eine sich selbst regulierende, für alle möglichen Anlässe die Art der Rückwirkung aus sich selbst bestimmende Maschine, nicht als ein mit mechanischer Notwendig- alles bewirkender Automat.

Dieser Gesichtspunkt ist von den Gegnern des Parallelismus verschiedentiich hervorgehoben und daraus die von mir als unver-

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Paralielismus. 287

meidlich bezeichnete Eonsequenz gezogen worden. Lotze macht ihn in der Medizinischen Psychologie^) gegen den Materialismus geltend, der ja in der Behauptung, die Leistungen und Tätigkeiten der lebendigen Wesen seien Ergebnisse rein physiologischer Kausal- zusammenhänge, mit dem Parallelismus übereinstimmt. Auf die Behauptung der materialistischen Physiologen, daß angesichts der ungeheueren Kompliziertheit der. nervösen Vorgänge »eine Dreistig- keit ohne gleichen zu der naiven Frage gehöre, wie denn nun die Seele aus den Bewegungen der Himelemente zu erklären sei«, er- widert er, daß diese Frage allerdings immer wieder gestellt werden müsse, und fügt daran die Worte, die auch als an die Adresse des Parallelismns gerichtet gedacht werden können: »All der vorgeschobene Spektakel von Ganglien und Nervenfasern, Stromketten und Strömungen ist durchaus nicht geeignet zu imponieren oder die prinzipielle Schwäche dieser Meinungen zu verdecken. Ihre Taktik besteht einfach darin, auf einen noch ungesichteten Wirrwarr von Tatsachen hinzuweisen, dessen Unklarheit uns gewissermaßen dafür bürgen soll, daß er noch viel Aufschlüsse verbirgt, während doch die Unmöglichkeit dessen, was man in ihm zu finden hofift, sich von vornherein erweisen läßt Wenn jemand behauptete, es sei unmöglich, daß ein Dampflokomotiv ohne Führer seine Wege wähle und zu bestimmten Stunden bald hier bald dorthin reise, so könnte mit gleichem Becht ein anderer über die naive Dreistigkeit dieser Be- hauptung erstaunen und ihm entgegnen, er solle doch die Menge Räder, Kolben, Balanciers, Nägel und Schrauben betrachten, ob in dieser Fülle und Mannigfaltigkeit der Hilfsmittel nicht noch gar Yieles stecken könne, was wir freilich noch nicht auf bestimmte mecha- nische Grundlagen zurückzuführen verstehen.« Lotze lehnt es da- her ab, der wohlgemeinten Einladung der modernen Nervenphysiologie, ihr in alle ihre Träume zu folgen, nachzukommen.

Man kann zweifeln, ob das Beispiel in der Ausführung, die Lotze ihm gibt, besonders glücklich gewählt ist. Eine Maschine zu konstruieren, welche ohne Führer ihre Wege wählt und zu bestimmten Stunden bald hierhin, bald dorthin fährt, erscheint keineswegs unmög- lich, und so hat schon Leibniz auf den von Pierre Bayle der Lehre von der prästabilierten Harmonie gemachten Einwand, sie mache für den menschlichen Körper eine Voraussetzung ähnlich der eines Schiffes, das durch eigene Kraft dem Hafen zusteuert, geantwortet, er halte

1) 8.40; vgl auch Reinke, a.a.O. S.619.

288 Ei-ster Abschnitt. Der psychophysische Paraüelismiis.

es durchaus für möglich, eiae Maschine herzustellen, die fähig sei, sich in einer Stadt umher zu bewegen und genau an gewissen Straßen umzubiegen.^) Zweifellos kann man das und noch viel mehr; unsere Zeit hat noch ganz andere Automaten hervorgebracht Es ist nicht nur denkbar, ein Schiff so zu konstruieren, daß es unter normalen Bedingungen einen bestimmten Hafen erreicht; man könnte sich auch eine Lokomotive so konstruiert denken, daß sie an bestimmten Steilen umbiegt und auf bestimmten Stationen Halt macht, um nach einer Weile weiter zu fahren. Allein man braucht sich nur die An- forderungen, die ein derartiger Maschinen -Automat erfüllen soll, immer schwieriger und komplizierter zu denken, um zu erkennen, daß die Möglichkeit, ihnen zu genügen, schließlich unendlich klein werden muß. Das automatisch sich bewegende und steuernde Schiff wird unter normalen Verhältnissen seinen Bestimmungsort erreichen können; ein Wirbelsturm, in den es plötzlich gerät, würde aber alle Fähig- keiten seines Mechanismus zu Schanden machen. Die Straßenmaschine möchte wohl richtig um alle Ecken herumwenden, ein Stein, an den sie stieße, würde aber vielleicht schon genügen, sie hilflos gegen die nächste Mauer rennen zu lassen. So meint auch James: >^ hco- motive tvill carry its irain through an ope7i drawbridge as cheer- fuüy as to any other destinaiion.^^)

Wenn Leibniz nun, um die Möglichkeit eines vollkommenen, den verschiedensten Situationen sich anpassenden, sich wie ein ver- nünftiges Wesen benehmenden Automaten plausibel zu machen, zu der Annahme eines unvergleichlich vollkommeneren Geistes, als des menschlichen, seine Zuflucht nimmt, der als solcher eine unvergleich- lich größere Anzahl von Hindernissen vorauszusehen und ihnen Rechnung zu tragen vermag, so ist dagegen, ganz abgesehen davon, daß wir ja schließlich in dem vollkommenen Geist eine psychische Ursache des Ganzen haben , wiederum zu bemerken , daß die Berufung auf den lieben Gott und seine Allmacht, bei der kein Ding unmög- lich ist, in dieser Frage nicht aogängig ist. Was der liebe Gott alles kann oder nicht kann, kommt hier nicht in Betracht; stellen wir uns auf den Standpunkt, daß Gott alles machen kann, das nicht logisch unmöglich ist, so kann er auch die Atome so zusammenfügen, daß über Nacht auf dem freien Platze mir gegenüber ein prächtiges, fürstiich eingerichtetes Haus entsteht: denkbar, möglich ist das auch.

1) Replique aux Reflexions contenues dans la seconde !^ition du Dictonnaire critique de Mr. Bayle. Leibniz WW., Ausg. v. Erdm., Berl. 1840, S. 183, 184.

2) Pr. of Ps. I. S. 142, 143.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des ParaUelismas. 289

Hier aber haben wir, wie schon weiter oben ausgeführt, nur zu er- wägen, ob die Erfahrung und auf die Erfahrung gestützte besonnene Reflexion uns zu der Annahme berechtigen, daß die staunenswerten Leistungen der lebendigen Geschöpfe, insbesondere der Menschen, auf mechanisch-automatischem Wege zu stände kommen, oder ob wir annehmen müssen, daß die Mitwirkung psychischer Ursachen dabei unerläßlich ist. Und da hat denn der Gesichtspunkt, den wir oben anführten, die sich durchkreuzenden Möglichkeiten, seine TolIe Be- rechtigung. Ihn hat neuerdings James mit besonderer Schärfe hervorgehoben. Das nervöse System zeigt, je vollkommener und vielseitiger es ausgebildet ist, um so mehr »instabiKty^. Auf niederer Stufe kennt es nur wenig Reaktionsweisen, die aber mit Sicherheit vor sich gehen, auf höherer sind unerschöpflich viel Reaktions- weisen möglich: eben deshalb bleibt es aber gänzlich unbestimmt, was folgt. Es kann alles Mögliche folgen, das Zweckmäßige so gut wie das Unzweckmäßige. Gerade die unabsehbare Mannigfaltigkeit, welche alle möglichen Reaktionsweisen physiologisch vorstellbar macht, macht auch alles unbestimmt. ^I do not see how one couM reasonably expect from it any ceriain pursuance of tiseful lines of reaction stech as ihe few and fataUy deiermined Performances of the lower centres eansütuie within their narrow sphere,^ »We may . . . consiruct a nervous System potentiaUy adapted to respond to an infinite variety of minute features in the sittuUion; but iis faUibiUty toiU ihen he as great as its elaboration. We can never be sure that its equiUbrium will be upset in the appropriate direction.<ii Das nach Zwecken handelnde Bewußtsein muß hier ergänzend eintreten, und so ist denn, da ^the defects of his other organs are stich as to make ihem need just the Jdnd of help that conciousness tvovid bring pro- inded it were efficadous^^ die Mitwirkung des Bewußtseins i^indtic- tivebf proved.<i Also: Bewußtsein ist »an organ added for the saJce of steering a nervous System grown too complex to regulate itself^^)

Wenn es noch einer empirischen Bestätigung des von uns auf dem Wege der Reflexion gewonnenen Resultates bedürfte, so sind die tatsächlich vorliegenden Yersuche, komplizierte Handlungen leben- diger, namentlich menschlicher Geschöpfe als rein physiologische.

1) James, Pr. of Ps. S. 138 144. In ähnlicher Weise sucht Reinice a. a. 0. S. 619 gerade ans der nDgeheneren EomplizierÜieit des Himmechanismus die Not- ifendigkeit von Dominanten als regulierender Faktoren zu erweisen. Vgl. auch S.343.

Bnsie, Ctoist und Körper, Sede und Leib. 19

290 Erster Absclmitt. Der psychophysische Paialldlismiis.

kausal zusammenhängende Vorgänge zu konstruieren und in ihrer Notwendigkeit begreiflich zu machen, nur zu geeignet, sie zu liefern. Sie leiden alle an demselben Fehler, sie sind nicht im stände, das Zufallige, Willkürliche, das ihren Konstruktionen anhaftet, zu be- seitigen und den von ihnen angenommenen Zusammenhang als einen notwendigen, als den unter den gegebenen Umständen allein mög- lichen erscheinen zu lassen. Dieser nur zu begreifliche Mangel spricht sich schon in der großen Zahl der aufgestellten und einander be- kämpfenden Theorien aus. Hier steht immer einer gegen den anderen, »der eine nennt den andern dumm, am End' weiß keiner nix«. Eine anschauliche Schilderung der hier herrschenden babylonischen Theorien- verwirrung gibt Münsterberg: »Die Ganglienzelle, die der eine als Sitz der Empfindung bezeichnet, hat für den anderen nur nutri- tive Funktion; Erinnerung und Wahrnehmung, die der eine im selben Eörpersubstrat unterbringt, sind für den andern an ganz verschiedene Vorgänge gebunden; die Hirnrinde, deren Zellen für den einen nur psychische und motorische Endstationen enthalten, besteht nach anderer Anschauung in ihrem größeren Teil nur aus Assoziations- zellen, die weder sensorisch noch motorisch sind; die subkortikalen Oehirnzentren, die für den einen Quelle der Empfindungen sind, er- scheinen dem anderen ohne Bewußtsein; die Zunahme der Empfindung, die der eine auf das Anwachsen der Erregung in der Zelle bezieht, verbindet der andere mit der räumlichen Ausdehnung über größere Bezirke; die strenge Lokalisation der Funktion, die der eine fordert, gibt der andere vollkommen preis; kurz selbst wenn wir von allen feineren Einzelfragen absehen, scheint an keiner Stelle wirklich Gesichertes festgestellt«^)

Indessen lassen sich doch in dem Durcheinander der Theorien zwei Haupttypen unterscheiden: die namentlich von Ziehen ver- tretene physiologische Associationstheorie und die neuerdings von Münsterberg ausgebildete und jener gegenübergestellte physiolo- gische Aktionstheorie. Auf sie wollen wir daher noch einen, wenn auch flüchtigen. Blick werfen.

Man betrachte z. B. die Hypothesen, durch welche Ziehen S. 145 seines Leitfadens (2. Aufl.) die Ideenassociation physiologisch zu konstruieren versucht. Wenn sich mit dem Sehen eines Baumes das Hören des Wortes Baum verbindet, so sollen beide Wahrneh-

1) a.a.O. S.485, vgl. auch S. 498— 516, Wandt, Phil. Stud.X. S.73, 74. Ladd, PhiL of Mind S. 336/337.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Paiallelismos. 291

mungen, welche physiologisch Erregungen bestimmter Zellen bedeaten, nun in besonderen »Erinnerangszelien« »deponiert« werden. Die Erregung dieser Zellen überträgt sich aber auch auf die sie ver- knüpfende Yerbindungsfaser, und so wird zwischen ihnen ein Eontakt hergestellt, der es erklärt, daß, wenn die Zelle, in welcher das physiologische Korrelat der Yorstellung »Baum« »deponierte ist, später wieder erregt wird, ihre Erregung sich durch die bereits entsprechend gestimmte Yerbindungsfaser auch auf die andere, welche das physiologische Korrelat der Yorstellung des Wortes Baum be- herbergt, überträgt was der Reproduktion der Yorstellung des Wortes Baum durch die ErinnerungsTorstellung des Objektes Baum auf der psychologischen Seite entspricht Hierbei ist aber verausgesetzt, daB die sensorischen Zellen, welche die Wahrnehmungen ursprünglich in sich aufnahmen, ihre Erregung auf einander benachbarte Er- innerungszellen übertragen, wofür indes physiologisch gar kein Orund, gar keine Notwendigkeit zu erblicken ist. Denn die sensorischen Zellen selbst, welche die Gesichts-, Oehörs- usw. Eindrücke zunächst in sich aufnehmen, liegen ja in ganz verschiedenen Teilen der Qroß- hirnrinde, in der Seh-, Hör- usw. Sphäre. Wir vermögen nun nicht einzusehen, warum zwei an ganz verschiedenen Punkten des Gehirns liegende, einander gamichts angehende Zellen ihre Erregungen gerade auf zwei benachbarte »Erinnerungszellen« übertragen sollen. Die innere, psychologische Beziehung, die zwischen den Wahrnehmungen besteht, erklärt doch den physiologischen Zusammenhang nicht, der vielmehr ganz unabhängig von den psychischen Korrelaten verstanden werden muß, aber hier eben nicht verstanden wird.^) Auch stehen die beiden Zellen nicht nur untereinander, sondern noch mit einer ganzen Anzahl anderer Zellen in nicht minder engerer Yerbindung; es fehlt an einem genügenden Grunde dafür, warum unter allen mög- lichen Übertragungen der Erregung der ersten Erinnerungszelle gerade die stattfindet, welche der psychischen Ideenassociation entspricht^)

1) S. 108 sollen sogar drei verschiedeno, an ganz verschiedenen Stellen des Oehims stattfindende Erregungen, welche Geruchs-, Geschmacks- und Gesichts- empfindungen darstellen (und alle zu dem Ganzen: Rose gehören), eine Spur in einer an noch einer anderen Stelle befindlichen Gehirnzelle niederlegen. Warum aber in einer Zelle?

2) Auf diese Schwierigkeit weist auch y. Kries (Über die materiellen Grund- lagen der Bewußtseinserscheinungen, Tübingen u. Leipzig 1901, S. 14) hin. Es fehle, fuhrt er aus, an jedem Mittel, den im Occipitallappen lokalisierten Gesichts- und den im Schläfenlappen lokalisierten Gehöraeindruck durch eine »Bahn« in Be- ziehung zu einander zu bringen. »Wo ist denn nun jene 'Bahn\ auf deren zu-

19*

292 Erster Abschnitt. Der psyohophyBisohe Parallelistnus.

Endlich kann man auch fragen, welcher psychische Vorgang denn dem Funktionieren der Yerbindungsfaser entspricht? Psychisch stehen doch die assoziierten Yorsteilungen nicht noch durch ein besonderes psychisches Assoziationsband in Verbindung; ein solches müßten wir aber zwischen sie einschieben, um dem Parallelismus gerecht zu werden. In einem anderen Falle bemüht sich Ziehen, einen Vorgang wie diesen: ich sehe einen Freund und grüße ihn durch Hutabnehmen, als einen Ablauf rein physischer, kausalverbundener Prozesse ver- ständlich zu machen.^) Die durch den Beiz ausgelöste Erregung in der Sehsphäre der Großhirnrinde wird auf eine »Erinnerungszelle« über- tragen und dort deponiert Wird nun der Freund wieder wahr- genommen, d. h. dieselbe Erregung in der Sehsphäre ausgelöst, so wird sie wiederum auf die Erinnerungszelle übertragen, die in ihr vorhandene Disposition aktuell gemacht und dadurch natürlich noch durch eine Reihe weiterer physiologischer Zwischenglieder ver- mittelt — die Grußbewegung hervorgerufen. Sehe ich dagegen einen Fremden, trifpt also ein andersartiger Reiz auf die Zellen meiner Seh- sphäre, so erfolgt die Grußbewegung nicht Warum nicht? Weil, sagt Ziehen, die Erinnerungszelle eben auf den bestimmten Reiz, welcher dem Bilde des Freundes entspricht, abgestimmt ist und die Verbindungsfaser zwischen der sensorischen Zelle (a) und der Er-

nehmeDder Wegsamkeit die Ausbildung unserer associativen YerknüpfuDg beruhen soll? Kein Zweifel: das Prinzip erläutert wohl die Verstärkung und Befestigung einer bereits bestehenden Verknüpfung; . . . aber für den eigentlichen An&ng, wo jeder der zu associierenden Sinneseindrücke durch seine Pforte ins Oehim eindringt, ist es unzulänglioL Auch der Ausweg, daß beide etwa in dasselbe neutrale Terrain eindringen und so die Verbindung herstellen, erweist sioh als unmöglich (S. 15). »Denn wie soll es verstanden werden , daß die in einem Augenblicke einstrahlenden optischen und akustischen Erregungen sich so begegnen , wie es für die Ausbildung einer Verbindung erforderlich wäre, daß nicht die akustische auf irgend welche andere optischen Elemente aufläuft? Eben dasjenige, dessen Entstehung wir zu erklären wünschen, und das wir tatsächlich in der mannigfaltigsten Weise ent- stehen sehen: es müßte im Grunde immer schon von vornherein präformiert sein! Die Vorstellung, die v. Eries seinerseits für geeignet hält: daß jeder optische und akustische Eindruck das neutrale Terrain in einen Qesamtzustand versetze und daß nun die Koexistenz zweier derartiger Gesamtzustände einen Zusammenhang zwischen ihnen etabliere, leidet aber an einer anderen Schwierigkeit. Wir haben eigentlich nie einen Eindruck allein, sondern stets Komplexe von Eindrücken; es würden also nicht zwei , sondern so und so viele Gesamtzustände koexistieren. Auf diese Schwierig- keit kommt V. K. selbst 8. 16 f. zu sprechen. Die Behutsamkeit, mit der v. Kries in seiner sehr instruktiven Schrift vorgeht, sticht sehr vorteilhaft ab von den physiologischen Mythologien, die uns von so manchen andern geboten werden. 1) S. 14 f.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 293

ionerangszelie (a) gleichfalls auf diesen Reiz eingeübt ist, ihm gegen- über eine Bahn des leichtesten Widerstandes darstellt. Dem neuen, andersartigen Reiz gegenüber bleibt sie passiv, klingt nicht an, und so bleibt die Grußbewegung aus. Aber hier bleibt noch eine Schwie- rigkeit zurück. Als die Erregung der Zelle a vermittelst der Nerven- faser n auf die Zelle a zum ersten Male übertragen ward, war natürlich noch keine Abstimmung und Gewöhnung, noch kein aus- oder eingefahrenes Oleis vorhanden; hier entschieden, wie auch Ziehen selbst anerkennt;^) zufallige Umstände über den Weg, den der eindringende Reiz im Oehim weiterhin nahm. War es nun aber das erste Mal möglich, daß eine Erregung durch eine Nervenfaser auf eine Erinnerungszelle übertragen ward, ohne daß Faser und Zelle auf ihn »abgestimmt« waren, so ist nicht einzusehen, warum das dann, wenn der »Fremde« den Reiz darstellt, nicht auch der Fall sein sollte. Die Fasern und Zellen werden ja dadurch, daß sie bestimmten Reizen leichter zugänglich werden, nicht eoipso allen anderen Reizen schwerer zugänglich; es könnte sogar sein, daß sie infolge ihrer molekularen Umstimmung bestimmten anderen Reizen gleichfalls leichter zugäng- lich werden, und so fehlt es denn an einem bestimmten durch- schlagenden Erklärungsgrunde dafür, daß der zweite Reiz nicht die gleiche Wirkung hat, wie der erste. Und dieser Mangel wird um- somehr fühlbar, je ähnlicher der zweite Reiz dem ersten wird. Das Gesicht des Fremden kann dem des Freundes sehr ähnlich sein, er kann ähnliche Statur, ähnliche Haltung, ähnliche Kleidung aufweisen. Je mehr das der Fall ist, um so schwerer verständlich wird es, warum der neue dem früheren so ähnliche Reiz nicht dieselbe Bahn einschlägt, wie der frühere, die Erinnerungszelle erregt und die Grußbewegung oder wenigstens den Ansatz einer solchen auslöst. Sonst reagiert doch unser Organismus auf ähnliche Reize auch in ähnlicher Weise. Eine ganze Anzahl Medikamente haben, obwohl verschieden konstituiert, doch ziemlich denselben Erfolg; ob eine Wunde mit einem silbernen oder mit einem stählernen Messer ver- ursacht worden ist, bedeutet keinen merkbaren Unterschied; der Heil- prozeß vollzieht sich in beiden Fällen in der gleichen Weise. Ja der Nerv reagiert vermöge seiner spezifischen Energie auf sehr verschiedene Beize in derselben Weise.

Ähnliches müßten wir auch hier erwarten; für die Yerschieden- heit der Ergebnisse in den beiden Fällen fehlt es an einem zu-

1) S. 140 f.

294 Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelismus.

reichenden Erklärongsgrand. Werden die Reize einander so ähnlich^ daß ich den Fremden für meinen Freund halte, ihn mit diesem verwechsle, so erfolgt ja tatsächlich die Orußbewegung. Hier hat doch eine von der früheren verschiedene, aber ihr ähnliche Erregung denselben Weg, wie jene, im Qehim eingeschlagen und dasselbe Er- gebnis gezeitigt Es ist nicht recht verständlich, warum, was ihr möglich war, einer anderen, gleichfalls ähnlichen Erregung mißlingen sollte.!)

Aber die ganze Theorie der Abstimmung und der Disponiertheit für bestimmte Beizformen leidet an einer gewissen Willkürlichkeit Die Erinnerungszelle und die Yerbindungszelle soll nur auf be- stimmte Beize reagieren, weil sie auf diese nun einmal »abgestimmt« ist Warum gilt das allein für die Erinnerungszelle? Warum nicht auch für die in der Sehsphäre befindliche sensorische Zelle? Auch die wird doch, wenn sie von einem bestimmten Beiz getroffen wird, dadurch in ihrer molekularen Struktur verändert, müßte also für ihn besonders empfanglich sein, anderen Beizen gegenüber aber sich ab- lehnend, spröde verhalten. Das soll aber nicht sein, diese Zellen behalten, wenn wir von den Ermüdungserscheinungen absehen, ihre Empfänglichkeit für alle möglichen Beize innerhalb einer gewissen Art bei. Warum können das aber die Erinnerungszellen nicht ebenso machen? »Die Associationstheorie steht und fallt«, wie Münster- berg richtig bemerkt,') »mit der Ansicht, daß die von der Peripherie aus angeregte Erschütterung eine physiolc^sche Spur hinterläßt; die molekulare Disposition muß durch die Erregung irgendwie verändert werden, sonst könnte sich keine verbindende Leitungsbahn heraus- bilden.« Aber diese Theorie macht, wenn sie durchgehends ange« wandt wird, den Zweck, dem sie dienen soll, zu nichte: dieser wird nur erreicht, indem man willkürlich an einer Stelle nach ihr ver- fahrt, an anderen nicht

Und endlich leidet die ganze Theorie noch an inneren Schwierig- keiten, die sie als einen Notbehelf von sehr fraglichem Wert er- scheinen lassen. Was sollen wir uns eigentlich, wenn es sich um Erregungen von Zellen und von Nervenfasern handelt, unter ein- oder ausgefahrenen Gleisen, Abgestimmtheit und ümstimmung, Anklingen und dergl. vorstellen? Sind das nicht lauter Worte, die, auf ner- vöse Vorgänge angewandt, eigentlich jeden Sinn verlieren? Erklären

1) Oegen die Ziehen sehe Eonstruktion des Vorganges wendet sich auch Heinrich, Die mod. physiol. Psych, i. Deutschi., 2. Aufl., S. 176f.

2) a. a. 0. S. 507.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 295

sie irgend etwas? Ich meine, sie leisten nicht nur nichts, sondern ihr Gebrauch verwickelt in erhebliche Schwierigkeiten. Wenn die zum erstenmal in Erregung versetzte Zelle a durch den sie treffenden Reiz in ihrer molekularen Struktur verändert, »umgestimmt« wird, so muß das auch von jedem weiteren sie treffenden gleichen oder ungleichen Reize gelten. Ziehen erkennt das auch an: Die la- tente Erregung Rl einer Zelle, welche einer bestimmten Vor- stellung entspricht, muß in Rv abgeändert werden, damit die Vor- stellung wieder lebendig werde.') Wenn so aber die Zelle immer wieder »umgestimmt« wird, so wird der Begriff einer dauernden Disposition oder Spur, auf der doch die ganze physiologische Asso- eiationstheorie beruht, im Grunde hinfallig, und man sieht nicht ein, warum trotz aller dieser fortwährenden Umstimmungen, durch welche sie sich von dem Zustande ihrer ersten Umstimmung immer mehr ent- fernt, die Zelle doch immer bestimmten Reizen den vom »Freund« ausgehenden zugänglich bleibt, andern den vom »Fremden« aus- gehenden — aber ebenso unentwegt sich verschließt. Es gelingt der Theorie nicht, das Moment des Willkürlichen und Zufölligen zu überwinden.^) Ich möchte diesem Mangel der physiologischen Assoziationstheorie noch an einem dritten Beispiel darlegen, dem bekannten Meynertschen Schema: Gebranntes Eind scheut das Feuer. Das Schema bezweckt, die Vorgänge, die in ihrem Ergebnis dazu führen, ein Eind, das einmal sich an einem Lichte den Finger ▼erbrannt hat, zu veranlassen, das nächste Mal den Finger nicht in

1) a.a.O. 8.140, vgl. S. 158.

2) Vgl. zu der Gleis- u. Bahntheorie auch die Kritik, welche v. Eries a. a. 0. S. 14, 18 f., 21 f., 31 f., 38, 43 u. a. an ihr übt Mit vielen anderen ist er der Meinung, »daß die psychischen Beziehungen hierbei viel zu äuBerlich auf- gefaßt sind« (8. 38). Die Ansicht, daß jeder Eindruck seine bestimmte Zolle be- sitze, welche die Trägerin des ErinneruDgsbildes desselben sei, lehnt er ab: »es ist die oberflächlichste und platteste aller Vorstellungen«. Ich ei-wähne noch kurz, daß der von v. Eries 8.45 entwickelte, von ihm selbst übrigens nur als viel- leicht möglich hingestellte Gedanke einer intracellulären Begründung der psychischen Prozesse auch auf Schwierigkeiten stößt. Eine dem Eindruck und seiner Verknüpfung entsprechende Differenzierung einer Zelle läßt sich wohl denken; aber wir müßten zugleich annehmen, daß sehr viele verachiedene Eindrucke, ohne sich gegenseitig zu stören, in einer Zelle deponiert sein könnten, was die Leistungs- fähigkeit derselben doch übersteigen dürfte (vgl. v. Eries selbst 8. 48). Und dann würde derselbe Einwand, den ich oben gegen Ziehen erhob, auch gegen diese Theorie zu erheben sein: jeder neue Beiz, der die Zelle trifft, müßte sie wieder umändern, wodurch die zuerst geschaffene Disposition ihren Nutzwert verliert.

296 Erster Abschnitt. Der psychophysische Farallelismos.

die Flamme zu stecken, als einen rein physiologischen Zusammenhang uns begreiflich imd verständlich zu machen. Und zwar in folgender, durch die untenstehende Figur veranschaulichter Weise.

Das Kind sieht ein Licht stehen, d. h. sein Auge trifft ein vom Lichte ausgehender Strahl. Der Beiz wird durch den Nerven auf die Zelle 2 übertragen, welche die Erregung auf die motorische Zelle 3 weiterleitet. Durch diese wird der Bewegungsvorgang ausgelöst, welcher den Finger mit dem Lichte in Berührung bringt und das Verbrennen der Haut des Fingers zur Folge hat Dieser letztere Prozeß löst nun wieder eine nervöse Erregung aus, welcher die Zelle 6 in Mit- leidenschaft zieht (das physiologische Korrelat des Schmerzgefühls). Diese Erregung, auf die motorische Zelle 7 weitergeleitet, führt aber durch deren Yermittlung einen weiteren Bewegungsvorgang, nämlich

di^ Zurückziehen des Fingers herbei, der in unserer Figur durch den umgebogenen Pfeil symbolisch angedeutet ist Die ge- brochene Linie 1 2 3 4 5 6 7 8 stellt also einen geschlossenen, aus zentripetalen und zentrifugalen Nerven- strömen und Erregungen sensorischer und motorischer Zellen sich zusammensetzen- den physiologischen Prozeß dar, der uns auf physiologischem Wege veranschau- licht; wie ein Kind, durch die Flamme verlockt, den Finger hineinsteckt und, durch den Schmerz veranlaßt, ihn schleunigst zurückzieht Ich sehe ganz davon ab, ob schon dieser Zusammenhang wirklich physiologisch so selbstverständlich und not- wendig ist als das Schema annimmt, meine Kritik soll der weiteren Ausführung des Schemas allein gelten. Das Schema nimmt weiter an, daß die Erregung 1 2 nicht nur auf die Zelle 3 übertragen wird, sondern zugleich auch auf die Gehirnzelle a, deren Erregung das physiologische Korrelat der bewußten Qesichtswahrnehmung bildet,^) daß auch das Ausstrecken des Armes eine Spur im Oehim depo- niert {b)j daß das Schmerzgefühl eine derartige Spur dort hinter- läßt (c) und daß endlich auch das Zurückziehen des Fingers und Armes durch eine solche im Gehirn repräsentiert wird (d). Den einzelnen Phasen des Gesamtprozesses 1 2 3—4 5 6 7 8 ^ "^ließen sich also in dieser Beihenfolge an die Prozesse 2 a,

1) Wobei sich dann die Frage erhebt, ob nicht die Erregung von a eine SU umgehende Bedingung des Zustandekommens des Prozesses 3 4 5 ist.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 297

4 6, 6 c, 8 d. Und nun wird weiter gefolgert, daß, wenn das Sind zam zweiten Male die Flamme erblickt und schon zugreifen will, die Erregung der Zelle a, die zugleich mit 3 erfolgt, die Zellen b^ c^ d in Miterregung versetzt was dem entspricht, daß das Eind sich des Zugreifens, des Schmerzgefühls und des Zurück- znckens erinnert und die Erregung der Zelle df, die mit dem Zurückziehen des Fingers verbunden war, diesen Prozeß einleitet und dadurch den schon innervierten Prozeß 3 4 5 hemmt: d. h. das Kind, sich des Schmerzgefühls erinnernd, unterläßt dieses Mal die Arm- und Fingerbewegung.

So plausibel das alles klingt: sieht man näher zu, so zeigt doch auch diese Konstruktion alle die Willkürlichkeit und Zufälligkeit, die der physiologischen Associationstheorie nun einmal anhaftet Es ist nämlich zunächst gamicht einzusehen, warum eigentlich die Er- regung a die Erregung &, diese die Erregung c und diese endlich wieder die Erregung d nach sich ziehen soll. Daß sie schnell hinter- einander erfolgten, ist doch physiologisch noch kein genügender Grund, daß sie sich wieder reproduzieren. Die Zellen a, b^ c, d be- finden sich dem Schema zufolge an ganz verschiedenen Stellen des Gehirns, eine Yerbindung zwischen ihnen ist durch sie selbst nicht hergestellt, da ja a durch 2, b durch 4, c durch 6, d durch 8 in Erregung versetzt wurde, nicht aber d durch c, c durch 6, b durch o. Wenn nun der Spuren- und Gleistheorie zufolge eine einmal gebahnte Yerbindung eine Bahn des geringeren Widerstandes bedeutet und die Tendenz hat, bei einer Wiederholung des nämlichen Reizes den nervösen Prozeß denselben Weg wieder zu leiten, so müßten wir doch erwarten, daß, nachdem einmal der Prozeß sich in der Form 1—2 3—4—5 6 7 8 und 2 a, 4— i, 6— c, 8 d abgespielt hat, er sich immer in derselben Weise wieder- holt, daß also das Eind immer wieder, wenn es das Licht sieht, den Finger hineinsteckt, dann den Schmerz empfindet und darauf den Fmger zurückzieht, und diese Vorgänge immer wieder dieselben Spuren im Gehirn deponieren. Daß dagegen das Kind das zweite Mal den Finger zurückhält, das ist uns psychologisch sehr wohl verständlich; physiologisch aber ist es gamicht verständlich, warum der Verlauf gerade ein solcher und kein anderer ist Man setzt eben ohne weiteres voraus, daß, was psychologisch selbstverständlich ist, sich auch phy- siologisch — aus physiologischen Gründen! von selbst versteht und meint dann am Ende gar, durch die physiologische Konstruktion den psychologischen Zusammenhang allererst verständlich gemacht zu haben.

298 Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelismiis.

Die Notwendigkeit, daß die Erregung a die von 6, c und d nach sich ziehe, wird dadurch nicht Terständlicher, daß man ein »physiologisches Associationsgesetzc konstruiert, nach dem diese Form der Weiterstrahlung notwendig sein soll: »Werden mehrere Erregungen yerschiedenen Stellen der Oroßhimrinde gleichzeitig oder mit geringer Zwischenzeit zugeführt, so ruft hinterher die Wiederkehr der einen Erregung auch die anderen (in der ursprüng- lichen Ordnung) hervor, ohne daß es für diese der entsprechenden äußeren Beize bedarf.«

Dieses »Gesetz« ist selbst eine ad hoc gemachte, ganz willkür- liche Annahme, deren Rechtfertigung ausschließlich in dem Bestreben zu erblicken ist, die unter dem Druck des parallelistischen Vor- urteils nun einmal übernommene Aufgabe, alle Handlungen leben- diger Wesen als rein automatische Vorgänge zu erklären, unter allen Umständen durchzuführen. Wie sehr hier der Wunsch der Vater des Gedankens ist, ersieht man deutlich aus den Worten, mit denen Ebbinghaus, dessen Formulierung des G^etzes ich gefolgt bin, diese »wichtige Eigentümlichkeit der nervösen Substanz« einführt (S. 140): »Allerdings hat sie sich noch nicht, wie etwa die Bahnung und Hemmung von Erregungen, direkt sinnlich nachweisen und demon- strieren lassen, indes wird ihre Ansetzung durch den Zwang der zu erklärenden Tatsachen genügend sichergestellt« (!). Besser konnte das Gekünstelte und Willkürliche der ganzen Theorie gamicht zur Darstellung gebracht werden. Man will eben eine phy- siologische Erklärung geben, koste es, was es wolle, und nimmt so viele Prinzipien, Eigentümlichkeiten und »Gesetze« an, als zur Durchführung dieser Absicht eben notwendig erscheinen. Indem man dann alles, was sich auf diesem Wege ergibt, für empirische Tatsachen ausgibt, hat man «s freilich leicht, vom hohen Pferd seiner »empirischen Methode« auf die Ansichten, welche die Sache nicht ohne Zuhilfenahme der Psychologie erklären zu können meinen, herabzusehen und sie als »metaphysisch« zu brandmarken.^)

Allzugroß ist der Nutzen, den das »Gesetz« abwirft, im übrigen auch noch nicht Auch wenn wir die Notwendigkeit der Association a b c d zugeben, so ergibt sich immer noch nicht, daß durch diese Association das Ausstrecken der Hand zur Flamme notwendig in-

1) Wandt, Phil. Stud. X, S. 73: »In der Tat, wer physiologische Hirn- gespinste für empirische Tatsachen hält, dem kann billigerweise nicht verdacht werden, wenn ihm empirische psychologische Tatsachen metaphysisch und traos- cendent vorkommen.!

Diittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismns. 299

bibiert wird. Denn der ursprünglicbe Zasammenhang besteht doch aach weiter und tritt mit dem neuen (a b c d 8) in Konkurrenz. Wie kommt es, daß er sich garnicht zur Geltung zu bringen vermag? Auch dies läßt sich sagen, daß, wenn wir annehmen, daß die Er- regung in d, weil sie mit der Bewegung 8 (Zurückziehen der Hand) verknüpft war, diese wieder auslöst, wir auch annehmen müssen, daß auch b und c, weil von a und b her erregt, die mit ihnen ursprünglich verbunden gewesenen Prozesse wiederum auslösen, und so steht in zwiefacher Weise der Tendenz, welche das Meynertsche Schema plausibel machen will, eine andere entgegen, welche zur Wiederholung des ursprünglichen Verlaufs drängt.

Um diese Konkurrenz zu beseitigen und das qitod erat demo7i- strandum des Schemas zu erzielen, müssen wir endlich noch an- nehmen, daß der Prozeß a b c d so schnell verläuft, daß, ehe noch die entweder auf dem Wege 1 2 3 oder durch b inner- vierte Armbewegung 4 ganz zur Ausführung gelangt, bereits die inhibierende, durch d auf dem Wege 1 2 a b c ausgelöste Bewegung 8 einsetzt und sie verhindert Aber (abgesehen von der Verlegenheit, in die uns das durch c auszulösende Schmerzgefühl bringen würde) auch von dieser ganzen Annahme gilt wieder, daß sie willkürlich und mit der Theorie der Dispositionen und Bahnen des gringsten Widei*standes nicht recht zu vereinigen ist. Aus welchem Orunde soll denn die Fortpflanzung der Erregung in der Bichtung a b c d so besonders schnell vor sich gehen? Es ist doch noch gar keine »ausgeschlifFene« Bahn a 6, b o, c d vorhanden, da ja ursprünglich a von 2, b von 4, c von 6 und d von 8 her erregt wurde. Die Verbindung a-fc—c— d wird ja nach der Annahme des Schemas erst beim zweiten Male geschaffen. Der Theorie zu- folge müßten eigentlich die schon bestehenden Leitungen 2 3 4 5 6 7 8, sowie 2 a, 4 6, 6 c, 8 d, besser und schneller funktionieren als die erst zu schaffende Leitung a b c dy und so müßten wir wiederum erwarten, daß der auf der Linie 1 2 3 4 5 6 7 8 und weiter auf den Linien 4 b oder b 4, 6 c oder c 6, 8 d oder d 8 verlaufende, das Ver- brennen des Fingers einschließende Prozeß in der Konkurrenz mit dem auf der Linie 2 a b c d 8 verlaufenden, das Verbrennen verhindernden Prozeß, siegt

So zeigt uns denn auch das berühmte Meynertsche Schema, und zwar dieses in ganz besonders instruktiver Weise, daß die phy- siologische Associationstheorie wohl irgend welche Zusammenhänge

300 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parailelismas.

im Oehim konstruieren kann, durch welche ein nach unserer An- nahme durch Mitwirkung psychischer Faktoren zu stände gebrachtes Ergebnis allenfalls auch bewirkt werden könnte, daß sie aber mit ihren Mitteln nicht vermag, die Konstruktion, für welche sie sich entscheidet, als eine in sich notwendige und naturgesetzlich ge- botene erscheinen zu lassen. »Nothing is easier^^ sagt James vom Meynertschen Schema mit Recht, »than io conceive a possible toay in which this might be done<^) aber nichts ist hofihungs- loser, füge ich hinzu, als der Versuch, diesen willkürlichen Kon- struktionen den Schein des Notwendigen und Selbstverständlichen zu geben, sie des Willkürlichen und des Zufälligen zu entkleiden, das ihnen nun einmal unhintertreiblich anhaftet. Wenn aber schon die physiologische Konstruktion so einfacher Handlungen auf so große, schier unüberwindliche Hindernisse stößt, so kann man sich eine Vorstellung von der Aussichts- und Hoffnungslosigkeit des Versuchs machen, die so ungeheuer verwickelten, mannigfach ineinander^ greifenden Handlungen der lebendigen Wesen, wie sie Natur und Geschichte uns darbieten, als automatische Vorgänge plausibel zu machen. Selten wohl haben die Ansprüche einer Theorie zu ihren tatsächlichen Leistungen in einem so grellen Mißverhältnis gestanden, als es hier der Fall ist.*)

Das Zufällige und Willkürliche, das der physiologischen Asso- ciationstheorie anhaftet, gibt Hugo Münsterberg durchaus zu. Die Verknüpfung der psychischen Vorstellungen hat bis jetzt rein phy- siologisch nicht genügend erklärt werden können;') die Associations- theorie vermag der Reichhaltigkeit des psychischen Lebens nicht ge- recht zu werden.^) Es kommt darauf an, zu erklären, warum im

1) S. 24. Ich bin in der Dai-stellong des Schemas der von James 8. 25 gegebenen Figur gefolgt, mit Yeränderong der Ziffern und Buchstaben. Die von Ebbinghaus, Psychologie S. 142 , gegebene Zeichnung weicht von der James- schen ab; man kann die oben beschriebenen Yorgfinge aber unschwer auch auf diese Figur übertragen. Die Grundgedanken sind in beiden dieselben.

2) Gegen die Gleistheorie spricht sich auch Ostwald aus, a.a.O. S. 368. Vgl. auch Münsterberg a. a. 0. 8.511: Die Associationstheorie hat »in ihrem Prinzip der Verbindung durch Bahnen geringsten Widerstands ein gar zu un- genügendes Eülfsmittel der Erklärung , wenn der Reichtum innerer Beziehungen xerstanden werden soll.« Noch des näheren auf die Theorien welche die Exner, Sachs, Flechsig, Uschakoff, Adamkiewicz u.a. aufgestellt haben, und die Differenzen derselben einzugehen, muß ich mir versagen.

3) So a. a. 0. S. 523.

4) S. 496/497, 511, 527.

Drittes Kapitel. Die Naohteile des Parallellsmos. 301

gegebenen Moment anter den vielen möglichen Associationen gerade die eine auftritt und andere gamicht zur psychophysiscben Erregung kommen.^) Zu diesem Zwecke genügt es aber, führt Münsterberg weiter aus, nicht, auf Bahnen des geringsten Widerstandes hinzu- weisen, da jede Zelle mit vielen anderen in Verbindung steht und es daher nicht verständlich ist, weshalb ihre Erregung nur eine andere Zelle miterregt, andere nicht. Und nimmt man Hilfshypothesen von Hemmungen zu Hilfe, so weiß man wieder nicht, warum hier gerade eine Hemmung auftritt, dort nicht. Wir müssen uns nach weiteren Hil&mitteln umsehen. An hypothetischen Yorstellungen ist nun kein Mangel. »Man hat an eine Interferenz der Erregungen gedacht nach dem Vorbild der Wellenbewegungen; von den physiologischen Hem- mungserscheinungen ausgehend, hat man Hemmungsmechanismen ftir alle Gehirn teile vorausgesetzt; als Oegenstück hat man Prozesse der Bahnung angenommen; andere wieder haben an die wechselnde Hyperämie und Anämie der Zellen gedacht, noch andere an chemische normale Oiftwirkungen, welche die Zelle ausschalten; man hat auch von Erhebung und Herabsetzung des Neuronenschwellenwertes ge- sprochen und schließlich interessiert man sich überall für die amö- boiden Eigenbewegungen der Zelle, durch die ihr Eontakt mit den Nachbargebilden verändert wird.«^) Aber alle diese Vorschläge, ent- gegnet Münsterberg, lösen das Problem nicht »Was wir wissen wollen ist: warum gerade diese eine und nicht irgend eine andere Erregung gesteigert oder erstickt wird, warum im bestimmten Zeit- punkt gerade diese Zelle und nicht ihre Nachbarin anämisch wird.«') Eine prinzipielle Erklärung für alles dies wird durch keine Er- gänzungshypothese, die man etwa noch heranziehen möchte, gegeben, »alles bleibt dem Zufall überlassen und nur der Endeffekt wird in physiologischen statt in bloß psychologischen Begriffen beschrieben.«^) Diesen Mängeln, welche die physiologische Associationstheorie nach Münsterbergs eigener Meinung nicht zu beseitigen vermag, soll nun aber die von ihm aufgestellte Aktionstheorie abhelfen. Das Wesen dieser Theorie ist durch die größere Verwertung charak- terisiert, welche das motorische Moment in den physiologischen Prozessen, genauer der Begriff der Entladung in ihr erüEUirt Erst wenn sich der zentripetale sensorische Prozeß in den zentrifugalen

1) S. 519.

2) Ebendaselbst

3) Ebendaselbst, vgl. S. 523.

4) S. 526, 534.

302 Ei-ster Abschnitt Der psychophysische ParalleUsmus.

motorischen entlädt, tritt eine Empfindung auf, wird er psycho* physisch; und die Lebhaftigkeit der Empfindung soll dann von der Stärke der Entladung abhängen.^)

»Es würde damit gesagt sein, daß die physiologische sensorische Erregung an sich überhaupt nicht von psychischen Vorgängen be- gleitet sei, sondern erst beim Übergang in die Entladung psycho- pbysisch würde. Die sensorische Erregung ohne Entladung würde dann dem niedrigsten Grade der Lebhaftigkeit, also der volIständigeD Hemmung entsprechen; je vollständiger die Entladung, desto leb- hafter die Empfindung.« ') Und nun sollen mit Hilfe dieser Aktions- theorie die Prozesse, welche wir fälschlich auf die Mitwirkung psy- chischer Faktoren glauben zurückführen zu müssen, als rein phy- siologische ohne Schwierigkeit verständlich werden. Demgegenüber bedauere ich indes erklären zu müssen, daß die Aktionstheorie dieses Ziel ebensowenig erreicht als die Associationstheorie, da auch sie das Element des Zufalligen und Willkürlichen, das allen ihren Kon- struktionen anhaftet, nicht zu eliminieren vermag.

Die ganze Theorie hat zunächst dies gegen sich, daß sie den an sich berechtigten Gedanken: auch den motorischen Prozessen müssen psychische Parallelglieder entsprechen, in den anderen ver- kehrt: nur die Entladung in motorische Prozesse ergibt deren. Es fehlt an einem genügenden Grunde dafür, daß dem sensorischen Pro- zesse an sich gar keine, der »Entladung« dagegen eine mehr oder weniger lebhafte Empfindung zur Seite steht Ist denn der sensorische Prozeß als nervöser Vorgang vom motorischen so sehr verschieden? Müssen wir nicht schließlich auch den ersteren als eine Beihe von Zelle zu Zelle sich fortpflanzender Explosionen oder Entladungen ansehen? Jede einzelne Zelle reagiert ja auf die Einwirkung einer anderen und gibt die Erregung ihrerseits an eine andere weiter. Das aber bedeutet jedesmal eine Entladung, und so ist denn die beim Umschlagen des zentrifugalen in den zentripetalen Prozess er- folgende Entladung von allen übrigen nicht so spezifisch verschieden, daß auf sie das sonst fehlende Auftreten eines psychischen Korre- lats begründet werden könnte. Aber das bedeutet schließlich ein Bedenken untergeordneterer Art; die Hauptsache ist, daß das Moment des Zufalls dasselbe bleibt wie bei der Associationstheorie. Wovon hängt es denn ab, ob eine Entladung stattfindet oder nicht, und in

1) S. 527 530.

2) S. 531.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Farallelismas. 303

welcher Richtung sie stattfindet? Auf diese Frage erhalten wir keine auch nur entfernt genügende Antwort. Wenn Münsterberg von der Associationstheorie sagt: »Wir vermochten da wohl den Vorgang der Funktionsaufhebung durch Anämie oder durch Interferenz oder durch Einziehung der Fortsätze in der sensorischen Zelle zu be- schreiben, aber einen Grund zu finden, warum die eine Zelle die andere und gerade diese eine andere, zum Stillstand zwang, das mußte allzeit aussichtslos bleiben,«^) so gilt mutaiis mutandis von seiner Theorie das nämliche: das Spiel des wechselseitigen Förderns und Hemmens vermag auch sie nicht eindeutig zu erklären.

Münsterberg weist uns auf den antagonistischen Gegensatz hin, der im Organismus eine so bedeutende Rolle spielt, und die darin liegende Hemmung. Wir können nicht einen Muskel zugleidi strecken und beugen, können nicht zugleich rechts und links gehen, nicht eine Handlung und zugleich auch die antagonistische ausführen: die eine hemmt die Ausführung der anderen. Ja, aber was hilft das alles? Daß die eine Handlung, wenn sie erfolgt, die andere hemmt, und daß sie, wenn sie in der einen Richtung erfolgt, nicht zugleich auch in der anderen Richtung erfolgen kann, ist freilich richtig: wovon aber hängt es ab, daß sie und keine andere, und daß sie in dieser und in keiner anderen Richtung erfolgt? Auf diese Frage erhalten wir keine genügende Antwort Alles, was wir erfahren, ist, daß, weil das eine erfolgt, das andere nicht erfolgt Und selbst das bleibt fraglich. Denn ertolgt wirklich die eine Be- wegung nicht, weil die antagonistische erfolgt, oder erfolgt nicht etwa diese, weil jene gehemmt wird? Ich sehe nicht, wie wir auf diesem Wege über den Standpunkt der Associationstheorie hinaus- kommen. Auch das Bild von der Kopfstation, durch welches Münsterberg seine Ansicht erläutert (S. 535) bringt uns nicht weiter. Gewiß, die Lokomotive eines Zuges, der auf dem mittleren Gleis einer mit Drehscheibe versehenen Kopfstation einfährt, kann nur entweder auf dem rechten oder auf dem linken Gleise zurück- fahren, also wenn sie auf dem rechten fährt, nicht zugleich auf dem linken. Wovon hängt es aber ab, ob sie das rechte Gleis benutzt oder nicht? Hier können wir nun auf die die Drehscheibe bedienenden Männer und deren Instruktionen verweisen. Wer aber gibt die In- struktion im Gehirn? Ebenso wie dieses, versagt auch das Schleusen- beispiel, das Münsterberg S. 543 herbeizieht, gerade im ent-

1) S. 534.

304 Erster Abschniti Der psyohophyslsche Farallelismas.

scheidenden Punkte. Mag auch bei einer Doppelschleuse die Offiiung der einen Schleuse die andere automatisch schließen: wovon hängt es ab, ob die eine oder vdie andere aufgezogen wird? Wiederum von dem Willen oder der Instruktion der die Schleuse bedienenden Beamten oder von sonstigen umständen. Wer oder was aber ent- scheidet im Gehirn darüber, ob die in zentripetaler Richtung ein- strömende Erregung auf Streck- oder auf Beugezellen übertragen (S. 544) und dadurch zur EnÜadung gebracht wird? An diesem Punkte angelangt, muß auch die Aktionstheorie in die Associations- theorie mit ihren Förderungs- und Hemmungshypothesen zurück- fallen, und wenn Münsterberg diese für völlig unzulänglich er- klärt, so muß von seiner eigenen Theorie das nämliche gelten: auch sie wird dem Reichtum des geistigen Lebens in keiner Weise ge- recht, auch bei ihr bleibt das Zufällige und Willkürliche, das jener anhaftete, in vollem umfang bestehen.

Wie hiemach nicht anders zu erwarten, gelingt es denn auch Münsterberg nicht, mit Hilfe seiner Aktionstheorie die Hindemisse, die sich einer physikalisch - chemischen Erklärung der biologisch- kulturgeschichtlichen Handlungen und Vorgänge entgegenstellen, aus dem Wege zu räumen und uns die tier- und menschheitliche Ent- wicklung als einen lediglich chemikalisch- physischen Prozeß begreif- lich zu machen; die Anwendung, die er von seiner Hypothese macht, läßt ihn sogar in Fehler verfallen.^) Ein paar Worte mögen diesem

1) Dahin rechne ich z.B. die Annahme, daß das Entgegengesetzte, die Auf- merksamkeit Hindernde immer dasjenige und nur dasjenige ist, das zu antagonisti- schen Handlangen führt; »es ist die reziproke Yerspeming der Bewegongskanäle, welche so die Zerstreuang der Aufmerksamkeit hinderte (S. 550). Danach müfite die Aufmerksamkeit, die zu einer Streckbewegung gehört, die aufmerksame Vor- stellung der Beugebewegung hindern, während ich doch beides zugleich aufmerk- sam Yorstellen kann, ja die eine Vorstellung durch den Kontrast die andere nach sich ziehen kann. Und umgekehrt gibt es viele Hindemisse für die Aufmerk- samkeit, die nicht auf derartigen Antagonismus zurückzuführen sind. Weiter verfallt auch M. in den Fehler, für das beziehende Denken und seine Synthesen inhaltliche physische Korrelate angeben zu wollen. So soll die motorische Ein- stellung, die der ganzen im Begriff zusammengefaßten Objektengruppe ge- meinsam zukommt, das physische Korrelat desselben sein (S. 552). Ebenso wird das urteil mit einer motorischen Einstellung zusammengestellt (ebendas.). Un- richtig ist es auch, daß Eindrücke, welche teilweise gleiche Reaktionen hervor- rufen, von uns fthnlich genannt werden. Ich kann durch sehr verschiedene Ein- drücke zu der gleichen Reaktion, z.B. zum Davonlaufen, yeranlaßt werden, durch eine vorgehaltene Pistole, ein heransausendes Automobil, ein wildes Tier, eine einstürzende Mauer usw. Deshalb halte ich diese verschiedenen Ursachen aber doch nicht für fihnlich (S. 553).

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 305

Versuch noch gewidmet sein. Daß in allen Fällen tierisch -mensch- licher Regsamkeit die Auswahl der Antwort auf die beeinflussenden Beize rein mechanisch, ohne jede psychische Mitwirkung erfolge, daß insbesondere aber die Abkürzungen, Abschwächungen und Beseiti- gungen des schädlichen, sowie die Verstärkungen und Verlängerungen des forderlichen Reizes erfolgen, ohne daß die Gefühle der Lust und Unlust und der Wille dabei irgend welchen Anteil haben (S. 469), hat auch Münsterberg zwar behauptet, aber nicht glaublich ge- macht Ebensowenig ist es ihm gelungen, Handlungen, welche auf Gedächtnis und Voraussicht des Zukünftigen beruhen, als rein mechanische Prozesse begreiflich zu machen. Am auffalligsten aber ist das Versagen der Theorie, wenn es sich um die physiologische Erklärung der Erscheinungen der Nachahmung (S. 473) und der sozialen Arbeitsteilung (S. 474f.) handelt Warum sich mit einer zum ersten Male gesehenen Handlung gleich die entsprechende Eigen- bewegung verbindet, weshalb also die Erregung, welche der Gesichts- wahrnehmung entspricht, gleich die entsprechende Gliederbewegung auslöst, ist nicht recht ersichtlich. Es geschieht im übrigen auch gamicht, es werden vielmehr in der Regel erst mehrere nicht ent- sprechende Bewegungen ausgeführt, ehe die richtige getroffen wird. Physiologisch liegt aber kein Grund vor, weshalb die richtige Be- wegung nicht sofort ebensoleicht ausgeführt werden sollte wie die falsche, und weiter, weshalb überhaupt die Bewegung so lange wie- derholt wird, bis sie mit der »vorgemachten« übereinstimmt Wo in aller Welt macht eine Maschine einer anderen etwas nach?

Und nun die Arbeitsteilung! Wie kann man eigentlich daran denken, dieses Phänomen ohne jede Heranziehung psychischer Fak- toren physikalisch-chemisch verstehen zu wollen? Physisch bleibt doch jeder Organismus für sich, von den anderen zwar beeinflußt, mit ihnen in Wechselwirkung stehend, aber nicht sich mit ihnen zu gemeinsamer Arbeit verbindend. Damit das geschehe, müssen psy- chische Faktoren eingreifen: der Wille zum Leben, das Streben nach Lust, nach Wohlergehen, Sympathie und Gemeinschaftsgefühl. Aber ein physikalisch notwendiger und in seiner Notwendigkeit begreif- licher Kausalzusammenhang besteht zwischen den einzelnen bei der sozialen Arbeitsteilung ineinandergreifenden und sich ergänzenden Handlungen verschiedener Individuen nicht Oder nach welchen Naturgesetzen soll es erklärlich und notwendig sein, daß, wenn der eine mit einem Beil Holz zerkleinert, der andere es aufeammelt und in den £eller trägt? Münsterberg fällt hier selbst aus der Rolle,

Busse, Geist und Körper, Seele und Leib. 20

306 Erster Abschniti Der psychophysische Parallelismns.

wenn er S. 467 sagt: »Die Antwort des Natarforscbers wird dahin gehen, daß alles dieses, dem Geist der heutigen Biologie gemäß, möglich ist, aber nur unter einer einzigen Bedingung, nämlich daß die Leistungen des Apparats normalerweise dem Träger oder seinen Nachkommen nützlich sind. Ist ein solcher Nutzen und Zweck- mäßigkeit nicht nachweisbar, so ist der Versuch, solchen Apparat physisch zu erklären, aussichtslos.« Diese »einzige Bedingung« darf eben die Biologie, wenn sie »dem Geist der heutigen Biologie gemäß« verfahren will, nicht stellen; derartige teleologische Annahmen gehören in eine alles aus physischen Ursachen erklären wollende Biologie nicht hinein. Für Automaten gibt es keine Leistungen, die für sie nützlich oder zweckmäßig sind und aus diesem Grunde Ton ihnen vollzogen werden. Sie handeln in jedem Moment, wie sie unter den obwaltenden Umständen nach den Naturgesetzen eben handeln müssen. Ob diese Handlungen für sie nützlich sind oder nicht, spielt dabei gar keine Bolle: dem Automaten ist es ganz gleich- gültig, ob er durch seine SLandlungsweise sich selbst und seine Nach- kommen ruiniert oder nicht Und demnach ist der Versuch^ solchen Apparat physisch zu erklären, allerdings aussichtslos. Alle derartigen Annahmen haben nur dann Sinn, wenn ein Fühlen, Streben und Wollen vorhanden ist, das auf das Nützliche und Zweckmäßige sich richtet, und dann haben wir eben wieder das Psychische, das wir doch durchaus eliminieren wollten. Von ihm kommen wir auch nicht ab, wenn wir die von Münsterberg S. 474/475 gemachte Unter- scheidung zweier Formen der Arbeitsteilung acceptieren, einer solchen, bei der der Austausch selbst ein bewußtes Motiv für die Leistung ist, und einer solchen, bei der die Reaktion vor sich geht, ohne daß die Vorstellung von dem durch Arbeitsaustausch zu gewinnenden Erfolge vorher ins Bewußtsein tritt Im ersten Fall, wo ein Orga- nismus auf die Gegenleistung eines anderen rechnet, ist ja die Unmöglichkeit, die Sache rein physikaUsch zu erklären, am ein- leuchtendsten. Der Organismus als solcher rechnet nicht auf Gegen- leistungen, er ist kein Utilitarier, handelt weder egoistisch noch al- truistisch, er strebt nicht nach Erhaltung seines Daseins. Aber Münsterberg stellt sich einerseits auf den durch den Parallelismus geforderten Standpunkt rein physikalisch -chemischer Erklärung und legt doch andererseits den Organismen allerhand Tendenzen und Be- strebungen bei, die mit jenem Standpunkt schlechterdings unverein- bar sind. Er läßt sie Bedürfnisse haben, die sie zu befriedigen streben, legt ihnen Sympathien und Antipathien bei, ja macht sie so-

Drittes Kapitel. Die Naohteile des Parallelismus. 307

gar zu Patrioten und moralischen Persönlichkeiten, zu Mitgliedern einer Moralgemeinde (S. 476). Die Gesamtheit wendet sich, sobald ein Teil augegriffen wird, gegen den gemeinschaftlichen Feind! Tiere und Menschen, denen an der Erhaltung ihres Daseins und der Oattung gelegen ist, tun das wohl, aber Automaten? Man schlage eine Maschine entzwei kümmern sich die anderen darum? »Wer durch seine Handlungen sich als Glied einer Moralgemeinde erweist, der ist aller der ihm nützlichen Liebeshandlungen und der werktätigen Hilfe sicher, die keiner sich selbst schaffen kann« (S. 476). Ich möchte aber einmal den Automaten sehen, der sich durch seine Hand- lungen als Mitglied einer »Moralgemeinde« erweist und von seinen Mit-Automaten »Liebeshandlungen« empfängt! Mit demselben Becht, mit dem wir Gehirn und Nerven sich moralisch benehmen und Liebesgaben austauschen lassen, können wir auch einem Stein, der von der Strömung des Flusses beiseite geschoben wird, den löblichen Beweggrund andichten, rücksichtsvoll zur Seite zu treten, damit das Wasser bequem durchfließen kann! Maschinen, Automaten haben keine Bedürfnisse, die sie be&iedigen müßten, haben weder Sympathien noch Antipathien, handein weder moralisch noch un- moralisch, besitzen weder Egoismus noch Korpsgeist; sie sind Er- zeugnisse des Naturmechanismus und handeln nach den Gesetzen des Naturmechanismus. Es bleibt mithin nur die andere der beiden von Münster borg unterschiedenen Formen übrig: ein soziales Ver- halten, bei dem der zu erwartende Erfolg garnicht vorher ins Be- wußtsein tritt, also die Erklärung solches Yerhaltens als eines rein mechanischen auf Grund des Prinzips physiologischer Einübung und Gewöhnung. Aber die Einübung kann an sich ebensogut eine dem Organismus schädliche wie ihm forderliche Bichtung einschlagen; ohne das auf der Fähigkeit, Lust und Unlust zu empfinden, beruhende Streben des Lidividuums, sein Sein zu erhalten und zu erhöhen, bleibt alles dem Zufall überlassen und eine Erklärung der tatsächlich er- folgten tier- und menschheitlichen Entwicklung ausgeschlossen. Auch setzt, wie Wundt mit vollem Becht hervorhebt, die eingeübte und zuletzt automatisch erfolgende Handlung ursprünglich, sei es bei dem Lidividuum selbst, sei es bei seinen Vorfahren, eine psychische Mit- wirkung voraus. Der Nachweis, daß eine Erklärung dieser Vorgänge ohne jede Inanspruchnahme psychischer Faktoren auch nur denkbar sei, ist M uns t er borg nicht gelungen; seine eigenen Beispiele zeugen wider seine Theorie; auch die Entwicklung des Werkzeuges auf rein

mechanischem Wege zu erklären (S. 477) ist ihm nicht gelungen.

20*

308 Erster Abschnitt. Der psyohophysisohe Parallelismas.

Wenn Münsterberg daher auf derselben Seite 477 sagt: »Auch die soziale Menschenumgebung ist somit ebenso wie die anorganische Welt für den einzelnen menschlichen Organismus eine unendlich mannigfaltige Beizquelle, welche in seinem sensorisch- motorischen Apparate notwendig diejenigen Bewegungen hervorruft, welche für die Erhaltung des Individuums oder seiner Nachkommen zweckmäßig sind«, so muß das entschieden bestritten werden. Die Notwendigkeit zweckmäßiger Reaktionen ist in keiner Weise plausibel gemacht worden. Und wenn er S. 481 erklärt: »So zeigt denn auch die höchste Kultur nirgends einen Yorgang, der sich nicht dem bio- logischen Schema widerspruchlos einordnet«, so muß auch diese Be- hauptung als eine durch seine eigenen Yersuche, das Schema tat- sächlich durchzuführen, wahrlich nicht gerechtfertigte zurückgewiesen werden: auf Schritt und Tritt stoßen wir auf Vorgänge, welche sich dem »biologischen Schema« nicht einfügen lassen. Nicht minder ist die Behauptung S. 482 zu beanstanden: »Wenn die Psychologie von ihrem Standpunkt aus die Theorie des psychophysischen ParalleUsmus fordert, so hat die Fhjrsiologie oder Biologie somit kein Recht, von ihrer Seite aus Yerwahrung dagegen einzulegen.« Solches zu tun haben sie nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, und sie müssen ihren Protest so lange aufrecht erhalten, bis die Gegner die Möglichkeit materia- listischer Erklärung von Wissenschaft und Kunst, Sprache und Sitte, Religion und Moral, Staatsleben, Recht und Geschichte plausibler ge- macht haben, als es bisher geschehen ist Wie aussichtslos die Hoff- nung, daß das je der Fall sein könnte, ist, dürfte unsere Prüfung der bisherigen Yersuche gezeigt haben; die Aktionstheorie bringt uns dem ersehnten Ziele keinen Schritt näher als die Associationstheorie. Die »Psjchophysik der Gesellschaft«, von der Münsterberg S. 558 £ träumt, wird nie wirklich werden, niemals wird es geschehen, daß »die Geschichte der Menschheit aus dem Ineinandergreifen der phy- siologischen Faktoren« erklärt wird (S. 559). Die Theorien, die es versuchen, verirren sich in lauter Mythologie.^) Die Unmöglichkeit, in dieser Weise die Wirklichkeit zu erfassen und zu erklären, gibt Münsterberg im Grunde ja auch selbst zu. »Daß sich Kultur in ihrer Wirklichkeit nicht biologisch erfassen läßt, versteht sich von selbst; wir haben immer wieder betont, daß sie sich nicht einmal

1) Auch. Riehl, selbst ein Vertreter des psychophysischen ParalleliBmas, ISBt die Sozialpsychologie doch nur noch indirekt mit der allgemeinen Nerven- physiologie zusammenhängen und lehnt die Bück lösche Geschichtsauffassung ab (Kiitic. 8. 208/209).

- Drittes Kapitel. Die Nachteile des Farallelismus. 309

psychologisch verstehen läßt und daß der subjektivistisch- historische Standpunkt allein 'ihrem eigentlichen Wesen gerecht wird« (S. 479); »für unsere wirklichen Akte, an die allein sich logische, ethische und ästhetische Bewertung anschließt, beansprucht niemand psycho- physischen Parallelismus« (S. 461). Mit diesem Zugeständnisse gibt M|ünsterberg den Anspruch, Kultur und Leben materialistisch zu erklären, sowie den psychophysischen Parallelismus tatsächlich auf. Denn der Lehre von der doppelten "Wahrheit, durch welche er neben der Forderung restloser rein materialistischer und parallelistischer Konstruktion der Lebensvorgänge zugleich eine ganz andersartige, antiparallelistische und antimaterialistische Auffassung derselben Yor- gänge festhalten zu können glaubt, kann ich ein Heimatsrecht in der Philosophie nicht zugestehen. Die )^wirklichen« Akte, an die sich unsere logische, ethische, ästhetische Bewertung anschließt, die »Kultur in ihrer Wirklichkeit« ist es, die ich allein im Auge habe und auf die es in dem Streit zwischen Parallelismus und Wechselwirkungslehre allein ankommt oder doch ankommen sollte, und wenn diese sich nicht materialistisch erklären lassen, so ist damit der Streit zwischen den beiden Theorien zu Gunsten der letzteren entschieden. In diesem Sinne stimme ich dem Satze Münsterbergs zu: :»Das Leben der Menschheit ist kein psychologischer und kein psycho- physischer Mechanismus« (S. 560). Ebenso Wundts Schlußurteil über die materialistische Psychologie: »Der ganze Spektakel ist nicht viel wert«.^)

Nur flüchtig weise ich auf die Erscheinungen der Suggestion und Hypnose hin, die auch alle der materialistischen Psychologie ebenso viele Hindernisse in den Weg legen, als sie auf die Mit- wirkung psychischer Faktoren hinweisen. Wenn das Aufkleben eines unschuldigen Stücks Briefmarkenpapier auf den Arm bei gleichzeitiger Erweckung der Vorstellung, es sei ein Blasenpflaster, die Wirkung eines solchen erzielt, eine Erweiterung der Blutgefäße und ein Schmerzgefühl bewirkt, wenn ein Bleistift, mit dem wir jemandem über den Arm fahren, dem suggeriert worden ist, er werde mit einem rotglühenden Eisen gebrannt werden, diesem schwere Brand-

1) Phil. Stadien Bd. X, S. 74. Auf Wundts Kritik der mateiialistischen Psychologie in d. phil. Stadien sei hier überhaupt nochmals hingewiesen. Vgl. auch Wolff, Neue Eiitlk d. reinen Vernunft S. 194 f. Anm. Tgl. auch das harte urteil F. A. Langes, der den physiologischen Theorien gedankenlosesten Anthro- promorphismus, angewandt auf einzelne Teile des Menschen, vorwirft. Gesch. d. Mat W. A. S. 648.

310 Erster Abschnitt. Der psychophysisohe FarallelismiiQ.

wanden und große Schmerzen yernrsacht^), so lassen sich derartige Yorgänge gamicht in rein physiologischer Weise konstruieren. Es ist unerklärlich^ daß ein Briefmarkenpapier eine Blase, eiue Bleistift- spitze eine Brandwunde verursacht, entgegen ihrer sonstigen Wir- kungsweise. Dasselbe gilt von einer ganzen Reihe anderer psycho- pathologischer und psychiatrischer Erscheinungen, die mit zwingender Gewalt auf einen psychophysischen Zusammenhang hindeuten. Die ganze Kunst des Arztes würde zum großen Teil unmöglich oder unverständlich werden, wenn er durch Wort und Handlung bloß auf den Körper direkt und nicht auch auf die Seele und durch sie auf den Körper einwirken könnte. Eine Erörterung dieser speziellen Dinge würde uns aber doch wieder auf die allgemeinen und speziellen Gesichtspunkte zurückführen, die wir oben ausführlich genug be- sprochen haben; es mag daher dieser kurze Hinweis genügen. Dagegen möchte ich zum Schluß zur Verdeutlichung meines Stand- punktes noch einmal das Beispiel anführen und erörtern, das ich schon wiederholt in früheren Arbeiten zu diesem Zweck herangezogen habe und welches seitdem vielfach, teils zustimmend, teils ablehnend, angezogen worden ist: das Telegrammbeispiel.')

Ein Kaufmann erhält ein Telegramm: Fritz angekommen, das ihm die glückliche Ankunft seines in Geschäften über See ge- wesenen einzigen Sohnes und Erben im Landungshafen meldet Er lächelt, erhebt sich, teilt seiner Frau den Inhalt der Depesche mit, geht ins Kontor zurück, läßt sich in seinen Sessel fallen und zündet sich behaglich eine Zigarre an. Derselbe Kaufmann erhält einige Zeit später ein neues Telegramm: Fritz umgekommen: der Sohn ist auf der Eisenbahnfahrt vom Hafenort bis zum elterlichen Wohn- sitze verunglückt. Er liest das Telegramm, springt, am ganzen

1) Baldwin, Mental Development in the Child and the Bace, New York und London 1895, S. 160. Eine Fülle hierheigehöiiger Tatsachen in den ein- zelnen Bänden der Zeitschrift für Hypnotismns.

2) In etwas anderer Form hat F. A. Lange schon das Beispiel vom Tele- gramm und seiner Wirkung verwandt (Oesch. d. Mai W. A. S. 674 679; vgl. auch S. 703); Lange hält indes an der physiologischen Erklärbarkeit des Yoiigangs fest. Weiter benutzt es Erhardt, Wechselwirkung S. 152f.; von ihm stammt speziell die Gegenüberstellung: Fiitz angekommen, Fritz umgekommen. Auch Höfler erörtert es Psychologie S. 51. Ich selbst habe es in meinen Au&atzen: Leib u. Seele, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Er. Bd. 114, S. 16 f. und: Wechselwirkung oder Parallelismus? ebendas. Bd. 116, S. 66 f., erörtert.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 311

Körper zitternd, auf, ein Schrei entringt sich seinen Lippen und er sinkt, die Arme ausstreckend, ohnmächtig zu Boden. Oder auch ein Gehirnschlag macht seinem Leben plötzlich ein Ende.

Unter der Voraussetzung psychophysischer Wechselwirkung ist uns das verschiedene Yerhalten des Kaufmanns im ersten und im zweiten Falle durchaus verständlich. Wir verstehen es sehr wohl, daß das angenehme erste Telegramm , sobald sich mit dem Lesen der Worte das Verständnis derselben verknüpft, eine heitere, zufriedene Stimmung auslöst, die sich in entsprechenden körperlichen Tätigkeiten äußert, zu besonders intensiven physischen Vorgängen aber keine Veranlassung gibt. Und wir verstehen es ebenso, daß die Nachricht, welche das zweite Telegramm enthält, in der Seele des Kaufmanns einen Aufruhr der Gefühle hervorruft, der, auf den Körper zurück- wirkend, eine sehr heftige Erschütterung desselben bewirkt, die unter Umständen den Tod desselben zur Folge haben kann. Der ver- schiedene Sinn der beiden Telegramme läßt uns die verschiedene Bückwirkung auf sie durchaus verständlich erscheinen.

Stellen wir uns dagegen auf den Standpunkt des psychophysischen Faralllelismus und der »materialistischen« Psychologie, so müssen wir die ungeheuere Verschiedenheit der Bückwirkung auf den Beiz im ersten und im zweiten Falle ohne jede Bückaicht auf psychische Faktoren, ohne jede Bücksicht also auch auf den verschiedenen Sinn der beiden Telegramme rein physiologisch erklären. Wir müssen versuchen, es verständlich zu machen, warum das Telegramm: »Fritz angekommen«, eine ziemlich geringe, das andere: »Fritz umgekommen«, dagegen eine so ungeheuere Wirkung zur Folge hat Hier aber stellt sich, wenn wir von allen anderen, früher schon erörterten Schwierige keiten absehen, die Geringfügigkeit des Unterschiedes der beiden Beize als unüberwindliches Hindernis uns entgegen: wir vermögen nicht zu erklären, warum zwei so minimal verschiedene die Tele- gramme differieren ja nur um ein paar Striche von einander , fast identische Beize, die auf denselben Organismus einwirken, in ihm so ungeheuer verschiedene Wirkungen auslösen, während doch sonst überall in der Natur ähnliche Ursachen unter gleichen Bedingungen auch ähnliche Wirkungen zu haben pflegen.^)

1) Schon in meinem Aufsatze »Leib und Seele« habe ich, um jedes Miß- verständnis über den Sinn des Telegrammargumentes auszuschließen, ausdrück- lich erklärt (S. 17), daß lediglich die Verschiedenheit der beiden Reaktionen bei gleichen oder doch fast gleichen Reizen hier in Betracht kommt. Daß die Verschiedenheit des Reizes und der Reaktion an sich keine nur diesem Fall

312 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismns.

Aber, sagt man, die Beize sind doch nicht ganz gleich, sie sind doch verschieden, und so ist es doch nicht ausgeschlossen, daß sie auch verschiedene Wirkungen haben. ^) Nun, zwei ganz gleiche Beize dürfte es überhaupt schwerlich in der Welt geben; irgend ein noch so minimaler Umstand, der den einen von dem anderen unter- scheidet, wird sich immer angeben und so Leibnizens prindpium identitatis indiscemibilium verteidigen lassen. Aber geringfügigen unterschieden von Beizen, die auf dasselbe Ding treffen, pflegt sonst auch ein gleich geringfügiger Unterschied der Wirkung zu entsprechen; hier aber sollen ganz minimalen Unterschieden der Beize so imge-

innewohnende Schwierigkeit darstellt, habe ich ausdrücklich bemerkt und wieder- hole es hier. Daß kleine U^achen große, zu ihnen in gar keinem Verhältnis stehende "Wirbingen haben, ist ja auch sonst in der Natur oft genug der Fall: fast alle sogenannten Auslösungen potentieller Energie liefern Belege dafür. Wider- legungen dieses (auch von Erhardt gelegentlich, z.B. 6. 153 seiner Schrift geltend gemachten) Argumentes, wie sie Münsterberg a.a.O. S. 458 durch Hinweis auf das Beispiel einer Explosion unternimmt, treffen daher das Telegrammargument, wie ich es verstehe, überhaupt nicht. Ebenso trüft dieses Argument nicht, was Münsterberg S. 459 ausführt Zwei Kaufleute erhalten, der eine ein Telegramm, das ihm einen großen Gewinn, der andere ein solches, das ihm den Verlust seines ganzen Vermögens anzeigt: entsprechend verhalten sie sich. Hier ist das Argu- ment ganz verschoben, wir haben zwei verschiedene, auf zwei verschiedene Dinge einwirkende Reize. Daß hier die Wirkung eine verschiedene ist, ist natürlich auch naturwissenschaftlich wohl begreiflieb ; wir müßten uns sogar wundem , wenn es anders wäre. Auch daß derselbe Reiz, wenn er auf zwei verschieden konstituierte Dinge trifft, in ihnen verschiedene Wirkungen auslöst, ist nicht weiter verwunderlich; auf diesen Fall paßt das von Münsterberg angezogene Beispiel des Funkens, der das eine Mal ins Wasser, das andere Mal in ein Pulver- faß fällt, vortrefElich. Aber in unserem Beispiel liegt die Sache eben anders, hier treffen zwei fast gleiche Reize auf das gleiche Ding und rufen so sehr ver- schiedene Wirkungen in ihm hervor. Eine ganz ähnliche Verschiebung findet sich auch bei W. Stern, der in einer Besprechung meines Aufsatzes »Leib n. Seele« gegen das Telegrammargument einwendet (D. Litt Ztg. 1900 S. 667) : »Aber gibt es nicht in der materiellen Welt genug Analoga dazu? Ein Druck bestimmter Größe kann, wenn er die Wand trifft, ohne sichtbare Folgen bleiben, wenn er aber durch eine minimale Richtungsänderung auf einen elektrischen Knopf gelenkt wird, ein Haus in die Luft sprengen.« Hier haben wir eben auch den gleichen oder fast gleichen Reiz, der auf zwei verschiedene Dinge trifft und daher ver- schiedene Wirkungen erzielt, was nicht weiter verwunderlich ist um das Bei- spiel dem Telegrammargument gleich zu machen, müßten wir aber annehmen, daß ein Schlag von gleicher Stärke, nur mit vieUeioht minimalen Unterschieden der Richtung, verschiedenth'ch gegen dieselbe Wandstelle geführt, bald ohne sicht- bare Folgen bleibt, bald Häuser zum Einsturz bringt

1) Pauls en. Noch ein Wort usw., Zeitsohr. f. Phil. u. phil. Er. Bd. 115, S. 5/6; König, Die Lehre v. psychopbys. Parall. n. ihre Gegner, ebendas. S. 191*

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 313

heuer Yerschiedene Reaktionen entsprechen: diese Verschiedenheit bleibt eben physiologisch unverständlich.^) Paulsen sagt: »Wenn wir die unermeßliche Feinheit des Apparats des Oehims wirklich durchschauten, dann würde uns ganz einleuchtend sein, wie eine so geringe Verschiedenheit des graphischen Bildes eine so große Ver- schiedenheit der ausgelösten Wirkung zur Folge haben müsse«.-) Ich steUe dieser Behauptung die entgegengesetzte gegenüber: Wenn wir den Apparat des Gehirns wirklich durchschauten, so würde uns ganz klar werden noch klarer als jetzt schon , daß in den Beizen und dem Gehirn allein die zureichende Ursache der Wirkung im einen und im anderen Falle nicht liegen kann, sondern daß noch ein anderer auf das Gehirn einwirkender Faktor als mitbestimmende Ursache angenommen werden muß, und daß nur dieser die so große Verschiedenheit der Wirkungen verständlich macht, welche der Unter- schied der Beize verständlich zu machen nicht im stände ist Die Sache liegt doch hier sehr viel anders, als in dem Beispiel, das Münsterberg heranzieht^) Daß eine Dosis Zucker auf den Körper ganz anders wirkt, als eine gleich große Dosis Arsenik, verstehen wir vollkommen. Die chemische Konstitution des Zuckers ist von der des Arseniks beträchtlich verschieden, letzterer muß daher auch anders auf den Körper einwirken, als ersterer. Der Beiz, den das Telegramm: »Fritz angekommen« repräsentiert, ist aber von dem des anderen Telegrammes: »Fritz umgekommen« nur um ein paar Striche yerscbieden; wie diese paar Striche eine solche Verschiedenheit der Wirkung bedingen sollen, bleibt eben unerklärlich und unverständlich. Es hilft auch nichts, sich darauf zu berufen, daß die verschiedenen Beize doch auf verschiedene Erregungszentren des Gehirns stoßen und in ihnen verschiedene Energiemengen auslösen. Warum wendet

1) Daß es zwei ganz gleiche Reize nicht gibt, gesteht Ziehen a. a. 0. 8. 144 zu. Die Rose, die ich jetzt sehe , ist der früher gesehenen nicht ganz gleich. Da aber die Unterschiede minimal sind, so sind auch die Wirkungen dieselben bezw. von mini- maler Verschiedenheit Warom haben denn aber die auch minimal verschiedenen Telegramme so ungeheuer verschiedene Wirkungen? Auch mag noch einmal auf das oben S. 292 f. erörterte Beispiel des Orüßens hingewiesen werden. Wird der Beiz, den der »Fremde« darstellt, dem Freunde so ähnlich, daß wir ihn, psycho- logiscli gesprochen, mit dem letzteren yerwechseln, so ist in der Tat der Effekt auch derselbe: die Orußbewegung erfolgt (s. oben S. 294). Entsprechend müßte auch hier das zweite von dem ersten so minimal yerschiedene Telegramm den- selben Effekt haben, wie jenes. Merkwürdigerweise ist das aber hier nicht der Fall.

2) a. a. 0. S. 6.

3) a. a. 0. S. 459.

314 Erster Abfichnitt Der psychophysische Parallelismus.

sich denn der Beiz des die Todesnachricht enthaltenden Tele- gramms an die in bestimmten Zellen aufgespeicherte große Energie- menge und bringt sie zur Entladung, der andere ihm aufs Haar gleichende aber nicht? Warum sprechen die betreffenden Zellen auf den ersten Reiz an, verhalten sich aber dem zweiten gegenüber, obwohl er die sensorischen Zellen in fast derselben Weise erregt, gegenüber spröde? Der Grund bleibt doch bei den Beizen hängen: weil diese verschieden konstituiert sind, darum reagieren diese Zellen auf den einen, auf den anderen aber nicht. Und damit bleibt auch die Schwierigkeit dieselbe. Man muß sich natürlich hüten, das Ter- halten der Zellen in den beiden Fällen deshalb selbstverständlich zu finden, weil wir, wenn wir auf den verschiedenen Sinn des Tele- gramms achten, das verschiedene Verhalten des Kaufmanns dem einen und anderen gegenüber aus psychologischen Gründen für selbst- verständlich halten. Yon dem Sinn des Telegramms muß natürlich gänzlich abgesehen werden, es handelt sich darum, verständlich zu machen, daß das Todestelegramm lediglich um der Eigenschaft willen, die es als physischer Beiz hat, in bestimmten Zellen eine sehr starke Erregung auslöst, das andere, als physischer Beiz ihm fast ganz gleichende aber nicht Das Hilfsmittel der Einübung versagt hier; unmöglich kann sich das Gehirn des Kaufmanns auf sein Verhalten beim Empfang von Telegrammen, welche den Tod des eigenen Sohnes melden, eingeübt haben. Aber auch wenn wir, den ganzen Apparat von Erinnerungszellen, Associationsfasem etc. zu Hilfe nehmend, an- nehmen wollen, daß der eintreffende Beiz, auf ein kompliziertes System von in der verschiedensten Weise miteinander verknüpften und unabhängig voneinander »eingeübtenc Erregungszentren stoßend, auf allerhand Umwegen schließlich die Energie auslöst, welche das Aufspringen, Umherlaufen und Tothinfallen zur Folge hat, so bleibt doch nach wie vor unerklärt, warum der Beiz: »Fritz umgekommen« auf diesem Apparat in der bezeichneten Weise zu spielen versteht, der ihm aber in physischer Hinsicht fast völlig gleiche aber nicht.^) Um aber noch besser zu erkennen, wie wenig hier die Berufung auf die Tatsache, daß eine wenn auch noch so kleine physische Ver- schiedenheit der Beize doch schließlich vorliegt, nützt, wollen wir die Beize noch ein wenig variieren. Wenn das Telegramm in einem Falle statt: »Fritz umgekommen« gelautet hätte: »Ihr Herr Sohn leider

1) Damit erledigt sich anch der hierauf hiDaaslaufende Einwand, den E. y. Hart- mann (Mod. Psych. S. 392) gegen meine Ansicht geltend macht und auf welchen sich auch E.König heruft (Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 119, S.30).

Drittes EapiteL Die Nachteile des Parallelismus. 315

verunglückt« oder: »Eisenbahnanglück, Ihr Sohn tot,« oder auch etwa in französischer Sprache: votre fUs mort^ oder in Englisch: yaur son dead, abgefaßt gewesen wäre, so wäre die Wirkung doch im wesentlichen die gleiche gewesen, und doch sind die graphischen Bilder, sind die Beize als physische hier sehr viel mehr vonein- ander verschieden, als in unserem ersten Beispiel^) Bedingten nun auch geringe Verschiedenheiten der Reize große Yerschiedenheiten der Wirkung, so müßten wir auch hier einen entsprechend großen Unterschied der Wirkungen voraussetzen. Hier aber wo der Sinn der gleiche bleibt ist das nicht der Fall, die physisch be- trächtlich verschiedenen Beize rufen doch in dem Gehimapparat die gleiche Art der Reaktion hervor. Wir können noch weiter gehen und an die Stelle des optischen Reizes einen akustischen setzen. Auch die mündlich überbrachte Todesbotschaft würde den gleichen Effekt erzielt haben, und doch hätten wir in diesem Falle einen physisch sehr verschiedenen Reiz , der zudem auf ganz anderem Wege ins Gehirn gelangt und auf ganz andre sensorische Zellen stößt! ') Man sieht also, selbst größere Yerschiedenheiten der Reize als die, welche zwischen den von mir als Beispiel gewählten bestehen, vermögen den Effekt nicht wesentlich zu verändern, nur bei »Fritz angekommen« und »Fritz umgekommen« ist es merkwürdiger- und, wie ich hinzusetzei unerklärlicherweise der Fall. ^) Und sehr merkwürdigerweise sind die physisch &st gleichen, aber eine so sehr verschiedene psychische Wirkung habenden Reize zugleich solche, welche einen sehr ver-

1) Ein anderes Beispiel bei v. Kries a. a. 0. S. 23. Dieselbe Melodie macht, gesimgen, geblasen oder gegeigt, denselben Eindruck.

2) Dagegen glaube ich nicht, daß man (Erhardt, Schrift S. 153) auchsagea kann, der Effekt müBte physiologisch der gleiche sein, auch wenn der Kaufmann etwa gamioht lesen könnte. Denn dagegen könnte man mit Recht einwenden, daß doch bei einem, der nicht lesen gelernt hat, zwischen den GesichtBeindrücken Ton Buchstaben und den Erinnerungszellen kein Eontakt hergestellt sei, er bestehe hier nur zwischen diesen und Gehöiseindrücken.

3) Münsterberg meint, man packe, indem man von der Gleichheit oder Ungleichheit der Beize ausgehe, das Problem am falschen Ende an. Erst die gleiche oder ungleiche Art der Entladung bestimmt darüber, ob die sie auslösenden Objekte für uns ähnlich sind oder nicht: die Wertnuance der Verwandtschaft ist nur die Begleiterscheinung der identischen Entladung (a. a. 0. S. 553). Daß diese Annahme unrichtig ist, habe ich schon S. 304 Anm. 1) gezeigt; hier kommt nur in Betracht, daß sie uns nichts hilft. Denn warum führen die von uns infolge- dessen für ähnlich gehaltenen Objekte die gleiche, andere, von uns für unähnlich gehaltene, eine verschiedene Art der Entladung herbei? Warum wirkt das Telegramm »Fritz angekommen« anders als das andere: »Fritz umgekommen«?

316 Erster Abschnitt. Der psychophysische Farallelismus.

schiedenen psychischen Sinn haben, die trotz ihrer größeren physi- schen Verschiedenheit aber den gleichen Effekt hervorrufenden Reize aber zugleich solche, welche den gleichen psychischen Sinn haben. Sollen wir nun annehmen, daß verschiedene physische Beize zufällig gerade immer dann, wenn sie in geistiger Beziehung denselben Sinn haben, ungeachtet ihrer physischen Beschaffenheit dieselbe physische Wirkung im Gehirn auslösen und diese Gleichheit sich als eine physiologisch begründete in Anspruch nehmen läßt, daß aber ebenso fast gleiche physische Beize zu^lig gerade dann immer, wenn sie in geistiger Hinsicht verschiedenen Sinn haben^ unge- achtet ihrer physischen Gleichheit eine sehr verschiedene Wirkung im Gehirn hervorbringen und sich auch diese Verschiedenheit als eine physiologisch durchaus begründete hinstellen läßt? Das glaube wer kann!

Mein Glaube ist nicht stark genug, um etwas Derartiges möglich zu finden.^) Freilich, bei Gott ist schließlich kein Ding unmöglich, und so kann man sich denn auch hier schließlich wieder allen Vor- haltungen zum Trotz in das asylum ignorantiae flüchten:^ daß die parallelistische Annahme mit ihren biologischen Konsequenzen keinen logischen Widerspruch einschließt, wurde ja schon oben bereit- willigst zugestanden. Aber wenn man eine physiologische Interpre- tation des Telegrammlbeispiels für »mögliche erklärt, so gibt es, ab- gesehen von logischen Widersprüchen, überhaupt nichts mehr, das man für unmöglich erklären könnte. Es ist ja auch möglich, daß auf dem leeren Platze meinem Hause gegenüber sich morgen ein mit allem modernen Komfort ausgestatteter Palast erhebt Warum sollten nicht durch eine komplizierte Verknüpfung von Umständen einige Milliarden Atome in solche Verbindungen miteinander gebracht

1) Adickes lehnt die Annahme, daß die Dioge an sich grün, gelb nsw. seien und sodann, indem sie auf uns wirken, von uns als grün usw. wahrgenommen werden, mit der Begründung ab: »Entschieden ein sonderbarer, wenig wahrschein- licher Vorgang! Eine prästabilierte Harmonie, noch wundersamer als die Leib- nizens!« (Kant contra Haeckel S. 54). Daß die Harmonie, die wir voraussetzen müssen, um es erkläi'lich zu finden, daß gerade solche Reize, welche einem be- stimmten geistigen Sinn entsprechen, auch rein physiologisch eine diesem Sinne angemessene Wirkung haben, noch viel, viel wundersamer ist, scheint Ad ick es, der sich auch zum psychophysischen Para]lelismus bekennt, nicht zu stören.

2) Paulsen a. aO. S. 6, vgl. Rickert, Psycho phys. Kausalität und psycho- phys. Parallelismus, in der Sigwart- Festschrift, Tübingen 1900, S. 68; Erhardt' Psychophys. Parall. u. erkenntnisth. Idealism., Z. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 116 S. 293; S.-A. S.40.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 317

werden, daß sie in ihrer Gesamtheit ein Bauwerk darstellen? Wenn Faulsen auf die paar Milliarden von Zellen im Gehirn hinweist, mit denen sich doch schon etwas Erkleckliches anfangen lassen müsse, 80 wird sich mit den Milliarden von Atomen in der Natur ja auch schon etwas anfangen lassen; der Phantasie wird auch hier ein un- ermeßlicher Spielraum eröfihet. Und ebenso ist es im logischen Sinne ja nicht >unmöglich«:, durch Zusammenwerfen einer Anzahl Lettern eine Ilias zu erzeugen, eine Annahme, die selbst ein Materialist wie Büchner ablehnt,^) nicht »unmöglich«, den Homun- culus in der Betorte zu erzeugen, wie es denn schließlich auch nicht »unmöglich« ist, daß das physische Weltall ohne alle Yemunft durch Zufall und von selbst aus dem Chaos entstanden ist, welche An- sicht dem Parallelisten zudem sehr nahe liegen muß. Aber sie hat selbst Hume in seinen Dialogen als höchst unwahrscheinlich bezeich- net Nun, auf genau derselben Stufe wie diese Möglichkeiten steht für mich die Möglichkeit, die verschiedenartige Bückwirkung auf die beiden Telegramme in unserem Beispiel rein physiologisch, unter Ausschluß jeder Mitwirkung psychischer Faktoren, zu erklären. Mag man also, um nur den Parallelismus festhalten zu können, sich an den Strohhalm dieser »Möglichkeit« festklammern: die parallelistische Auffassung leidet in unserem Beispiel an so großer innerer ünwahr- scheinlichkeit, daß sie gegen die kausale Erklärung der Wechsel- wirkungstheorie nicht ernstlich in Betracht kommen kann;^) ein philosophischer Standpunkt, der zu derartigen Annahmen zwingt, ist um dieser Eonsequenzen willen zu verwerfen.^)

und so bilden denn Biologie und Geschichte allerdings gewichtige, in ihrer Bedeutung gamicht genug zu würdigende Gegeninstanzen gegen den psychophysischen Parallelismus; vom biologisch -kultur- geschichtlichen Standpunkt aus betrachtet erweist er sich als un- durchführbar.

Also müssen wir ihn mit der Lehre psychophysischer Wechsel- wirkung vertauschen? Begreiflicherweise wehren sich die Paralle-

1) Kraft und Stoff 15. Aufl. S. 239.

2) Vgl. Erhardt an der genannten Stelle Anm. 2.

3) Masci (II Materialismo Psicofisico e la dottnna del Parallelismo in Psico- logia, Neapel 1901, S.113 Anm.) gibt zu, daß meine Argumente (auch das Austerlitz- Aigoment) dem »psychophysischem Materialismus« gegenüber Geltung besitzen (vgL auch 8. 128 130), fügt aber hinzu, daß sie dem »monistisohen Parallelismus« gegenüber versagen. Wie aber der monistische Parallelismus die Schwierigkeiten, auf welche meine Argumente hinweisen, überwinden soll, ist mir nicht klar ge- worden.

318 Erster Abschnitt. Der psychophysisohe Parallelismus.

listen gegen diese Konsequenz aufs äußerste, um ihr zu entgehen, bringen sie endlich nach der Maxime: die beste Deckung ist der Hieb, noch ein letztes Gegenargument vor. Sie drehen den Spieß um und fragen: Wie erklärt ihr denn auf psychologischem Wege die Verschiedenheit der Rückwirkung in dem Telßgrammbeispiel und in ähnlichen Fällen? Könnt ihr den psychischen Mechanismus nach- weisen und somit es uns yerständlich machen, wie die Yorstellung des Wortlauts des einen Telegramms diese und jene Oefuhle und diese und jene Affekte auslöst, die des anderen ganz andere seelische Zustände hervorbringt? Könnt ihr das nicht und ihr könnt es eben nicht, so müßt ihr eingestehen, daß eure Theorie der Wechselwirkung jedenfalls nicht mehr leistet, als unsere paralle- listische, einen rein physischen Zusammenhang postulierende Hypo- these, und so könnt ihr es uns nicht yerdenken, wenn wir allen Schwierigkeiten zum Trotze an unserer Maxime: physische Wirkungen haben nur physische Ursachen, festhalten. So argumentiert Paulsen,^) und in ganz ähnlichem Sinne äußert sich König.')

Ich kann diesem Argument gegenüber nur wiederholen, was ich bereits in meiner Entgegnung auf die Faulsen-Königschen Einwürfe im 116. Bande der Zeitschrift für Philosophie und philo- sophische Kritik bemerkt haba Versteht man unter »Erklärung« eine solche, wie sie die Naturwissenschaft kennt und anwendet, die Nachweisung des Mechanismus, durch welchen das Endergebnis mit Notwendigkeit herbeigeführt wird, so müssen wir allerdings gestehen: eine derartige Erklärung vermögen wir mit unseren Mitteln auch nicht zu geben. Und damit ist weiter zugestanden, daß die Phy- siologie durch die Annahme mitwirkender psychischer Faktoren nicht etwa in den Stand gesetzt wird, die >mechanistische< Erklärung, die sie mit eigenen Mitteln nicht zu leisten yermag, zu geben. Der Physiolog als solcher gewinnt durch die Einschiebung seelischer, mechanisch nicht konstruierbarer Yorgänge tatsächlich nichts; für ihn kommt es wirklich, da die ex hypothesi postulierte mechanistische Kon- struktion der Gehirnvorgänge sich nun einmal in Wirklichkeit nicht geben läßt, tatsächlich auf eins heraus, ob er einen unbegreiflich komplizierten Gehirnmechanismus, der in seinem dunklen Schöße eine unabsehbare Mannigfaltigkeit Ton Möglichkeiten birgt, ein mecha- nistisch ebenso unbegreifliches psychisches Geschehen oder schließlich

1) Noch ein Wort tisw. S. 6/7.

2) Die Lehre yom psyohophysisohen Parallelismns nnd^ihre Gegner, Zeitschr. f. Phü. u. phiL Kr. Bd. 115 S. 192.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 319

auch ein bloßes X als den uns imbekaDnten Grand ansieht, von dem die Art des schließlich zu Tage tretenden Endeffektes abhängt

Aber hier handelt es sich nicht darum, ob die Physiologie besser tut, seelische Mitwirkung unter umständen anzunehmen oder nicht, 68 handelt sich darum, ob die Philosop^hie berechtigt oder ge- nötigt ist, an der Theorie des psychophysischen Parallelismus und der Forderung, alle physischen Vorgänge, auch die lebendigen Rück- wirkungen lebender Organismen, rein physisch zu erklären, allen Schwierigkeiten zum Trotze festzuhalten, oder ob sie der Lehre von der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele den Yorzug geben mufi. und da liegt die Sache denn anders; als Philosoph wird auch der Fhysiolog sich für die letztere entscheiden müssen, ohne sich durch das Gegenargument: die Wechselwirkungstheorie leistet nicht mehr als die parallelistische, irre machen zu lassen. Als philosophische Theorie leistet die Wechselwirkungslehre allerdings mehr als der psychophysische Parallelismus, sie verhilft uns zu einem Yerständnis der Sache, wo der Parallelismus uns einem in seiner Wirkungsweise uns völlig unverständlichen Mechanismus gegen- überstellt und uns zumutet, gerade in der ungeheueren Unbestimmtheit und Unklarheit desselben und unserer dadurch bedingten Unwissen- heit die Bürgschaft für die Möglichkeit zu erblicken, den paralle- listischen Standpunkt durchzuführen ! Nur ist das Verständnis, das wir, wenn wir die seelischen Faktoren heranziehen, erhalten, eben von anderer Art und Beschaffenheit als eine naturwissenschaftliche Erklärung. Die beiden Arten des Erkennens hat Lotze als cogniHo rei und cognitio circa rem bezeichnet^) Die letztere er» langen wir auf naturwissenschaftlichem Gebiet, und hier sie allein. Wo immer wir im stände sind, einen komplexen Vorgang in seine Komponenten zu zerlegen, die Mitwirkung einer jeden derselben genau zu bestimmen und aus ihnen den Gesamtvorgang wieder zusammenzusetzen, gelingt es uns, eine naturwissenschaftliche Er- klärung des Vorganges zu geben, können wir ihn erklären und eventuell berechnen. Das ist die cognitio circa rem. Aber sie gibt uns kein Verständnis des Zusammenhanges, keine unmittelbare Einsicht in das Warum desselben; sie gibt uns die Teile in die Hand, aber nicht das geistige Band, das ihren Zusammenhang erst innerlich verständlich macht. Im Gegenteil, je weiter wir in der Zergliederung der Erscheinungen fortschreiten, je genauer, exakter

1) Med. Psych. S. 57.

320 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismus.

und Yoliendeter unsere Erklärung derselben wird, um so geringer wird unser Verständnis derselben, und hätte die Naturwissenschaft ihr Ideal erreicht, die ganze Welt in eine Mechanik der Atome auf- gelöst, wäre sie im stände, den gesamten Weltlauf von der ersten Konstellation der Elemente an aufs genaueste zu berechnen, jedes Tor- kommnis desselben als die notwendige Folge aller vorhergehenden Glieder der Eausalkette begreiflich zu machen, so würden wir diesem ewigen Spiel der Atome und ihren ewig wechselnden Kombinationen völlig verständnislos gegenüberstehen. In der Tat vermögen wir ja doch nur dadurch, daß wir in die Atome selbst etwas von unseren eigenen lebendigen geistigen Erlebnissen hineinlegen, ihnen Kräfte und ein Wirken zuschreiben, sie sich suchen und fliehen lassen, uns ihr Verhalten einigermaßen verständlich zu machen. Nun, eben dieses unmittelbare Verständnis, das uns der Natur gegenüber fast gänzlich abgeht, haben wir auf geistig- historischem Gebiet durchaus. Wir verstehen die Begungen einer Menschenseele, die Gefühle und Leidenschaften, Gedanken und Ideen der handelnden Persönlichkeit^i der Weltgeschichte, und soweit wir sie verstehen, verstehen wir auch ihr und ihrer Freunde und Gegner Wirken und Handeln. Hat uns die Geschichtsforschung die seelischen Motive eines Mannes, eines Volkes, einer Zeit, ihre Ziele und Absichten, die sie beherrschenden Vorstellungen klar gemacht, so hat sie uns damit auch ihr Tun und Handeln in ihrem innersten Wesen begreiflich und verständlich ge- macht, so hat sie die Erklärung gegeben, die ihr zu geben allein möglich ist, die cognitio rei^ welche die Dinge versteht, sie aber nicht berechnet. Eine solche Erkenntnis, ein solches Verständnis ist es denn auch allein, das wir uns durch Heranziehung der psy- chischen Faktoren verschaffen können. Daß ein derartiges Verstehen vom philosophischen Standpunkt aus gar keinen Wert habe und eine Theorie, die sich auf dasselbe berufen kann, vor einer anderen, die weder das tun noch auch eine befriedigende mechanistische Erklärung geben kann, garnichts voraus habe, wird man doch nicht mit Grund behaupten können. i) Eine cognitio circa rem kann und will weder

1) Sehr richtig bemerkt Lotze, Med. Psych. S. 59, daß wir die cognitio rei nur deshalb nicht recht würdigten, weil wir, »an eine mittelbare, aus Bnichstück^i das Ganze zusammensetzende Erkenntnis gewöhnt, die mühelose Gewißheit in diesen Dingen für zu wenig wissenschaftlich halten, oder weil wir in der Tat etwas anderes zu wissen verlangen, was wir nicht richtig das Wesen der Sache nennen, sondern richtiger gerade als ihre formellen Beziehungen bezeichnen würden.« Eonig glaubt die ganze Berufung in psychologischen Dingen auf die cognitio rei mit der Bemerkung abtun zu können, das sei »Yulgärpsychologiec (Zeitsch. f. Phil. u.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 321

die Geschichte noch die Geisteswissenschaft überhaupt geben; wir können nicht das lebendige Denken und Fühlen eines Menschen in psychische Atome auflösen und aus ihnen zusammensetzen. Geschähe es, 80 würden wir einer derartigen Erklärung ebenso verständnislos gegenüberstehen wie den naturwissenschaftlichen Analysen, uns selbst und unser lebendiges Tun würden wir aber in einer solchen Dar- stellung nicht wiedererkennen.

Wie aber das Verlangen, die Geschichte in dieser Weise dar- zustellen, ebenso unberechtigt wie unerfüllbar ist, so ist auch die Fordening, die Wechselwirkungstheorie solle die Art und Weise, wie die Seele bei der Herbeiführung einer aus physiologischen Gründen allein nicht erklärbaren Handlung mitwirkt, in Form einer cognitio circa rem^ in einer Weise erklären, welche die Physiologie für ihre speziellen Zwecke verwenden könnte, als unberechtigt zurückzuweisen.

Andererseits ist anzuerkennen, daß die von uns abgelehnte Auffassung des geistigen Lebens, die Auflösung desselben in psy- chische Atomistik, allerdings die Eonsequenz ist, zu der die paraUe- listische Auffassung des Verhältnisses der Seele zum Leibe nötigt Und zwar bildet diese Eonsequenz noch einen weiteren, wuchtigen Einwand gegen die Theorie des psychophysischen Parallelismus. Dieser Punkt erheischt aber eine besondere Besprechung in einem eigenen Abschnitt.

phil. Er. Bd. 119 S. 31). Offenbar meint er damit einen vernichtenden Streich ge- führt zu haben. Yulgfirpsychologie I Wer in der Philosophie mit Dingen, die er aus der Ynlgärpsychologie, der unmittelbaren Erkenntnis und dem unmittelbaren Ver- ständnis des geistigen Lebens entnommen hat, irgend etwas ausrichten zu können vermeint, ist ja offenbar ein gänzlich unmoderner, geistig zurückgebliebener, re- aktionärer Mensch. In den Salons der »modernen« Psychologie ist für solch altes Ge- rumpel kein Platz mehr. Nur läßt sich nicht leugnen, daß schließlich allein die »Ynlgärpsychologie« es verständlich macht, warum mit dem Lesen eines Tele- gramms, das den Tod eines geliebten Menschen meldet, sich eine traurige Stim- mung, eine schmerzliche Erschütterung der Seele verbindet, nicht aber eine ganz gleichgültige oder freudig ausgelassene Stimmung. . Lassen wir dieses unmittelbare und seiner ünmittelbaikeit wegen nicht weiter »erklärbare« Verständnis beiseite, so wäre das eine ebenso natürlich wie das andere. Vom physiologischen Standpunkt aus sind alle möglichen Associationen in gleicher Weise annehmbar und es ist von zu- falligen Bedingungen abhängig, ob die eine oder die andere Bahn eingeschlagen wird. Einstweilen wird es daher doch dabei bleiben müssen, daß, wie oben ausgeführt, die Psychologie den Schlüssel zur physiologischen Konstruktion der Vorgänge liefert, natürlich nicht die »materialistische« Psychologie, die sich ihrerseits an die Physio- logie anlehnt und sie voraussetzt, sondern die »Vulgärpsychologie«. Mit bloßen absprechenden Bemerkungen ist es nicht getan, ebensowenig mit Unterstellungen, die in Königs Polemik leider auch eine Eolle spielen.

Basse, Qeist and KOiper, Seele and Leib. 21

322 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallclismus.

c) Die psychologischen Konsequenzen des Parallelismus. Die plara- listisohe Seelenlehre. Die >Mind-Staff«-Theorie. Mechanistische Auffassung des seelischen Lebens: Association contra Apperception.

Das Prinzip des psychophysischen Parallelismus involviert die Forderung, das physische und das psychische Oeschehen in den le- bendigen Wesen sich genau entsprechen zu lassen. Die Schwierig- keiten, die sich daraus für die physische Seite ergeben, haben wir oben (a) beleuchtet: es ergab sich, daß nicht alle Eigentiimlichkeiten des geistigen Seins ein physisches Analogen finden konnten. Jetzt fragen wir, ob nicht das Bestreben, das geistige Sein dem physischen analog zu gestalten, zu einer Auffassung desselben führt, die seinem wahren Wesen widerstreitet.

Daß das in der Tat der Fall ist, wollen die folgenden Aus- führungen zu zeigen versuchen. Der Parallelist ist genötigt, seiner Ansicht von der Seele und den seelischen Vorgängen eine Fassung zu geben, welche dem auf der physischen Seite festgestellten Tat- bestande analog ist. Yon diesem ausgehend muß er das Psychische als das demselben entsprechende Korrelat konstruieren; dem äußeren Zusammenhang, der sich als Körper darstellt, muß ein innerer Zu- sammenhang, der die Seele ausmacht, entsprechen, den körperlichen Funktionen müssen analoge geistige, der physischen Gesetzmäßigkeit, welche das körperliche Oeschehen regiert, muß eine analoge psychische Gesetzmäßigkeit für das seelische Leben parallel gehen. Alle psycho- logischen Annahmen, welche sich nicht als Korrelate bestimmter physischer Tatsachen ausweisen können, müssen abgewiesen werden. Dazu gehört die »Seele« selbst als das einheitliche Subjekt der psychischen Tätigkeiten, die Annahme einer eigenen, mit jeder physischen unvergleichlichen, im logischen Denken sich bekundenden Gesetzmäßigkeit der Seele und die einer Freiheit und schöpferischen Spontaneität des Geistes. Die Konsequenz des psychophysischen Parallelismus bedingt eine pluralistische und mechanistische Psycho- logie. Wir werden gut tun, diese beiden Punkte gesondert zu be- trachten.

a) Der psychologische Pluralismus: die Psychologie ohne rf^vx^i oder die

subjektlose Psychologie.

Der Körper^ das physische Substrat des geistigen Lebens, bildet keine substanzielle, sondern nur eine funktionelle Einheit Er wird letzten Endes gebildet von einer Vielheit materieller Atome, die, in der verschiedensten Weise kombiniert und miteinander verbunden, sich zu gemeinschaftlichem Wirken vereinigen und durch ihre in-

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 323

elnandergreifenden und sich gegenseitig unterstützenden Wirkungen das Spiel des Lebens so lange aufrecht erhalten, als die Umstände es gestatten. Wie immer auch über die Beschaffenheit der konsti- tuierenden Elemente und die Art ihrer Verbindung gedacht werden mag: darin, den Körper als eine Vielheit, eine Mannigfaltigkeit Ton zu einem Ganzen verknüpften Bestandteilen und in diesem Sinne als eine höchst komplizierte Maschinerie zu betrachten, stimmen doch die vitalistische und die mechanistische Auffassung miteinander überein. In der Theorie muß sich der gesamte lebendige Körper in seine XJrbestandteile auseinanderlegen lassen; der tote Körper löst sich ja tatsächlich langsam in diese seine Urbestand.teile auf. Also der Körper ist ein Aggregat, ein Compositum^ eine Vielheit, ein zusammengesetztes, kein unteibares, einheitliches Ding. Auch das Gehirn ist kein solches, keine Einheit.

Soll nun die Seele die innere Seite desselben Realen sein, das sich in der äußeren Betrachtung als Körper darstellt, so muß auch sie diese Grundeigenschaft des letzteren wiederholen: auch sie darf keine substanzielle Einheit, kein unteilbares, einheitliches Wesen, sondern muß eine Vielheit psychischer XJrbestandteile, ein Zusammen- gesetztes, eine Mannigfaltigkeit von »Psychomen« oder »Psychosen« darstellen. Eine psychische Atomistik tritt der auf physischem Gebiete bestehenden an die Seite; wie die Erscheinungen des körperlichen Lebens aus den ineinandergreifenden Wirkungen der materiellen ür- bestandteile hervorgehen, so gehen auch die Erscheinungen des gei- stigen Lebens aus den gesetzmäßigen Verbindungen und Verschlingungen der Psychome, der Empfindungen, Vorstellungen und Gefühle hervor: nicht ein einheitliches, reales Wesen, sondern nur die Gesamtheit aller seelischen Zustände ist die sogenannte Seele. Diese plura- listische Seelenlehre ist die unausweichliche Konsequenz der paral- lelistischen Theorie;^) es geht nicht an, sich ihr durch den Hinweis auf den Unterschied von Erscheinung und Sein entziehen zu wollen, wie das Pechner versucht Nach ihm soll das Verhältnis von Leib und Seele zwar parallelistisch, aber zugleich doch so gedacht werden, >daß das psychisch Einheitliche und Einfache sich an ein physisch Mannigfaltiges knüpft, das physisch Mannigfaltige sich psychisch ins Einheitliche, Einfache oder doch Einfachere zusammenzieht.^) und so soll sich die Einheit des Bewußtseins an ein zusammengesetztes Körperliches schließen. Was physisch ein Zusammengesetztes ist, ist

1) James, Pr. of Ps. I. S. 178 180.

2) Das Büchlein vom Leben nach dem Tode. Leipz. 1866. S. 80.

21*

324 Erster Absohnitt Der psych ophysische Parallelismus.

psychisch ein Einfaches. ^) Das geht auf parallelisiischem Boden nicht Ist die Seele wirklich eine unteilbare Einheit, so muß dieser Orundzug ihres Wesens auch in ihrer äußeren Erscheinung, dem Körper, irgendwie zum Ausdruck kommen; ist aber der Körper eine Mannigfaltigkeit, die sich in Bestandteile zerlegen läßt, so deutet diese Beschaffenheit der äußeren Erscheinung auch auf eine analoge Beschaffenheit der inneren, ihr entsprechenden psychischen Seite hin, und die »Seele« löst sich auf in eine Vielheit von Psychomen. So faßt denn auch beispielsweise Paulsen die Sache auf. »Die Seele ist die im Bewußtsein auf nicht weiter angebbare Weise zur Einheit zusammengefaßte Yielheit seelischer Erlebnisse; von einem Substantiale außer, hinter, unter den Vorstellungen und Gefühlen wissen wir auf keine Weise etwas zu sagen.« 2) Von einem solchen Substantiale, dem »Wirklichkeitsklötzchen«, wie es Paulsen auch gelegentlich nennt, vermögen wir allerdings nichts zu sagen, tun es aber auch garnicht. Von einigen Herbartianem abgesehen hält wohl niemand an der hinter ihren Zuständen steckenden und nach Wegdenkung aller Zustände übrig bleibenden nackten Seelensubstanz fest: der Garderobehaken, an welchem die einzelnen seelischen Zustände nach- träglich befestigt werden, hat seine Rolle endgültig ausgespielt') Aber mit der Ablehnung dieses Substanzbegriffs ist noch nicht der Substanzbegriff in jeder Form für die Psychologie beseitigt. Müssen

1) Elemente der Psychophysikll, 2. Aufl. S.388; vgl. auch S. 526.

2) Einl. 2. Aufl. S. 134, 6. Aufl. S. 135. In dieser Auflage sind bemerkens- werterweise die "Worte »auf nicht weiter angebbare "Weise« fortgelassen.

3) Daher trifft auch, was Wundt Syst. v. Phil. 2. Aufl. S. 279, 293—298 gegen den substanzialistiscben Seelenbegriff ausführt, unseren Standpunkt nicht Daß auch bei Lot ze »immer die Forderung maßgebend« sei, »daß, wenn man auch die Tätigkeit hin weggenommen denkt, doch die Substanz, die diese Tätigkeit aus- übt, bestehen bleibt« (S. 419), ist nicht wahr. "Wenn alle Tätigkeit hinwegfällt, bleibt nicht die Substanz als leere Hülse übrig. Sie ist nur, sofern sie Zustände hat. Wie eine Substanz es überhaupt anfangt, eine Yielheit von Zuständen zu haben, vermögen wir freilich ebensowenig zu sagen, als wir angeben können, wie sie es anfängt, zu sein. Aber gegeben ist beides, die Yielheit der Zustände und die Einheitlichkeit des Seins. Damit auch die letztere zu ihrem Rechte komn>e, können wir den Substanzbegriff, der ihr Ausdruck gibt, nicht entbehren« Die Schwierigkeit der Aktualitätstheorie, die Wundt selbst S. 421 erwähnt, daß tätige Kräfte nicht ohne ein Substrat gedacht werden können, ist von ihr nicht über* wunden worden; daß »die Beziehung auf eine bleibende "Willenseinheit lediglich durch den stetigen Zusammenhang der einzelnen Tätigkeiten selber vermittelt wird«, ist eine Behauptung, der nicht nur der Beweis, sondern sogar die Yerständlichkeit fehlt. Ygl. zu dem Ganzen auch Sigwart, Logik n, 2. Aufl. S. 205, 208 u. a.., Külpe, Einl. 1895, S. 190/191.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Farallelismus. 325

wir zugeben, daß es eine Substanz ohne Zustände nicht gibt, daß die Substanz nur ist, sofern sie sich in ihre Zustände entfaltet, in ihnen manifestiert, so müssen wir mit um so größerer Entschieden- heit auch au der Umkehrung dieses Satzes festhalten und behaupten, daß es keine Zustände gibt ohne ein Beales, eine Substanz, ein Wesen, dessen Zustände sie sind und dessen Einheit sie vor dem Auseinanderfallen in eine bloße Yielheit nebeneinander und zugleich seiender Vorgänge bewahrt. In dieser Form erscheint der Begriff aber nach wie vor nicht nur als zulässig, sondern sogar als unvermeidlich, die alten Argumente, mit welchen insbesondere Lotze seine Not- wendigkeit verfochten hat,^) haben auch heute noch nicht ihre Gültig- keit eingebüßt Die entscheidende Tatsache, welche Lotze der pluralistischen Psychologie entgegenhielt und welche in der Tat ein für dieselbe unüberwindliches Hindernis bedeutet, ist die Einheit des Bewußtseins, welche ein einheitliches Subjekt des psychischen Geschehens involviert. Wir haben dieses Argumentes bereits an früherer Stelle, als es sich um die Widerlegung materialistischer An- sichten handelte, kurz gedacht,^) seine ausführlichere Erörterung aber aus dem Grunde, weil es sich zugleich auch gegen den plura- listischen Seelenbegriflf richtet, auf eine spätere Gelegenheit ver- schoben. Hier ist nun die Stelle, wo seine Erörterung Platz

m

greifen muß.

Die pluralistische oder subjektlose Psychologie vermag den Tat- sachen des Bewußtseins nicht gerecht zu werden. Gegeben sind uns im Selbstbewußtsein nicht nur, wie Paulsen behauptet,') wechselnde Zustände und Yorgänge, sondern sie sind uns zugleich gegeben als Zustände eines sie als seine Zustände wissenden Ich; ohne dieses, als selbständige Zustande sind sie uns nicht gegeben und können sie uns nicht gegeben sein. Zustände können eben nicht ohne ein Subjekt, dessen Zustände sie sind, existieren. Dieser Forderung wird nicht dadurch genügt, daß man sagt: eine Vorstellung (oder ein Gefühl) kommt nie vereinzelt vor, sondern immer nur im Zusammenhang eines ganzen Seelenlebens.^) Denn dieses »ganze Seelenleben«, in dessen Zusammenhang die einzelne Yor-

1) Seele and Seelenleben L, El. Schriften Bd. II S.3f., Med. Psych., Erstes Bach I.Kap, §1 3, Mikrokosmus Bd. I, Buch 11 , Kap. I, Metaphysik Bach HI, Kap. 1.

2) Vgl. oben 48—49.

3) Einl. 2. Aufl. S. 133, 6. Aufl. S. 134.

4) Ebendas., 2. Aufl. S. 135, 6. Aufl. S. 136.

326 Erstez Abschnitt. Der psychophysische Parallelismos.

Stellung eintritt, besteht selbst wieder aus einzelnen Vorstellungen, die ja zugestandenermaßen nicht selbständig für sich existieren können. Wenn keine einzige von ihnen selbständig für sich exis- tieren kann, so wird hieran dadurch nichts geändert, daß sie in Massen auftreten. Wenn ein Mensch nicht ohne Luft existieren kann, so können es hundert und tausend Menschen zusammen auch nicht. Also könnnen nun auch die andern Vorstellungen zusammen nicht das Subjekt liefern, dessen die eine, neuauftretende Vorstellung bedarf, um überhaupt wirklich werden zu können, und der Eintritt in den Zusammenhang anderer Vorstellungen nützt ihr nichts. Es kann nicht jede Vorstellung als einzelne betrachtet eines Subjekts bedürfen, um überhaupt wirklich zu sein, als Teil einer Summe von Vor- stellungen aber eben das Subjekt sein, an das andere Vorstellungen sich anlehnen. Nur wenn die Gesamtheit der übrigen Vorstellungen, in welche eine neue Vorstellung eintritt, mehr ist als ein bloßer Zu- sammenhang, als eine bloße Summe vonPsjchomen, wenn sie zu einer wirklichen Einheit, zu der substanziellen Einheit eines psychischen Subjekts, einer Seele zusammengefaßt sind, bieten sie in dieser Form das geeignete Substrat, an welchem die neue Vorstellung als Vorstellung, als Zustand dieses Subjekts wirklich werden kann.^) Diese Einheit, dieses Subjekt, wie es hier als Bedingung der Möglichkeit des Auftretens einer Vorstellung gefordert und voraus- gesetzt wird, kann aber eine Mannigfaltigkeit von Psychomen oder Psychosen, wie immer sie auch miteinander zusammenhängen mögen,

nicht darstellen, kann eine solche nicht erzeugen. Ist die Seele <

eine »Vielheit seelischer Erlebnisse«:, so ist die Art und Weise, wie diese Vielheit zu einer Einheit im Bewußtsein zusammengefaßt wird, nicht nur, wie Paulsen sagt, »nicht weiter angebbar«, sondern un- denkbar. Wie eine Vielheit von Dingen oder Zuständen es möglich machen sollte, sich selbst zu einer solchen Einheit zusammenzu- fassen, wie sie unser Bewußtsein darstellt, ist schlechterdings nicht einzusehen. Eine Vielheit bleibt unter allen umständen, was sie ist, eine Vielheit, eine Summe irgendwie verbundener Bestandteile. Diese mögen sich in der verschiedensten Weise gruppieren, die mannigfachsten Verbindungen miteinander eingehen, sich zu ge- meinschaftlichem Wirken vereinigen und die verschiedenartigsten Wechselwirkungen austauschen: sie bleiben dabei immer eine Viel-

1) Vgl. mein Buch: Philosophie U.Erkenntnistheorie, S. 250, 251. In ähn- licher Weise hat auch Eülpe gegen die Paulsen sehe Annahme argumentiert, Einl. i. d. Phü. 1895, S. 191.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 327

heit und verschmelzen nie zu einem einzigen einheitlichen Subjekt Sie tun dies so wenig, als eine Anzahl von individuellen, verschie- denen Personen angehörenden Bewußtseinen jemals zu einem einzigen einheitlichen Gesamtbewußtsein verschmelzen. »Take a sentence of a doxefi words, and take twelve men and teil to each one word. Then stand the men in a row or jam them in a bunch and let each think of his word as intently as he vrill; nowhere vrill there be a consdousness of the whole sentence.^^) Genau so verhält es sich mit dem einheitlichen individuellen Bewußtsein selbst, das angeblich durch Kombination oder Yerschmelzung einer Anzahl von Teilbewußtseinen oder von Psychosen zu stände kommen soll, aber nicht zu stände kommen kann. Setzt man sich über die Schwierigkeit, wie denn überhaupt Psychosen, ohne schon irgend ein einheitliches Subjekt vorauszusetzen, existieren können, hinweg und läßt sie als selbständige Wirklichkeiten gelten, oder nimmt man eine Anzahl von untergeord- neten, verschiedenen Funktionen des Gehirns und Rückenmarks entsprechenden Bewußtseinszentren oder endlich eine unbestimmte Anzahl von bewußten Atomseelen an: immer bleibt es gleich unerklär- lich und unverständlich, wie aus den vielen Psychosen, Atomseelen- bewußtseinen oder Bewußtseinszentren das eine einheitliche Bewußt- sein hervorgehen soll, das sie alle umfaßt, in Beziehung zueinander setzt und als seine Zustände weiß.^) Erkennt doch selbst ein Spencer die Unmöglichkeit einer derartigen Entstehung einer Einheit aus einer Vielheit an. »Wenn wir, um aus dieser Schwierigkeit zu ent- kommen, den Ausdruck , Bewußtseinszustand' zurückweisen und jedes unzerlegbare Gefühl ,ein Bewußtsein' nennen, so geraten wir nur aus einer Schwierigkeit in die andere. Ein Bewußtsein , wenn es nicht der Zustand eines Dinges sein soll, ist selbst ein Ding, und so viele verschiedene Bewußtseine es gibt, so viele verschiedene Dinge gibt es«; aber das eine einheitliche Bewußtsein entseht auf diese Weise nicht.*) Jeder Versuch, es in dieser Weise zu konstruieren, setzt immer das, was er konstruieren will, schon voraus; »all the ,combinations' which we actuaUy know are effects tvrought hy the units said to be yCombined* upon some eniity other than themselves.^<s) Was man durch Kombination vieler Bewußtseine erzielt, ist eine Summe von Bewußtseinen, nicht aber das Bewußtsein einer Summe. Die

1) James, Principles of Psycliology I, S. 160.

2) Vgl. auch hierzu James, S. 159, 160.

3) Principien d. Psych. I. §272, S.658, Principles of Ps. I. S.626.

4) James, Pr. of Ps. I. S. 158.

328 Erster Abschnitt. Der psychophysisohe Parallelismas.

Unmöglichkeit, dieses letztere, das einheitliche Gtesamtbewußtsein einer Summe als Summe, durch einen Summationsprozeß zu erhalten, ist vielleicht nie anschaulicher und überzeugender dargelegt wordeiL, als durch das mathematische Beispiel, dessen sich James in seinen Principles of Psychology bedient Die Associanisten meinen, wenn eine Yorstellung von a und eine Yorstellung von b gegeben ist, so sei damit zugleich auch die Vorstellung von a + b gegeben. Aber das ist ebenso falsch, als es falsch sein würde zu glauben, daß das Quadrat von a plus dem Quadrat von b gleich dem Quadrat der Summe von a + 6, also a^ + fc^ « (a + b)' sei. So wenig wie hier die beiden Seiten der Gleichung wirklich gleich sind, so wenig ist auch das Bewußtsein von a und das Bewußtsein von b identisch mit dem Bewußtsein der Summe a + b. Nur ein schon vorhandenes einheitliches Bewußtein kann aus a und b die Summe a + b machen. T>Tkis argumefit of ihe spirituaUsts against ihe associatomsts hos never beert answered by the latter.^*) In der Tat, so liogt die Sache, und solange dieses Argument von den Anhängern der pluralistischen Psychologie nicht genügend beantwortet ist, wird man es ihren Oeg- nem nicht verdenken können, wenn sie die pluralistische Konstruktion der Seele als unmöglich ablehnen und bei der Forderung eines ein- heitlichen Seelensubjekts verharren.')

1) James, Pr. of Ps. I. S. 161.

2) Außer Lotze und James seien noch genannt Sigwart, Logik n, 2. Aufl. S. 201—208, 655; Thiele, Philosophie des Selbstbewußtseins, Berlin 1900, S. 175, Bergmann, Untersuchungen über Hauptpunkte der Phil., S. 309, 310; Rehmke, Die Seele des Menschen, S.108, 109, Wechselw. od. Parall.? (Haym-Gedenkschrift, Halle 1902) S.102; Ladd, Ph. of M., S. 83 207; Gutberiet, D. Kampf um d. Seele S. 71, 72; Lipps, Das Selbstbewußtsein; Empfindung und Gefühl (Grenz- fragen des Nerven- und Seelenlebens IX), Wiesbaden 1901, bes. S. 4 13, 35, 39 42. Auch Ed. v. Hartmann, der eine Yielheit niederer Bewußtseinszentren annimmt, schiebt doch zwischen diese und das Absolute eine auf den Organismus gerichtete einheitliche Funktion des letzteren ein , um die Synthese der Vielheit zu ermöglichen. »Durch Hervorhebung dieser psychischen Einheitsbedingung nähert die Phil. d. Unb. sich wissentlich dem Individualismus und sucht einem berechtigten GedanJcen desselben Anerkennung zu verschaffen, ohne deshalb einem transcenden- talen metaphysischen Individualismus oder ontologischen Plursilismus zu verfallen c (Mod. Psych. S. 289). Die Gründe, die ihn dazu veranlaßten, sind die oben darge- legten. Tätigkeit ist nicht ohne Subjekt denkbar (a. a. 0. 290, 291. Vgl. Eategorien- lehre S. 522 524, 533 535), Einheit des Bewußtseins nicht ohne Einheit des Subjektes möglich (Mod. Psych. S.291, vgl. S.284, 315, 434, 456). Külpe er- klärt, nachdem er die gegen die Substanzialitätstheorie erhobenen Einwürfe in sehr geschickter Weise zurückgewiesen (Einl. i. d. Phil, 1895, S. 190— 193): »Wer sich die allgemeine Frage nach dem Zusammenhang psychischer und physischer Er- scheinungen vorlegt und bei ihrer Beantwortung . . . den Dualismus als die wahr-

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 329

Um die Beweiskraft des Argumentes der Einheit des Bewußt- seins richtig würdigen und äie Unmöglichkeit, aus einer Vielheit von Psychomen oder Psychosen eine derartige Einheit zu machen, völlig einsehen zu können^ muß man aber freilich die einzigartige, in der ganzen physischen Welt ohne Analogen dastehende Natur dieser Einheit sich zu vollem Bewußtsein bringen. Lotze hat besonders in scharf- sinnigster und überzeugendster Weise auf die Unmöglichkeit hin- gewiesen, die Einheit des Bewußtseins als ein Summationsphänomen durch aus der Natur entnommene Analogien begreiflich zu machen. Nichtsdestoweniger stößt man immer wieder auf die Versuche, durch Heranziehung physischer Beispiele das Unmögliche doch als möglich erscheinen zu lassen. Sie sind allesamt verfehlt, leiden insgesamt an dem nämlichen Fehler, der Verwechslung der absoluten Einheit des Bewußtseins mit der bloß relativen Einheit eines physischen Aggregats. Die Natur kennt nur die beiden Extreme: einerseits die starre Einheit eines Punktes oder Atoms ohne jede Vielheit und anderer- seits eine Vielheit von Dingen ohne wirkliche, substanzielle Einheit. Ein System von Punkten, die eine gemeinschaftliche Bewegung haben, ist kein wahres Ganze, bildet keine wirkliche Einheit. In Wirklichkeit sind so viele Bewegungen vorhanden, als das System Punkte besitzt, und nur das einheitliche Bewußtsein eines Beobachters faßt vermöge seiner Einheitlichkeit die vielen Bewegungen zu einer und die vielen Punkte zu dem Ganzen eines »Systems« zusammen.^) Sie selbst aber

scheinlichste Annahme bezeichnet, der wird in der Tat kaum umhinkönnen, das psychische Sein zu einem selbständigen dadurch abzuschließen, daß er ihm eine substanzielle Einheit zu Grunde legt« (S. 193). Auch Schuppe sagt: »Wenn man wirklich nicht heimlich noch etwas anderes darunter versteht als das Inhärenzver- hältnis, so kann man das Ich Substanz nennen, insofern jedes Ich es unaufhörlich erlebt, daß und wie ihm als dem Substrat oder Träger Eigenschaften und Zustände anhaften« (Orundr. d. Erkenntnisth. u. Logik, Berlin 1894, S. 33). Er läßt deshalb in gewisser "Weise auch den Dingbegriff auf das Ich anwendbar sein (S. 140). Vgl. auch: D. Zushg. zw. L. u. S. (1902) S. 29, 30. Dubois-Reymond hält die Einheit des Bewußtseins der Annahme, daß die einzelnen Atome mit Bewußtsein ausge- stattet seien, entgegen (Grenzen d. Naturk. Leipz. 1891 , S. 42) und Hoff ding gesteht wenigstens zu, daß sie ein ewiges Hätsel sei (Psychologie, 2. Ausg. 1893, S. 484). Ja, sogar Ziehen räumt dem Metaphysiker wenigstens die Berechtigung, ein Subjekt der Empfindungen usw. anzunehmen und es Seele zu nennen, ein, wenn auch die Psychologie bei ihrer Reihe von Psychosen stehen bleiben soll (a. a. 0. S. 209). Vgl. zu dem Ganzen auch noch meine Ausführungen in m. Buche: Philosophie und Erkenntnistheorie S. 248 252.

1) Im gleichen Sinne sagt auch James: »7%e sum ttself esists only for a by Stander wJw happens to overlook the units and to apprehend tfie sum as such,€ a. a. 0. S. 158/159.

330 Erster Abschnitt. Der psychopbysische Parallelismus.

fassen sich nicht zu einer wirklichen Einheit zusammen, auch die Re- sultante, zu der sich nach dem Parallelogramm der Kräfte verschiedene Bewegungen zusammensetzen, entsteht nicht einfach aus der Vielheit, sondern setzt einen einheitlichen unteilbaren Punkt voraus, in welchem alle die aus verschiedenen Richtungen wirkenden Kräfte zusammentreffen und dessen Bewegung eben die resultierende Be- wegung ist. Und so überall. Eine chemische Verbindung bedeutet nicht ein wirkliches Ineinanderverschmelzen der sie bildenden Be- standteile, sondern nur eine bestimmte Form der Gruppierung der- selben, die in ihr als selbständige fortbestehen: >The ^water^ is just the old aioms in the new position^ H—O H; ihe ,new praperties' arejust their combined effects, when in thia position, upon extemal media ^ such as our sense-organs and the variotts reagents on which water may exei't its properiies and be ÄnoMW.«^) Auch die organischen lebendigen Körper bilden hiervon keine Ausnahme, auch sie sind, wie schon weiter oben hervorgehoben, lediglich Kom- binationen und Zusammensetzungen unzähliger, vorübergehend zu ge- meinschaftlicher Wirkung verbundener materieller Bestandteile, Zellen, Moleküle, Atome, aber kein Ganzes im strengen und eigentlichen Sinne, keine wirkliche substanzielle Einheit. Das eben verkennen Ebbinghaus, "Wundt und alle diejenigen, welche die Einheit der seelischen Vorgänge mit der Einheit des lebendigen Körpers ver- gleichen und durch sie zu erläutern versuchen. Ein paar Worte seien ims über diesen Punkt noch gestattet.

»Man sehe die Pflanze,« sagt Ebbinghaus. »Sie hat Wurzeln, Zweige, Zellen, trägt Blüten, Früchte, eine Krone usw.«*) Aber das ist nicht richtig. Im eigentlichen und strengen Verstände hat die Pflanze nicht Blätter und trägt nicht Blüten, sondern sie be- steht aus ihnen, sie ist gainichts weiter als die Summe aller dieser in bestimmter Weise gruppierten und miteinander verbundenen Teile, die nicht zu einer wirklichen Einheit zusammengehen. Wenn Ebbinghaus daher fortfährt:') »Nicht ihre Summe, wie man viel- fach mit übelwollender Entstellung dieser Auffassung sagen hört . . ., sondern eine reichgegliederte und angeordnete zu einer Einheit zu- sammengeschlossene Gesamtheit«, so ist das unbeschadet der reichen Gliederung usw. nicht richtig: eine Einheit ist die Pflanze so wenig, wie eine kunstvolle und komplizierte Maschine, die wir durch In-

1) James, a. a. 0. 8. 159.

2) Grundzüge der Psychologie S. 13.

3) S. 14.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 331

einanderfügen ihrer Bestandteile herstellen, eine solche ist Daher kann man sie auch in ihre Bestandteile zerlegen. Man kann ihre einzelnen Teile: Wurzel, Blätter, Blüten, Stamm abtrennen und isolieren: sie bleiben, was sie waren, sie können als von dem Verbände der Pflanze, dem sie angehören, unabhängig gedacht werden. Eine Vorstellung dagegen kann aus der Seele, deren Vor- stellung sie ist, nicht herausgenommen und gleichsam neben sie ge- stellt werden, sie ist, was sie ist, nur als modus der Seele; nur als solcher kann sie existieren, nimmt man sie aus ihr heraus, so hört sie im selben Moment auf, Vorstellung, so hört sie überhaupt auf zu sein. Dieser fundamentale Unterschied des Verhältnisses, in welchem die Vorstellungen und Gefühle der Seele zu ihr als dem einheitlichen Oanzen und die Blätter und Blüten der Pflanze zu dem »Ganzen« derselben stehen, macht jeden Versuch, die Einheit der Seele nach Analogie der Einheit der Pflanze zu denken, unmöglich. Ebbin g- haus freilich will den Unterschied nicht anerkennen. Auch die von der Pflanze abgetrennten Blätter, Blüten usw., meint er, könnten nicht ohne das Ganze, zu dem sie gehören, existieren. :»Losgelöst voneinander und von ihrem Träger sind Blätter und Blüten ihrem wahren Wesen nach nicht mehr vorhanden, nur den Namen behalten sie noch eine Weile bei und das oberflächliche Aussehen.« i) Das ist durchaus zu bestreiten. Ein von einer Pflanze abgetrenntes Blatt ist durchaus ein wirkliches und wahrhaftiges Blatt, so gut wie ein vom Kumpfe geschlagener menschlicher Eopf ein Kopf, eine ausgenommene Kalbsleber eine Kalbsleber ist. Es sieht nicht nur so aus und wird so genannt, sondern es ist ein Blatt, denn es hat alle Bestandteile, die zu einem Blatte gehören. Daß es, von der Pflanze, getrennt, früher oder später verdorrt und ab- stirbt, ist freilich richtig, deshalb aber bleibt es, solange es sich nicht in seine Bestandteile aufgelöst hat, doch ein Blatt. Wollte man aber daraus, daß ein Blatt nicht isoliert und selbständig in der Welt, sondern nur im Zusammenhang aller der Bestandteile, deren Gesamtheit wir Pflanze nennen^ existieren kann, schließen, daß die Pflanze eine wirkliche Einheit und das Subjekt ist, welches das Blatt hat, ebenso wie die Seele das Subjekt ist, das die Vor- stellung hat, so sehe man zu, wohin dieser Schluß führt Auch die Pflanze kann nicht isoliert, selbständig existieren, sondern nur in dem Boden und in der Luft, in Verbindung mit dem Wasser, dem

1) 8. 14.

332 Erster Abschnitt. Der psychophysische Paralleiismas.

Sauerstoff usw. , welchen sie enthalten. Also bilden Luft und Erde das einheitliche Subjekt, zu welchem die Pflanze als ein fnodits desselben gehört! So kann auch der Mensch nicht existieren ohne Luft und Licht, ohne Erde und Wasser, die Erde nicht ohne die Sonne und den Weltraum, und schließlich bleibt nur das Absolute als das Sub- jekt, die Substanz übrig, deren modi alle übrigen Dinge sind, es allein eine wahre Einheit, alle übrigen Dinge verschiedenartige Zu- sammensetzungen der Yom Absoluten gesetzten ürbestandteile, der Atome oder wie man sie sonst nennen will. Nennt man aber die Pflanze ein einheitliches selbständiges Ding, obwohl sie ohne Luft und Erde nicht existieren kann, so hat man kein Recht mehr, dem ein- zelnen Blatt, weil es ohne die Pflanze nicht existieren kann^ diese Be- zeichnung zu verweigern, und dann ist wiederum die Pflanze nicht das Substrat, welches das Blatt hat, sondern wirklich nichts weiter als die Summe, die Gesamtheit aller bei ihr vorhandenen Wurzeln, Stämme, Blätter, Blüten usw.: ein Aggregat, aber keine wirkliche Einheit Ob nicht doch noch etwas mehr als der von Ebbinghaus angerufene^) gute Wille, sich in diese Auffassung hineinzudenken, dazu gehört, um mit ihm zu finden, daß es sich »so und nicht anders auch mit dem Träger und Subjekt des Seelischen, mit dem Ich verhält?«*) Mir will scheinen, daß es sich ganz anders damit verhält, die Ebbing- h aussehe Analogie aber sozusagen auf sämtlichen Beinen hinkt

Auch Wundt weist uns auf die Einheit hin, welche der Leib darstellt: »Auch der leibliche Organismus ist eine Einheit, und doch besteht er aus einer Vielheit von Organen. Hier ist es der Zu- sammenhang der Teile, welcher die Einheit ausmacht;«") »das Be- wußtsein« aber »mit seinen mannigfaltigen und doch in durch- gängiger Verbindung stehenden Zuständen ist für unsere innere Auffassung eine ähnliche Einheit wie für die äußere der leibliche Organismus.«^) Aber der Leib ist eben nicht die Einheit, auf die es hier ankommt, und daher ist die Einheit des Bewußtseins nicht nach Analogie der Einheit des leiblichen Organismus konstruierbar. Wäre sie es, so würde die innere Auffassung, für welche die Mannig- faltigkeit des Bewußtseins eine Einheit bilden soll, garnicht möglich sein. Sie eben, die einheiüiche Zusammenfassung, welche eine Viel-

1) S. 16.

2) S. 15.

3) Gnindz. d. phys. Psych. 2. Aufl. S. 447. Ähnlich Syst. d. Phil. 2. Aufi. S. 295.

4) Grandzüge S. 463.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 333

heit noch so eng verbundener Elemente schlechterdings nicht zu leisten im Stande ist, kommt zu den mannigfaltigen Zuständen noch hinzu und schließt sie zu einer Einheit von ganz spezifischer, in der ge- samten Natur ohne Beispiel dastehender Art zusammen. Der Leib aber ist wirklich nur für unsere, seine Teile zu einer Qesamtheit zusammenfassende Anschauung eine Einheit, an sich nicht ^)

Ebensowenig wie der leibliche Organismus bilden natürlich der Korpsgeist, Yolksgeist, Zeitgeist und ähnliche KoUektiva eine Einheit, die mit derjenigen, welche das individuelle Bewußtsein repräsentiert, zu vergleichen wäre. Nur in den einzelnen Individuen ist, als eine gemeinschaftliche Denk- und Gesinnungsweise, der Volksgeist usw. vorhanden, aber er selbst bildet nicht ein Bewußt- sein für sich, ein Wesen, das die einzelnen Bewußtseine um- und in sich schließt Ob Fechners Pianetengeister solche wirklichen Wesen sind, mag hier unerörtert bleiben; gibt es derartige über- geordnete höhere Bewußtseinszentren, so sind sie jedenfalls nicht einfach die »auf nicht weiter angebbare Weise« zu einer Einheit zusammengefaßte Gesamtheit der Einzelgeister, sondern reale Subjekte von substanzieller Einheit, die alle in ihnen enthaltenen Einzel- bewußtseine als ihre lebendigen modi in sich hegen und sich von ihnen als das sie habende Subjekt unterscheiden ähnlich wie auch der absolute, alle Dinge in sich hegende Allgeist, wenn es einen solchen gibt, sich seiner als des einheitlichen Subjekts seiner Zustände bewußt sein muß. Besteht aber die parallelistische und mit ihr die pluralistische Auffassung zu Becht, so kann es weder die umfassenden einheitlichen Planetengeister, noch auch schließlich den einen aUes umfassenden Weltgeist geben: auch dieser löst sich in eine Vielheit selbständiger Bestandteile auf.

Auf das Beispiel des Yolksgeistes, des Geistes der öffentlichen Meinung usw. darf man sich mithin auch nicht berufen, um das Verschmelzen einer Vielheit zu einer wirklichen und wesenhaften Einheit verständlich zu machen.^)

1) Darch diese Ausführungen halte ich auch das für erledigt, was Jodl Psych. S. 71/72 und Adickes (Kant contra Haeckel S. 69) zu Gunsten der Ana- logie des einheitlichen Organismus und gegen das Argument der Einheit des Be- wußtseins geltend machen. Daß das psychophysische Subjekt, welches Wundt an die SteUe des psychischen setzen will (Grundzüge 2. Aufl. S. 459), denselben Bedenken unterliegt, wie die physische Leibeseinheit und das plura- listische Seelensubjekt, dürfte doch nicht zweifelhaft sein. Vgl. hierzu auch Eülpe, Einl. S. 192.

2) So Wundt, Syst. d. Phil. S. 391.

334 Erster Abschnitt Der psychophysisohe Parallelisinas.

Wir werden also, solange man uns nicht durch zwingende Gründe überzeugt, daß das, dessen Unmöglichkeit sich mit der ein- fachsten Klarheit uns aufdrängt, doch möglich und eine Tatsache ist, daran festhalten, in der Seele ein einheitliches, seiner Zustände sich bewußtes Wesen zu erblicken, und uns durch die Schwierig- keiten, die sich an diesen Begriff knüpfen, nicht abhalten lassen, sie um dieser Eigentümlichkeit willen eine Substanz zu nennen. Daß wir nicht angeben können, wie eine Substanz es anfangt, sich in eine Vielheit von Zuständen zu entfalten, wurde schon zugegeben. Wir können es nicht, weil wir nicht wissen, wie irgend eine Sub- stanz, irgend ein Ding es anfangt, sich im Sein zu erhalten, weil wir nicht wissen, wie so etwas wie Sein überhaupt gemacht wird. Indem wir aber den Ausdruck Substanz auf die Seele anwenden, wehren wir die Vorstellung ab, als wenn eine Vielheit irgendweicher physischer Realitäten, die an sich auch isoliert existieren könnten, nur tatsächlich und gleichsam hinterher den Zusammenhang gebildet hätten, den wir Seele nennen, drücken wir die Überzeugung aus, daß alle Psychosen, Vorstellungen, Gefühle, Empfindungen usw. Zu- stände eines einheitlichen, sie habenden Subjektes, der Seele, sind und nur als solche überhaupt Wirklichkeit haben können.

Was man sonst noch an Bedenken gegen die Anwendung des Substanzbegriffs auf die Seele vorzubringen pflegt, hat meiner An- sicht nach nicht Tiel auf sich. Wundt wendet ein, der Substanz- begriff erkläre hier nichts, während er auf dem Gebiete der körper- lichen Erscheinungen einen sehr brauchbaren und notwendigen em- pirischen Hilfsbegriff darstelle, und Paulsen stimmt ihm darin bei: vortrefflich habe Wundt gezeigt, wie in der Naturwissenschaft der Substanzbegrifif einen angebbaren Sinn habe, insofern hier alle Ver- änderungen auf den Wechsel in der Anordnung und Bewegung un- veränderlicher Substanzen Atome zurückgeführt werden, daß er aber, auf die Seele angewandt, das Wesen derselben zerstöre und die Seele garnicht in demselben Sinne Substanz genannt werden könne, wie das Atom.^) Versteht man unter Seelensubstanz das Faulsen- sche Wirklichkeitsklötzchen, so ist das richtig: in diesem Sinne wollen wir aber auch die Seele nicht Substanz nennen. Im übrigen aber ist sehr zu bestreiten, daß nicht dieselben oder ähnliche Gründe, welche den Substanzbegriff für die Naturwissenschaft notwendig

1) Wundt, OruDdzüge d. phys. Psych. S. 453, Syst d. Phil., 2. Aufl. S. 279f., insbes. 8. 293, 360f. usw., Paulsen, Einl. 2. Aufl. S. 134, 135 Anm., 6. Aufl. S. 135, 136.

Drittes £!apitel. Die Nachteile des Parallelismus. 335

machten, ihn auch für die Psychologie nötig machen. Daß der Be- griff für die Naturwissenschaft einen größeren Erklärungswert besitze, üs für die Oeisteswissenschaft, trifft nicht zu; erklären, wenn man unter dieser Bezeichnung das versteht, was die Naturwissenschaft darunter versteht, tut er hier im Grunde auch nichts. Ich wüßte nicht, in welcher naturwissenschaftlichen Erklärung der Begriff Sub- stanz (oder auch der der Materie) eine das Ergebnis beeinflussende Bolle spielte. Masse, Volumen, Dichtigkeit, Bewegung, Geschwindig- keit usw.: das sind die Begriffe, die, weil sie sich in angebbaren Größen ausdrücken lassen, für die Erklärung in Betracht kommen: der Substanzbegriff fügt dem, was diese Begriffe für die Erklärung leisten, nichts mehr hinzu. Der Begriff des Atoms aber ist mit dem der physischen Substanz nicht identisch. Wenn wir die Atome Sub- stanzen nennen, so mögen wir aus anderen guten Gründen dazu durchaus berechtigt sein: für die Zwecke der naturwissenschaftlichen Erklärung ist das aber unwesentlich. Faulsen selbst hebt durch das, was er S. 136 137 (6. Aufl. 137—139) über das Wesen der Materie hinzufügt, seine Wundt zustimmenden Bemerkungen über die Be- rechtigung des Substanzbegriffs auf physischem Gebiete wieder auf. Die Naturwissenschaft braucht zwar für ihre Zwecke irgendwelche »Einer«, die für sie letzte Elemente sind: ob aber diese Elemente wirkliche Einheiten, einheitliche Substanzen, oder ihrerseits wieder zusammengesetzt sind, kümmert sie nicht Auch Energien können schließlich nach Ostwalds und der modernen Energetiker Forderung dasjenige bilden, von dem die Naturwissenschaft ausgeht, um daran ihre Erklärungen zu knüpfen. Offenbar also liegt die Sache so, daß man sich nicht auf die größere Leistungsfähigkeit des Substanz- begriffes auf physischem Gebiete berufen darf, um ihn hier not- wendig, in der Psychologie aber überflüssig und bedenklich zu finden.

Andererseits leistet der Substanzbegriff auf psychischem Gebiete doch erheblich mehr, als man meint Schon Lotze und nach ihm Sigwart haben gegenüber dem Vorwurf der Unfruchtbarkeit des Begriffes für die Psychologie darauf hingewiesen, daß er der Psycho- logie jedenfalls den Dienst leiste, sie methodisch allererst möglich zu machen.^) In der Tat, müssen wir die substanzielle Einheit der Seele aufgeben, müssen wir in den Psychomen oder Psychosen selbst die selbständigen, d. h. substratlosen Träger des geistigen Geschehens be- trachten, so tritt ein Punkt, der und dessen Konsequenzen im

1) Lotze, Med. Psycho!., Lpz. 1852, 8. 10, Sigwart, Logik IL 2. Aufl. S. 543.

336 Erster Abschnitt. Der psychophysische Farallelismns.

nächsten Abschnitt noch näher zu würdigen sein werden unweiger- lich der physischen Atomistik auf materiellem Gebiet eine psychische Atomistik auf geistigem Gebiet zur Seite. Die gesamte geistige Wirk- lichkeit zersplittert in psychische Atome^ aus deren Kombinationen und Yerbindungen alle in unserer Erfahrung vorkommenden Phäno- mene des geistigen Lebens erklärt werden müssen. Auf dieser Grund- lage ist yielleicht eine universelle Konstruktion, Erklärung und Be- rechnung des geistigen Alls, des psychischen Kosmos, eine Art spirituelle Kosmologie möglich, nicht aber die Psychologie des indi- viduellen Bewußtseins, wie wir sie jetzt kennen und treiben, keine Seelenlehre. Die gelegentlichen Zusammenballungen einzelner Psychome zu komplexen Gruppen (Seelen) würden willkürlich, zufällig und vorübergehend erscheinen, die individuellen Seelen wären bloße Durchgangs-, nicht Ausgangspunkte der das Weltall erfüllenden psychischen Geschehnisse. Wie der Leib eine gelegentliche Zu- sammenhäufung physischer Atome, so wäre die Seele eine vorüber- gehende Zusammenhäufung psychischer Atome, die, fortwährend durch neue aus dem umgebenden geistigen Kosmos in sie eintretende Psychome ergänzt und ihrerseits unablässig solche an ihn abgebend, eine Weile sich wie ein Strudel im Strombett als ein scheinbar selbständiges und geschlossenes Ding erhält, um sich schließlich wieder in den allgemein psychischen Weltstoff aufzulösen. Die Psycho- logie ohne ipvxi^^ die subjektlose Psychologie sucht vergebens nach dem Grunde, der ihr selbst erst Existenzberechtigung verleihen soll: dieser kann nur in der Einheit und Geschlossenheit des Bewußtseins- subjekts gefunden werden, welcher der Substanzbegriff Ausdruck gibt Auch sonst aber dürfte das Postulat eines einheitlichen Seelen- subjekts doch nicht ganz so unnütz für die Psychologie sein, als die Anhänger der »Psychologie ohne i/n^ij« annehmen. Wir können nicht den gesamten umfang des psychischen Geschehens aus ein- fachsten psychischen Elementarvorgängen konstruieren, wir können nicht ein Phänomen, wie das räumliche Anschauen, aus elementaren Sensationen zusammensetzen, können nicht das logische Urteilen in bloße Associationen auflösen, nicht die logischen und ethischen Normen auf bloße Gepflogenheiten des psychischen Mechanismus redu- zieren: kurz wir können nicht mit den Mitteln der vorausgesetzten psychischen Atome und ihrer gesetzmäßigen Verknüpfung die ganze Psychologie bestreiten. Wo wir eine neue und höhere Form geistiger Betätigung nicht als die gesetzlich notwendige Folge der früheren und niederen Formen erkennen und aus ihnen ableiten können, sind

Drittes Kapitel. Bio Nachteile des Parallelismns. 337

wir genötigt, auf das einheitliche Seelensubjekt als den schöpferischen Grund zurückzugehen, der, indem er sie aus sich erzeugt, in ihr einen neuen eigenartigen Zug seines Wesens zum Ausdruck bringt. Wenn erst einmal die Hochflut der experimentellen psychologischen Forschung, die jetzt das kann bei aller Anerkennung ihres Wertes und ihrer Bedeutung doch wohl gesagt werden in etwas gar zu starkem Grade das Interesse absorbiert, zum Stillstand ge- kommen sein wird und dann bei nüchterner Betrachtung ihres Ge- samtergebnisses die Grenzen, welche der experimentellen Psychologie gesteckt sind, deutlicher heraustreten, als es zur Zeit der Fall ist, so wird, glaube ich, auch die Bedeutung, welche der Begriff der Seele als des einheitlichen Subjekts aller seelischen Tätigkeiten für die Psychologie hat, richtiger gewürdigt werden, als es augenblicklich geschieht

Indes, dieser ganze utilitaristische Gesichtspunkt steht hier im Grunde überhaupt nicht in Frage. Ob der Substanzbegriff für die Erklärung der speziellen Probleme der Naturwissenschaft einerseits und der Psychologie andererseits viel leistet oder nicht, entscheidet nichts über seine Notwendigkeit und Bichtigkoit. Es handelt sich hier durchaus um Fragen und Interessen prinzipieller, zum Teil metaphysischer Art^) Müssen wir aus allgemeinphilosophischen Gründen, um eine dem BedürGois logischer Klarheit entsprechende Vorstellung von der Natur des physischen und des psychischen Seins zu gewinnen, den Substanzbegriff zu Hilfe nehmen, oder tun wir besser, ihn beiseite zu lassen? und wenn man die Frage so stellt, sind die Yeranlassungen, welche zur Bildung des physischen und des psychischen Substanzbegriffs geführt haben, in der Tat genau dieselben, so daß der Substanzbegriff, wenn er auf dem einen Ge- biete gerechtfertigt ist, es zugleich auch auf dem anderen ist. In beiden Fällen ist es das Bedürfnis, letzte, einheitliche Träger aUes Geschehens zu haben, die Eigenschaften und Zustände, welche als selbständige nun einmal nicht gedacht werden können, an solche Träger anzuknüpfen und in deren Einheit den erklärenden Grund des Zusammenhangs und der wechselseitigen Abhängigkeit der Zu- stände zu sehen, welches zur Bildung des Substanz- und Ding- begriffs geführt und genötigt hat. Genau in derselben Weise, wie wir ein Atom eine Substanz nennen, nennen wir freilich die Seele nicht Substanz, aber bei aller Yerschiedenheit der beiden

1) Vgl. Külpe, Einl. S. 193.

Basse, Geist und Körper, Seele nnd Leib. 22

338 Erster Abschnitt Der psjchophysische Parallelismus.

Arten von Substanzen sind doch die allgemeinen Voraussetzungen, welche überhaupt den Substanzbegriff erforderlich machten, hier wie dort die selben, und es ist mir daher schlechterdings nicht verständ- lich, wie man mit Wundt die Berechtigung des Substanzbegriffs auf physischem Gebiete zugeben, auf psychischem dagegen verneinen kann.^)

1) Sagt doch auch Münster herg: »Je dentlicher wir einsehen, daß wir zu den psychischen Objekten durch dieselben logischen Operationen gelangen , die uns zu den physischen hinbringen, desto natürlicher wird die Erwartung sein, daß auch die Hilfsbegriffe nach demselben Schema zu bilden soienc (S. 388). »Freilich wäre es vorschnell, zu behaupten, daß die psychischen Objekte nicht dasselbe Anrecht auf die Ausbildung einer selbständigen Substanz hätten, wie die physischen« weil wir wohl Physisches ohne Psychisches , nicht aber umgekehrt Psychisches ohne Physisches denken können« (S. 389). Münsterberg lehnt aber den psychischen Substanzbegriff dennoch aus dem Grunde ab, weil auf psychischem Gebiet die Identität in der Kausalverknüpfung fehle, welche auf physischem Gebiet die Materie zom Beharrenden im Wechsel der Zustände mache. Daß es sich in dieser Hinsicht auf materiellem Gebiet nicht anders verhält, als auf geistigem, habe ich oben S. 187/188 gezeigt. Vgl. auch zu "Wundts Unterscheidung E. v. Hartman n, Gesch. d. Metaph. U S. 541. Die Behauptung Wundts (Syst. d. Phil. S. 361, vgl. S. 365) sodann, die Seele sei eine transcendente Idee, der Begriff der Materie aber ein hypothetisch -empirischer Begriff, trifft nicht zu. Auch der Begriff der Materie das hat Berkeley doch wohl gezeigt ist ein transcendenter Begriff.

In diesem Zusammenhange seien noch zwei andere £inwüi*fe kurz erwähnt Daß die Seele als ein mit dem Körper in Wechselwirkung stehendes, auf ihn einwirkendes Einzelwesen selbst eine räumliche Substanz sein müsse (Ebbinghaus a. a. 0. S. 23 25, 40), ist eine gänzlich unzutreffende Behauptung, die einfach auf der Voraussetzung beruht, physische Vorgänge könnten nur durch physische Ursachen bewirkt werden. Wenn also, schließt man nun, die Seele auf den Körper wirkt, so muß sie ein Physisches, Räumliches sein. Wer aber jenes Vor- mteil nicht teilt, wird auch nicht zugeben, daß ein geistiges Prinzip dadurch, daß es »gleichzeitig an verschiedenen Orten des Raumes in Konnex steht mit der übrigen Welt« und »durch räumliche Eingriffe an jenen Orten in seiner Existenz gefördert und gehemmt werden kann«, selbst zu einem räumlichen Wesen werde. Dazu gehört eben noch, daß es selbst von räumlicher Beschaffenheit sei, sich im Raum ausdehne und den von ihm eingenommenen Raum durch seine Masse auch aus- fülle, d. h. daß es ein Körper sei. Die Sonne ist nicht dadurch schon, daß sie auf alle Planeten einwirkt, ein räumliches Ding, sondern erst dadurch , daß sie selbst räumlich, eine raumerfüllende Masse ist.

Ebenso unrichtig ist die Behauptung, daß mit dem Spiritualismus die Forde- rung eines punktuellen Seelensitzes notwendig verknüpft sei (Jodl S. 73, Pauls en Einl. S. 140, 6. Aufl. S. 142). Die Forderung ist verschiedentlich von Spiritualisten erhoben worden, notwendig ist sie aber nicht; auch Lotze, der dieser Auf- fassung ursprünglich zuneigte, hat sie ja später nicht aufrecht erhalten, ohne des- halb seine sujbstanzialistische Psychologie aufzugeben. Fechners Polemik gegen- ihn (El. d. Psychoph. II. 2. Aufl. S. 392 f.) wird dadurch hinfällig. Ich verweise auch

Drittes Eapitel. Die Nachteile des Parallelismos. 339

Den besten Beweis aber für die Unmöglichkeit, ohne das Seelen- wesen in der Psychologie auszukommen, liefern die Anhänger der plura- listischen Psychologie selbst dadurch, daß sie dasselbe in der einen oder anderen Form, wenn auch ohne die Namen: Wesen, Substanz, zu gebrauchen, selbst festhalten. Denn was ist der einheitliche Wille, den Wundt und Paulsen im Gegensatz zur intellektua- listischen Psychologie als das eigentliche Wesen des Menschen und der Dinge überhaupt bezeichnen, anderes, als die seelische Sub- stanz, deren Äußerungen alle psychischen Vorgänge sind, in anderem Gewände? »Der reine Wille bleibt also ein transcendenter Seelen- begrüBf, den die empirische Psychologie als letzten Grund der Einheit der geistigen Vorgänge fordern . . . kann.«^) »Die ürtatsache jedes Seelenlebens ist ein konkreter, bestimmt gerichteter Wille. «^ Man wird, wenn man solche Sätze liest, nicht umhin können, mit Sig- wart zu finden, daß der Streit um die Seelensubstanz zum großen Teil ein bloßer Wortstreit ist^) Auf den Namen kommt es ja schließlich nicht an, in der Sache aber ist die Differenz zwischen der substanzialistischen und der pluralistischen Psychologie keines- wegs so groß, als er auf den ersten Blick scheint. Die Substanzia- listen halten an dem seelischen Einzelwesen, der Seele oder der seelischen Substanz fest, geben aber zu, daß dieselbe nicht hinter und neben allen ihren Zuständen noch als ein Fürsichseiendes existiert, die Pluralisten halten sich an das Mannigfaltige des seelischen Lebens selbst, geben aber zu, daß diese Mannigfaltigkeit doch auf einen einheit- lichen, sie zusammenfassenden Grund zurückgeführt werden muß, als welcher bei Wundt und Paulsen der Wille, bei Hartmann die auf

auf das, was ich schon an früherer Stelle über diesen Funkt bemerkt habe (S. 227 Anm. 3).

Eodlich noch: Wandt macht der substanzialistischen Psychologie den Yorwui-f, daß sie die wahre Aufgabe der psychologischen Foi*schung verfalsche, indem sie das Gegebene als Erscheinung eines davon verschiedenen Seins beti-achte (System d. Phil., 2. Aufl. S. 177). Ganz abgesehen davon, daß in diesem Vorwurf wieder die nicht zutreffende Voraussetzung des »Wirklichkeitsklötzchens« steckt: wie kann Wundt diesen Vorwurf erheben, der doch selbst aus den in der Erfahrung gegebenen komplexen Phänomenen auf die in der Erfahrung nicht gegebenen einfachen Grund- phänomene, auf den Trieb als Einheit von Empfindung und Wille (eine Annahme von überdies recht fragwürdigem Wert) , auf den einheitlichen Willen usw. schließt (Grundzüge S. 455 u. sonst)? Vgl. hierzu Külpe, Einl. S. 190, 192.

1) Wundt, System 2. Aufl. S.379.

2) Paulsen, Einl. 2. Aufl. S.123, 6. Aufl. S. 124.

3) Logikll, 2. Aufl. S. 205. VgLauch: Allen Vannerus, Z. Krit. d. Seelen- begr., Arch. f. syst. Phil.1. S. 377— 380, 393—394.

22*

340 Erster Abschnitt Der psychophysischo Paitdlelismos.

einen bestimmten Organismus gerichtete einheitliche Funktion des Absoluten erscheint. Sie wollen die Substanz nicht, beileibe nichts setzen aber an ihre Stelle etwas, das ihr zum Verwechseln ähnlich sieht Und noch in einer anderen Hinsicht bezeugen die pluralisti- schen Psychologen die Unentbehrlichkeit des Substanz- oder Wesens- begrifft Daß alle in der Wirklichkeit vorhandenen »Dinge« schließ- lich modi einer einzigen, sie alle umfossenden und in sich hegenden Substanz, Momente des Allgeistes sind, nehmen sowohl Wundt wie Paulsen an. :»Wir gelangen so zu einer letzten ontologischen Ein- heitsidee, über die schlechthin nur dies ausgesagt werden kann, daß sie als der letzte Grund alles Seins und Werdens überhaupt gedacht wird.«^) »So fuhrt die Tatsache der universellen Wechselwirkung, wenn man ihr nachgeht und die Begriffe zu Ende denkt, auf den Gedanken der Einheit der Wirklichkeit: es gibt nur ein einheit- liches Wesen mit einer einheitlichen und in sich zusammenstim- menden Betätigung; die einzelnen Dinge sind nur Momente seines Wesens, ihre durch Wechselwirkung bestimmten Betätigungen sind in Wirklichkeit Ausschnitte aus einer einheitlichen Selbstbewegung der Substanz.«') »Die Wirklichkeit ist ein einheitliches Wesen; die Einzeldinge haben nicht absolute Selbständigkeit, sie haben Dasein und Wesen in dem All -Einen, dem ens realissimum et perfectissi- mum^ dessen mehr oder minder selbständige Glieder sie sind. In Spinozas Formel: Die Wirklichkeit ist eine Substanz, die Dinge sind in ihr gesetzte Modifikationen ihres Wesens.«^) Aber warum macht man nicht hier gegen den Substanzbegriff dieselben Bedenken geltend, wie in der Psychologie, warum nicht auch hier die Polemik gegen den »hölzernen« Begriff, das »Wirklichkeitsklötzchen«? Warum sagt man nicht, die Welt ist eine auf nicht weiter angebbarer Weise im göttlichen Bewußtsein zu einer Einheit zusammengefaßte Viel- heit seelischer Erlebnisse: von einer Substanz, einem Allwesen wissen wir nichts? um so mehr, als das Analoge des Verhältnisses hier und dort von Paulsen ausdrücklich anerkannt und hervorgehoben wird: »Was aber das Verhältnis des Einzelgeistes zum AU -Geist anlangt, so würden wir es irgendwie zu fassen versuchen müssen nach dem Schema des Verhältnisses, in dem zum Einzelgeist seine einzelnen Momente stehen.«^) Der konsequente Parallelist darf auch nur einen

1) Wundt, System d. Phil. 2. Aufl. S.430, S.398.

2) Paulsen, Einl. 2. Aufl. S.223, 6. Aufl. S.225.

3) Ebendas. 2. Aufl. S.239, 6. Aufl. S.241, vgl. S. 136 bezw. 137.

4) Einl. S.248, 6. Aufl. S.250.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismtis. 341

pluralistischen Gottesbegriff anerkennen: Gott ist die zu einem »Gan- zen« vereinigte Summe aller in der Welt vorhandenen TJrbestandteile. Wenn man aber beim Weltgeist die substanzielle Einheit so ent- schieden betont, hat man kein Recht mehr, sie bei dem Einzelgeist abzulehnen und durch eine »auf nicht weiter angebbare Weise« zu einer Einheit zusammengefaßte Vielheit zu ersetzen, deren scheinbar genügende Einheitsform schließlich, wenn wir zu den höchsten und entscheidenden Voraussetzungen aufsteigen, doch der wahren und echten Form, der substanziellen Einheit, weichen muß.^)

Erwägt man dies alles, so wird man es doch sehr begreiflich finden, daß eine große Anzahl von Psychologen noch an dem sub- stanziellen SeelenbegrifF, dem Begriff eines seelischen Einzelwesens als Träger des psychischen Lebens festhalten, wird man es begreif- lich finden, daß auch ein so nüchterner Forscher wie James die ^Soul Th€ory<^ schließlich für diejenige erklärt, welcher die wenigsten Skrupel entgegenständen. » J confess, iherefore, that io posit a soul infhienced in some mysterious way by the brain-siates ajid respond- ing to them by conscious affections of its own, seetns to me the U7ie of hast logical resistance so far as we yet have aiiained.<ii^)

Das Ergebnis unserer Überlegungen ist, daß wir an dem Begriff eines einheitlichen Seelensubjekts, einer substanziellen Einheit fest- halten, die pluralistische Psychologie aber, weil sie der Tatsache der Einheit des Bewußtseins nicht gerecht werden kann, abweisen müssen. Ebenso klar aber, wie diese Notwendigkeit für uns, ist auch für den psychophysischen Parallelismus die Unmöglichkeit, eine substanzialistische Psychologie zu acceptieren. Der psychophy- sische Parallelismus kann keine andere als die pluralistische Psy- chologie anerkennen, er muß die Seele als eine Vielheit von Psy- chomen auffassen und muß versuchen , aus ihnen das seelische Leben und die Einheit desselben zusammenzusetzen. Diese Konsequenz ist unvermeidlich.^) Damit aber erweist sich der psychophysische Paral-

1) Aach Fe ebner hält an dem einheitlichen Weltgrunde fest Mit Recht aber hält Hartmann Fechner entgegen, daß er sieb nicht klar macht, daß nur unter der Voraussetzung der Einheitlichkeit des Wesens, die er in dem Weltgeist stillschweigend voraussetzt, auch die individuelle Bewußtseinseinheit möglich ist (Mod. Psych. S.282).

2) a. a. 0. S. 181.

3) Es entspricht diese Konsequenz der Unmöglichkeit, für die Einheit des Bewußtseins und die auf ihr beruhenden intellektuellen Operationen ein physisches Analogen zu finden, worüber ich oben S. 221— 229 das Nötige gesagt habe. Geht man you der Natur des Psychischen aus, so gelingt es nicht, das Physische ihm

342 Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelismus.

lelismus wiederum als eine Theorie, welche zu einer dieses mal psychologischen Konsequenz führt, die mit den Tatsachen in diesem Falle mit der tatsächlichen BeschaJGfenheit des geistigen Seins nicht in Obereinstimmung ist und nicht in Übereinstimmang damit zu bringen ist Und darin liegt nun wieder ein weiterer Nach- teil, welcher der parallelistischen Theorie anhaftet und sie für mich unannehmbar macht.

Die Einheit des Bewußtseins bildet aber nicht die einzigste psychische Tatsache, welcher der psychophysische Parallelismus in- folge der psychologischen Anschauung, zu der er genötigt ist, nicht gerecht zu werden vermag; noch in mehrfacher Hinsicht ist er ge- nötigt, das psychische Sein und Leben in einer gewaltsamen Weise zu konstruieren, welche mit der wahren Beschaffenheit desselben nicht im Einklang steht.

ß) Die psychologische Atomistik (Mind-Stuff- Theorie).

Wiederholt schon ist in den bisherigen Erörterungen darauf hin- gewiesen worden, daß, wenn das Prinzip des psychophysischen Paralle- lismus wirklich konsequent durchgeführt werden soll, der physischen Atomistik eine psychische Atomistik an die Seite treten muß. Nicht nur muß die substanzielle Einheit des Seelenwesens aufgelöst werden in eine Vielheit von Psychomen oder Psychosen, auch diese selbst müssen wieder in ihre letzten und primitivsten Urelemente aufgelöst, aus ihnen zusammengesetzt und erklärt werden. Es ist auf dem Standpunkte des psychophysischen Parallelismus ganz unzulässig, einem physischen Vorgang, der sich als ein komplexer, als ein aus vielen Einzelvor- gängen zusammengesetzter ausweist, einen einfachen, nicht weiter analysierbaren psychischen Vorgang, physischen, in eine Anzahl von XJrbestandteilen oder Atomen zerfallenden Gebilden schlechthin ein- fache, nicht weiter zerlegbare psychische Gebilde an die Seite zu stellen. Finden alle Eigentümlichkeiten des psychischen Seins ihren irgendwie beschaffenen physischen Ausdruck, ist der mwidus senst- hüls die durchweg getreue und vollständige objektive Darstellung des mundus intelligibilis^ so müssen wir auch durchweg berechtigt sein, aus der Art und Beschaffenheit des physischen Seins auf die Art und Beschaffenheit des psychischen Seins zu schließen, haben wir ein Recht zu erwarten, alle Unterscheidungen, die auf physischem

analog zu konstruieren, ohne es zu vergewaltigen; legt man die Beschaffenheit des Physischen seinem Parallelismas zu Grunde, so muß man das Psychische ver- gewaltigen, um es dem Physischen konform zu gestalten.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 343

Gebiet noch möglich sind, auch auf psychischem Gebiet in psy- chischer Form wiederzufinden. Tritt uns also auf physischem Gebiet eine Mannigfaltigkeit entgegen, die sich noch in Teile zerlegen läßt, ISO muß ihr auch auf psychischem Gebiet eine analoge, in Teile analysierbare Mannigfaltigkeit entsprechen, und der Psychologie er- wächst die Aufgabe, das komplexe psychische Phänomen ebenso in seine Teile zu zerlegen und aus ihr zusammenzusetzen, wie die Natur- wissenschaft das komplexe physische Phänomen in seine Teile zerlegt, es aus ihr zusammensetzt und erklärt.^) Die letzten, nicht weiter zer- legbaren Einheiten, zu denen man auf diese Weise gelangt, bilden dann gleichsam den geistigen StofT, aus dem alle Seelen zusammen- gewoben sind und welcher als der eigentliche Träger des geistigen Geschehens anzusehen ist Aus diesem Grunde hat James, der die Notwendigkeit dieser Auffassung als Eonsequenz der parallelistischen Theorie besonders nachdrücklich hervorgehoben hat,^) ihr den sehr passenden Namen der >Mind-StufF- Theorie« beigelegt. Daß sie in der Tat die unausweichliche Eonsequenz des parallelistischen Standpunktes bildet, ist ebenso unbestreitbar, wie, daß sie die psychologischen An- schauqngen zum Teil bedeutend beeinflußt hat Sie spukt in den psychologischen Theorien eines Spencers, Haeckels, Ziehens und Münsterbergs und auch Hartmanns. Sie gibt sich in der allge- meinen Sucht zu erkennen, über die Lot ze einmal klagt: unter Yer- zicht auf alles Unmittelbare alles zu konstruieren, allem eine verwickelte Maschinerie seines Entstehens und Daseins unterzulegen.^) Deutlich ausgesprochen finden wir die Forderung einer psychischen Atomistik bei Münsterberg. Das Endziel der psychologischen Analyse bildet eine Atomistik des Bewußtseinsinhaltes, für den, wie er hinzufügt, die Zeit freilich noch nicht gekommen ist (a. a. 0. S. 371): ». . . so würde die Substanz unseres gesamten Bewußtseinsinhaltes aus Ele- menten unerfahrbarer Art bestehen, welche sich zwischen TJnbe- merktheit und vollster Lebhaftigkeit bewegen und in jedem Lebhaftig- keitsstadium sich mit beliebigen anderen Elementen verbinden zu "Verbindungen, die unseren Empfindungen entsprechen« (S. 371). Durch Verschmelzung dieser IJrbestandteile entstehen die einfachen Empfindungen. Ebenso bemerkt Münsterberg S. 510/511, daß die objektive Psychologie nicht bei den komplexen Einheiten stehen bleiben könne, welche für die »wirklichen« Subjekte vorhanden sind,

1) Vgl Rickert, Sigw. Festschrift S. 70/71.

2) Pr. of Ps.I, S.löOf., 178 180; vgl. Masoi a. a. 0. S.45.

3) Mikrokosmus, 3. Aufl. S. 295.

344 Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelisnius.

sondern sie in ihre Elemente zerlegen müsse, deren physiologischen Substrate dann die einzelnen Zellen bilden.^) Aber diese psychische Atomistik verfälscht und vergewaltigt wiederum die Tatsachen des Bewußtseins. Mit vollem Becht hält James diese der Mind-Stuff- Theorie entgegen.*) Eine Wahrnehmung, eine Vorstellung, ein Ge- fühl, das im Bewußtsein als ein einheitliches auftritt, ist auch ein solches und kann nicht »an sich« eine Vielheit oder Mannigfaltig- keit sein. Mögen sich in den körperlichen Organen, im Sinnes- organe, Nerv und Gehirn die Eindrücke kombinieren und verschmelzen, summieren und differenzieren: das Endgebnis, das im Bewußtsein erscheint, ist nicht als eine Summation oder Verschmelzung so und so vieler in ihm ihrer Substanz nach enthaltener primitiver ürbestand- teile anzusehen, in das es sich zerlegen ließe. Der Inhalt einer Vorstel- lung kann vielfach sein, aber die Vorstellung eines Vielfachen ist nicht eine vielfache Vorstellung. Im Bewußtsein verschmelzen Blau imd Gelb nicht zu Grün, und in der Vorstellung des Grünen stecken nicht die Vorstellung des Blauen und des Gelben als die Bestandteile, aus denen sie gebildet wäre. Und auch wenn eine Anzahl unbewußter seelischer Prozesse zusammengewirkt haben, um eine bestimmte Vor- stellung zu ermöglichen: diese selbst würde auch in diesem Falle nicht die Summe oder die Resultante der zu ihrer Hervorbringung nötig gewesenen Prozesse sein, sondern etwas durchaus Einheitliches. Es ist ja auch ganz unmöglich, daß etwas eine Einheit, ein Ganzes und zu- gleich doch auch ein Zusammengesetztes sei, das sich in seine Be- standteile zerlegen läßt; nur der falsche, uneigentliche, laxe, von uns oben bekämpfte Begriff des Ganzen ist es, der auch hier wieder das Unmögliche als möglich erscheinen läßt

Die Undurchführbarkeit der Mind-Stuff- Theorie wird denn auch von Vertretern des psychophysischen Parallelismus selbst anerkannt So nimmt Wundt schöpferische Synthesen an, die nicht als Resul- tanten der Elementarprozesse selbst angesehen werden können, son* dem zu ihnen als ein Neues, in ihnen noch nicht Enthaltenes hin-

1) Fi-eilich soll andererseits nach S. 557 die psychophysische Atomistik mit dem physischen Atom nichts zu tun haben, da die physikalische Zerlegung in Atome keinen logischen Zusammenhang mit der Zerlegung des physiologischen Apparates in seine physiologischen Elemente hat. Dagegen ist nun aber doch zu bemerken, daß jedes physiologische Element schlieBlich aus Atomen besteht, eine Kombination yon solchen darstellt. Entsprechend mu£ daher auch das psychologische Parallelglied gestaltet sein, und so ergibt sich die psychische Atomistik allerdings als Farallelle zur physischen Atomistik.

2) a. a. 0. S. 156f.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Farallelismns. 345

zakommen, so erkennt Ebbinghaus in der Baamanschauung eine ursprüngliche, nicht aus einzelnen Empfindungsinhalten sich zusammen- setzende Funktion der Seele an und lehnt die dieser Annahme ent- gegenstehenden Yerschmelzungstheorien ab,^) und mit ihm ist Ziehen derselben Meinung.^) Ebenso bekämpft Biehl den »Hylozoismus« Haeckels und Nägelis, die zu jedem Atom eine seelische Innen- seite konstruieren und aus diesen psychischen Atomen das Bewußt- sein ebenso zusammensetzen, wie aus den physischen Atomen das Gehirn. »Während eine Mehrheit verbundener Atome immer nur eine äußere kollektive Einheit ergibt, ist jede Empfindung und jede Yer- knüpfung von Empfindungen die Funktion des Bewußtseins im Ganzen und in seiner Einheit «s) Aber so richtig das alles auch an und für sich ist, so unvereinbar sind derartige Ansichten doch nach meiner hierin sich schwerlich jemals ändernden Überzeugung mit dem psychophysiscben Farallelismus, der die Mind-Stuff- Theorie unausweichlich verlangt. Als eine an sich unmögliche, aus dem psychophysiscben Farallelismus aber mit logischer Notwendigkeit folgende Theorie bildet diese daher eine weitere Gegeninstanz gegen den letzteren selbst

y) Die mechanistische Psychologie (Associationspsychologie).

Müssen die psychischen Atome oder Urelemente als die eigent- lichen Substrate des psychischen Lebens angesehen werden, durch deren Zusammensetzung und Kombination alle im Bewußtsein auf- tretenden psychischen Gebilde entstehen und in deren gesetzmäßigem Zusammenwirken alles seelische Geschehen besteht, so muß nun auch dieses Zusammenwirken selbst und damit alles seelische Geschehen als ein rein mechanisches angesehen und konstruiert werden. Die mecha- nistische Auffassung des geistigen Lebens in allen seinen Erschei- nungen ist die einzige, die mit der pluralistischen Fsychologie und weiter mit dem psychophysiscben Farallelismus verträglich ist Wie wir in der Natur alles Geschehen auf ein gesetzmäßiges Zusammen- wirken der letzten Ausgangs- und Einheitspunkte alles Wirkens^ und, faUs dieses die Atome sind, auf eine Mechanik der Atome zu- rückzuführen versuchen müssen, so müssen wir in analoger Weise auch auf geistigem Gebiet alles Geschehen in eino Mechanik der Fsychosen auflösen; der psychophysische Farallelismus, konsequent

1) Grundzügel, S.415f., 431 f. Vgl. oben S.224.

2) a. a. 0. S. 57, 86, 94, 213.

3) Ph. Kr. S. 181.

346 Ecster Absohnitt. Der psychophysische Parallelismos.

durchgeführt, bedingt nicht nur einen Parallelismus der Bestandteile und Vorgänge, sondern auch einen solchen der Gesetze, welche sie beherrschen, und so muß auch das Gesetz der Erhaltung der Energie sein psychisches Analogen haben: den Umsetzungen von Energien auf physischem Gebiet auf der Grundlage eines sich unveränderlich gleich bleibenden Gesamtquantums von Energie müssen auf psychischem Gebiet Umwandlungen psychischer Wirkungsweisen auf gleich unver- änderlicher Grundlage entsprechen, wobei es gleichgültig ist, ob man die Bezeichnung »psychische Energie« anwendet oder nicht Jeden- falls ist jedes Wachstum geistiger Kraft, jedes Auftreten eines Neuen, das in den bereits vorhandenen Bestandteilen nicht bereits implicite enthalten wäre, auf dem Standpunkte des psychophysischen Faralle- lismus vollständig ausgeschlossen.^)

Der Forderung, die wir hier ganz allgemein für das gesamte Gebiet des geistigen Lebens erheben, hat man auf beschränkterem Gebiet schon früher durch die sogenannte Associationstheorie Genüge zu leisten versucht. Sie bildet demnach den Typus, das Vorbild, nach welchem auch die umfassendere mechanistische Kon- struktion des gesamten geistigen Lebens sich richten muß, und in diesem Sinne hat man nicht unrichtig den Gegensatz zwischen der mechanistischen Anschauung und den die Spontaneität der Seele in irgend einer Form anerkennenden Auffassungen als einen solchen der Associations- und der Apperceptionstheorie bezeichnet

Selbstverständlich können wir von den Associationisten zur Zeit nicht verlangen, den Grundgedanken, von welchem sie ausgehen, in allen Einzelfragen auch wirklich durchzuführen, uns auch mü- den ganzen, fast unübersehbaren Komplex psychischer Vorgänge, die ein individuelles Bewußtsein in einem bestimmten Zeitraum er- füllen, in einen Mechanismus von Urpsychosen aufzulösen und so zu erklären. Sie sind dazu natürlich genau so wenig im stände, als die Physiologen im stände sind, die Gehirnprozesse in ihre Ur- bestandteile zu zerlegen und die Mechanik der Gehimatome wirklich in concreto durchzuführen. Aber wir müssen von ihnen allerdings verlangen, daß sie uns wenigstens im allgemeinen plausibel machen, daß und wie sich der Grundgedanke mechanischer Association von

1) Vgl. hierzu Riehl, Ph. Kr. 11* S.211; Dubois-Reymond, 7 Welträtsel S. 95; Lotze, Mikvok. I S. 168 (3. Aufl.); A. Seth, Man^s Place in the Gosmos, Edinb. u. London, 1897, Artikel: The »uew« psychology aud automatism, S. 64 bis 128, bes. S. 79; Hartmann, Mod. Psych., S. 349, 358.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 347

Psychosen auf den einzelnen Gebieten des seelischen Lebens im Prinzip durchführen läßt, wie sich die Urteile und Schlüsse des lo- gischen Denkens, die ethischen, ästhetischen und religiösen Phäno- mene als Kombinationen und Associationen primitiver psychischer XJrelemente denken lassen. Die Möglichkeit, mit dem Prinzip der Association das gesamte Seelenleben zu erklären, muß wenigstens einleuchtend gemacht werden. In diesem Sinne müssen wir die psychische Erklärung, die cognitio circa r&tn^ die wir früher bei der Erörterung des Telegrammbeispiels von unserem Standpunkte aus mit Eecht ablehnten, von den Anhängern des psychophysischen Parallelismus allerdings fordern. Sie müssen uns, im Prinzip we- nigstens, die Verkettung der Psychosen, den Mechanismus begreiflich und annehmbar machen, durch welchen das seelische Ergebnis hervor- gerufen wurde, dessen körperliches Gegenstück die gewaltige motorische Entladung ist, welche den Tod des Körpers herbeiführt Und in ähnlicher Weise müssen sie uns auch sonst das Walten des von ihnen angenommenen psychischen Mechanismus als des eigentlichen und einzigen spiritus rector bei allen psychischen Vorgängen annehm- bar und wahrscheinlich machen. Versuche, dieser Forderung zu ge- nügen, sind denn auch gemacht worden, aber mit durchaus nega- tivem Erfolge. Sie haben nur dazu gedient, durch ihr Mißlingen die empirische Bestätigung für das zu geben, was eigentlich a priori feststehen müßte: die völlige Unmöglichkeit, das gesamte seelische Leben in eine Mechanik primitiver Urbestandteile aufzulösen. Daß es einen psychischen Mechanismus gibt und daß viele Vorgänge in unserer Seele nach den Gesetzen des psychischen Mechanismus vor sich gehen, kann freilich nicht geleugnet werden; nur über den Umfang dieses Mechanismus besteht Meinungsverschiedenheit zwischen uns und den Associationisten. Die Seele geht in dem psychischen Mechanismus nicht auf, sondern neben dem Walten desselben gibt es auch noch eine Spontaneität und schöpferische synthetische Kraft der Seele, durch welche sie in den psychischen Mechanismus ein- greifen und so Ergebnisse herbeiführen kann, die der letztere, sich selbst überlassen, nicht herbeigeführt haben würde. Eben das In- einander von psychischem Mechanismus und psychischer Spontaneität charakterisiert das seelische Leben auf den Stufen seiner Entwicklung, die uns am vertrautesten sind. Jener psychische Mechanismus ist nicht, wie die Gegner meinen, die Zwangsjacke, in welche die Seele von vornherein und vollständig eingeschnürt wäre, er ist vielmehr zum nicht geringen Teil, wie wiederum Wundt vortrefflich gezeigt

348 Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelisrans.

hat,^) ein Produkt der spontanen Tätigkeit der Seele selbst, bestimmt, sie zu entlasten, nicht aber sie zu vergewaltigen. Was ur- sprünglich durch spontane Willenstätigkeit hervorgebracht ward, wird allmählich, durch Übung und Gewohnheit, zu einer mecha- nischen Leistung, die sich dem psychischen Mechanismus angliedert und nun Baum läBt für höhere, die seelische Entwicklung weiter führende Betätigungen der seelischen Spontaneität. In dem höheren Geistesleben, wie es sich in den logischen, ethischen und ästhe- tischen Prozessen, Vorgängen und Zuständen manifestiert, herrscht eine Gesetzmäßigkeit eigener, von der eines bloßen psychischen Mechanismus sehr verschiedener Art, welche Freiheit und Sponta- neität nicht aus-, sondern einschließt, herrschen Gesetze, welche die Seele selbst sich gibt und welchen sie sich, sie anerkennend, unterwirft gegen welche sie aber auch verstoßen kann. Die Frage der Freiheit des Geistes ist nicht einfach eine Frage der Freiheit des Willens, sondern betrifft den ganzen Geist. Ihr eigentlicher Sinn ist, ob das gesamte geistige Leben sich in einen Mechanismus pri- mitiv-psychischer ürelemente auflösen und aus ihnen zusammen- setzen und konstruieren läßt, oder ob es auch noch eine geistige Spontaneität, eine aus sich selbst quellende schöpferische Aktualität und Freiheit gibt, von der die sogenannte Freiheit des Willens, so- fern sie vorhanden ist, einen Spezialfall bilden würde. Diese Freiheit, diese Spontaneität und Aktualität muß der Anhänger des Asso- ciationismus leugnen und die Leistungen, die uns ohne solche An- nahme nicht möglich erscheinen, als Ergebnisse des Wirkens des psychischen Mechanismus begreiflich machen. An der Tatsache dieser Spontaneität scheitern aber auch alle Versuche mechanistischer Kon- struktion des höheren Seelenlebens, die nur bei völliger Verkennung der Natur der betrefiTenden Phänomene überhaupt unternommen werden und nur mittelst gewaltsamer Umdeutung derselben den Schein des Gelingens erwecken konnten.

Man kann Theodor Ziehen die Anerkennung nicht versagen, daß er das Associationsprinzip, das er einmal zur Grundlage seiner gesamten psychologischen Betrachtung gemacht hat, auch mit größter Konsequenz fast durchweg als Erklärungsprinzip zu verwenden ver- sucht hat Dadurch hat er sich wider Willen ein großes Verdienst erworben, indem er sehr gegen seine eigene Absicht die ündurch- führbarkeit des Gedankens rein mechanistischer Konstruktion des ganzen

1) Syst. d. Phil. 2. Aufl. S.337f.

Diittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 34g

Seelenlebens klarer wie irgend ein anderer offenbar gemacht bat. Es kann natürlich nicht meine Absicht sein, alle auf Orund des Asso- ciationsprinzips von Ziehen in seinen in ihrer Art ganz vortreff- lichen Vorlesungen über physiologische Psychologie versuchten, zum Teil auch wohl gelungenen Erklärungen hier kritisch durchzugehen; ich beschränke mich auf einige die höheren intellektuellen Opera- tionen betreffende.

Das Yergleichen ist nach Ziehen lediglich Wirkung der Asso- ciation. »Als Kinder lernen wir sehr mühsam und langsam die Vor- stellung des , Größer' bilden«; die so gewonnene Vorstellung wird alsdann als Erinnerungsvorstellung in einem bestimmten Bindenbezirk niedergelegt und tritt dann bei Gelegenheit associativ zu anderen Vorstellungen hinzu.^) Aber wie kann das Kind ein Verständnis des Wortes »Größer« haben, wenn es nicht vergleichen kann, wenn es also nicht schon eben das zu leisten vermag, was nach Ziehen erst das Ergebnis der Association der Vorstellung »Größer« mit an- deren Vorstellungen sein soll? Ebenso mißlungen, wie dieser Ver- such ist der andere Versuch Ziehens, das Zustandekommen eines logischen Urteils auf dem Wege der Association zu erklären.^) Auch hier verkennt er die Natur des Prozesses, den er erklären will. Er irrt, wenn er in der Association der Vorstellungen »Rose«, »ist«, »schön« schon ein Urteil sieht Zu einem Urteil im logischen Sinne gehört mehr. Wer das Urteil: Die Böse ist schön, bildet, d. h. es mit vollem Bewußtsein seiner Bedeutung formuliert, legt das Schöne als eine Eigenschaft der Böse als dem Träger oder Substrat derselben bei, sagt es von ihr aus und verbindet mit dieser Aussage zugleich das Bewußtsein ihrer Wahrheit, ohne welches das Urteil kein wahres Urteil im logischen Sinne sein würde, das aber die Association ninmier in sich enthält Auch bei seiner Erklärung des Schließ ens muß Ziehen den logischen Zusammenhang, die logische Operation erst in einen bloßen Associationsvorgang (»Urteilsassociation« nach ihm) verwandeln, um ihn »erklären« zu können, was zur Folge hat, daß das eigentlich Logische der ganzen Operation durchaus zu kurz kommt Ziehen räumt das im Grunde auch ein, wenn er er- klärt, mit der logischen Seite der Urteile und den Kriterien der Wahrheit habe es die physiologische Psychologie ebensowenig wie mit dem Sittengesetz zu tun. Das aber läuft doch darauf hinaus, daß die physiologische Psychologie, unfähig, diese Dinge mit ihren

1) a. a. 0. S. 42.

2) S. 158— 163.

350 Erster Abschnitt Der psychophysische ParaUelismns.

Mitteln wirklich zu erklären, das Reich des höheren Seelenlebens einfach als ein Wander stehen läßt.^) Und daraus folgt wieder um- gekehrt, daß, wenn sie das Associationsprinzip konsequent auf dem gesamten Gebiete des geistigen Lebens durchfuhren will, die physio- logische Psychologie die logischen und ethischen Prozesse in einer Weise konstruieren muß, welche sie ihres eigentlichen Wesens völlig beraubt. 2)

Wie sehr das der Fall ist, zeigt die eigenartige Antinomie, in welche wir uns verwickeln, wenn wir einerseits das gesamte Seelenleben mechanistisch, in durchgehender Parallele zu den Gehirn- Prozessen, konstruieren, andererseits aber auch die logischen und ethischen Normen als maßgebende stehen lassen. Otto Liebmann hat sie in neuerer Zeit mit besonderem Nachdruck und in trefflich klarer Ausführung hervorgehoben. Wir wollen uns, indem wir im folgenden dieser Antinomie näher treten, auf das logische Moment beschränken.

Besteht zwischen physischem und psychischem Geschehen ein durchgängiger Parallelismus, so muß, wie bereits dargelegt, nicht nur der Mannigfaltigkeit physischer Urelemente, welche das Gehirn bildet, eine analoge Mannigfaltigkeit von Psychomen, welche die »Seele« bildet, entsprechen, sondern es muß auch die Gesetzlich- keit, welche die Beziehungen zwischen den letzteren regelt, durch- aus derjenigen analog sein, welche die Wirksamkeit der Atome be- herrscht.^) Nun ist diese letztere die physische; was in jedem Augen- blick im Gehirn vor sich geht, das wird durch physikalische und chemische Gesetze, kurz durch die Naturgesetze genau und ein- deutig bestimmt In genau analoger Weise muß also auch das einem bestimmten, naturgesetzlich notwendigen physischen Ergebnis a entsprechende psychische Parallelglied a durch die das psychische Geschehen beherrschende psychologische Gesetzlichkeit herbeigeführt werden. Demnach gilt die physische Gesetzmäßigkeit für die psychi- schen Vorgänge mit Das Physische ist ja nur die äußere Darstel- lungsweise desselben Realen, das, von innen betrachtet, sich als ein psychischer Zusammenhang zu erkennen gibt, die NaturgesetzUchkeit

1) Hartmann, Mod. Psych. S. 433.

2) Liebmann, Analys. d. Wirkl. S. 440, Rehmke; d. Seele d. Menschen S. 110.

3) Fechner, El. d. Psychophysik I, 1889, S. 39, 60. NachFechner würde das Gegenteil befremdend sein.

Drittes Kapitol. Die Nachteile des Parallelismos. 351

ist ja nur dieäuBere, sinnliche Erscheinungsweise dessen, was innerlich als logisches usw. Gesetz sich darstellt. Wir müssen demnach im stände sein, Yon der äußeren physischen Gesetzmäßigkeit aus die analoge psychologische zu erschließen. Ja, wir können die letztere auch ganzlich bei Seite lassen, da sie ja doch der Naturgesetzlichkeit so- zusagen auf Schritt und Tritt folgt und somit auf psychischem Gebiete nie etwas sich ereignen kann, das nicht, sofern wir auf seine äußere Erscheinungsweise sehen, zugleich auch durch die alles physische Geschehen beherrschenden Naturgesetze vollständig bestimmt und necesitiert wäre. In diesem Sinne kann man also sagen , daß unsere gesamte geistige Tätigkeit durch den Naturmechanismus völlig be- stimmt ist. Der Laplacesche Geist, der im Besitz einer vollständigen Erkenntnis sämtlicher ürbestandteile der physischen Welt und der sie beherrschenden Gesetze wäre, würde nicht nur im stände sein, die gesamte Entwicklung der physischen Welt bis ins kleinste voll- ständig zu berechnen, sondern würde, wenn er zugleich den Paral- lelismus des Körperlichen und Geistigen völlig durchschaute, aus seinen naturwissenschaftlichen Berechnungen auch ablesen können, was in jedem Augenblick in jedem einzelnen individuellen Geist ge- dacht und gefühlt wird. »Aller psychische Zusammenhang lände dann in der Tat nur in den parallelen Gehirnvorgängen seine eigent- liche Begründung und Notwendigkeit,« »die Notwendigkeit der psy- chischen Verbindung wäre . - - dann ... im Physischen verankert.«^) Natürlich würde schließlich dasselbe auch in umgekehrter Richtung gelten: aus der psychischen Gesetzmäßigkeit würde man auch die physische ablesen können. Die beiden Gesetzmäßigkeiten sind ja nur zwei verschiedene Ausdrucksweisen für eine und dieselbe absolute Gesetzmäßigkeit Läßt sich nun aber die logische Gesetzmäßigkeit in dieses Schema einspannen , läßt sie sich als ein Seitenstück zu einer physikalisch -chemischen Gesetzmäßigkeit denken, zu ihr in Parallele stellen? Wir glauben, daß wir uns in unserem Denken nach einer logischen Gesetzmäßigkeit, nach einer Gesetzmäßigkeit eigener Art richten, die etwas ganz anderes ist, als die chemikalisch- physikalische, welche das Naturgeschehen regiert Wir glauben , daß die logischen Gesetze und Segeln die Normen bilden, denen sich unser Denken unterwirfl, um seinen Zweck, die Wahrheit, zu erreichen. Wenn aber unser Denken mittelbar durch die die physiologischen Parallel-

1) Münsterberg, a. a. 0. S.89, 90, vgl. ferner S. 163, 209, 210, 415 bis 416. Vgl. Wentscher, Die psyohoph. Kaus. usw. S. 11, 111/112; Eiehl, Phil. Kr. II* S. 211; Seth a. a. 0. S. 89.

352 Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelismus.

prozesse im Gehirn beherrschenden physikalisch -chemischen Gesetze bestimmt wird, wenn auch in der Seele immer der Gedanke sich mit Notwendigkeit einstellen muß, der dem auf physischem Gebiet nach physikalisch -chemischen Gesetzen notwendigen Gehimvorgang entspricht, so können die beiden Gesetzlichkeiten unter umstanden einander durchkreuzen und nach physikalisch- chemischen Gesetzen ein Gedanke notwendig sein, der nach logischen Gesetzen un- möglich ist, und so kommen wir zu der Antinomie logischer und physischer Gesetzmäßigkeit und Notwendigkeit, welche Lieb mann uns so anschaulich geschildert hat. »Bezeichnen wir«, sagt Lieb- mann ^), »mit a, /?, /, d, £ eine im inviduellen Bewußtsein eines geistig gesunden Menschen zeitlich ablaufende Gedankenreihe, etwa eine einfache Schlußfolgerung, eine arithmetische Berechnung oder einen zuerst gedachten und dann als Behauptung ausgesprochenen Satz, mit a, b, c, d, e... aber die gleichzeitig im Gehirn dieses Menschen ablaufende materielle Zustandsreihe, den im Ganglien- und Fasemgeflecht der Himsubstanz vor sich gehenden Prozeß, Ton von welchem Glied für Glied jene Gedankenweise funktionell ab- hängt; so glauben wir laut dem Zeugnis der inneren Erfahrung, daß die Gedanken a, j3, y^ d, e in dieser, und nur in dieser Reihenfolge nach psychologischen Gesetzen der Ideenassociation, der direkten und indirekten Reproduktion, der Bewußtseinsenge usw., sowie nach logischen Gesetzen der Identität, des Widerspruchs, des zureichenden Grundes usw. verkettet werden. Die äußere Er- fahrung hingegen, oder richtiger die an ihr äußerstes Ziel gelangte Naturwissenschaft würde uns eines bessern belehren; sie würde näm- lich behaupten müssen, daß die Gedankenreihe a, /9, /, d, e , da sie vermöge des durchgängigen Parallelismus Glied für Glied von der Gehimzustandsreihe a, b, c, d, e eindeutig abhängt, nicht von den Gesetzen der Psychologie und Logik, sondern von den Gesetzen der chemischen Stoffverwandtschaft und von physikalischen Gesetzen der galvanischen Stromleitung, des Energiewechsels usw. verkettet, regiert und vom denkenden Menschen für wahr gehalten werde.«') Also müßte die Naturwissenschaft, ihre Erkenntnis als vollendet gedacht, die Gründe dafür angeben, weshalb ich den Satz 2x2 = 4 für wahr und den anderen 2x2 = 5 für falsch halte. Offenbar hängt das eine wie das andere von materiellen Ursachen ab.

» ' ^^^

1) Gedanken und Tatsachen, Straßburg 1899, 8.295.

2) Vgl. auch AnalysiB d. Wirkl., Kap. Gehirn u. Geist, a. a. 0. S. 543/544, sowie S. 439.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Panlielismus. 353

Bewegten sich die Gehimfasern etwas anders, so würde ich statt 2x2 »4 vielleicht 2x4 = 2 oder etwa statt des Satzes: Ich muB heute auf den Markt gehen, um Holz zu kaufen, denken: Ich muß heute aufs Holz gehen, um den Markt zu kaufen.^) »Hier sieht sich also«, folgert Liebmann, »der Verstand vor eine große, positive Antinomie gestellt Wenn wir . . . einen ganz strengen, eindeutigen Parallelismus des Physischen und des Psychischen voraussetzen, so geraten zwei toio genere verschiedene Gesetzesgebiete, nämlich die logisch-psychologische Gesetzlichkeit einerseits und die physikalisch- chemische Gesetzlichkeit andererseits, miteinander in die härteste Kollision.«^) In dieser Situation ist nun nach Liebmann nur zweierlei möglich: entweder man gibt die parallelistische Hypothese auf oder man nimmt an, daß die Natur das Gehirn als ein logisches Automaton geschafien hat, das stets so funktioniert, als ob die Ge- setze der Logik seine Tätigkeiten regierten.^) In seiner »Analysis der Wirklichkeit« sagt Lieb mann, daß er sich zu dem ersteren nicht entschließen könna Er hat diese Äußerung in den »Gedanken und Tatsachen« nicht wiederholt, ohne doch (vgl. S. 468) seine Über- zeugung deshalb geändert zu haben. Nun aber muß man sich, wenn man die Natur der von Liebmann so vorzüglich dargelegten Antinomie völlig erkannt hat, zur Aufgabe des psychophysischen Farallelismus, der sie zur Folge hat, allerdings entschließen, weil der andere Weg, die prästabilierte Harmonie von logischer und psycho - physischer kausaler Notwendigkeit, völlig ungangbar ist und zu einer Auffassung der Natur der logischen Notwendigkeit und des logischen Denkens führt, die beide im Grunde aufhebt Gomte nimmt eine der- artige Harmonie als ein Fundamentaldogma in Anspruch,^) Sigwart stellt es wenigstens als möglich hin, daß die Gehirn Vorgänge zugleich zweierlei Gesetzen entsprechen, den chemisch-physikalischen und den logischen Gesetzen, was denn so zu interpretieren wäre, daß die mecha- nischen Gesetze, nach denen die Gehirn prozesse erfolgen, zugleich durch die logischen, ästhetischen, ethischen Gesichtspunkte, die bei den parallelen psychischen Vorgängen eine Holle spielen, bedingt, Mittel zur Yerwirklichung derselben sind, daß also nach Leibnizischem Vorgang das Reich der Natur seine letzte Erklärung aus dem Reiche

1) Aoalysis d. Wirklichkeit S. 544.

2) GedaDken u. Tatsachen S. 295.

3) Analys. d. Wirkl. S. 552, Gedanken u. Tats. S. 296/297.

4) Polit. Pos. I, S. 441.

Basse, Qeist and Körper, Seele and Leib. 23

354 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismus.

der Gnade findet^) So meint es auch Liebmann: der Logos als ^natura naturans gestaltet die Wirklichkeit, die daher von vornherein auf das Logische sozusagen zugeschnitten ist: der Mechanismus ist selbst logisch bedingt, ein Mittel zur Realisierung dessen, was nach logischen Oesichtspunkten erforderlich und notwendig ist') In ähnlicher Weise äußert sich auch Jodl.^)

Aber ganz abgesehen davon, daß damit doch wieder das Logische, Oeistige als dasjenige gesetzt würde, das auf das Materielle bestimmend einwirkt und die das physische Geschehen beherrschenden Gesetze beeinflußt, was doch nach dem jede psychische Einwirkung aus- schließenden Parallelismus nicht gestattet sein kann: die Harmonie von physischer Kausalität und logischer Notwendigkeit läßt sich in der Form, in der sie hier proponiert wird, überhaupt nicht durch- fuhren. Der Mechanismus wird dadurch, daß er letzten Endes durch logische Gesichtspunkte bedingt ist, nicht selbst ein logischer: sondern bleibt, was er ist, ein mechanisch-kausaler Zusammenhang mit physikalischer Notwendigkeit Und diesem mechanisch-kausalen Zusammenhang, dieser Notwendigkeit muß auch das psychische Geschehen, muß also auch das logische Denken, auf auf das und sein Yerhältnis zu seiuen physiologischen Farallelvor- gängen ich mich hier beschränke, auf Sehritt und Tritt korrespondieren. Die einzelnen logischen Operationen fallen also jedenfalls nicht des- halb so aus, wie sie ausfallen, weil eine von physikalischer Not- wendigkeit zu unterscheidende eigentümliche logische Notwendigkeit den Leitstern bildet, dem das Denken in seiner Tätigkeit folgt, son- dern weil eine von logischer Notwendigkeit nichts wissende und sich um sie nicht kümmerde, als Ganzes letzten Endes vielleicht durch logische Gesichtspunkte hervorgerufene physische Notwendigkeit die Aufeinanderfolge der Vorstellungen und Gedanken beherrscht und das Endergebnis erzwingt. Letzteres sieht nur so aus, als ob es durch logische Gesichtspunkte beeinflußt wäre; in WiiHklichkeit haben diese einen unmittelbaren Einfluß auf seine GFestaltung gamicht ausüben können, sondern die kausale Notwendigkeit, welche die Ge- hirnprozesse und damit indirekt auch die psychischen Yorgänge be- herrscht, hat es einzig und allein bewirkt Wären nun die Natur-

1) Logik 2. Aufl. S. 537, 538.

2) Analysis S. 544f. Vgl. ferner Laßwitz, Gustav Th. Fechner, 1896, S. 168.

3) a.a.O. S. 86. Vortrefflich sagt dagegen Schuppe (D. Zusammenh. v. L. u. 8. S. 21): »Was kann man nicht alles annehmen, wenn man ein Dogma retten willl«

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 355

gesetze von vornherein so eingerichtet, daß sie das, was nach logischen Gesichtspunkten, wenn dieselben maßgebend wären, gedacht werden müßte, auch zuwege bringen, so müßten sie dieses Ergebnis auch immer zeitigen. Irrtum wäre dann unmöglich, er würde ein Versagen der Naturgesetze, ein Fehlschlagen naturgesetzlicher Not- wendigkeit bedeuten. Andererseits würden wir aber auch in dem Denken, welches sein nach logischen Gesichtspunkten richtiges und notwendiges Ziel in der auf parallelistischem Standpunkt notwendig anzunehmenden Weise, durch einen psjchomechanischen Zwang als durch eine vis a tergo gestoßen, erreicht, das nicht wieder er- kennen können, was nach dem Zeugnis unserer unmittelbaren Er- fahrung unser Denken in Wirklichkeit ist. Wir würden, wenn wir in dieser Weise denken, zwar mit Notwendigkeit denken, aber nicht das, was wir denken, als notwendig denken. Wir würden an eine Vorstellung a, welche der psychophysische Mechanismus herbeiführt, mit Notwendigkeit die Vorstellung b knüpfen, aber nicht die Ein- sicht gewinnen, daß der Inhalt der Vorstellung b aus dem von a notwendig folgt, daß eine logisch und objektiv notwendige Beziehung zwischen beiden besteht. Also nicht die Einsicht in die Not- wendigkeit des Zusammenhanges von a und b wäre der Grund, der uns veranlaßt, an a 6 zu knüpfen, sondern ein blinder, von dieser Notwendigkeit nichts wissender psychomechanischer Zwang, dem wir unterworfen sind, nötigte uns dazu. Und auch wenn dieser psychomechanische Zwang, welcher an die Vorstellung von a die- jenige von b knüpft, zugleich die Einsicht, daß b die logisch not- wendige Folge von a ist, knüpfte, so wäre es doch auch in diesem Falle nicht die logische Gesetzmäßigkeit, welche, auf das Denken zurückwirkend und sein Tun beeinflussend, die Vorstellungsver- knüpfong bestimmte: vielmehr hätte der blinde psychische Mecha- nismus den Gedanken oder ist es nicht richtiger zu sagen: die Einbildung? einer logischen Gesetzmäßigkeit hervorgebracht Das Denken würde auf diese Weise ganz und gar auf das Niveau der sinnlichen Wahrnehmung herabgedrückt, deren Inhalte auch durch psychophysische kausale Notwendigkeit erzeugt werden und aufeinander folgen, und die auch dadurch, daß vielleicht das Gkmze des Weltmechanismus, von dem sie abhängen, letzten Endes eine logische Grundlage hat, nicht selbst logisch und durch logische Gesichtspunkte determiniert werden. Schließlich ist aber auch die Annahme selbst, daß der Weltmechanismus auf geistig-logischen

Prämissen beruhe und teleologisch zu interpretieren sei, mit dem

23*

356 Erster Abschnitt. Der psychophysische ParallelismuB.

psychophysischen Parallelismus garnicht vereinbar. Denn dieser, der auf physischem Gebiet nur physische Gesetzlichkeit und physische Ursachen anerkennen kann, muß die Kette der physischen Ursachen sich endlos ausdehnen lassen. Ins Unendliche hinein stoßen wir immer wieder auf physische Ursachen physischer Vorgänge, auf physische Kausalität und physische Gesetzlichkeit, nie aber auf die logischen Faktoren, welche Bau und Funktionieren des gesamten Apparates bestimmen und ihm die Richtung anweisen sollen. Der endlosen Kette der physischen Ursachen entspricht eine gleich end- lose Kette psychischer Ursachen, das gesamte geistige Universum löst sich in eine unübersehbare Mannigfaltigkeit psychischer Ur- demente auf, die in endloser Weise sich nach den den physischen Gesetzen parallel gehenden Gesetzen des psychischen Mechanismus miteinander verknüpfen und kombinieren und dadurch das hervor- bringen, was wir geistiges Sein, geistiges Leben und geistige Ent- wicklung nennen. Eine logische Gesetzmäßigkeit, welche gleichsam über dem Ganzen, es bestimmend, schwebte, aber nicht selbst ein in ihm und durch es Gewirktes wäre, hat in diesem Weltbild keinen Platz. Wollten wir an die Spitze der ganzen nach psychomecha- nischen Gesetzen verlaufenden Entwicklung die logische Idee setzen, so würden wir, da ja doch alles Geistige sein Analogen in der physischen Welt haben muß, nach dem physischen Parallelglied dieser logischen Idee fragen müssen. Dieses würde nun keine logische Idee, sondern nur ein allem übrigen gleichartiger physischer, nach mechanischen Gesetzen vor sich gehender Prozeß sein können. Und so hätten wir die Antinomie, die wir durch die an den Anfang gesetzte logische Idee beseitigen wollten, in eben diesem Anfangsgliede wieder: ein nach mechanischen Gesetzen verlaufender physischer Prozeß, der aber zugleich einer logischen Idee, einer logischen Gesetzlichkeit unter- worfen und konform sein soll, ohne daß man begreift, wie er das tun und zugleich seinen mechanisch -physischen Charakter beibehalten kann. Die logische Idee müßte ihm wieder vorangestellt werden, und die Antinomie würde sich wieder erneuern, und so ins Unend- liche fort. Ist aber das physische Gegenstück der »logischen Idee« ein physischer, nach mechanischen, ihn völlig eindeutig bestimmenden Gesetzen ablaufender Prozeß, so muß auch das psychische Parallel- glied ein analoger, nach analogen Gesetzen ablaufender Prozeß sein. Die »logische Idee« entpuppt sich als eine Mechanik von Psychomen, von der auch wieder behauptet wird, daß sie zugleich durch lo- gische Gesichtspunkte determiniert sei, ohne daß uns begreiflich

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 357

gemacht wird, wie das möglich ist, wie etwas zugleich mechanisch necessitiert und determiniert sein und zugleich durch eine von mecha- nischer Gesetzmäßigkeit unabhängige logische Gesetzmäßigkeit be- einflußt werden kann. Wir haben keine andere Wahl, als uns für das eine oder das andere gleich verderbliche Glied der Alter native zu entscheiden. Entweder die logische Gesetzmäßigkeit ist auf der psychischeft Seite vorhanden: dann gibt es zu ihr kein physisches Gegenstück und der psychophysische Parallelismus geht in Stücke. Oder der Parallelismus von physischer und psy- chischer Gesetzmäßigkeit besteht: dann kann die logische Gesetz- mäßigkeit nicht das sein, was sie tatsächlich ist, und das Denken nicht in der Weise regieren, in der sie es tatsächlich regiert, dann löst sie sich in eine der physischen analoge psychomechanische Gesetz- lichkeit auf.i) Teriium non dafür.

Also dieser Versuch, die Antinomie durch eine auf der logischen Grundlage der ganzen Welt ruhende urvorweltliche prästabilierte Har- monie von physischer und psychischer Notwendigkeit zu beseitigen, schlägt notwendig fehl.

Wird nun aber der physische Mechanismus aus den Fesseln der logischen Idee völlig befreit und ganz auf seine eigenen Füße gestellt, so fallt auch jeder Grund fort, anzunehmen, daß dieser Mechanismus bezw. sein psychisches Analogen immer das wirklich erzeugt, was nach logischen Gesetzen erfolgen muß, so daß es den Anschein hat, als ob es nach solchen erfolgte; so verlieren die logischen Gesetze tatsächlich jede Herrschaft über das Denken, das, allen Zufällig- keiten — im logischen Sinne ist ja alles nicht logisch Notwendige zufällig des physiopsychischen Mechanismus preisgegeben, in jedem Augenblick das tun muß, was dieser verlangt, mag es den Anfor- derungen logischer Gesetzlichkeit und logischer Richtigkeit ent- sprechen oder nicht Wenn ein paar Atome im Gehirn, durch irgendwelche physische Umstände veranlaßt, sich verschieben, so würden wir wirklich statt 2x2 ■= 4 denken: 2x4 = 2 und würden dies jetzt für ebenso richtig halten, als im anderen Falle die erste

1) Alsdann wäre aber auch die Ziehen sehe AufTassung des Logischen selbst nicht etwa eine durch logische Argumente begründete, sondern eine zufällige, durch die Art und Weise, wie sich nun einmal in Ziehens Gehirn die nervösen Prozesse zusammenfügten, bestimmte Ansicht, die vor anderen, in anderen Gehirnen auf andere, für diese gleich notwendige Weise entstandenen in Bezug auf Wahrheit und Richtigkeit schlechterdings nichts voraus hätte. Die mechanistische Ansicht führt notwendig zur Sophistik und Skeptik.

358 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismus.

Gleichung. Ja, selbst die Einsicht in die Notwendigkeit, daß 2x2 » 4 und die Erkenntnis der Unmöglichkeit, daß 2x4 = 2, würde uns nicht abhalten können, unter Umständen das letztere für richtig zu halten, denn es ist nicht gesagt, daß der psychische Mechanismus an die Einsicht in die Unmöglichkeit des Satzes auch die für das vernünftige Denken freilich unabweisbare Folge, ihn zu verwerfen, knüpft; er könnte auch an ihn den andern, ihn anzunehmen, knüpfen. Denn daß 2x4 » 2 zugleich falsch und richtig ist, ist freilich ein logischer Widerspruch und daher unmöglich, daß aber der Gedanke: 2x4 = 2 ist falsch, und der andere, es ist richtig, hintereinander im Bewußtsein vorhanden sind, ist kein logischer Widerspruch und daher nicht unmöglich; der psychische Mechanismus könnte daher den einen mit dem andern in kausal -notwendiger Weise verknüpfen. Und so könnte denn wirklich ein Gedanke nach den G^etzen des psy- chischen Mechanismus notwendig sein, der nach logischen Gesetzen unmöglich ist, ohne daB doch die logische Gesetzmäßigkeit das Un- mögliche hindern könnte^ sich als ein Notwendiges zu gebärden.

So nun, wie es hiemach erscheint, ist indessen unser Denken in Wirklichkeit nicht Wir sind uns bewußt, einer logischen Not- wendigkeit gegenüberzustehen, die wir erkennen und anerkennen, der wir uns, weil wir sie anerkennen, frei unterwerfen und der wir einen bestimmenden Einfluß auf unser Denken einräumen. Und diese logische Gesetzmäßigkeit und Notwendigkeit ist von physischer Not- wendigkeit, wie auch von psychomechanischem Zwang durchaas ver- schieden. Durch diesen seinen autonomen Charakter unterscheidet sich das Denken von dem Zwang, dem unsere sinnliche Wahr- nehmung unterworfen ist, unterscheidet sich ein logisches Urteil von einer bloßen Association. Diesen Unterschied verkennt, wer das logische Denken auf bloße Yorstellungsassociationen zurückzuführen versucht, diesen Unterschied muß ignorieren, wer, die Eonsequenzen des psychophysischen Parallelismus ziehend, das psychische (Gre- schoben in jeder Hinsicht als das innere Seitenstück zu dem phy- sischen Geschehen im Gehirn und die das erstere beherrschende Gesetzlichkeit durchweg als Analogen der physischen Gesetzlichkeit ansieht Das heißt: er muß, um den Parallelismus durchzuführen, das psychische Leben in seinen wichtigsten und wertvollsten Be- tätigungen vergewaltigen, das logisch Denken seiner eigentlichen Natur und Beschaffenheit entkleiden.^) Ich habe mich auf den Konflikt

1) Vgl. Sigwart Logik U* 2. Aufl. S.541, ßeinke a.a.O. S. 200.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 359

des psychophysischen Parallelismus mit der Eigenart und dem Wesen des logischen Denkens beschränkt; es ist nicht nötig und würde zu weit fähren, zu zeigen, wie der Parallelismus ebenso in Konflikt gerät mit den Anforderungen des ethischen Lebens, der ethischen Autonomie, Freiheit und Selbständigkeit der Seele. ^)

Die Antinomie ist auf parallelistischem und associationistischem Boden unlösbar. Man muß entweder die Selbständigkeit des Lo- gischen oder den ParalleUsmus aufgeben. Wenn Liebmann, der sich zu dem letzteren nicht entschließen kann, die entgegengesetzte

1) Ygl. zu dem über den Konflikt der Associationspsychologie mit der Logik Gesagten mein Bach: Philosophie und Erkenntnistheorie S. 54 63. Rickert wiU die Antinomie zwischen logischer und physikalischer Gesetzlichkeit deshalb nicht als Instanz gegen den Parallelismus gelten lassen, weil die Frage, wie Normen mit Naturgesetzen zusammenhängen, eine allgemeine sei imd der Parallelismus nur Parallelität zwischen physischen und psychischen Naturgesetzen verlange (Sigwart- Festschrift S. 68/69). Aber der Parallelismus muß noch mehr verlangen; er muß voraussetzen, daß die psychischen Naturgesetze mit den logischen Normen durch- aus vereinbar seien. Wer aber auf dem Standpunkt steht, daß das logische Denken eine ganz eigene, durch die Associationspsychologie garnicht begreifbare Tätigkeit der Seele darstellt, wird auch die Lieb mann sehe Antinomie dem Paralle- lismus mit Becht entgegenhalten. Vgl. zu dieser Antinomie noch Erhardt, Schrift üb. Wechselwü-kung S. 129— 130, 139—141; Wentscher, Schrift S.76, 77, 87, 8^, 111/112. Beide halten an der Selbständigkeit des Logischen fest und lehnen die Ausdehnung des psych. Mechanismus auch auf die Logik ab. Ebenso Gut- beriet a. a. 0. S. 77/78, 'Reinke a. a. 0. S. 200, Hermann, Lehrb. d. Physio- logie, 12. Aufl. 1900, S. 456, v. Hart mann, Weltansch. d. mod. Physik, Leipzig 1902, S. 224. K. Laßwitz gibt (WirkHchkeiten, Berlin 1900, S. 117/118) für die spinozistisch- monistische Form des Pai*allelismus zu, »daß dann die Erkenntnis als ein empirischer und psychologischer Prozeß an die kosmische oder metaphysische Ord- nung gebunden ist, die vor aller Erfahrung feststeht.« > Dann ist nicht nur das indivi- duelle Bewußtsein, das empirische Einzel -Ich, der Naturordnung unterworfen —was ja als richtig zuzugeben ist , sondern es gibt für das Bewußtsein überhaupt nur die Möglichlichkeit sich unter der Notwendigkeit jener Bestimmungen zu entfalten«, wo- mit denn Ethik, Ästhetik und Religion zu bloßen Naturprodukten herabgesetzt und ebenso wie die weltschöpferische Idee zu Illusionen gemacht werden. Laß witz meint aber, daß der kritische Monismus und Parallelismus diese Eonsequenzen vermeide. Daß das nicht der Fall ist, sondern die Sache sich auch, wenn wir die kritische oder idealistische Fassung des Parallelismus zu Grunde legen, genau in gleicher Weise verhält, daß alsdann auch nur ein Bewußtsein angenommen werden kann, das der Form seiner physischen Erscheinung analog gestaltet ist, haben meine Aufl* führungen im Text, wie ich glaube, gezeigt. Auf der anderen Seite hat SpauU ding die Bedeutung der Antinomie und ihre Konsequenz: die Ausschaltung der logischen Gesetzlichkeit, überhaupt nicht erkannt; daher erblickt er gar keine Schwierigkeit in dem Gedanken, daß das Denken durchaus physiologisch bestimmt sei und die chemisch -physikalischen Prozesse in unserem Gehirn rechnen, schließen, addieren und integrieren (a. a. 0. S. 105). -

360 Erster Abschnitt. Der psycliophysische Parallelismns.

Alternative mit den Worten charakterisiert: >Dann . . . wird aus- drücklich erklärt, daß die Naturwissenschaft nur bis zur Aufhellung des Gehirnlebens heranreiche, gegenüber der darüber schwebenden menschlichen Yernunft aber^ als einem der Naturgesetzlichkeit ent- hobenen Etwas, inkompetent sei«,^) so unterschreibe ich diesen Satz nicht nur, sondern dehne seinen Inhalt auch noch auf die Asso- ciationspsychologie aus, die dem logischen Denken gerecht zu werden nicht im stände ist.

Die Unzulänglichkeit der Associationspsjchologie ist auch den Anhängern des psychophysischen Farallelismus, welche zugleich phi- losophisch geschult waren, nicht entgangen. Wundt ist hier an erster linie als Oegner der Associationstheorie zu nennen, der er die Apperceptionstheorie entgegenstellt. Nach ihm können die höheren psychischen Tätigkeiten nicht einfach aus den niederen abgeleitet und so das gesamte geistige Geschehen in einen öden Mechanismus verwandelt werden. Es gibt eine Spontaneität des Geistes, eine eigene psychische Kausalität, es gibt schöpferische Synthesen, welche Neues, in den vorhandenen Elementen noch nicht Enthaltenes diesen hinzu- fügen, ein Wachstum geistiger Energie, einen in den Mechanismus der y orstellungen eingreifenden, in der Aufmerksamkeit (Apperception) sich bekundenden Willen.^) Mit dem Grundgedanken der Wundtschen Aufstellungen, der Verwerfung der ausschließlichen Herrschaft des Mechanismus im Geistigen und der Annahme einer geistigen Spon- taneität, bin ich durchaus einverstanden. Aber, füge ich hinzu, er ist mit dem psychophysischen Parallelismus unvereinbar. Wer sich solcher psychologischen Auffassung zuneigt, kann nicht zugleich Farallelist sein; der psychophysische Farallelismus fordert zweifellos die rücksichtslose und allseitige Durchführung der mechanistischen Auffassung, die völlige Atomisierung und Mechanisierung des ge- samten seelischen Lebens. Mit vollem Recht behauptet daher Münsterberg, daß der Versuch, eine psychische Kausalität von besonderer Art anzunehmen und darauf die Apperception zu gründen, den Versuch bedeute, eine Bresche in das System des Farallelismus 2u legen, daß, wenn die Forderung einer psychischen Synthese und einer schöpferischen psychischen Energie auftritt, der ganze Aufbau

1) OedaDken u. Tatsachen S. 296.

2) Mau vgl. das System d. Phil., 8. 3341, den Artikel über psychische Eaiis. phil. Studien Bd. X, und seine ührigen Schriften.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 361

einer parallelistischen Psychophysik zu einer bloßen Theorie der Wahrnehmungselemente herabsinkt.^) »Hat die Apperceptionstheorie recht, so ist die Psychophysik verurteilt, für alle Zeiten so un- endlich weit von dem Ziel, das sie sich gesteckt, zurückzubleiben, daß es für sie kaum einen nennenswerten logischen Wert hat, über- haupt an die Arbeit zu gehen.« »Die Apperceptionstheorie spielt in der Psychologie dieselbe Rolle, welche in der Naturwissenschaft der Vitalisraus spielt« Der Parallelist kann nur Associationist sein.*) »Zu uns muß sich schlagen«, ruft ein anderer Anhänger der Asso- ciationspsychologie triumphierend, aber mit zweifelloser Berechtigung aus, »wer immer mit dem Parallelismus zwischen Leib und Seele Ernst macht;«^) »jeder Versuch«, sagt auch E. v. Hartmann, »auf Grundlage der Physiologie die bloße Associationspsychologie durch eine Apperceptionspsychologie zu überwinden, muß in sich scheitern,«*) Wachstum geistiger Energie ist auf Wundtschem parallelistischen Standpunkt unmöglich.*)

Damit ist zugleich auch ausgesprochen, daß der Voluntaris- mus, welchen Wundt und Paulsen in der Psychologie vertreten, mit dem psychophysischen Parallelismus völlig unverträglich ist. Wer auf dem Boden des letzteren steht, kann überhaupt keinen Willen anerkennen. Er muß versuchen, die psychischen Vorgänge als eine mechanische, d. h. von mechanischen Gesetzen beherrschte Aufein- anderfolge von mehr oder weniger gefühlsbetonten Empfindungs- und Vorstellungsinhalten aufzufassen. Eine Kraft, einen Willen, der dies ganze Spiel unterhielte und produzierte, kann es auf diesem Stand- punkte nicht geben. Wenn daher die Ziehen und Münsterberg die Elimination des Willens fordern, wenn sie ihn in eine Kette von Vorstellungen und Empfindungen auflösen, so haben sie damit von ihrem Standpunkt aus zweifellos recht, vertreten sie den konse- quenten Parallelismus gegenüber den anderen, die mit ihm mit demselben unvereinbare Annahmen verbinden. »Streng genommen

1) a. a. 0. S. 437— 443. Königs Verteidigung Wundts (Zeitschr. f. Phil, u. phil. Er. Bd. 115 S. 169): sein Parallelismas werde durch die AnÜDomie nicht berührt, da er nur den Empfindungen ein physisches Korrelat gebe, ist daher ver- fehlt. Das heißt den Teufel durch Beelzebub austreiben.

2) S.452, 463, 456.

3) Dr. J. Schultz, Briefe über genetische Philosophie, "Wiss. Beil. z. Jahres- bericht des Sophien -Beal-Gymn. zu Berlin, Ostern 1802, S. 13.

4) Med. Psych. S. 434.

5) Edb. S.541. Vgl. auch Rickert, Sigwart-Festschr. 8.70/71, Reinke a. a. 0. S. 569.

362 Erster Abschnitt. Der psychophysisohe Parallelismus.

motorische Elemente existieren in unserem psychischen Leben nicht, alles ist entweder Empfindung oder Erinnerungsbild.« >Was wir Willen nennen, wird sich bei genauerer Analyse im wesentlichen auf jene die Association und die Handlung begleitenden Spannungs- empfindungen reduzieren.«^) Alle Vorgänge in diesem empirischen Ich müssen nun, soweit sie psychologisch mitteübar sein sollen, fixier- bare Yorstellungselemente sein. Der Wille löst sich in Elemente möglicher Yorstellungen auf, es ist klar, daß, wenn die psychologische Analyse ihr Ziel erreicht, »in den vieltausend Elementen der Willens- leistung sich doch unmöglich ein Bestandteil finden ließe, der nicht prinzipiell Yorstellungselement ist«') »Würde irgend ein geistiger Vorgang nicht aus möglichen Vorstellungselementen bestehen, so würde für ihn die erkenntnistheoretische Basis der psychologischen Beziehung fehlen.« 8)

In der Tat, so liegt die Sache. Der psychophysisohe Paralle- lismus kann, ohne sich selbst zu verleugnen, keine andere psycho- logische Theorie anerkennen, als die mechanistisch -associanistische, welche das Seelenleben in ein Spiel psychischer Atome auflöst. Auf dem Boden des Parallelismus müssen die Associationisten notge- drungen über ihre Gegner triumphieren, denn auf ihrer Seite allein ist die logische Konsequenz und Folgerichtigkeit, sie allein vertreten den wahren und unverfälschten Parallelismus. Es ist auch hier ganz ausgeschlossen, der psychologischen Konsequenz des Parallelismus durch die Betonung der idealistisch -spiritualistischen Metaphysik, weldie man etwa mit ihm verbindet, ausweichen zu wollen. Mag auch die wirkliche Welt geistiger Art und die körperliche Welt lediglich Er- scheinung der geistigen sein: wenn, wie der Parallelismus behauptet und fordert, alles Psychische irgendwie auch ein physisches Analogen haben muß, wenn der physische Kosmos die adäquate, die Natur der- selben in seiner Weise völlig wiedergebende , vollständige, nichts aus- lassende Erscheinung der geistigen Wirklichkeit ist, so muß, wenn

1) Ziehen, a.a.O. S. 19, 20.

2) Münsterberg, a.a.O. S. 351— 358; vgl. weiter bis S.380. Vgl. S. 190f.

3) Ebendas. S. 429. Bemerkt sei übrigens, daßMünsterberg S. 96 die Elimi- nation des Willens nicht aufrecht erhält. Die Notwendigkeit dieser Elimination auf parall. Standpunkt betonen ferner resp. erkennen an Sigwart, Logik 11*, S. 540, 541; Erhardt, Schrift S. 131, 143, 144, 148; We ntsch er, Schrift S. 112; Seth, a.a.O. S.79f.; Ebbinghaus, a. a. 0. S.561 (vgl. aber 563 f., 601 f), Spaul- ding a. a. 0. S. 29. übrigens sagt auch Wundt S. 372 seines Systems d. Phil.: »Alle innere Erfahrung besteht in einer Mannigfaltigkeit von Vorsteliungsprozessen, mit denen sich für uns unverkennbar Gefühle verbinden.«

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 363

die körperUche Wirklichkeit uns nun durchweg als ein Mechanismus erscheint, diese Eigentümlichkeit in einer analogen Beschaffenheit der ihr zu Grunde liegenden geistigen Welt begründet sein.^) Dem Mechanismus der Erscheinungen entspricht ein Mechanismus der wirklichen Dinge, das Psychische ist nichts weiter als ein mechani- scher Zusammenhang von Fsychomen oder Psychosen, und dieser mechanische Zusammenhang erscheint uns dann als ein physischer Mechanismus, als Gehimautomat.

Müssen wir somit die von Ziehen, Münsterberg u. a. ver- tretene mechanistische psychologische Theorie für die richtige und logisch -notwendige Konsequenz des psych ophysischen Parallelismus anerkennen, die von Wundt und Paulsen verfochtene voluntaristi- sche, einen lebendigen, einheitlichen Willen dem seelischen Leben zu Grunde legende Auffassung aber als unvereinbar mit ihm ab- lehnen, so wird damit ein nicht unwesentlicher Teil der Vorteile, welche der psychophysische Parallelismus nach der Behauptung seiner Anhänger bietet und welche sich im zweiten Kapitel^ ausführlicher dargelegt habe, illusorisch. Zu diesen Yorteilen, durch welche sich der psychophysische Parallelismus allen denen, welchen es um einen Frieden zwischen den Ansprüchen des Gemüts und den Anforde- rungen wissenschaftlicher Forschung ernstlich zu tun ist, besonders

1) Man müßte denn annehmen, daß das erkennende Subjekt durch die Eigen- tümliohkeit seiner Erkenntnisformen die gesamte körperliche Welt in allen ihren Einzelheiten und in ihrem gesamten gesetzlichen Verlauf a priori bestimme eine Annahme, die schwerlich jemand noch wird verfechten wollen. Be- kanntlich konnte Kant weder aus der Apriorität der Raumanschauung die be- stimmte räumliche Anordnung der Objekte noch aus dem apriorischen Eausal- piinzip die einzelnen empirischen Naturgesetze und die speziellen Kausalzusammen- hänge ableiten. Beides bleibt der Erfahrung überlassen, d.h. die Ordnung, welche die Dinge selbst haben, bestimmt die Ordnung, in welcher sie uns erscheinen. Genau so liegt die Sache hier. Damit erledigt sich auch Königs Hinweis auf den transcendentalen Idealismus, der eine Lösung der Antimonie ermöglichen soll (Zeitschr. f. Phil. u. phil. Kr. Bd. 119, S. 38), und ebenso die Ansicht, die Volk elt in seinem Schopenhauerbuch 8. 196 über die Vereinbarkeit von "Willensmetaphysik und physikalisch -chemischem Zusammenhang der Natur als Erscheinungshülle des WiHens äußert. Es kann nicht etwas an sich frei sein und in einem teleologischen Zusammenhang stehen und zugleich doch als ein notwendiges Glied des äußeren Kausalzusammenhangs erscheinen. Dieser notwendige physische Kausalzusammen- hang weist auf einen ihm zu Grunde liegenden ebenso notwendigen intelligiblem Kausalzusammenhang hin.

2) S. 119 129.

364 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismns.

empfahl, gehörte Tor allem die Möglichkeit, die er zu bieten schien, bei voller Befriedigung auch der weitgehendsten An- sprüche der Naturwissenschaft doch zugleich auch die Selbständig- keit und Eigenartigkeit des geistigen Lebens unangetastet zu lassen. Dieser Vorteil hat sich jetzt als illusorisch erwiesen; die paralle- listische Auffassung des Yerhältnisses von Oeist und Körper, Seele und Leib nötigt uns in ihrer Eonsequenz zu einer Auffassung des geistigen Lebens, welche zwar die Selbständigkeit desselben gegenüber dem Physischen bestehen läßt, im übrigen aber seine £igenartigkeit, wie sie uns unmittelbar in unserem Bewußtsein entgegentritt, zerstört, einen öden Mechanismus an die Stelle des lebendig sprudelnden Quells freien geistigen Lebens setzend.

Mag Fechner der Ansicht sein, daß darin, daß den geistigen Vorgängen physische parallel gehen, die sich nach bestimmten Prin- zipien ineinander umsetzen, keine »Verunehrung« des Denkens liegt: :ftseine Würde hängt an der Weise, der Richtung, den Zielen seines Ganges, nicht an dem Maße oder der Unmeßbarkeit der körperlichen Bewegung, die er zu seinem Gange braucht,«^) mag Ebbinghaus fragen: »Wie sollte das Geistige, das die Dinge an sich haben, dadurch alteriert weiden, daß sie, soweit sie sich als Ungeistiges und Materielles darstellen^ bei allen ihren Umwandlungen stets im Ganzen das gleiche Maß mechanischer Arbeitsfähigkeit be- halten?«*) — ich muß widersprechen und dabei bleiben, daß, wenn

1) Elemente d. Psychopbysik 1889 I. S. 43. Wenn Fechner, um zu zeigen, daß die Freiheit des Willens durch den Parallelismus nicht bedroht werde, hinzu- fügt: 9 Vielmehr ist durch den ausdrücklichen Hinweis, daß die allgemeinen Ge- setze der lebendigen Kraft die freie Verfügung über dieselbe eben auch nur aus sehr allgemeinem Gesichtspunkte beschränken, der Freiheit jedes Becht zugestanden, was ihr die Wirklichkeit zugesteht. Weder kann das Gesetz yorschreiben, ob und wie wir potentielle Kraft in lebendige umsetzen, noch ob und in welcher Eichtang sie übertragen werden sollen. In dieser Hinsicht bleibt der Wille völlig frei«, so hat er darin freilich recht, daß das Gesetz der Erhaltung der Energie an sich die Art und Richtung der Energieurosetzung frei läßt Aber der Raum^ den das Energieprinzip frei läßt, wird von den anderen Naturgesetzen bis au& kleinste Fleckchen okkupiert, welche, was in jedem Moment zu geschehen hat, TÖllig eindeutig bestimmen. Ein freier Wille aber, der in jedem Moment das wollen muß, was nach unabänderlichen Naturgesetzen geschehen muß, ist ein Unding, eine eontradictio in adjeeto.

2) a. a. 0. S. 45. Auch Jodl bestreitet a. a. 0. S. 70 die Mechanisierung des geistigen Lebens als Konsequenz des Parallelismus, aber ohne daß es ihm gelänge, zu zeigen, wie man als Parallelist dieser Konsequenz entgehen kann. Dagegen gibt Spaulding die völlige Mechanisierung des Psychischen und sein absolutes Preisgegebensein an den materiellen Weltlauf durchaus zu (a. a. 0. 8. 109 u. a.).

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismas. 365

alles Psychische auch sein physisches Analogen haben soll, das Geistige allerdings durch die Gesetzmäßigkeit, welche auf physi- schem Gebiet herrscht, alterlert wird, indem es selbst dieser Gesetzmäßigkeit mittelbar untergeordnet wird, der physische Mecha- nismus auf einen ganz analogen psychischen Mechanismus un- ausweichlich hinweist In dem Geistigen, das uns der Paral- lelismus als ein nun Yor allen Versuchen, es in den physischen Mechanismus selbst mit hineinzuziehen oder es zu einem unselbstän- digen Nebeneffekt der Materie zu machen, siegreich Bewahrtes an- bietet, vermag ich ein wirkliches ideales Gut nicht mehr zu er- blicken. Wir erhalten Steine statt Brot, statt des lebendigen Geistes, dessen wir uns bewußt sind, einen Haufen psychischer Atome, die in mechanischer Weise sieh verketten und kombinieren und so das ebenso öde und leere Spiel der physischen Atome begleiten: einen geistigen Automaten, der in jeder Beziehung das genaue Seitenstück zu dem physischen Automaten des Gehirns darstellt Man ist zu der Frage berechtigt, ob sich denn der Kampf, den der Parallelismus gegen den Materialismus führt, überhaupt lohnt, wenn dieser Geist das Kampfobjekt und der Siegespreis ist? Ich meine, kaum. Mit den Idealen räumt der Parallelismus, konsequent durchgedacht, ebenso gründlich auf wie der Materialismus, von dem er sich wo- durch eigentlich unterscheidet? Ob ich mir mein Innenleben zu- sammengesetzt denke aus einer Beihe von Aktionen materieller Atome, Zellen oder Fibern, die dann auf eine nicht weiter angeb- bare Weise zu einem Ganzen zusammengefaßt sind, oder aus einer Beihe von primitiven psychischen TJrelementen, die gleichfalls auf nicht weiter angebbare Weise zusammengefaßt sind, im übrigen aber in genau ebenso mechanischer Weise wirken wie jene, das kommt doch wohl schließlich so ziemlich auf eins heraus. Auch lassen sich die XJrpsychosen in der ganzen Fülle ihrer Primitivität, wie sie uns die Mind-Stuff- Theorie zu denken zwingt, kaum noch von den Kräften, welche die Naturwissenschaft ihren Atomen beilegt, unterscheiden, so daB man eigentlich sagen muß: Können die primitiven, den ein- fachsten physischen Vorgängen entsprechenden Urpsychome oder -psy- chosen unter geeigneten Umständen, d. h. wenn in genügender Anzahl und in genügend komplizierten Verbindungen vorhanden, das geistige Leben aufbauen, das uns in der inneren Erfahrung entgegentritt, so ist nicht einzusehen, warum die den physischen Atomen inhärenten Urkräfte das unter geeigneten Umständen nicht auch fertig be- kommen sollten. Der Weg des psychophysischen Parallelismus führt

366 Erster Abschnitt Der psychophysische Pandlelismas.

nur scheinbar yom Materialismus ab; auf einem Umwege führt er durch den Hylozoismus hindurch zu ihm zurück. Und so kann ich Wentscher nur zustimmen, wenn er behauptet, daß auf diese Weise »die theoretisch behauptete Selbständigkeit doch so wenig zur Geltung gebracht erscheint, daß sie von einer bloßen Illusion kaum noch zu unterscheiden ist Dem Ergebnis nach stimmt diese Anschauung zuletzt mit jener materialistischen Denk- weise Töllig zusammen, die alles Psychische in gesetzlicher Ab- hängigkeit vom Physischen denkt, es geradezu als Funktion dieses Physischen bezeichnet« Also tant de bruit pour une Omelette! Der ganze Unterschied zwischen dem Materialismus und dem paralle- listischen Hylozoismus besteht darin, daß der erstere als letzte Ele- mente des Wirklichen, aus deren gesetzlichem und mechanischem Zusammenwirken alles restlos abgeleitet und erklärt werden kann, physische Atome oder Energieeinheiten (Kraftzentren) annimmt, der Parallelismus dagegen ihnen noch Yon ihnen kaum unterscheidbare psychische Atome je nachdem zur Seite stellt oder zu Grunde legt Im übrigen bleibt alles beim alten und der psychophysische Paralle- lismus mit seinen Eonsequenzen, der Mind-Stuff- und der mecha- nistisch-associationistischen Theorie, zerstört genau so alle Werte und Ideale als der Materialismus selbst Die Welt ist auch nach ihm, wenn er den Mut der Eonsequenz hat, nichts weiter als ein ungeheurer, in allen seinen Teilen mit unentrinnbarer Notwendig- keit funktionierender, aus in endlosen Variationen sich verkettenden primitiven Urbestandteilen bestehender Mechanismus. In dem großen Automat des Weltganzen aber steht der kleinere des menschlichen Geistes, ebenso eingerichtet und zusammengesetzt wie jener und durch das Ineinandergreifen seiner Bestandteile den Schein eines lebendigen, einheitlichen, zweck- und wertvollen Seelenlebens her- vorbringend, ohne doch ein solches tatsächlich zu sein. Die Ein- heit unseres Wesens, die Freiheit und Autonomie unseres Willens, die Spontaneität und Lebendigkeit des Geistes, unsere ethischen Ideale und religiösen Bedürfnisse sind, wenn sie überhaupt in einer Welt, wie sie der Parallelismus fordert, irgend eine Form des Da- seins haben können, jedenfalls nur Illusionen, welche die fortschreitende Einsicht in die wahre Beschaffenheit unserer eigenen und der Natur der Dinge immer mehr als solche enthüllen und zerstören muß.

1) Ethik I. , Lpz. 1902 , S. 303. Vgl. Der psyohopbys. Parall. i. d. Oegenw., Zeitschr. f. Phil. n. phil. Er. Bd. 117, S. 93. Daß der Paiallelismns schließlicii zum Materialismas treibt, sagt auch Bickert, Sigwart- Festschrift S. 74.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 367

Denn eine Illusion, die als solche erkannt ist, hat ihre Kraft, hat ihr Dasein für uns verloren. Dächten wir uns das Streben und Sehnen des Erkenntnistriebes einmal völlig erfüllt, das Ideal der Welterkenntnis, wie es sich vom Standpunkte des Parallelismus aus darstellt, völlig realisiert, so würde es uns möglich sein, das ge- samte Weltgeschehen in einer Reihe von Differentialgleichungen aus- zudrücken, jeden Vorgang in seiner Notwendigkeit und Gesetz- mäßigkeit aus unserer Weltformel abzuleiten und so auch etwa unsere ethischen und religiösen Ideen und Ideale als vorübergehende, auf gewissen Stufen der Entwicklung mit Notwendigkeit sich ein- stellende Illusionen zu begreifen nur daß dieser Triumph der Wissenschaft uns nicht mehr mit Genugtuung erfüllen würde, da mit den übrigen Illusionen notwendig auch die verschwinden würde, daS die wissenschaftliche Erkenntnis überhaupt irgend welchen idealen Wert hat Und so würde denn der menschliche Geist, wenn er die Kenntnis der so heiß ersehnten Weltformel wirklich erlangt hätte, sich nicht einmal veranlaßt sehen, den Gebrauch, den sie ge- stattet, von ihr zu machen, durch sie alle Dinge zu berechnen und in ihrer Notwendigkeit zu begreifen. Der Geist, der die Welt als bloßen Automaten erkannt hat, büßt durch diese Erkenntnis alles Interesse an der Erkenntnis ein. Ja, nicht einmal mit Grauen und Entsetzen vor der entgötterten und aller Ideale beraubten Welt ab- wenden würde sich, auf dieser Höhe der Erkenntnis angelangt, der Mensch: auch das Gruseln würde er, der aller Illusionen sich ent- schlagen, gründlich verlernt haben. Nur stumpfe, dumpfe Resigna- tion würde das Endergebnis sein. Derselbe Mechanismus, der die Illusionen und das Streben nach, das Interesse an der Erkenntnis im Menschen mit Notwendigkeit herbeiführt, würde mit derselben Notwendigkeit die Erkenntnis in eben dem Momente, da sie ihr Ziel erreicht, vernichten, aus dem menschlichen Geiste eben das machen, was die Welt nach der Konsequenz des parallelistischen Standpunktes ist: einen zweck- und wertlosen Mechanismus.

Daß eine derartige Perspektive viel Befriedigendes böte, daß ein solches Weltbild den Bedürfnissen des menschlichen Gemütes mehr zusagte, als das des Materialismus, dürften auch die Anhänger des peychophysischen Parallelismus nicht behaupten wollen. Sie selbst sind keineswegs gewillt, die Welt aller Werte zu entkleiden und dem menschlichen Geist alle seine Ideale zu rauben, die überwiegende Mehrzahl von ihnen hält an der Aufgabe der Philosophie, eine auch die berechtigten Ansprüche des Gemüts befriedigende Weltanschauung

368 Erster Abschnitt. Der psychophysische Farallelismos.

zu erarbeiten, durchaus fest Aber sie sehen nicht, daß die An* sichten, die sie bekämpfen, eben die Konsequenzen ihrer eigenen Prämissen sind, die sie mit den Gegnern, gegen die sie sich wenden, teilen, daß also, diese Prämissen einmal zugegeben, die Qegner ihnen gegenüber im Rechte sind. An einer Stelle seiner Einleitung in die Philosophie wendet sich Paulsen gegen die materialistische Theorie der Affekte des dänischen Physiologen G. Lange.^) »Die gangbare An- schauung«, zitierter, »^daß die Modifikation des seelischen Zustandes der eigentliche Affekt sei, die wahre Freude, Trauer, während die körperlichen Erscheinungen nur Nebenphänomene sind, die zwar nie fehlen, aber doch an und für sich unwesentlich sind", wird ver- worfen und gezeigt, daß der rein seelische Affekt eine überflüssige Hypothese ist; 'was die Mutter, die über ihr totes Kind trauert, fühlt, ist in Wirklichkeit die Müdigkeit und Schlaffheit ihrer Muskeln, die Kälte ihrer blutieeren Haut, der Mangel ihres Oehirns an Kraft zu klarem und schnellem Denken, dies alles erhellt von der Vor- stellung der Ursache dieser Phänomene. Man nehme bei dem Er- schrockenen die körperlichen Symptome fort, lasse seinen Puls rahig schlagen, seinen Blick fest sein, seine Farbe gesund, seine Bewegungen schnell und sicher, seine Gedanken klar, was bleibt dann noch von seinem Schreck übrig?'«*) Wie er, will auch Ziehen die Langesche Anschauung nicht gelten lassen.^) Aber ist nicht diese Ansicht, die auch ich natürlich an sich nicht als richtig anerkenne, eben diejenige, zu der man von parallelistischen Voraussetzungen aus notwendig ge» langen muß?^) Mit Hilfe der Erkenntnis, welche der Besitz der Welt- formel verleiht, würde, wenn die Welt wirklich einen durchgehenden Parallelismus physischen und psychischen Geschehens darstellt, die trauernde Mutter, ihr Gefühl analysierend, in der Tat finden müssen, daß es eine Summation primitiver psychischer Zustände ist, welche, bestimmten physischen Vorgängen in Gehirn und Nerven entsprechend, jedenfalls ganz etwas anderes sind als ein Gefühl der Trauer um ein Kind. Diese primitiven Psychosen bilden also in Wahrheit und vor dem nüchternen Blick vollendeter Erkenntnis das »Trauergefühl«, alles, was dieses sonst noch zu enthalten und zu bedeuten schien, war eine durch eben den Mechanismus, welcher die Bestandteile des »Trauergefühls« zusammenfügte, veranlaßte Illusion, die nun aber

1) Über OemütsbewegoDgen , deutsch von Eurella, 1887.

2) Einl. 8. 85/86.

3) a. a. 0. 8. 137.

4) So auch Masci a.a.O. S.49— 59.

Drittes Kapitel. Die Naohteile des ParaUelismus. 369

mit der Erkenntnis der T?ahren Natur desselben ebenso notwendig ver- schwinden müßte. Und ebenso: Wenn die Zustände der Trauer, des Kummers , des Erschrookenseins die psychischen Parallelglieder zu be- stimmten physischen Zuständen, Blutleere, Schlauheit der Muskeln, schlechtem Ernährungszustände der Gehirnzellen, unruhigem Pulsschlag, unsicheren Bewegungen usw. sind, so müßten, wenn es durch irgend- welche Mittel gelingt, die letzteren in bestimmter Richtung zu ändern, auch die ersteren sich entsprechend ändern, Trauer der Freude, der Schreck der Zuversicht weichen. Ich wenigstens vermag nicht zu sehen, wie man auf parallelistischem Standpunkt um diese Konsequenz herum- kommen will. Bei genügender Einsicht in die Natur der nervösen Prozesse und ihres Zusammenhangs mit den psychischen Vorgängen müssen wir im stände sein, durch physische Einwirkung auf den Körper, Regelung des Stoffwechsels und der Stoffverteilung, Zuführung und Entziehung bestimmter Stoffe in bestimmten Mischungen und Dosen den Charakter nach Wunsch zu gestalten, edle und unedle Gefühle , Tugenden und Laster nach Belieben zu züchten um sie schließlich, wenn wir zugleich den Körper so beeinflussen, daß auch die Erkenntnis der parallelistischen, atomistischen und mechanistischen Beschaffenheit von Welt und Mensch sich einstellt, alle als bloße Illusionen zu enthüllen und so den Spruch des Predigers Salomonis wiederum zu erhärten.

Natürlich, Argumente wie diese können in wissenschaftlichen Dis- kussionen nicht dieselbe Beweiskraft für sich in Anspruch nehmen, wie die oben erörterten, welche sich auf die logische Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit beziehen. Eine Ansicht, die zu Konsequenzen führt, welche die in unserem Denken sich wirklich zu erkennen gebende lo- gische Notwendigkeit aufheben und vernichten, kann eben deshalb nicht richtig sein, eine Ansicht dagegen, welche Wünsche, Hoffnungen nnd Ideale unseres Gemüts zerstört, braucht deshalb, rein wissenschaft- lich beurteilt, doch noch nicht notwendig falsch zu sein. Wie sehr wir auch von der Wahrheit und Gültigkeit unserer Ideale überzeugt sein mögen, einen Beweis ihrer Wahrheit stellt auch die stärkste per- sönliche Überzeugung nicht dar, und wenn die nüchterne Erkenntnis des Verstandes die Unmöglichkeit ihrer Wahrheit in unwiderleglicher Weise dartut, sie als Illusionen erweist, so ist alles Bedauern, aller Schmerz über den unersetzlichen Verlust der ja übrigens auch durch die Erkenntnis wieder beseitigt werden würde nicht im stände, daran etwas zu ändern. Illusionen, die als solche erkannt sind, die unzweifelhaften Wahrheiten widerstreiten, lassen sich nicht

Busse , Geist und KOrper, Seele nnd Leib. 24

370 Erster Abschnitt Der psychophysische Farallelismus.

aufrecht erhalten, die Wissenschaft geht über sie zur Tagesordnung über. Und nun sind die Überzeugungen und Forderungen des Gemüts, welche man der mechanistischen Konstruktion des gesamten Seelenlebens ent- gegenzustellen pflegt, noch nicht einmal alle von der Art, daß sie als sogenannte unaufgebbare Fostulate bezeichnet werden könnten; die Freiheit des Willens z. B. wird auch von solchen als unmöglich und entbehrlich bezeichnet, die im übrigen keineswegs gewillt sind, alles Sittlich -Wertvolle in einem rein mechanischen Kausalzusammenhang von Empfindungs- und Yorstellungselementen untergehen zu lassen. Also ich bin nicht der Meinung, daß man den psychophysischen Parallelismus durch den Hinweis darauf, daß er mit seiner mecha- nistischen Psychologie so und so viele Ideale zerstört, wirklich wider- legen kann; der wissenschaftlich entscheidende Grund für seine Ab- lehnung ist für mich in psychologischer Hinsicht die Kollision, in welche die mechanistische Psychologie, seine unausweichliche Kon- sequenz, mit den Anforderungen des logischen Denkens und der logischen Gesetzmäßigkeit gerät. Die Veranlassung aber, auch auf die Kollision, in welche der Parallelismus mit den sogenannten Be- dürMssen des Gemüts gerät, einzugehen, lag für mich in dem Um- stände, daß die Vertreter des psychophysischen Parallelismus viel- fach ihren Standpunkt durch die Möglichkeit, welche er gewähren soll, einen Frieden zwischen Wissen und Glauben zu stiften , zu empfehlen, seine Geeignetheit für diesen Zweck als einen besonderen Vorteil desselben hinzustellen pflegen. Demgegenüber mußte nun allerdings betont werden, daß dieser Anspruch unberechtigt ist, da der angebliche Vorteil bei näherer Betrachtung illusorisch wird, ja sich in sein Gegenteil verkehrt. Wer sich also auf den Boden des Parallelismus stellt, der darf nicht versuchen, zugleich noch allerhand lieblings- wünsche und Gemütsbedürfiiisse beizubehalten, sondern muß sich ent- schließen, die Konsequenzen, zu denen der Standpunkt nötigt, auch wirklich zu ziehen, der muß sich darin finden, in der Seele nichts weiter zu sehen als einen komplizierten Mechanismus primitiver Psychosen, der mit Notwendigkeit unter bestimmten Bedingungen auch allerhand Illusionen von Freiheit, sittlicher Selbstbestimmung usw. im Bewußtsein erzeugt.*)

1) Auch alle die schönen Dinge, von denen Laßwitz S. 198 seines Fechner- buches so erbaulich zu reden weiß : daß die Seelen als Organe Gottes frei zusammen- wirken sollen, daß wir, indem wir die Verbindung mit allen sichtbaren und un- sichtbaren Welten als eine allgemeine und notwendige in unseren Willen aufiiehmen,

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus. 371

Lediglich in diesem Sinne möchte ich noch auf ein anderes Postulat der praktischen Yernunft« eingehen, das manche Paralle- listen, wie Fechner und ihm folgend Faulsen, als auch mit paralle- listischer Voraussetzung durchaus verträglich hinzustellen versucht haben: das Postulat der Unsterblichkeit.

Fechner 1) und Paulsen*) haben versucht, die Möglichkeit eines Fortbestehens der Seele nach dem Tode in der Weise zu retten, daß sie dieselbe in der Erinnerung des Gesamtgeistes fortleben und in dieser Form zugleich sich zu einer höheren Stufe erheben, das innere Prinzip zu einem größeren und umfassenderen Erscheinungsganzen sein lassen. Dazu ist nun zunächst zu bemerken, daß, wenn wirk- lich die menschliche Seele in dieser Weise nach dem Tode fortlebte, ihre Fortexistenz jedenfalls keine persönliche Unsterblichkeit, kein Fortleben im eigentlichen Verstände bedeuten würde. Der absolute Geist, in dessen Gedächtnis das Bild der Seele fortlebte, würde sich ihrer erinnern als eines zu einer bestimmten Zeit wirklich gewesenen, jetzt aber nicht mehr seienden Einzelwesens. Ausgeschlossen aber wäre, daß dieses Erinnerungsbild auch noch für sich wäre und als ein für sich seiendes ein Verhältnis zum Gesamtgeist hätte. Paulsen meint zwar, nichts hindere, solches zu denken: mich hindert sehr viel, es zu denken, ich halte den Gedanken für unmöglich. Hätte das Gedächtnisbild der Seele im Geiste Gottes ein Fürsichsein, wäre es sich seiner bewußt und hätte ein lebendiges Verhältnis zum Ge- samtgeist, so wäre es nicht bloß Erinnerungsbild eines früheren Da- seins, sondern wäre ein eigenes, wirkliches, lebendiges Wesen, genau

uns dadurch selbst als moralisohe Person sohaffen, daß wir vernünftige Wesen sein sollen passen in den psychophysischen FaralleUsmus schlechterdings nicht hinein, wenigstens vermag nur ein Parallelisrnns, der sich selbst lucus a non lueendo kritischer nennt, das Kunststück, sie damit zu vereinigen, fertig zu bringen. Daß das Vordringen der Psychophysik das wirkliche Leben in seinem Wertbestande beständig bedroht , erkennt Münsterberg S. 452 wenigstens an ; auch er sucht aber den Schaden durch die unmögliche »kritische c Lehre von der doppelten Wahrheit wieder gutzumachen. Nach König (Zeitschr. f. Phil. u. ph. Kr. Bd. 119 S. 139) soll dagegen die exakte psychologische Forschung der Gegenwart immer deutlicher zeigen, daß das Seelenleben nicht ein nach mechanischer Gesetzmäßigkeit verlaufender Prozeß ist, eine Behauptung, die mir im Munde eines Parallelisten schlechterdings unverständlich ist und der gegenüber Münsterberg jedenfalls recht behält

1) Im dritten Teile seines Zend-Avesta und in einer speziell dem ünsterb- lichkeitsproblem gewidmeten Schrift: Das Büchlein vom Leben nach, dem Tode.

2) Einl. 2. Aufl. S.250, 6. Aufl. S.252. Ygl. auch die Ausführungen Kurd Laßwitz* in seinem Fechnerbuch S.62f., 187/188.

24*

372 Erster Absohnitt. Der psychophysische Parallelismos.

80 real wie die Seele, als sie noch mit dem Körper vereinigt war^ und es würde sich nur noch darum handeln, das Erscheinungsganze zu bestimmen, dessen inneres Prinzip sie nunmehr ist Damit komme ich nun zu dem entscheidenden Punkt. Auf dem Boden des psycho- physischen Parallelismus ist die ganze Vorstellung einer Weiterexistenz der Seele als Seele, d.h. als einheitlicher Zusammenfassung ihrer Zu- stande, in jeder Form unmöglich. Denn diese menschliche Seele, dieser Individualgeist ist dem psychophysischen Parallelismus zufolge die innere Seite dessen, was sich äußerlich als organisierter mensch- licher Leib darstellt. Beide gehören untrennbar zusammen, bedingen einander, sind die beiden zusammengehörigen Seiten einer und der- selben Sache. Das eine kann nie ohne das andere vorkommen. So wenig es einen wirklichen, lebendigen, normal funktionierenden menschlichen Körper geben kann, ohne daß ihm auf der psychischen Seite eine menschliche Seele korrespondierte, so wenig kann es auch auf diesem Standpunkte eine menschliche Seele geben, der nicht auf der physischen Seite ein organisierter lebendiger Menschenleib ent- spräche: nihil est in mundo intelligibili quod non sit datum in mtmdo sensibiU^ wie es Pauls en einmal formuliert hat^) Wenn sich nun aber der Körper beim Tode in seine Elemente auflöst und schließlich in der allgemeinen körperlichen Natur aufgeht, ohne in seiner individuellen Form als Ganzes irgendwie weiter zu existieren, so muß von dem psychischen Parallelgliede, der Seele, doch genau dasselbe gelten. Auch sie löst sich in die Psychosen auf, aus denen sie zusammengesetzt ist, und geht schließlich völlig in der allge- meinen geistigen Welt auf. Jede Annahme, daß das psychische Ganze irgendwie erhalten bleibe, während das korrespondierende physische Ganze verschwindet, bedeutet ein Durchbrechen des Prinzips des psychophysischen Parallelismus.

Aber, sagt nun Fechner, die Seele bleibt ja auch nicht genau dasselbe, was sie früher war. Sie erweitert sich ja und erklimmt eine höhere Stufe. Auf dieser höheren Stufe hört zwar der Parallelismus mit dem menschlichen Körper auf, an seine Stelle tritt aber ein Parallelismus mit anderen größeren Erscheinungsganzen. Die Seele ergießt sich gewissermaßen in die Welt, geht in die Licht- und Schall- wellen selbst ein usw.') Aber, ganz abgesehen davon, daß doch strenggenonunen eben dieser Entwicklung der Seele auch eine analoge

1) Vgl. Feohner, M. d. Psychophys. IL 2. Aufl. S.383, 387.

2) Büchl. Y. Leben u. v. Tode S.47, 48, 53, 61, 64 u. a.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismiis. 373

£ntwicklaDg des Körpers parallel gehen müßte: alle diese Dinge, die licht- und Schallwellen, der Äther und das Wasser, die Luft und die Erde, waren doch auch schon da als die Seele noch das psychische Parallelglied zn ihrem menschlichen Leibe darstellte und ehe sie über- haupt als menschliche Seele yorhanden war; und da hatten sie schon ihre psychischen Parallelglieder, nämlich unbewußte psychische Vor- gänge primitivster Art, wie sie nach animistischer, aus dem Paralle- lismus sich ergebender Anschauungsweise ihnen entsprechen müssen. Aus solchen primitiven ürelementen hat sich ja, entsprechend den komplizierteren körperlichen Gebilden, welche der allgemeine Natur- lauf nach und nach hervorbrachte, der parallelistisch-hylozoistischen Auffassung zufolge die Seele gebildet Waren diese aber, ehe die Seele entstand, die alleinigen psychischen Parallelglieder zu den Vor- gängen der unorganischen Natur: welches Becht haben wir dann, ihnen, wenn die Seele gestorben, mit einem Male ein höheres, das menschliche noch übertreffendes Seelenleben parallel gehen zu lassen? Dieses höhere Seelenleben müßte immer vorhanden sein, so gut wie die äußeren Bedingungen, denen es entspricht, immer vorhanden sind; es müßten neben den unbewußten und primitiven Psychosen, welche den Gebilden und Vorgängen der unorganischen Natur im einzelnen entsprechen, auch stets noch übergreifende Synthesen, Zusammen- fassungen zu größeren, größeren Erscheinungskreisen entsprechenden Gesamtbewußtseinen vorhanden sein. Die Verträglichkeit einer solchen doppelten Korrespondenz mit dem psychophysischen Parallelismus vorausgesetzt, wird doch, wenn man nicht absolute, regellose Willkür als die Signatur der Wirklichkeit hinstellen will, das Auftreten der artiger übergreifender Synthesen von allgemeinen Bedingungen, näm- lich davon abhängig sein müssen, ob sich, wenn wir die physische Erscheinungsseite in Betracht ziehen, ein bestimmter Kreis physischen Geschehens zu einer Art Ganzen, einer Pflanze, einem tierischen Körper, einem Planeten oder Planetensystem usw. zusammenschließt Zwischen dem Absterben eines menschlichen Leibes und dem Entstehen einer derartigen Synthese aber kann gar kein ursächlicher Zusammenhang irgend welcher Art bestehen. Soll also im Beiche des Geistes nicht die phantastischste Willkür, sondern Plan und Ordnung herrschen und soll ferner der mundus sensibilis das getreue Gegenbild des 7nundi intelligibilis sein, so werden wir auch annehmen müssen, daß 80 etwas wie eine menschliche Seele sich aus den vorhandenen psy- chischen Ürelementen nur bildet, wenn zugleich die physischen ür- elemente sich zu einem organisierten menschlichen Leibe zusammen-

374 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismos.

fügen und daß, wenn der so entstandene Leib sich wieder in seine Urbestandteile auflöst, auch die dazugehörige Seele sich wieder in die Urbestandteile auflöst, deren auf nicht weiter angebbare Weise zu einer Einheit zusammengefaßte Summe sie war. Man weist uns ja doch zur Begründung und Empfehlung der parallelistischen Theorie auf die Abhängigkeit hin, welche das geistige Leben durchweg vom körperlichen zeigt, wie der Geist parallel dem Körper allmählich wächst und sich entwickelt, dann seine höchste Ausbildung und Leistungsfähigkeit erreicht, eine Weile ebenso wie der Körper auf dieser Höhe verharrt, um dann, entsprechend der zunehmenden Ab- nahme und dem Verfall der körperlichen Kräfte, auch allmählich leistungsunfähiger zu werden, bis das Ende eintritt. Soll nun dieser Farallelismus jetzt plötzlich aufhören und die Seele, den in den ür- schoß der Natur zurückkehrenden Körper hinter sich lassend, ihre Entwicklung in einem anderen Leben fortsetzen? Dann bricht der ganze Parallelismus in sich zusammen. Es ist mir nicht recht ver- ständlich, wie Laßwitz hoffen kann, der Konsequenz des Paralle- lismus: Zerfall der Seele in ihre urbestandteile zugleich mit dem Zerfall des Körpers in die seinigen, durch den Hinweis auf das Port- bestehen der Wirkungen des Menschen in dem größeren Ganzen, dem er angehört, auszuweichen.^) Wenn das Unsterblichkeit ist, dann sind alle Dinge unsterblich, denn keines, auch nicht des geringsten Dinges Wirkung geht in dem Weltganzen spurlos verloren. Aber Fortbestehen der Wirkungen ^eines Dinges, Fortbestehen und Weiter- wirken der Arbeit eines Menschen ist doch nicht gleichbedeutend mit Fortbestehen des wirkenden Dinges, des Menschen selbst, der die Arbeit geleistet Das Bild, das ein Maler gemalt, das Reich, das ein Staatsmann geschaffen, bleibt auch, wenn sein Erzeuger dahin, bestehen, und so mag auch die psychische Seite dieser Wirkungen bestehen bleiben, mag auch das, was die einzelnen Seelen für den Oesamtgeist geleistet, für diesen nicht verloren sein. Heißt das aber eine Unsterblichkeit der Seelen selbst? Man muß unter Unsterblichkeit etwas von dem, was man sonst mit diesem Worte meint, ganz Verschiedenes verstehen, um das behaupten zu können. »Die Erdec, sagt Laßwitz, »lebt fort, wie sie vorher gelebt hat und behält das Bewußtsein des Teils, nämlich dieses individuellen Menschen, den sie in dieser Form zwar verloren, im Grunde aber doch nur anders verwendet hat.«*) Gewiß, die Erde lebt fort,

1) Gust. Th. Fechner, Stuttg. 1896, S.62.

2) Ebendas. S. 187/188.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Farallelismus. 375

nicht aber der einzelne Mensch; diesen, der auf ihr lebte, hat sie, "wenn er gestorben, verloren. Laßwitz sagt: nur in dieser Form, sie verwendet ihn im Grunde nur anders. Aber das ist ja gerade das Entscheidende. Sie hat ihn in dieser Form verloren, d. h. sie hat ihn als Mensch verloren. Sie verwendet ihn anders, d. h. eben, sie läßt die Bestandteile, aus denen er zusammengesetzt war, andere Verbindungen eingehen. Sie verwendet den toten und verwesenden Körper zur Düngung des Erdbodens, zur Herstellung von allerhand Zersetzungsprodukten, sie zerstreut seine Bestandteile im All. Be- deutet das eine »Unsterblichkeit« des Körpers? Nun, eine andere Unsterblichkeit als diese, kann offenbar, wenn das Parallelprinzip gilt, der Seele auch nicht zukommen. »Das Bewußtsein«, fahrt Laß- witz fort, ist ja nicht räumlich auf den menschlichen Leib beschränkt, daß es mit diesem vergehen müßte, sondern es haftet am Allgemein- bewußtsein des Planeten und erhebt sich nur im menschlichen Indi- viduum über die Schwelle! Ja, aber nur wenn es sich über die Schwelle erhebt, was dann der Fall ist, wenn ein organisierter Leib als körperliche Grundlage vorhanden ist, sondert es sich als Indi- viduelles, relativ Selbständiges von dem Gesamtbewußtsein ab. Stirbt der Leib und sinkt es unter die Schwelle herab, so bleibt zwar das Allgemeinbewußtsein, das nicht auf den menschlichen Leib beschränkt ist, bestehen, nicht aber, worauf es doch hier gerade an- kommt, die individuelle Seele als solche. Wie Laßwitz angesichts dieser Sachlage den Satz aussprechen kann: »Gerade weil das Leben an materielle Vorgänge gebunden ist, kann die Seele beim Unter- gang des Leibes nicht entschwinden«, ist mir unverständlich. Der Fechnersche Satz, den er hinzufügt: Wenn der Mensch stirbt, so verschwimmt sein Geist nicht wieder in dem größeren oder höheren Geiste, aus dem er erst geboren worden, sondern tritt vielmehr in eine heller bewußte Beziehung damit und sein ganzer bisher ge- schöpfter geistiger Besitz wird ihm höher und klarer«, ist nicht die Eonsequenz des Parallelismus, sondern vielmehr mit ihm schlechter- dings unvereinbar. Der individuelle Geist muß bei seinem Tode in dem Gesamtgeiste verschwimmen, genau so wie sich der individuelle Körper in das Naturganze auflöst.

Aber damit, daß der Parallelismus jede Möglichkeit einer Un- sterblichkeit aufhebt, ist's noch nicht genug; er eröf&iet uns gewisse Aussichten auf die Art, wie sich der Untergang der Seele vollzieht, die weit unangenehmer sind, als dieser Untergang selbst und der Verzicht auf die Unsterblichkeit. Der Zerfall des Körpers in seine

376 Erster Abschnitt Der psychophysische ParallelismuB.

Bestandteile tritt nicht mit einem Male ein, sondern langsam und allmählich greift die Zersetzung um sich. Entsprechend müßte auch die Zersetzung der Seele langsam und allmählich vor sich gehen, wodurch sich die Aussicht eröffnet, daß wir nach unserem Tode auch noch die chemische Zersetzung unseres Körpers, die Ver- wesung mit Oefühlen, die unmöglich angenehmer Art sein können, begleiten, solange, bis der Zerfall der körperlichen Verbände solche Fortschritte gemacht hat, daß auch die seelischen komplexen Ein- heiten in ihre Urbestandteile sich aufgelöst haben, die übergreifenden Synthesen verschwunden und die unbewußten primitiven Psychosen allein übrig geblieben sind. Unmöglich ist das gamicht Wenn der Umstand, daß die Erde sich nicht bewegt wie ein Tier, kein Gehirn und keine Nerven usw. hat, uns nicht abhalten darf, doch geistiges Leben in ihr anzunehmen, so darf uns der Umstand, daß der tote Körper sich nicht mehr bewegt und ernährt usw., auch nicht ver- bieten, ein natürlich entsprechend modifiziertes geistiges Leben an- zunehmen, das seine jetzigen Funktionen begleitet Sehr verlockend ist diese vom Parallelismus eröffiiete Aussicht auf die seelischen Er- lebnisse, die unserer noch im Grabe harren können, gerade nicht, zum Glück können wir es aber den Anhängern des Parallelismus überlassen, wie sie sich mit ihr abfinden wollen.

Zum Schluß füge ich nur noch kurz hinzu, daß das Weiter- leben der Seele im Gesamtbewußtsein Gottes, auf das uns Fechner, Paulsen, Laßwitz hinweisen, schon deshalb auf parallelistischem Boden nicht möglich ist, weil der Parallelismus ebenso wie eine plura- listische Psychologie auch eine pluralistische Ontologie und wenn der Ausdruck gestattet ist Theologie notwendig fordert Wie die Seele vom parallelistischen Standpunkte aus eine Mannigfaltigkeit von Psy- chomen ohne substanzielle Einheit ist, so ist auch die Weltseele von diesem Standpunkte aus nichts anderes als die Summe aller in der Welt vorhandenen und die geistige Welt ausmachenden psychischien Atome oder Psychome. So wie die Natur für die naturwissenschaftliche Betrachtung sich schließlich in einen ungeheuren Haufen sehr kleiner Sandkörner, mit Paulsen zu reden, auflöst, so muß sich auch der Weltgeist für eine der physischen AuSassungsweise parallel gehende Betrachtung in einen ungeheuren Haufen von Psychomen auflösen, die sich gelegentlich hier und da zu größeren oder kleineren Ver- bänden gleichsam zusammenballen, um, nachdem sie einige Zeit darin verharrt haben, den Verband zu sprengen und wieder in dem Haufen unterzutauchen. Daß in einer derartig beschaffenen »Welt-

Drittes Kapitel Die Nachteile des Parallelismus. 377

Seele« die einzelnen Indiyidualseelen in irgend einer Form, als Er- innerungsbilder oder wie immer sonst, fortleben sollten, ist gänzlich ausgeschlossen.^)

Ich wiederhole: Diese Erörterungen über die Unmöglichkeit, auf parallelistischem Standpunkte an der Unsterblichkeit der Seele festzuhalten, sind nicht in der Absiebt angestellt, den psychophysi- sehen Parallelismus gewissermaßen moralisch zu verdächtigen. Nichts liegt mir femer, als zu meinen, eine Philosophie, die nicht einmal dem Unsterblichkeitsglauben Raum gewähren könne, könne unmöglich acceptiert werden. Die Unsterblichkeit der Seele kann keine Philo- sophie beweisen; ob die Ausschlielsung der Unsterblichkeit einer Philosophie zum Yorwurf oder zur Empfehlung gereiche, darüber wird es erlaubt sein sehr verschieden zu denken. Die Befriedigung bestimmter Herzenswünsche und -bedürfnisse kann überhaupt von der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht verlangt werden. Meine Absicht war lediglich, zu zeigen, daß die Anhänger des Parallelismus darauf verzichten müssen, ihren Standpunkt auch dadurch noch zu empfehlen, daß sie ihn als die Versöhnung von Wissen und Glauben, als mit allerhand Wünschen und Hofbungen des menschlichen Herzens durchaus vereinbar hinstellen. Sie müssen sich darauf be- schränken, den Parallelismus als einen aus wissenschaftlichen Gründen anzunehmenden und festzuhaltenden und durch solche Gründe gerechtfertigten zu erweisen, als einen Standpunkt, der durch noch so unangenehme, noch so viele Hof&iungen und Wünsche zerstörende Eonsequenzen nicht in seiner Wahrheit beeinträchtigt werden kann.

Oder können wir doch auch auf parallelistischem Standpunkte, auch wenn wir alle Eonsequenzen desselben unentwegt ziehen, zu- gleich auch von der Wahrheit und Gültigkeit alles dessen überzeugt bleiben, was unser Gemüt als wertvoll verehrt, was es wünscht, hofft und ersehnt? Eönnen wir nicht mit Münsterberg, dem auch Kick er t zuneigt, die Physiologie und Psychologie den Menschen in einen bloßen Automaten verwandeln lassen, zugleich aber daran fest-

1) Ygl. zu dem Ganzen d. ünsterblichkeitsfrage auch Campbell Fräser, Phiiosophy of Theism, II. 1896. S. 256; Erhardt, Die Wechselw. zw. L. u. S. S. 108, Artikel Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 116 S. 256, S.A. S. 13, Erkennt- nistheorie S. 587. Wenn Erhardt übrigens umgekehrt schließt, daß, weil beim Tode das geistige Leben aufhört, während der Körper noch weiter existiert^ der Körper unmöglich die äußere Erscheinung des Geistes sein könne, so ist das nach dem, was im Text über die Möglichkeit, daß auch die Zersetzung des Körpers noch von Gefühlen begleitet sein kann, gesagt ist, auch nicht richtig.

378 Erster Abschnitt Der psychophysische Farallelismus.

halten, daß an sich und in Wirklichkeit doch alles ganz anders ist, als die wissenschaftliche Erkenntnis es uns zeigt, daß der wirkliche Mensch, den die Psychologie in einen Mechanismus von Psychosen auflöst, frei, durch logische, ethische, ästhetische, religiöse Ideen und Ideale in seinem Tun und Handeln geleitet, ein lebendiges, in Gesellschaft und Geschichte, in Kunst und Wissenschaft und religiösem Leben sich betätigendes und auswirkendes Wesen i) ist? Wer es kann, der mag es tun; ich habe schon an früherer Stelle') meine Ansicht über diesen Ausgleich zwischen Wissenschaft und Leben dahin ausgesprochen, daß der Weg, den er uns weist, für mich ungangbar, daß die Lehre von der doppelten Wahrheit mit der Würde und dem Wert wissenschaftlicher Erkenntnis nicht wohl vereinbar ist. Wir können wohl anerkennen, daß es vieles gibt, das sich unserer wissenschaftlichen Erkenntnis zur Zeit oder für immer entzieht, für uns unbegreiflich bleibt, wir können und müssen femer zugeben, daß nicht alle Bestandteile unserer philosophisch -wissenschaftlichen Welterkenntnis so bewiesen und erhärtet worden sind, daß füglich kein Zweifel an ihrer Wahrheit und Zuverlässigkeit mehr aufkommen kann , aber wir können nicht zugeben, daß etwas, das die wissen- schaftliche Erkenntnis vollständig zu zersetzen und als psychologisch notwendige Illusion zu erklären im stände ist, dennoch unbekümmert darum seine Geltung behalte, und daß, was eine unaufgebbare Geltung besitzt, dennoch von der Wissenschaft zugleich als Illusion erkannt werden könne. Sondern, entweder ist das Ganze unserer ethischen und persönlichen Überzeugung, ist unsere ganze Annahme, daß wir überhaupt lebendige Persönlichkeiten sind, Illusion; dann muß sie fallen gelassen werden; oder diese Dinge bestehen zu Recht, dann muß auch die wissenschaftliche Erkenntnis sie respektieren. Beides miteinander zu vereinigen, entweder neben den festen Formen der wissenschaftlichen Erkenntnis gespenstische Schatten regulativer Ideen herlaufen zu lassen, die sich immer wieder als Phantome erweisen, oder, um ihnen eine größere Realität zu sichern, die ganze Wissen- schaft zu einer ungeheuren, in sich folgerichtig zusammenhängenden Illusion zu machen, ist ein unmögliches Unternehmen.

Ich ziehe die Summe aus meinen kritischen Untersuchungen über den psychophysischen Parallelismus. Er bedeutet einen Standpunkt,

1) S. 307 seines Buches läßt MüDsterberg die Seele als Bealität gelten.

2) Oben S.81— 86.

Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismos. 37g

der, ohne materialistisch zu sein, den Bedürfnissen und Forderungen der Naturwissenschaft, insbesondere den Prinzipien der geschlossenen Naturkausalität und der Erhaltung der Energie sich aufs beste anzu- passen versteht: und das ist sein Hauptvorteil. Der Anspruch da- gegen, auch den Anforderungen idealer Weltbetrachtung zu genügen, muß fallen gelassen werden. Sodann ist der psychophjsische Paralle- lismus nicht im stände, mit seiner Auffassung des Verhältnisses von Geist und Körper, Seele und Leib eine sowohl in sich mögliche und widerspruchslose als auch mit ihm selbst harmonisierende meta- physische Theorie zu verbinden: die realistisch -monistische Identitäts- lehre leidet an inneren Widersprüchen, die idealistisch -monistische Theorie hebt den Parallelismus, der sich auf sie stützen will, im Grunde auf.

Die parallelistische Theorie nötigt uns ferner, einen künstlichen, die Welt in zwei beziehungslos nebeneinander stehende Hälften teilenden Kausalitätsbegriff auszubilden. Sie ist unfähig, der Forde- rung, welche zu stellen die Konsequenz des eigenen Standpunktes sie nötigt, zu jedem Zug, den das geistige Leben aufweist, ein physisches Analogen anzugeben, wirklich zu genügen, und ebenso erweist sich die Forderung, die gleichfalls als eine unausweichliche Konsequenz des parallelistischen Standpunktes erscheint, alle Hand- lungen und Verrichtungen de^ lebendigen Wesen, der Tiere und Menschen, rein physisch -mechanistisch, ohne jede Inanspruchnahme psychischer Faktoren zu erkläi*en, als undurchführbar: Biologie und Kulturgeschichte lassen sich nicht in automatisch -mechanische Vor- gänge auflösen. Endlich zwingt die Konsequenz des parallelistischen Grundgedankens zu einer Auffassung der Seele und des seelischen Lebens, welche die wahre, durch die Tatsachen des Selbstbewußt- seins dokumentierte Beschaffenheit derselben zerstört, insbesondere das logische Denken und seine Gesetzmäßigkeit aufhebt und die Seele in einen bloßen Mechanismus von gesetzmäßig zusammenhängenden psychischen Urelementen oder Psychosen verwandelt

Unter diesen umständen ist doch die Frage berechtigt, ob es nicht geratener ist, den Parallelismus, der durch so bedeutende Schwierigkeiten gedrückt wird, fallen zu lassen und es noch einmal mit der Lehre von der Wechselwirkung zu versuchen. Lassen wir ihn also fallen und sehen wir im nächsten Abschnitt zu, wie es mit der Wechselwirkungstheorie bestellt ist, welche Vorteile sie gewährt und welche Schwierigkeiten sich ihr in den Weg stellen.

380 Zweiter Abschnitt Die psychophysische Wechselwirkungstheorie.

Zweiter Abschnitt Die psychophyslsche Weehselwlrkuiigstheorie*

Erstes Kapitel.

Die Vorteile der Theorie.

Die Nachteile, welche der psychophysische Parallelismus auf- weist, bedeuten natürlich ebensoviele Vorteile der sie rerm eidenden Wechsel Wirkungstheorie, wie denn umgekehrt auch der große Vorteil des ersteren, mit den Voraussetzungen und Konsequenzen naturwissen- schaftlicher Weltbetrachtung aufls beste übereinzustimmen was der Wechselwirkungslehre abgeht, was für sie eine Schwierigkeit bedeutet, mit der wir uns noch näher zu befassen haben werden.

Die Wechsel Wirkungstheorie, welche die Seele auf den Leib und den Leib auf die Seele wirken läßt, schließt sich damit der natür- lichen, durch die Erfahrung unablässig nahe gelegten Anschauung an. Sie ist nicht wie der psychophysische Parallelismus genötigt, zu einem künstlichen, die Welt in zwei einander völlig ausschließende und zugleich auf unerklärliche Weise einander parallel verlaufende Hälften teilenden Kausalitätsbegriff ihre Zuflucht zu nehmen. Indem sie alle Dinge in der Welt aufeinander wirken läßt, kommt sie dem logischen Bedürfnis des Denkens nach einheitlicher, die Welt als ein einheitliches Ganze auffassender Betrachtung mehr ent- gegen. Sie gestattet femer, der biologischen und kulturhistorischen Forschung die ihr eigentümlichen und für sie unentbehrlichen Prin- zipien und Gesichtspunkte ohne Einschränkung zu belassen, ohne dieses Zugeständnis durch das verzweifelte Mittel der Lehre von der doppelten Wahrheit zu erkaufen. Sie ermöglicht es, das Unmittelbare in unserem seelischen Leben als solches anzuerkennen, statt es in einen künstlichen Mechanismus aufzulösen und dadurch zu vergewal- tigen. Die Eigenartigkeit und Einzigartigkeit des seelischen Lebens, die Eigentümlichkeit des logischen Denkens und der logischen Not- wendigkeit bleibt hier gewahrt, während sie durch die parallelistische Auffassung verletzt wird. Und somit vermag denn die Wechsel- wirkungstheorie auch den Bedürfnissen des Gemüts besser zu genügen als der Parallelismus, der, konsequent durchgeführt, alle Ideale not- wendig in Illusionen verwandelt.

Endlich aber läßt die Auffassung, welche auf empirischem Boden Leib und Seele sich wechselseitig beeinflussen läßt, sich auch leichter mit einer idealistisch -spiritualistischen Metaphysik verknüpfen.

Erstes Kapitel. Die Vorteile der Theorie. 381

als der Farallelismiis. Die Schwierigkeiten, die sich in dieser Be- ziehung dem Farallelismus entgegenstellten: wie denn ein und das* selbe Beale zugleich Geist und Körper und doch auch wieder weder Geist noch Körper, wie Geist und Körper zugleich miteinander identisch und voneinander verschieden sein können, oder wie aus dem allein wahrhaft seienden Geistigen der Parallelismus der primären und der sekundären (Erscheinungs-) Beihe hervorgehen könne alle diese Schwierigkeiten fallen hier fort Auch die Wechselwirkungs- lehre kann und wird den empirischen Dualismus, den sie ebenso wie der Farallelismus festhält, auf ontologisch- metaphysischem Gebiet mit einem idealistischen Monismus vertauschen, sei es in der Form, da£ sie ein absolutes Bewußtsein annimmt, das in sich die Körper- welt als Inhalt seiner Yorstellung enthält und sich zugleich in eine Anzahl relativ selbständiger Einzelbewußtseine gliedert, welche gleich- falls die Yorstellung der Körperwelt in sich enthalten (objektiver Idealismus), sei es in der anderen, daß ein absolutes Bewußtsein oder ein absoluter Geist angenommen wird, welcher in sich eine Mannig- faltigkeit relativ selbständiger, aber vei*schiedene YolIkommenheitS' grade darstellender geistiger Wesen (Dingmonaden und Seelenmonaden) setzt, von denen ein Teil (zu dem die menschlichen Seelen gehören) so konstituiert ist, daß in ihrer sinnlichen Auffassung die an sich geistigen Dingmonaden als eine Welt körperlicher, im Raum befind- licher Dinge sich darstellen. Im ersten Fall bestehen zwischen den Yeränderungen der Yorstellungsinhalte des absoluten und der indi- viduellen Bewußtseine untereinander und zwischen diesen Änderungen und den übrigen Bewußtseinsvorgängen gesetzliche Beziehungen, die auf dem Boden empirischer Betrachtung die Form physischer und psychophysischer Kausalitätsverhältnisse annehmen, im zweiten Fall erscheint die gesetzmäßige wechselseitige Abhängigkeit, die zwischen den Dingmonaden untereinander und den Ding- und Seelenmonaden besteht, auf empirischem Standpunkte als ein Wirken der Körper auf- einander und als ein solches der Körper auf die Seelen und der Seelen auf die Körper. In beiden Fällen aber ist die empirische Betrachtungs- weise die ungezwungene, ja notwendige Folge des metaphysischen Standpunktes; man gelangt vom einen zum anderen ohne Schwierig- keit, sie passen zueinander, fordern einander und ergänzen ein- ander.

Bei dieser Sachlage müßten es in der Tat, mit S ig wart zu reden, zwingende Gründe, nämlich unlösbare Widersprüche, in welche sich die Theorie der Wechselwirkung verstrickt, sein, die

382 Zweiter Abschnitt. Die psychophysische Wechselwirkoiigstheorie.

uns nötigen könnten, „diese ganze Basis unserer Auffassung der ob- jektiven Welt schließlich doch aufzugeben und nach anderen Sich- tungen Zusammenhänge zu suchen, die sowohl auf physiologischem als psychologischem Gebiete nur in ganz hypothetischer Weise er- reichbar sind.'*^)

Derartige zwingende Gründe glauben die Yertreter der gegne- rischen Ansicht, des psychophysischen Parallelismus, nun aber in der Tat anführen zu können. Schon sehen wir uns den beiden ge- heiligten Grundsätzen naturwissenschaftlicher Forschung gegenüber, welche jedem Bekenner der Wechselwirkungslehre alsbald als höchster Trumpf entgegengehalten zu werden pflegen und die, weil sie ebenso un- anfechtbar wie mit der Annahme psychophysischer Wechsel- wirkung unvereinbar sein sollen, die letztere nach Ansicht der Parallelisten allerdings absolut unmöglich machen sollen: dem Prinzip der geschlossenen Naturkausalität und dem Gesetz der Er- haltung der Energie. Sehen wir zu, wie es mit dieser Behauptung bestellt ist

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der WeduielwirkimgBfheorie.

1. Das Prinzip der Gesohlossenheit der Naturkausalitäi Philosophie und Naturwissenschaft.

Die beiden Prinzipien, an denen die Theorie psychophysischer Wechselwirkung nach der Ansicht der Parallelisten doch schließlich scheitern soll: das der Geschlossenheit der Naturkausalität und das der Erhaltung der Energie, hängen, wie wir noch sehen werden, aufe engste miteinander in dem Sinne zusammen, daß das letztere in der Form, in der es gegen die Wechselwirkungslehre geltend ge- macht wird, auf dem ersteren beruht, dieses also das ausschlag- gebende ist Trotzdem oder vielmehr gerade, weil dieses Verhältnis auf diese Weise klarer hervortritt, dürfte es geraten sein, sie beide getrennt zu betrachten. Wir beschäftigen uns daher zunächst mit dem Prinzip der Geschlossenheit der Naturkausalität

Daß mit ihm die Theorie der Wechselwirkung zwischen Geist und Körper, Seele und Leib in der Tat unvereinbar ist, leuchtet nun frei- lich ohne weiteres ein. Wenn der Grundsatz: jede physische Wirkung kann nur eine physische Ursache, jede physische Ursache nur eine physische Wirkung haben, uneingeschränkt gilt, so kann natürlich

1) Sigwart a. a. 0. S. 536.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der TVechselwirkangstheorie. 383

von einem Bewirken psychischer Vorgänge durch physische ürachen oder von einem Bewirken physischer Vorgänge durch psychische ürachen keine Bede mehr sein. Die beiden Annahmen schließen einander schlechtweg aus. Es kann sich also nur darum handeln, ob das Prinzip der Geschlossenheit der Naturkausalität in der Tat eine absolut gültige, unanfechtbare Wahrheit darstellt

Der Erörterung dieser Frage möchte ich einige allgemeine Be- merkungen über das Verhältnis der Philosophie zur Naturwissen- schaft vorausschicken, die mir bei dem gegenwärtigen Stande der Dinge angezeigt erscheinen.

Wenn sich früher die Naturwissenschaft mit Becht über Über- griffe der Philosophie beklagen konnte, wenn diese häufig die Neigung zeigte, die Bechte der Einzelwissenschaften mißachtend in alle An- gelegenheiten derselben dreinzureden und überall alles besser wissen zu wollen, so hat sich dies Verhältnis jetzt bedeutend zu Gunsten der Naturwissenschaft geändert. Von Übergriffen der Philosophie der Naturwissenschaft gegenüber kann wohl kaum noch die Bede sein. Vielmehr befindet sich die Philosophie durchweg in der Defensive und vermag kaum ihr eigenes Gebiet gegen die Invasion der Natur- wissenschaft zu schützen. Ängstlich sieht man die Philosophen be- müht, jeden Konflikt mit der Naturwissenschaft zu vermeiden; mit ihr in Frieden zu leben macht man jeder philosophischen Welt- anschauung zur Pflicht: eine Philosophie, die sich nicht über ihre naturwissenschaftliche Bechtgläubigkeit genügend ausweisen kann, er- scheint von vornherein verdächtig, ist von vornherein diskretitiert. Es wird offen ausgesprochen ^ daß die Philosophie sich bei ihren Versuchen, eine Weltanschauung aufzustellen, der Naturwissenschaft in allen Stücken unterzuordnen und anzupassen habe.^)

Ich meine, daß diese Unterordnung der Philosophie unter die Naturwissenschaft doch weder durch die Tatsachen gerechtfertigt ist noch der Würde der Philosophie recht entspricht Gewiß wird jede Philosophie heutzutage Gewicht darauflegen, mit den von der Natur- wissenschaft festgestellten Tatsachen sich in Übereinstimmung zu

1) E. König, Die Lehre vom psychopbys. Panül. u. ihre Gegner, Zeitschr. f. Phil. u. ph. £r. Bd. 115 S. 165: »Unter einer philosophischen Lösung verstehen wir eine solche, die das naturwissenschaftliche Weltbild unverändert läßt und den Zusammenhang von Natur und Geist, das Nebeneinanderbestehen von mechanischer Kausalität und Zweckbestimmung vielmehr dadurch begreiflich zu machen sucht, daß sie beide Formen des Seins und Geschehens auf einen einheitlichen metaphy-, sischen Grund zurückführt.«

384 Zweiter Abschnitt Die psychophysische Wechselwirknngstheorie.

befinden, nicht sowohl weil diese Tatsachen naturwissenschaft- liche, als yielmebr, weil sie Tatsachen sind und eine Philosophie, welche feststehenden Tatsachen widerspricht, durch diese sofort wider- legt wird. Kein Philosoph wird den Mut haben, mit dem Grand Old Man zu sagen: y,The facts are against me? The worse for ihe facts !'^ Diese Anpassung bedeutet aber nicht und kann nicht bedeuten, daß die Philosophie auch gehalten sei, allen Hypothesen, Ayjomen, heuristischen und regulativen Prinzipien, Dogmen, Über- zeugungen und LieblingsvorstelluDgen, welche im Namen der Natur- wissenschaft aufgestellt und geltend gemacht und yielleicht von der Majorität der Naturforscher Tertreten werden, sich zu beugen.^) Denn dadurch würde die Philosophie, nachdem sie aufgehört hat, eine Magd der Theologie zu sein, zu einer Magd der Naturwissenschaft werden, eine Bolle, die ihr doch wenig angemessen ist und die sie, so wie die Dinge tatsächlich liegen , auch nicht zu spielen genötigt ist Sie hat die Pflicht, bei ihren Versuchen, ein Bild des Weltganzen zu entwerfen, mit allen denknotwendigen Prinzipien einerseits, mit aUen Tatsachen und auf Tatsachen sicher fundierten Theorien andererseits in durchgängiger Übereinstimmung zu bleiben, sie hat aber auch das Recht, und nicht nur dieses, sondern auch die Pflicht, alle sonstigen von den Einzelwissenschaften gemachten und in ihnen Burgerrecht ge- niefienden hypothetischen Annahmen darauf hin zu prüfen, ob sie darauf Anspruch machen können, als absolut und universell gültige Annahmen in die abschließende und vereinheitlichende philosophische Weltbetrachtung mit hinübergenommen zu werden. Und so muß sie denn auch das Recht in Anspruch nehmen, derartigen Annahmen, wie sehr sie sich auch, vom Standpunkt einer Einzel Wissenschaft aus betrachtet, empfehlen mögen, unter umständen aus höheren, das Ganze der Wirklichkeit und seine Struktur im Auge habenden Rücksichten ihre absolute Gültigkeit zu bestreiten. Denn keine Wissenschaft hat das Recht, einseitig und ohne Bücksicht auf die übrigen die Linien des Weltbildes endgültig zu bestimmen, keine Wissenschaft, und so auch nicht die Naturwissenschaft, kann verlangen, daß alle Lieblings- vorstellungen und Ideen, an deren Geltung und Aufrechterhaltung sie ein spezielles Interesse hat und die, wenn es weiter nichts als

1) Ebbioghaus* Ausfülinmgen S. 29, 36, 45 seiner Psychologie scheinen mir ebenso wie die von Paulsen in Erwiderong auf eine Abhandlung von mir in der Zeitschr. f. Ph. n. phil. Er., Bd. 115 S. 2 u. 3 entwickelten Ansichten unaus- weichlich zu dieser Konsequenz zu führen. Vgl. König, 2^itsohr. Bd. 119, S. 27, 139, 161 f.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Weohselwirkungstheorie. 385

die Gegenstände, die sie erforscht, auf der Welt gäbe, die ange- messensten wären, auch dann noch bedingungslos als absolut gültig sollen respektiert werden, wenn sie mit anderen, in philosophisch- metaphysischer Hinsicht vielleicht sogar sich mehr empfehlenden Annahmen kollidieren. Hier kann nur allseitige Erwägung aller pro- und contra- Argumente darüber entscheiden, ob und in welchem umfange den einzelnen, von den einzelnen Wissenschaften geltend gemachten Annahmen die Dignität eines auch für die Metaphysik verbindlichen Grundsatzes zuzusprechen ist. Den naturwissenschaft- lichen Annahmen insgesamt und von vornherein in dieser Beziehung eine Ausnahmestellung einzuräumen geht nicht an. Noch decken sich naturwissenschaftliche und wissenschaftliche Erkenntnis überhaupt nicht durchaus.^) Es hilft auch nichts, diese Ausnahmestellung bei einzelnen Annahmen damit motivieren zu wollen, daß man sie als Forderungen des »Geistes der Naturwissenschaft«, alle ihnen ent- gegenstehenden Ansichten also als demselben widerstreitend hinstellt Mit dem »Geist der Naturwissenschaft« ist es eine eigene Sache, er ist doch zunächst immer nur der Geist der einzelnen Naturforscher, in dem die Naturwissenschaft sich spiegelt. Jeder faßt ihn etwas anders auf, er ist dem Wechsel und der Veränderung unterworfen. Auch auf dem Gebiete der Naturwissenschaft wechseln die Prinzipien und Tendenzen und herrschen Modetheorien jeweilig vor. Der Philo- sophie zuzumuten, sich diesen jeweiligen Modetheorien anzupassen und immer den Anschluß an die naturwissenschaftliche Erkenntnis- form zu suchen, die jeweilig als die »zur Zeit beste« bezeichnet wird, beißt, sie ihrer eigentlichen Aufgabe, eine definitive Ansicht der Dinge zu erarbeiten, die sie doch, wie oft sie sie auch verfehlt, als Aufgabe festhalten muß, will sie sich nicht selbst aufgeben, völlig ent- fremden. Wollten wir an dieser Verpflichtung der Philosophie fest- halten, so müßten wir sie auch, wenn es den Naturforschem eines schönen Tages gefallen sollte, den Materialismus wieder auf den Schild zu erheben und als die dem »Geist der Naturwissenschaft« allein an- gemessene Denkweise zu bezeichnen, verpflichten, nunmehr eine mate- rialistische Metaphysik auszuarbeiten, so hätte die Philosophie zu der

1) WieE. V. Hartmann mit Recht gegen Dubols-Reymond geltend macht, Oesch. d. Met II. S. 504. Zu zeigen, daß naturwissenschaftliche Erkenntnis nicht einfach identisch ist mit wissenschaftlicher Erkenntnis überhaupt, ist die Haupt- Absicht des Rick er t sehen Werkes: Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Be- griffsbildung, Tübingen u. Leipzig 1902. Vgl. auch Wind elb and, Oeschichte und Naturwissenschaft, Rektoratsrede, Straßburg 1894.

Bosse, Geist and Körper, Seele und Iieib. 25

386 Zweiter Abschnitt Die psychophysische Wechselwirkungstheorie.

Zeit, da der Materialismus innerhalb der Kreise der Naturforscher fast unbestritten herrschte, sich dieser Denkweise anbequemen müssen. Ich denke, es gereicht ihr zum Ruhm und zur Ehre, das nicht getan, son- dern ihn bekämpft und durch immer schärfere Begründung der gegen ihn sprechenden metaphysischen und erkenntnistheoretischen Argu- mente schließlich überwunden zu haben. Was aber dem Materialis- mus gegenüber gilt, das gilt in gleicher Weise auch allen übrigen naturwissenschaftlichen Annahmen allgemeinen Charakters gegenüber, die mit dem Anspruch, absolut gültige Wahrheiten zu sein, auf- treten. Ihre Acceptierung als solcher muß davon abhängig gemacht werden, ob sie sich als denknotwendige und daher natürlich meta- physisch gültige Wahrheiten oder als auf Tatsachen sicher gegründete und aus ihnen in einwandfreier Weise abgeleitete Erkenntnisse aus- weisen können. Und damit dürfte die Philosophie mit dem wahren und bleibenden Geiste aller naturwissenschaftlichen Forschung, dem diese ihre gewaltigen Erfolge und ihren verdienten Ruhm doch schließ- lich allein verdankt, am besten in Übereinstimmung sich befinden : dem Geiste kritischer und gewissenhafter Forschung, der nichts für wahr hält, das nicht der schärfsten kritischen Prüfung standzuhalten vermag.

Derartige Ansichten über das Yerhältnis von Philosophie und Naturwissenschaft sind freilich dem Geiste der Zeit wenig genehm und gelten für äußerst ketzerisch; gerade deshalb aber schien es mir geboten sie auszusprechen: die Philosophie soll sich nicht vom Zeit- geist das Gesetz diktieren lassen.

Von diesem Standpunkt aus wollen wir nun auch das Prinzip- der geschlossenen Naturkausalität auf seine Kompetenz und Gültig- keit hin prüfen.^)

Die kritische Frage, welche wir hinsichüich des Prinzips der Geschlossenheit der Naturkausalität stellen müssen^ ist die: Ist dieses Prinzip ein denknotwendiger Satz, der als solcher dann natürlich absolute und metaphysische Gültigkeit besitzt, ist er der Ausdruck einer erfahrungsmäßig feststehenden Tatsache oder ist er auf Grund eines sicheren und unanfechtbaren Induktionsschlusses aus Tatsachen

1) Ygl. zu dieser ganzen Aasföhnmg meinen Aufsatz in d. Zeitschr. f. Phil, u. phil. Kr. Bd. 116 S. 59— 60, und die Abhandlung in der Sigwart- Festschrift, Tübingen 1900, S. 120—121; vgl. femer Lotze, Med. Psych. S. 60/61; Sigwart, Logikll, 2. Aufl. S. 6411; "Wentscher, tJber phys. u. psych. Kaus. usw. S. 5, 41, Zeitsohr. f. Phü. u. ph. Kr. Bd. 117 S. 71, 72.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechselwirkungstheorie. 387

der Erfahrung abgeleitet? Ist nichts von alledem der Fall, läßt der Satz sich weder auf Denknotwendigkeit noch auf Erfahrung sicher gründen, so ist er eben ein bloßes Vorurteil, ein Dogma, ein Glaubens- satz, i) vor dem die Lehre von der Wechselwirkung nicht Halt zu machen braucht

Daß nun das Prinzip der Geschlossenheit der Naturkausalität kein denknotwendiges Prinzip darstellt, darüber sind sich die An- hänger wie die Gegner des Parallelismus wohl so ziemlich einig. Wundt sagt zwar im »System der Philosophie«:*) »Nur ist eines ausgeschlossen, weil es direkt dem Prinzip von Grund und Folge und damit den logischen Forderungen alles Erkennens widerstreitet. Dieses eine besteht darin, daß man das Physische als Bedingung des Psychischen und umgekehrt dieses als Bedingung des ersteren ansieht,« und begründet diese Behauptung durch die andere, daß Grund und Folge stets ein gleichartiges Ganze voi:aussetzen, in welchem sie als Glieder enthalten sind; aber die Begründung wieder-

1) Wenn man will, kann man das Prinzip anoh in dieser Qestalt einen meta- physischen Satz nennen, wenn man namlioh unter einem solchen ganz allgemein einen Satz versteht, der jenseits aller Erfahrong und der Möglichkeit, durch Erfahrung be- stätigt zu werden, liegt. Nur die Denknotwendigkeit ist zu bestreiten. König ver- mengt die Frage, ob dieses Prinzip metaphysisch ist, mit der anderen, ob die Frage: ob psychophysische Kausalität möglich ist, empirisch ist oder nicht (Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 119 S. 23 27). Man kann ihm zugeben, daß das letztere Problem insofern empirisch ist, als es ja überhaupt nur auf dem Standpunkte empirischer Be- trachtung, da die Körperwelt als real betrachtet wird, vorhanden ist, auf dem Boden idealistischer Metaphysik dagegen verschwindet. Und man kann weiter zugeben, daß an sich eine empirische Entscheidung der Streitfrage insofern wenigstens denkbar ist, als ja bei »astronomischer« Kenntnis der Gehimvorgfinge sich herausstellen müßte, ob der physische Kausalzusammenhang ein tatsächlich geschlossener ist oder nicht. Aber da wir nun leider diese »astronomische« Kenntnis nicht besitzen und in absehbarer Zeit auch nicht besitzen werden, so bleibt es doch dabei, daß, wie die Dinge liegen, die Frage nicht auf empirischem Wege, sondern nur mit Hilfe allgemeiner metaphysischer oder naturphilosophischer Annahmen entschieden werden kann, wio das König S. 25 (vgl. Bd. 115 S. 163) auch selbst zugibt; in die Klasse solcher Annahmen gehört nun auch das von den Parallelisten angezogene Prinzip der geschlossenen Naturkausalität. Dieses Prinzip selbst ist also nicht empirisch, sondern ein metaphysisches oder doch naturphilosophisches Axiom. König meint (S. 29), die Gegner wollten es nur zu einem solchen machen, um um so leichter sich über Bedenken empirischer Art hinwegsetzen und so ihre Sache leichter durch- führen zu können. König ist leider vielfach geneigt, seinen Gegnern unsachliche Motive unterzuschieben und so eine persönliche statt der allein berechtigten sach- lichen Polemik zu fähren. Das macht die Auseinandersetzung mit ihm mitunter zu einer etwas unerquicklichen Sache.

2) 2. Aufl. S. 380.

25*

388 Zweiter Abschnitt. Die psychophysische Wechselwirkangstheorie.

holt nur die Behauptung, ohne sie dadurch notwendiger zu machen, auch hat Wundt damit wohl nicht sagen wollen, daß das Prinzip der Geschlossenheit der Naturkausalität selbst ein denknotwendiger Satz sei. Wäre es das, so enthielte eben die Annahme psycho* physischer Kausalität einen logischen Widerspruch, und dann wäre der Streit zwischen Parallelismus und Wechselwirkungstheorie bald erledigt. Nachgewiesen hat aber diesen logischen Widerspruch der Wechselwirkungslehre noch niemand; im ganzen erkennen ihre Oegner durchaus an, daß sie an sich sehr wohl möglich und denk- bar sei; zu verwerfen aber sei sie deshalb, weil sie allgemein an- erkannten naturwissenschaftlichen Grundsätzen, wie dem Prinzip der Geschlossenheit der Naturkausalität widerstreite. Ebenso versteht sich von selbst, daß das Prinzip der Geschlossenheit der Natur- kausalität nicht selbst eine Tatsache der Erfahrung ist, auf die man einfach hinweisen könnte, um allem Zweifel ein Ende zu machen. Wäre das der Fall, so wäre es natürlich unmöglich, die Theorie der Wechselwirkung von Leib und Seele auch noch einen Augenblick länger aufrecht zu halten: unzweifelhaften Tatsachen muß sich jede Theorie beugen. Aber daß die Natur als die Gesamtheit aller körper- lichen. Dinge eine nach außen hin völlig abgeschlossene Kausalität besitzt, läßt sich natürlich niemals empirisch feststellen.^)

Es bleibt also nur übrig, daß unser Prinzip, sofern es über- haupt Gültigkeit besitzt, eine auf induktivem Wege gewonnene und zu einem allgemeingültigem Grundsatz erhobene Hypothese ist Der

1) Vgl. TVundt, Phil. Studien Bd. X. S. 88/89: »Wer da sagt: dieses Prinzip (d. geschlossenen Natorkausalität) hat sich zwar als richtig für ein begrenztes Gebiet von Erscheinungen als fruchtbar erwiesen, aber ein zwingender Beweis dafür, daß es auf die Gesamtheit der Naturerscheinungen anwendbar sei, ist nicht er- bracht — wer sich auf diesen Standpunkt zurückzieht, dem ist freilich von vorn- herein zuzugeben, daß, wenn er einen vollständigen Induktionsbeweis für dasselbe verlangt, ein solcher ebensowenig wie etwa für die Gültigkeit des Trägheitsgesetzes jenseits der Grenzen der uns bekannten materiellen Welt jemals zu erbringen sein wird.« Ebenso aber gilt auch umgekehrt: wer das Prinzip d. geschl. Naturk. als unbedingt gültig voraussetzt, dem ist von vornherein zuzugeben, daß unter dieser YoraussetzuDg psychophysische Wechselwirkung nicht möglich ist Soviel ich sehe, hat nur Heinrich den Mut gehabt, das Prinzip d. geschl. Naturkaus. als eine Tatsache hinzustellen. »Diese Behauptung braucht nicht erst bewiesen zu werden. Sie ist eine Tatsache und die Vorführung derselben genügt« (Zur Prinzipien- frage d. Psychologie S. 20). Die Behauptung, insofern Heinrich sie ausspricht, ist nun freilich eine Tatsache; mit der Anerkennung des Prinzips der geschl. Natur- kausalität als einer Tatsache wird man aber wohl tun zu warten, bis Heinrich es uns wirklich »vorgeführt« haben wird.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der "Wechselwirkmigstheorie. 389

Anspruch auf Allgemeingültigkeit, welchen sie erhebt, wird dann nach denselben allgemeinen methodologischen Grundsätzen zu ent- scheiden sein, nach welchen auch sonst der Geltungswert induktiv gewonnener Erkenntnisse beurteilt werden muß. Sind die Fälle, so müssen wir fragen, in denen wir nachweisen können, daß physische Vorgänge immer physische Ursachen und immer wieder physische Wirkungen haben, so'^ beschaffen, daß wir nach allen Regeln der Induktion und Analogie es für im höchsten Grade wahrscheinlich halten müssen, daß in allen Fällen, daß ausnahmslos physische Vorgänge immer physische Ursachen und physische Wirkungen haben, für so wahrscheinlich, daß der Grad der Wahrscheinlichkeit praktisch der Gewißheit gleichzusetzen ist? Wenn das der Fall ist, so ist natür- lich für eine psychische, den physischen Kausalzusammenhang unter- brechende Ursache oder Wirkung nirgends ein Baum, und die Wechsel- wirkungslehre, die solche Ursachen und Wirkungen behauptet, ist un- möglich.

Nun hängt der Grad der Wahrscheinlichkeit der Allgemein- gültigkeit einer Hypothese einerseits von der Anzahl der Fälle, in denen sie bestätigt worden ist, andererseits aber von dem Vor- handensein etwaiger Gegeninstanzen und deren Gewicht ab. In ersterer Hinsicht wird die Wahrscheinlichkeit, daß unsere Hypothese allgemein gilt, um so größer, in je mehr Fällen sie verifiziert wird; sie wird zur Gewißheit, wenn alle möglichen FäUe erschöpft sind und sie in allen sich bewährt hat. In letzterer Hinsicht genügt eine einzige als Tatsache anzuführende Gegeninstanz, um jeden An- spruch einer Hypothese auf Allgemeingültigkeit sofort zu vernichten. Mag die Anzahl der Fälle, welche sie bestätigte, auch noch so groß sein: ein einziger Fall, in welchem tatsächlich das Gegenteil von dem, was sie besagt, stattfindet, genügt natürlich, sie als allgemein- gültiges Prinzip aufzuheben. i) Werden als Gegeninstanzen nicht Tat- sachen selbst geltend gemacht, sondern wird statt dessen nur auf Tatsachen hingewiesen, die eine andere Interpretation als die, welche die Hypothese darstellt, nahe legen, so hängt es von dem Gewicht der für die gegnerische Interpretation beigebrachten Gründe ab, in welchem Maße sie geeignet ist, den Anspruch der betreffenden Hypothese auf ausnahmslose Allgemeingültigkeit abzuschwächen oder ganz aufzuheben. Man wird diese Gründe unabhängig von der Hypothese selbst, gegen die sie sich richten, prüfen und eventuell

1) Vgl. Wundt, Phil. St. Bd.X. S.92, Ebbinghaus, Psychologie S. 35.

390 Zweiter Abschnitt. Die psychopbysische Wechsel Wirkungstheorie.

als unzutreffend erweisen müssen, um danach den Anspruch auf Allgemeingültigkeit der letzteren entweder festzuhalten oder auf- zugeben^): in keinem Fall ist es natürlich aber gestattet, die AU- gemeingültigkeit der Hypothese selbst zur Zurückweisung der g^en dieselben ins Feld geführten Gegenargumente zu benutzen.

Nun hat sich der Grundsatz, für jeden physischen Yorgang auch eine physische Ursache vorauszusetzen und von ihm eine physische Wirkung zu erwarten, auf dem gesamten Gebiete der un- organischen Natur durchaus bewährt. Hier steht den unzähligen Fällen, in welchen Ursache und Wirkung stets in der physischen Sphäre liegen, nicht nur kein einziger Fall, in welchem eine nicht- physische Ursache oder Wirkung konstatiert wäre, sondern auch nicht einmal eine Veranlassung entgegen, eine solche anzunehmen oder zu vermuten. Die Beweggründe, aus denen die Mythologie allerhand geheimnisvolle geistige Kräfte in und hinter den Natur- erscheinungen ihr Wesen treiben ließ, wird niemand als eine gegen die vieltausendfache Bestätigung, welche das Prinzip rein physischer Erklärung auf diesem Gebiet gefunden hat, irgendwie in Betracht kommende Gegeninstanz ansehen. Über die ausschließliche Geltung des Prinzips physischer Erklärung auf dem Gebiete der unorganischen Natur ^) sind sich also Anhänger wie Gegner des psychophysischen Parallelismus durchaus einig. Erschöpfte sich die physische Wirk-

1) Es ist daher ein ganz unberechtigtes Verfahren , wenn König (Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 110 S. 121) die Sache so darstellt, daß eine Gegeninstanz gegen das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität nur dann gegeben wftre, wenn in irgend einem Falle physische Wirkungen ohne nachweisliche physische Ursachen oder umgekehrt auftreten. Solche Fälle ließen sich nun freilich viele anführen; aus dem ganzen Zusammenhang, in welchem sich der Satz findet, geht aber henror, daß König meint: Fällo, in denen sich eine nicht -physische Ursache oder Wir- kung nachweisen läßt S. 33 fordert er auch von den Gegnern , daß sie den Nach- weis liefern sollen, daß die Kausalität des physischen Voi^gangs sich nicht bereits in äußeren Folgen erschöpft habe. Es handelt sich aber in dem Streit zwischen Wechselwirkung und Parallelismus um ein Gebiet, in welchem weder die durch- gängige physische Beschaffenheit von Ursache und Wirkung noch psychische Ur- sachen oder Wirkungen nachgewiesen werden können. Unter diesen Umständen können nur Erörterungen allgemeiner Art darüber entscheiden, ob die psychopby- sische Kausalität wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist und damit als Gegen- grund gegen die AUgemeingültigkeit des Prinzips der geschlossenen Naturkausalität in Betracht kommt oder nicht. In seinem früheren Aufsatze Bd. 115 S. 163/164 hatte König das auch selbst zugestanden; nachher hat er an dieser Auffassung nicht mehr festgehalten.

2) Die Frage, wie die Vorgänge, die sich uns als physische darstellen, meta- physisch aufzufassen sind, bleibt hier natürlich außer Betracht.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechselwirkungstheorie. 391

lichkeit mit der unorganischen Natur, so wäre das Prinzip der ge- schlossenen Naturkausalität in der Tat in so ausreichender Weise begründet, daß sein Anspruch auf Allgemeingültigkeit nicht wohl abgewiesen werden könnte. Aber ebenso unzweifelhaft ist es doch, daß daraus, daß auf unorganischem Gebiet, wo eine gegründete Ver- anlassung, etwas anderes zu vermuten, überhaupt nicht Torliegt, alle Vorgänge stets nur physische Ursachen und physische Wirkungen haben, nicht ohne weiteres geschlossen werden darf, daß auch auf dem Ge- biete der unorganischen, und speziell der animalischen Natur dasselbe durchweg der Fall ist: solange nicht feststeht, daß hier ebenso wenig gegründete Veranlassung vorliegt, etwas anderes anzunehmen, als dort^) Die bloße Unmöglichkeit, das Prinzip rein physischer Eausalerklärung, das auf dem Gebiete der unorganischen Natur eine so überwältigende Bestätigung erhalten hat, auf den Gebieten des tierischen Lebens, auf die es hier vornehmlich ankommt, in den Gehirn- und Nervenprozessen, ebenso wie dort verifizieren zu können, begründet selbstverständlich an sich noch keinen Einwand gegen die All- gemeingültigkeit desselben;^) noch weniger aber bedeutet sie natürlich eine Bestätigung des Prinzips. Es kommt eben alles darauf an, ob irgend welcher Grund vorliegt, die Sache hier anders anzusehen, als auf dem Gebiete der Physik und Chemie.^)

1) Vgl. Wentsoher, Schrift S. 31, Zeitschr. f.Phil. u. phil. Kr. Bd. 117 S. 78.

2) Wenn König sich daher in seiner Abhandlung Zeitschr. f. Phil. u. phil. Kr. Bd. 119, S. 121 auf dieses von mir schon Zeitschr. f. Phü. u. phü. Kr. Bd. 116, 8. 77 gemachte Zugeständnis beruft, so ist dagegen nichts zu erinnern. Aber mehr als ich daraus folgere darf man auch nicht daraus folgern. Der Zweifel an der universellen Gültigkeit des Prinzips der geschlossenen Naturkausalität stützt sich aber nicht nur, wie König Bd. 115 S. 177 annimmt, auf die Nichtverifizier- barkeit desselben auf organischem Gebiet, sondern auf positive Argumente.

3) Wundt hatte in den Phil. Studien Bd. X Sigwarts Einwand gegenüber, daB das Prinzip der Erhaltung der Energie doch bisher nur für die unorganische Natur genügend bewiesen sei, das Recht der allgemeinen methodologischen Hegel geltend gemacht, ein Prinzip, das sich bei der Analyse einfacher Erscheinungen bew^ährt hat, auch auf zusammengesetztere Dinge auszudehnen, solange sich nicht direkte Gründe und das sind im Falle der geschlossenen Naturkausalität nach 8. 92 Tatsachen gegen eine solche Übertragung nachweisen lassen (S. 32). Demnach dürfe man aus der allgemeinen Bewährung, welche das Prinizip auf dem Gebiete der unorganischen Natur gefunden habe , auch seine universelle Gültig- keit folgern. »Überall da, wo ein stetiger Verlauf von Naturvorgängen eine exakte Feststellung zuläßt, da führt diese zu der Voraussetzung, daB die Natur- kausalität ein in sich geschlossenes Gebiet bildet.« »Wo eine exakte Feststellung nicht möglich ist, da handelt daher gleichwohl die Naturwissenschaft unter dieser Voraussetzung. Sie wird demnach niemals einen Naturvorgang für in ihrem Sinne

392 Zweitei Absoliniti Die psychophysische ^Vechsel Wirkungstheorie.

Daß die Sache hier anders liegt als dort, behauptet ja nun schon der Yitalismus, den man natürlich auch nicht dadurch widerlegen

kausal erklärt ansehen, wenn versucht wird, ihn aus anderen als vorangehenden Natnrbedingungen abzuleiten.« Gegen diese beiden Sätze hatte sich Wentscher in seiner Schrift (S. 40 Anm. 1) mit dem Bemerken gewandt, der erste Satz ent- halte eine bloße Tautologie, da ein stetiger Zusammenhang von Natur vergangen natürlich nur da vorkommt, wo nur physische Ursachen und Wirkungen in Frage kommen, und nur diese natürlich eine exakte Fassung, d. h. Kraft- und Transfor- mationsgleichungen, zulassen; der zweite Satz könne aber eben deswegen unmöglich aus dem ersten gefolgert werden. Dem gegenüberhat nun König die Verteidigung Wundts übernommen und erklärt die Tautologie -Behauptung Wentschers für bloße Wortklauberei (Zeitschr. f. PhiL u. phil. Kr. S. 173 Anm. 1; vgL Bd. 119 8. 122 Anm. 1). Lassen wir das auf sich beruhen; die Hauptsache, auf die alles ankommt, ist, daß das »Überall wo« sich doch tatsächlich auf das Gebiet be- schränkt, wo auch die Verteidiger der psychophysischen Kausalität das Prinzip der rein physischen Kausalerklärung als durchaus und allein berechtigt ansehen. Und wenn König nun von da aus auf die Geltung des Prinzips auch auf den Gebieten, wo seine ausschließliche Gültigkeit beanstandet wird, schließen will, so wiederholt er einfach den Fehler Wundts, ohne daß dieser Fehler dadurch auf- hört, ein Fehler zu sein. »Bis jetzt«, sagt er Bd. 115 S. 173, »ist aber ein Bei- spiel dieser Art (wo das Prinzip versagt hätte) noch nicht bekannt geworden, vielmehr hat sich unser Grundsatz in allen den Fällen, wo überhaupt eine vollständige Zerlegung der Erscheinungen in ihre elementaren Be- standteile durchführbar ist, ausnahmslos bewährt.« Diese Fälle liegen eben alle auf den Gebieten, wo den Grundsatz niemand in Zweifel zieht; die Be- rechtigung, ihn von da auf die Gebiete, wo dieser Zweifel unter Hinweis auf Tatsachen, welche die Mitwirkung psychischer Faktoren nahelegen, sich bemerkbar macht, ohne Rücksicht auf diesen und seine Begründung einfach zu übertragen, ist das, was zu bestreiten ist. Dieses von Wentscher mit Recht (Schrift S. 38 41, Aufsatz Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 117 S. 73 79) geltend gemachte Aigument hat König weder in seiner ersten noch in seiner zweiten Entgegnung (Bd. 115 und Bd. 119 d. Zeitschr.) zu entkräften vermocht. Oder soll etwa die erdrückend große Zahl der Fälle, in denen wir im stände sind, die Ursachen bezw. Wir- kungen gegebener physischer Vorgänge aufzuzeigen, die doch alle auf Gebieten liegen, wo psychische Ursachen höchst unwahrscheinlich sind, wirklich eine »un- mittelbare« Bestätigung des angefochtenen Pnnzips auch auf Gebieten bedeuten, wo wir dazu nicht im Stande sind, aber andererseits viel eher Veranlassung haben, die Mitwirkung psychischer Faktoren als möglich oder gar als wahrscheinlich anzu- sehen? (König, Bd. 119 S. 120). Soll damit, daß sich, soweit die Naturvorgänge genau erforscht sind (was übrigens nach Königs Auseinandersetzung im Text Bd. 119 S. 122 nirgends der Fall ist), ihre Zurücliführbarkeit auf Transformations- und Kraftgleichungen herausgestellt hat, sich auch die Geschlossenheit der Natur- kausalität, d. h. die Möglichkeit solcher Gleichungen auch auf allen anderen Ge- bieten herausgestellt haben (König, Bd. 119 S. 122 Anm. 1)? Wenn das die »viel gewichtigeren« Gründe sein sollen , welche für die Geschlossenheit der Natur- kaosalität sprechen sollen (S. 120), so schaut es böse für dies Prinzip aus. Daß Gründe um so gewichtiger sein sollen, je weniger logische Berechtigung sie haben,

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der WechselwirkoDgaÜieorie. 393

kann, daß man nachweist, daß auf dem ganzen Gebiete der un- organischen Natur keine anderen als unorganischen Kräfte zur Ver- wendung gelangen. Für unsere Frage kommt aber der Yitalismus nur insofern, als er überhaupt auf die Möglichkeit hinweist, daß nicht alles, was in der unorganischen Natur durchweg gilt, darum auch in der organischen Natur durchweg gelten müsse,

wäre jedenfalls neu. In dieser Weise könnte König auch gegen den Yitalismus argumentieren: Wir haben auf dem ganzen Gebiet der unorganischen Natur nur physikalisch -chemische Kräfte und Wirkungen, also haben wir gar keinen Grund, in den Organismen spezifische organische Kräfte und Wirkungen anzunehmen! Schade nur, daß sich der Yitalismus dui'ch diese überaus einfache Argumentation noch nicht für überwunden erklären wird! Von einer unberechtigten Über- tragung des Pr. d. geschl. Naturkausalität spricht übiigens Wundt selbst Ph. St Xn. S. 17.

An anderer Stelle (Bd. 119 S. 121) gibt auch König zu, da£ man nicht ein Prinzip, das sich auf einem bestimmten Gebiete bewährt hat, ohne weiteres auf ein anderes übertragen darf, solange nicht feststeht, daß dieses andere Gebiet dem früheren gleichartig ist. Wenn er aber dann fortfährt: »indes glaube ich, daß die Annahme der Gleichartigkeit des Geschehens in der organischen und der unorganischen Natur durch hinlängliche Gründe gerechtfertigt ist«, so trifiPt dieses Argument nicht den Punkt, auf den es hier ankommt. Die Bemerkung richtet sich gegen den Yitalismus, d. h. gegen die Annahme, daß in den organischen Prozessen keine spezifischen, von allen übrigen unterschiedenen organischen Kräfte zur Yei"wendung gelangen. Ich bin auch aus verschiedenen, hier nicht zu erörternden Gründen (vgl. übrigens die Darlegung S. 235 f.) geneigt, die von König behauptete Gleichförmigkeit zuzugestehen. Aber darauf kommt es hier nicht an. Man kann die organischen Prozesse, soweit sie nach Ursache und Wirkung völlig in der physischen Sphäre liegen, für im Prinzip völlig gleichartig mit den unorganischen Prozessen halten und zugleich behaupten, daß an bestimmten Punkten psychische Faktoren in den physischen Kausalzusammen- hang mitbestimmend eingreifen, und man kann die organischen Prozesse für prinzipiell und spezifisch verschieden von den unorganischen halten und dennoch die Mitwirkung psychischer Faktoren leugnen. Mit der Annahme einer Gleich- förmigkeit des organischen und unorganischen Geschehens im allgemeinen ist also über die Berechtigung, bei ersterem auch psychische Ursachen und Wirkungen an- zunehmen und somit über die Berechtigung, das Prinzip der geschlossenen Natur- kausalität als absolut gültig anzusehen , noch nichts entschieden. Die hierfür wirklich in Betracht kommenden Punkte sind im Text dargelegt. Sehr bequem macht sich auch hier wieder Heinrich die Sache. Es braucht nach ihm kaum darauf hin- gewiesen zu werden, daß das Prinzip d. geschl. Naturk. auch in der Biologie durch- weg Geltung besitzt (a. a. 0. S. 25/26). Ebenso grundlos ist Ziehens Behauptung, die Gehimphysiologie habe gezeigt, daß geschlossene Bahnen von Associations- fasem bestehen. Gezeigt hat sie es nicht, sondern nimmt es an. Auch wenn psychische Zwischenglieder vorhanden sind, kann aber die Zerstörung der Fasern Dementia paralytica herbeiführen (Leitfaden d. physiol. Psych. S. 39/40).

394 Zweiter Abschnitt Die psychophysische 'Wechselwirkongstheorie.

im übrigen aber nicht in Betracht.^) Denn das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität verlangt an sich nur durchweg phy- sische Ursachen und physische Wirkungen, läSt es aber an sich Töllig dahingestellt, ob sie mechanistisch oder vitalistisch zu inter- pretieren sind. Für uns aber handelt es sich um die Frage, ob auch wenn alle organischen Vorgänge, soweit sie mit Ursache und Wirkung völlig in der physischen Sphäre liegen, sich in ihre phy- sikalisch-chemischen Komponenten ohne Rest zerfallen lassen wir irgend welche Veranlassung haben, in den Organismen, speziell in den tierischen Organismen, eine gelegentliche Mitwirkung psychischer Faktoren anzunehmen, oder ob dazu hier ebensowenig Veranlassung vorliegt als auf unorganischem Gebiet Und nun springt doch auch gleich der Punkt ins Auge, der gegen die letztere Annahme spricht: die Tatsache des psychischen Lebens überhaupt und die erfahrungsmäßige Gebundenheit desselben an das Vor- handensein eines Organismus. In der unorganischen Natur haben wir eben von metaphysischen Erörterungen sehen wir ja hier ab keine Veranlassung, psychisches Leben anzunehmen, also auch keine Veranlassung, eine Einwirkung psychischer Eräfle zu erwarten: hier steht also der universellen Ausdehnung des Prinzips rein physischer Kausalerklärung schlechterdings keine sie beschränkende Annahme entgegen. In der animalischen Natur ist nun aber dieser Faktor, der in der unorganischen Natur völlig abwesend ist, vor- handen , und daher liegen hier die Chancen für die Möglichkeit einer Wirksamkeit desselben doch von vornherein ganz anders als dort Daß die Frage, ob auch psychische Ursachen als möglich an- zunehmen sind, auf einem Gebiete, wo wir Veranlassung haben das Dasein psychischer Faktoren anzunehmen, doch eine ganz andere

1) 'Wer aber, wie Adickes, die Möglichkeit zugibt, daß auf organischem Gebiet die rein physikalisch - chemischen ErkläiTingsprinzipien versagen , hat jeden- falls kein Recht, die Möglichkeit psychischer Einwirkung auf demselben Gebiet einfach für ausgeschlossen zu halten. A dickes sagt (Kant contra Haeckel S. 80): >Das vernünftigste und angemessenste Forschungspiinzip würde sein: nach Mög- lichkeit suchen, mit den Bewegungsarten , Formeln und Gesetzen der anorganischen Natur auch in der organischen auszukommen ; aber zugleich sich klar zu machen, man werde nicht alles auf sie zurückführen können, sondern wahrscheinlich gerade an den entsoheidenden Stellen Ton ihnen im Stich gelassen werden.c Nun, sollte das denn nicht auch der yernünftigste Standpunkt sein, den man in Bezug auf das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität einnehmen kann? und wenn Adickes wegen der ungeheueren Kompliziertheit der Prozesse in den lebendigen Organismen mit bloß anorganischen Kräften nicht glaubt auskommen zu können, sollte nicht dasselbe Argument auch zu Gunsten der psychophysischen Wechselwirkung sprechen?

Zweitos Kapitel. Schwierigkeiten der Wechselwirkungstheorie. 395

Bedeutung bat, als auf einem Oebiet, wo wir überhaupt keine Ver- anlassung haben, psychisches Dasein anzunehmen, daß also mit der Eonstatierung des Nichtvorhandenseins psychischer Ursachen hier un- möglich über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein solcher Ursachen dort etwas präjudiziert werden kann, sollte doch auch dem gläubigsten Verehrer des Prinzips der geschlossenen Naturkausalität einleuchten. 1) Wenn wir auf Weltkörpern, auf denen das Nichtvor- handensein von Luft oder Wasser auf irgend eine Weise konstatiert ist, nunmehr auch keine Veranlassung haben, zur Erklärung der auf ihnen beobachteten Erscheinungen diese Stoffe heranzuziehen, so würde die Ausnahmslosigkeit des Nichtinbetrachtkommens dieser Faktoren uns doch nicht berechtigen, auch auf solchen Weltkörpem, auf denen sich beides findet, sie als Ursachen gänzlich außer acht zu lassen. Nun, ebenso liegt die Sache auch in unserem Falle. Wie weit wir auf organischem Gebiet psychisches Leben anzunehmen und also mit der Möglichkeit psychischer Ursachen zu rechnen haben, läßt sich natürlich nicht von vornherein feststellen; die empirische Forschung mag das Dasein, den »Sitz« des geistigen Lebens auf einzelne besonders ausgezeichnete Teile der organischen Natur beschränken. Ob den Pflanzen ein geistiges Innenleben zukommt, ob sie eine »Seele« haben, ist wir urteilen jetzt immer vom Standpunkt empirischer Betrachtung aus strittig, in den höheren Tieren nimmt man als Sitz der »Seele« das Gehirn an, beschränkt also die Beseeltheit auf diesen Teil des Gesamtorganismus. Wir wissen ferner oder glauben doch allen Grund zu dieser Annahme zu haben, daß Vorgänge, die zuerst unter Beteiligung des Bewußtseins vor sich gingen, durch Einübung allmählich zu rein »mechanischen« werden, daß also der Geist gewissermaßen sich von ihnen zurückzieht, Wundt hat ja diese Entlastung des Geistes durch den Mechanismus des physischen Ge- schehens besonders hervorgehoben. Also auch in den Organismen mag es weite Gebiete geben, in denen die Sache genau so liegt, wie

1) Damit erledigt sich auch, was König Zeitschr. f. Ph. u. ph. Er. Bd. 119 8.122 bemerkt, daß wir Dämlich, wenn die Unmöglichkeit, die Vorgänge in den Organismen restlos in ihre physikalisch -chemischen Komponenten aufzulösen, ein Grand wäre, hier das Hineinspielen psychischer Kraft anzunehmen, denselben Orund in der unorganischen Welt hätten, da auch hier eine Erklärung bis ins kleinste nirgends möglich sei, nicht einmal bei der Fallbewegung unregelmäßig ge- stalteter Körper. Diese Unmöglichkeit bildet an sich , wie ich schon hervorgehoben habe, keioen genügenden Grund, das Prinzip rein physischer Kausalerklärung auf organischem Gebiet nicht als allgemeingültig anzuerkennen und psychische Kräfte anzunehmen. Der wirkliche Grund ist der oben angegebene.

396 Zweiter Abschnitt Die psycfaophyasche Wechselwirkungstheoiie.

in der unorganischen Natur. Die Prozesse verlaufen, ohne daß ein psychischer Faktor, der mit ihnen in Verbindung stände, voihanden ist, ohne daß wir folglich Veranlassung hätten, die Mitwirkung solcher Faktoren anzunehmen und sie zur Erklärung heranzuziehen. Das aber ändert nichts daran, daß da, wo organische Prozesse mit psychi- schen Vorgängen verbunden sind beim Menschen also bei den Gehimprozessen die Möglichkeit, daß diese Vorgänge in den Verlauf der physischen Prozesse eingreifen, auch eine ganz andere ist als etwa da, wo seelisches Leben überhaupt nicht vorhanden ist, und daß man also nicht berechtigt ist, die Nichtbeteiligung seelischer Faktoren an den physischen Vorgängen in jenen Gebieten auf dieses Gebiet auf Grund eines Induktionsschlusses zu übertragen. Mit demselben Recht, mit dem man auf Grund der Tatsache, daß in der ganzen unorganischen Natur sich keine Einwirkung psychischer Faktoren zeigt, solche auch bei den lebenden Wesen a limine ab- lehnt, könnte man schließlich den Verfechtern des Parallelismus gegenüber auch das Vorhandensein psychischen Lebens in den lebendigen Geschöpfen überhaupt bis auf eine Ausnahme be- streiten. Gegeben ist ja doch jedem nur sein eigenes Bewußtsein; nur an diesem einen Punkte wird er des Vorhandenseins geistigen Lebens unmittelbar inne; von allen übrigen Wesen nimmt jeder nur die körperliche Außenseite wahr. Die hier wahrnehmbaren oder erschließbaren Prozesse sind aber, wie die Gegner der Wechsel- wirkungstheorie ja ausdrücklich betonen, zwar komplizierter als die in der unorganischen Natur vor sich gehenden, im übrigen aber ihnen völlig gleichartig, physikalisch -chemischer Natur wie jene. Die Automatentheorie behauptet ja, daß sich im Prinzip alle Hand- lungen der lebendigen Wesen, den Menschen nicht ausgenommen, als mechanische Wirkungen mechanisch-physischer Processe begreifen und erklären lassen. Da wir nun auf unorganischem Gebiet nirgends Veranlassung haben, psychische »Begleiterscheinungen« anzunehmen die Theorie der Allbeseelung ist ja erst eine Konsequenz des zunächst in der Anthropologie ausgebildeten Parallelismusgedankens selbst , so könnten wir auch hier dieses Ergebnis verallgemeinern und schließen, daß wir deshalb auch keine Veranlassung haben, den den unorganischen Vorgängen im Prinzip ganz gleichartigen Gehim- prozessen solche Begleiterscheinungen zuzuordnen; direkt beweisen lassen sich dieselben ja schließlich auch nicht Hier nun aber ist die Tatsache des eigenen Bewußtseins, obwohl sie an sich doch nur ein einziger Fall ist, stark genug, jeden an der Ausdehnung

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechsel wirkungstheorie. 397

des Prinzips der völligen Abweisung der geistigen Innenseite auch auf das Gebiet selbst des niederen tierischen Lebens zu verhindern, ja sie erweist sich als so stark, daß sie sogar umgekehrt das Prinzip der Beseeltheit selbst auf die Gebiete, in denen eine empirische Veranlassung, psychische Parallelvorgänge anzunehmen, nicht vor- liegt, auszudehnen und zu diesem Zwecke den Hilfsbegriff unbe- wußter Psychosen einzuführen veranlaßt. Dem Analogieschluß, welcher auf Grund der Ungeistigkeit der unorganischen Natur die Ungeistigkeit auch der lebendigen Wesen folgern möchte, tritt hier, ihn verhindernd, ein anderer Analogieschluß entgegen, welcher von der Tatsache der Beseeltheit des eigenen Körpers auf die Beseeltheit auch der übrigen menschlichen und tierischen Körper und weiter, obwohl mit verminderter Kraft, auch der Pflanzen und selbst der unorganischen Welt schließt und an diesem Beispiel kann man nun sehen, wie die Sache liegen müßte, um die' Verallgemeinerung des Prinzips rein physischer Kausalerklärung auf eine wirklich halt- bare Basis zu stellen. Hätte der psychophysische Parallelismus auch nur in einem einzigen Falle das wirklich geleistet, was er als prin- zipiell notwoDdige Annahme uns aufoktroyieren will, hätte er die Handlungen eines einzigen Menschen in ähnlicher Weise erklärt, wie Physik oder Chemie die zu ihrem Gebiet gehörigen Vorgänge erklären, hätte er sie als rein mechanische, ohne jede Mitbeteiligung psychischer Prozesse vor sich gehende Vorgänge erwiesen, so würden wir nunmehr ebenso berechtigt sein, nach Analogie dieser Tatsache auch alle anderen Nerven- und Gehirnprozesse aufzufassen, wie wir berechtigt sind, aus der Beseeltheit des eigenen Körpers auch die Beseeltheit mindestens der anderen menschlichen und der tierischen Körper zu folgern. Solange das aber nicht der Fall ist, hat man kein Recht, aus der Tatsache, daß das Prinzip rein physischer Kausal- erklärung auf einem Gebiet, auf dem zur Annahme psychischen Daseins überhaupt nicht die geringste Veranlassung vorliegt, durch- weg gültig ist, zu schließen, daß es auch auf Gebieten, die einen zweifellosen psychophysischen Charakter tragen, ausnahmslos gültig sein müsse zumal wenn die Gegner, wenn auch nicht die psycho- physische Kausalität selbst als eine Tatsache, so doch Tatsachen geltend machen, welche die Annahme einer solchen nahe legen. ^)

1) Danach mag man denn beurteilen, wie es um die Behauptung Königs bestellt ist, daß sein Schluß (die Gültigkeit des Prinzips der geschlossenen Natur- kausalität betreffend) »mindestens denselben Grad von Sicherheitc hat, wie die

398 Zweiter Abschnitt. Die psychophysische Wechselwirkniigstheorie.

Die gegnerischen Argumente ich habe sie in dem Abschnitt über die Nachteile des Parallelismus umständlich erörtert muß man unabhängig von dem Prinzip, dessen universeller Geltung sie ent- gegenstehen, zu entkräften suchen, um dann aus dem Nichtvorhanden- sein irgendwelcher in Betracht kommender Gegeninstanzen in Ver- bindung mit dem Analogieprinzip die Berechtigung zu entnehmen, das Prinzip der Geschlossenheit der Naturkausalität als ein universelles und wohl begründetes zu proklamieren. Bis dabin bedeutet es nichts als eine Lieblingsvorstellung einzelner Naturforscher, einen Wunsch, die physische Welt als ein in sich völlig geschlossenes Ganze an- sehen und durchweg mechanistisch konstruieren zu können, ist es eine Hypothese von sehr zweifelhaftem Wert, eine bloßes Axiom, ein Dogma, ein Glaubensartikel, ein Vorurteil, eine petitio prin- cipii.^) Und wenn man diese petitio principii nun benutzt, um

Annahme der Astronomen, daß die Erscheinungen auf der Sonne durch wesentlich dieselben Kräfte hervorgebracht worden , die auch hier auf der Erde wirksam sind.« (Zeitsohr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 119 S. 122.)

1) Man könnte auch sagen, es sei ein synthetisches Urteil a priori, was für mich, der ich solche Urteile nicht anerkenne, nicht viel anderes bedeutet Alsdann muß man mit Hilfe einer transcendentalen Deduktion seine Wahrheit feststellen. Daß man das kann, bezweifle ich freilich keinen Augenblick, denn es dürfte kaum etwas geben, das man auf diesem Wege nicht deduzieren könnte, den Teufel und seine Gi-oßmutter nicht ausgenommen. Vgl. zu dem Prinzip d. gesohl. Naturk. als Axiom oder Vorurteil noch Behmke, Die Seele des Menschen, S. 33; Hartmann, Mod. Psych. S.344, 366, 410, 439; Erhardt, Schrift S.52— 55, Wentscher, Schrift S. 5, 31, 40, 46; Gut beriet a.a.O. S. 186/187. In vortrefflicher Weise weist sodann James, Pr. of Ps. Bd. I. S. 134/135 auf das ästhetische Moment hin, das bei der Etablierung des Pilnzips der geschlossenen Naturkausalität eine Rolle spielt und es als Vorurteil enthüllt: »The desire on the part of men educctted in laboratortes not to have their phyaicaX reasonings mixed up wüh tneommensurable faciors as feelings is eertainly very strong, I hate heard a most intelligent biologist sag : , It it high time for scientific men io protest against the recognition of any auch thing as eonseümsness in a scientific investigation/ In a word^ feeling eonstitutes the ,unscientific^ half of existefiee^ and any one tvho enjoys caüing himself a ,sctentist^ will be too happy to purehase an untrammeled homogeneity of terms in the studies of his predüeetion^ at the slight cost of admitting a dualism which^ in the same breadth that it allotcs to mind an independent Status of heing^ hanishes it to a limbo ofeausal inertness from whence no intrusion or interruption on its part need ever be fecuredt. Ich kann mir nicht versagen, auch die treffenden Worte Beinkes hier anzuführen: >Da man in der Wissenschaft nicht gerne vom Glauben spricht, auch wenn man noch so gläubig an Dogmen und Vorurteilen hängt« (Einl. i. d. theor. Biol. S. 460). Auch Wundt gibt Phil. Stud. X. S.92 zu, daß das Prinzip nur eine regulative Idee ist. Ebenso räumt Münsterberg (Psychol. I. S. 411) ein, daß es ein die Erfahrung

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der WechselwirkungEtheorie. 399

durch sie die für die WechselwirkuDg ins Feld geführten Argumente zu widerlegen, wenn man sagt: psychophysische Kausalität ist

überschreitendes Postulat ist, bei dessen Annahme Erwägungen, die sich über- haupt nicht auf empirische Untersuchungen stützen, eine Rolle spielen. Auch die Fruchtbarkeit der Hypothese bilde keinen genügenden Grund, den Einwand, der die Bestreitung ihrer universellen Gültigkeit auf Erfahrungen, die eine andere Auffassung nahe legen, stützt, abzuweisen, denn oft schon haben sich Theorien als fruchtbar erwiesen, die zuletzt doch von der Wissenschaft beseitigt wurden (S.412). Nach M. soll das Prinzip aber durch erkenntnistheoretische Erwägungen, die von den Theorien der physiologischen Psychologie ganz unabhängig sind, eine Geltung erlangen, der gegenüber alle Einwände zerfallen. Damit gibt ihm M. aber eine, wie früher gezeigt, sehr schwache Stütze: seine erkenntnistheoretische Be- gründung der Psychologie ist nach meiner Überzeugung verfehlt! Übrigens beruht sie auch auf der materialistischen Psychologie selbst, wenn M. das auch nicht gelten lassen will (S. 415). Weil M. Parallelist ist, bestimmt er entsprechend die Aufgabe der Psychologie und vertritt er das Postulat der geschlossenen Natur- kausalität

S. 176 seines Aufsatzes: Der psychophys. Parallelismus und seine Gegner (Zeitschr. f. Ph. u. ph. Er. Bd. 115) führt König noch einen anderen Grund an, der die Bestreitung der Gültigkeit des Prinzips der geschlossenen Naturkausalität unmöglich machen soll: dieselben Bedenken, die man gegen dieses Prinzip ins Feld führt, könnte man auch gegen die Allgemeingültigkeit aller übrigen Naturgesetze, die ja sämtlich auf Induktion beruhen, geltend machen. Es kommt aber darauf an, was man unter Allgemeingültigkeit versteht. Richtig ist, daß, wenn das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität nicht gilt, die Naturgesetze von vornherein sich darauf beschränken, den Verkehr der körperlichen Dinge untereinander zu regeln, es dagegen vollständig dahingestellt sein lassen, nach welchen Gesetzen Ursache und Wir- kung sich regeln, wenn der Fall sichereignet, daß ein Körper mit einem psychischen Faktor in Wechselwirkung tritt Aber an sich beanspruchen die Naturgesetze auch nicht mehr; erst das Prinzip der Geschlossenheit der Naturkausalität versucht die Einordnung der Naturgesetzlichkeit in eine höhere und allgemeinere Gesetzlichkeit zu verbieten. So wie die Allgemeingültigkeit der Gesetze, welche für den Stoß elasti- scher Kugeln gelten, dadurch nicht verletzt wird, daß sie natürlich auf den Fall nicht anwendbar sind , wenn eine elastische Kugel auf eine unelastische stößt , oder wie die Gesetze, welche die Verbindung des Sauerstoffs mit Wasserstoff bestimmen, dadurch nichts von ihrer Allgemeingültigkeit einbüßen, daß sie nicht gelten, wenn sich Sauerstoff mit Selen, Stickstoff oder Phosphor verbindet, so kann auch die All- gemeingültigkeit keines Naturgesetzes dadurch beeinträchtigt werden, daß es für den Fall, daß das eine Glied des Kausalverhältnisses ein psychisches Element ist, nicht anwendbar ist Hieraus ergibt sich nun ganz klar die Sonderstellung, welche das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität allen anderen Naturgesetzen gegenüber einnimmt. Es will das Eintreten eines derartigen Falles verbieten, ganz ähnlich, wie ein Prinzip der geschlossenen Kausalität elastischer Kugeln ein Aufeinanderstoßen elastischer und unelastischer Kugeln verbieten würde. Man darf daher nicht beides über einen Kamm scheren und darf nicht behaupten, daß mit der Nichtanerkennung des Prinzips der geschlossenen Naturkausalität auch alle übrigen Naturgesetze bedroht würden.

400 Zweiter Abschnitt Die psycliophysische Wechselwirkungstheoiie.

deshalb nicht möglich, weil sie dem Prinzip der geschlossenen Naturkausalität widerspricht, so fügt man zu dem Fehler der petitio prindpii noch den anderen des drculus in demonstrando. Daß aber mit einer derartigen Logik in wissenschaftlichen Fragen etwas aus- zurichten sei, wird doch wohl niemand behaupten wollen. Vor dem Prinzip der Geschlossenheit der Naturkausalität braucht also die Lehre von der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele die Segel noch nicht zu streichen. Es ist psychologisch durchaus verständlich, daß der Verzicht auf dieses Prinzip dem Naturforscher schwer fällt, es ist durchaus begreiflich, daß er an dem Ideal naturwissenschaft- licher Welterklärung: die Natur als ein durch und durch physisch erklärbares und berechenbares Ganzes anzusehen, mit Zähigkeit fest- hält; — aber die Regel, welche gerade die Naturforscher immer einzuschärfen pflegen, daß Wünschen, HofEhungen oder Lieblings- vorstellungen kein Einfluß auf die Gestaltung unserer wissenschaft- Hchen Ansichten einzuräumen sei, gilt auch für den Naturforscher selbst: auch seine Wünsche und Ideale haben keinen Anspruch darauf, unter allen Umständen berücksichtigt zu werden.^) Denn :»da3 Ziel der Wissenschaft ist darzustellen, nicht wie das Welt- gebäude sein könnte, sondern wie es istc.s) Wenn also Adickes, der sich die Naturwissenschaft zur Not auch ohne das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität denken kann, doch zu Gunsten der Yoraussetzung seiner Allgemeingültigkeit anführt, daß ohne es keiner, der sein Augenmerk auf die Methoden und Prinzipien richtet, der Naturwissenschaft und ihrer Fortschritte so recht froh werden könnte*), so ist ihm zu erwidern, daß die Philosophie bei ihren Untersuchungen und Entscheidungen unmöglich darauf Rücksicht nehmen kann, ob sich die Naturforscher über sie freuen oder be- trüben. Oder soll sie ihr Wächteramt niederlegen, sobald irgend eine Lieblingsvorstellung, eine Modeansicht, an die eine Anzahl Naturforscher ihr Herz gehängt haben, in Gefahr gerät verworfen zu werden? Damit die Naturforscher später von ihr wie Margarete im »Faust« von ihrer Mutter sagen können:

»Sie schlief, damit wir uns freuten. Es waren glückliche Zeiten!«?

Davon, daß die Naturwissenschaft ohne das Prinzip der ge- schlossenen Naturkausalität überhaupt unmöglich werden würde, kann

1) Vgl. Sigwart, r/)gikn, 2. Aufl. S. 639— 641, 644, 645.

2) Kroman, Unsere Naturerkenntnis, deutsche Übers. Kopenh. 1883, S. 322.

3) Kant contra Haeckel S. 72.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechselwirkungstheorie. 401

doch verständigerweise keine Rede sein. Das würde nur dann der Fall sein, wenn die Möglichkeit des Eingreifens psychischer Faktoren überall in gleicher Weise bestände und der Naturforscher nie davor sicher wäre, auf psychische Ursachen zu stoßen. Alsdann würde allerdings die Naturwissenschaft genötigt sein, ihre Methoden und Grundsätze derartig umzuformen, daß sie ihren eigentlichen Charakter als Naturwissenschaft fast gänzlich einbüßen und der unterschied zwischen Natur- und Geisteswissenschaften ganz verwischt werden würde. Das ist nun nicht der Fall. In weiten Regionen natur- wissenschaftlicher Forschung ist nach dem übereinstimmenden urteil aller von einer Mitwirkung psychischer Faktoren überhaupt keine Rede: Physik und Chemie haben schlechterdings gar keine Veran- lassung, auch nur mit der Möglichkeit psychischer Ursachen oder Wirkungen auf ihrem Gebiete zu rechnen. Nur da^ wo, an organi- sierte Materie gebunden, psychisches Leben sich regt und bekundet, kommt auch die Möglichkeit einer Einwirkung psychischer Faktoren überhaupt in Frage. Und auch hier nicht durchweg und überall. Auch die Biologie kann weite Strecken ihres Gebietes durchforschen, ohne auf psychische Faktoren irgend welche Rücksicht nehmen zu müssen. Nur an einigen, wenn auch nicht fest bestimmten, so doch einigermaßen abgegrenzten Punkten würden wir, wenn wir das Prinzip d^ geschlossenen Naturkausalität nicht für absolut verbindlich an- sehen, genötigt sein, unsere Yorstellungen in der Weise zu modifi- zieren, daß wir psychische Vorgänge als Ursachen oder Wirkungen mit in Betracht ziehen. Daß darüber die ganze Naturwissenschaft zu Grunde gehen sollte, ist doch eine absurde Behauptung. Nicht die Erkenntnis der absoluten Unentbehrlichkeit des Prinzips der ge- schlossenen Naturkausalität, sondern die trotzigstolze Gemütsstimmung, die, wenn sie nicht alles hat, gamichts zu haben vermeint, ist es, welche dasselbe zu einem Hauptglaubenssatz der ganzen Naturphiloso- phie hinaufschraubt und jeden Zweifel an seiner absoluten Wahr- heit als verdammungswürdige Ketzerei, als Sünde wider den heiligen Geist der Naturwissenschaft hinstellt Mit demselben Recht könnte man aber auch behaupten, daß das Unvermögen der Naturwissen- schaft, anzugeben, wie die Welt entstanden ist und ob sie über- haupt entstanden ist, ob sie endlich oder unendlich ist, und wie sie, wenn etwa einmal mit der vollendeten Wärmeausgleichung ein ab- soluter Stillstand eintreten sollte, es anfangen mag, über diesen toten Punkt hinwegzukommen: daß das Unvermögen der Naturwissenschaft, auf alle diese Fragen eine genügende Antwort zu geben, den Natur- Busse, Geist imd Körper, Seele und Leib. 26

402 Zweiter Abschnitt Die psychophysische Wechselwirkongstheorie.

forschern alle Freude an den sonstigen Errungenschaften ihrer Wissen- schaft rauben müsse. Läßt sich aber die Naturwissenschaft durch diese Grenzen, die ihren Prinzipien gestekt sind, nicht beirren, so ist nicht einzusehen, warum die Möglichkeit, daß an einigen Stellen mit der Theorie bloß physischer Ursachen und Wirkungen nicht mehr auszukommen ist, ihren Bestand in Frage stellen sollte. Die Natur ist schließlich nicht das Weltganze, sondern nur ein Teil des- selben, der der Ergänzung durch einen anderen Teil die seelische Welt bedarf. Diese Eigenschaft, Teil eines Ganzen zu sein, bringt eben der fragmentarische Charakter der Natur, den sie, wenn das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität nicht gilt, sondern psy- chische Faktoren unter besonderen umständen in die physischen Vorgänge einzugreifen im stände sind, hat, zum Ausdruck. Die Wirkungen, die, vom beschränkten Standpunkt der Naturerkenntnis aus betrachtet, aus nichts zu entstehen scheinen, erweisen sich von einem höheren und auffassenderen, das Ganze in Betracht ziehenden Standpunkt aus betrachtet als durch psychische^ also der anderen Hälfte des Universums angehörende Faktoren veranlaßt; die Ursachen, die auf jenem Standpunkt keine Wirkungen zu haben scheinen, geben sich auf diesem als solche zu erkennen, deren Wirkungen in der psychischen Welthälfte liegen. Das Weltganze müssen wir aller- dings als eine in sich abgeschlossene Totalität ansehen, aber wir haben kein Recht, dasselbe auch von der Natur zu verlangen. Das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität ist und bleibt demnach eine petitio principü^^) der Beweis, der unter Geltungmachung desselben für die Unmöglichkeit psychophysischer Wechselwirkung geführt wird, ein Zirkelbeweis.*) Die Annahme psychophy-

1) Daher ist auch das Aigoment, die psychophysische Kausalität würde ein. Wunder bedeuten, da für den Naturforscher eine psychische Ursache eines phy- sischen Vorganges gleichbedeutend mit einer Entstehung des letzteren aus nichts sein würde (Wundt, Phü. Stud. Bd.X. S. 330; Paulsen, Einl. S. 89/90), nicht be- rechtigt. Der Schein des Wunders rührt von dem beschränkten Standpunkt her, auf dem man steht, er verschwindet, wenn man die Sache von einem umfassenderen Standpunkt aus betrachtet Ich möchte aber hinzufügen, daß die Parallelisten wohl am wenigsten Veranlassung haben, das Wunderaigument auszuspielen, da sie, um das Wunder der psychophysischen Kausalität zu vermeiden, das viel größere Wunder des psychophysischen Parallelismus und der Identität von Seele und Leib zu Hilfe rufen, also den Teufel durch Beelzebub austreiben.

2) Den Vorwurf, im Zirkel geschlossen zu haben, hatte ich schon in meiner kurzen Entgegnung auf Königs ersten Parallelismus -Aufsatz (Der psychophysische Parallelismus und seine Gegner) in Bd. 115 der Zeitschrift für Phil. u. ph. Kr. gemacht (ebendas. Bd. 116 S. 78/79); er wurde sodann von Wentscher (Bd. 117

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechselwirkuogstheorie. 403

sischer Wechselwirkung wird durch dieses Prinzip nicht unmöglich gemacht.

S. 74 79) wiederholt. König will den Yorworf nicht gelten lassen und hat ihn in seinem zweiten Aufsatze (Bd. 119) zu entkräften versucht, aber, wie ich meine und zu zeigen versuchen vermöchte, ohne Erfolg. Er begeht den Fehler wirklich und wiederholt ihn in dem Aufisatz, in dem er sich dagegen verwahrt, ihn begangen zu haben. Zunächst gibt er durchaus zu, daß bei dem jetzigen Stande der Forschung keine der beiden entgegengesetzten Ansichten (Parallelismus und Wechselwirkung) empirisch bewiesen werden könne von einem vollständigen Ver- ständnis der Lebenserscheinungen seien wir ja noch weit entfernt (Bd. 115 S.162) , sondern daß die Streitfrage aus allgemeinen naturphilosophischen Erwägungen ent- schieden werden müsse (ebendas. S. 163/164). Zu diesen »allgemeinen naturphilo- phischen Erwägungenc gehört also auch das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität. Und von diesem selbst räumt er ein, daß es, »wenn man will«, nur »eine andere Formulierung der antikausalen ParaHelismushypothese« tuid also entweder eine peiitio prineipii oder doch eine Behauptung ist, die selbst wieder der Begründung bedarf (Bd. 119 S. 113). Es ist daher auch nicht absolut verbindlich (ebendas.); der Beweis seiner Gültigkeit »läßt sich . . allerdings in apodiktischer Form nicht führen« (S. 120). Aber, fügt er hinzu, es denke doch niemand daran, den Satz ein&ch als Axiom auszugeben; er sei vielmehr einer Begründung wohl fähig (S. 113). Biese Begründung ist nun die induktive. Zwar wird wiederholt betont, daß natür- lich, wie jeder Grundsatz, so auch dieser solange, aber auch nur solange als ein allgemeingültiger angesehen werden kann, als keine Gegeninstanzen aufstoßen <Bd. 115 S. 173, 176), der Induktionsschluß müsse natürlich ein solcher sein, welcher »der schärfsten kritischen Prüfung« standhält; aber das hindert König nicht, die Bestätigung, welche das Prinzip auf dem Gebiet der unorganischen Natur erhalten hat, für genügend zu erachten, lun für es unbedingte Allgemeingültigkeit zu pro- klamieren. »Bis jetzt«, sagt er, »ist aber ein Beispiel dieser Art (wo psy- •chische Einwirkung stattgefunden hätte) noch nicht bekannt geworden, vielmehr hat sich unser Grundsatz in allen den Fällen, wo überhaupt eine voll- ständige Zerlegung der Erscheinungen in ihre elementaren Bestand- teile durchführbar ist, ausnahmslos bewährt« (Bd. 115 S. 173). Natürlich liegen diese Fälle alle auf dem Gebiet, auf welchem über die bloß physische Be- schaffenheit der Ursachen niemand im Zweifel ist. Aber dies und der umstand, daß die Unmöglichkeit, das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität auch auf organischem Gebiet zu verifizieren, an sich seiner Allgemeingültigkeit nicht im "Wege steht, ge- nügt ihm, um diese AllgemeingüJtigkeit als völlig gesichert anzusehen (Bd. 115 S.197, Bd. 119 S. 120/121). Die Gründe, die für die Geschlossenheit der Naturkausalität sprechen, sind eben »viel gewichtiger« als die, welche man zu Gunsten der Wechsel- wirkungshypothese anführt. (Bd. 119 S. 120). Und unter der Hand verwandelt sich das Prinzip, das zunächst nur eine mit aller Reservation zu machende Annahme war, in eine Tatsache, welche die Erfahrung unmittelbar bestätigt »Die Bedingungen, von denen die einzelnen physischen Erscheinungen abhängen, liegen eben, wie die Erfahrung lehrt, immer wieder in der physischen Sphäre, und ebenso findet jeder einzelne Vorgang in einer Summe rein physischer Wirkimgen seine Fort- setzung; die physische Sphäre erweist sich also de facto als eine in -sich geschlossene (Bd. 115 S. 173). »Nun setzt sich erfahrungsmäßig alles

26*

404 Zweiter Abschnitt. Die psych ophysische Wechselwii-kaogstheorie.

2. Das Prinzip der Erhaltung der Energie. Dieselbe Frage, die wir uns bezüglich des Prinzips der Ge- schlossenheit der Naturkausalität vorlegten: ob dieses Prinzip im stände ist, die Annahme einer Wechselwirkung zwischen Leib und Seele unmöglich zu machen, müssen wir nunmehr auch hinsichtlich des anderen, von den Parallelisten als Instanz gegen die Wechsel-

Geschehen in der Außenwelt aus Veränderungen zusammen, die an mehreren zueinander in bestimmter Beziehung stehenden körperlichenDingen in gesetz- mäßiger Weise erfolgen« (ehend.S. 181). Die Erfahrung zeigt, daß alle physischen Ursachen physische Wirkungen haben (S. 184); daß keine physische Eausalkette ab- bricht, ist ein durch die Erfahrung bestätigter Satz (S. 184). »Tatsächlich bildet nun aber die materielle Natur ein in kausaler Hinsicht in sich abgeschlossenes Ganzes, es fjidet sich in ihr nirgends eine Unterbrechung des Zusammenhangs, die auf die Notwendigkeit emer Ergänzung hinwiese« (Bd. 119 8. 139). Gelegentlich (vgl. Bd. 115 S. 184) erinnert sich König zwar daran, daß die Gültigkeit des Prinzips d. geschl. Naturkaus. ja eine Streitfrage ist, doch vergißt er das gleich wieder. Nachdem so die Gültigkeit des Prinzips in einer »der schärfsten kritischen Prüfung standhaltenden« Weise gesichert worden ist, ist es natürlich nicht weiter verwunder- lich, wenn nun die Gegner aufgefordert werden, es durch Tatsachen zu widerlegen (Bd. 119 S. 33', 121), alle übrigen Argumente aber durch das Prinzip selbst, gegen das sie sich richten, widerlegt werden. »Können (!) wir es aber als einen durch die Erfahrung bestätigten Satz aussprechen, daß keine physische Eausalreihe ab- bricht, so ist die Hypothese, daß psychische Wirkungen aus physischen Ursachen hervorgehen können, offenbar (!) unhaltbar« (Bd. 115 S. 185). Die Aufhebung des Gleichgewichts eines körperlichen Systems durch die Seele ist unmöglich, weil diese nicht der Natursphäre angehört (Bd. 119 S. 132, vgl auch Anm. 1), Einwirkung der Materie auf die Seele ist deshalb nicht möglich, weil Ursache und Wirkung derselben Sphäre angehören müssen (ebendas.), zwischen einem Imma- teriellen und einem Materiellen sind . . . keine Beziehungen denkbar (ebendas. S. 134/135), der Begriff einer Kraft, die sich im Bereich der Außenwelt dokumentiert, ohne Attribut eines materiellen Substrats zu sein , ist ein nonsens (!)« (Bd. 115 S. 182). Solcher Beweisführung gegenüber können nun freilich die Argumente der Anhänger der Weohselwirkungstheorie wohl keine Kraft haben. Des Prinzips der ge- schlossenen Naturkausalität als eines Mittels zur Widerlegung der Möglichkeit psycho- physischer Kausalität bedient sich auchWundt, wenn er (Grundzüge der physiol. Psych. 2. Aufl. S. 454) sagt: »Von einem Hereingreifen der physischen Kausalität in die psychische kann aber schon deshalb nicht die Bede sein, weil die erstere eine völlig in sich abgeschlossene ist.« Dieselbe Voraussetzung liegt dem Argument Heymans zu Grunde, daß die Annahme, die Seele könne, obwohl nicht selbst ein physisches Wesen, doch physische Wirkungen ausüben, einen Wider- spruch enthalte (Zur Parallelismusfrage, Zeitschr. f. Psychologie u. Physiologie der Sinnesorgane Bd. 17 S. 89).

Vgl. zu den ganzen Erörterungen über das Prinzip der geschlossenen Natur- kausalität meine Ausführungen Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 116 S. 57 59 u. S.75— 80, Sigwart- Festschrift S. 120— 124, sowie Wentscher, Schrift S.40f., Zeitschr. Bd. 117 S. 72—83.

- Zweites Kapitel. Schwiengkeiten der Wechselwirkaogstheorie. 405

Wirkungslehre geltend gemachten Prinzips stellen: des Gesetzes der Erhaltung der Energie. Allein hier liegt die Sache nun nicht ebenso einfach als beim Prinzip der geschlossenen Naturkausalität. Dort gab es nur die Wahl zwischen einem Entweder Oder. Entweder man erklärte das Prinzip für gültig: dann konnte es keine psycho- physiche Wechselwirkung geben. Oder man behauptete die letztere: dann mußte man zugleich die Gültigkeit des Prinzips bestreiten. Aber der Sinn des Satzes der Erhaltung der Energie ist nicht ebenso eindeutig wie der jenes Prinzips. In ihm, so wie es meist ver- standen und formuliert wird, sind mehrere voneinander wohl zu unterscheidende Auffassungen enthalten; je nachdem man die eine oder die andere voranstellt oder die eine als mit der anderen zu- gleich gegeben und zum Prinzip gehörig ansieht, ändert sich der Sinn und die Tragweite des ganzen Prinzips, und entsprechend ist auch die Stellungnahme zu der Frage, ob es die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele unmöglich macht oder nicht, eine andere. So gehen hier die Ansichten in mehr als einer Hinsicht weit aus- einander. Die einen halten das Prinzip in einer bestimmten Fassung für absolut gültig, die anderen glauben die absolute Gültigkeit in Zweifel ziehen zu dürfen; die einen halten das Prinzip in einer be- stimmten Fassung für vereinbar mit der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele, die anderen nicht, wohl aber mit einer anderen Fassung; noch andere, die diese Fassung wieder ablehnen, für ab- solut unvereinbar mit ihm. Also Wege, die der eine für durchaus gangbar hält, erklärt der andere für völlig ungangbar.

Um über das Energieprinzip und damit über die Frage, ob es ein Hindernis für die psychophysische Wechselwirkung ist oder nicht, zur Klarheit zu gelangen, wird es daher erforderlich sein, die ver- .schiedenen in ihm enthaltenen oder mit ihm verbundenen Auffassungen sorgfaltig auseinanderzuhalten und die Frage, ob ein notwendiger Zusammenhang zwischen ihnen besteht, genau zu prüfen.

Ich bezeichne diese Auffassungen im Anschluß an Wundt, der sie als im Energieprinzip enthaltene Momente unterscheidet, als .Äquivalenzprinzip und Eonstanzprinzip. ^) Das erstere, das

1) System d. Phil. 2. Aufl. S. 483. Das dritte von Wundt hervor- gehobene Moment, das von Carnot begründete, von Thomson und Clausius weiter ausgestaltete Prinzip der Entropie, d. h. des allmähliohen Übergangs höherer in niedrigere Energieformen, lasse ich hier fort. In das Energiegesetz selbst, welches die Frage, welche Energieformen in weiche anderen übergehen, ganz offen läßt, gehört es nicht hinein, und daher läßt sich auch aus dem Energiegesetz

406 Zweiter Absohniti Die psychopbysische 'Wechselwirkoiigstheorie.

»Prinzip der Yerwandlang der Energie in äquivalenten Verhältnissen« (Wandt), besagt, daß bei allen Umwandlungen der körperlichen Dinge ineinander ein Faktor, die Energie, d. h. wieder die Fähigkeit, unter Umständen mechanische Arbeit zu verrichten, sich gleich bleibt, d b. daß für jede Energie, die irgendwo zur Erzeugung eines Zustandes aufgewandt, verbraucht wird, anderswo ein gleich großes Quan- tum der gleichen oder einer anderen Energieform auftritt

selbst kein Anhaltspunkt dafür gewinnen, ob auch jede Wirkung in alle Ewigkeit wieder Wirkungen aus sich erzeugen, aus jeder durch Bewegung erzeugten Wärme auch wieder Bewegung tatBäohlioh hervorgehen muB. (Vgl. Sigwart, Logikll, 2. Aufl. S. 529. Fe ebner, El. d. Psychoph. 1889 I. S. 33/34. Dagegen Büchl. v. L. n. d. T. 2. Aufl. S. 41.) Das Gesetz selbst verlangt nur, daß, wenn EIneigie- verfinderung eintritt, sie nach dem von ihm geforderten Äquivalenzprinzip vor sich geht; ob sie aber überhaupt eintritt oder unter Umständen nicht mehr eintreten kann, läfitsich aus ihm nicht entnehmen. Ostwald, der auf das Entropieprinzip, in dem er übrigens eine >ünregelmäßigkeit des Weltbildes« erblickt, großes Gewicht legt, anerkennt doch, daß der zweite Hauptsatz der Energetik, den es darstellt, aus dem Energieprinzip selbst, das den ersten Hauptsatz derselben ausmacht, nicht unmittel- bar entnommen werden kann. Vorlesungen über Naturphilosophie Leipzig 1902 S. 254 f., S. 281. Ob man eine Energie, z. B. eine Wärmemenge, die nicht mehr in mechanische Arbeit verwandelt werden kann, noch Energie nennen will, ist schließlich Geschmackssache. Man kann auch mit Mach sagen, daß das keinen rechton wisssenschaftiichen Sinn und keinen Zweck mehr hat und das Energie- gesetz in solchen Fällen im Grunde eine ganz müßige Rolle spielt (Populär- Wissenschaft!. Yorlesungen Lpz. 1896, 8. 195). Nach Ostwald u. v. Hartmann dagegen erstreckt sich das Ges. d. Erb. d. E. auch auf die Fälle, in denen die Energie nicht mehr in andere Formen übergeht Es besagt alsdann, daß über- haupt keinerlei Änderung in der Beschaffenheit der vorhandenen Energie eintreten kann und daß diese also ihren Wert und ihre Art beibehalten muß (Vorlesungen über Naturphilosophie S. 188, Weltansch. d. m. Ph., S. 35f., 194). In ähnlicher Weise spricht sich auch Riehl aus, der im übrigen die Frage als eine solche der Benennung und die Kontroverse darüber als eine rein formale bezeichnet (Sigwart -Festschrift 8. 181/82). Übrigens ist die Eonsequenz des zweiten Haupt- satzes der Energetik, der schließliche absolute Stillstand der Weltbew^ung, doch strittig. Man hat versucht, sie durch allerhand Annahmen abzuwehren (Rank ine). Sie gilt nur unter Voraussetzung der Endlichkeit des Weltalls (Stalle, Die Begriffe und Theorien der med. Physik, Leipzig 1901, S. 286 bis 290); Thomson (Lord Kelvin) hat sie daher auf unser Planetensystem einge- schränkt (Cätat bei Stalle S. 284) und den ganzen Satz überhaupt nur als wahr- scheinlich hinzustellen gewagt. Ganz neuerdings hat W. L. Stern unter Berufung auf die Asymptotik des Intensitätsaujsgleichs die Stillstandskonsequenz negiert (Zeit- sohrift f. Phil. u. phil. Er. Bd. 121 S. 175f.). Denkbar wäre auch, daß eben das Vorhandensein psychischer Kräfte neben den physischen der Welt über den toten Punkt, auf den sie sonst kommen würde, hinweghilft In diesem Sinne hat jüngst R. Schweitzer das Entropiegesetz als ein Argument für das Dasein Gottes verwertet (Die Energie und Entropie der Naturkräfte, Köln, ohne Jahr).

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechselwirkuigstheorie. 407

Das Eonstanzprinzip, das »Prinzip der Konstanz aUer im- yerwandelten Energie eines in sich geschlossenen Systems« (Wandt) besagt dagegen, daß die Gesamtenergie, über welche das physische Weltali verfügt, sich stets gleich bleibt, also keiner Yermehrung nnd keiner Verminderung fähig ist Die Weltenergie manifestiert sich in den verschiedensten Formen, die wir als Bewegung, Elektri- zität, Wärme usw. kennen, nimmt bald diese, bald jene Gestalt an, geht aus der einen in die andere über, bleibt sich aber in allen diesen qualitativen Veränderungen in quantitativer Hinsicht stets gleich: es findet nur Umsetzung desselben Energievorrats, aber keine Zunahme oder Abnahme desselben statt.

Es leuchtet nun sofort ein, daß das Äquivalenzprinzip, das ja nur besagt, daß, wenn die Körper aufeinander wirken, für jede aufgewandte physische Energie ein gleich großer Betrag physischer Energie wieder erstattet wird, an sich für die Annahme psychophysi- scher Wechselwirkung kein Hindernis bildet: es macht für diesen Fall nichts aus, schließt ihn aber auch nicht aus. Das Hindernis kann, wenn überhaupt, nur durch das Konstanzprinzip gebildet werden, indem ein Austausch von Wirkungen zwischen physischen und psy- chischen Faktoren die im Weltall vorhandene physische Energie bald vermehren , bald vermindern zu müssen scheint. Daher wird , wer die Frage, ob das Energieprinzip mit psychophysischer Wechselwirkung vereinbar ist, beantworten will, sich fragen müssen, ob er das Kon- stanzprinzip in dasselbe einschließen will oder nicht Die Formulie- rungen, deren sich die Autoren, die mit dem Energieprinzip operieren, bedienen, lassen vielfach aber nicht deutlich erkennen, ob sie Äqui- valenz- und Konstanzprinzip überhaupt unterscheiden und ob sie das letztere als einen wesentlichen Bestandteil des Energieprinzips selbst ansehen oder nicht

Wundt unterscheidet beide scharf. Sie sind »logisch vollkommen voneinander unabhängig«, das erstere schließt an sich das letztere nicht ein.i) Jenes allein hat Wundt im Auge, wenn er sagt: Diese Feststellungen (nämlich über den Zusammenhang der Naturvorgänge) haben zu dem Satze geführt, daß die Umwandlung je einer Energie- form in eine andere, z. B. von Wärme in mechanische Energie, stets in äquivalenten Verhältnissen geschieht, so daß, wenn die sonstigen Bedingungen des Vorgangs eine Rückwandlung möglich machen, aus der Energiegröße J5, die aus einer Energiegröße A von anderer

1) System S. 481— 483.

408 Zweiter Abschnitt Die psychophysische Wechselwirkungstheorie.

Form gewonnen worden ist, diese Größe A selbst wieder gewonnen werden kann.«^) Und die Begründung des Energieprinzips auf den Gedanken der Äquivalenz »hat ihm dann erst den Charakter eines allgemeinen, die Wechselbeziehungen aller Naturvorgänge oder den gesamten Haushalt der Natur umfassenden Gesetzes gegeben«,') während das Konstanzprinzip zwar die Form darstellt, in welcher das Energieprinzip »zum allgemeinsten Prinzip der physikalischen Naturforschung« erhoben worden ist, im übrigen aber eine bloße Hypothese ist, welche nur unter der unbeweisbaren Voraussetzung, daß die Natur ein geschlossenes System ist, gültig ist^) Als all- gemeines, der Verknüpfung der verschiedenen Energieformen dienendes Prinzip der Naturkausalität aber schließt es in der Forderung eines von außen imbeeinflußten Systems materieller Massen eine Voraus- setzung ein, die sich bei keinem einzigen der uns in der Erfahrung gegebenen Systeme verwirklicht findet.^) Das Universum in dieser Form ist wie Wundt hinzufügt: kein ErfahrungsbegrifT, sondern eine Idee, und somit auch das Konstanzprinzip eine abstrakte Voraussetzung, kein Erfahrungsgesetz. Trotzdem unterliegt es keinem Zweifel, daß Wundt für seine Person das Konstanzprinzip für absolut gültig hält; eben deshalb lehnt er die Möglichkeit psychophysischer Wechselwirkung ab.^)

Die beiden von Wundt unterschiedenen Prinzipien lassen sich schon bei dem Entdecker des Prinzips der Erhaltung der Energie, Robert Mayer, erkennen, bei dem gemäß den beiden Gesichtspunkten, die sein Denken bestimmen, dem philosophisch -spekulativen und dem empirisch-induktiven, bald das eine bald das andere in den Vorder- grund gerückt erscheint Er bringt einerseits das Gesetz in Zu- sammenhang mit dem Prinzip der Erhaltung der Substanz und kommt, dieses Prinzip auf das Kausalitätsprinzip übertragend und die Kräfte als eine Art Substanz auflassend, zu dem Ergebnis, daß eine sich stets gleichbleibende Naturkraft in den verschiedenartigsten Gestalten in der Natur erscheint »Es gibt in Wahrheit nur eine Ejraft Im ewigen Wechsel kreist dieselbe in der toten wie in der lebenden Natur. Dort und hier kein Vorgang ohne Förmveränderung der

1) System S.286.

2) Ebendaselbst 8. 484.

3) S. 481.

4) 8.488.

5) Vgl. bes. Phil. Stadien X. Im übrigen vgl. zu Wundts Anffassang des Energieprinzips Mohilewer a.a.O. 8.67 69.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechsel wirkungstheorie. 409

Kraft.« Diesen Gedanken deutet auch schon sein Ausdruck: »Un- zerstörlichkeit der Kraft« an.

Auch spricht für diese Auffassung die Art und Weise wie Mayer die sogenannten kataly tischen Auslösungen mit dem Prinzip der Erhaltung der Energie zu vereinigen sucht, Auslösungen, die dann auch der »Geist«, an dem er festhält, vollbringen kann.

Andererseits legt Mayer aber worauf neuerdings Riehl be- sonders hingewiesen hat auf die Erfahrung und den empirischen Beweis des Energieprinzips viel mehr Gewicht, als man früher au- fnahm, und dem entsprechend tritt die allein auf Erfahrung stütz- bare — Äquivalenz in den Wechselwirkungen der Naturkräfte zunächst die von Bewegung und Wärme mehr in den Vorder- grund. Auf sie beziehen sich die Ausdrücke: »Isomerie der Kräfte« und »physikalische Stöchiometrie«.^)

In Helmholtz' Aufsatz »Über die Wechselwirkung der Natur- kräfte« (Vorträge und Reden, Bd. I, Braunschweig 1884) stoßen wir zunächst (S. 27) auf das Äquivalenzprinzip: »Es handelt sich dabei um ein neues allgemeines Naturgesetz, welches das Wirken sämt- licher Naturkräfte in ihren gegenseitigen Beziehungen zueinander beherrscht.« »Lebendige Kraft kann eine ebenso große Menge Arbeit wiedererzeugen, wie die, aus der sie entstanden war. Sie ist also dieser Arbeitsgröße äquivalent.« (S. 33 34 vgl. auch S. 31, 37, 39.) S. 41 wird dagegen das Energieprinzip deutlich als Kon- stanzprinzip ausgesprochen, wenn auch noch mit vorsichtiger Be- schränkung auf die unorganische Natur. Es besagt, »daß das Natur- ganze einen Vorrat wirkungsfähiger Kraft besitzt, welcher in keiner Weise weder vermehrt noch vermindert werden kann, daß also die Quantität der wirkungsfähigen Kraft in der unorganischen Natur ebenso ewig und unveränderlich ist, wie die Quantität der Materie«. S. 51 f. werden freilich die organischen Wesen in die Betrachtung hineingezogen, aber der Zusatz wird nicht ausdrücklich auf sie aus- gedehnt. Das geschieht dagegen in dem Aufsatze über die Erhaltung der Kraft (ebendaselbst), in welchem das Konstanzprinzip durchaus -im Vordergründe steht. S. 152: »Das Gesetz, von dem die Rede ist, sagt aus, daß die Quantität der in dem Naturganzen vorhandenen wirkungsfahigen Kraft unveränderlich sei, weder vermehrt noch ver- mindert werden könne.« S. 187: »Daraus folgt, daß die Summe der wirkungsfahigen Kraftmengen im Naturganzen bei allen Veränderungen

1) Siehe den Aufsatz von Biehl: Robert Mayers Entdeckung und Beweis des Eaergieprinzips in der Sigwart- Festschrift S. 159 184.

410 Zweiter Abechnitt Die psychophysiscbe Wechselwirknngstheorie.

in der Natur ewig und unveränderlich dieselbe bleibt AUe Ver- änderung in der Natur besteht darin, daß die Arbeitskraft ihre Form und ihren Ort wechselt, ohne dafi ihre Quantität yerändert wird. Bas Weltall besitzt einfürallemal einen Schatz von Arbeitskraft, der durch keinen Wechsel der Erscheinungen verändert, vermehrt oder vermindert werden kann und der alle in ihm vorgehende Yer- änderung unterhält.« Dieses Prinzip stellt Helmholtz den Sätzen von der ünveränderlichkeit der Masse und der chemischen Elemente zur Seite.

Das Äquivalenzprinzip finden wir in Machs Formulierung: »Durch mechanische Arbeit köitnen die verschiedenen physikalischen {thermischen, elektrischen, chemischen usw.) Veränderungen ein- geleitet werden. Werden dieselben rückgängig, so erstatten sie die mechanische Arbeit wieder genau in demselben Betrage, welcher zur Erzeugung des rückgängig gewordenen Teiles nötig war. Darin besteht der Satz der Erhaltung der Energie«.^) Aber Mach leitet aus ihm nun auch das Eonstanzprinzip ab. »Schätzt man jede physi- kalische Zustandsänderung nach der mechanischen Arbeit, welche beim Verschwinden derselben geleistet werden kann und nennt dieses Maß Energie, so kann man alle physikalischen Zustands- änderungen , so verschiedenartig dieselben sein mögen , mit demselben gemeinsamen Maß messen und sagen: Die Summe aller Eneigien bleibt konstant.«')

Auch bei Ostwald, dem Schüler Machs, drücken (Vorlesungen über Naturphilosophie, Leipzig 1902) die Sätze, in denen er das Energieprinzip direkt formuliert, unmittelbar jedenfalls nur die Äqui- valenz bei Umwandlungen aus. So, wenn es heißt, das Gesetz be- sage, »daß niemals durch die Umwandlung die Menge der Arbeit vermehrt werden kann«, »daß alle Umwandlung der Arbeit, wenn man diese zuletzt auf ihre ursprüngliche Form wieder zurükführt, ihren Betrag unverändert lasse« (S. 155), was dann (S. 156) auch auf die Zwischenformen ausgedehnt wird. Auch wenn es S. 159 heißt, »daß bei allen Umwandlungen die Gesamtmenge der vor- handenen Energien unverändert bleibt«, bezieht sich die »Gesamt- menge« doch nur auf die an den jedesmaligen Umwandlungen be- teiligten Enei^eformen und -mengen. Nach S. 247 gibt das Gesetz der Erhaltung der Energie »Antwort auf die Frage, in welchem Ver- hältnis die Mengen der verschiedenen Energien zu einander stehen,

1) PopulärwiBsenachaftl. Yorlesangen S. 156.

2) Ebendaselbst S. 182—183.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Weohselwirkaiigstheorie. 4X1

wenn sie sich gegenseitig umwandeln«. S. 252 wird die Bezeichnung »Energieäquivalenz« gewählt. Berücksichtigt man aber, daß nach Ostwald die Energie die Substanz ist (S. U6, 152, 153, 280), daß also das Gesetz der Erhaltung der Energie auch mit dem Satz der Erhaltung der Substanz identisch ist (S. 280), so ergibt sich, daß auch für ihn das Energieprinzip die Eonstanz der Gesamtenergie des Weltalls einschließt. Damit stimmt denn auch, daß er das Psychische selbst als eine Art Energie faßt und auf diese Weise die Möglichkeit psjchophysischer Wechselwirkung mit dem Energie- prinzip in Übereinstimmung zu bringen versucht In der Bedeutung, daß die Gesamtsumme der Energie konstant bleibt, wird es denn auch S. 398 Anm. 1 genommen. Beide Aufbssungen finden sich femer bei Fechner, aber ohne daß sie deutlich voneinander unter- schieden würden. Der Satz, daß die lebendige Ejraft im Akte der Übertragung von einem Körper auf den andern, von einem Teile eines Systems auf den andern weder Vermehrung noch Verminde- rung erfährt,^) drückt unmittelbar nur die Forderung der Äqui- valenz aus, der andere: »Nicht die Größe der eben vorhandenen lebendigen Eraft, aber die Größe der vorhandenen lebendigen

Kraft zusammen mit der potentiellen Kraft ist

für jedes, fremden Einwirkungen entzogene System, hiermit auch unstreitig für die Welt, eine konstante Größe«, fügt aber die Forderung der Konstanz der Weltenergie hinzu. ^) Eine anschauliche Illustration des Äquivalenzprinzips gibt Laßwitz: »Durch chemische Vereinigung von Kohle und Sauerstoff wird Wärme erzeugt, die den Dampf ausdehnt und mechanische Arbeit leistet Es wird durch sie in der Dynamomaschine elektrischer Strom erzeugt^ durch den ein Körper chemisch zersetzt oder ein anderer erhitzt wird, licht ent- steht und ausstrahlt Stets geht soviel Energie der einen Form verloren, als in der anderen Form entsteht«^) Die Konstanz der Energie im Weltall dagegen knüpft Laßwitz auch an die Voraus- setzung, daß dasselbe ein in sich geschlossenes System ist,^) eine Voraussetzung, an deren Richtigkeit er aber auch nicht zweifelt, denn er fährt gleich darauf fort: »Enei^e kann ebensowenig ent- stehen als vergehen, und es gibt keine anderen Veränderungen in

1) Elemente der Psychophysik, 1889, I, S. 28.

2) S. 32, vgl. auch S. 35, 37.

3) »Wirklichkeiten«, Berlin 1900, S. 104.

4) Ebendaselbst.

412 Zweiter Abschnitt. Die psychophysische Wechsel wirkangstheorie.

der Natur als die Umwandlungen der Energieformen ineinander«, i) Ebbinghaus gibt die Formulierung: »Bei allen Umwandlungen der körperlichen Dinge ineinander und bei allem Wechsel des Geschehens an ihnen bleibt stets ein Paktor in seinem Gesamtwerte unver- ändert, an dem sie alle in wechselndem Maße Anteil haben, nämlich ihre Fähigkeit (unter geeigneten Umständen) mechanische Arbeit zu verrichten. Diese Fähigkeit, die eben Energie genannt wird, haftet an den verschiedensten Eigenschaften oder Vorgängen, z. B. an den Bewegungen der Dinge (kinetische Energie), ihren Entfernungen (poten- tielle Energie), an ihrer chemischen Verwandtschaft, ihren thermischen und elektrischen Verhältnissen. Alle diese Manifestationsweisen können sich aufs mannigfaltigste ineinander umsetzen und einander vertreten, aber immer, wenn es geschieht, bewahren sie dabei ein bestimmtes festes Verhältnis. Für ein bestimmtes (in bestimmter Weise zu messendes) Quantum des einen Agens oder Prozesses, das irgendwo für unsere Beobachtung verschwindet, entsteht anderswo ein be- stimmtes Quantum eines anderen Agens, und stets ist dabei die Energie, d. h. der Arbeitswert der einander äquivalenten Quanta von derselben Größe, ganz einerlei, wie die Umwälzungen geschehen, ob vorwärts oder rückwärts, direkt oder durch beliebige Zwischenglieder, in viel oder wenig Zeit.« 2) Diese Formulierung läßt es unbestimmt, ob auch das Eonstanzprinzip im Sinne der Konstanz der Weltenei^e durch sie mit ausgedrückt werden soll. Sie enthält an sich, zumal wenn man die Eingangsworte: »bei allen Umwandlungen der körper- lichen Dinge ineinander« berücksichtigt, nur die Äquivalenz. Trotzdem unterliegt es nach der ablehnenden Haltung, welche Ebbinghaus der Wechsel Wirkungstheorie gegenüber einnimmt, keinem Zweifel, daß er auch das Eonstanzprinzip durchaus als gültig voraussetzt (vgl. z. B. S. 31 s. Psychologie). Wiederum sucht König, der beide Prinzipien festhält, aus dem Äquivalenzprinzip die Geschlossenheit des Naturzusammenhanges und damit das Eonstanzprinzip abzuleiten.^) Das letztere stellen als die eigentliche Bedeutung des Energieprinzips (aus dem dann die Äquivalenz folgt) in den Vordergrund vor allem Herbert Spencer, bei dem die »persistence of force« gewisser- maßen die Achse ist, um welche sich seine ganze Philosophie

1) Ebendaselbst, vgl. auch S. 111, sowie seine Feohnerbiographie (Stattgart 1896) S. 134.

2) Grundzüge d. Psychologie S. 29/30.

3) Vgl. s. Aufsätze in Bd. 115 und 119 der Zeitschr. f. Phil. u. phil. Kr., insbes. d. Ausführung Bd. 119, 8. 117 f. Anm.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechsel wirkungstheorie. 413

dreht,^) ferner Dubois-Reymonci,^) Paulsen,^) Rehmke,*) Külpe (der dann aus ihm die Lüekenlosigkeit des Naturzusammenhanges ab- leitet),») Erhardt,6) Aars,^ Adickes,») Hoff ding,») v.Hartmann/o) Stalle,") Ziehen,") Hermann,") Spauldingi*)u.a., die Auffassung des Energieprinzips als Äquivalenzgesetzes findet sich am deutlichsten ausgedrückt bei Stumpf: »Ohne jede hypothetische Zutat ausge- sprochen , ist es ein Gesetz der Transformation : wenn kinetische Energie (lebendige Kraft sichtbarer Bewegung) in andere Kraftformen umge- wandelt und diese schließlich in kinetische Energie zurückverwandelt werden, so kommt der nämliche Betrag zum Vorschein, der aus- gegeben wurde.« ^^) Auch Lotze gibt dem Äquivalenzprinzip vor dem Konstanzprinzip den Vorzug !^^

Weiter kann man sich beim Energiegesetz die Frage vorlegen, ob man es mit einer mechanistischen Naturauffassung, die alles physische Geschehen in eine Mechanik der Atome auflöst, ver- binden, also ^»mechanistisch« interpretieren, oder ob man nur die Äquivalenz überhaupt betonen, im übrigen aber es dahingestellt

1) First Principles Ch. VI. Freilich herrscht hei S p e n o e r Unklarheit darüber, ob das Physische selbst eine Form der Energie ist oder nicht

2) 7 Welträtsel, Leipzig 1891, S. 94.

3) Einl. S. 90.

4) Gedenkschrift für Haym, Halle 1902, S. 145.

5) Einl. i. d. Phil., 1895, S. 133; vgl. den Aufs.: Über d. Beziehungen zwischen körperlichen u. geistigen Vorgängen in der Zeitsohr. f. Hypnotismus YII. S. 107, 109.

6) Schrift S. 29.

7) a.a.O., S. 12—13.

8) Kant contra Haeokel S.32~-33.

9) Psychol. 1887, S.69.

10) Der es aber aus dem Äquivalenzprinzip unter Voraussetzung der End* lichkeit und Geschlossenheit des Weltalls ableitet. Vgl. Die Weltanschauung der modernen Physik, Leipzig 1902, S. 2, 6, 12, 13, 29, 30, 111 u. a.

11) Die Begriffe und Theorien der modernen Physik, Leipzig 1901, S. 70. Die Anmerkung 12 weist aber darauf hin, daß die Anwendung der Lehre von der Erhaltung des Energieprinzips hier in dem Sinne genonmien wird, »wie es all- gemein unter den Physikern üblich ist«, d. h. unter der Voraussetzung, daß das physische Weltall ein endliches konservatives System ist

12) Über die allgemeinen Beziehungen zwischen Gehirn und Seelenleben, Leipzig 1902, S. 38.

13) Lehrbuch der Physiologie, 12. Aufl., Berlin 1900, S. 11.

14) Beitr. z. Eht. d. psychophys. Parall. v. Standpunkte d. Energetik, Halle 1900, S. 42, 44.

15) EröfEnungsrede S. 9.

16) Metaphysik 1879, S.416.

414 Zweiter Abschnitt. Die psyohophysische Wechselwirkungstheorie.

sein lassen soll, ob die einander äquivalenten Großen überhaupt auf gleichartige Begriffe zurückgeführt werden können. Im ersteren Falle sind die Gleichungen, welche die Äquivalenz ausdrücken, um die von Wundt eingeführte Bezeichnung zu gebrauchen, durchweg »Kraftgleichungen« ; im letzteren Falle sind neben diesen auch »Energie- gleichungen« (Zustands- und Transformationsgleichungen) ^) als gleich- berechtigte Formen zuzulassen. Wundt und Efobinghaus huldigen der mechanistischen Interpretation: die verschiedenartigen Zustande und Prozesse der materiellen Welt sind im Grunde nichts als Lage- rungsverhältnisse und Bewegungen. »Was uns zunächst erscheint als eine qualitative Umwandlung von Bewegung in Wärme oder von dieser in Elektrizität, sind nach , mechanischer^ Auffassung der Sache nicht wirkliche Metamorphosen eines Agens in ein anderes, sondern lediglich Umsetzungen verschiedener Bewegungsformen oder verschiedener Lagerungen ineinander. Gleichsinnig gerichtete Be- wegungen zahlreicher kleinster Teilchen werden zu ungleichsinnig gerichteten, bei denen die Masse im Ganzen nicht von der Stelle rückt, zu Vibrations-, Rotations-, Wirbelbewegungen u. a.; solche verschiedenen Bewegungsformen werden in allen möglichen Weisen wechselseitig ineinander übergeführt, oder auch sie erschöpfen sich zeitweilig, indem sie dazu dienen, die Entfernungen der kleinsten. Teilchen voneinander zu vergrößern.^) Und man kann sich kaum dem Eindruck entziehen, daß eine Zurückführung sämtlicher Natur- vorgänge auf eine Mechanik der Atome, die bekanntlich Dubois- Beymond als das nur für den »Laplaceschen Geist« völlig realisier- bare Ideal der Naturforschung bezeichnete, in der Tat dem Geiste der modernen Naturforschung am meisten zu entsprechen scheint') Aber andererseits darf nicht übersehen werden, daß wir nicht nur,

1) Wundt, Phil. Studien, Bd.X, S. 14.

2) Ebbinghaus, Grundzüge der Psychologie, S. 34; vgl. Wundt, System der Phil., S. 484. Beide stehen damit auf dem Standpunkt, den Physiker wie Olausius, Thomson, Maxwell, Helmholtz, Boltzmann u. a. einnehmen. Nimmt man an, daß die kleinsten Teilchen sich stets in irgend welcher, wenn auch »verborgenen« (Hertz) Bewegung befinden, (was Thomson, Stewart und Tait [vgl. Stalle a.a.O. S. 551, Voß, Die Prinzipien der rationellen Mechanik, Enoyklop. d. math. Wissensch. Bd. lY^ Heft 1, 1901, S. 62], sowie u. a. Yerworn [Allg. Physiologie, Jena 1895, S. 31} annehmen, während Lotze [Metaphysik, 1879, S. 409] es nur als möglich hinstellt), so könnte man alsdann das Gesetz der Erhaltung der Energie auch geradezu wieder als ein solches der Erhaltung der Bewegung bezeichnen.

3) Vgl. die Ausführungen in der Note 1 zu S. 23.

Zweites Kapitel. Sohwierigkeiten der Wechsel wirkungstheorie. 415

wie auch die Verfechter der mechanistischen Auffassung durchaus zugestehen,^) zur Zeit tatsächlich von dem Ideal des Laplaceschen Geistes noch weit entfernt sind, nach der Ansicht Mancher sogar weiter, wie je zuvor,') sondern daß in weiten Kreisen jenes Ideal überhaupt nicht mehr als das für die Naturwissenschaft maßgebende angesehen wird. In einer der neuesten Darstellungen der gegenwärtigen Lage der Mechanik (die Prinzipien der rationellen Mechanik, Encj- klopädie der math. Wissenschaften, Bd. IV*, Heft 1) erklärt ihr Ver- fasser, A. Voß, die Anschauung, nach der die Erklärung der KatuiTorgänge nur durch Zurückführung aller Erscheinungen auf BewegungsYorgänge räumlich unveränderlicher Substanzen geliefert werden könne, für »möglicherweise zu enge« (S. 11) und fügt unter Berufung auf P.Drude, W.Thomson, W. Duhem und E. Mach hinzu, daß es auch verschiedene, nicht weiter zu erklärende Zustände geben kann, deren funktionelle, auch in der Zeit veränderliche Be- ziehungen zu ermitteln lediglich eine Aufgabe der mathematischen Darstellung sei (S. 12). Mach erklärt (Mechanik S. 486): »Daß alle physikalischen Vorgänge mechanisch zu erklären seien, halten vnr für ein Vorurteil«,*) Volkmann hält (Erkenntnistheor. Grundzüge der Naturwissenschaften, S. 153 154) die Auflösung der ganzen Physik in Mechanik der Atome nicht für einen notwendigen Gesichtspunkt, und endlich hat W. Ost wald, der Hauptverfechter der modernen Ener- getik, in seinen »Vorlesungen über Naturphilosophie« (Leipzig 1902) Bahnen eingeschlagen, welche weitab führen von dem früheren Ideal naturwissenschaftlicher Erklärung^) Ich glaube doch nicht, daß man

1) Vgl.z.B.Ebbinghau8 a.a.O., S.34, 37.

2) A. Vofi, Die Prinzipien der rationellen Mechanik, Encyklopadie der mathe- matischen Wissenschaften, Bd.iyS Heft 1, S.27, Anm. 50.

3) YgL Populärwissonschaftl. Yorlesnngen, 2. Aufl. 1897 S. 181.

4) S. 165 f., 202 f., 2291 Neben Ostwald sei insbesondere noch Helm als Vertreter einer qualitativen Energetik genannt. Das Studium des Ostwaldschen Werkes ist abgesehen von dem beachtenswerten Yersuch, den Begriff der Energie zum Fondamentalbegriff der ganzen Naturforschung zu machen, für den Philo- sophen auch insofern sehr lehrreich, als es so recht eindringlich zeigt, wie be- denldich es für die Philosophie ist, das Weltbild, das zu entwerfen ihre Aufgabe ist, Ton vornherein bestimmten, zur Zeit vielleicht von der Majorität der Natur- forscher für wahr gehaltenen Modetheorien anzupassen. Die mechanistische Hypo- these, in der Ebbinghaus »das beste Wissen« unserer Zeit siebt, erinnert Ostwald an die früheren Yei'suche, unedle Metalle in Oold zu verwandeln oder das perpetuum mobile zu entdecken : unsere Kinder und Eindeskinder werden auf diese Hypothese mit denselben Gefühlen blicken und sie ebenso ablehnen , wie wir jene Yersuohe (S. 216). So schroff stehen sich die Ansichten in der Naturforschung

416 Zweitor Absohniti Die psychopbysische Wechselwirknngstheorie.

angesichts dieser Strömungen mitEbbinghaus, der seinerseits freilich auch noch das Energieprinzip selbst als ein auf tatsächlichen Befunden beruhendes Prinzip von der mechanistischen Auffassung desselben als einem auf Erklärung und Zurechtlegung abzielenden Prinzip unter- scheidet,^) sagen darf, sie seien nur vorübergehend und die mecha- nistische Weltanschauung bestehe für die Gegenwart jedenfalls in Kraft; und zu Recht ^)

Indes, ob die Naturwissenschaft der einen pder der anderen Auffassung den Vorzug geben will, ist schließlich eine rein interne Angelegenheit derselben, die sich aus allgemeinen philosophischen Gründen nicht entscheiden läßt und in welche sich zu mischen die Philosophie auch weder Veranlassung noch Becht hat Nur das sollte hier in Hinblick auf einen weiter unten zu besprechenden Versuch, die Wechselwirkungstheorie mit dem Prinzip der Eonstanz der Energie in Einklang zu bringen, bereits betont werden, daß man angesichts dieser Lage der Dinge in der Naturwissenschaft selbst jedenfalls kein Becht hat, die mechanistische Weltanschauung, die nur ein Teil der Naturforscher wirklich vertritt, als die Anschauung der Naturwissen- schaft der Wechselwirkungstheorie einfach entgegenzuhalten und jede Auffassung über das Verhältnis von Leib und Seele, die ihr nicht entspricht, als unmöglich abzuweisen.^) Das ist ein Punkt, der uns im nächsten Abschnitt bereits beschäftigen wird. Im übrigen aber können wir den Gegensatz von mechanistischer und dynamistischer Naturauffassung und damit auch die Frage, ob das Energieprinzip mechanistisch oder dynamistisch zu interpretieren ist, auf sich be- ruhen lassen.

Indem ich mich jetzt der Frage, ob das Prinzip der Erhaltung der Energie mit der Lehre von der Wechselwirkung zwischen Leib

selbst gegenüber! Auch Lotze will (Metaph. 1879 S. 417) der mechanistischen Interpretation des Energiegesetzes nur den Wert einer zufälligen Ansicht oder einer Fiktion zagestehen. E. v. Hartmann erblickt in der mechanistischen Weltan- schauung ein blo£es Vorurteil der Physik (Mod. Psych. S. 354). Auch Stalle be- kämpft sie mit bemerkenswerten Gründen, vgl. auch £ülpe, Zeitschr. f. Hypnot. Vn. S. 113.

1) a. a. 0. S. 35.

2) 8. 37.

3) Die Möglichkeit psychophysischer Kausalität aber darauf zu stützen, daß Chemie und Biologie den rein »mechanischenc Eörperbegiiff nicht durchführen können, wie Bickert tut (Sigw.- Festschrift 8. 80, vgl. die Grenzen der natur- wissensch. Begriffsbildung I. Teil 8. 118 und 264f.)i halte ich für sehr bedenklich.

Zweites Kapitel. Sohwierigkeiten der Wechselwirbmgstheorie. 417

und Seele vereinbar ist oder nicht, zuwende, stelle ich aus Gründen, die ihre Rechtfertigung von der nachfolgenden Darlegung selbst er- warten, von den beiden Prinzipien, die in ihm, sowie es gewöhnlich verstanden wird, enthalten sind, das Eonstanzprinzip, d. h. die Annahme, daß die im physischen Universum vorhandene Oesamt- energie konstant ist, voran. Wir fragen also, ob dieses Prinzip mit der Ansicht, daß der Körper auf den Geist und der Geist auf den Körper einwirkt, vereinbar ist oder nicht. Da ist es mir nun nicht zweifelhaft, daß die beiden Annahmen nicht miteinander vereinbar sind, daß man nicht zugleich die Eonstanz der Energie voraussetzen und an der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele festhalten kann, sondern daß man sich entschließen muß, entweder die ab- solute Eonstanz der Energie oder die psychophysische Eausalität fallen zu lassen. Ich weiß wohl, daß diese meine Anschauung in scharfem Gegensatz steht zu derjenigen der überwiegenden Anzahl der Forscher, die, wie ich selbst, an der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele festhalten und deren Bemühen gerade darauf gerichtet ist, zu zeigen, daß diese Annahme mit der der Eonstanz der Energie sehr wohl verträglich sei. Allein ich habe mich^ trotzdem ich Yersuchen gegen- über, die der Stützung einer mir sympathischen und von mir selbst verfochtenen Sache dienen sollen, doch gewiß nicht von vornherein mit feindlichem Vorurteil gegenüberstehe, doch nicht überzeugen können, daß diese Yersuche das Ziel, das sie erreichen wollen, wirklich erreichen. Es sei mir erlaubt, diese meine Ansicht durch ein wenn auch nur kurzes kritisches Eingehen auf die erwähnten Versuche zu begründen, bevor ich es unternehme, meine eigene An- sicht über das Verhältnis zwischen der Wechselwirkungslehre und dem Energieprinzip darzulegen und nach Eräften zu stützen.

Ein erster, auf den ersten Slick auch am meisten Erfolg ver- sprechender Versuch, die psychophysische Wechselwirkung mit dem Eonstanzprinzip in Übereinstimmung zu bringen, ist der, das Psy- chische selbst als eine Art von Energie anzusehen, die sich ebenso in ihr äquivalente Beträge von physischer Energie umsetzt und aus ihnen zurückgewonnen werden kann, wie sich Bewegung in Wärme, Elektrizität, Distanzenergie umsetzt und aus ihnen unter umständen sich zurückgewinnen läßt. Auf diesen Ausweg hat Stumpf auf dem in. psychologischen Eongreß in München 1896 hingewiesen^), ihn

1) EröffQungsrede S. 9: »Und so ließe sich, ^ie ich meine, das Psychische ganz wohl als eine Anhäufang von Energien eigener Art ansehen, die ihr ge- Bnsse, Geist und KOiper, Seele and Leib. 27

418 Zweiter Abschnitt. Die psychophysische Weohselwirktuigstheorie.

hat von Grot ausführlich zu empfehlen und zu begründen unter- nommen^) und nach ihm haben Eülpe^) und Ostwald^) denselben

naues mecbanisohes Äquivalent hätten. Gewisse psychische Funktionen würden mit einem fortwährenden Verbrauch, andere mit einer ebenso fortgehenden Er- zeugung physischer Energie verknüpft; sein.«

1) Die Begriffe d. Seele und d. psych. Energie in d. Psychologie, Arch. f. System. Phü. Bd. IV, 1898, S.257f.

2) Einl. i. d. Phil. 1895 S. 150, 2. Aufl. 1898 S. 144f. Vgl. femer den Auf- satz : Über die Beziehungen zwischen körperlichen und geistigen Vorigen, Zeitschr. f. Hypnotismus Bd-VU, S. 97f.

3) Vorlesungen über Naturphilosophie 8.373, 377, 378, 396. Indes hält Ostwald an dem Prinzip psychophysischer Kausalität in Form psychophy- sischer Energieumsetzung durchaus nicht konsequent fest. Er ist Gegner des psychophysischen Parallelismus, dessen Konsequenz, die Allbeseelung, ihm nicht sympathisch ist (S. 373, 374, 376, 397); dem Anschluß an den Parallelismus steht auch seine Auffassung des Bewußtseins als eines Mittels zur Erhaltung der Orga- nismen im Kampfe ums Dasein (8. 154, 388, 390, 409 f.) entgegen, r- Aber wi» der Begriff der »Nervenenergie«, den Ostwald S. 354/55 einfuhrt, insofern unklar bleibt, als keine bestimmte Auskunft darüber gegeben wird, ob sie eine besondere Energieart repräsentiert oder sich vielleicht auf bekannte Energiearten zurück- führen läßt (vgl. 8. 381, 404), 80 bleibt auch unklar, ob die geistige Eneigie eine besondere Energieart ist, die sich in Nervenenergie umsetzt und durch sie be- dingt wird, oder ob sie mit der letzteren identisch ist und nur eine bestimmte Seite derselben darstellt. Die oben zitierte Stelle spricht für die erstere Auf- fassung, ebenso S. 398, 402, wo das Auftreten des Bewußtseins noch weiteren (nervösen) Energieverbrauch bedingt, S. 403, wo es als neuer Energievorgang hingestellt wird. Vgl. S. 377. Andererseits wird aber 8. 381 erklärt: »Was wir also eben geistige Energie genannt haben, fällt mit dem früher aufgestellten Be- griff der Nervenenergie zunächst zusammen, und 8. 403 ersehen wir, daß das Bewußtsein eine »Hauptbetätigung« der Nervenenergie ist Beide Auffassungen fließen 8. 382 sogar in einem Satze zusammen : »Wir haben danach allen Grund, diese subjektiv bekannten Bewußtseinserscheinungen mit den objektiven Beiz- leitungen in engen Zusammenhang zu bringen und die ersteren gleichfalls als Wirkungen oder Eigenschaften der Nervenenergie anzusehen, fliernach läge in den Tatsachen des Bewußtseins eine zweite subjektive Quelle unserer Kenntnis der Nervenenergie vor.« Es ist offenbar, daß, wenn das Bewußtsein eine subjektive Quelle der Kenntnis der Nervenenergie ist, wir wieder auf dem Boden des psychophysischen Parallelismus stehen, nach welchem der Nerv die objektive, das Bewußtsein die subiektive Seite einer und derselben Sache ist. Zu demselben Ergebnis führt, wie auch E. v. Hartmann sehr richtig hervorhebt (Preuß. Jahrbücher Bd. 109 8. 11), auch die Annahme, daß die Willensempfindung die bewußte Begleiterscheinung der im Zentralorgan verlaufenden Handlung (S. 422), der Parallelvorgang zu der Handlung selbst (423) ist Damit stehen wir durchaus auf dem Boden des Parallelismus. In der Tat schwankt Ostwald zwischen der parallelistischen und der kausalistischen Auffassung des Verhältnisses von Körper und Geist hin und her. Nach jener ist die Energie das Weltprinzip, dessen

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der WeohselwirbiDgstheorie. 419

Weg versucht Auch Ladd ist geneigt, die psychische Energie gelten zu lassen^), während Erhardt, der sie auch für möglich hält, ihr doch keine allzugroße Bedeutung beimißt ^) Und es muß zugestanden werden, daß sich vom Standpunkt des Prinzips der Erhaltung der Energie aus nichts gegen sie einwenden läßt Denn dieses verlangt, wie allerseits zugestanden wird, an sich nur, daß bei allem Wechsel des Geschehens die neu entstehende Energieform ihrem Betrage nach der zu ihrer Hervorbringung aufgewandten Energie äquivalent sei, sagt aber gamichts darüber aus, welcher Art die Energieformen sind, welche einander hervorrufen und sich ineinander verwandeln.*) Wenn uns also Ostwald versichert: »Ich habe mir die größte Mühe gegeben, irgend eine Absurdität oder ündenkbarkeit in der Annahme zu finden, daß bestimmte Energiearten Bewußtsein bedingen: ich habe nichts Der- artiges zu entdecken vermocht«, »es macht mir nicht mehr Schwierig- keiten, zu denken, daß kinetische Energie Bewegung bedingt, als daß Energie des zentralen Nervensystems Bewußtsein bedingt«^), so werden wir ihm, soweit das Prinzip der Erhaltung der Energie in Frage kommt, durchaus zustimmen müssen. Es ist daher ganz falsch, wenn Adickes, der das Prinzip der Erhaltung der Energie als Waffe gegen den Materialismus verwendet, sagt: »Bringt . . . eine Bewegung Psychisches hervor, so hört sie für alle Zeiten auf, Be-

beide »Seiten« die uns bekannten physischen Energiearten und das Psychische sind wobei dann aber das Wesen der sich in allen Energiearten manifestierenden Weltenergie völlig unbekannt bleibt Auf die Zweideutigkeit des Ostwaldschen Begriffs der psychischen Energie weist auch von Grrot hin (a. a. 0. 8. 297/298, 312); er stellt die psychische Energie der Nervenenergie gegenüber. Aber auch bei ihm wird schließlich die psychische Energie nicht unzweideutig genug von physischer Energie unterschieden, insofern eine ätherische Substanz als Träger der ersteren angenommen wird.

1) Phil, of Mind S. 214.

2) Schrift 1897 S. 88—94 ~ Daß auch Spencer diese Auffassung, die sich bei ihm aber mit der parallehstischen durchkreuzt, hat, wurde schon oben (S. 106 Anm. 6) erwähnt.

3) VgLSigwart Logikn2. Aufl.S.528; Ebbinghaus a.a.O. S. 33;Erhardt Schrift S. 91, 92; Münsterberg Grundz. d. Psych. S. 409. M. fügt hinzu, man dürfe gegen diese Ansicht nicht gleich die Unmeßbarkeit der psychischen Vorgänge ins Feld führen, da sich ihre Messung vielleicht doch noch ermöglichen läßt, zum Teil ja auch schon hat durchführen lassen (S. 410). Vgl. ferner Ladd, Ph. of Mind S. 214. (Man darf aber nicht, wenn man sich auf diesen Standpunkt stellt, zugleich behaupten, daß die mathematischen Formeln, die für die quantitativen Verhältnisse Geltung haben, in diesem Falle nicht vorausgesetzt werden dürften, S. 215). Vgl. femer Ostwald an den oben zitierten Stellen.

4) 8. 396.

27*

420 Zweiter Abschnitt Die psychophysiBche Wechselwirknngstheorie.

wegung zu sein; sie nimmt eine andere Form der Existenz an und kann nie wieder in Bewegung zurückverwandelt werden.«^) Warum denn nicht? Das Prinzip der Erhaltung der Energie hat gegen solche Verwandlung und Zurückverwandlung an sich gamichts einzuwenden, Yorausgesetzt, daß dabei nur die Äquivalenz gewahrt bleibt Und auch wenn Bewegung, die in Empfindung umgewandelt ist, nicht immer wieder in Bewegung zurückverwandelt werden kann, so tut auch das dem Prinzip der Erhaltung der Energie keinen Eintrag. Denn dieses, um es noch einmal zu sagen, verlangt, als Eonstanzprinzip aufgefaßt, nur, daß bei allen Energieumwandlungen die Summe der überhaupt vorhandenen Energie unverändert sich gleichbleibt; wann aber eine solche Umwandlung eintritt und welchen Umfang sie unter gegebenen Bedingungen erreicht, darüber bestimmt es an sich gar- nichts.^ Dehnen wir nun den EnergiebegrifF auf das Psychische aus, so bedeutet Eonstanz der Energie natürlich die Gesamtheit der in der ganzen Welt vorhandenen physischen und psychischen Energie. Nur die Unveränderlichkeit dieses aus allen möglichen Energieformen sich zusammensetzenden Oesamtquantums fordert also nunmehr das Energiepr^nzip, nicht aber die Unveränderlichkeit des physischen oder des psychischen Energievorrats. So wenig wir, wenn wir die Eon- stanz der physischen Energie postulieren, damit die Forderung ver- binden, daß das Verhältnis der einzelnen Energieformen zueinander das gleiche bleiben müsse, also die Bewegung oder die Wärme in der Welt sich stets unverändert gleich bleiben müsse, wie wir hier viel- mehr auf Grund des Garnot-Thomson-Glausiusschen Entropie- prinzips sogar annehmen, daß sich das Verhältnis von Wärme und Bewegung fortgesetzt zu Ungunsten der letzteren verschiebt, so wenig brauchen wir, wenn wir auch das Psychische dem Energiebegriff unterordnen, nach dem Prinzip der Erhaltung der Energie zu verlangen, daß alle physische Energie, die sich in psychische um- setzt, auch tatsächlich wieder völlig in physische Energie zurück- verwandelt wird.

Ebensowenig wie das Energieprinzip selbst, läßt sich aber auch die mechanistische Deutung desselben mit Erfolg gegen die psychische Energie ausspielen. Wir haben oben gesehen, daß diese Interpretation des Gesetzes keineswegs die einzig mögliche Interpretation desselben überhaupt darstellt und auch keineswegs von allen Naturforschern vertreten wird: also hat man auch kein Recht, die Unterordnung

1) Kant ooDtra Haeckel S. 32.

2) Ostwald a. a. 0. S. 247, vgl. S. 296.

Zweites Kapitel. Sohwieiigkeiten der Wechselwirkongstheorie. 421

des Psychischen unter den Energiebegriff schon aus dem Grunde zu verwerfen, weil sie sich mit der mechanistischen Naturauffassung nicht vereinigen lasse. Aber die Behauptung dieser Unvereinbarkeit trifft nicht einmal zu: nur etwas fremdartig würde sich die Einbe- ziehung des Psychischen in den Energiebegriff unter der Voraus- setzung mechanistischer Naturbetrachtung ausnehmen; unmöglich erscheint sie auch dann keineswegs. Gesetzt nämlich, es gelänge, sämtliche Formen, in denen die Energie uns in der Natur entgegen- tritt, auf solche der Bewegung und der Lage zurückzuführen, so würde das Geistige, das sich natürlich nicht als Bewegung, über- haupt nicht räumlich und körperlich konstruieren läßt, allen übrigen untereinander gleichartigen Energieformen als die einzige nicht mechanische und damit als eine einzigartige, mit allen übrigen un- vergleichbare Energieform gegenüberstehen. Während bei allen übrigen Energieumsetzungen immer nur ein mechanischer Zustand in einen anderen mechanischen Zustand übergeht, würde die Um- wandlung physischer in psychische und psychischer in physische Energie den einzig dastehenden Fall einer qualitativen Energie- nm Wandlung darstellen. Es ist zuzugeben, daß eine derartige Vor- stellung für den Naturforseher etwas Unbequemes und Ungewöhn- liches hat: daraus aber darf noch nicht gefolgert werden, daß sie abzulehnen sei. Wir dürfen eben nicht einfach immer von der Vor- aussetzung ausgehen, daß, was uns als das Bequemste und Einfachste erscheint, auch von der Natur stets befolgt werde; die Einheitlichkeit und Einfachheit, die wir von ihr bis zu einem gewissen Grade mit Recht erwarten, braucht sich nicht immer in der Weise zu doku- mentieren, die uns im Interesse unserer Forschung als die bequemste erscheint Große Ansprüche an unsere intellektuelle Opferwilligkeit, wie Ebbinghaus meint ^), stellt aber die Annahme psychophysischer Energieumsetzung auch unter der Voraussetzung mechanistischer Naturbetrachtung keineswegs. Schließlich ist doch das Geistige etwas von allem »Materiellen« spezifisch und schlechtweg Verschie- denes, das sich nicht wegbringen läßt: mit demselben Recht aber, mit dem man die psychophysische Energieumsetzung (immer nur vom Standpunkt des Energiegesetzes aus!) als eine zu große Zu- mutung für unsern Intellekt abweist, könnte man auch das Zer- fallen der Wirklichkeit in eine materielle und in eine geistige Hälfte als dem Einheitsbedürfnis unseres Intellekts widerstrebend ab-

1) a. a. 0. S. 36.

422 Zweiter Abschnitt. Die psychophysische Wechselwirkongstheorie.

lehnen, und wenn man hier darauf hinweist, daß in der Metaphysik, speziell in der idealistisch -spiritualistischen Metaphysik der Dualismus Ton Materie und Geist ja schließlich einem Monismus oder ünismiis Platz macht, so läßt sich diese Beschwichtigung auch in unserem Falle anwenden: die psychophysische Energieumsetzung, die solchen Anstoß erregt, verwandelt sich ja auf dem Boden spiritualistisch- idealistischer Metaphysik in einen Austausch psychischer Energien; auch die uns als physische entgegentretenden Energiearten sind ja an sich und in metaphysischer Auffassung psychischer Art. Schließ- lich möchte ich auch bei dieser Gelegenheit nochmals hervorheben, daß uns, bei Lichte besehen, doch auch die mechanische« Wechsel- Wirkung selbst in ihren einfachsten Formen letzten Endes genau so wenig bezw. ebensogut »verständlich« ist, als die psychophysische, daß wir also keinen rechten Grund haben, die psychophysische Energie- umsetzung um ihrer »ün Verständlichkeit« willen abzulehnen. Wenn Ebbinghaus aber zur Begründung seiner ablehnenden Haltung end- lich noch anführt, daß durch die Anerkennung des Geistigen als einer von allen anderen spezifisch verschiedenen einzigartigen Energieform der »mechanischen« Zurechtlegung der Naturvorgänge »gleichsam der Nerv durchschnitten« werde ^), so kann ich in dieser Behauptung nichts weiter als einen Ausdruck jener oben erwähnten trotzigen Stim- mung erblicken, die, wenn sie nicht alles, was sie verlangt, haben kann, den ihr verbleibenden Best, mag derselbe auch noch so groß und bedeutend sein, für nichts achtet^) Gegen derartige Stimmungen läßt sich nicht mit wissenschaftlichen Gründen streiten; entschieden wird durch sie in wissenschaftlicher Hinsicht natürlich auch nichts. Sachlich berechtigt ist die Behauptung nicht Das Recht, die inner- halb der Grenzen des Physischen liegenden Energieumformungen mechanistisch zu konstruieren, wird ja durch die Annahme einer gelegentlich auch stattfindenden psychophysischen Energieumsetzung keineswegs angetastet Daß damit nicht viel gewonnen sei, weü man nun doch eben nicht alles »mechanisch« erklären kann, ist eben eine grundlose Behauptung.

Mit dem Eonstanzprinzip läßt sich also, sehen wir, die psycho- physische Wechselwirkung ganz wohl vereinigen, sobald man, wo- gegen sich berechtigte Bedenken vom naturwissenschaftlichen Stand- punkt aus nicht vorbringen lassen, den EnergiebegrifF auf das Psychische selbst ausdehnt und die psychophysische Wechselwirkung als eine

1) a. a. ö. S. 34.

2) Ebbinghaus spricht das S. 35 direkt aus.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechselwirkongstheorie. 423

psychophysische EnergieumsetzuDg auffaßt Dagegen bleibt bestehen, daß, wenn man das Eonstanzprinzip in dem Sinne versteht, daß die Summe der physischen Energie konstant bleibt, die Wechsel- wirkung zwischen Leib und Seele in Form psychophysischer Energieumsetzung mit demselben unvereinbar ist.*) Aber wenn

1) Einen Yersuch, die psychophysische Energieomsetzung auch mit dieser Form des Eonstanzgesetzes in Übereinstimmung zu bringen, hat Elülpe in der ersten Auflage seiner »Einleitung in die Philosophie c (1895) gemacht. »Man braucht«, sagt er S. 150, »bloß anzunehmen, daß eine Äquivalenz zwischen den geistigen und den materiellen Prozessen besteht. Es wurde dann das Energie- quantum, das auf jener Seite verloren gehen müßte, damit ein entsprechendes Quantum geistiger Energie entstehen könnte, durch den abermaligen Umsatz der letzteren in eine neue materielle Energieform wieder eingebracht werden können. Es bliebe sich denmaoh ganz gleich, ob ein Quantum geistiger Energie sich in den Ablauf der materiellen Prozesse einschöbe oder nicht: das Gesetz der Erhaltung der Energie in seiner bisherigen Auffassung würde nicht verletzt werden.« Der Gedanke, der diesen Ausführungen zu Grunde liegt, ist, wie man sieht, der: das Gesetz der Konstanz der (physischen) Energie wird durch Umwandlung von phy- sischer in psychische Energie nicht verletzt, weil jeder Verlust, welcher der phy- sischen Energie durche solche Umwandlung zeitweilig zugefügt wird, durch die nachfolgende Kückverwandlung wieder ersetzt wird. Das Quantum Energie, das der psychischen "Welt abgetreten wird, wird ihr nicht als dauernder Besitz aus- gehändigt, sondern gewissermaßen nur geliehen; und da die Rückzahlung stets prompt geleistet wird, so bleibt die physische Bilanz sich schließlich doch stets gleich. Indes dürfte sich eine derartige Interpretation des Konstanzgesetzes als eines physischen kaum aufrecht erhalten lassen. Das Gesetz verlangt in dieser Form, daß die Summe der physischen Energie sich stets und in* jedem Augenblick gleich bleibe; ihm wird nicht dadurch genügt, daß ein Schaden, der einmal ent- standen ist, später wieder gut gemacht wird, sondern nur dadurch, daß überhaupt nie ein Schaden entsteht, daß jede Möglichkeit auch eines vorrübergehenden Ver- lustes ausgeschlossen bleibt. Ob die Energie, die dem physischen Weltall durch Um- wandlung in psychische entzogen wird, ihm für einen kurzen Moment oder für Tau- sende von Jahren entzogen wird, macht in prinzipieller Hinsicht ebensowenig einen Unterschied aus, als ob das entzogene Quantum sehr bedeutend oder verschwindend klein ist Das Prinzip wird in allen Fällen durchbrochen, und ein einmal durch- brochenes Prinzip läßt sich durch später an ihm vorgenommene Flickarbeit nicht wieder in integrum restituieren, so wenig wie sich ein Mädchen, das einmal ein Kind gehabt hat, wieder zu einer Jungfrau machen läßt. In dem oben erwähnten Aufsatz: Über die Beziehungen usw. im 7. Bande der Zeitschr. f. Hypnotismus hat Külpe diesen Versuch, der der Vollständigkeit wegen hier erwähnt werden -mußte, nicht unternommen, sondern hält nur den Gesichtspunkt fest, daß das Psychische auch als eine Art von Energie angesehen werden könne und dieser "Weg^ sich mit dem Konstanzgesetz (durch Ausdehnung desselben auf das Psychische) abzufinden, sich von allen, die man eingeschlagen hat, am meisten empfehle (S. 109/110, S. 112). In der zweiton Auflage der »Einleitung« (1898) scheint mir dagegen der oben von mir kritisierte Gedanke wieder anzuklingen (vgl. z. B. S. 144).

424 Zweiter Abschnitt Die psychophysische Weohselwirkcmgstheorie.

auch das Gesetz der Konstanz der Energie gegen die Auffassung des Psychischen als einer besonderen Energieart nicht wohl mit Erfolg mobil gemacht werden kann, so erheben sich gegen diese Ansicht doch andere, gewichtige Bedenken. Ebbinghaus deutet sie S. 33 seines Buches an. »Sie nimmt«, sagt er, »dem gewöhnlichen Denken bereits zuviel durch ... die Einfügung des geistigen Geschehens in das Getriebe des jederzeit eindeutig bestimmten materiellen.« Die Tatsache ist richtig; nur meine ich, daß es nicht nur das »gewöhnliche«, sondern auch das Denken, das gewohnt ist sich auf Tatsachen und Gründe zu stützen, ist, dem hier »zuviel genommen« wird. Die Konsequenz dieser Ansicht führt ebenso wie die des psychophjsischen Parallelismus zu einer Auffassung des geistigen Lebens, die mir mit den Tatsachen der unmittelbaren Erfahrung im Widerspruch zu stehen scheint. Die Seele würde, wenn sie unter den Begriff Energie subsumiert wird, nach Stumpfs treffendem Ausdruck eine einen bestimmten, im Prinzip zahlenmäßig feststellbaren Arbeitswert repräsentierende »Anhäufung von Energien« ^) sein. Die Leistungsfähigkeit dieses Agens würde in jedem Augenblick durch die durch es repräsentierte Energiemenge und den etwa durch Ab- gabe physischer Energie noch hinzukommenden Zuschuß vollständig und eindeutig bestimmt sein, eine Erhöhung derselben über die durch diese Faktoren gesetzten Schranken hinaus, wie wir sie als Folge begeisterten Strebens in Momenten, wo man dem Weltgeist näher ist als sonst, kennen, würde völlig ausgeschlossen sein; ein Wachs- tum geistiger Energie, ein sich selbst Potenzieren der Seele würde völlig unmöglich sein. Nun gibt es aber diese Dinge und sie stellen sich der Einrangierung des Geistigen in den Energiebegriff als ein schwer zu beseitigendes Hindernis entgegen. Aber nicht nur die Leistungsfähigkeit der Seele, auch ihr Dasein selbst würde, wenn die Seele eine besondere Art Energie wäre, in jedem Augenblick von dem Greüiebe der materiellen Dinge abhängig sein. Denn wie jede andere Energieart, Wärme, Elektrizität usw. sich irgend- wo ganz verausgeben und verschwinden kann, um einer anderen

Ygl. za diesem auoh £. v. Hartmann, Mod. Psych. S. 370. Übrigens laßt sich anoh der Oebrauch, den Eülpe an der erwähnten Stelle (S. 150 d. ersten Aufl. d. Einl.) von dem Begriff der psychischen Energie macht, nicht recht mit der ab- lehnenden Haitang vereinigen, die er der Ausdehnong des EnergiebegrifEs auf das Psychische, sofern sie als Eonsequenz des materialistischen Gedankens anftritt, gegenüber einnimmt (S. 130). Dies hebt auch Ostwald mit Recht hervor (VorL üb. Natnrphil. 8. 399 Anm. 1). 1) a. a. 0. S. 9.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechselwirkangstheorie. 425

Energieform Platz zu machen, so könnte, wenn die Bedingungen entsprechend beschaffen wären, auch das psychische Energiequantum, welches die Seele eines Menschen repräsentiert, einmal gänzlich in physische Energie umgesetzt werden, so daß nichts mehr yon ihr zurückbleibt Alsdann würde es wiederum von der Ounst der Um- stände abhängen, ob durch Rückverwandlung physischer Energie in psychische ein Ersatz für die verschwundene Seele geschaffen wird oder nicht. Sicher ist das nicht, das Gesetz der Konstanz der Energie selbst bürgt ja, wie wir gesehen haben, nicht einmal für die Erhaltung bestimmter Energieformen überhaupt, geschweige denn für die Er- haltung eines bestimmten Quantums derselben an einer bestimmten Stelle. Da aber doch die physische Energie, die im Körper steckt, bei dem Verschwinden der psychischen Energie fortbestehen bleibt und auch die Formen, in denen sie sich dort äußert, einen kürzeren oder längeren Zeitraum hindurch noch beibehält, so würde es unter Umständen geschehen können, daß ein Mensch, dem seine Seele infolge unglücklicher Umsetzungsbedingungen abhanden gekommen ist, noch eine ganze Weile ohne Seele auf der Welt herumläuft, ohne doch aufzuhören, ein Mensch zu sein. Wir könnten im Orunde auch nicht mehr sagen, der Mensch bestehe aus Leib und Seele, sondern dürften nur sagen, der Mensch sei ein Komplex bestimmter phy- sischer Energiearten, in dem dann gelegentlich und zeitweilig durch Umsetzung auch eine Seele entstehen könne. Das alles sind An- schauungen und Möglichkeiten, die mit der wirklichen Beschaffenheit der Seele und des seelischen Lebens unvereinbar sind, und an diesem Gegensatz zu den Tatsachen der seelischen Erfahrung muß der mit dem Energieprinzip ganz wohl vereinbare Versuch, das Seelische als eine Art von Energie aufzufassen an sich wohl der aussichtsvollste unter all den Versuchen, die psychophysische Wechsel- wirkung mit dem Prinzip der Konstanz der Energie zu vereinigen doch schließlich scheitern. Er hat denn auch im ganzen wenig Ver- treter unter den Anhängern der Lehre psychophysischer Wechsel- wirkung gefunden; die Mehrzahl derselben lehnt ihn ebenso wie die Parallelisten ab.^)

1) Vgl.Sigwart, Logikll 2. Aufl.S.525, 533; Münsterberg, a.a.O. S.385; Laßwitz, Wirklichkeiten S. 112/113; E. v. Hartmann, Mod. Psych. S.338, 354, 370, 406, 414; Meinen Aufsatz in der Sigwart- Festschrift S. 101/102; König, Zeitschr. f. Phü. u. ph. Er. Bd. 119 S. 114/115; Behmke, Gedenkschrift für ILHaymS. 145 Anm. 1, S. 151; Höffding, Psych. S.69; Spaulding a. a. 0. 8.69, 83, 90; Gatberlet a. a. 0. S. 153/154. Man hat auch kein Recht,

426 Zweiter Abschnitt Die psychophysische "Wechsel wirkangstheorie.

Ein zweiter Versuch, einen Ausgleich zwischen den Anforde- rungen des Konstanzprinzips und der Wechselwirkungstheorie her- zustellen, hält an der Eonstanz der Summe der physischen Energie fest und bemüht sich nachzuweisen, daß dieses Prinzip durch die Einräumung einer psychophysischen Kausalität durchaus nicht beein- trächtigt werde. Hieraus ergibt sich nun schon der Grundgedanke, der allen dieses Ziel verfolgenden Versuchen, wie sehr sie auch

Lotze zu einem Vertreter der von uns im Text abgelehnten Anschauung zu machen, wie das Ebbinghaus (a. a. 0. S. 33), Erhardt (a.a.O. S. 89) und V. Hartmann (a. a. 0. S. 327) tun. In der Metaphysik (1879) jeden&lls versteht Lotze, wenn er von Äquivalenz des Physischen und Psychischen spricht, unter dieser Bezeichnung nur, daß bei psychophysischen Wirkungen einem bestimmten physischen Intensitätswert immer ein bestimmter psychischer Intensitätswert ent- sprechen müsse, nicht aber, daß der letztere dem ersteren gleich und in diesem Sinne äquivalent sei. Äquivalenz bedeutet hier also Proportionalität. Darüber läßt der Satz S. 416 doch keinen Zweifel: »wir sind darauf beschränkt, von einer Äqui- valenz zweier Aktionen zu sprechen, dergestalt, daß einem bestimmten nach der Maßeinheit m gemessenen Werte rm der einen ein bestimmter naeh der Maß- einheit fi gemessener Wert q/x der anderen entspricht; niemand aber kann sagen, ob diese beiden Aktionen an Größe gleich, oder welche von ihnen die größere st.« Wenn Ladd a. a. 0. S. 215 bemerkt, die mathematischen Formeln, die für die physischen Verhältnisse Geltung haben, habe man kein Recht auch bei der psychophysischen Wechselwirkung vorauszusetzen, so gibt er damit den von ihm S. 214 vertretenen Standpunkt, die Energie und das Prinzip der Eonstanz der Energie auch auf das Psychische auszudehnen, tatsächlich wieder auf. Gelingt es, die Hindemisse, die sich der Unterordnung des Psychischen unter den Energie- begrifP nach meinem Dafürhalten entgegenstellen, aus der Welt zu schaffen, so würde der Begriff der psychischen Energie aber in der Tat die Möglichkeit ge- währen, die psychophysische Wechselwirkung mit dem Konstanzprinzip in völlige Übereinstinmiung zu bringen. Daß das, was von Grot in seinem oben erwälmten Aufsätze anführt, genüge, um die Möglichkeit psychischer Energie plausibel zu machen, kann ich freilich nicht finden. Er behauptet zwar, daß die Lehre von den subjektiven Werten mit dieser Auffassung völlig harmoniere (S. 280, vgl. auch S. 334 Anm. 1), hat es aber nicht bewiesen. Sogai* der Glaube an die Unsterb- lichkeit der Seele und die ewige Seligkeit wird nach ihm durch die Lehre von der psy- chischen Energie in gewisser Weise gestützt, indem aus dem Entropiegesetz gefolgert wird, daß zuletzt alle Energie sich in geistige umsetzt, die sich nun nicht wieder zurückverwandeln läßt! (S. 3(X)/301). Bedenken wir, daß das Auftreten psychischer Energie doch an das Vorhandensein lebendiger Organismen geknüpft ei'scheint, diese aber mit der zunehmenden Ausgleichung der Temperaturdifferenzen verschwinden müssen, so stellt sich die Zersetzung der psychischen Energie und ihre definitive Umwandlung in physische Energie als die naturgemäße Folge des zweiten Haupt- satzes der Energetik dar. Damit ist dann aber auch zugleich gegeben, daß das Psychische aus der ui-sprünglich allein vorhandenen physischen Energie ent- standen ist, d. h. wir fallen in materialistische Vorstellungen zurück, ein weiterer Gnind, die ganze Lehre von der psychischen Energie abzulehnen.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Weohselwirkangstheorie. 427

sonst im einzelnen voneinander abweichen mögen, gemeinsam sein muß: der Gedanke eines Wirkens ohne Energieveränderung. Denn offenbar: soll es eine Wechselwirkung zwischen Leib und Seele geben können, ohne daß dadurch die Gesamtsumme der physischen Energie vermehrt oder vermindert wird, so muß die Seele auf den Leib wirken können, ohne daß dadurch die physische Energie des letzteren eine Vermehrung erfahrt, und ebenso muß es möglich sein, daß der Leib auf die Seele wirkt, ohne bei diesem Wirken Energie zu verbrauchen. In der Tat ist es denn auch dieser Begriff eines Wirkens ohne Energie Veränderung, der den verschiedenen, das gleiche Ziel verfolgenden Versuchen von Stumpf, Rehmke, Erhardt und Wentscher zu Grunde hegt^)

Er tritt zunächst in folgender Form auf: Ein physischer Vorgang kann eine physische Wirkung und daneben, ohne dazu noch weitere Energie aufzuwenden, auch noch eine psychische Wirkung haben« Und ebenso kann ein physischer Vorgang von einer physischen Ursache, daneben aber, ohne daß dadurch eine Vermehrung physischer Energie herbeigeführt würde, von einer psychischen Ursache oder Bedingung abhängig sein. Stumpf hat den Gedanken wie folgt formuliert: »Ein bestimmter Nervenprozeß in bestimmter Gegend der Gehirnrinde ist die unerläßliche Vorbedingung für das Zustande- kommen einer bestimmten Empfindung; diese geht als notwendige Folge neben den physischen Wirkungen aus ihm hervor (soviel zum Unterschied vor der Parallelismustheorie). Aber dieser Teil der Folgen absorbiert keine physische Energie und kann in seinem Verhältnis zu den Bedingungen nicht durch mathematische Begriffe und Gesetze ausgedrückt werden. Desgleichen kommt ein bestimmter Prozeß in den motorischen Nerven der Binde zu stände nicht durch bloß physiologische Bedingungen, sondern stets unter Mitwirkung eines bestimmten psychischen Zustandes (Affektes, Willens), ohne daß doch das Quantum physischer Energie durch diesen beeinflußt wird.«*)

Man sieht sofort, daß der zweite Fall nicht die genaue Um- kehrung des ersten darstellt. Im ersten handelt es sich um einen physischen Vorgang, der eine doppelte Wirkung, eine physische und daneben noch eine psychische hat, im zweiten dagegen um einen solchen, der eine doppelte Ursache, wiederum eine physische und daneben noch eine psychische, hat: die Theorie ist also im ersten

1) Auch die oben S. 263 268 von uns besprochene Ansiebt Kiehls erscheint in mancher Hinsiebt dem hier zu erörternden Begriff des Wirkens verwandt.

2) Eröffnungsrede S. 10.

428 Zweiter Abschnitt Die psychophysische Wechselwirkongstheoiie.

Fall eine Doppeleffekt-, im zweiten Fall eine Doppelursachen- theorie. Das direkte Gegenstück zu dem ersten wäre der Fall, daß ein psychischer Vorgang zugleich eine psychische und daneben noch eine physische Wirkung,^) das Gegenstück zu dem zweiten der Fall, daft ein psychischer Vorgang eine psychische und daneben auch noch eine physische Ursache hätte. Von den vier Möglichkeiten, die sich in abstracto ergeben:

I)

Ph.Wirk.

Ph.TJre.

Ts.Wirk.

Pä.W.

III)

Ä-%

P8.U. Ph.U.

Ph.W.

IV)

.P*.U. Ph.U..

X

gelangen mithin nur zwei, Nr. I und in wirklich zur Verwendung; *) offenbar aus dem Grunde, weil ja eben die Eonstanz der physischen Energie gewahrt bleiben und das Psychische nur als Nebeneffekt zu den physischen Wirkungen und Ursachen hinzutreten soll, ohne die Zirkel des physischen Energieausgleichs zu stören.

Wir tun gut, die beiden Fälle nacheinander za behandeln und wollen zunächst den ersten Fall: ein physischer Vorgang hat eine physische und daneben auch noch eine psychische Wirkung, ohne für diesen Teil seiner Gesamtwirkung noch besondere Energie au&uwenden, auf seine Durchführbarkeit hin prüfen. Außer Stumpf benutzen diese Ansicht, um ihren Frieden mit dem Energie-Eonstanz- Frinzip zu machen, u. a. Behmke,') Erhardt,^) Wentscher.^ Auch Wundt drückt sich gelegentlich in einer Weise aus, welche die Stumpf sehe Ansicht als eine mögliche gelten lassen zu wollen scheint,^ Eon ig findet in derselben an und für sich nichts Widersinniges ^

1) Vgl. Erhardt Schrift S. 86.

2) Nur Rehmke hat in s. Psychologie S. 14 auch Nr. n erwähnt: ein froh* licher Gedanke wirkt ein lachendes Gesicht und zugleich das Auftreten einer neuen Yoratellung.

3) Allgem. Psychologie S. 110—114, Innenwelt und Außenwelt, Leib und Seele S. 42, die Seele des Menschen S. 28.

4) Die Wechselwirkung usw. S. 85, 94.

5) Schrift S. 113; anders freilich urteilt W. in seiner Ethik I, Lpz. 1902 S. 295; die eigentliohe Ansicht Ws. wird weiter unten erörtert werden.

6) »Psychische Effekte physischer Ursachen sind psychische Voi^gänge, die aus einer physischen Kausalreihe derart hervorgehen, daß ihre Entstehung in dem Ablauf jener physischen Reihe keine Veränderung hervorbringt« (Philos. Studien X. S. 36).

7) Zeitschr. f. Phü. u. phü. Kr. Bd. 119, S. 34.

Zweites KapiteL Sohwierigkeiten der Wechselwirkongstheorie. 429

und Hartmann hat sie sich in einer besonderen Form zu eigen, gemacht^)

Und daß man sich die Sache so denken kann, läßt sich ja wohl auch nicht leugnen. Plausibel erscheint die Theorie namentlich dann, wenn man mit Wentscher sich auf den Boden Lotzescher okkasionalistischer Metaphysik stellt und von hier aus die Wechsel- beziehungen der Dinge untereinander überblickt Denn da erscheint als einzige Möglichkeit, die Wechselwirkung zwischen den Dingen, die diese aus eigenem Vermögen nicht zustande bringen können, herzustellen, die absolute Substanz M, die, alle Dinge und ihre Zu- stande in sich fassend und umfassend, dem gleichbleibenden Sinne des Oanzen entsprechend an bestimmte Zustände oder Erregungen einzelner »Dinge« bestimmte Zustände oder Erregungen anderer »Dinge« regelmäßig knüpft Nichts hindert nun, anzunehmen, daß die absolute Substanz M an die Erregung eines oder einer Anzahl »Dinge«, die sich in unserer sinnlichen Wahrnehmung als ein Ge- himteil darstellen, sowohl die Erregung eines anderen Oehimteils als auch die einer »Seele« geknüpft habe. Aber doch nur deshalb hindert nichts, dies anzunehmen, weil jene metaphysische Theorie überhaupt nur ein leeres Schema bedeutet, bestimmt, uns die Mög- lichkeit des Wirkens überhaupt verständlich zu machen, die Sichtung der in ihm in abstracto enthaltenen und mit ihm gegebenen Möglich- keiten aber von weiteren Erwägungen und insbesondere von der Er- fahrung abhängig machend. Es will uns zeigen, wie überhaupt, wenn irgend ein Ding auf irgend ein anderes wirkt, der Vorgang des Wirkens widerspruchslos gedacht werden könne, läßt aber die Frage ganz offen, welche Düige aufeinander wirken, wann ein Wirken

1) Mod. Psych. S. 415. Die Intensität, die in der aktaellen Energie liegt, soll sich in Intensität der Empfindung umsetzen können, wenn die Bewegungs- intensität als solche durch Übergang der aktuellen in potentielle Eneigie ver- schwindet Auch hier erscheint die Empfindung als ein Nebenerfolg, eine Gratis- zugabe. Die Sache soll nun aber bei Hartmann metaphysisch vermittelt sein, indem das UnbewuBte auf einem Umwege das ausfuhrt, was auf direktem Wege nicht möglich ist. Aber auch wenn die molekulare Bewegung die unbewußte seelische Tätigkeit stört (S. 416), so fragt sich, ob nicht dazu Energieaufwand ebensogut nötig ist, als wenn sie direkt die Empfindung veranlaßt, und ebenso liegt die Sache, wenn die Vorstellung das unbewußte Wollen in Bewegung setzt und dieses dann auf das Gehirn wirkt, hinsichtlich der Frage der Energievermehrung. Wir dürfen also die Hart mann sehe Theorie in Bezug auf den Punkt, aufweichen «s hier ankommt, als mit den übrigen Formulierungnn der Doppeleffekt- und Doppel- ursachentheorie übereinstimmend behandeln. Spaulding acceptiert die Doppel- effekttheorie, während er die Doppeluisaohentheorie ablehnt (a a. 0. 8.85—88)«

430 Zweiter Abschnitt Die psychophysisohe WechselwirlniDgstheorie.

eines bestimmten Dinges auf ein anderes angenommen werden muß und in welchen Formen sich das Wirken im einzelnen vollzieht An sich läßt das okkasionalistische Schema auch die Möglichkeit zu, daß mit der Erregung eines Dinges A die von n, ja von allen übrigen Dingen in allgemeingesetzlicher Weise verknüpft ist; ob das wirklich anzunehmen oder abzulehnen ist, darüber kann das Schema uns gamicht, sondern kann uns nur anderweitige, an die Erfahrung anknüpfende Erwägung belehren. Käme es nur darauf an, ob eine Ansicht nach jenem Schema möglich sei, so brauchte man über die Möglichkeit psychophysischer Wechselwirkung nicht viel Worte zu verlieren: daß sie mit ihm aufs schönste vereinbar ist, wird wohl auch kein Parallelist bestreiten. Nun ist das, was gegen diese Möglichkeit geltend gemacht wird, aber nicht jenes metaphysische Schema, sondern ein Zug, den die empirische Wirk- lichkeit, soweit sie als Natur auftritt, zeigt oder wie man auf Grand von Erfahrungen annimmt zeigen soll. Um die Frage, ob ein Wirken von der Art, wie die Doppeleffekttheorie es im Auge hat: Bewirkung eines psychischen Yorganges neben einem physischen ohne weiteren Energieaufwand, anzunehmen ist, zu beantworten, müssen wir untersuchen, ob das, was wir unabhängig von unseren metaphysi-. sehen Yorstellungen über die Möglichkeit der Wechselwirkung, über- haupt über die Art, wie die Dinge wirken, wissen, jene Annahme gestattet oder nicht TJnd da scheinen mir die Dinge denn doch nicht so günstig zu liegen, wie die Yerfechter der Doppeleffekt> theorie meinen. Zum Begriff des Wirkens gehört bei physischen Dingen auch die Aufwendung von Energie. Körperliche Dinge wirken aufeinander, indem sie Energie aufwenden, nach dem Konstanz- gesetz sogar jedesmal genau so viel, als die Wirkung an Energie darstellt: ein Wirken ohne jeden Aufwand von Energie erscheint, soweit physische Dinge in Frage kommen, unmöglich. Ist der Begriff der Energie überhaupt ein solcher, der irgend eine wirkliche Be- schaffenheit der körperlichen Dinge bezeichnet oder ausdrückt, ist das Haben oder Darstellen von Energie in der Natur derselben be- gründet, so ist es auch in ihrer Natur begründet, daß sie, wenn sie wirken, Energie aufwenden, einbüßen. Das entspricht auch dem, was ich oben S.201 206 über das Kausalitätsprinzip und sein Yerhältnis zum Äquivalenzgesetz bemerkt habe. Daß, um irgend einen Yorgang zu bewirken, genau derselbe Betrag aufgewandt werden muß, den der bewirkte Yorgang darstellt, läßt sich zwar aus der Natur der Dinge nicht ableiten, sondern lehrt in zahlreichen, durch Induktion dann

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechselwirkungstheorie. 431

Terallgemeinerten Fällen die Erfahrung. DaB aber jedes Ding, um überhaupt etwas zu wirken, also um Ursache zu sein, Energie auf- wenden, sich abarbeiten muß, daß also da, wo kein Energieaufwand stattfindet, wo ein Ding garnichts tut, auch von keiner Ursache die Rede sein kann, ist eine Annahme, die, wenn der Begriff der Energie überhaupt auf das Wirken der Dinge Anwendung finden soll, aus ihm ohne weiteres folgt ^)

Daß nun diese in ihrer Natur als physischer Dinge begründete Eigentümlichkeit der Dinge, stets so zu wirken, daß sie dabei Energie aufwenden, eine Ausnahme erleiden sollte, wenn sich die Wirkung nicht auf ein anderes physisches Ding, sondern auf die Seele richtet,^) ist, wie mir wenigstens scheint, eine ganz grundlose, durch nichts ge- rechtfertigte Annahme. Das andere Objekt kann doch unmöglich zur Folge haben, daß das Ding sich seiner Natur gänzlich entäußert und allen seinen sonstigen Gepflogenheiten untreu wird. Solche Bücksichten nimmt allenfalls ein Mensch, der sich dem Fürsten gegenüber anders gebärdet als gegenüber seinesgleichen; aber schon die Tiere nehmen sie, abgesehen vom Löwen, der den echten Prinzen nicht angreift, nicht: sieht doch die Katze den Kaiser an. Noch weniger die Dinge. Wie eine Kanone in genau derselben Weise schießt, ob man sie nun auf Wälle und Menschen oder auf Spatzen richtet, so werden auch Nervenzellen und Fasern, wenn sie durch

1) Ganz falsch ist die Behauptung Königs (Zeitsohr. f. Ph. u. ph. Er. Bd. 119 8. 115), daß ich diese Ansicht unmittelbar aus dem Kausal begi'iife ableite und die Gleichheit von Ursache und Wirkung zum maßgebenden Kriterium der KausaUtät mache. König muß meine Ausführungen in der Sigwart- Festschrift S. 107 f. sehr flüchtig gelesen haben, um dieses Ergebnis herauszubekommen. Das gerade Gegen- teil ist der Fall, worüber meine Ausführungen über den Kausalitätsbegriff oben S. 195f. keinen Zweifel lassen können. Ich habe auch in der Sigwart -Festschrift ledigUch gesagt, daß überall, wo von Kausalität der Dinge die Eede ist, auch Energieverbrauch stattfindet; daß dieser Energieverbrauch durch eine gleich große Erzeugung von Energie völlig kompensiert ist, ist ein Zusatz, den das Energie- prinzip macht, der aber noch nicht im KausaUtätsprinzip als solchem enthalten ist und den ich daher auch von dem letzteren sehr wohl unterschieden habe. Ich befinde mich daher auch nicht, wie König behauptet, in striktem Gegensatz zu Sickert, sondern vielmehr, was diesen Punkt anlangt, in vollster Überein- stimmung mit ihm. Die Aüsicht, die König mir mit Unrecht unterstellt, ist da- gegen diejenige Wundts, der von Kausalität nur da reden will, wo Kraft- oder Transformationsgleichungen möglich sind, und König befindet sich, wenn er das be- atreitet, in striktem Gegensatz zu Wundt Er bekennt sich übrigens S. 122 Note zu derselben Ansicht.

2) Wie Rehmke annimmt, Psychol. 8. 110, 114, Innenwelt und Außen- welt 8. 42.

432 Zweiter Abschnitt Die psychophysische Wechselwirknngstheorie.

ihre Erregungen Empfindungen und Gefühle bewirken, sich nicht anders verhalten, als wenn sie Erregungen anderer Zellen und Fasern auslösen, sondern in beiden Fällen gleich, ihrer Natur gemäß Energie aufwendend. i) Man könnte, wenn der Ausdruck nicht gar zu gewagt erscheint, vielleicht, das Verhalten der Dinge mit der spezifischen Energie der Sinnesnerven (die Richtigkeit dieser Theorie vorausgesetzt) vergleichend, sagen, daß es zur »spezifischen Energie« der Dinge gehöre, bei jedem Wirken, es sei welches es wolle und richte sich gegen wen es wolle, Energie aufzuwenden.

Also nutzt uns die okkasionalistische Metaphysik nichts. Die Ansicht, daß der Körper neben den physischen Wirkungen, die er

1) Diese Ansicht hat nichts wie Rehmke in der Gedenkschiift for Haym, Halle 1902 S. 140 meint zu ton mit der Auffassung des Wirkens als eines Übertragens von Zuständen, eine Auffassung, die ich auch für die phy- sische Welt nicht gelten lassen würde. Daß aber bei dem Wirken Yon Ding auf Dmg die aufgewandte Energie des bewirkenden Zustandea durch einen gleich großen Zuwachs von Eneigie, den der bewirkte Zustand repräsentiert, ersetzt wird, ist eine Sache für sich: von einem derartigen Eneigieersatz kann natürlich beim Wirken von Leib auf Seele und Seele auf Leib nicht die Rede sein. Es folgt aber nicht, daß, weü das Bewirkte in ^diesem Falle nicht ein physisches Energiequantum, sondern eine Empfindung oder ein Oefühl ist, deshalb nun auch der Aufwand von Energie bei den die Empfindung bewirkenden oder ausiöaendeii körperlichen Dingen fortfallen müßte. Den Dingen ist es bei ihrem Wirken eben, gleichgültig, was sie bewirken; sie wenden, wenn sie Empfindungen bewirken, nicht minder Energie auf, als wenn sie Bewegung oder Wärme bewirken. Wirken ohne physischen Kraftaufwand ist eben bei physischen Dingen nicht denkbar. Meine Meinung ist also auch nicht die, welche Rehmke, Die Seele des Menschen 8. 30 bekämpft: »wann nur immer Wirken gegeben ist, da müsse das wirkende Einzelwesen von sich aus etwas , zusetzen^ (also abnehmen) und das die Wirkung erfahrende Einzelwesen etwas , gewinnen' (also zunehmen)«, sondern dieses Ver- hält nis lasse ich durchaus nur von den körperlichen Dingen untereinander gelten. Mithin trifft der Einwand, daß wenigstens von der Abnahme des Unkörperlichen keine Rede sein könne, mich nicht; ich behaupte lediglich, daß sich die Dinge, wenn sie der Seele gegenübertreten, auch nicht anders verhalten, als in ihrer Natur begründet ist. Dazu gehört auch (was Rehmke S. 34 bestreitet), daß sie, wenn sie überhaupt wirken, Energie aufwenden. Daher muß ich meinerseits den Satz Rehmkes S. 34 beanstanden: »Ist also bei allem Wirken, dessen Wirkung eine Eneigiezunahme bedeutet, gemäß dorn Energiegesetz eine Enei^eabnahme des wir- kenden Dinges anzunehmen , so fällt diese Annahme schon von selber bei dem Wirken des Qehims auf die Seele fort, da diese ja als unkörperliche die körperliche Be- stimmtheit Eneigie gamicht hat und haben kann, mithin auch niemals Eneigie- zunahme erfahren wird «. Nochmals : die Energie zunähme ist nicht der Orund der Energie abnähme beim Wirken, sondern diese ist ganz unabhängig von jener. Also muß auch deshalb, weil beim Wirken des Qehims auf die Seele keine Energie- zunahme m der Seele stattfindet, nicht der Energieaufwand beim Gehirn fortfallen.

Zweites Kapitel. Sohwierigkeiten der Wechselwirkongstheorie. 433

durch sein Wirken erzeugt, auch noch daneben psychische Wirkungen erzeugen könne, ohne dazu irgendwelche Energie aufzuwenden, ver- stößt zwar nicht gegen das metaphysische Schema, wohl aber gegen die in der Natur der Dinge begründete und empirisch genügend be- stätigte Tatsache, daß alle physischen Dinge bei jedem Wirken Energie aufwenden und nur, soweit sie das tun, Ursachen von Wirkungen sind. Das ist auch Lotzes eigene Ansicht, auf den man sich also zur Empfehlung der Doppeleffekttheorie nicht berufen darf. Es ist nach ihm in der Natur der Dinge begründet, daß die Ursache sich auf- opfern muß, um die Wirkung zu erzeugen; diese Regel gilt für alles Geschehen kausaler Art^), also auch für das psychophysische. Lotze spricht diese Forderung auch direkt aus. Das bloße Dasein von V (physischer Reiz) und w (psychischer Vorgang: Wollen), sagt er, kann nicht in der Art einer Gelegenheit oder Veranlassung hin- reichen, um 6 oder b nach sich zu ziehen. »Auch diese Wirkung nun, die der letzten physischen Bewegung auf das empfindungsfähige Subjekt und die der letzten geistigen Erregung auf das erste von ihr leidendende Nervenelement kann nicht kostenlos geschehen: der erzeugende Vorgang wird auch hier ganz oder teilweis zur Hervor- bringung seiner Folge aufgezehrt.«') Man kann allerdings, führt er dann weiter aus, annehmen, daß alles Wirken okkasionalistisch durch das Absolute M vermittelt sei, dergestalt daß eine Zustands- änderung in a der Grund einer entsprechenden Zustandsänderung in b ist, ohne daß Aufopferung stattfindet »Findet sich nun aber, daß dieses letzte Verhalten dennoch besteht, in der äußeren Natur gewiß, während es zwischen physischen und psychischen Pro- zessen schwerlich durch Beobachtung nachweisbar sein wird, so bleibt uns nur übrig, es mit zu dem Inhalte des Sinnes zu rechnen, den die Wirklichkeit darstellen soll oder darstellt, nicht aber zu den durch ein unvordenkliches Verhältnis festgestellten Bedingungen, unter denen allein jede eventuelle Wirklichkeit möglich ist« Da nun das Werden die Signatur der Wirklichkeit ist, so reicht jene okkasionalistische Ansicht zur Konstruktion derselben nicht aus, viel- mehr scheint in ihr die Aufopferung der Ursachen bei ihrem Wirken ebenso enthalten zu sein, wie die Beharrung im Begriff der Be- wegung.') In diesem Sinne sagt auch Riehl,^) daß, da die mecha-

1) Metaphysik 1879 S. 410.

2) Ebendas. S. 415; vgl. auch S. 417.

3) S. 418.

4) Phil. Krii S. 178.

Basse, Geist und KOiper, Seele und Leib. 28

434 Zweiter Abschnitt. Die psychophysische "Wechselwirkungstheorie.

nißche Ursache ganz und ohne Rest in ihre mechanische Wirkung (wenn sie nämlich eine solche hat) aufgeht, für irgend einen nichtmecha- nischen Nebenerfolg nicht der geringste Raum bleibt Auch Sigwart lehnt die Doppeleffekttheorie ab, wenn er sagt: »Die Wirkungsfähig- keit der Gehirnsubstanz ist in den äquivalenten physiologischen Vorgängen erschöpft und kann also nicht noch ein Mehr ron Wir- kung hervorbringen, das in keiner Weise in das Verhältnis der Äquivalenz zu Molekularbewegungen gesetzt werden kann.«^)

Wollte man aber endlich, um doch das leibliche Greschehen als eine mitwirkende Bedingung des psychischen Vorgangs zu retten, den Ausweg einschlagen, zu sagen: nur ein gesetzmäßiger Zusammen- hang, nicht ein eigentliches Eausalitätsverhältnis werde zwischen dem physischen und dem psychischen Vorgang postuliert, so weiß ich nicht, wie sich eine solche AufPassung noch vom psychophysischen Parallelismus unterscheiden soll. Einen gesetzmäßigen Zusammen- haixg von physischen und psychischen Prozessen nimmt ja auch dieser an, weigert sich aber, ihn als einen kausalen gelten zu lassen. Das bloße Nacheinander des physischen und des psychischen Vorganges genügt nicht, einen Unterschied zu begründen, denn dieses Nach* einander hat der Parallelismus auch. Der physische Vorgang a, dem ein psychischer Vorgang a korrespondiert, geht natürlich auch hier dem psychischen Vorgang ß^ der der Wirkung von a, dem Vorgang h korrespondiert, der Zeit nach voran. Diese Auffassung würde also mit dem Parallelismus zusammenfallen^); um sich von ihm zu unter-

1) Logik n* 2. Aufl. S. 525; der Zosammenliaiig, in dem dieser Satz bei Sigwart steht, zeigt, daß er vom Standpunkt der Gültigkeit des Konstanzprinzips aus so urteilt. Aber dann ist doch eben dieser Versuch, die psychophysische Wechselwirkung nut dem Eonstanzprinzip zu vereinigen , nicht möglich. Vgl. auch Adickes, Kant contra Haeckel S. 32, König Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 119 S. 187. K. läßt das Prinzip der Erhaltung der Energie, somit also jedenfalls auch das Prinzip der Aufwendung von Eoergie bei allem Wirken der Dinge, in der Natur derselben begründet sein.

2) Külpe, Zeitschr. f. Hypnotism. Bd. VII S.112; König, Bd. 115, S.185 bis 186, Wundt, Phil. Studien, Bd.X, S.38. Spaulding, der die Doppelur- sachentheorie ablehnt, will die Doppeieffekttheorie gelten lassen, weil hier die Dinge ganz anders lägen und für die Empfindung eine Ursache gefunden werden müsse (a. a a. 0. S. 85 88). Sp. verkennt, daß eine physische Ursache einer psychischen Wirkung neben einer physischen entweder dem Konstanzprinzip widerspricht oder- dem XJrsachsbegriff. Um den Ursachsbegriff im Sinne der Doppeleffekttheorie auf- recht zu erhalten, sieht sich Sp. genötigt, den Satz: ex ntkilo nihü fU in Zweifel zu ziehen, während er doch S. 108 selbst sagt, daß eine bloße Folge noch keine kausale Wirksamkeit ist.

Zweites EapiteL Schwierigkeiten der Weohselwirkongstheorie. 435

scheiden, muß die Doppeleffekttheorie an der kausalen Auffassung des Yerhältnisses festhalten.

Wenn nun aber der Leib, sofern er überhaupt wirkt, immer, also auch im Falle seines Wirkens auf die Seele, Energie aufwenden muß, so geht bei jedem Wirken des Leibes auf die Seele physische Energie verloren, ohne durch ein gleich großes Quantum physischer Energie ersetzt zu werden. Das Prinzip der Eonstanz der Gesamt- energie des physischen Weltalls wird somit durchbrochen und der Versuch, das Wirken des Leibes auf die Seele durch die Doppel- effekttheorie mit dem Konstanzprinzip in Einklang zu bringen, seheitert.

Zu demselben durchaus negativen Ergebnis führt aber auch das Gegenstück der Doppeleffekttheorie, die Doppel urs ach entheorie, welche einen physischen Vorgang durch eine physische Ursache und daneben noch durch eine psychische Ursache bedingt sein läßt. Wie wir der Doppeleffekttheorie gegenüber geltend machten, daß von einer Ursache in der physischen Welt nur gesprochen werden könne, wenn ein Aufwand, ein Verbrauch von Energie stattfindet, so müssen wir jetzt der Doppelursachentheorie gegenüber betonen, daß, wenn der Energiebegriff überhaupt auf alle körperlichen Dinge anwendbar und für sie unerläßlich ist, von einer Wirkung bei Körpern nur dann die Rede sein kann, wenn eine Energievermehrung vorliegt, die ohne das Auftreten der Ursache eben nicht vorhanden sein würde. Wäre derselbe Energiebetrag auch ohne die »Ursache« vorhanden gewesen, so hätten wir kein Recht, von einer »Wirkung« zu reden. Hat nun ein physischer Vorgang eine physische Ursache, die, um ihn hervorzubringen, Energie nach dem Äquivalenzprinzip sogar ^enau den gleichen Betrag, den die »Wirkung« darstellt aufwenden mußte, so hat es keinen verständlichen Sinn mehr, zu sagen, es sei aber außerdem auch noch eine psychische Ursache an dem Zu- standekommen der physischen Wirkung beteiligt gewesen, freilich ohne zu dem Energiequantum, das die Wirkung repräsentiert, irgend etwas beigetragen zu haben. Wer bloß dabeigestanden hat, während ein anderer eine Sache kauft und bezahlt, kann doch nicht behaupten, sie auch gekauft zu haben, sowenig wie die Leute, die auch am Leben waren, als Kolumbus Amerika entdeckte, sich rühmen können, die neue Welt mit entdeckt zu haben. Und auch hier muß gesagt werden, daß diese allgemeine Regel keine Ausnahme erleiden kann, wenn ein physischer Vorgang durch psychische Faktoren bedingt

wird. Denn schließlich muß das Physische doch, von wem immer

28*

436 Zweiter Abschnitt Die psyohophysische 'Wechselwirkungstheoiie.

es beeinflußt ^ird, seine Eigenart als Physisches bewahren. Eine Bewegung, die durch ein Psychisches hervorgerufen wird, hört doch deshalb nicht auf, eine Bewegung wie jede andere Bewegung zu sein. Sie unterscheidet sich um ihrer psychischen Entstehungsursache willen in nichts von den andern, durch physische Kräfte erzeugten Bewegungen, sie hat ihre bestimmte Geschwindigkeit und Richtung und wirkt wie alle übrigen Bewegungen auch. Also die Eigentüm- lichkeit der psychischen Ursache färbt auf die Wirkung nicht ab. Gehört es nun zur Eigentümlichkeit aller physischen »Wirkung«, einen Energiebetrag darzustellen, der ohne die bewirkende Ursache nicht Yorhanden gewesen wäre, so muß diese Eigentümlichkeit den physischen Wirkungen auch bei psychischen Ursachen Terbleiben.^) Ist nun die ganze Energie, welche der bewirkte physische Vorgang repräsentiert, auf Rechnung der physischen Ursache zu setzen, so trägt eben diese allein die gesamten Kosten und ist daher die alleinige »Ursache«, die psychische angebliche Ursache dagegen eine bloße un- wirksame Begleiterscheinung der physischen Ursache. Auch hier müssen wir sagen, daß eine derartige Auffassung sich vom psycho- physischen Parallelismus im Grunde durch nichts unterscheidet Denn auch hier gilt: Den gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen physischen und psychischen Prozessen^) hat auch dieser, ebenso das zeitliche Nacheinander. Der der physischen Ursache a korrespon-

1) Die Ansieht, daß die Sache bei psychischen Ursachen sich anders ver- halten müsse, vertritt Rehmke gegen mich in seinem Beitrag zur Gedenkschrift für R. Haym, Halle 1902 S. 152: »Aber ich meine doch, daß für jede Wirkung nicht nur die Eigenart des die Wirkung erfahrenden , sondern auch die des wirken- den Einzelwesens von Bedeutung sei, so daß doch wenigstens zu bedenken wäre, ob auch von Seelen als Ursachen dasselbe gälte, was von den physischen Ursachen^ den Dingen feststeht« Darauf erwidere ich, daß zwar die Seelen als Ursachen sich anders verhalten werden, als die Körper, welche einen bestimmten Betrag, von Energie aufwenden, das Ding aber, auf das gewirkt wird, seiner Natur gemäß auf die Wirkung reagiert, in unserem Fall also in der Weise, daß es einen Energie- zuwachs aufweist. Müßte die Eigentümlichkeit der wirkenden Ursache sich auf die Wirkung übertragen, so müßte das auch der Fall sein, wenn der Leib auf die Seele wirkt was Behmke doch nicht will. Meine Ansicht stellt aber doch nicht, wie Rehmke meint, die psychische Ursache mit der physischen Ursache auf eine Linie (S. 152); nur das physische Einzelwesen, behaupte ich, verleugnet seine Natur in keinem Falle. Unter Wechselwirkung, welchen Ausdruck Behmke S. 147, 148 beanstandet, verstehe ich hier lediglich dies, daß sowohl der Körper auf die Seele als auch umgekehrt die Seele auf den Körper wirkt, di« psychophysische Wirkung also keine einseitige, sondern eben eine wechselseitige isL

2) Rehmke a. a. 0. S. 147.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechsel Wirkungstheorie. 437

dierende psychische Vorgang a geht natürlich dem durch a bewirkten physischen Vorgang b ebenso zeitlich voran, wie a selbst.

Die Doppelursachentheorie scheint mir also aus ähnlichen Gründen undurchführbar zu sein, als die Doppeleffekttheorie. ^) Auch bei ihr hört entweder die physische Wirkung auf, Wirkung der psychischen »Ursache«, und damit diese letztere auf, Ursache zu sein, oder das

1) Man möchte sogar sagen: noch weniger durchführbar, wenn man berück- sichtigt, daß selbst solche, welche die Doppeleffekttheorie für möglich halten, die Doppelursachentheorie ablehnen. So Erhardt (Schrift S.85, 99/100), ebenso Spaul- ding (a. a. 0. S. 85). Ich verstehe aber nicht, wie Erhardt, wenn er der Ansicht ist, daß die Doppelursachentheorie in den Parallelismus zurückfällt, zugleich be- haupten kann, daß, wenn die Seele in die nervösen Prozesse eingreift, der Vor- gang, äußerlich betrachtet, sich nichtsdestoweniger als ein geschlossener physischer Kausalzusammenhang darstellen müsse, daß naturwissenschaftlich die Gehirnbe- wegungen doch aus den Eigenschaften der Oehimteile, d. h. aus den Kräften er- klärt werden müssen, die im Gehirn ihren Sitz haben (a.a.O. S. 79; vgl. S. 59, 60 u. 80). Ich hatte schon in meinem Aufsatze über die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele in der Sigwart- Festschrift S. 110 geäußert, daß mit dieser Auf- fassung auch Erhardt in die paralleüstische Yorstellungsweise zurückfällt Er- hardt bestreitet das; in seinem Aufsatz: Psychophys. Parall. u. erkenntnis- theoret. Ideal., S.-A. Lpz. 1900, S. 37, Zeitsohr. f. Phil. u. ph. Er. Bd. 116 S. 289, erklärt er, nachdem er dieselbe Ansicht nochmals aufgestellt: »Wenn Busse . . . gegen die obige Auffassung den Vorwurf erhebt, sie sanktioniere tatsächlich den psycho- physischen Parallelismus, so kann ich diesen Einwand keineswegs gelten lassep; denn bei dem Problem der Wechselwirkung handelt es sich eben nicht um die »äußere« Betrachtung der Dinge, sondern um die Frage nach den wirkenden Ur- sachen.« Ich erwidere: Auch beim Parallelismus handelt es sich doch, soweit die physischen Ursachen und Wirkungen in Frage kommen, lediglich um die »äußere« Betrachtung; das eben ist ja die Ansicht mindestens des idealistischen Paralle- lismus, daß, äußerlich betrachtet, sich alles Geschehen als ein lückenloser phy- sischer Zusammenhang zeigt. Daß dasselbe Geschehen auch noch eine innere Seite hat und daß hier von physischen Ursachen keine Rede ist, gibt ja auch der Parallelismus zu und der idealistische Parall. behauptet sogar, daß diese innere Seite der Sache die eigentlich allein reale sei. So hat Paulsen es in dem von Erhardt selbst S. 279/280, S.-A. S. 27 angezogenem Satze formuliert Andererseits, wenn wirklich, wie Erhardt sagt, »sobald sich die Frage nach den wirkenden Ursachen« erhebt, »psychische Ursachen in das Getriebe jener (physischen) Kräfte mit eingreifen,« so kann die äußere Betrachtung uns nicht einen geschlossenem Kreis physischer und mit naturgesetzlicher Notwendigkeit auseinander folgender Vorgänge zeigen. Diesen können wir nur, wenn wir den psychophysischen Parallelismus als gültig voraussetzen, erwarten. Ich sehe also nicht', wie man auf dem Wege, den Erhardt einschlägt, um den Rückfall in den Parallelismus herumkommen will. Auch nach Hartmann (Mod. Psych. S. 387) i&llt Erhardt mit seiner Auffassung nicht nur in den Parallelismus, sondern sogar in dynamischen Materialismus zurück. Ebenso lehnt König diese Auffassung als in sich unmöglich ab (Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 119 S. 135, 136).

438 Zweiter Abschnitt Die psyohophysische Wechselwiiknögstheorie.

Prinzip der Konstanz der physischen Energie wird verletzt, indem in der physischen Welt ein auf Rechnung der psychischen Ursache zu setzender Energiebetrag erscheint, der ohne diese nicht vorhanden gewesen wäre und der, da er ohne entsprechenden Aufwand phy« sischer Energie sich einstellt, eine Yermehrung der physischen Ge- samtenergie bedeutet

Man wird, wenn man ein Wirken der Seele auf den Leib und des Leibes auf die Seele ohne Yermehrung oder Verminderung des physischen Energiebestandes plausibel machen will, versuchen müssen, den Gedanken ohne Zuhilfenahme der Doppelursache oder des Doppel- effekts durchzuführen. Einen, und zwar sehr eigenartigen Versuch in dieser Sichtung hat Max Wentscher unter Benutzung der Um- setzung von kinetischer Energie in potentielle und insbesondere der Auslösung potentieller Energie in kinetische Energie gemacht^) Die Umsetzung von kinetischer in potentielle Energie auf physischem Gebiet soll ein psychisches Geschehen in gesetzmäßiger Folge nach sich ziehen, das Einwirken der Seele auf den Körper soll dagegen in der Weise zu denken sein, daß die erstere eine im Körper auf- gespeicherte Menge potentieller Energie zur Auslösung, zur Entladung bringt, ohne dabei das Quantum derselben zu verändern. In dieser Annahme liegt zunächst eine gewisse Willkür. Es ist nicht recht einzusehen, warum eigentlich nur eine Umsetzung in der Richtung yon kinetischer in potentielle Energie psychische Vorgänge auslösen und die Seele nur durch Auslösung potentieller Energie auf den Körper wirken soll. Warum sollen sich nicht auch mit Auslösungs- prozessen psychische Folgen verknüpfen ^), und warum soll die Seele, wenn sie überhaupt auf den Körper einwirkt, nicht auch ebensogut durch ihr Eingreifen Bewegungen hemmen, also kinetische Energie in potentielle verwandeln können?

Und dann: wenn wir bei der Wentscher sehen Formel stehen bleiben, so fallt die eine Seite derselben, die Auslösung psychischer Vorgänge durch Umwandlung kinetischer in potentielle Enei^ie wiederum unter die Doppeleffekttheorie. Denn auch hier hat ein

1) Schrift 8. 34f., 44, 47, 113, 118, 120 u. a., Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 117 S. 83—85.

2) So Bütschii, Mechanismus und^Yltalisnias S. 49 Anm. 2. Bütschli l&ßt das Schwinden freier Energie mit ünlostempfindongen, das Freiwerden von Eneigie mit Lustemfindongen yerknüpft sein. Auch y. H artmann läßt mit dem Über- gang Yon potentieller in aktuelle Energie das Auftreten von Empfindungen ver- knüpft sein (Mod. Psych. S. 416).

Z^c'eites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechseiwii-kuiigstheorie. 439

und derselbe physische Yorgasg zwei Wirkangen, eine physische und eine psychische: kinetische Energie setzt sich in potentielle um und bewirkt dabei noch das Auftreten psychischer Yorgänge. Die Einwände, welche wir gegen die DoppelefFekttheorie vorbrachten, gelten daher auch gegen diese Seite der Wentscherschen Theorie mit. Einer besonderen Erörterung bedarf nur noch die andere Seite derselben, in der auch das Neue und Eigenartige das sie enthält, be- steht, der Versuch, die Seele durch ihre psychische Tätigkeit eine Auslösung im Körper vorhandener potentieller Energie bewirken zu lassen, ohne daß dabei irgend ein Zuwachs physischer Energie statt- fände. Wentscher steht mit seiner Annahme nicht allein da, wenn auch er allein sie wirklich durchzuführen und sich mit allen Kon- sequenzen derselben abzufinden versucht hat Sigwart deutet sie in einer Note seiner Logik i) bereits an: »Es ließe sich vielleicht sogar die Hypothese durchführen, daß das physikalische Energiegesetz erhalten bleibt und nur die Bedingungen des Überganges von leben- diger in potentielle und umgekehrt mit den Beziehungen zu psychi- schen Vorgängen sich ändern.« Auch Fechner neigt der Annahme, auf der Wentscher seine Theorie aufbaut, gelegentlich zu«); Behmke^), Münsterberg^), Jerusalem^) halten sie durchaus für möglich; ebenso Bein^); auch Höfler scheint derselben Ansicht zu sein'), zu deren Unterstützung er sich noch auf mündliche Äuße- rungen Boltzmanns beruft. Ebenfalls vertritt Biehl diese Ansicht,

1) II. 2. Aufl. S. 534 Anm.

2) So z. B. Elemente der Psychophysik I (1889) 38, wo dem Geist die Fähig- keit zugeschrieben wird, physische lebendige Kraft zwar nicht neu zu schaffen, aber zu teilen. »Wir können die lebendige Kraft, die für die Wirkung disponibel ist, zwar teilen« ... »So frei der Geist sein mag, er kann nichts wider dies Gesetz, sondern alles nur auf Grund dieses Gesetzes« (S. 40). Der Wille, heißt es auf derselben Seite, kann »die vorher zerstreute und eben darum nirgends stark wirkende Kraft in einer Richtung plötzlich konzentrieren und selbst die der unwill- kürlichen Funktionen dazu in Anspruch nehmen«. Und S. 41 läßt er die Seele direkt potentielle Kraft auslösen. »Es wird also nicht bestritten, daß unter dem Einflüsse des freien Willens wirklich lebendige Kraft entstehen kann, die ohnedem nicht entstanden wäi'e, aber eben nur auf Kosten potentieller Kraft, d. i. aus der Quelle, aus der sie sonst entsteht, wenn kein Wille mitwirkt.«

3) Psychologie S. 111/112; vgl. indessen Innenwelt u. Außenwelt S. 43/44.

4) Grundz. d. Psych. S.410.

5) Einl. i. d. Phil., Wien u. Leipzig 1899, S.91.

6) Zeitschr. f. Ph., u. ph. Kr. Bd. 103 S. 157. Vgl. die Bemerkung S. 246 Anm. 4.

7) Psychologie 8. 59.

440 Zweiter Abschnitt. Die psychophysische Wechselwirkungstheorie.

indem er den Geist analog den sog. Kontakteinflüssen auf die Zu- sammenordnung der Dinge und die Zeit des Geschehens im Sinne der Beschleunigung oder Verzögerung des Eintritts einer Handlung auf den Körper wirken läßt, ohne etwas an der Quantität der Energie zu ändern.^) Die Auslösungsvorgänge und ihre sie von anderen Wirkungen unterscheidenden Eigentümlichkeiten sind ja bekannt Wir wissen, daß die physische Kraft, welche eine Quantität potentieller Energie zur Auslösung, zur Entladung bringt, im Verhältnis zu der durch sie veranlaßten Wirkung verschwindend klein sein kann, wir wissen aber auch, daß sie nie gleich Null sein darf. Eben darauf aber will Wentscher hinaus; in wiederholten Darlegungen hat er großen Scharfsinn darauf verwandt, zu zeigen, daß der die Auslösung ver- anlassende Vorgang keine Energie dazu aufwendet, um die Energie- umsetzung selbst herbeizuführen, daß also durch diese auch keine Vermehrung von Energie herbeigeführt wird und folglich eine Um- setzung von potentieller in kinetische Energie auch ohne Energie- veränderung durch einen psychischen Vorgang veranlaßt werden könne. Wenn, so argumentiert Wentscher^), das Energiegesetz fordert, daß die kinetische, aus potentieller Energie entstandene Energie der letzteren äquivalent ist, so muß man das Plus von Energie, welches, wenn z. B. ein Körper durch eine Stoßkraft aus dem labilen Gleich- gewicht gebracht wird, der Gesamtefifekt gegenüber der ursprüng- lich vorhandenen (potentiellen) Energie repräsentiert, erst in Ab- zug bringen^ um die eigentliche Ursache der Energieumsetzung ihrer

1) Sigwart- Festschrift S. 183/184. Wundt kann dagegen nicht als Ver- fechter dieser Ansicht in Ansprach genommen werden. Denn wenn er auch (Phil. Stadien X. 8.30) die Aoslösangsprozesse za den »Zastandsgleichangenc rechnet, die darch das Eingreifen psychischer Faktoren ebensowenig wie dorch ein »Wandere anmöglich gemacht werden, so betrachtet er doch (S. 31, 33/34) die Zustands- gleichangen selbst nor als eine »Abbreviatui'schrift«, »bei der wesentliche Ver- bindangsglieder hinwegblieben, die entweder besonders antersacht oder ergänzt werden müssen«, and weist darauf hin, daß die Elrgunzang überall, wo sie aus- führbar ist, aaf »Kraft- oderTransfoimationsgleichangen«, d. h. aaf stetig zasammen- hängeode, einen psychischen Fingriff nicht gestattende Eaosalreihen zurückfuhrt. Also ist, wenn alle in Betracht kommenden Umstände berücksichtigt werden, die Auslösung potentieller Energie durch psychische Ursachen mit dem Prinzip der Konstanz der physischen Energie nicht vereinbar. Die Möglichkeit der Vereinigung der Wentscher sehen Annahme mit dem Konstanzprinzip scheint dagegen König Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 115 S. 186 einzuräumen, und dasselbe ist der Fall mit Ziehen, der nur das Prinzip d. geschl. Naturkausalität gegen sie geltend macht (Über d. allg. Beziehungen usw., Lpz. 1902, 8.38, 39).

2) Schrift S. 34 f., Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 117 S.83— 85.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechsel wirkuDgstheorie. 441

Größe nach für sich allein zu erhalten. »Alsdann erhalten wir aber nicht etwa einen unendlich kleinen Wert für diese Stoßkraft, sondern mit mathematischer Genauigkeit den Wert Null.« Daraus soll denn nun folgen, daß Energieumsetzungen auch durch psychische Faktoren (die ja immer, wenn alle Energie physisch ist, den Energiewert Null repräsentieren) erfolgen können, bei derartigen psychisch veranlaßten Energieumsetzungen aber jenes Plus von Energie nicht vorhanden ist und also auch nicht erst hinterher zum Abzug gebracht zu werden braucht: die physische Energie bleibt sich also unverändert gleich. An dieser Wentscherschen Argumentation ist soviel richtig, daß, wenn potentielle Energie sich in kinetische umsetzt, die ausgelöste kinetische Energie der potentiellen Energie, aus der sie hervorgeht, dem Äquivalenzprinzip zufolge äquivalent ist, und daß in die Um- setzung selbst nicht noch weitere Energie einzugehen braucht Nicht richtig aber ist, daß Energieauslösungen nicht selbst wieder an einen Aufwand physischer Energie gebunden seien.^) Das ist viel- mehr, sofern lediglich physische Faktoren in Frage kommen, immer der Fall. Ob man das Plus von Energie, das, wie auch Wentscher zugibt, im GesamtefFekt bei jedem Auslösungsvorgange gegenüber der ursprünglichen potentiellen Energie vorhanden ist, der aus- gelösten kinetischen Energie selbst zurechnet oder gewissermaßen daneben stellt, ist praktisch ziemlich gleichgültig. Die Hauptsache ist, daß ein Auslösungsprozeß nie von selbst, ohne Veranlassung ein- tritt, sondern nur dann, wenn die Bedingungen, an die er geknüpft ist, alle vorhanden sind, und daß das Eintreten, das Herstellen derselben einen Prozeß bedeutet, der Energie repräsentiert und einen entsprechenden Aufwand von Energie nötig macht. Man kann die •Herstellung der vollständigen Bedingungen eines Auslösungsprozesses mit BiehP) zweckmäßig als die Beseitigung eines Hindernisses auf- fassen, das bisher der Auslösung entgegenstand. Mit der Beseitigung desselben sind dann eben alle Bedingungen gegeben und die AuS=- lösung geht vor sich. Die Beseitigung dieses Hindernisses würde also die Leistung sein, welche die auslösende Kraft vollbringt. Also begreift die Auslösung auch stets die Möglichmachung der Auslösung durch Herstellung des dazu nötigen Zustandes bezw. Beseitigung eines sie hindernden Zustandes in sich, und diese Aktion des aus- lösenden Vorganges kann nicht wieder als eine »Auslösung« betrachtet werden. Ebenso ist klar, daß sie einen Energieaufwand bedeutet

1) Schrift S. 84.

2) Phil. Krit. II» S.269.

442 Zweiter Absohnitt Die psychophysische Weehselwirkongstheorie.

und eine Energieveränderung zur Folge hat So faßt aach Ostwald die Sache auf. Der Energieaufwand für die Auslösung, erklärt er^), ist, wenn er auch in keinem Verhältnis zu der Menge der aus- gelösten Energie steht, nie Null. Das Energiegesetz selbst läßt es ja völlig unbestimmt, wann Energieumsetzung überhaupt und in welcher Richtung sie stattfindet Natürlich aber ist jedes Eintreten von ümsetzungsprozessen an Bedingungen geknüpft, welche Ostwald unter Berufung auf O. Helm^) ganz allgemein als Intensitätsdifferenz ^ bezeichnet Demnach besteht die Auslösung darin, daß eine be- stehende Kompensation von Intensitäten irgendwo aufgehoben, ein Intensitätsunterschied beschafft und damit der Ausgleich der Energie ermöglicht wird.^) So wird bei einem zum Stapellauf bereiten, durch Stangen gestützten Schiff der Druck des Schiffes durch die Elastizität der Stangen kompensiert Entfernt man sie, so hört die Kompen- sation auf und das Schiff beginnt zu fallen. Dazu ist aber jedesmal Aufwand von Energie nötig. Erst wenn Energie in irgend einer Form zugeführt wird, kann bei stabilem Oleichgewicht das betreffende Gebilde aus Buhe in Tätigkeit treten und dasselbe gilt, wie Ostwald ausdrücklich hinzufügt, auch bei labilem oder, wie er vorzieht zu sagen, indifferentem Oleichgewicht ^) Wenn nun die Seele selbst die Auslösung besorgt, so muß auch sie ein Hindernis beseitigen, das derselben bis dahin entgegenstand, und diese Seite ihrer Wirkung kann nicht wieder unter den Begriff der auslösenden Veranlassung gebracht werden. Wirkt sie aber in dieser Weise auf die Materie, die Hindernisse gleichsam beiseite schiebend, so ist dieses Wirken auch stets mit physischer Energie Veränderung verbunden, und das Prinzip der Konstanz der physischen Energie ist verletzt

Es bliebe vielleicht noch der Ausweg, das Hindernis, dessen Be- seitigung die eigentliche Leistung der Seele ist, wenn sie potentielle physische Energie auslöst, selbst als etwas Psychisches anzusehen, etwa

1) Vorlesungen usw. S. 299/300.

2) Die Lehre von der Energie, Leipzig 1887.

3) S. 264: >Damit etwas geschieht, müssen Intensitätsiinterschiede vor- handen sein.

4) S. 300, 30L

5) a. a. 0. 8. 256, vgl. auch S. 270/271. Zweifellos wird man auch bei den sogen, katalytischen Auslösungen noch das Prinzip durchgängig bestätigt finden, daß Auslösung ohne irgendwelchen Energieaufwand nicht möglich ist. Daß Fälle bekannt sind, wo die katalysierende Substanz selbst tatsächlich an dem Prozeß mit teilgenommen hat, gibt auch Riehl, der die Auslösung durch den Geist ohne Energievermehrung für möglich hält, zu (Sigwart-Festschr. 8.183).

Zweites Kapitel. Schwierig!keitexi der Wechselwirknngstheorie. 443

eine bestimmte psychische Disposition, welche die Entladung bisher Terhinderte und welche die Seele beseitigt Auf diese Weise würde er- reicht, daß die auslösende Aktion der Seele in der Tat ohne phy- sische Energieveränderung erfolgt Aber der Vorteil ist doch nur ein scheinbarer; was wir hier lukrieren, müssen wir an anderer Stelle doch wieder drangeben. Ein Hindernis ist nicht dadurch schon ein Hindernis, daß es überhaupt da ist, sondern nur dadurch', daß es sich als ein solches geltend macht, daß es auf das Ding, welches es etwas zu tun Terhindert, eine Einwirkung ausübt und auch diese Ein- wirkung ist dem Energieprinzip zufolge nicht ohne Energieaufwand auf der einen und einen wenn auch noch so geringen Energie* Zuwachs auf der anderen Seite denkbar. Jeder Druck, der aus- geübt wird, muß sich in dem Ding oder System, auf das er aus- geübt wird, irgendwie bemerkbar machen, er stellt eine Wirkung und damit einen Energiebetrag dar, der, wenn die Ursache, die sie hervorruft, nicht da wäre, auch nicht vorhanden sein würde. Löst nun also die Seele potentielle Energie im Körper in der Weise aus, daß sie eine psychische Disposition, die der Auslösung im Wege stand, beseitigt, so hat sie schon vorher, durch die Wirkung, die sie durch diese psychische Disposition auf den Körper ausübte, auf ihn in einer Weise eingewirkt, welche eine Energieveränderung in ihm zur Folge hatte. Was hilft es ihr also, daß der Auslösungs- prozeß selbst nunmehr von ihr eingeleitet wird, ohne daß sie dazu noch einmal den Betrag der ausgelösten Energie verändert? Sie versetzt gewissermaßen dem Körper mit einem Bein einen Tritt, der keine physische Energieveränderung zur Folge hat, ist dazu aber nur deshalb fähig, weil sie ihm vorher schon mit dem anderen Beine einen Tritt versetzt hatte, durch welchen die Energieänderung schon besorgt ist. Das Prinzip der Konstanz der physischen Energie wird, wie man die Sache auch verklausulieren möge, in jedem Falle verletzt, und so führt denn auch Wentschers Versuch, mit Hilfe des Begriffs der Auslösung ein Wirken der Seele auf den Leib ohne jede Energieänderung zu begründen, nicht zum Ziel.

Soweit ich sehe, hat dieser Versuch auch nicht viel Anklang gefunden. Außer Ostwald, dessen Standpunkt bereits berührt wurde, lehnen auch Ebbinghaus^), Erhardt^), KiehH), Adickes*), Du-

1) a. a. 0. S. 27/28.

2) Schrift S. 87.

3) Phil. Krit. S. 180.

4) Kant contra Haeckel S. 34.

444 Zweiter Abschnitt Die psychophysiche Wechselwirkungstheorie.

bois-Reymond^), Schwarz'), Bergmann^), Sigwart*), König^ ihn ab.

Indessen scheint sich doch zur Rettung der Ansicht, daß die Seele auf den Leib wirkt, ohne dadurch den Betrag der physischen Energie zu ändern, noch ein letzter Ausweg zu bieten. Könnte nicht die Seele in der Weise in das Getriebe der körperlichen Funktionen eingreifen, daß sie nicht irgendwelche Bewegung erzeugt^ sondern nur die Richtung schon bestehender Bewegungen ab- ändert? und kann nicht eine derartige Richtungsänderung bewirkt werden, ohne daß die durch die Bewegung repräsentierte Energie sich ändert? Diese letztere Frage, von deren Beantwortung natürlich die Möglichkeit oder Unmöglichkeit des hier yersuchten Ausweges abhängt, hatte ich in der Schrift, in welcher ich auf die verschie- denen Vei-suche, die "Wechselwirkung zwischen Leib und Seele mit dem Prinzip der Eonstanz der physischen Energie in Übereinstimmung zu bringen, eingegangen war^ im Anschluß an Ebbinghaus ver- neint®) Denn »Richtungsänderung bewegter Teilchen,« sagt dieser mit Recht, »heißt, mechanisch gesprochen, allemal Einfuhrung einer Seitenkraft von bestimmter Richtung und von bestimmtem Arbeits-

1) 7WeItrfttsel 1891. S. 102f. Dabois-R. wendet sich gegen die franzö- sischen Mathematiker Cournot, Boussinesq, De 8aint-Yenant, sowie gegen P. Janet, welche die Anslösung potentieller Energie durch eine Kraft, die physich "»0 ist, für möglich hielten.

2) Über d. Verhältn. v. Leib a. Seele, Monatshefted. Commenios- Gesellschaft Bd. YI, 1897, 8. 267/268.

3) Wie ans den Ausfäbrongen Unters, üb. Hauptpunkte d. Phil. S. 328 zu folgern.

4) Logik II. 2. Aufl. S. 525.

5) Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd 115 S. 186/187, Bd. 119 S. 118—120. Bd.ll5 S. 186 u. Bd. 119, S. 116 scheint K. dagegen die Möglichkeit einer Auslösung im Sinne Wen t Sehers zuzugestehen. Rehmke trifft (Die Seele des Menschen S. 32) nicht den Punkt, auf den es ankommt. Dieser betrifft nicht die Frage, ob die auslösende Kraft Energie aufwendet was ja, wenn die Seele die Auslösung übernimmt, zweifellos nicht der Fall ist , sondern die, ob der bei der Auslösung sich ergebende Oesamteffekt gegenüber der ursprünglich vorhandenen potentiellen Energie eine Änderung der Energie darstellt, für welche nach dem Konstanzprinzip ein Äqui- valent postuliert werden muB, aber, wenn die Seele die Auslösung veranlaßt, nicht gefunden werden kann. Daß die Seele, wenn sie auf den Körper so wirkt, daß physische Energiezunahme stattfindet, zu einem schaffenden Dinge würde, wie Rehmke meint, trifft aber nicht zu. Sonst wäre ja auch jedes physische Ding^ das durch die Energie, die es selbst opfert, anderswo Energie vermehrt, ein schaffendes Ding.

6) Die Wechselwirkung zwischen Leib u. Seele und das Gesetz der Erhaltung der Energie, Sigwart- Festschrift, Tübingen 1900, S, 114.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechselwirkmigstheorie. 445

wert,«^) und diese, indem sie Energie dazu aufwendet, um die Richtung bewegter Teilchen zu ändern, vermehrt die Energie der letzteren um einen wenn auch noch so kleinen Betrag. Auch eine Bichtungsänderung repräsentiert demnach eine Wirkung, die einen bestimmten Energiebetrag darstellt, für den nach dem Eonstanz- prinzip ein äquivalenter Betrag physischer Energieaufwendung ge- fordert werden muß, der aber, wenn die Seele die Richtungsänderung bewirkt, eben fehlt. Der Gedanke einer Richtungsänderung ohne Energie Veränderung hat von einer Seite Verteidigung gefunden, von der ich sie eigentlich nicht erwartet hätte, und dieser Umstand nötigt mich, noch etwas bei diesem Punkte zu verweilen. Von dem all- gemeinen Prinzip ausgehend, daß die Seele nur die Transformations- weise der im Organismus vorhandenen Energie beeinflusse, ohne ihre Größe zu verändern, glaubt E. v. Hartmann^) der Ebbinghaus- schen und meiner Ansicht entgegen treten zu müssen. »Wenn jedoch die Seele überhaupt im stände ist, dynamische Wirkungen auf Atome der Materie zu entfalten , welche deren Bewegung in bestimmter Weise verändern, so ist nicht abzusehen, warum sie nicht auch solche Änderungen in ihrem Bewegungszustand hervorbringen kann, die das Gesetz der Erhaltung der Energie unberührt lassen.«') Ebbinghaus habe übersehen, :»daß die neue hinzutretende Seitenkraft, wenn sie die Geschwindigkeit des bewegten Teilchens nicht vermehrt, auch die konstante Energiesumme des mechanischen Systems nicht ver- mehrt, weil ihre dynamische Leistung völlig dadurch absorbiert wird, den Widerstand zu überwinden, den das bewegte Teilchen nach dem Beharrungsgesetz einer Änderung seiner Bewegungsrichtung entgegen- setzte.«^) Aber eben dies letztere, behauptet ja nun Ebbinghaus

1) a. a. 0. S. 32; vgl. auch Höffding a. a. 0. S. 70.

2) Mod. Psych. S.337. Vgl. Phü. d. Unb., 10. Aufl., Bd.I S. 393f., 452f., III, 136 f., 140f. Auch Thiele scheint die Ausöhnung zwischen der seelischen Beeinflussung der Gehimprozesse und den Anforderungen des Energieprinzips in dieser Richtung für möglich zu halten, Grundriß d. Logik u. Metaphysik, Halle 1878, S. 209, und derselben Ansicht scheint Volk mann zu sein, wenn er sagt: »Durch Auslösungen kann auch in den Ablauf des notwendigen Naturgeschehens eingegriffen und die Richtung des natürlichen Ablaufs modifiziert werden. das tut z. B. der Arzt bei Krankheitsfällen.« (Erkenntnisth. Grundzüge d. Naturw. S. 156, 158.) Weiter nenne ich Kr 0 man (Kurzgef. Logik u. Psychologie, deutsch v. Bendixen, 1890, 8. 119f.) und Reinke (Einl. i. d. theor. Biologie S. 171, 342/343, 574, 610, 625, 628) als Vertreter dieser Ansicht Die Dominanten leisten nach R. keine mecha- nische Arbeit, sondern weisen der Energie nur den Weg.

3) Mod. Psych. S. 347.

4) Ebendas. S. 354/355.

446 Zweiter Absohnitt. Die psychophysische TVecliselwirkttDgstheorie.

gerade, ist nicht ohne Energieveränderung möglich. Es ist natürlich nicht gerade erforderlich, daß die Energievermehrung einen Ge- schwindigkeitszuwachs bedeutet, sie kann ja auch in durch Reibung erzeugter Wärme bestehen: irgend eine Energievermehrung aber muß, wenn eine Seitenkraft eingreift, dem Konstanzprinzip zufolge eintreten. Man kann das an dem Beispiel, das Hartmann, um durch es mich zu widerlegen, anfuhrt, in völlig stringenter Weise zeigen. »Wenn eine hinzutretende Seitenkraft rechtwinklig auf die Bewegungs- richtung einwirkt«, sagt Hartmann ^), »so wird die Diagonale im Rechteck beider Kräfte notwendig größer als jede der Seiten, zeigt also einen Geschwindigkeitszuwachs und eine Energievermehrung an. Die hinzutretenden Kräfte können aber auch so wirken, daß die resultierende Bewegungsrichtung die gleiche Geschwindigkeit hat wie die ursprüngliche, und dann bleibt der Energievorrat des Systems unverändert Die Bewegung hat dann an Energie in der ursprüng- lichen Richtung soviel verloren wie sie in der dazu senkrechten Richtung gewonnen hat Soll also die eine hinzutretende Seitenkraft senkrecht zu der ursprünglichen Bewegungsrichtung wirken, so muß eine zweite der ursprünglichen Bewegungsrichtung entgegen wirken. Dasselbe Ergebnis ist natürlich auch durch eine einzige Seitenkraft zu erreichen, die als Diagonale des Rechtecks dieser beiden hinzu« tretenden Kräfte wirkt, also schräg zu der ursprünglichen Bewegungs- richtung usw.« Setzen wir für die all- ^ gemeinen BegrifPe, mit denen Hartmann

operiert, bestimmte Zahlenwerte, so würde

etwa eine unelastische Kugel a, die sich

j ß iTO. der Richtung a— f/? mit der (re-

schwindigkeit 6 bewegt und im Punkte y

von einer in entgegengesetzter Richtung (ß-^a) und mit gleicher Geschwindig- keit sich bewegenden unelastischen Kugel h von derselben Masse getroffen wird, von j dieser zum Stillstand gebracht werden.

Stößt nun in demselben Moment eine sich rechtwinklig zu a ^ in der Richtung ö-^y bewegende un- elastische Kugel c von gleicher Masse mit der Geschwindigkeit 12 auf die im Punkt y befindliche Kugel fl, so gehen beide Kugeln,

1) Mod. Psych. S. 395. In der »Weltanschauang der modernen Physikc hat H. den Einfluß, den das Psychische auf das Körperliche ausübt, näher als eine »Drehung des Angriffspunktes c bezeichnet (S. 112).

a

Zweites Kapitel. Sohwierigkeiten der Wechsel wirkongstheorie. 447

also auch die Kugel a, nach dem Stoß mit der Oeschwindigkeit 6 in der BichtuDg y e weiter. Die Eugel a hat also auf diese Weise die Bichtung ihrer Bewegung geändert, ohne ihre Oeschwindigkeit geändert zu haben. Aber was beweist das? um dieses Besultat zu erzielen, mußte eine Bewegung von der Geschwindigkeit 6 ganz und eine andere von der Geschwindigkeit 12 halb geopfert werden; es ist also im ganzen Bewegungsenergie im Betrage 6 4- 6 » 12 verloren gegangen. Wo bleibt dieser Enei^ebetrag, aufgewandt, um den Widerstand der Kugel a gegen eine Änderung ihrer Bewegungs- richtung zu überwinden? Er ist in »verborgene Bewegung«, Lage- energie, Wärme und was weiß ich alles umgesetzt worden, und ein Teil davon ist auf die Kugel a entfallen. Die Energie, die sie re- präsentiert, ist also doch verändert, und zwar vermehrt worden, wenn diese Energieänderung auch die Geschwindigkeit unverändert gelassen hat. Mcht ich verwechsle also, wie Hartmann S. 394 vermutet, Bichtungsänderung mit und ohne Energiezuwachs, sondern er scheint mir Geschwindigkeitszuwachs mit Energiezuwachs über- haupt zu verwechseln. Ob solche Bichtungsänderung plötzlich oder, wie Hartmann das in betreff der Seele annimmt, allmählich geschieht, Ändert natürlich an dem Ergebnis nichts.

Auch König behauptet^) gegen Ebbinghaus und mich, daß Bichtungsänderung zwar die Wirksamkeit einer Kraft, aber nicht Aufwand von Energie voraussetze; zum Beweise genüge das Beispiel eines an einem Faden im Kreis geschwungenen Körpers.*) Ich ge- gestehe, daß es mir nicht recht verständlich ist, wie König mit diesem Beispiel, welches das Gegenteil beweist, seine Behauptung rechtfertigen will. Wenn der Körper seine Bichtung fortwährend ändert, d. h. sich im Kreise bewegt, statt in der Bichtung der Tangente davonzufliegen, so ist das doch nur deshalb der Fall, weil er an einem Faden befestigt und dieser Faden von den Fingern gehalten wird. Der Druck der Finger ist es, der, auf den Faden sich über- tragend, den Körper im Kreise herumführt; er bedeutet aber einen wenn auch noch so kleinen Aufwand von Muskelenergie, und dieser Aufwand von Energie muß irgendwie sein Äquivalent haben, einerlei, ob man dasselbe in einer Veränderung molekularer Spannungsver- hältnisse, Wärme oder worin immer suchen und finden mag.

Ich vermag daher nicht zuzugeben, daß die These: Keine Bich- tungsänderung ohne gleichzeitige Energieveränderung, durch die

1) Zeitschr. f. Phil. u. ph. Kr. Bd. 119 S. 113/114, vgl. S. 133.

2) Ebendaselbst S. 114 Anm. 2.

448 Zweiter Abschnitt Die psychophysische WechselwirkmigBtheorie.

Konstruktionen Hartmanns und Königs irgendwie erschüttert wäre.^) Besteht sie aber nach wie vor in Kraft, findet bei jeder Bichtungs- änderung Energieveränderung statt, so wird, wenn nun die Seele die Richtungsänderung herbeiführt, das Gresamtquantum der phy- sischen Energie verändert und das Prinzip der Konstanz der physischen Energie verletzt. Mit dem Scheitern dieses letzten Versuches sind nun aber wirklich, soweit ich sehe, alle Mittel erschöpft, eine Aus- söhnung zwischen dem Prinzip psychophysischer "Wechselwirkung und der Forderung, daß das Gesamtquantum der physischen Energie unverändert sich gleich bleibe, herbeizuführen, und es bleibt nichts anderes übrig, als den Versuch, das Unmögliche dennoch möglich :5u machen, aufzugeben und anzuerkennen, daß ein Wirken des Leibes auf die Seele und der Seele auf den Leib mit jenem Prinzip schlechterdings unvereinbar ist, daß man also entweder die Gültigkeit des Konstanzprinzips bestreiten oder die psychophysische Wechselwirkung für unmöglich erklären muß.

Bevor wir uns nun die Frage vorlegen, ob denn das Prinzip der Konstanz der Energie ein solches von unanfechtbarer Allgemein- gültigkeit, vor dem jede Theorie über das Verhältnis des Physischen zum Psychischen Halt machen muß, ist, möchte ich den Philosophen^ welche sich so ei&ig bemühen, zu zeigen, daß durch die Annahme einer Wechselwirkung zwischen Leib und Seele das Konstanzprinzip nicht im mindesten verletzt werde, die Frage vorlegen, was denn, wenn der Versuch einer Vereinigung beider Annahmen wirklich ge- länge, damit gewonnen wäre? Nach meiner Überzeugung herzlich wenig! Wir hätten zwar dieses eine Naturgesetz als ein in dem Sinne universelles, daß es auch noch bei dem Zusammenstoß des Phy- sischen mit dem Psychischen unverändert in Geltung bleibt, gerettet^ alle übrigen Naturgesetze aber als universelle in diesem Sinne preis- gegeben. Denn das Prinzip der Konstanz der Energie selbst fordert ja, wie wir gesehen haben, nur, daß bei allen Umsetzungen von Energie das Gesamtquantum der physischen Energie überhaupt gleich bleibt; es läßt dagegen die Frage ganz offen, wann Energieumsetzung und in welcher Richtung sie eintritt Diese vom Energieprinzip gelassene Lücke bleibt aber nicht unausgefüllt; die anderen Natur- gesetze treten ergänzend ein, um festzustellen, was im einzelnen. Falle zu geschehen hat') Und diese würden nun sämtUch die Ein-

1) Vgl. auch Hoff ding, Psyoh. S.70; Adiokes, Kant contra Haeokel, 8.34; Külpe, Zeitschr. f. Hypn. Bd. VII. S. 112.

2) y. Hartmann, D. Weltansch. usw., 8.14. Heinrich, Z. Prinziplenfr. d. Psych., 8.18—20.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechselwirk ungstheorie. 449

schränkimg erleiden müssen, die man beim Energiegesetze für un- möglich hält: sie würden da, wo die Seele sich als mitbestimmender Faktor geltend macht, durch die die psychophysische Kausalität regelnde Gesetzmäßigkeit ersetzt werden. Während sonst immer Bewegungen von bestimmter Größe oder sonstige Formen phy- sischer Energie von bestimmtem Betrage durch physische Ursachen ausgelöst werden, tritt in diesem Falle an die Stelle des sonst immer geltenden gesetzmäßigen Zusammenhanges ein anderer: die Seele ruft die Bewegung hervor, löst die potentielle Energie aus. Und hier hält man nun für völlig möglich, was man einzig und allein beim Energiegesetze für völlig unmöglich erklärt Aber das Prinzip der Konstanz des Energiegesetzes ist schUeßlich im besten Falle doch auch nur ein Naturgesetz wie alle anderen auch; muß es auch in dem Falle, daß Leib auf Seele, und Seele auf Leib wirkt, aufrecht erhalten bleiben, so müssen es die Gesetze, welche bestimmte phy- sische Wirkungen an bestimmte physische Ursachen knüpfen und bestimmten physischen Vorgängen bestimmte physische Wirkungen zuschreiben, auch und die psychophysische Wechselwirkung wird einfach unmöglich. i) Hören aber jene Naturgesetze dann auf, für die Verbindung von Ursache und Wirkung maßgebend zu sein, wenn ein Körper mit einer Seele in Wechselwirkung tritt, so ist

1) Daher ist die an xmd für sich ganz richtige Bemerkung Wentschers) (Ethik n. I. Lpzg. 1902, S. 293), daß das Gesetz der £rh. d. Energie gamicht den Faktor der Zeit enthält, also zeitlich nnhestimmt ist, doch für die uns hier be- schäftigende Frage ganz irrelevant. Ein »Moment zeitlicher Unbestimmtheit« (8. 294) würde auch vorhanden sein, wenn die AuslÖeung potentieller Energie stets nur durch physische Veranlassungen erfolgte; andere Gesetze treten aber ein, um diese Unbestimmtheit zu beseitigen. Und schließlich kann man sagen, daß kein Natur- gesetz an sich den Zeitpunkt seiner Anwendung festsetzt, sondern daß der immer noch von besonderen Umständen abhängt Die zeitliche Unbestimmtheit allein ge- nügt also keineswegs, um das Eingreifen nichtphysisoher Faktoren prinzipiell als möglich erscheinen zu lassen. Dieselbe Bemerkung gilt auch gegen Rehmkes Ausführungen, Gedenkschr. t R Haym S. 149/150. Desgleichen wird auch Yolkmanns Versuch, die psychophysische Kausalität durch Benutzung des Aus- lösungsbegriffs möglich zu machen, durch sie getroffen. Der Ablauf alles Natur- geschehens, meint Volk mann, ist an und für sich ein notwendiger, aber die Tat- sachen, welche den Anfang eines solchen Ablaufs einleiten, brauchen nicht auch notwendig zu sein. Wenn aber der Ablauf alles Naturgeschehens notwendig ist, so sind die auslösenden Tatsachen, welche doch auch im Zusammenhang des Natni*ge8chehen8 auftreten und deren Auftreten durch den Ablauf der Ereignisse bedingt ist, auch notwendig, und wir erhalten einen geschlossenen physischen Eausalszusammenhang, in welchem für ein nichtnotwendiges, nicht durch die Naturgesetze eindeutig bestimmtes Geschehen kein Platz ist.

BvsBO, Geist nnd Körper, Seele und Leib. 29

450 Zweiter Abschnitt Die psychophysische WechselwirkmigBtheorie.

nicht einzusehen , warum das Gesetz der Konstanz der Energie allein eine Ausnahme machen, warum es allein das Privileg haben soll, auch in diesem Falle seine Forderung genau so durchzusetzen, wie wenn ein Körper mit einem anderen Körper in Wechselwirkung tritt Man sieht leicht, daß in beiden Fällen, beim Konstanzprinzip wie bei den übrigen Naturgesetzen, der Anspruch, die einzigen für die Dinge überhaupt in Betracht kommenden Vorschriften zusein, auf dem Prinzip der Geschlossenheit der Naturkausalität beruht Gilt dieses, so gilt auch, daß die Gesetze, welche bestimmte physische Ursachen mit bestimmten physischen Wirkungen verknüpfen, und ebenso das Konstanzprinzip für die Dinge absolut und ausschließlich maßgebend sind: und dann würde die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele, selbst wenn sie mit dem Konstanzprinzip zusammenbestehen könnte, mit den Anforderungen der übrigen Naturgesetze kollidieren und dadurch unmöglich werden. Gilt jenes Prinzip aber nicht, so können auch weder das Konstanzprinzip noch die übrigen Naturgesetze ihren Anspruch, für die Dinge allein und ausschließlich maßgebend zu sein, durchführen, und die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele wird weder durch ihre Unvereinbarkeit mit dem Anspruch des Konstanzprinzips noch durch die Unmöglichkeit ihrer Vereinigung mit den Ansprüchen der übrigen Naturgesetze unmöglich gemacht Welche Folgerungen sich mit Bezug auf das Gesetz der Erhaltung der Energie hieraus ergeben, werden wir weiterhin noch sehen: hier kam es mir nur darauf an, zu zeigen, daß man, wenn man schon das Prinzip der Geschlossenheit der Naturkausalität nicht gelten läßt, kein Becht hat, dem Konstanzprinzip eine so überaus privilegierte Stellung anzuweisen und zu fordern, daß die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele so gestaltet werde, daß nur es beileibe nicht verletzt werde, während man allen anderen Naturgesetzen gegenüber, bei denen die Sache genau ebenso liegt, weit weniger bedenklich ist; und daß es nur einen imaginären, aber keinen reellen Vorteil, einen Pyrrhussieg bedeutet, wenn man zwar den Anspruch des Konstanz- prinzips, eine absolute Vorschrift für die Dinge in allen Fällen dar- zustellen, rettet, den auf den gleichen Voraussetzungen beruhenden gleichen Anspruch aller übrigen Naturgesetze aber preisgibt

Nun ist aber endlich dieser mit so schweren Opfern, mit Opfern, die ihm im Grunde jeden Wert rauben, erkaufte Sieg, wie wir uns überzeugt haben, überhaupt unmöglich,^) und wir stehen, nach dem

1) Ygl. Liebmann, Gedanken u. Tatsachen 1890 S. 465 und 467.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechselwirkongstheorie. 451

Scheitern aller Yersucbe, eine Wechselwirkung zwischen Leib und Seele ohne Verletzung des Eonstanzprinzips zu ermöglichen, wieder vor der Alternative, zwischen deren Qliedem wir nun wählen müssen: entweder die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele au&ugeben und uns zu der Auffassung des psychophysischen Paralle- lismus zu bekennen oder die Gültigkeit des Prinzips der Eonstanz der physischen Energie zu leugnen. Tertium non datur!

Wir legen uns letzt also hinsichtlich des Prinzips der Eonstanz der Energie dieselbe Frage vor, die wir uns vorhin hinsichtlich des Prinzips der geschlossenen Naturkausalität stellten : ob dieses Prinzip ein wirkliches, wohlbegründetes und unentbehrliches Prinzip der Naturwissenschaft darstellt oder ebenso wie das der Geschlossenheit der Naturkausalität in Wahrheit nur ein Axiom, ein Dogma, ein naturphilosophischer Glaubenssatz ist

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir aber nicht nur, wie auch bei der geschlossenen Naturkausalität, untersuchen, ob unser Prinzip einen denknotwendigen Grundsatz bedeutet oder auf einem unanfechtbaren Liduktionsschluß beruht, sondern müssen auch die Unterscheidung beachten, deren Wichtigkeit schon oben hervor- gehoben wurde: zwischen dem Energieprinzip als Eonstanzprinzip, welches die Eonstanz der Gesamtsumme der physischen Energie fordert, und demselben Prinzip als Äquivalenzprinzip, welches lediglich besagt, daß bei allen Umwandlungen der physischen Dinge ineinander für jedes dabei aufgewandte Quantum von Energie ein gleich großes Quantum derselben oder einer anderen Energieform neu erzeugt wird.

Nun kann man es wohl als allgemein zugestanden ansehen, daß das

Oesetz der Erhaltung der Energie kein denknotwendiger apriorischer

Satz ist. Wäre das der Fall, so wäre natürlich der Streit über seine

Gültigkeit sofort beendet; denknotwendigen Wahrheiten kann sowenig

wie offenbaren Tatsachen jemand die Anerkennung versagen. Aber

nicht einmal das Äquivalenzprinzip ist denknotwendig; es ist keine

logisch notwendige Forderung, daß an die Stelle eines jeden zur

Erzeugung einer Wirkung verbrauchten Energiebetrages ein gleich

großer Energiebetrag treten muß. Nicht nur nicht denknotwendig

ist der Satz; der Yersuch, ihn durchzuführen, verwickelt sogar auf

atomistischer Basis in eigentümliche logische Schwierigkeiten, welche

29*

452 Zweiter Abschnitt Die psycbophysisölie Wechselwirkangstheorie.

Eroman und Wentscher hervorgehoben haben. ^) Noch weniger trifft die Denknotwendigkeit für das Konstanzprinzip zu, das ja, sofern es überhaupt gültig ist, die Gültigkeit des Äquivalenzprinzips voraussetzt Gewiß hätte die Welt auch nicht bis B. Mayer, Joule und Helm- hol tz zu warten brauchen ^ um einen Satz aufzustellen, der sich als eine einfache Denknotwendigkeit erweist Neuerdings hat Riehl^ der früher selbst das Prinzip als ein apriorisches betrachtete'), gezeigt^ daß auch Bobert Mayer selbst keineswegs den Enei^esatz rein metaphysisch begründet, sondern Wert darauf gelegt hat, ihn, den er

1) Kr Oman, Unsere Natorerkenntnis, Dentsuhe Übersetzung, Kopenhagen 1883 B. 909f., Wentsoher Schrift S. 26, 26. Die Schwien^eit, welche nament- lich bei Kr Oman eine eingehende Erörterung findet, betrifft die Fnge, welche Form das Energieprinzip denn annimmt, wenn zwei letzte Bestandteüe, zwei Atome anfeinanderstoßen. »Bekanntlich«, sagt Kroman (S. 309/310) »verschwindet jedesmal äußere Bewegungsenergie, wenn zwei unelastische oder unvollkommen elastische Körper zusammenstoßen; dieser Verlust wird indessen aufgewogen durch die potentielle Eneigie, welche durch die Formverfinderung hervorgerufen wird^ und durch die kinetische Energie, welche im Innern der Körper nach dem Zu- sammenstoß entsteht, so daß der Verlust hier nur ein scheinbarer ist« Wie aber, wenn zwei absolut harte Atome aufeinanderprallen? Dann scheint doch, da sich die Bewegung nicht in innere Bewegung der TeUchen umsetzen kann, Energie vernichtet weiden zu müssen. Denn auch der Ausweg, daß die aufeinander- prallenden Atome, die ihre Bewegung nicht in Arbeit umsetzen können, mit ihrer Bewegungsgröße entsprechendem Druck aneinanderruhen und, sobald sie sich seitlich verschieben, ihre Bewegung mit gleicher Geschwindigkeit fort- setzen, ist nicht gangbar, weil die Bewegungsgröße der Atome verbraucht werden muß und sie daher ohne Druck nebeneinander ruhen. Nun kann man aber auch^ wie Kroman weiter ausfährt, elastische Kugeln mit großem Elastizitätskoeffizienten^ die, wenn sie aufeinander prallen, mit gleicher Geschwindigkeit zurückprallen,, immer größere Elastizitätskoeffizienten annehmen lassen, während Masse und Ge- schwindigkeit dieselben bleiben. Dann wird zuletzt die Zusammendrückung un- endlich klein oder = 0, und wir hätten wiederum zwei absolut harte Atome, während jetzt die Energie erhalten bleibt. Kroman folgert hieraus: »Wir lernen,, daß solche absolut harten Körper ebenso wie alles Absolute tun können, was sie wollen, oder genauer gesprochen: Wir lernen, daß ihr Verhalten für uns Menschen unkontrollierbar istc Atome, die sich weder zusammendrücken noch ausdehnen lassen, sind weder elastisch noch unelastisch; diese Bezeichnungen gelten nur für Körper, welche nach dem Zusammendrücken ihre ursprüngliche Form wieder annehmen oder ihre veränderte Form behalten. Die Atome sind weder das eine noch das andere, daher sind beide AufCusungen, daß sie zurückspringen und da& sie nicht zurückspringen, gleichberechtigt Kroman glaubt, daß die Schwierig- keit verschwindet, wenn man statt dos Zusammenpralls Femkräfte und Femwirkung annimmt, was ich bezweifle. Jedenfalls aber folgt hieraus, daß das Energieprinzip- keine apriorische Wahrheit ist

2) Phil. Krit IPS.266.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Weohselwirkungstheorie. 453

auf Grand empirischer Beobachtungen aufgestellt hatte, auch empirisch zu beweisen.^) Joule ist von durchaus empirischen Untersuchungen aus ZJJL dem Satz gekommen und Helmholtz hat über seine Auf- fassung des empirischen Charakters desselben keinen Zweifel gelassen. Und heute denkt wohl niemand mehr daran, den Satz von der Eon- stanz der Energie als eine apriorische, denknotwendige und in diesem Sinne metaphysische Wahrheit zu demonstrieren.^)

Also bleibt nur übrig, daß das Energieprinzip, sowohl das Äqui- valenz- als das £onstanzprinzip, wenn sie überhaupt begründete und wissenschaftlich erweisbare Annahmen darstellen wollen, auf Erfahrung beruhen und nach den Orundsätzen wissenschaftlichen Induktions- verfahrens durch Verallgemeinerung unzweifelhafter Feststellungen gewonnen worden sind.

Von dem Äquivalenzprinzip ist das meiner Ansicht nach ohne weiteres zuzugeben. Auf dem Gebiete der Mechanik im engeren Sinne eine längst in Geltung stehende Formel, wurde sie durch Mayers und Joules Feststellung des mechanischen Äquivalents der Wärme auch auf die übrigen Naturprozesse ausgedehnt Zwar ist noch heute die empirische Yerifikation des Äquivalenzprinzips eine beschränkte, da insbesondere auf dem Gebiet des organischen Lebens eine Bestätigung seiner durchgängigen Geltung noch nicht er- bracht worden ist und naturgemäß so leicht auch nicht wird erbracht werden können. Um dieses Umstandes willen sind Zweifel an der universellen Gültigkeit des Prinzips geäußert worden. Eroman möchte seine Geltung als sicher nur auf dem Gebiet der Wägbaren Materie annehmen, schon für den Äther sei sie nicht ganz sicher, ebenso in mehrfacher Hinsicht auf dem Gebiet der Wärmelehre.^) Sigwart will wenigstens die Möglichkeit offen gehalten wissen, daß es auf organischem Gebiet nicht gelte^), Erhardt hält diese Geltung

1) Eiehl: Robert Mayers EntdeckoDg und Beweis des Energieprinzips Sigwart - Festschrift S. 159—184; vgl. Ostwald, Vorl. über Naturphii. S. 164.

2) Vgl. über die Nichtdenknotwendigkeit des Satzes Er 0 man a.a.O. S.296, 303, 316; Lotze, Metaph. 1879 S. 413, 414; Sigwart, Logik 11 2. Anfl. S.531,633f.; y. Hartmann, Mod. Psych. S. 414 D. "Weltansch. d. mod. Phys. S. 13; Ostwald a. a. 0. S.283; Volk mann, Erkenntnistb. Grundz. d. Naturw. Lpz. 1896 S. 48, 150, 168 (der » apriorische Nimbus « ist dem Prinzip genommen) ; Münsterberg, Grundz. d. Psych. S.408; Ebbinghaus, Grundz. d. Psych. 8.30. Mit Unrecht will da- gegen Stalle das Prinzip auf den apriorischen Verstandessatz: Aus Nichts wird Nichts, zurückführen (a. a. 0. S. 38).

3) a. a. 0. S. 317, 318.

4) a.a.O. S.532; dagegen lichtig Spaulding a.a.O. S. 18 20, 23, 52f. Aber wie so yiele, berücksichtigt auch Sp. nicht, daß die Sache anders Hegt, so-

454 Zweiter Abschnitt Die psychophysische WechselwirkiiDgstheorie.

für noch zweifelhaft, ohne indes diesem skeptischen Gedanken groBes Gewicht beizulegen.^) Entschiedener änBert seinen Zweifel Ladd. Das Prinzip sei bisher auf physischem Gebiet noch nicht rein durch- geführt, die lebendigen Organismen ^far overtax its poteer8.€ Man tue gut, zu warten, -»uniü its triumphs are mare nearly eompleie in ihe grosser portüms of the physical sphere, . . before tve venture in its name to contradict ihe plainest faets of daily mental experience and the most ohvious and direct inferences fram those facts^J) Reserviert ist auch die Haltung, welche Münsterberg gegenüber der Ausdehnung des Gesetzes auf die Organismen S. 408 seines Werkes einnimmt, ebenso die Wentschers in seiner Ethik.') Ich sehe indes mit RiehH), Helmholtz^, Ebbinghaus^ und vielen anderen keinen eigentlichen Grund, das Prinzip der Äquivalenz der Energie, das auf unorganischem Gebiet eine so vielfache Bestätigung erhalten hat, daB seine Geltung für den ganzen Umfang der unoiga- nischen Natur wohl ernsthaftem Zweifel nicht mehr ausgesetzt sein kann, auch auf die organischen Prozesse, soweit bei ihnen psychische Einflüsse nicht in Frage kommen, zu übertragen. Wer wenigstens der Ansicht ist, daß die organischen Prozesse im Prinzip von denen der unorganischen Natur nicht verschieden sind, dafi dieselben Stoffe, die- selben Gesetze und Kräfte, die dort zur Verwendung gelangen, auch hier, wenn auch in unvergleichlich verwickelterer Form, sich betätigen, der wird sich auch der Konsequenz nicht entziehen können, daB das Prinzip der Äquivalenz, welches alles Geschehen in der unorganischen Welt ausnahmslos beherrscht, unbedenklich auf das Geschehen in der organischen Welt ausgedehnt werden könne, ja müsse. Und somit sehe ich kein Hindernis, das Äquivalenzprinzip als ein auf Erfahrung beruhendes, durch Erfahrung genügend bestätigtes und auf Grund zahlreicher Erfahrungen in durchaus korrekter Weise vor* allgemeinertes Gesetz von universeller Gültigkeit anzusehen. Überall

fein aooh psychische Eünwirkang in Frage kommt, und daher sind seine weiteren Ansführongen zu Gunsten des Eonstanzprinzipe S. 35— 41, 52—58 nicht stich- haltig. Nach Reinke ist das Eneigieprinzip in den Organismen soweit znr Geltang zu bringen, als möglich, d. h. bis wir auf einen nicht in ihm aufgehenden Rest stoßen (a. a. 0. 8. 15, 27, 28, 53, sowie auch S.147).

1) Schrift 8,72—75, vgl. auch 8.88-100.

2) Ph. of M. 8. 354/355.

3) 8.290,291, Tgl. indes 8.305.

4) Ph. Kr. 8. 179/180.

5) Vorträge u. Abhandl. 8. 187.

6) aa.0. 8.30,36.

Zweites Kapitel. Sohwierigkeiten der Weohselwirkuiigstheorie. 455

also, wo physische Dinge, mögen sie nun Bestandteile der organischen oder der unorganischen Welt sein, aufeinander wirken, tun sie das in der Weise, daß für jeden beim Wirken verbrauchten Betrag von Energie ein gleich großer Betrag derselben oder einer anderen Energie- form neu erzeugt wird.

Wie aber verhält es sich nun mit dem Eonstanzprinzip? Ist auch die Behauptung, daß der Gesamtvorrat der im physischen Welt- all vorhandenen Energie unverändert sich gleich bleibt, keiner Ver- mehrung und keiner Yerminderung fähig ist, ein auf Orund korrekter Yerallgemeinerung von Tatsachen, an denen er unmittelbar verifiziert worden ist, gewonnener und dadurch legitimierter Satz von all- gemeiner Gültigkeit? Die Antwort kann nach meiner festen, so- gleich näher zu begründenden Überzeugung nur lauten: Nein! Wie wollte man einen solchen Induktionsbeweis wohl führen? Es kann doch keine Bede davon sein, daß von irgend einem Teile der Natur wirklich nachgewiesen wäre, daß der Energiebetrag desselben wirklich ewig unveränderlich sich gleich bleibt. Die Tatsache, daß es in der ganzen Natur kein System gibt, das von allen übrigen so isoliert wäre, daß es keinerlei Einfluß von außen empfinge und keinerlei Einfluß nach außen hin ausübte, die Tatsache, daß alle Dinge und alle Systeme der Welt in einen universellen Zusammenhang des Wirkens eingeordnet sind, macht ja einen derartigen Nachweis schlechterdings unmöglich. Wäre er aber selbst für ein bestimmtes System geführt, so berechtigte uns das noch nicht im mindesten, zu schließen, daß nun auch der Gesamtvorrat der Natur überhaupt konstant sein müsse so wenig wie wir daraus, daß jeder Teil des Baumes endlich ist, schließen dürfen, daß der Raum überhaupt endlich ist. Es bedarf doch wahrlich keines tiefen Nachdenkens, um zu erkennen, daß die Eonstanz der Gesamtenergie des physischen Weltalls in gar keiner Weise auf induktivem Wege, durch Verall- gemeinerung von auf beschränktem Gebiet empirisch bestätigten Sätzen erschlossen werden kann, sondern daß sie vielmehr eine An- nahme darstellt, die mit dem Äquivalenzprinzip und seiner Geltung weder identisch ist noch unmittelbar aus ihm gefolgert werden kann, sondern die aus ihm nur unter einer Voraussetzung folgt, deren sehr hypothetischen, rein axiomatischen Charakter wir schon vorhin fest- gestellt haben: der Voraussetzung der Geschlossenheit der Naturkausalität Das Prinzip der Äquivalenz besagt an sich nur, daß wenn ein körperliches Ding auf ein anderes körperliches Ding wirkt, die dabei verbrauchte Energie durch einen gleichgroßen Betrag

456 Zweiter Abschnitt Die psychophysische Wecbselwirkungstheorie.

derselben oder anderer Energie ersetzt wird. Gehört nun das in dieser Weise wirkende körperliche Ding einem System an, das all- seitig geschlossen ist, d. h. das nur Austausch von Wirkungen der in ihm enthaltenen Dinge untereinander, nicht aber mit zu anderen Systemen gehörenden Dingen zuläßt, so folgt unter dieser Voraus- setzung natürlich, daß die Gesamtsumme der in diesem System ent- haltenen, durch sämtliche in ihm befindlichen Dinge repräsentierten Energie konstant bleibt, weder vermehrt noch vermindert wird. Wie sollte sie es, wenn doch für jeden Verlust, den das System irgend- wo erleidet, sofort wieder Ersatz geschafft wird? Wenn also die Natur ein derartig geschlossenes System ist, so wird der Gesamt- vorrat der in ihr vorhandenen physischen Energie konstant sein, wenn nicht, dann natürlich nicht 0 b aber die Natur ein geschlossenes System, eine in sich abgeschlossene Totalität ist, läßt sich natürlich aus dem Äquivalenzprinzip selbst nicht entnehmen, sondern nur auf Grund umfassender naturphilosophischer Erwägungen ausmachen. Das Eonstanzprinzip ist also nicht mit dem Äquivalenzprinzip ohne weiteres auch gegeben, sondern beruht auf ihm und der weiteren Voraus- setzung der Geschlossenheit der Naturkausalität

Soviel ich sehe, wird denn auch die Abhängigkeit des Eonstanz- prinzips vom Axiom der geschlossenen Naturkausalität von der über- wiegenden Mehrzahl der Forscher anerkannt, freilich, ohne daß die Eonsequenzen, die sich aus diesem Umstände ergeben, auch wirklich durchweg gezogen würden.

Sehr bestimmt hebt Wundt diese Voraussetzung hervor: »Setzt man nun voraus, daß ein System mechanischer Eräfte in sich ge- schlossen sei, so daß es weder Wirkungen nach außen abgebe noch solche von außen empfange . . ., so ergibt sich . . ., daß in einem solchen Systeme die Summe der aktuellen Bewegungsenei^gie und der vorrätigen Distanzenergie konstant bleibt^) Demnach schließt, wie schon weiter oben angeführt wurde, nach Wundt das Prinzip der Erhaltung der Energie :»als allgemeines, der Verknüpfung der verschiedensten Energieformen dienendes Prinzip der Naturkausalität . . . in der Forderung eines von außen unbeeinflußten Systems materieller Massen eine Voraussetzung ein, die sich bei keinem einzigen der uns in der Erfahrung gegebenen Systeme vollkommen verwirklicht findet Aus diesem Grunde ruhen denn auch alle bloß angenäherten Anwendungen des Erhaltungsgesetzes im einzelnen schließlich auf der

1) System d. PhU., 2. Aufl. S.481; vgl. S. 482.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der WochselwirkuDgstheohe. 457

Forderung, daß die volle Geltung desselben erst bei dem System der Systeme, dem Universum, anzutreffen sein würde«, dem Universum, das in dieser Form aber, wie Wundt anerkennt, bloß eine Idee ist^) Wenn auch nicht ausdrücklich formuliert, so doch tatsächlich in seine Darlegung des Konstanzprinzips aufgenommen hat diese Vor- aussetzung auch Helmholtz. In dem Naturganzen, sagt er, bleibt nach dem Energieprinzip die Summe der wirkungsföhigen Eraftmengcn ewig und unveränderlich dieselbe; er setzt also voraus, daß die Natur ein Ganzes, eine Totalität ist') Auch nach Fechner sagt uns das Prinzip der Erhaltung der Kraft bloß, »daß, wie auch der Umsatz zwischen lebendiger und potentieller Exaft in einem seinen inneren Wirkungen überlassenen Systeme erfolge, er doch nur so erfolgen könne, daß die konstante Summe desselben im ganzen gewahrt bleibt,«^) und ihm schließt sich Laßwitz in einer fast wörtlich mit Fechner übereinstimmenden Formulierung an. »Was an Energie irgend einer Art verschwindet, muß als Energie irgend einer anderen Art wieder auftreten, so daß in einem System von Körpern, dem keine Energie von außen zugeführt und keine entzogen wird, die Summe aller Energien konstant bleibt. Das ist der bekannte Satz von der Erhaltung der Energie«. »Be- trachtet man das Universum als ein solches System, so kann man sagen, die Oesamtenergie der Welt bleibt un- verändert«^) Derselben Ansicht scheint auch, wenn anders ich seine Ausführungen richtig verstehe, Kroman zu sein.<^) Die Voraus- setzung des geschlossenen Systems als Grundlage des Konstanzprinzips führt Ostwald an,^) ebenso Könige und Heinrich.«) Dieselbe An- schauung liegt der Polemik zu Grunde, welche Münster berg gegen die Überspannung des Energieprinzips führt. ^) Sehr bezeichnend ist namentlich die folgende Stelle: »Die Voraussetzungen, die bei solcher Beweisführung (mit Hilfe des Energieprinzips gegen die Möglichkeit psychophysischer Wechselwirkung) stillschweigend anerkannt sind,

1) Ebendas. S. 488.

2) a. a. 0. S. 152, 187. Ähnlich bei Hermann, Lehrb. der Physiologie, 12. Aufl. S. 11.

3) £1. d. PSyohophys. I. S. 36.

4) WirkUohkeiten, S. 104, ygl. das Fechnerbuch (Stuttg. 1896) 8. 134.

5) a. a. 0. S. 297, 300, 304.

6) a. a. 0. S. 282.

7) Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 115 8. 190,

8) Z. Prinzipienfr. usw., 8. 19.

9) a. a. 0. 8. 407/408.

458 Zweiter Abschnitt Die psychophysische Wechselwirkongstheorie.

dehnen sich sogar so weit über die eigentliche Grenze des Gesetzes aus, daß, falls sie zutrefifend sind, die psychophysische Theorie auch dann noch notwendig folgen würde, wenn jenes Gesetz selbst un- bekannt wäre. Das, was tatsächlich vorausgesetzt wird, ist nämlich die Forderung, daß Physisches und I^ichtphysisches niemals auf- einander Einfluß haben können; setzen wir aber das als zugegeben voraus, so folgt der Begleiterscheinungscharakter des Psychischen, auch wenn selbst die physische Energie nicht unter dem Erhaltungs- gesetz stände; setzen wir es aber nicht voraus, so nützt uns das Erhaltungsgesetz allein wenig fär den geplanten Beweis.« Auch E. V. Hartm ann hat derselben Anschauung Ausdruck gegeben,^) ebenso Hoff ding.') Mit besonderer Schärfe hat schon G.Thiele vor längerer Zeit das von mir urgierte Verhältnis der beiden in Bede stehenden Grundsätze ausgesprochen : »Im Prinzip von der Erhaltung der Energie wird vorausgesetzt, daß von außen kein Zuwachs an (leben- diger oder Spann-) Kraft in das Weltganze komme, und ebenso daß keine Abgabe von Kraft nach außen stattfinde; es wird nicht bewiesen, daß das unmöglich oder wenigstens tatsächlich nicht der Fall sei.<c>) Endlich erwähne ich noch Maxwell, in dessen Formulierung die Voraussetzung: Energie innerhalb eines geschlossenen Systems, auch deutlich enthalten ist: ^The total energy of any body or system of bodies is a qtionUty wkich can neither be increased nor diminished by any mutual action of those bodies, though it may be transformed into any of the forms of wkich energy is stiscepUble.^^)

Über das Prinzip der Geschlossenheit der Naturkausalität haben wir im vorigen Abschnitte gehandelt Wir haben gesehen, daß es weder ein denknotwendiges Prinzip, noch ein auf induktivem Wege in einwandfreier Weise genügend begründeter Satz ist, sondern ledig- lich ein naturphilosophisches Axiom, ein naturphilosophischer Glaubens- satz, an den man glauben kann und auch nicht glauben kann, mit dem man aber die mit ihm unvereinbare Wechselwirkungstheorie nicht aus dem Sattel heben kann. Wenn nun das Prinzip der Konstanz

1) Mod. Psych. 6.367/368, vgl. auch Die Weltanschaanng d. mod« Physik 8. 2, 6, 29, 30. Yoraossetzong ist auch die Endliohkeit des physischen Weltalls, Tgl. auch ZeitBohr. f. Phil. n. ph. Kr. Bd. 121 , S. 4.

2) Psych. 1887, 8. 38.

3) OmndriB der Logik und Metaphysik, Halle 1878, 8.209.

4) Ich zitiere nach einem Aufsatz von Charles H. Chase im Monist vol. X, 8. 135.

Zweites EapiteL Schwierigkeiten der WechselwirkoDgetheorie. 459

der Energie auf dem Axiom der Geschlossenheit der Naturkausalit&t beruht, aus ihm allein alle Überzeugungskraft, die es auszuüben vermag, bezieht, so folgt, daß es notwendig das Schicl^sal jenes Prinzips teilen muß: wenn der Mantel fällt, muß der Herzog nach. Auch es stellt keinen allgemeingültigen, unanfechtbaren Grundsatz der Naturwissenschaft dar, sondern bedeutet lediglich einen auf keine Weise beweisbaren oder auch nur als notwendiges Postulat naturwissenschaft- licher Denkweise hinstellbaren, rein subjektiven Glaubenssatz, auf den einzelne Naturforscher wie auf ein Evangelium schwören mögen, der aber niemals als ein entscheidendes, allen Widerspruch verstummen machendes Argument gegen die Wechselwirkungstheorie ausgespielt werden kann. Es ist mir daher nicht recht verständlich, warum so mancher, der das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität nicht anerkennt und sich durch die gegenteiligen Behauptungen auf das- selbe schwörender Naturforscher nicht irre machen läßt, doch so er- picht darauf ist, zu beweisen, daß die Annahme einer Wechselwirkung zwischen Leib und Seele das Prinzip der Konstanz der Energie ganz unangefochten lasse. Die beiden Grundsätze sind von genau derselben Beschaffenheit und besitzen genau denselben Geltungswert; den einen fallen zu lassen und den anderen festzuhalten scheint mir ein ganz verfehltes Beginnen.^) Insofern sind die Naturforscher konsequenter, wenn sie, im richtigen Gefühle, daß beide untrennber zusammen gehören , weder das eine noch das andere Prinzip fallen lassen wollen, und der Naturforscher, der auf den Vorschlag des Gegners, das erste Prinzip fallen zu lassen, wofür man ihm den unangefochtenen Besitz des zweiten lassen wolle, etwa entgegnet, daß ohne das erste auch das zweite für ihn keinen rechten Wert mehr habe, würde, meine ich, von seinem Standpunkt aus ganz richtig handeln. Tatsächlich

1) Diesen Fehler begeht £. v. Hartmann. Das Axiom der geschlossenen Naturkausalität gibt er preis, die Eonstanz der Energie halt er fest Er gibt aber zn, daß sie nur für den Fall ans den Prinzipien der Meohanik deduziert werden könne, wenn es keine anderen Kräfte als solche mit Potential (Zentralkräfte, die in der geraden Yerbindungslioie zweier Massenpnnkte wirken) gibt (Weltansoh. d. mod. Physik S. 111). In der organischen Natur, fährt er 8. 112 fort, haben wir aber Grund, die Wii'ksamkeit anderer, nämlich »immaterieller«, dem Gesetz der Gleichheit Ton Wirkung und Gegenwirkung nicht unterstehender Kräfte anzunehmen. Nun, damit ftllt doch eben die you Hart mann selbst angegebene Voraussetzung für die Deduktion des Konstanzprinzips dahin! Weshalb sioh also noch ängstlich an dasselbe als an einWeitprinzip klammem? Auch gibt ja v. H. zu, daß die Konstanz der Energie nur unter der Voraussetzung des (von ihm nicht acoeptierten) Prinzips d. geschl. Naturk. geltel Vgl. die Note S. 458.

460 Zweiter Abschnitt. Die psychophysische Wochselwirknngstheorie.

sind aber weder das eine noch das andere unanfechtbare und absolut gültige, auf sicheren Schlüssen beruhende Prinzipien naturwissen- schaftlicher Forschung, sondern hypothetische Annahmen von sehr problematischem Wert, Dogmen, Glaubensartikel. Wer um des Prinzips der Eonstanz der Energie willen die Wechselwirkungstheorie ablehnt, stützt sich ebenso wie der, welcher es um des Prinzips d^ geschlossenen Naturkausalität willen tut, auf eine petitio prindpii^ und wer die Gründe, welche die Anhänger der Wechselwirkungs- theorie für ihre das Eonstanzprinzip verletzende Annahme geltend machen, dadurch zu widerlegen versucht, daß er ihren Wider- spruch gegen dieses Prinzip hervorhebt, begeht ebenso wie der, welcher sich des Geschlossenheitsprinzips zum gleichen Zwecke be- dient, den Fehler des drculus in demonstrando! ^)

1) Es ist d^er nicht zubilligen, daß Philosophen und Naturforscher, welche den problematischen und hypothetischen Charakter des Eonstanzgesetzes und seine Bedingtheit durch das Axiom der geschlossenen Naturkausalität durchaus an- erkennen, doch immer wieder das erstere wie eine bewiesene und unanfechtbare Wahrheit behandeln, Welche die Möglichkeit einer psychophysischen Wechselwirkung schlechtweg ausschließt, ja sogar versuchen, das Prinzip der geschlossenen Natnr- kausalität auf das der Konstanz der Energie selbst zu gründen. So folgert Fe ebner daraus, daß die Energie in einem geschlossenen System konstant ist, sofort, daß sie »hiermit auch unstreitig für die Welt eine konstante Größe« ist (El. d. Psychoph.!. 8.32), folgert also aus dem Eneiigieprinzip die Geschlossenheit der Natur. Ähn- lich Wund t Phil. Studien Bd.X S.31; vgl. S.38. Als selbstverständliches und ohne alle Frage allgemeingültiges Prinzip spielt Laßwitz das Eonstanzprinzip gegen die Wechselwirkungslehre aus: »Daß das menschliche Gehirn nicht ein Apparat ist, in welchem räumliche Bewegung der Moleküle, oder, um noch allgemeiner zu sprechen, physische Energie sich in Empfindung und Gefühl verwandelt, das sieht man schon daraus, daß diese Energie nicht als solche verschwindet, sondern, ein physiologischer Prozeß, in don chemischen Umwand- lungen des Organismus erhalten bleibt« (Wirklichkeiten S. 115). Das ist ja gerade die Fi-age! Ähnlich auch Höffding, vgl. Psych. S.38, 72. Auch Riehl stützt, das wahre Verhältnis auf den Kopf stellend, den Grundsatz der Geschlossenheit der Natui'kausalität auf das Eonstanzprinzip (Ph. Er. ü* S. 177, 178). Am deut^ liebsten aber treten alle die erwähnten Fehler hervor bei König, der in seinem Bestreben, die Gegner des psychophysischen Parallelismus, mit denen er sich in seinen beiden Aufsätzen in der Zeitschrift für Phil. u. phil. Kritik ausemandersetzt, zu widerlegen, bald zu dem einen, bald zu dem anderen Prinzip greift und sie schließlich beide durcheinander wirft. Er erkennt einerseits an, daß der Paralle- lismus nicht aus dem Energieprinzip , sondern aus dem Prinzip der G^chlossenheit der Naturkausalität folgt (Bd. 115 8. 170, 186). Es sei em zweifelloser Fehlgriff, bemerkt er gegen S paulding, die Widerlegung der psychophysischen Kausalität auf das Energieprinzip, statt auf das Axiom der geschlossenen Naturkausalität zu basieren (Bd. 119 S. 113, 114). Aber andererseits soll doch das erstere, weil es, für die verschiedenartigsten Erscheinungsgebiete (Wärme, Elektrizität) festgestellt,

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechselwirkungstheorie. 461

Das Ergebnis unserer Untersuchung über das Eonstanzprinzip und sein Verhältnis zur Wechselwirkungstheorie ist, um es noch

für allgemein zu gelten habe, die 'VTechsel Wirkung zwischen Leib und Seele un- möglich machen (Bd. 115 S. 189). Das Energieprinzip soll nun weiter nicht mit der Behauptung identifiziert werden dürfen, »dafi die Energiemenge der gesamten physischen "Welt absolut konstant sei und weder vermehrt noch vermindert werden könne.« Denn das sei, da er von der Energiemenge des gesamten Universums rede, ein metaphysischer Satz (S. 189). »In der Physik versteht man unter dem Energiesetz den Satz, daß in einem (endlichen) Systeme, auf welches keine Energie von auBen übertragen wiid, die vorkommenden Änderungen der in ihm vorhandenen Energiemengen sich gegenseitig kompensieren« (S. 190). Sehr schön. Und nun fragt es sich eben, ob die Natur ein derartiges geschlossenes System darstellt; daß kein endliches System diese Geschlossenheit besitzt, gibt König zu. Wie aber daraus, daß wir kein geschlossenes endliches System haben, folgen soll, daß in dem größten physischen SyAem, dem physischen Weltall, die Energie konstant bleibt, wird wohl jedem außer König stets schleierhaft bleiben. Oder soll daraus, dafi sich jedes System als Teil eines umfassenderen Systems auffassen läßt, folgen, daß die Natur ein allumfassendes und in sich geschlossenes System ist? Soll damit, daß eine solche Auffassung möglich ist, auch schon gesagt sein, daß sie not- wendig ist? Wie sehr aber die YoraussetzuDg der Geschlossenheit der Natur- kausalität die conditio sine qua non des Prinzips der Konstanz der Energie ist, zeigt gerade Königs in seiner Polemik gegen meine Auffassung des Energie- prinzips als bloßer Korrelations- oder Transformationsformel gemachter Yersuch, die Sache umzudrehen. Ich hatte in meinem Aufsatze in der Sigwart-Festsohrift S. 118 gesagt: Wo immer eine physische Ursache eine physische Wirkung erzeugt, da ist die aufgewandte der erzeugten physischen Energie gleich , und hatte damit die Ansicht verbunden, daß^ wo eine psychophysische oder physiopsychisohe Wirkung stattfindet, dieses Prinzip natürlich keine Anwendung mehr finden könne. König aber meint (Bd. 119 S. 117), so dürfe man die Sache nicht auffassen. Das physi- kalische Energiegesetz bedeute zweifellos, »daß nirgends in der Körperwelt Energie ohne ein nachweisbares Äquivalent entsteht oder verschwindet.« Aber das bedeutet doch eben das physikalische Energiegesetz zweifellos nur unter der Voraussetzung der Geschlossenheit der Naturkausaiität! Trotzdem, sagt König dann aber in der Anmerkung zu S. 117, dürfe das Energieprinzip, das eine bloße Korrelations- formel ist, nicht mit dem metaphysischen Satze verwechselt werden, daß die Summe der im Weltall vorhandenen Energie konstant bleibt, und daher sei meine Ansicht, daß der Wechselwirknngshypothese nur die Annahme der ünveränderlich- keit der kosmischen Energiesummo, nicht aber das Eneigieprinzip als Korrelations- formel entgegenstehe, falsch und der von mir ihm Band 116 S. 79 gemachte Vor- wurf, daß er bei seiner ganzen Polemik gegen mich die Geschlossenheit der Natur- kausalität immer sehen als selbstverständlich voraussetze, unbereohtigt. Ich be- daure indes, dabei verharren zu müssen. Sobald wir annehmen, daß die kos- mische Energiesumme veränderlich ist, so gilt auch nicht mehr, daß nirgends in der Körperwelt Energie ohne nachweisbares (!) Äquivalent entsteht oder ver- schwiadet; welches Äquivalent sollte denn für die Zunahme oder Abnahme der Geeamtenergie nachweisbar sein? Und dann stände auch der Einwirkung der Seele auf den Köper und umgek^t kein Hindernis mehr entgegen. Wie sehr

462 Zweiter Abschnitt Die psychophysische ^echselwirkiingstheorie.

einmal kurz zusammenzufassen, dieses: Die Lehre von der Wechsel- wirkung zwischen Leib und Seele und das Prinzip der Konstanz der Energie sind absolut unvereinbar miteinander, wir sind aber deshalb nicht genötigt die Wechselwirkungstheorie fallen zu lassen, da das Prinzip der absoluten Konstanz der Oesamtenergie des phy- sischen Weltalls kein denknotwendiges oder auf unbestreitbar induk- tiven Schlüssen beruhendes aUgemeingültiges Prinzip, sondern ein bloßes Axiom, ein Yorurteil ist, das nur solange als maßgebend für unsere Weltanschauung betrachtet werden kann, als nicht andere, nach anderen Sichtungen des Zusammenschlusses weisende Instanzen

die ÄDnahme der Geschlossenheit der Natorkansalit&t bei König die Yorans- Setzung seiner ganzen Argumentation ist, zeigt endlich am deutlichsten sein Ter- such, diese Annahme aus dem Energieprinzip selbst zu begründen. Die Berech- tigung, jedes endliche System, dessen Energiesumme nicht konstant ist, als Teil eines umfassenderen Ganzen, zuletzt also alle Teilsysteme als Bestandteile eines sie alle umfassenden und in sich geschlossenen Systems anzusehen, leite er, fuhrt er gegen mich aus, nicht aus der Überzeugung der Geltung des Ajdoms der ge- schlossenen Naturkausalität, sondern aus den dem Energieprinzip zu Grunde liegenden Erfahrungstatsachen ab: jene Ansicht sei eine Folgerung, die er aus der Tatsache der äquivalenten Energietransformation ziehe. Aber die dem Energieprinzip zu Grunde liegenden Erfahrungstatsachen sind, daß wir auf großen Gebieten die Äquivalenz von Energie verbrauch und -Ersatz festgestellt haben, auf Gebieten, bei denen immer nur die Einwirkung von Körper auf Körper in Frage kommt; daraus aber folgt weder die Konstanz der Gesamtenergie, noch die Geschlossen- heit der Naturkausalität, sondern die entere folgt nur unter der Yoraussetzung der letzteren. Dieses Sachverhältnis zeigt in sehr dankenswerter Weise der Schluß, der sich bei König findet ,>Wenn es wahr ist, wie das Eneigiegesetz besagt, daß in der physischen Welt Eneigie nirgends ohne Äquivalent entsteht oder yer- schwindet, wenn es femer richtig ist (wie Busse annimmt), daß nur für die Wechselwirkung materieller Elemente das Energiegesetz gilt, so folgt daraus, daß die Elemente der Körperwelt nur untereinander in Wechselwirkung stehen, daß Also die NaturkausaUtät geschlossen ist.« Hier ist zunächst die Yerwendung des Untersatzes zu beanstanden. Hat er den Sinn, den ich mit ihm verbinde, daß das Energiegesetz nur für die Wechselwirkung materieller Elemente, also für die Wechselwirkung zwischen Körper und Seele nicht gilt, so hebt er den Obersatz auf und macht damit den Schlußsatz unmöglich. Nimmt man ihn aber in dem Sinne, daß er die Wechselwirkung zwischen Seele und Leib ausschließt, so setzt «r die Gültigkeit des Obersatzes voraus. Dieser aber setzt, wie man leicht sieht, eeinerseits wieder den Schlußsatz voraus. Wenn es wahr ist, daß physische Energie nirgends ohne Äquivalent verloren geht! Es ist aber nur dann wahr, wenn die Naturkausalität eine geschlosseneist, psychische Einwirkung, die Energie- änderung bedingt, folglich unmöglich ist. Königs Schluß bewegt sich also voll- ständig im Zirkel, das Axiom der geschlossenen Naturkausalität liegt allen seinen Argumentationen und Demonstrationen zu Grunde. Er mag sich drehen und wenden, wie er will, der Zopf dieser petüio prineipii hängt ihm immer hinten.

Zweites EapiteL Schwierigkeiten der Wechselwirkungstheorie. 463

ihm gegenübertreten. Solche sind aber mit der psychophysischen Kau* salität, für deren Annahme überwiegende Gründe sprechen, gegeben. Ich weiß wohl, daß es durchaus ketzerische Gedanken sind, die ich hier ausspreche, und erwarte nichts anderes, als daß ich als ein Mensch, der, weil ihm jede Fähigkeit, naturwissenschaftlich zu denken, abgeht, sich über die heiligsten Grundsätze der Naturwissenschaft glaubt hinwegsetzen zu dürfen, in der üblichen Weise von den »Kennern« zurechtgewiesen werde. Und wenn man mir die Männer entgegenhält,^) welche so Großes für die Naturwissenschaft geleistet haben und alle in dem Konstanzprinzip ein Grundgesetz, wenn nicht das Grundgesetz derselben erblickt haben, so kann ich nicht leugnen, daß in der Tat die führenden Geister auf dem Gebiete naturwissen- schaftlicher Forschung seit der Begründung des Energiegesetzes durch Mayer, Joule und Helmholtz an der Interpretation desselben als Konstanzprinzip festgehalten haben und von der Konstanz der Ge- samtsumme der Energie des physischen Weltalls durchaus überzeugt gewesen sind. Allein schließlich entscheidet in wissenschaftlichen und philosophischen Fragen doch auch die größte Autorität nichts.

Wenn ich als ein bescheidener Philosoph, der sich sehr wohl bewußt ist, daß er sich in naturwissenschaftlichen Dingen mit den Koryphäen der Naturwissenschaft in keiner Weise vergleichen oder messen kann, dennoch nicht davor zurückschrecke,. Ansichten, zu denen sich die hervorragendsten Naturforscher bekannt haben, zu bekämpfen, so leitet mich dabei die Überzeugung, daß es sich hier um eine Frage handelt, die von dem Maß naturwissenschaftlicher Schulung und Durchbildung, das jemand hat, unabhängig ist und nach allgemeinen philosophischen Erwägungen entschieden werden muß. Und weiter möchte ich doch bemerken, daß doch auch meine Ansicht, daß das Prinzip der Konstanz der physischen Energie kein absolut unantastbarer und unaufgeblicher Grundsatz der Naturwissen- schaft, mit dem sie steht und fällt, ist, von manchem geteilt wird, den man als nicht ganz unkompetenten Beurteiler auch in rein naturwissenschaftlichen Dingen wird gelten lassen. Die Situation ist heutzutage nicht mehr genau dieselbe, wie in den Tagen und Jahren,

1) Das ist bereits geschehen, König hat mir (Zeitsohr. f. Phil. u. phiL Er. Bd.ll9 S.118) die Mayer, Helmholtz, Clausias, Mach entgegengehalten. Man sieht, die natorwissensohaftliche Orthodoxie hat nicht nur ihre Glaubensartikel, auf die sie schwört, sie hat auch ihre Heiligen, deren Ausspräche als wahr anerkennen muß, wer nicht als Ketzer verschrien sein will. Auch Haeckel fühlt sich ja als Prophet, wie vor ihm Auguste Gomte.

464 Zweiter Abschnitt. Die psychophysische 'Wechselwirkiingstheorie.

als man unter dem frischen Eindruck des neu aufgestellten Gesetzes und seiner Bedeutung stand und in der ersten Begeisterung es über- spannte. Wie in so mancher anderen Beziehung, ist auch mit Be- zug auf das Eonstanzprinzip die Stimmung heute eine wesentlich ruhigere, ja reserviertere geworden; nicht die fuhrenden Geister, son- dern die dii minorum gentium und die Philosophen sind es, welche das Axiom der Konstanz der Gesamtenei^ie des physischen Weltalls mit dem Nimbus einer ewigen, einer naturwissenschaftlichen XTr- und Grundwahrheit umgeben und von dieser Yoraussetzung aus gegen die Wechselwirkungstheorie losziehen. Wie sehr sticht z. B. von Königs zuversichtlichen Behauptungen die große Yorsicht und Behutsamkeit ab, mit der ein Heinrich Hertz, dessen Kompetenz in naturwissenschaftlichen Dingen doch wohl niemand in Zweifel ziehen wird, die Frage der Gültigkeit des Konstanzprinzips behandelt »Es ist gewiß gerechtfertigte Yorsicht, wenn wir im Texte das Ge- biet unserer Mechanik ausdrücklich beschränken auf die unbelebte Natur und die Frage vollkommen offen lassen, wie weit sich ihre Gesetze darüber hinaus erstrecken. In Wahrheit liegt die Sache ja so, daß wir weder behaupten können, daß die inneren Yorgänge der Lebewesen denselben Gesetzen folgen, wie die Bewegungen der leblosen Körper, noch auch behaupten können, daß sie anderen Ge- setzen folgen . . . Unser Grundgesetz, vielleicht ausreichend, die Bewegung der toten Materie darzustellen, erscheint wenigstens der flüchtigen Schätzung zu einfach und zu beschränkt, um die Mannig- faltigkeit selbst des niedrigsten Lebensvorganges wiederzugeben.«^) Hertz behandelt es denn auch einstweilen noch als eine offene Frage, ob sich das System der Energetik überhaupt in logisch ein- wurfefreier Form entwickeln läßt.*) Nicht mit Unrecht weist so- dann Kroman darauf hin, daß nur die Philosophen aus den Sätzen der Konstanz der Materie und der Energie absolut gültige metaphy- sische Wahrheiten machen. »Der Physiker weiß nicht und interessiert sich auch nicht einmal sonderlich dafür zu erfahren, ob die Witk- lichkeit endlich oder unendlich in Zeit und Baum ist und ob es also Sinn hat von einem bestimmten Quantum Materie in der Welt zu sprechen. Und er entscheidet von vornherein nichts darüber, wie weit unter bestimmten Umständen ein Übergang stattfinden kann

1) £inl. zu den Prinzipien der Mechanik. Yoireden n. Einleitungen zu klas- sischen Werken der Mechanik (Yeidffentiiohitngen der philosoph. Gesellschaft a. d. Universität zn Wien), Leipzig 1899, S. 161.

2) Ebendas. S.145, vgl. S. 147.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der TreGhselwiikungstheorie. 465

zwischen den verschiedenen Arten von Materie oder sogar zwischen Materie und psychischem Sein.« Wenn er aus Bequemlichkeits- rücksichten sich oft so ausdrückt, als handle es sich hier um not- wendige, absolut gültige Prinzipien, so beweist das nichts gegen die obige Behauptung. »Ein solcher Satz (wie der Identitätssatz) ist die Behauptung von der Energie nicht Wir haben ohne denselben bis vor 30 Jahren Wissenschaft aufgebaut, und sollte es sich eines schönen Tages zeigen, daß derselbe ein übereilter Satz wäre, so würde unsere Forschung damit doch keineswegs unmöglich gemacht sein.« »Man kann die Gegenwart nicht davon freisprechen, daß sie sich von dem Satz von der Energie zu sehr hat imponieren lassen.«^) Lotze bezeichnet den Glauben an die eine Kraft, die sich überall gleich erhält und nur die Formen wechselt, als »modernen Gespenster- glauben« ^), Reinke leugnet, daß die Wirksamkeit einer menschlichen Intelligenz auf die körperliche Welt den Prinzipien der Naturforschung widerspreche, desgl. Schwarz^), und Ladd klagt über ^the feeling of awe before the sacred prindple of the conservaüon and correlation of energy, as though it were a near approach to blasphemy to suggest that this prindple may be utterly inadequate (not to say totally ifTeleva7it) to set forth relaiions of psychic phenomena^o^ ein Gefühl, welches >has exerdsed an tinduly depressing influence on modern psychology,<i^) Ich führe auch endlich noch Münsterberg an, der der Vergötterung des Konstanzprinzips gegenüber bemerkt: >Die Theorie wäre somit weder überflüssig noch unfruchtbar, wenn der Physiker zugeben wollte, daß die Energie nur in der unorganischen Welt er- halten bleibt, in der organischen Welt dagegen sowohl verloren gehen als auch neu erzeugt werden kann. «5) Wer das Energieprinzip in der Form, daß keine Energie verloren gehen oder neu erzugt werden kann, daß jede physische Leistung durch Umsetzung der im Natursystem vorhandenen Kräfte erklärbar sei, gegen die Wechselwirkung geltend macht, beutet es in einer Weise aus, die an sich nicht zulässig ist »Nun läßt sich aber nicht bestreiten, daß von dem Gesetz der Er- haltung der Energie bei solcher populären, nicht selten von der

1) Unsere Naturkenntnis S.296, 297, 321/322, 319.

2) Metaph. 1879 S. 414.

3) Reinke a.a.O. S. 560/561; vgl. S.37; Schwarz', Monatshefte der Co- menius-Ges. VI S. 270.

4) Ph. of Mind S. 17/18.

5) Grundzüge d. Psychol. S. 409.

Busse, Geist und KOiper, Seele und Leib. 30

466 Zweiter Abschnitt. Die psychophysisohe Wechsel wirkungstheorie.

Trotzstimmung des Materialismus beherrschten Ausbeutung viel mehr verlangt wird, als es zu leisten vermag.« ^)

Lassen wir das Konstanzprinzip als eine subjektive, im Energie- prinzip als solchem nicht notwendig enthaltene Annahme von proble- matischem Wert fallen, so bleibt das Äquivalenzgesetz als alleiniger Inhalt des Energieprinzips übrig. Yon diesem haben wir uns über- zeugt, daß es einen in durchaus einwandfreiem Verfahren gewonnenen Satz darstelle, dessen ausnahmslose Gültigkeit zu bezweifeln ein trif- tiger Grund nicht vorliegt Das Äquivalenzprinzip wird nun aber durch die Lehre von der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele nicht im mindesten berührt, seine Allgemeingültigkeit ist mit dieser Theorie durchaus vereinbar. Denn es, welches ja von vornherein nur bestimmt, wie sich, wenn ein Körper auf einen anderen Körper wirkt, die aufgewandte physische zur neu erzeugten physischen Energie verhält, läßt, wie alle übrigen Naturgesetze auch, die Frage ganz offen, was nun geschieht, wenn nicht ein Körper auf einen anderen , sondern der Leib auf die Seele und die Seele auf den Leib^ wirkt Daß nun in diesem Falle, auf den sich das Äquivalenzprinzip gamicht bezieht, dasselbe nicht gilt, bedeutet ebensowenig eine Beeinträchtigung seiner universellen Gültigkeit, als es eine solche z. B. der universellen Gültigkeit der Gesetze, welche sich auf den Stoß elastischer Kugeln beziehen, bedeutet, daß sie dann nicht mehr anwendbar sind, wenn eine elastische Kugel auf eine unelastische stößt Alle Naturgesetze gelten eben doch nur für die Fälle, auf die sie sich beziehen, auch die allgemeinsten nur für die Fälle, die nach Ursache und Wirkung völlig innerhalb der Sphäre des Natur- geschehens liegen. Eine alle möglichen Fälle umfassende und er-

1) Ebendaa. S. 407/406. Bei dieser Gelegenheit möohte ioh darauf hinweiseo, dafi Oatwald, wenn er Natorphilce. S. 386 Reiz and Nervenerregnng im bgarith- mischen Verhältnis des Weberschen Gesetzes zueinander stehen läßt, damit das Prinzip der Konstanz der Energie tatsächlich aoi^bt Mit Recht hebt v. Hart- mann das hervor (Preofi. Jahrbücher Bd. 109 8. 7/8). unentschieden bleibt Hermann. Er findet den psyohophysischen Parallelismns nnbefriedigend wegen seiner Konsequenzen für die Biologie und der Antinomie von logischer Qesetzlidi- keit und physikalischer Notwendigkeit, hat aber gegen die psychophysisohe Kau- salität das Bedenken, daß die seelische Funktion, durch welche Bewegung hervor- gerufen oder geändert werde, »nach den Gesetzen der Mechanik« selbst als eine Bewegung materieller Teile gedacht werden müßte. Lehrb. d. Physiologie, 12. Aufl. 8. 456/457.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechselwirkungstheorie. 467

schöpfende Gültigkeit könnten die Naturgesetze nur dann in An- sprach nehmen, wenn die Natur die gesamte Wirklichkeit erschöpfte, das Naturgeschehen das Geschehen überhaupt, die Naturgesetze Welt- gesetze und die Naturwissenschaft die Wissenschaft schlechtweg wäre. Einstweilen liegt aber doch die Sache noch so, daß es neben der Natur noch eine geistige Welt gibt, die ihre eigene, mit den Mitteln der Naturwissenschaft allein nicht zu bewältigende Gesetzmäßigkeit hat. Und da beide Teile einer sie umfassenden Wirklichkeit und als solche aufeinander angewiesen sind und sich gegenseitig ergänzen, so wird es auch eine noch höhere umfassende Gesetzlichkeit geben, der die nur für einen Teil der Wirklichkeit geltenden besonderen Gesetzlichkeiten, somit auch die Naturgesetzlichkeit, ebenso ein- und untergeordent sind, wie innerhalb der einzelnen Teilgebiete die nie- deren, besonderen Gesetze den allgemeineren, umfassenderen, höheren. Die niederen Gesetzlichkeiten werden dadurch nicht aufgehoben, sondern es wird ihnen nur ein bestimmter Platz angewiesen inner- halb des größeren umfassenderen Ganzen^ zu dem sie als ein be- sonderer Bestandteil desselben gehören; innnerhalb des Kreises, für den sie gelten, haben sie auch ausnahmslose Gültigkeit^) Man kann sagen: nur Gesetze, welche diese beschränkte^ die Ausnahmslosigkeit doch nicht einschließende Gültigkeit haben, sind wirklich Naturgesetze, oder Naturgesetze als solche dürfen und können nur diese Art Gültig- keit haben; Gesetze, deren Gültigkeit über die den Naturgesetzen gezogenen Schranken noch hinaus reichte, die eine schrankenlose Gültigkeit besäßen, würden keine Naturgesetze mehr, sondern würden metaphysische Weltgesetze sein. Die Sätze von der Geschlossenheit der Naturkausalität und der Eonstanz der Gesamtsumme der phy- sischen Energie sind aber weder Naturgesetze noch metaphysische Weltgesetze, sondern Vorurteile, Sätze, die nicht die Welt, sondern nur das Denken einer Anzahl Naturforscher regieren.

Es ist kaum zu bezweifeln, daß dieser Yersuch, den berühmten Satz Ton der Erhaltung der Energie aus der Himmelshöhe, in die man ihn erhoben hat, wieder herabzuholen und in ihm nur den

1) Vgl. E. y. Hartmann, Mod. Psych. S. 368, 413, Eategorienlehre S. 464f. Zeitsclur. f. Ph. u. ph. Er. Bd. 115 S. 17. Die Naturgesetze sind, wie H. sich ausdrückt, allgemeingültig, aber nicht alleingültig. Hier sei auch zum Vergleich an- geführt, was Yolkmann von den Naturgesetzen sagt: »Jedes Naturgesetz will die Natur, die Wirklichkeit nur nach einer Richtung, nach einem Gesichtspunkt be- greifen, ohne daß damit andere Gesichtspunkte ausgeschlossen sein 8ollen.c (£r- kenntnisth. Grundz. d. Naturw. 8. 112).

30*

468 Zweiter Abschnitt. Die psychophysische Wechselwirknngstheorie.

nüchternen Ausdruck des Verhältnisses der aufgewandten zur er- zeugten Energie beim Wirken der Körper aufeinander zu erblicken, ebenso entrüsteter, oder auch mitleidig lächelnder Ablehnung be- gegnen wird, als das unterfangen, die Gültigkeit des Prinzips der geschlossenen Naturkausalität oder des Prinzips der Konstanz der Energie in Zweifel zu ziehen. Über den Sinn des Energieprinzips, wird man sagen, habe der Naturforscher als der alleinige Sach- verständige, nicht aber der spekulative Philosoph zu befinden, der in die Dinge nur hineingerochen und sich ein durch Sachkenntnis nicht getrübtes Urteil gebildet habe. Gemach, erwidere ich. Ich habe den von mir acceptierten Sinn des Energieprinzips nicht selbst gefunden und formuliert, sondern ich habe ihn vorgefunden bei denen, die das Gesetz der Erhaltung der Energie aufgefunden oder nachgeprüft haben, und ich habe ihn unterschieden von dem andern Sinne, den ich gleichfalls bei den Naturforschern gefunden habe. Meine ganze Arbeit an dem Energieprinzip beschränkt sich darauf, die beiden in den Formulierungen desselben, wie ich sie oben angeführt habe, steckenden Bedeutungen zu unterscheiden und zu untersuchen, ob sie zusammen- gehören, ob die eine die notwendige Konsequenz der anderen ist und ob die Gründe, die für ihre Allgemeingültigkeit beigebracht werden, ausreichend sind. Die Untersuchung und Entscheidung der Frage, ob ein Satz die logisch notwendige Konsequenz des anderen ist oder ob er noch auf anderen Yoraussetzun'gen beruht, ob er durch die Argumente, die man, um seine Gültigkeit zu beweisen, vorbringt, genügend gestützt ist oder nicht, wird man aber doch noch zu den Beschäftigungen rechnen dürfen, die dem Philosophen von Rechts wegen zukommen. Auch stellt meine Interpretation des Energieprinzips doch keineswegs eine so unerhörte Auffassung dar, daß sich der gesinnungstücbtige Natur- forscher vor ihr bekreuzigen und sich schaudernd von ihr abwenden müßte; sie wird auch von solchen für durchaus möglich gehalten, die in der Frage der Möglichkeit psychophysischer Wechselwirkung doch schließlich anderer Meinung sind als ich. So sagt Hugo Münsterberg: »Man könnte sagen, daß das Gesetz zwar auch die organischen Körper einschließen mag, dagegen immer nur besagt, daß, wenn Physisches auf Physisches wirkt, eine Kräftegleichung möglich ist, aber durchaus nicht ausschließt, daß auch Psychisches auf Physisches oder Physisches auf Psychisches wirken könne und in diesen Fällen das Gesetz außer Betracht bleiben müsse. ^ Dieser Deutung, erklärt M., stehen keine Tatsachen im Wege, und für die Theorie psychophysischer Wechselwirkung ist volle Freiheit ge-

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der "Wechselwii'kuDgsÜieorie. 469

Wonnen.^) Im übrigen verweise ich auf die Formulierungen, die ich oben eingangs dieser ganzen Untersuchung über das Energieprinzip und seine Stellung zur Theorie der psychophysischen Wechselwirkung gegeben habe.

Das Gesamtergebnis imserer Untersuchung, welche das Energie- prinzip betraf, läßt sich nunmehr dahin zusammenfassen, daß das- selbe, als Konstanzprinzip gefaßt, mit der Wechselwirkungstheorie schlechthin unvereinbar, aber, da es lediglich ein Yorurteil von sehr problematischem Wert, ja von sehr unwahrscheinlicher Gültigkeit ist, nicht im stände ist, die Wechsel Wirkungstheorie unmöglich zu machen, daß es aber, lediglich als Äquivalenzprinzip gefaßt, mit ihr in schönster Übereinstimmung sich befindet. In keinem Fall nötigt also das Prinzip der Erhaltung der Energie, die Ansicht, daß Seele und Leib aufeinander einwirken können, fallen zu lassen. 2)

Zum Schluß erwähne ich noch ein paar weitere Einwände, die man gegen die Möglichkeit psychophysischer Wechselwirkung vor- gebracht und nüt denen man diese Theorie hat stürzen wollen. HöffdiJQg hat das Trägheitsgesetz angeführt.') Aber offenbar liegt die Sache bei diesem ganz analog, wie beim Energieprinzip und auch wie beim Kausalitätsprinzip. Das Trägheitsgesetz besagt an sich nur, daß kein Körper aus dem Zustande, in dem er sich einmal befindet, sei das eine bestimmte Bewegung oder die Buhe, in einen anderen überführt werden kann ohne äußere Ursache, läßt es aber völlig offen , welches Prinzip und Beschaffenheit diese Ursache

1) a. a. 0. S. 407. Daß bei meiner Auffassung das Gesetz der Erh. der Energie kein HindeiDis für die Wechselwirkung sei, bestätigt auch Behmke, Ge- denkschr. f. Haym S. 152. Erst während der Korrektur meines Buches bin ich auf den Aufsatz von H. Schwarz: Das Verhältnis von Leib und Seele, in den Monatsheften d. Comenius-Gesellsch. Bd. VI S. 248 f., gestoBen, in welchem die von mir yerfochtene Intei-pretation des Energiegesetzes auch schon vorgetfagen wird. Das Gesetz drückt nach Schwarz sozusagen mir negativ die Ti'ägheit der vor- handenen physikalischen Energie zur Selbstvennehrung aus, es äußert sich aber in keiner positiven Weise über die Bedingungen der Entstehung neuer physikalischer Energie. Man hat beides verwechselt und somit die Leugnung außerphysikalischer Einflüsse auf das Getriebe der physischen Vorgänge proklamiert (S. 270).

2) Vgl. hierzu noch Hof 1er, Psychologie S. 58, 59. Zu den ganzen Aus- führungen über das Energieprinzip vergleiche man auch meinen Aufsatz: Die Wechsel- wirkung zwischen Leib und Seele und das Gesetz der Erhaltung der Energie in der Sigwart- Festschrift, Tübingen 1902, S. 89— 126.

3) Psychologie S. 38.

470 Zweiter Abschnitt Die psychophysische WechBelwirkungstheorie.

ist Daß diese Ursache stets eine physische sein muß, läßt sich aus ihm nur unter der Yoraussetzung des Axioms der Geschlossenheit der Naturkausalität ableiten.^)

Paulsen fuhrt den Spiritismus gegen die Anhänger der Wechsel- wirkungstheorie ins Feld oder versucht vielmehr ihn ihnen an die Bock- schöße zu hängen: die Annahme, daß ein Oeist auf einen Körper ein- wirken könne, führe direkten Weges zum Spiritismus. »Kann eine spirituelle Substanz den kleinen Einger oder die kleinsten Partikel des Nervensystems bewegen, ohne Aufwendung von »Energie,« die sie ja nicht hat, so ist nicht abzusehen, warum sie nicht auch Tische und Bratpfannen, wie in Besau, in Bewegung setzen sollte.« *) Hierauf ist zu erwidern, daß die Möglichkeit, daß durch einen Oeist einmal eine Bratpfanne bewegt werde, natürlich prinzipiell nicht in Abrede gestellt werden kann: einen logischen Widerspruch enthält der Oe- danke ja nicht Aber nicht aUes, was an sich und in abstracto denkbar ist, hat darum auch schon in der Wissenschaft Daseins- berechtigung. Ähnlich wie das Schema der okkasionalistischen Meta- physik allle möglichen Erregungen aller möglichen Dinge mit allen möglichen Erregungen aller anderen Dinge widerspruchslos zu ver- knüpfen gestattet, während das Prinzip der Äquivalenz von Energie- aufwand und Energieerzeugung das Bestehen eines Eausalverhältnisses in der physischen Welt an nähere Bedingungungen knüpft, so lassen sich auch hier in abstracto viele Eausalverhältnisse au&tellen, von denen aber nur einige durch den Weltlauf wirklich hergestellt

1) Gegen König, Zeitsohr. f. Fh. o. ph. Er. Bd. 115 S. 178/179. Auch Her- manns Behauptung (a. a. 0. S. 456), daß die Seele, wenn sie Bewegung hervor- luft, selbst eine Bewegung materieller Teilchen sein müsse, liegt diese Auffassung zu Orunde. YgL dagegen £. v. Hartmann Mod. Fsyoh. S.347, 348. »Das Be- barrungsgesetc allgemein verstanden ist ein Postulat der Vernunft; das Beharrungs- gesetz in rein materialistisohem Sinn ist ein bloßes Vorurteil der ihre Grenzen über- schreitenden Physik.« VgL auch Höfler, Psychologie 8. 58, 59. H. beruft sich (in d. Anm.) auf eine briefliche Äußerung Boltzmanns, des Inhalts, daß es für den für das Trägheitsgesetz geforderten Begriff »physischer« Kräfte nötigenfiEdls ge- nüge, »wenn zwar die Wirkung (räumliche Beschleunigung), nicht aber die Pro- venienz der Ejräfte als physische gedacht werde.« Um von physischen Kräften zu reden, genüge es, wenn die physischen Veränderungen als durch irgend welche Koordinaten, die nicht räumlich, nicht einmal bloß zeitlich sein müssen, eindeutig bestimmt angenommen werden.« Voß (Die Prinzipien d. rat. Meoh., Encyki. d. math. Wissensch. IV^ 8. 53/54) erklärt das Trägheitsprinzip für überflüssig; es sei eine Täuschung, zu glauben, daß man es in der Erfahrung nachweisen könne.

2) Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 115, 8. 3. Vgl. Einl. i. d. PhiL 8. 66. Vgl. auch Ad icke 8, Kant contra Haeokel 8.34.

Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Wechselwirkuogstheorie. 471

und somit legitimiert werden. Zu den Gepflogenheiten, welche der Weitlaaf tatsächlich durchweg festhält, gehört nun auch diese, daß geistiges Leben stets an das Yorhandensein eines organisierten Leibes gebunden ist und nur auf dieseu unmittelbar, auf alle anderen körperliehen Dinge aber nur durch Yermittlung des eigenen Körpers einzuwirken vermag. Setzt man sich über diese empirisch feststehenden Tatsachen hinweg, so verläßt man eben den Boden wissenschaftlicher Erkenntnis und verirrt sich in das Beich bloßer Möglichkeiten und mythologischer Spekulationen: es ist ja das Wesen aller Mythologie, sich über den erfahrungsmäßigen gesetzmäßigen Zusammenhang der Dinge hinwegzusetzen. Alsdann kann man aber auch auf parallelis- tischem Boden zu Kombinationen kommen, die nicht minder un- wissenschafüich sind als der Spiritismus. Erfahrungsmäßig kann der Mensch einen Tisch oder eine Bratpfanne nur bewegen, indem er die Muskelkraft seiner Arme und Finger, eventuell auch seiner Beine oder seiner Kiefer aufwendet, entfernte Dinge, die er nicht unmittelbar erreichen kann , aber nur durch YermitÜung von Werk- zeugen, auf die er seine Muskelenergie überträgt Setzt man sich über diesen gesetzmäßigen Zusammenhang hinweg, so ist nicht ab- zusehen, warum er nicht auch durch bloßes Handauflegen einen Tisch tanzen oder durch die bloße Bewegung seiner Augenbrauen eine Bratpfanne tanzen lassen oder gar einen Olymp erschüttern soll: Annahmen, die teils auch zum Spiritismus gehören, teils nicht minder wunderbar sind als der Spiritismus selbst.^) Beachtet man dagegen den gesetzmäßigen Zusammenhang der Dinge, so ist auf dem Boden der Wechselwirkungstheorie der Spiritismus genau so ausge- schlossen wie auf paraUelistischem Boden. Diesem Phänomen stehen also beide Theorien gleich neutral gegenüber: den Spiritismus als Argument gegen die Wechselwirkungslehre zu benutzen geht nicht an.')

1) Es ist immerhin bemerkenswert, daß Fe ebner, der doch Anbänger des Parallelismus war, dem Spiritismus nicht direkt ablehnend gegenüberstand. YgL Fe oh- ne rs Tagesansicht u. Nacbtansicbt; E. Laßwitz, Feohner, Stuttg. 1896, S. 106.

2) Vgl. hierzu Rehmke, Die Seele des Menschen, S.38, Wentsober Zeitsobr. f. Ph. u. ph. Er. Bd. 117 S. 82f. Ebenso bat Hartmann den obigen von mir sobon früher gegen Paulsen entwickelten Gründen beigestimmt. Mod. Psych. S. 396. Es ist übrigens interessant, zu sehen, wie ganz ähnliche Schlufifolgerungen , wie sie Paulsen hier der Wechselwirkungslehre vorhält, von anderen auch den Vertretern der inneren psychischen Eausalität, zu denen ja Paulsen gehört, vorgehalten werden: >Oehört esc, sagt Münsterberg Grundz. d. Psych. 8.385, »zur Natur der Bewußtseinsinhalte I daß sie einander beeinflussen können, so könnte sehr wohl zwischen meiner und deiner Vorstellung dieselbe Art des Zusammenhanges be- stehen, die zwei Vorstellungen in mir verbindet«; das Mißtrauen, das man dem

472 Zweiter Abschnitt Die psychopbysische Wechsel Wirkungstheorie.

Warum die unmittelbare Einwirkung der Seele auf den eigenen Leib, ja sogar nur einen Teil desselben beschränkt ist, vermögen wir freilich nicht zu sagen; aber Wundt hat unrecht, daraus der Wechselwirkungstheorie einen Vorwurf zu machen und diesen Um- stand gegen dieselbe auszubeuten: hier bleibe, sagt er, :&das Wunder einer ursprünglichen Fügung« die einzige Ausflucht.^) Als ob diese »einzige Ausflucht« nicht in Hunderten von Fällen, mit denen die Wissenschaft rechnet, uns allein übrig bliebe! Warum zieht der Magnet Eisen an aber kein Holz^), warum gehen bestimmte Stoffe mit bestimmten anderen chemische Yerbindungen ein, mit anderen nicht, und warum verbinden sich die Stoffe gerade in den bestimmten Atom Verhältnissen^ die wir erfahrungsmäßig feststellen? Und warum gibt es überhaupt gerade die chemischen Elemente, die wir kennen (und nicht kennen), aber nicht andere, die ja auch vorhanden sein könnten? Warum zeigt die Wirklichkeit gerade die Konstellationen, die sie wirklich enthält? Auf alle diese Fragen können wir schließlich ebensowenig noch eine weitere Antwort geben, als auf die Frage, warum die Seele gerade auf organische Materie wirkt, auf unorga- nische aber was ja auch denkbar wäre nicht Will man darin ein »Wunder« sehen, so muß man jedenfalls anerkennen, daß das »Wunder der ursprünglichen Fügung« nicht auf den Fall beschränkt ist, bei dem Wundt an ihm Anstoß nimmt ^)

Endlich hat man noch das Perpetuum mobile oder vielmehr die Unmöglichkeit desselben gegen die Wechselwirkungstheorie aus- zuspielen versucht Diese könne man, wenn man die Möglichkeit psychophysischer Wechselwirkung zugebe , nicht mehr behaupten. »Bei geeigneter Anspannung seines Willens müßte jeder im stände sein, im ganzen der Welt mehr Äquivalente mechanischer Arbeit zu leisten, als die Welt im ganzen an ihn wenden muß, um ihn zu erhalten.«^)

Ich erwidere: Das Perpetuum mobile bedeutet ein rein natur- wissenschaflliches Problem, das sich ebenso wie das Äquivalenz-

Telepathen entgegenbringt, sei dann also ungeracht Die eine Behauptung ist genau so unberechtigt als die andere.

1) Orundzüge der physiol. Psyohol. 2. Aufl. 8. 447, vgl. S. 462.

2) Wentscher, Zeitsohr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 117 S. 82.

3) Darüber, daß die Seele, wenn sie auf räumlich -körperliche Dinge ein- wirkt, nicht selbst ein räumlich -körperliches Wesen wird (vgL auch Hermann a.a.O. S. 456), ist früher schon das Nötige bemerkt worden (vgl oben S. 338 Anm. 1). Vgl. auch Hartmann, Mod. Psychol. S. 353, 366.

4) Ebbinghaus a. a. 0. S. 32. Ähnlich H. Schwarz in d. Zeitschr. 1 PhiL u. ph. Kl-. Bd. 112 S. 142.

Zweites Kapitel, Schwierigkeiten der Wechselwirkungstheorie. 473

prinzip, auf dem seine TJnlösbarkeit beruht, lediglich auf die Wir- kungen der körperlichen Dinge untereinander bezieht. Seine TJn- lösbarkeit bedeutet, daß wir keine Maschine bauen können, die einen größeren Betrag Ton Energie zurückerstattet, als zu ihrem Betriebe aufgewendet werden muß. Und das bleibt auch in Kraft, wenn der Geist auf den Körper wirkt. Was aber geschieht, wenn unablässig geistige Kräfte auf ein physisches System einwirken, und ob es durch Zuhilfenahme derartiger Kräfte möglich sein würde, einen Mecha-* nismus zu unterhalten, der, ohne ein P. m. im physikalischen Sinne zu sein, doch das leistet, was das P. m. leisten soll, darüber kann der Grundsatz der Unmöglichkeit des P. m. naturgemäß garnichts aussagen. Ob das Weltall als Ganzes (die in ihm vorhandenen geistigen Kräfte inbegriffen) ein Perpetuum mobile darstellt: wer wollte das ent- scheiden? Gesetzt, das Entropiegesetz bedroht wirklich die gesamte physische Welt in einer nebelhaft fernen, aber nicht unendlich fernen Zukunft mit absolutem Stillstand , was geschieht dann? Wird sie ewig in diesem Zustande verharren, oder wird es ihr dann mit Hilfe der ihr zu Grunde liegenden geistigen Kraft gelingen, über den toten Punkt hinwegzukommen und den Endpunkt der einen Weltphase zu- gleich zum Anfangspunkt einer neuen Weltentwicklung zu gestalten? Es mag vermessen erscheinen, die Frage überhaupt aufzuwerfen, aber ich glaube, wir dürfen der Welt zutrauen, daß sie über diesen Punkt ebenso hinwegkommen wird, wie sie über den Anfangsgleichgewichts- zustand am Anfang der Weltentwicklung, in der wir mitten innen stehen, hinweggekommen ist, wenn auch unsere Naturwissenschaft uns weder sagen kann, wie die Bewegung, welche die jetzige Welt zeigt, in sie hineingekommen ist, noch wie sie aus dem absoluten Stillstande am Ende der gegenwärtigen Weltentwicklung wieder er- zeugt werden wird. Sicher wird der Weltgeist, wenn er der Welt im Momente, da sie stille steht, einen neuen Anstoß geben will, sich weder durch den Respekt vor dem Grundsatz der Unmöglichkeit des Perpetuum mobile noch durch die Pariser Akademie, welche diese Unmöglichkeit aussprach, daran hindern lassen. Undenkbar ist es also nicht, daß durch einen Geist ein System das Weltall etwa in unausgesetzter Bewegung und Tätigkeit erhalten wird, das sich selbst, auf seine eigenen physischen Kräfte angewiesen, nicht in diesem Zustande erhalten könnte. Wenn also jemand durch geeignete Anspannung seines Willens im stände wäre, im ganzen der Welt mehr Äquivalente mechanischer Arbeit zu leisten, als die Welt im ganzen an ihn wenden muß, um ihn zu erhalten, so würde aller-

474 Zweiter Abschnitt Die psychophysische Wechselwirkongstfaeorie.

dings ein fortwährender Überschuß von Energie in ihr erzielt werden. Da aber von den uns bekannten Wesen erfahrungsmäßig keines im Stande ist, seinen Willen in dieser Weise anzuspannen, so können wir über die Frage, ob der Geist ein Perpetuum mobile schaffen kann, ebenso zur Tagesordnung fortgehen, als über die andere, ob er Tische oder Bratpfannen tanzen lassen kann. Wer das Perpetuum mobüe gegen die Wechsel Wirkungstheorie ausspielt, begeht den Fehler, einen physi- kalischen Grundsatz mit einem naturphilosophischen bezw. metaphysi- schen Prinzip zu verwechseln.^)

Unüberwindliche Schwierigkeiten stellen sich der Wechsel- wirkungstheorie, die sich uns aus inneren Gründen empfahl, nicht in den Weg. Weder das Axiom der geschlossenen Naturkausalität noch der Satz der Erhaltung der Energie machen ihre Durchführung tatsächlich unmöglich. Die als unbestreitbare Wahrheiten und mit dem Anspruch absoluter Gültigkeit auftretenden angeblichen Grund- sätze erwiesen sich bei näherer Betrachtung als bloße subjektive An- nahmen, als Glaubenssätze, die nicht im stände sind, eine durch so mannigfache Gründe gestützte, durch die Tatsachen wie durch allge- meine Erwägungen philosophischer Natur gleich nahe gelegte Theorie, wie die der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele, ad (absurdum zu führen, und dasselbe gilt von den übrigen Argumenten. Mit dem Äquivalenzprinzip aber, das einen wirklichen und echten Grund- satz darstellt, stimmt die Wechselwirkungstheorie auch aufs beste zu- sammen. Wir können uns der Yorteile, welche dieselbe gewährt, erfreuen, ohne befürchten zu müssen, uns in Widerspruch mit an- erkannten, allgemeingültigen Wahrheiten zu befinden. Und so ent- scheiden wir uns denn, an der Wechsel Wirkungstheorie festzuhalten und das Verhältnis zwischen Geist und Körper, Seele und Leib in ihrem Sinne zu bestimmen. Geist und Körper, Seele und Leib sind einander zugleich entgegengesetzt und stehen in Wechselwirkung mit- einander als einander ergänzende Bestandteile des absoluten, sie beide umfassenden und in sich fassenden Weltganzen.

1) Man Tgl. hierzu Münsterberg S. 409. Der P. m, - Satz bezieht sich nach M. nur auf die anorganische Welt; ob nicht die protoplasmatische Welt tatsächlich ein P. m. darstelle, sei jeder empirischen Beweisfdhmng prinzipiell entzogen. Auch Helmholtz faßt, wie aus seinen Ausführungen hervorgeht (Über die Wechsel- wirkung der Naturkräfte und Über die Erhaltung der Kraft, a. a. 0. 8.34,35,39, 187, 188) den P. n».-Satz lediglich als ein naturwissenschaftliches Problem auf. Vgl. auch H. Schwarz a. a. 0. S. 269/270.

Dritter Teil

Schlussbetrachtung.

Onmdziige einer ideallstisch-spiritaalistischeii Weltanschauung.

Wir stehen am Ende unserer Wanderung. Yon den drei Haupt- standpunkten, die i¥ir hinsichtlich der Frage nach dem Yerhältnis von Geist und Körper, Seele und Leib unterschieden: dem materialisti- schen, dem paralleUstischen und dem dualistisch -kausalistischen, haben wir den letzten als den natürlichsten und durch überwiegende Gründe gestützten festgehalten, den Standpunkt, der die geistige und die körperliche Welt einander entgegen und zugleich in Beziehung zu einander setzt Mit der Feststellung und Begründung dieses Stand- punktes, d. h. mit der Entscheidung der Frage, in welcher Weise das Yerhältnis des Physischen zum Psychischen zu denken sei, ist der Zweck, den dies Buch verfolgte, erreicht, die Aufgabe, die es sich stellte, erfüllt. Die Zeichnung des Weltbildes, wie es sich unter der Yoraussetzung einer Wechselwirkung zwischen Leib und Seele gestaltet, gehört nicht mehr zu seiner Aufgabe, nur ein paar Andeutungen darüber mögen gestattet und werden dem Leser vielleicht nicht unwillkommen sein.

Halten wir zunächst an der Yoraussetzung einer an sich existi- renden Körperwelt, durch welche unser empirisches Weltbild be- stimmt ist, fest, so stellt unsere Auffassung dieser Körperwelt das Geistige als eine von ihr spezifisch verschiedene Wirklichkeitsform gegenüber, setzt es aber zugleich zu ihr in Beziehung, indem sie es Einfluß auf sie ausüben und solchen von ihr erleiden läßt. Die Selbständigkeit, welche das Geistige gegenüber der Körper weit besitzt, hindert nicht, daß es zugleich in mannigfacher Hinsicht von ihr ab- hängig ist Diese Abhängigkeit betrifft schon die Entstehung des Geistigen, weiter seine Entwicklung.

476 Dritter Teil. SchluBbetrachtoDg.

Die physische Welt erscheint zunächst sich selbst und ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit völlig überlassen, nichts in ihr deutet auf psychische Faktoren, die sie beeinflussen, hin. Erst wenn die Be- dingungen, an welche der Weltlauf die Entstehung geistigen Lebens geknüpft hat, erfüllt sind, wenn die Entwicklung einer Zellengruppe bestimmte Formen erreicht hat, tritt das Seelische auf, nicht als Eigenschaft oder Erzeugnis der Materie und ihrer Kräfte, auch nicht als Summa tion oder Integration schon vorhandener, die innere Seite der »Atome« repräsentierender psychischer Keime, sondern als etwas ganz Neues, durch die Gestaltung der Körperwelt zwar Bedingtes, aber aus ihr nicht Erklärbares. Für die physisch -empirische Be- trachtung entsteht es aus nichts, d. h. so, daß in den die körperliche Welt zusammensetzenden Elementen und Kräften die bewirkenden und erzeugenden Ursachen seines Erscheinens, die catisae effi- cientes desselben, nicht erblickt werden können. Will man das ein Wunder nennen, so mag man es tun, man bedenke aber auch, daß der Ausspruch Stumpfs in seinem gedankenreichen Yortrage: Der Entwicklungsgedanke in der gegenwärtigen Philosophie (Leipzig 1900) zu Recht besteht: »Ein Wunder^ das sich regelmäßig unter bestimmten Umständen wiederholt, ist kein Wunder mehr, sondern gehört unter die Naturgesetze. « 0 Und wie die Entstehung des Geistigen über- haupt^ so ist auch die Entstehung höherer Wesen an das Vorhanden- sein bestimmter physischer Bedingungen gebunden. Wenn und wo immer die Bedingungen für die Betätigung einer höheren seelischen Wesensart gegeben sind, da tritt sie auf, nicht aus dem bereits vor- handenen geistigen »Stoffe« durch Um- und Fortbildung hervor- gehend, sondern zu ihm hinzutretend als eine neue, durch den Sinn des Ganzen geforderte und vom Weltlauf an das Erfülltsein bestimmter Bedingungen geknüpfte Form geistigen Daseins. Auch die mensch- liche Seele ist also nicht die Um- und Fortbildung der AfFenseele oder der Seele eines affenähnlichen Geschöpfes, sondern eine zwar in vielen Zügen ihrer Organisation mit den übrigen Wesen überein- stimmende, in anderen aber auch von ihnen abweichende neue und eigenartige Ausprägung der allgemeinen Idee der Geistigkeit Sie tritt auf, sobald auf physischer Seite die Ausbildung der Organismen eine Höhe erreicht hat, welche die Betätigung eines derartigen geistigen Lebens, wie es der Mensch repräsentiert, möglich macht. Wir haben also eine unstetige deshalb doch nicht planlose

1) S. 17. Auch Hermann hält es a. a. 0. S. 455 nicht für widersinnig, die psychische Funktion erst mit der organisierten Form beginnen zu lassen.

Grundzüge einer idealistisch -spiritualistischen Weltanschauung. 477

und ungeordnete Entwicklung auf der psychischen Seite, ver- knüpft mit einer stetigen und allmählichen Entwicklung auf der phy* sischen Seite. Hier können wir die Kontinuität der Entwicklung zugestehen, welche die naturwissenschaftliche Betrachtung als die zwar nicht einzig mögliche, aber doch ihrer ganzen Anschauungs« weise am meisten entsprechende Vorstellung in Anspruch nimmt. Wir können annehmen, daß die organischen Gebilde unter geeigneten Umständen aus der unorganischen Natur hervorgeben, durch die Elemente und Kräfte derselben hervorgebracht, erhalten und, soweit nicht psychische Faktoren in Betracht kommen, weitergebildet werden: und wir können ferner annehmen, daß aus einer oder aus mehreren Urformen sich die höheren organischen Typen in allmählicher und stetiger Umbildung entwickelt haben bis zum Menschen hinauf. Dieser stetigen und allmählichen Entwicklung auf der körperlichen Seite entspricht aber nicht eine gleich allmähliche und stetige Ent- wicklung auf der geistigen Seite. Nicht aus primitiven psychischen Atomen gehen die höheren geistigen Wesen hervor, sondern mit bestimmten Stufen, welche die Entwicklung in ihrem fortschreitenden Gange erreicht, ist das Auftreten neuer, aus den bereits vorhandenen Formen nicht folgender Formen geistigen Lebens verknüpft, die nun, nachdem sie einmal da sind, ihrerseits auf den Ablauf des physischen Geschehens einen mitbestimmenden Einfluß ausüben und die Ent- wicklung der Organismen durch stetige Einwirkung in einer Weise ausgestalten, die ohne diese Einwirkung durch die physischen Kräfte des Organismus allein doch nicht zustande gekommen sein würde. Stumpf, mit dem ich mich in dieser ganzen Auffassung begegne, weist mit Recht darauf hin, daß die mathematische Funktionenlehre uns Beispiele solches Verhaltens an die Hand gibt, Fälle, in denen einer stetigen Veränderung eines x unstetige Veränderungen eines zu ihm im Verhältnis funktioneller Abhängigkeit stehenden y ent- sprechen.^)

Was aber von der phylogenetischen Entwicklung gilt, gilt auch von der ontogenetischen, der Entwicklung im einzelnen. Auch hier ist das Höhere nicht einfach durchgängig durch Umbildung des Niederen zu erklären, die höheren Sinne nicht aus den niederen, das logische Denken nicht aus den Empfindungen, die moralischen Gefühle nicht aus den Affekten der Furcht und dem Streben nach Selbsterhaltung abzuleiten. Sondern auch hier entspricht einer stetigen

1) a. a. 0. S. 18. Vgl. auch das Buch von Waliao e, Researches into Darwi- nism (Lindsay, Recent Advances usw. S. 341).

478 Dritter Teil. Schlußbetrachtmig.

Entwicklung auf der physischen Seite, welche aus der Sensibilität der Haut die höheren Sinnesorgane, aus dem Plasma Nerven und Oehirn hervorgehen läßt, eine unstetige Entwicklung auf der psychi- schen Seite. Wenn die Bedingungen auf der physischen Seite ge- geben sind, so fügt die Seele die neue, in ihrem Wesen begründete Fähigkeit hinzu. Man kann in der Psychologie nicht alles aus einander ableiten, sondern muß qualitative und spezifische Differenzen der seelischen Betätigung anerkennen. »Während die Erforschung der Natur immer mehr dahin drängt, die Yerschiedenheiten des Organi- schen vom unorganischen, der chemischen von den physikalischen Prozessen und wiederum die Verschiedenheiten innerhalb jeder dieser Oruppen auf einheitliche Stoffe und Ei-äfte zurückzuführen, sieht sich der Psychologe bei genauer Prüfung auf die Anerkennung zahlreicher eigenartiger Elemente und Yorgänge geführt« ^) Damit sind wie der entwicklungsgeschichtlichen so auch der experimentellen Psychologie Schranken gezogen, die sie nicht überschreiten kann. Der mensch- liche Geist läßt sich nicht in einen psychischen Mechanismus auf- lösen; sein Wesen besteht in dem Ineinander von Mechanismus und Spontaneität, und vielleicht liegt für eine letzte Betrachtung die Sache so, daß erst seine Stellung in einer Welt von gesetzmäßig zusanmienhängenden körperlichen Dingen, auf die zu wirken und von denen Einwirkungen zu erleiden er genötigt ist, ihm die mechanische (Gesetzmäßigkeit au&ötigt, die, dem Wesen des Geistes an sich fremd, ihm nun anhaftet Dann wäre der psychische Mechanismus, den die eindringende psychologische Forschung enthüllt, eine Folge der End- lichkeit und Beschränktheit des menschlichen wie jedes irdischen, jedes geschaffenen Gtoistes. Dieser Mechanismus ist nun da, er stellt eine Seite des Geistes, so wie wir ihn kennen, dar, aber der Geist geht nicht in diesem Mechanismus auf, er bedient sich seiner auch als eines Mittels, um sich zu entlasten. Und so ist denn auch, wie die Dinge tatsächlich liegen, keine Aussicht vorhanden, die gesamte geistige Tätigkeit in ihren höchsten Leistungen als einen in jedem Augenblick eindeutig bestimmten, nach bestimmten Gesetzen von einem gegebenen Anfangspunkt aus mit Notwendigkeit ablaufenden machanischen Prozeß darzustellen: nur die zeitiiche Daner wird man natürlich stets messen können, da auch die höchsten und erhabendsten Betätigungen des Geistes in der Zeit verlaufen und der Zeitform nicht entbehren können.

1) Stumpf a.a. 0. S.20.

Orundzüge einer idealistisch -spiritoalistischen WeltansohauoDg. 47 g

Der Geist ist aber nicht nur von der körperlichen Welt abhängig und trägt in seinem Wesen Züge, welche auf diese Abhängigkeit hin- deuten, er wirkt auch seinerseits auf den Körper, zunächst und am durchgreifendsten auf seinen eigenen, ein, und so ist auch dem Körper der Stempel des Geistes aufgedrückt, so trägt auch die Natur, trägt das Antlitz unseres Erdballs Züge, welche sich als Spuren der Einwirkung des Geistes erweisen wie denn schließlich für den schärferen Blick auch das physische Weltall überhaupt in seiner durchgreifenden Rationalität, seiner Gesetzmäßigkeit und dem Aufeinanderbezogensein aller seiner Bestandteile die unablässige, allgegenwärtige Einwirkung ' des absoluten Geistes erkennen läßt, der allen Dingen zu Grunde liegt, aller Dinge Ursprung und Quell ist.

Metaphysisch ändert sich das Weltbild, wie wir es im Vor- stehenden entworfen haben, in einigen wesentlichen Zügen. Die körperliche Welt als solche verschwindet, sie ist eine bloße Erscheinung für den auffassenden Geist; an ihre Stelle tritt etwas Geistiges. Die idealistisch -spiritualistische Metaphysik, deren Gültigkeit wir hier, ohne sie weiter zu begründen, stillschweigend voraussetzen, kennt kein körperliches, sondern läßt nur geistiges Sein gelten: Alle Realität ist Geistigkeit, lautet ihr Spruch. Innerhalb dieser aller ideaUstisoh- spiritualistischen Metaphysik oder dürfen wir nicht sagen: aller Metaphysik? gemeinsamen Auffassung lassen sich aber man vergleiche die Übersicht, die in der Einleitung gegeben ist noch mehrere speziellere Ausgestaltungen derselben unterscheiden. Die monadologische Metaphysik läßt den absoluten Geist in sich eine Reihe geistiger Wesen setzen, die, einförmige und sich stets gleich- bleibende Ausprägungen bestimmter Ideen und einer sie ausnahmslos beherrschenden Gesetzmäßigkeit unterworfen, keine andere Bestim- mung haben, als den festen, dauernden Hintergrund zu bilden für die höheren und zu einer Entwicklung berufenen Wesen, die eine be- sondere Mission in der Welt zu erfüllen haben. Sie selbst sind keiner Entwicklung fähig, alle Entwicklung betrifft nur ihre äußeren ver- änderlichen Kombinationen, aber nicht sie selbst und ihr inneres Wesen. So stellen sie gewissermaßen eine bestimmte, dauernd sich gleichbleibende Willensrichtung des Absoluten dar, die erst in den übrigen von diesem verfolgten Zwecken ihre Erklärung und Recht- fertigung, sowie die Gewähr der Konstanz der in ihnen waltenden Gesetzmäßigkeit findet. In diesen Zusammenhang primitiver geistiger Wesen (Dingmonaden) treten nun die höheren, einer wenn auch endlichen und beschränkton, unter unterständen sehr beschränkten

480 Dritter Teil. Schlaßbetrachtung.

Entwicklung fähigen Wesen (Seelenmonaden) ein , um auf dem von ihm dargebotenen Grunde sich zu betätigen und ihre Mission zu erfüllen. Sie treten in Beziehungen zu ihm und werden durch ihn bedingt und bestimmt Wir brauchen die Abhängigkeitsbeziehungen, wie wir sie auf dem Boden empirischer Betrachtung aufgefaßt und formuliert haben, nur in die metaphysische Ausdrucksweise zu kleiden^ um sie auf metaphysischem Gebiet wieder zu erhalten. Bestimmte Konstellationen der Dingmonaden, welche der Weltgeist durch die gesetzmäßige Ordnung, die er ihnen gegeben, selbst herbeiführt, bilden für ihn die Veranlassung, aus sich heraus die verschiedenen Seelen zu erzeugen, die nach dem Sinne des Ganzen zu ihnen ge- hören; wie ihre Entstehung, so hat er auch ihre Entwicklung in der Weise, wie wir sie oben geschildert haben, an bestimmte, auf gesetzmäßigem Wege, eventuell auch durch Witwirkung der Seelen selbst herbeigeführte Kombinationen von zu einem System vereinigten Dingmonaden geknüpft. Aus dem Absoluten selbst, nicht aus nichts entsteht also die Seele ^), aus ihm erzeugt tritt sie in den Zu- sammenhang der die »Welt« bildenden Elemente und damit auf den Schauplatz, auf dem sie ihre Bestimmung, ein wertvolles, an den sitüichen Zwecken der Weltentwicklung mitarbeitendes Glied zu sein, erfüllen soll. In der sinnlichen Wahrnehmung, welche den aus dem Absoluten geborenen endlichen Geistern ob allen, können wir natürlich nicht mit Sicherheit entscheiden eigentümlich und für die praktischen Aufgaben, die sie zu lösen haben, unentbehrlich ist, er- scheint aber jene Seite des Absoluten, welche durch die in ihm ge- setzten Dingmonaden repräsentiert wird nicht das Absolute in seiner vollen Wesenheit selbst, noch die in ihm gesetzten »Seelen«^ als eine Welt körperlicher, im Raum seiender und sich bewegender Dinge, die innere Ordnung und Gesetzlichkeit ihres Zusammenhanges als ein System unverbrüchlicher Naturgesetze und die wechselseitige Beeinflussung von Seelen und Dingmonaden als ein Wirken der Seelen auf ihre Körper und der Körper auf die Seelen. Als physischer Aus- druck bloß eines Teiles, einer Seite des Absoluten muß aber der Kosmos notwendig einen fragmentarischen Charakter tragen. Dazu be- stimmt, einem Reich höherer Wesen als Schauplatz seiner Betätigungen zu dienen, ein System von Mitteln darzustellen^ deren sich dieselben

1) Vgl. Lotze, Metaphys. 1879 S. 488—490, S.498.

2) Vgl. hierzu auch Wentscher, Zeitschr. f. Ph. u. ph. Kr. Bd. 117 S.88, sowie Lipps, Das Selbstbewußtsein; Empfindung u. Gefühl, Wiesbaden 1901, 8. 40, ferner Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorgane Bd. 25 S. 164.

Qnindzüge einer idealistLSoh-spiritnalistischen 'Weltanschaamig. 481

zur Erreichung ihrer Zwecke bedienen i), hat er den Anforderungen der Gleichmäßigkeit und ünveränderlichkeit nur so weit zu genügen, als es für diesen Zweck nötig ist: die Forderung, daß er ein ewig sich gleich bleibendes Quantum von Energie darstellen und seine Gesetzmäßigkeit eine in sich völlig abgeschlossene sein müsse, hat, vom Standpunkte unserer Weltanschauung aus betrachtet, keine innere Berechtigung. Sie läßt sich ja auch, wie wir gesehen haben, in keiner Weise als notwendig erweisen.

Der objektive Idealismus^) setzt an die Stelle der Ding- monaden, welche das Absolute nach der monadologischen Ansicht in sich setzt und denen nach derselben Ansicht ein Fürsichsein zukommt, die Vorstellung der körperlichen Welt, welche das Absolute in sich der Notwendigkeit seiner Natur zufolge erzeugt und in die es eine besondere Seite seines Wesens hineinlegt. Mit bestimmten, durch die Gesetzmäßigkeit des Absoluten bedingten Gestaltungen der einzelnen Inhalte, welche zu dieser Yorstellung gehören, ver- knüpft dann das Absolute das Auftreten aus ihm stammender und in ihm bleibender Seelen, in denen dasselbe Weltbild, das in vollendeter Gestalt nur im Bewußtsein des Absoluten vorhanden ist, in endlicher, unvollkommener und sinnlich gefärbter Gestalt erscheint*) Im übrigen bleibt alles beim alten; die Yorstellungen über den Zu- sammenhang zwischen den physischen Erscheinungen und den Seelen lassen sich alle auch auf dem Boden des objektiven Idealismus durch- führen.

Eine Erörterung der Frage, welche von den beiden meta- physischen Yorstellungs weisen den Yorzug verdient, liegt außerhalb des Rahmens der Aufgaben, die sich dieses Buch gestellt hat Mir will scheinen, als ständen der Durchführung des objektiven Idealismus im ganzen doch mehr Schwierigkeiten entgegen, als der Monado- logie. Die Notwendigkeit, die er voraussetzt, daß es zum Wesen

1) Vgl. Wentscher, Schrift S. 43 ,545, Ethik S. 301; Volkmann, Über die Existenz, Eindeutigkeit und Vieldeutigkeit d. Probleme, Ostwalds Annalen d. Naturphilosophie I. S. 132; v. Hartmann, Phil, d, ünbew. m. S. 26 (10. Aufl.), Drews, E. v. Hartmann System, S. 166, 167.

2) Den subjektiven Idealismus, für den die physische Welt nichts weiter als die VorsteUung endlicher Wesen ist, lasse ich hier beiseite. Er vermag die psychischen Zustände und ihre Entwicklung nicht in allgemeingesetzlicher Weise von den Ver- änderungen der physischen Welt abhängig zu machen, sondern ist genötigt, auf den Willen des Schöpfers, der die Bilder in den einzelnen Seelen hervorruft und ändert, unmittelbar zu rekurrieren.

3) Vgl. Z.B.Bergmann, untersuch, über Hauptpunkte d. Philos. S. 281f. Busse, Geist und KOiper, Seele und Leib. 31

\

482 Dritter Teil. Sohlnübetnu^htong.

jedes und somit auch des absoluten Geistes gehöre, ein Weltbild in den Formen räumlicher Anschauung zu entwerfen, läßt sich nicht nachweisen, und die Auffassung, daß das Absolute dieses Weltbild haben und zugleich sich seines Charakters als bloßer Erscheinung bewußt sein soll, wird manchem befremdlich erscheinen. Die Iden- tität des kosmischen Weltbildes des Absoluten mit den in den end- lichen Geistern enthaltenen beschränkten und unvollkommenen Bildern bildet eine Schwierigkeit, die au£sulösen bisher wenigstens noch nicht genügend gelungen ist. Endlich läuft der Idealismus, wenn er der Frage, wie weit die Grenzen der Beseeltheit in der Welt reichen, näher tritt, doch Gefahr, sobald er diese Grenzen bis in die unor- ganische Welt vorschiebt, wieder in die Monadologie zurückzufallen. Indes, das ist eine Frage für sich. In der Hauptsache stimmen die beiden Standpunkte, die Monadologie und der objektive Idealismus, überein; dieser Übereinstimmung gegenüber sind die sie trennenden unterschiede von geringerer Bedeutung. Beide gelangen und das ist der für uns wichtigste Punkt ihrer Übereinstimmung , wenn sie die metaphysischen Yorstellungen auf die Ebene der empirischen Betrachtungsweise projizieren, zu dem Ergebnis, daß der Geist auf den Körper, der Körper auf den Geist wirkt Das ist das Ergebnis, zu dem auch wir nach der umfassenden Prüfung, die wir angestellt haben, gelangt sind und an dem wir festhalten wollen als an der richtigen Lösung der Frage, deren Beantwortung sich dieses Buch zur Aufgabe gemacht hat, der Frage nach dem Yerhältnis von Geist und Körper, Seele und Leib.

Nachträge.

-Zu S. 16. AxLoh Verworn, ZiehemmdMach dürfen als solche , die den Materia- lismus aus erkenntnistheoretischen Gründen ablehnen, genannt werden.

•Zu S.40. Das Argument der ünvergleiohlichkeit des Physischen und des Psy- chischen benutztauch Lipps, Grandtatsachen des Seelenlebens, Bonn 1883, S. 5.

Zu S.42 Anm. Tgl. z. B. auch Mach, Die Analyse d. Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, 3. Aufl., Jena 1902, S. 253/254.

Za S.101 n. 109. Daß Ziehen sowohl beim materialistischen wie beim idea- listischen Parallelismus erwähnt wird, wird niemanden, der Ziehens eigen- tümlichen Standpunkt kennt, befremden. Eine Erklärung gibt Hartmann, Weltansch. d. mod. Physik, S. 219, 220.

Zu 8.144—159, 162—183, 255—263. Durch die Ausführungen dieser Seiten wird auch der Standpunkt Avenarius' und Machs mitgetroffen. Daß auf idealistischer Grundlage ein Kausalzusammenhang der »physischen«, d. h. der bei objektiver Beü-achtungsweise als solche anzusehenden Vorgänge und der »psychischen« Prozesse sich ergibt, der, wenn die empirisch -realistische Auf- fassnngsweise an die Steile der idealistisch -metaphysischen gesetzt wird, einen psychophysischen Kausalzusammenhang, also die Wechsel Wirkungstheorie er- gibt, zeigt auch deutlich das von Mach, Analyse d. Empfindungen (3. Aufl. Jena 1902) S.28 gegebene Schema, mit welchem das Hey|m ans sehe, von mir S. 155 wiedergegebene Schema zu vergleichen ist

Der M ach- Avenar ins sehe Standpunkt leidet zudem noch an der inneren Unmöglichkeit, daß, wenn die Empfindung das räumliche Objekt und dieses je nach der Beziehung, in die es gesetzt wird sowohl ein Psy- chisches wie ein Physisches ist, es einerseits die Ursache des Netzhautvor- ganges, andererseits von ihm abhängig, seine Wirkung ist.

Für Machs Standpunkt vgl. besonders die S. 13, 35, 47 49, 50, 178, 235 f., 263, 279 s. Analyse d. Empfindungen (3. Aufl.).

Zn 8.188 190. Daß die kausalistische Auffassung des Verhältnisses der phy- sischen und psychischen Vorgänge logisch befriedigender ist als die paraile- listische, bemerkt auch Schwarz, Das Verh. v. Leib u. Seele, Monatsh. d. Com. -Ges. VI, S.263.

Zu 8.197 Anm. 2. Vgl. auch Mach, Analyse der Empf., 3. Aufl., S.70f., 256 f.

Zn 212* Don hier erörterten Fehler begeht auch Schwarz, Monatshefte d. Comenius- Gesellschaft Bd. VI, 1897, S. 254— 256.

Za 8.221 229. Die Unmöglichkeit, zu der Einheit des Bewußtseins und den Akten des beziehenden Denkens ein physisches Analogen zu finden, betont

31*

484 Naohträge.

auch Dilthey, Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie» Sitzungsber. d. Kgl. preuß. Ak. d. Wiss. z. Berlin 1894 ' S. 1340. Vgl. auch S. 1394.

Za S.227 Aiim.8. Vgl. auch N. y. Orot in s. Aufsätze S. 312/313.

Zu S.282. Das Wents oh ersehe Argument findet sich auch bei Schwarz, Monatsh. d. Com. -Ges. VI, 8.258.

Zu S.246 Aiim.4. Die Entwicklungslehre benutzt auch Thiele als "Wafife gegen den Parallelismus, Phil. d. Selbstbewußtseins 8. 249 f., ebenso Schwarz, Monatsh. d. Com.- Ges. VI, S. 263, 271.

Zu S.818 821. Zu der Unterscheidung der cognitio rei und der oognitio circa rem TgL auch Dilthey, Sitzungsberichte d. KgL preuß. Ak. d. Wiss. z. Berlin 1894' S. 1314: »Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir.< V^ auch S. 1322.

Za S.93S Aiim.2* Ich erwähne femer noch Schwarz, Monatshefte d. Com.- Ges. VI, S. 258.

Zu S.SeO/a61 (Wundt). Auch Dilthey (Sitzungsber. d. Kgl. preuß. Akad. d. Wissensoh. z. Berlin 1894* S. 1337) erblickt in den Wundt sehen Annahmen eine Abschwäohnng des Parallelismus.

Zu S.862 ABm.8« Auch Mach anerkennt, daß der Wille auf dem Standpunkte des Parallelismus zu eliminieren ist. Analyse d. £mpf. 8.78, 1271

Zu S. 868 870. Auch die verklärte Lebensanschauung, das ethische Ideal, von dem Mach (Analyse d. Empfindungen, 3. Aufl., S. 19/20) spricht, kann dann gamicht erreicht werden, wenn der Parallelismus zu Recht besteht und als Weltanschauung sich durchsetzt Man muß dann nicht nur mit Mach auf individuelle Unsterblichkeit, sondern überhaupt auf alle Ideale verzichten, sie lösen sich ebenso in Illusionen auf, wie das Ich nach Mach eine solche ist

Za S.806« In Übereinstimmung mit der hier geäußerten Ansicht erklärt Dilthey (Sitzungsber. d. Ak. d. Wiss. zu Berlin 1894' S. 1332/1333) den Parallelismus für einen verschleierten Materialismus.

Za 8. 885 Anm. 1. Die gleiche Tendenz verfolgt auch Diltheys Werk: Einleitung in die Geisteswissenschaften.

Za S.410 Anm. 2. Äquivalenz- und Konstanzprinzip werden unterschieden bei Beinke a. a. 0. S. 147.

Za 415 Anm. 8 (Mach). Vgl Analyse d. Empfindungen, 3. Aufl., S. 255.

Za S. 489/440. Auch Mach äußeij: sich dahin, daß das Energieprinzip an sich die psychophysische Wechselwirkung im Sinne einer Auslösung noch nicht unmöglich mache (Die Analyse der Empfindungen, 3. Aufl., S. 43 Anm.).

Za S. 468 Anm.l« Übrigens stellt Mach in s. »Analyse d. Empfindungen €, 3. Aufl., S. 32 (Abschnitt: Über vorgefaßte Meinungen) die Behauptung: die Energie muß konstant sein, auf eine Stufe mit der anderen: der Mensch darf nicht vom Affen abstammen«. Der Energiesatz ist ein Dogma.

Autorenregister.

Aars 66. 72. 100. 102. 189. 413

Adanüdewicz 300

Adickes 14. 16. 23. 26. 29. 39. 51. 99.

111. 113. 131. 138. 139. 238. 239.

271. 316. 333. 394. 400. 413. 419.

434. 443. 448. 470 Ayenarins 483

Bain 42. 106

Baidwin 310

Bayle 287 288

Bergmann 16. 24. 29. 42. 57. 58. 179.

180. 181. 189. 238. 239. 328. 444. 481 Berkeley 338 Blomenbach 271 Boltzmann 414. 439. 470 Boussinesq 444 Buckle 249 268. 308 Bunge 242 Busse 41. 51. 53. 66. 87. 111. 121. 143.

168. 169. 173. 192. 198. 211. 231. 241.

250. 251. 261. 310. 311. 318. 326. 329.

359. 386. 391. 402. 404. 425. 431. 437. . 444. 461. 462. 469. Büchner 13. 14. 25. 32. 59. 317 Bütschli 101. 200. 211. 236. 237. 238.

241. 245. 438

Carnot 405. 420

Garus 106. 138

Chase 458

Glausius 405. 414. 420. 463

Clifford 106. 234

Comte 353. 463

Cournot 444

Bilthey 42. 43. 192. 484

Drews 86. 481

Driesch 243

Drude 415

Dubois-Reymond 14. 15. 17. 23. 39. 40.

48. 59. 203. 204. 329. 346. 385. 413.

414. 444 Duhem 415

Ebbinghaus

146. 147.

298.300.

364. 384.

421. 422.

453. 454. Erhardt 43.

145. 154.

174. 187.

246. 248.

315. 316.

419. 426. Exner 300

18. 29. 51. 109. 131. 139. 148. 151. 153. 190. 212. 224. 330. 331. 332. 338. 345. 362. 389. 412. 414. 415. 416. 419. 424. 426. 443. 444. 445. 447.

472

66. 69. 72. 94. 100. 143. 155. 160. 161. 162. 163. 169. 189. 190. 192. 212. 232. 245. 250. 256. 260. 262. 310. 312. 317. 359. 362. 377. 398. 413.

427. 428. 437. 443. 453

Faickenberg 111

Fechner 67. 87. 88. 89. 99. 108. 109.

131. 135. 136. 137. 138. 141. 179. 215.

227. 262. 323. 333. 338. 341. 350. 364.

371. 372. 376. 406. 411. 439. 457. 460.

471 Flechsig 300 Flügel 185

Fräser 248. 254. 263. 377. Fullerton 211

Gaupp 106

von Orot 418. 419. 426 484

486

Autor^nregister.

Orotenfeld 246. 262 Gutberlet 69. 76. 189. 204. 328. 359. 398. 425

Haeckel 14. 99. 107. 138. 271. 343. 345

T. HansteiD 242

y. flartmann 66. 69. 72. 86. 89. 95.

101. 103. 108. 131. 144. 145. 150. 155.

158. 163. 173. 179. 183. 187. 190. 202.

204. 227. 240. 246. 248. 260. 262. 274.

280. 314. 328. 338. 339. 341. 343. 346.

359. 361. 385. 398.406.413.416. 418-

424. 425. 426. 429. 437. 438. 445. 446.

447. 448. 453. 458. 459. 466. 467. 470. 471. 472. 481. 483

Heinrich 102. 205. 215. 219. 294. 388.

393. 448. 457 Helm 415. 442 Helmholte 23. 409. 410. 414. 4r)2. 453.

454. 457. 463. 474 Hering 101

Hermann 237. 359. 413. 466. 472. 476 Hertz 23. 24. 464 Heymans 70. 99. 108. 119. 131. 136. 137.

147. 148. 149. 150. 151. 153. 155. 156.

157. 158. 160. 161. 164. 165. 166. 167.

168. 177. 189. 227. 255. 256. 259. 404.

483 Höffding 99. 109. 110. 116. 134. 141.

183. 212. 215. 226. 329. 413. 425. 445.

448. 458. 460. 469

HöHer .39. 143. 152. 164. 187. 189. 215.

250. 253. 310. 439. 469. 470 Harne 41. 282. 317 Huxlev lOG. 254

James 26. 43. 47. 70. 100. 119. 143.

187. 189. 190. 227. 242. 244. 248. 253.

288. 289. 300. 323. 327. 328. 329. 330.

341. 344. 398 Janet 444

Jemsalem 187. 192. 439 JevoDS 42 Jodl 54. 95. 96. 97. 98. 99. 100. 106.

157. 185. 190. 193. 194. 246. 247. 262.

271. 273. 274. 333. 354. 364 Joiüe 206. 452. 453. 463

Kant 15. 16. 26. 39. 41. 42. 48. 67. 84

86. 110. 111. 112. 113. 114. 115. 116.

117. 118. 190. 363 Eemer 242 Eirchhoff 23. 191 ▼. Eries 185. 291. 292. 295. 315 Eroman 237. 256. 400. 445. 452. 453.

464 Eönig 76. 198. 200. 237. 238. 255. 262.

281. 312. 314. 318. 320. 361, 363. 371.

383. 384. 487. 390. 391. 392. 393. 395.

397. 399. 402. 403. 404. 412. 428. 431.

434. 437. 444. 447. 448. 457. 460. 461.

462. 463. 464. 470 EiUpe 14. 39. 42. 51. 143. 187. 189. 245.

324. 326. 328. 333. 337. 413. 416. 418.

423. 424. 434. 448

Ladd 16. 39. 47. 70. 87. 133. 134. 140.

143. 183. 185. 189. 192. 197. 209.210.

212. 213. 222. 250. 290. 328. 419. 426.

465 Lange, C. 368 Lange, F. A. 16. 51. 86. 101. 108. 124.

212. 309. 310 Laplaoe 124 Laßwitx 135. 138. 141. 354. 359. 370.

371. 374. 375. 376. 411. 425. 457. 460.

471 Leibniz 5. 38. 40. 41. 55. 93. 96. 98.

154. 169. 287. 288. 312. 353 liebmann 1. 39. 40. 46. 248. 250. 253.

254. 284. 350. 352. 353. 354. 359. 450 Lindsay 192. 477 Lippe 328. 480. 483 Lotze 21. 22. 27. 29. 31. 34. 38. 40. 42.

45. 48. 61. 118. 120. 141. 143. 169.

187. 201. 287. 320. 324. 325. 328. 329.

335. 346. 386. 413. 414. 416. 426. 433.

453. 465. 480

Mach 101. 406. 410. 415. 463. 483. 484

Masci 317. 343. 368

Maxwell 414. 458

Mayer, R. 124. 205. 206. 408. 409. 452.

453. 463 Mercier 183 Meynert 268. 295. 299

Autorenregister.

487

Hill 42. 197. 205

Mohüewer 66. 69. 74. 94. 100. 195. 203.

205. 206. 216. 220. 280. 408 Münsterbetg 9. 10. 47. 67. 68. 72. 76.

77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86.

99. 100. 102. 160. 174. 182. 186. 187.

188. 189. 193. 197. 209. 216. 217. 220.

223. 225. 246. 248. 290. 294. 300. 301.

303. 304. 305. 306. 307. 308. 309. 312.

313. 315. 338. 343. 351. 360. 361. 362.

363. 371. 377. 378. 398. 419. 425. 439.

453. 454. 457. 465. 468. 471. 474

V. Xägeli 99. 345

Ostwald 24. 198. 200. 206. 237. 246. 300. 335. 406. 410. 411. 415. 418. 419. 424. 442. 443. 457. 466. 481

15. 18. 26. 30. 40. 42. 87. 88. 89. 94. 99. 108. 118. 119. 146. 160. 161. 168. 169. 171. 173. 177. 228. 232. 253. 255. 256. 312. 313. 316. 317. 318. 334. 335. 339. 340. 361. 372. 376. 384. 402. 413.

Faulsen 13. 14.

43. 50. 51. 67.

110. 111. 117.

162. 163. 165.

190. 203. 211.

261. 262. 269.

324. 325. 326.

363. 368. 371.

437. 470. 471. Petzold 197 Flato 250

Behmke 22. 26. 43. 44. 47. 52. 53. 55.

56. 57. 69. 100. 133. 140. 141. 143.

145. 155. 178. 179. 181. 187. 189. 202.

212. 215. 227. 230. 328. 350. 398. 413.

425. 427. 428. 431. 432. 436. 439. 444.

449. 469. 471 Bein 246. 262. 439 Reinke 240. 241. 242. 280. 287. 289. 358.

359. 361. 398. 445. 454. 465. 484 Rickert 70. 100. 131. 145. 181. 182. 198.

203. 261. 269. 316. 343. 359. 361. 366.

377. 385. 416. 431 Biehl 16. 40. 98. 99. 100. 110. 114. 115.

116. 117. 139. 188. 192. 219. 228. 244.

265. 266. 267. 268. 284. 308. 345. 346.

351. 406. 409. 427. 433. 439. 441. 442.

443. 452. 453. 454. 460

Rindfleisch 242 Romanes 192

Saohs 300

De Saint -Venant 444

SohaUer 183

Schopenhauer 16. 17. 26. 86. 108. 129.

192. 268. 270 Schultz 361 Schuppe 16. 26. 179. 180. 181. 284. 329.

354 Schwarz 444. 465. 469. 472. 474.483. 484 Schweitzer 406 Seth, A. 346. 351. 362 Sigwart 42. 43. 100. 177. 184. 187. 188.

192. 197. 198. 199. 201. 202. 204. 206.

207. 209. 222. 248. 250. 262. 284. 324.

328. 335. 353. 358. 362. 381. 382. 386.

391. 400. 406. 419. 425. 434. 439. 444.

453 Spaulding 87. 102. 205. 220. 237. 280.

281. 359. 362. 364. 413. 425. 429. 434.

453. 460 Spencer 106. 106. 271. 327. 343. 412.

413. 419 Spinoza 88. 106. 211. 229. 269. 340 StaUo 406. 413. 414. 416. 453 Stern, W. 312. 406 Stewart 414 Stout 284 Stumpf 51. 66. 83. 102. 133. 143. 187.

188. 189. 192. 194. 244. 248. 254. 261.

413. 417. 424. 427. 428. 476. 478

Tait 414

Thiele 26. 29. 44. 238. 328. 445. 484 Thomson 405. 406. 414. 415. 420 TyndaU 26. 30

Ueberweg-Heinze 112. 114 Uschakoff 300

Taihinger 111

Vannerus 339

Verwom 16. 99. 158. 237: 414. 483

Vogt 14. 15. 21. 22. 131. 227

Yolkelt 237. 271. 363

488

Antorenregister.

Yolkmann 191. 197. 198. 199. 200. 204.

415. 445. 449. 453. 467. 481 Voß 197. 414. 415. 470

Wähle 143

Wallace 477

Wentscher 66. 69. 71. 100. 143. 154.

163. 187. 189. 197. 216, 218. 220. 227.

232. 240. 262. 280. 351. 359. 362. 366.

386. 391. 392. 398. 402. 404. 427. 428.

429. 438. 439. 440. 441. 443. 444. 449.

452. 454. 471. 472. 480. 481 Windelband 42. 385 "Wolff 309 Wiindt 66. 67. 68. 72. 73. 74. 75. 76.

81. 86. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 98. 100.

109. 118. 143. 150. . 194. 195. 198. 200.

209. 211. 215. 216. . 274. 275. 276. 277. . 298. 307. 309. 324. . 335. 338. 339. 340.

362. 363. 387. 388.

395. 398. 402. 404.

428. 440. 456. 457.

185. 186. 190. 192. 202. 203. 205. 206, 218. 220. 221. 222. 279. 280. 284. 290. 330. 332. 333. 334. 344. 347. 360. 361. 389. 391. 392. 393. 405. 407. 406. 414. . 460. 472

Ziehen 72. 78. 94. 95. 100. 102. 109. 140.

141. 143. 181. 185.212.215.219.224.

246. 262. 271. 284. 290. 292. 294. 295.

313. 329. 343. 345. 348. 349. 357. 361.

362. 363. 368. 393. 413. 483 Zöllner 99.

Il

Bachdrnckerei des Waisenhauses in Hallo a. d. S.

/

/

MAY 1 8 1960